Auge Um Auge ... Heute Will Wladimir Klitschko David Haye Schlagen
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SONNABEND/SONNTAG, 2./3. JULI 2011 26 2011 Stadtleben: Schlagermove mit Costa, Jürgen & Roberto › Stadtgespräch: Box-Idol Henry Maske › Titel-Thema: Schlagfertige Hamburger Lokal-Termin: Italienische Freude im „Cuneo“ › Gestern & Heute: Kult-Keller „Zur Ritze“– das Tor zur Halbwelt › Markenmacher: Hansaplast Bis aufs Blut Am Anfang war das Boxen – und auch heute fesselt der Klitschko-Fight in der Imtech-Arena Millionen (21.45 Uhr, RTL) FOTO: PLAINPICTURE/MILLENNIUM zu bescheren. Diese Ungewissheit hält das Publikum in Atem. Keine Se- Auge um Auge ... Heute will kunde lang – so öde das vorsichtige Sich-Betasten der Kämpfer aussehen mag – darf man dem Ringgeschehen seine Aufmerksamkeit entziehen. Wladimir Klitschko David Haye In jedem Moment kann die alles zerstörende Linke erfolgreich zum Ein- ie vermutlich war ich meinem Vater näher satz kommen und den scheinbar sicheren Punktsieger in tiefste Einsam- schlagen. RAINER MORITZ, als damals in den Siebzigerjahren. Damals, keit stürzen. Alle Mächte des Zufalls, alle Ungerechtigkeiten des Lebens alsmitteninderNachtderWeckerklingel- – von denen der Tod die größte ist – spiegeln sich in diesem Augenblick Leiter des Literaturhauses, über te, Mutter sich im Bett unwillig zur Seite wider: „Nirgendwo sonst liegen Vernichtung und Triumph so spektaku- N drehteundVaterundSohnimSchlafanzug lär dicht beieinander wie im Boxen.“ (Wolf Wondratschek) Dieser seide- vor dem Fernseher in Stellung gingen, um ne Faden, an dem der Ausgang eines Kampfes hängt, gibt diesem Sport die Magie des Faustkampfs dunkelhäutigenMännern,dieMuhammad seine mythische Kraft. Wir fühlen uns an das Dunkle des Daseins erin- Ali, Joe Frazier und George Foreman hie- nert und sehen den Männern (und Frauen), die stellvertretend für uns ßen, beim Boxen zuzusehen. Magische diesen Kampf bis aufs Blut kämpfen, deshalb so fasziniert zu. Momente waren das – begleitet vom Zweifel darüber, ob man dem über- Die Nähe des Boxens zum Ungezähmten und Archaischen bringt es heblichen Ästheten Ali oder dem brachialen Kämpfer Frazier die Dau- mit sich, dass sich rund um die Boxarenen alle Facetten der Gesellschaft men drücken sollte. Und dazu die Unsicherheit, wie lange diese Vater- scharen. Anders als in der VIP-Lounge eines Fußballclubs vermischen Sohn-Eintracht anhalten würde, denn während ein Fußballspiel meist sich am Ring die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten, trifft sich verlässliche neunzig Minuten dauert, schwebt über dem Boxring stets die Halb- und Unterwelt, die weiß, dass ihre Gesetze zu keinem anderen das Damoklesschwert eines jähen, eines viel zu frühen Endes. sozial akzeptierten Geschehen größere Berührungspunkte aufweisen. Boxen beschwört die altertümlichen Mächte des menschlichen Auch das mittlerweile von Touristenführungen heimgesuchte Reeper- Lebens, lässt einige Runden lang vergessen, was der Zivilisations- bahn-Lokal „Zur Ritze“ mit seinem legendären Boxkeller demonstriert, prozess uns mühsam beigebracht hat. Die amerikanische Schrift- dass das Boxen mit den noblen Ritualen eines Golfturniers oder Ham- stellerin und Faustkampfkennerin Joyce Carol