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BEN HEPPNER OTELLO KRASSIMIRA STOYANOVA DESDEMONA FRANCO VASSALLO JAGO ALEXEY DOLGOV CASSIO CHRISTINA DALETSKA EMILIA EMANUELE GIANNINO RODRIGO STANISLAV SHVETS LODOVICO GIOVANNI GUAGLIARDO MONTANO, HEROLD MÄDCHENCHOR DER CHORAKADEMIE AM KONZERTHAUS DORTMUND ZELJO DAVUTOVIC EINSTUDIERUNG WDR RUNDFUNKCHOR KÖLN DAVID MARLOW EINSTUDIERUNG MAHLER CHAMBER ORCHESTRA DANIEL HARDING DIRIGENT Abo: Große Stimmen I Mahler Chamber Orchestra In unserem Haus hören Sie auf allen Plätzen gleich gut – leider auch Husten, Niesen und Handy- klingeln. Ebenfalls aus Rücksicht auf die Künstler bitten wir Sie, von Bild- und Tonaufnahmen während der Vorstellung abzusehen. Wir danken für Ihr Verständnis! 2,50 E MCO 4 I 5 Giuseppe Verdi Gemälde von Giovanni Boldini, 1886 GIUSEPPE VERDi (1813 – 1901) »Otello« Oper in vier Akten (1886) (konzertante Aufführung in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln) Erster Akt Zweiter Akt – Pause ca. 20.45 Uhr – Dritter Akt Vierter Akt – Ende ca. 22.30 Uhr – Einführung mit Prof. Dr. Michael Stegemann um 18.45 Uhr im Komponistenfoyer 6 I 7 PROGRAMM MCO 8I I9 9 ENDE DES SCHÖNGESANGS gebracht und durch die Komposition wieder psychologisch greifbar und menschlich lebendig GIUSEPPE VERDI »OTELLO« gemacht hat, dieser Komponist, der Routinier in der Zeichnung menschlicher Tragik in den schönsten Tönen, schafft mit seinem Otello nicht irgendeine weitere Figur. Er vertont die Giuseppe Verdi komponiert seine vorletzte Oper »Otello« in der Zeit zwischen März 1884 Einsamkeit des modernen Individuums gegenüber Intrigen, Machenschaften, Meinungen. Er und November 1886, unterbrochen von einer längeren Pause. Das Textbuch der Oper dichtet zeichnet ein musikalisches Bild der Hilflosigkeit des Einzelnen in einer sich zum Umbruch der Komponist und Schriftsteller Arrigo Boito im Herbst 1879 und arbeitet es in beständiger rüstenden neuen Welt. Der Komponist malt seinen Otello trotz seiner übersteigerten Eifer- Abstimmung mit Verdi bis 1884 endgültig aus. »Motoren« des Projektes vom »Mohren von sucht so menschlich, nachvollziehbar. Das tiefe Mitleid der Welt ist diesem Menschen sicher. Venedig« (Zitat Verdi) sind sein kluger Verleger Giulio Ricordi, der Dirigent der späteren Ur- Seine Rolle als großer Militär ist egal, nur der nackte Mensch mit seiner zutiefst verletzten aufführung Franco Faccio und eben Arrigo Boito. Ohne deren Hartnäckigkeit hätte sich Verdi Seele wird sichtbar. auf dieses späte Kompositionsprojekt in seinem Leben wohl nicht mehr eingelassen. »Warum in aller Welt soll ich komponieren? Warum soll ich das tun, was bringt mir das? Das Resultat Otellos eröffnendes ›Esultate‹ verhallt als ihn fast schon überfordernder Siegesruf im hoh- wäre nur, dass ich mir wieder sagen lassen müsste, dass ich mein Handwerk nicht verstehe, len Siegestaumel der Massen. Er hat auch hier nur die Funktion des Idols, an dem sich die dass ich ein Epigone Wagners bin.