Wortmeldungen Zu Ernst Moritz Arndt
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Wortmeldungen zu Ernst Moritz Arndt Drucksache Arndt Januar 2010 „Der menschliche Geist ist jetzt ein Freigelassener.“ Ernst Moritz Arndt, 1803 Vorbemerkung Am 11. Dezember 2009 fand für die Angehörigen der Ernst-Mo- genommen werden können. Karl-Ewald Tietz, Reinhard Bach, ritz-Arndt-Universität eine Anhörung zum Namensgeber wie Reinhart Staats und Irmfried Garbe haben ihre kurzen Referate auch zum Namen unserer Greifswalder Hochschule in der Aula für diesen Abdruck zur Verfügung gestellt. Ergänzt werden sie des Universitätshauptgebäudes statt. Die Veranstaltung brachte durch eine Darstellung der umstrittensten Seiten Ernst Moritz sieben ausgearbeitete Stellungnahmen zu Gehör, die anschlie- Arndts von Dirk Alvermann. Wir wünschen diesen Texten die ßend diskutiert werden konnten. Leider fiel die Teilnahmerzahl Aufmerksamkeit, die sie in der laufenden Diskussion verdienen. der Veranstaltung deutlich geringer aus, als erwartet und er- Allen, die diesen Druck unbürokratisch und entgegenkommend wünscht. Dafür gibt es sicher unterschiedliche Gründe. – Die ermöglicht haben, sei herzlich gedankt! anläßlich dieser wissenschaftlichen Anhörung vorgetragenen Statements wurden für die Greifswalder Universitätsangehöri- im Namen der Autoren gen erarbeitet. Darum sollen sie von Ihnen auch zur Kenntnis Dr. Irmfried Garbe – 2 – Für die Beibehaltung des Namens Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald von Prof. Dr. Karl-Ewald Tietz1 Während mich aus der heutigen Ausga- ritz-Arndt-Universität zu vertreten ha- be der Ostsee-Zeitung zwei erregende be. Wir haben unsere ehrenamtliche Überschriften über Krieg und Studen- Tätigkeit unter den Namen Arndts ge- tenprotest fast “anspringen”,2 spreche stellt, wollen laut Satzung “in freiheit- ich hier “nur” über einen Namen. lich-demokratischer Weise die kriti- sche Auseinandersetzung in der 1812 schrieb Ernst Moritz Arndt im fer- Öffentlichkeit und die wissenschaftli- nen Russland als Mitarbeiter des so- che Erforschung des Lebens, Wir- genannten Deutschen Komitees und kens und Schaffens von Ernst Moritz Privatsekretär des Freiherrn vom und Arndt im Kontext seiner Zeit” fördern zum Stein, gewissermaßen im Auftrag (§ 2 / 1).4 also, das “Vaterlandslied”. Es beginnt Die Restaurierung, Erhaltung und so: “Der Gott, der Eisen wachsen ließ, sinnvolle Nutzung des Groß Schorit- der wollte keine Knechte...” zer Geburtshauses, eine Reihe von Publikationen und wohl mehr als 250 In der 5. Strophe heißt es: Vorträge, Lesungen, Konzerte, Exkur- “Wir wollen heute Mann für Mann sionen und Ausstellungen sowie sie- Mit Blut das Eisen röthen, ben wissenschaftliche Kolloquien ver- Mit Henkerblut, Franzosenblut – merken wir auf unserer Habenseite. O süßer Tag der Rache! ...”3 Eine alleinige Arndt-Orientierung hat es nie gegeben, doch längst sind wir Eine Verszeile, die uns heute er- auch über die Konzentrierung auf den schreckt und schweigen lässt. Ich habe Namenspatron hinausgewachsen von einem Alten Herren einer studenti- und als historisch-literarische Gesell- schen Verbindung erfahren, dass man schaft verantwortlich für ein inhaltlich beim Kommersgesang inzwischen auf breites und vielfältiges kulturelles An- diese Strophe verzichtet. Auch ein an gebot für Einheimische und Besu- politischer Lyrik wenig interessierter Mensch wird bei ernsthaf- cher. Die Arndt-Gesellschaft im Rügener Gutshaus Groß Scho- tem Nachdenken verunsichert sein über den Aufruf, das Blut ei- ritz ist längst eine Kulturinstitution auf Rügen und in Vorpommern nes anderen Volkes zu vergießen. geworden. Aber: Trotz unserer inhaltlichen Breite sind wir keine Ein gebildeter, humanistisch erzogener Leser mit politischem Ni- neutrale Instanz, wenn es gilt, über den Namen der Ernst-Mo- veau wird einerseits abgestoßen von einer solchen blutigen Auf- ritz-Arndt-Universität zu befinden. Natürlich plädieren wir für forderung. die Beibehaltung des Namens! Andererseits wird er sie hinterfragen und nach den Ursachen für Inhalt, Ton und Tendenz des Liedes suchen. Selbstverständlich wissen wir, weiß ich um Arndts nationalisti- sches, chauvinistisches und rassistisches Gedankengut, das man Ihren Arndt hinterfragen bis heute die etwa 175 Mitglieder der im kaiserlichen Deutschland nur zu gern gebraucht und im NS- 1992 von Menschen aus Ost und West gegründeten Ernst-Mo- Deutschland missbraucht hat. Seine in bestimmten Themenberei- ritz-Arndt-Gesellschaft e.V., die ich hier in der Aula der Ernst-Mo- chen wenig tolerante Geisteshaltung will niemand beschönigen. – 3 – Die Lektüre bestimmter, im Greifswalder Namensstreit mehr sein kultur- und sprachhistorisch begründetes Bild einer deut- oder weniger geschickt ausgewählter Textpassagen ist nicht erst schen Nation. mit den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts schmerzhaft. Nie- Der