Oates hat an diese burger Reitderbys nichts zu tun hat. Betrug und Schiebung gehören folg- vom schönen Schein der Sportberichterstattung verdeckten Wurzeln lich seit jeher zur Boxgeschichte, und nichts erzürnt einen Boxfan mehr erinnert: „Die Welt ist im Zorn – durch Hass und Hunger – entstanden als das Gefühl, einem von den Medien aufgebauschten, im Vorhinein als und nicht nur durch Liebe. Davon handelt Boxen unter anderem. Es ist ungleich empfundenen Kampf beigewohnt zu haben. Ein Boxer, der sich so simpel, dass man es leicht übersieht.“ schon nach den ersten Schlägen als Aufbaugegner, als Fallobst erweist, Obwohl auch der von Unwissenden als „roh“ bezeichnete Boxsport zieht den Sport in den Schmutz, auch wenn alle Beteiligten wissen, dass Augenblicke des Schönen und der Anmut hervorbringt, hat er nichts das Boxen nie eine saubere Angelegenheit war. von der künstlichen Ästhetik anderer Disziplinen. Wo beim Dressur- Auch Frauen haben – nicht nur als Kämpfende – das Boxen entdeckt, reiten oder Eiskunstlaufen elegante Piaffen oder zweifache Rittberger kümmern sich nicht um die Semiprominenz, die die Hallen aufsucht, um gezeigt werden und wo selbst im Fußball ein Lionel Messi Zauberhaftes mal wieder ins Fernsehen zu kommen, sondern empfinden eine eigen- kreiert, regiert im Ring die unmissverständliche Absicht, einen Gegner tümliche Begeisterung für knallharte Rechte und aufgeplatzte Augen- umstandslos mit bloßen Fäusten zu Boden zu strecken. „Boxen ist“, brauen – ein Phänomen, das männliche Betrachter wie den Journalisten schrieb F. X. Toole, Cutman und Autor der zu Filmehren gekommenen Dirk Schümer nachdenklich stimmt: „Ist es nicht merkwürdig, dass Geschichte „Million Dollar Baby“, „seiner Bestimmung nach tödlich, Frauen, die ihr Gesicht um jeden Preis und über die Gesetze der Natur eine tödliche Prüfung des männlichen Willens beider Kämpfer, um hinaus glatt und straff zu halten versuchen, ganz fasziniert Männern festzustellen, wer der Boss ist, wer dieses magische mit Zeltplane dabei zuschauen wollen, wie sie ihre Gesichter lädieren?“ bespannte Quadrat absteckt und beherrscht“. Wer diese Auseinan- Ohne Zweifel: Im Erleben eines Boxkampfes sind wir ganz bei uns, dersetzung Auge um Auge, Zahn um Zahn verliert, hat nichts zu lachen. vergessen wir, was uns Eltern und Erzieher an ethischen Maximen bei- Wie der Nigerianer Samuel Peter zum Beispiel, als er im vergangenen zubringen versuchten. Wir wissen wohl, dass wir im Straßenverkehr September von Wladimir Klitschko Dresche bezog und nach der neun- oder im Supermarkt nicht blind auf die plumpen Argumente des Stärke- ten Runde wie eine Figur aus Budd Schulbergs Roman „Schmutziger ren setzen dürfen, doch manchmal tut es gut, sich den Urprinzipien des Lorbeer“ wirkte: „Am Ende der Runde sah er aus, als hätte er mit dem Lebens zu überlassen. Oder in den Worten der Enthusiastin Joyce Carol Gesicht ein fahrendes Lastauto angehalten.“ Oates: „In seinen intensivsten Momenten ist es ein ungebrochenes und Jeder Boxkampf enthält die Möglichkeit einer plötzlichen Wende. Ein so machtvolles Bild des Lebens – seiner Schönheit, seiner Verletzlichkeit S. 4/5 – Acht prominente Boxfans einziger „lucky punch“, kurz vor dem Schlussgong der letzten Runde ge- und Verzweiflung, seines unberechenbaren und oft selbstzerstörerischen über ihre Faszination für den Sport. setzt, reicht aus, um einem hoffnungslos unterlegenen Kämpfer den Sieg Muts –, dass es das Leben selbst ist und kaum ein bloßer Sport.