« So lauten die scheinbar frustrierten Worte des Kompo- Massen berauschen. Keine Arie wird diesem Feldherrn zugestanden. Keine Melodie würde nisten im Jahre 1878. Und Verdi geht auf das Angebot der drei anderen Herren auch nicht die gehetzte Kreatur zutreffend charakterisieren. Er ist kein Gestalter, er ist Getriebener der gleich ein. Dafür gibt es drei Gründe: Rossinis »Otello« wird auch noch mehr als 60 Jahre Geschichte. Lyrische Momente gesteht Verdi ihm nur in der Rückschau und in großer Ein- nach seiner Uraufführung mit großem Erfolg gespielt, im Italien der 1880er-Jahre entbrennt samkeit zu, so in seinem Monolog im dritten Akt ›Dio mi potevi scagliar‹. Doch auch hier gibt eine heftige Diskussion um eine Art Zukunftsmusik, der Verdi nicht nacheifern möchte, und Verdi der Musikpsychologie den Vorrang vor der Melodie. Otello flüstert und deklamiert, aber der Komponist hat großen Respekt vor dem Shakespeare’schen Stoff – schließlich hat er sich dann schenkt der Komponist seiner tragischen Figur doch noch eine aufblühende Phrase, eine in seinem Komponistenleben bis zu diesem Zeitpunkt nur einmal an einem Werk des großen empfindsame Kantilene (›Ma, o pianto, o duo!‹). Diese Melodie hat allerdings keine nachhaltige Engländers mit Erfolg versucht: 1847 mit »Macbeth«. Doch dann schreibt Verdi eine der ganz Wirkung, sie erlischt so schnell, wie sie erblüht ist. Otellos Gesang ist radikal modern kom- großen, neuen und radikal anderen Partituren der (italienischen) Oper, die keinen derartigen poniert: Deklamationen, herausgeschriene Töne, verzweifelte Ausrufe – gesanglicher Expres- Vorgänger und auch keine Nachfolger hat. Es ist ein sinfonisch dominierter Solitär, in dem sionismus. Auch, wenn der Gedanke kühn zu sein scheint: Alban Bergs »Wozzeck« ist keine Verdi die Oper beinahe komplett durchkomponiert und fast vollständig auf Arien und tradi- kompositionsgeschichtlichen Lichtjahre mehr entfernt. Vom überdrehten ›Esultate‹ bis zur tionell geprägte Formen verzichtet. Die Komposition folgt konsequent dem Drama und steht dennoch im Zentrum. Ob große Sturmszene zu Beginn der Oper, ob ekstatische Ausbrüche des Otello, ob chromatische Boshaftigkeiten des Jago – alles ordnet sich dem Sog der Intrige des Bösen unter. Das Orchester wird von Verdi endgültig aus der reinen Begleiterrolle befreit; die sinfonische Idee beherrscht beinahe durchgängig die Szene. Die Sänger haben zu dienen und weniger zu glänzen. Dies sind radikale Neuerungen für Verdi und die italienische Oper. Die Uraufführung der Oper am 5. Februar 1887 an der Mailänder Scala wird zum Triumph für Verdi und sein Werk. BOITO UND VERDi – PRODUKTIVE PARTNERSCHAFT Otello – eine tragische, vielleicht die tragische Figur in Verdis Opern. Eine Figur, die von einer einzigen menschlichen Eigenschaft, der Eifersucht, in überdimensionaler Weise beherrscht wird. Giuseppe Verdi, der sein Opernleben lang tragische Charaktere in die Welt der Musik 10 I 11 WERKE ergreifenden Wiederholung des Kuss-Motivs (›Ancora un bacio‹) am Ende der Oper zeichnet rallele zu Wagners »Tristan« im dritten Akt) eröffnet die Szene. Einsam und mit seufzender Verdi die tragische Fallhöhe des vermeintlichen Helden, dessen privates Schicksal in denkbar Tonsprache auf dem Wort »salce« (»Weide«) schreibt Verdi seiner Desdemona einen Gesang, großem Kontrast zu seinen Karriereerfolgen steht, nach. der ihre Charaktereigenschaften Reinheit, Naivität und willenlose Hingabe in ein scheinbar vorbestimmtes Schicksal zu Musik werden lässt. Das anschließende ›Ave Maria‹ vertont Verdi als rezitativische Eröffnung mit nachfolgend aufsteigender Melodielinie. Umso ergreifender ist DESDEMOna – DAS PRINZIP UNSCHULD der einzige dramatische Ausbruch Desdemonas: »Ah! Emilia, Emilia, addio!