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Sonderausstellung in den Technischen Sammlungen Vorstandsmitglied und später Ge- neraldirektor der ZEISS-Ikon- Werke und bis 1933 einige Jahre Emanuel Goldberg – Architekt des pho- hochgeachteter Honorarprofessor an der TH Dresden (mit engen, tographischen und digitalen Wissens auch kameradschaftlichen Kon- takten zu den Studenten). In Die Spur führt von Striesen nach Loschwitz … und diese Zeit fiel auch seine epochale Erfindung, die er kurz »die statis- ie Technischen Sammlun- tische Maschine« nannte und die gen Dresden im Striesener als »Vorrichtung zum Aussuchen DErnemann-Bau an der statistischer und buchhalteri- Schandauer Straße eröffnen am scher Angaben«, als »Maschine 10. März eine nichtalltägliche für dokumentarische Wiederho- Sonderausstellung (bis 24. Sep- lung« dienen sollte – von manchen tember): Emanuel Goldberg. Ar- Wissenschaftsautoren auch als chitekt des Wissens. Das Ereignis Vorläufer des inzwischen unent- ist in mehrfacher Weise außerge- behrlichen Computers eingestuft. wöhnlich. An diesem Gemein- schaftsprojekt sind neben den SA-Kommandotrupp Technischen Sammlungen und verschleppt Generaldirektor der TU Dresden weitere in- und Schon 1921 war er mit seiner Fa- ausländische Universitäten und milie von Leipzig nach Dresden Hochschulen beteiligt. Zur Vernis- gezogen und hatte zunächst eine sage wollen mehrere Goldberg- Wohnung an der Wallotstraße – Nachkommen aus Israel, den USA am heutige Stresemannplatz. 1927 und Deutschland nach Dresden übernahm er das nach seinen kommen. Für Elbhang-Kurier- Vorstellungen gebaute Losch- Leser dürfte von besonderem In- witzer Haus an der Oeserstraße 5. teresse sein, dass mit Goldberg Mit seiner russisch-jüdisch- eine jüdische außerordentliche deutschstämmigen Verlobten, der Persönlichkeit »zum Leben er- studierten Pianistin Sophie Pos- weckt« wird, die mit der Familie niak (1886–1968), die er 1907 in über Jahre in Loschwitz an expo- Leipzig heiratete, war er 1905 niertem Ort gelebt hat – und dort nach Deutschland gekommen, fast vergessen ist. Das Vergessen, um auch dem damals in Russland Verdrängen und Verschweigen präsenten Antisemitismus auszu- haben u. a. die Nationalsozialis- Emanuel Goldberg im Jahr 1925 weichen. Beide wurden noch vor ten zu verantworten. Beinahe dem Ersten Weltkrieg deutsche wäre ihr Kalkül aufgegangen. Sie »Erforscher der Grundlagen der lichen Akademie der Graphischen Staatsbürger. Sohn Herbert wurde versuchten 1933 in heute unvor- Fotografie« und als »Wegbereiter Künste« in Leipzig (hier baute er 1914 geboren (nach 2000 in den stellbarer Brutalität, den jüdi- für das apparative Wissensmana- 1907–17 die dortige Abteilung Re- USA gestorben), ihm folgte 1922 schen, deutsch-russisch- stämmi- gement der Zukunft« (mit einer produktionsphotographie auf) Tochter Renate (2016 in gen Wissenschaftler Professor langen Liste einschlägiger Pa- bald ein praktisch-wissenschaft- gestorben). Dr. phil. Emanuel Goldberg (1881 tente). So fand er nach seinem lich-unternehmerisches Arbeits- Am 3. April 1933 geschah das Un- – 1970) zu beseitigen, und sie ersten akademischen Tätigkeits- gebiet in der damaligen Dresdner fassbare. Ein SA-Kommandotrupp zwangen ihn schließlich zur Emi- feld an der seinerzeitigen »König- Fotoindustrie. Bereits 1926 war er (offenbar unter Beteiligung des gration. Er hätte nicht vergessen »Gauleiters« Mutschmann) unter- werden dürfen, denn zum Einen brach im ZEISS-Ikon-Gebäude wird nach Recherchen Eberhard an der Junghansstraße eine Di- Münzners noch 1944 im (letzten) rektorenversammlung und ver- Dresdner Adressbuch für das schleppte gewaltsam den Loschwitzer Haus Oeserstraße 5 Generaldirektor Emanuel Gold- Prof. E. Goldberg als Eigentümer berg. Der damalige Lehrling Wal- benannt. Zum Anderen taucht in ter Riedel (1910–2006), der später der fotografischen, kinematogra- in Loschwitz an der Klengelstraße fischen und wissenschaftshistori- wohnte, wurde im Treppenhaus schen Fachliteratur (aber auch in zufällig Zeuge des Vorfalls. der Tagespresse und sogar im Goldberg, in einem ihm überge- »Spiegel«) immer wieder der stülpten Sack »abtransportiert«, Name Emanuel Goldberg auf. Das entging nur knapp dem ihm zuge- ist nicht verwunderlich, denn der dachten Tod und musste nach einst an den Universitäten Mos- drei Tagen freigelassen werden – kau und Leipzig ausgebildete vermutlich hatte Reichspräsident »Physik-Chemiker« – er promo- Das erste Foto, auf dem Emanuel und Sophie zu sehen sind, entstand in Hindenburg nach einer konspira- vierte 1909 bei Nobelpreisträger Leipzig im Jahr 1905 , kurz nachdem die beiden sich kennengelernt hat- tiv organisierten Intervention aus – gilt als ein ten. Fotos (2):Technische Sammlungen Dresden Dresden die Freilassung verfügt.