“ Plus: Boxen und Boxer in Hamburg II Sonnabend / Sonntag, 2. / 3. Juli 2011 › WOCHENENDE Ab nach Friedrichstadt Treene 200m 202 TönningerStraße 4 2 10 Klaus-Peter KARTE: GRAFIKANSTALT 5 1 Kohl 3 8 7 Der 67-Jährige führt den Univer- 202 sum-Boxstall und braucht nur Familie, Tatort und Bratkartoffeln 9 SeetherChaussee Mein perfekter Eider Sonntag 10 Uhr An einem perfekten Sonntag würde ich gar nicht aufstehen! Aber dann gäbe es Du hast die 10 AUSFLUGSZIELE kein ausgiebiges Frühstück, Haare schön! wozu vor allem guter starker Fein für den Klein-Amsterdam des Nordens Kaffee gehört. Das gönne Schlagermove ich mir entweder zu Hause, TEXT: KIRSTEN RICK im „Café Leinpfad“ oder im „Funk-Eck“ an der Rothen- Jetzt duftet es im nordfriesischen Friedrichstadt, zwischen Eider und Treene, baumchaussee. Ich liebe sol- STADTLEBEN überall nach Rosen. Und nicht nur die Liebe zum Blühenden haben holländische che traditionsreichen Häuser, Siedler einst mitgebracht – auch die Grachten und Backstein-Renaissance in denen man Hamburger Geschichte atmen kann. Der gottorfsche Herzog Friedrich III. hatte große Pläne: Er träumte von einer Handels- Hossa! Hossa! Hossa! metropole. Deshalb lud er niederländische Glaubensflüchtlinge ein und gründete 1621 12 Uhr Bewegung an der Friedrichstadt. So entstand das Holländerstädtchen, geprägt von Grachten und frischen Luft! Meine Frau Häusern der niederländischen Backsteinrenaissance. Sie bestimmen nach wie vor das Ute, meine Tochter Gaby, ihr Stadtbild, auch die religiöse Vielfalt existiert noch. Es gibt vier Kirchen, die von fünf Mann, unsere beiden Enkel verschiedenen Glaubensgemeinschaften genutzt werden: Remonstranten, Lutheraner, und ich bummeln durch die Kult-Stars, Karaoke und Kunsthaar bis zum Knockout: Jürgen Drews, Costa Cordalis, Mennoniten, Katholiken und dänische Lutheraner feiern hier ihre Gottesdienste. Die Innenstadt. Ich schaue gern Roberto Blanco & Co. laden heute dazu ein, sich beim Schlagermove im Konvoi ehemalige Synagoge zeugt vom einst blühenden jüdischen Leben, das während der in die Auslagen der Läden, NS-Zeit ausgelöscht wurde. Der herzögliche Traum von einer florierenden, bedeuten- wenn ich sicher bin, dass wir und auf den Aftermove-Partys einem zwölfstündigen, fröhlichen Taumel hinzugeben den Kaufmannsstadt erfüllte sich nicht: Friedrichstadt hat knapp 2500 Einwohner – nicht hineingehen können, die Besucher wissen die Beschaulichkeit der rosenberankten Gassen zu schätzen. um einzukaufen. Anschlie- ßend geht es zu den Lan- TIPPS & TERMINE dungsbrücken. Schiffe finde TEXT: NICO BINDE kombiniert. Und an jeder Ecke wird falsch gesungen. ich faszinierend und ich liebe Aber hey: Wen stört’s, wenn alle gut drauf sind? 1 FRIEDRICHSTÄDTER ROSENTRÄUME Eine Stadt versinkt im Blütenmeer: die Elbe. Über den Fischmarkt ie dauernölende Horde freudloser Kultur- Aufgewärmt hat sich ein Großteil der 500000 er- Am ersten Juliwochenende präsentieren international renommierte Rosenzüchter runter bis nach Neumühlen, Dkritiker kann hier