zuvor sehr kritisch gegenüber Preußen eingestellte Visionär mand kann bestreiten, dass manche Gedanken, Thesen, Äuße- fand 1809/10 Anschluss bei den preußischen Patrioten, Refor- rungen und Sprachformeln Arndts weder dem heutigen Zeitgeist mern und Militärs. Nun sah er in Preußen den Vorreiter für die noch allgemeinen humanistischen Vorstellungen entsprechen. deutsche Einheit, die führende Kraft für Deutschlands Zukunft. Doch bei der Ermittlung und beflissenen öffentlichen Ausbrei- Bis ins hohe Alter hinein – ich erinnere an seine Wahl in die er- tung solcher Zitate, wie wir es gegenwärtig erleben, vermisst ste deutsche Nationalversammlung 1848 – strebte Ernst Moritz man das Bemühen um historische Einordnung. Arndt nach dieser Einheit. Jede Persönlichkeit entwickelt sich unter bestimmten äußeren Es ist heute schon fast vergessen, dass Arndt seit 1945 für viele Bedingungen, in einer konkreten historischen Situation, in ei- der Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem früheren deutschen nem Beziehungssystem von Einflüssen. Insofern muss Arndts Osten mit seinen Liedern und Gedichten jene Identifikationsfigur Denken, Schreiben und Wirken in einer Zeit erwachenden Na- war, die an die verlorene Heimat erinnerte. Und 1989/90 bestä- tionalbewusstseins, Erstarken des Bürgertums, Streben nach tigten uns viele – vor allem ältere – Besucher aus der Bundesre- nationaler Einheit, Kampf gegen einen fremden Aggressor, Auf- publik, dass Arndt ihnen immer über die innerdeutsche Grenze lehnung gegen Unfreiheit und gegen die fortwährende Restau- hinweg als Symbol für das Streben nach Einheit galt. ration eingeordnet werden. Aus einem solchen historischen Kontext und dem unübersehba- 2. Arndt als “Motivator” für die Befreiung Deutschlands ren Schrift-Material des fleißigen Publizisten etwas herauszu- Arndt beteiligte sich zwischen 1812 und 1815 mit seinen Ge- schälen und vorzuführen, ohne Bedingungen und Ziele der Text- dichten, Flugblättern und Schriften aktiv an der Befreiung der Entstehung ermitteln und benennen zu wollen, führt zu deutschen und europäischen Gebiete von den napoleonischen Einseitigkeiten. Sehr oft hatten Arndts Schriften eine bestimmte Heeren. Sein weitreichendes und nachhaltiges Wirken als Funktion zu erfüllen, der er sich unterwarf. Stets hat er sich als Schriftsteller in der Zeit der Befreiungskriege war ein notwendi- Anreger, Mahner, Erzieher und Propagandist verstanden. ger publizistischer und damit ideologischer Bestandteil der Arndts Werk ist geprägt wie das jedes anderen Autors von indi- Kämpfe, um das Joch einer fremden Eroberungsarmee abzu- viduellen Begabungen, Fähigkeiten, Charaktereigenschaften werfen. Arndt hat mit selbstgestelltem patriotischen Auftrag ge- und Strebungen. Und so ist es voller Widersprüche, fußt mit handelt; auf die eigene Person hat er keine Rücksicht genom- manchmal subjektiv erscheinender Interpretation auf dem Stand men. der damaligen Wissenschaft. Wie ein zu früh gekommener Poli- Seine Texte sind in einer historisch konkreten Situation entstan- tikwissenschaftler reagierte Arndt auf die jähen Wechsel der da- den, in der es galt, Menschen zum Kampf zu motivieren. Mit un- maligen Zeit. bedingter Ehrlichkeit, aber agitatorischem Ziel überhöhte er oft Inhalt und Ton. Seine Wirksamkeit bei den einfachen Leuten wie Doch beim sorgfältigen Umgang mit einer historischen Persön- bei Militärs und Politikern war enorm. lichkeit, die nicht Verbrechen auf sich geladen hat, ist es im all- gemeinen üblich, ihre Positionen und Aussagen kritisch zu be- Die furchtbaren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und positive nennen, sich möglicherweise in Teilen auch zu distanzieren, Veränderungen – wenigstens in den Beziehungen der Völker aber nicht die ganze Person zu verwerfen. Europas – verleihen heute manchen seiner Texte einen ana- Die Arndt-Gesellschaft hat Arndt nur selten gefeiert, ihn aber ge- chronistischen Charakter. Joachim Wächter verweist aber zu würdigt, indem sie sich immer wieder mit ihm auseinandergesetzt Recht auf Zusammenhänge im Wertungssystem: Wenn Arndts hat. Neun Hefte einer Publikationsreihe belegen das.5 Die beiden Texte jener Zeit abgelehnt werden, müssten auch die Befrei- bisherigen Höhepunkte der Auseinandersetzung mit Arndt an die- ungskriege insgesamt verurteilt werden.7 Arndts Fortsetzung ei- ser Universität sind 2000 und 2003 von uns dokumentiert worden. Wir haben diese Publikationen der Senatskommission und auch ner antifranzösischen Publizistik in späteren Jahren hing auch der AG “Uni ohne Arndt” zur Verfügung gestellt.6 mit wieder aufflammenden Krisensituationen zwischen beiden Ländern zusammen (1840). In der anti-arndtianischen Strategie gibt es neben der Verteufe- Im Übrigen hatte er Jahrzehnte früher bei seiner Europareise lung, auf die ich hier nicht weiter eingehe, das Bemühen, aner- 1799 das französische