DER ELBHANG-KURIER 3/2017 Seite 10 STRIESEN · LOSCHWITZ

Flucht über Paris nach Palästina Kurz danach verließen Sophie und Emanuel Goldberg ihr unter »Polizeischutz« stehendes Losch- witzer Haus in Richtung Paris, wo nach turbulenten Wochen schließlich auch die ganze Fami- lie samt Hausgehilfin eintraf. Selbst der gesamte Hausrat lan- dete alsbald in Paris; daran hatte offensichtlich das ZEISS-Manage- ment Anteil, das den Wissensträ- ger offiziell als Chef der Pariser Niederlassung unterbrachte, um ihn so von der ausländischen Noch 1933 gab es einen Kinderfasching im Hause Goldberg an der Nach 70 Jahren konnten sich die Freun- Konkurrenz zu isolieren. Nach Oeserstraße. Wahrscheinlich fotografierte der Hausherr selbst seine dinnen 2003 erstmalig in Loschwitz wie- diesem abrupten Ende seiner For- zehnjährige Tochter Renate (re.) und deren Freundin Christine (spä- dersehen: Christine Alschner (li.) und schungsarbeiten wanderte die Fa- ter verhei- ratete Alschner). Fotos (2): Slg. Christine Alschner † Chava Gichon geb. Goldberg. milie Goldberg 1937 in die »Wahlheimat« Palästina aus. Dort 1970 stand ihm seine Tochter Re- stadt und konnte nur wenige frü- Ortsgeschichte, S. 256) Chava Gi- baute Goldberg die optische In- nate zur Seite, die seit 1948 mit here Kontakte wiederbeleben. chon traf 2003 in Bühlau nur noch dustrie des heutigen Israel auf dem aus Berlin stammenden is- Ihre einstige Loschwitzer Schul- ihre einstmalige Kinderfreundin und konnte u. a. bis 1945 Briten raelischen Offizier und späteren freundin, die Apothekerstochter Christine verheiratete Alschner und Amerikaner mit kriegswichti- Archäologen Professor Mordechai Lore Löwenheim, war mit den El- aus dem vormals gemeinsamen gen Erfindungen unterstützen. Gichon verheiratet war und fortan tern nach Californien emigriert. Wohnhaus Wallotstraße (s.o.) an; Seit der israelischen Staatsgrün- Chava Gichon hieß.. Auch eine vom Bildhauer Georg noch 1933 hatte sie mit ihr im dung 1948 erhielt er zunehmend Curt Bauch gefertigte bronzene Hause Goldberg Fasching gefeiert. Aufträge aus den dortigen Armee- Wiedersehen nach 70 Jahren Gartenplastik, Lore L. darstellend, Das wohlerhaltene Elternhaus an und Industriebereichen, und aus Frau Gichon besuchte 2003 auf war bereits zu DDR-Zeiten aus der Oeserstraße konnte sie nur seinem anfänglich kleinen opti- Einladung des Dresdner Oberbür- dem Loschwitzer Apothekengar- von außen wahrnehmen. Es be- schen Betrieb hat sich bis heute germeisters, gemeinsam mit an- ten unauffindlich verschwunden. fand sich indessen in neuen Hän- ein bedeutender Konzern entwi- deren ehemaligen Dresdnern Abbildungen von diesen Plastiken den. Frau Gichon war nach eige- ckelt. Bis zu seinem Lebensende jüdischer Herkunft, ihre Heimat- siehe »Loschwitz – Illustrierte nen Worten »etwas irritiert«, dass