« – die Vorwegnah- me eines Todesschreis. »Desdemona ist keine Frau, sie ist ein Typus! Der Typus der Güte, der »Desdemona muss immer, immer singen«, verlangt Giuseppe Verdi von seiner weiblichen Haupt- Resignation, der Aufopferung«, sagt Verdi. figur dieses Dramas. Daraus abzuleiten, dassV erdi dem Sopran nun die schönsten Arien kompo- niert habe, wäre ein Fehlschluss. Desdemonas Gesänge sind filigrane Gebilde, zarte Kantilenen, zurückhaltende Einwürfe. Die Arie als Form wäre von ihrer Wirkung her zu direkt und zu aufdring- JAGO – HeimlicHE HAUPTFIGUR lich für diese Figur, deren Unschuld und Naivität Verdi in feinen Farben gestaltet. »Jago ist der Neid. Der gröbste Fehler, der billigste Irrtum, in den ein Schauspieler verfallen Ihren ersten ganz großen musikalischen Moment teilt Desdemona mit Otello im Liebesduett könnte, der sich daran wagt, diese Gewalt zu interpretieren, wäre, sie als eine Art Dämon in zum Finale des ersten Aktes. Dieses Duett ist eine geniale Schöpfung von Boito, bei Shake- Menschengestalt vorzustellen, ihr die mephistophelische Maske vors Gesicht zu legen, sie speare gibt es keine entsprechende Szene. Otello findet nur im Moment der Umarmung, des satanische Blicke werfen zu lassen. Er soll ansehnlich sein und jung, aufrichtig und beinahe Kusses, der Liebe Ruhe von seinem gehetzten Leben als Krieger. Nur hier ist er für Sekunden gutmütig wirken. Wenn er nicht den großen Reiz von persönlichem Charme und einer vertrau- frei von den Dämonen, die ihn treiben und beherrschen sollen. Verdi gelingt hier ein Meis- enerweckenden Erscheinung hätte, so könnte er nicht durch Verstellung zu solcher Macht terstück der Opernkomposition hinsichtlich sämtlicher musikalischer Parameter. Schon die kommen, wie es der Fall ist«, charakterisiert Arrigo Boito diese Figur der Oper, die im Zentrum Solocello- bzw. Celloquartetteinleitung ist von Atmosphäre stiftender Schönheit. Das Paar be- der Handlung steht. Schließlich ist es Jago, der die infame Intrige entwirft und zum Leben singt in einem kantilenenreichen Abschnitt abwechselnd die Erinnerungen an eine ungetrübte erweckt – Jago, der große Manipulator dieser Oper, nach dessen Plan die Menschen handeln. Vergangenheit. Harfenarpeggien und zarte Streicherakkorde lassen den nächtlichen Himmel Jago ist Subjekt, Otello und Desdemona sind Objekte der Handlung. sternenreich glitzern – dreimal erklingt in schönstem E-Dur das Kuss-Motiv, mit dem die Oper auch tragisch endet. Sicher ist dieses Liebesduett, neben der Szene aus dem zweiten Akt von Jagos musikpsychologische Visitenkarte ist das ›Credo‹, das Boitos literarische Erfindung Wagners »Tristan und Isolde«, das bedeutendste der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die ist und von Verdi kongenial vertont wird. Auch hier kann es keine Arie sein, die das nihilis- Parallelen sind erstaunlich, die Differenzen ebenso. In beiden Szenen ist die Liebe eng mit tische und zerstörerische Weltbild des Jago angemessen