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DER ELBHANG-KURIER 3/2017 DER ELBHANG-KURIER Seite 11 der neue, offenbar rechtmäßige, Nachlass ihres Vaters Emanuel nuel Goldbergs Ehefrau, dürfte chern hinterlassen hat. Und es prominente Eigentümer (seit 1947) Goldberg künftig in Dresden sei- diese Musik gleichfalls studiert scheint verstehbar, dass auch die auch Eigentümer von zwei Partei- nen Platz haben soll. Diese Geste haben. Letztlich könnten die un- Loschwitzer Nachbarn (bis heute) büchern gewesen war – eines vor beschämt nicht nur das gelegent- sterblichen Töne im genannten kaum Notiz von ihrem prominen- 1945 und eines aus den 50er Jah- liche offizielle Vergessen, sie ver- Zusammenhang zum aktuali - ten Mitbürger nahmen Allerdings ren – offenbar ohne Erklärungs- leiht auch der eingangs erwähn- sierenden Denk anstoß unseres hat Eberhard Münzners Vater (er not. Sie hatte freilich die beschei- ten Ausstellung in den »Tech- Geschichtsbe wusst seins werden. war ZEISS-Angestellter) berichtet, dene »Genugtuung«, dass ihr nischen Sammlungen« einen his- Chava Gichon äußerte vor etwa 20 dass Direktor Goldberg meist mit Restitutionsersuchen, in das sich torischen Rang. Vielleicht findet Jahren in einer schriftlichen Erin- dem Fahrrad zur Arbeit fuhr, re- pikanterweise auch eine ehema- sich ein Tonsetzer, der den Bach - nerung: «... Meine Eltern, relativ gelmäßig die Werkstätten der Mit- lige MfS-Mitarbeiterin einge- schen »Goldberg-Variationen« neu in Dresden, verkehrten wohl arbeiter besuchte – und seine mischt hatte, mit einem für sie demnächst eine weitere Tonfolge nur mit Geschäftsbekannten und Tochter Renate in die Loschwitzer problematischen »Vergleich« und hinzufügt – die Assoziationen nicht in jüdischen Kreisen … mein Schule schickte. Also: Goldbergs mit langwierigen Behördenent- sind vielfach: Die »Goldberg-Va- Vater war sehr freidenkend...«. waren mitten unter uns. scheidungen endete. Trotz dieser riationen« ließen einst einen rus- Somit scheint erklärlich, dass Dietrich Buschbeck Erfahrungen verfügte die nun- sischen Gesandten in Dresden ge- selbst der Chronist Viktor Klem- Weitere Goldberg-Fotografien siehe mehr 94-jährige Tochter Chava Gi- nesen, und die vormals russische perer nur 1925 eine marginale www.elbhang-kurier.de. chon, dass der wissenschaftliche Pianistin Sophie Posniak, Ema- Goldberg-Notiz in seinen Tagebü-

Gartenszene am Loschwitzer Haus Goldberg an der Oeserstraße 5 Photographie: Emanuel Goldberg?, 1932/Technische Sammlungen Dresden

Diese Loschwitzer Gartenszene von 1932 zeigt die zehnjährige Eva Renate Goldberg mit ihrer in Russland geborenen Mutter Sophie geb. Posniak (46) – Ehefrau des damaligen ZEISS-Ikon-Generaldirektors Emanuel Goldberg, der das Haus 1927 für seine Familie bauen ließ. Auf der Bank der Terrasse sitzt vermutlich die junge Haushälterin der Familie, Olga Krumbiegel. Renates acht Jahre älterer Bruder Herbert studierte damals bereits in Leipzig. Angesichts der Gartenfassade des Hauses erinnerte sich (Zitat DNN/Heidrun Hannusch) 2003 Renate Goldberg, die inzwischen Chava Gichon hieß: »Wir hatten als Panoramafenster die größte Glasfläche, die es damals in einem Stück gab«. Als die jüdische Familie 1933 nach Paris emigrieren musste, durfte auch Olga Krumbiegel mitreisen; Goldbergs vermittelten ihr dort sogar eine Ausbildung als Hutmacherin, konnten sie aber 1937 nicht mit nach Palästina nehmen, sodass Olga wahrscheinlich nach Dresden zurückkehrte, aber bisher noch nicht wieder identifiziert werden konnte. Nach Familie Goldbergs Emigration bewohnte bis 1945 die ZEISS-Ikon-Direktorenfamilie Simander das Haus an der Oeserstraße; sie hatte über Jahre (teils illegalen) Kontakt zur Familie Goldberg/Gichon in Tel Aviv. Eva Renate Goldberg, seit 1948 verheiratete Chava Gichon, besuchte ge- meinsam mit einer in Israel geborenen Enkelin 2003 nach 70-jähriger Abwesenheit ihre Heimatstadt Dresden und ihren Schulort Loschwitz, 2016 starb sie 94-jährig in Tel Aviv; ihre Mutter Sophie war bereits 1968 dort gestorben. DB die besondere photographie

DER ELBHANG-KURIER 3/2017