„Das Ist Ein Wahnsystem“
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MANFRED WITT / VISUM WITT MANFRED Werner Marnette, 63, war von 1994 bis 2007 Vorstands- Juli 2008 wurde er Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr in vorsitzender der Norddeutschen Affinerie AG, die unter seiner Führung zum der von Peter Harry Carstensen (CDU) geführten Landesregierung von größten Kupferproduzenten Europas aufstieg. Von 1998 bis 2002 saß Schleswig-Holstein. Am 29. März trat er, aus Protest gegen den Kurs der er im Präsidium des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Im Regierung zur Rettung der HSH Nordbank, von diesem Amt zurück. „Das ist einSPIEGEL-GESPRÄCH Wahnsystem“ Der zurückgetretene schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Werner Marnette (CDU) über die Gründe seines Abgangs, die Grabenkämpfe im Kieler Kabinett und den leicht- fertigen Umgang der Politik mit den Milliardenrisiken der teilweise landeseigenen HSH Nordbank. SPIEGEL: Herr Marnette, Sie haben mehr naten anders erlebt. Ich hatte es mit Poli- ner Wiegard hatte ich den Eindruck, dass als ein Jahrzehnt lang ein großes Unter- tikern zu tun, die sich scheuten, Zahlen die gar nicht richtig an die Zahlen ran- nehmen geführt. Würden Sie einem Ihrer zur Kenntnis zu nehmen und sich damit wollten. Bloß nicht festlegen, nicht an- ehemaligen Kabinettskollegen die Leitung auseinanderzusetzen. Frei nach dem Mot- greifbar machen war deren Devise. eines solchen Unternehmens anvertrauen? to: Wer sich gründlich mit Zahlen be- SPIEGEL: Aber Carstensen und Wiegard ha- Marnette: Nein. schäftigt, wird zum Mitwisser und kann als ben sich doch – wie ihre Hamburger Kol- SPIEGEL: Warum nicht? solcher haftbar gemacht werden. legen Ole von Beust und Michael Freytag Marnette: Weil die Führung eines Unter- SPIEGEL: Wollen Sie damit sagen, dass Ihren – festgelegt und eine Eigenkapitalspritze nehmens ganz andere Anforderungen Kabinettskollegen im Zusammenhang mit von drei Milliarden Euro plus weitere zehn stellt. Da gibt es nachvollziehbare Fakten, den Milliardenverlusten der HSH Nord- Milliarden als Bürgschaft beschlossen. an denen Sie gemessen werden. Da haben bank Zahlen egal waren? Marnette: Aber ohne wirklich aussagekräf- Sie Ihre Quartalsergebnisse, Ihre Jahres- Marnette: Ute Erdsiek-Rave, die Bildungs- tige Zahlen der Bank zu kennen. Etwa eine ergebnisse. Da gibt es Zahlen, an denen Sie ministerin und stellvertretende Minister- Bilanz und eine Gewinn- und Verlustrech- nicht vorbeikommen. präsidentin, und Uwe Döring, der Justiz- nung des Geschäftsjahres 2008. Ich habe SPIEGEL: Die gibt es in der Politik auch. minister, haben immer wieder kritisch Vermerke geschrieben, Fragenkataloge Marnette: Schon möglich. Aber ich habe nachgehakt. Auch die Abgeordneten des ausgearbeitet, um an solche Zahlen zu das in den vergangenen Wochen und Mo- Landtags haben viel Gespür für die Trag- kommen. All diese Papiere habe ich an die weite der anstehenden Entscheidungen ge- Staatskanzlei und das Finanzministerium Das Gespräch führten die Redakteure Beat Balzli, Kon- zeigt. Doch bei Ministerpräsident Peter geschickt und bin ins Leere gelaufen. Da ist stantin von Hammerstein und Gunther Latsch. Harry Carstensen und Finanzminister Rai- nie eine Antwort gekommen, noch nicht 48 der spiegel 15/2009 Deutschland einmal die Standardausrede, dass meine Bein geschworen, das sei alles werthaltig. Forderungen politisch nicht durchsetzbar 1,2 Sein Nachfolger Dirk Jens Nonnenmacher seien. Ich kenne kein Unternehmen, in hat in seinem Konzept behauptet, dass das dem so gearbeitet wird. Zeug um die 18 Milliarden Euro wert sei. SPIEGEL: Wollen Sie damit sagen, dass in SPIEGEL: Warum sind Sie dann, trotz all der der Politik nur nach der Durchsetzbarkeit 39,1% 40,9% bösen Ahnungen, im Juli 2008 Wirt- und nicht nach sachlichen Notwendigkei- schaftsminister des Landes Schleswig-Hol- ten gefragt wird? LAND STADT stein geworden? SCHLESWIG- HAMBURG Marnette: Das habe ich in den vergangenen HOLSTEIN Marnette: Dass es so ein Desaster werden Monaten so erlebt. Eigentümer würde, habe ich nicht für möglich gehalten. SPIEGEL: Sachlich gebotene Entscheidun- Das Ganze war ja noch vor der Lehman- gen wurden nicht gefällt, weil sie als nicht Brothers-Pleite im September, die der Kri- vermittelbar angesehen wurden? 12,7% 7,3 % se erst so richtig Schub gegeben hat. Und: Marnette: Ja, der Fall HSH Nordbank be- INVESTOREN Ich war ja der Wirtschafts- und nicht der UM J.C. FLOWERS SPARKASSEN legt das. Hier geht es doch nicht um Ent- Finanzminister. wicklungen der letzten Wochen und Mo- SPIEGEL: Wann ist Ihnen klargeworden, nate. Schon Anfang 2008 war für jeden in- dass die HSH Nordbank auch Ihr politi- in Mrd. € teressierten Laien erkennbar, dass da etwas Operatives Ergebnis sches Dasein beherrschen würde? aus dem Ruder lief. Von 2006 auf 2007 war Marnette: Das ist mir erst klargeworden, das Jahresergebnis fast atomisiert worden; 0,15 2008 als HSH-Chef Berger das erste Mal bei uns ein Gewinn von 1,2 Milliarden Euro war im Kabinett war. binnen eines Jahres auf rund 150 Millionen 2006 2007 SPIEGEL: Wann war das? geschrumpft, weil man bereits damals Marnette: Gleich nach der Lehman-Pleite, Schrottpapiere aus dem Kreditersatzge- als sich die Nachrichten überstürzten. Das schäft in einer Größenordnung von 1,3 Mil- Löcher über Löcher war eine unglaubliche Vorstellung. Da wer- liarden Euro abschreiben musste. den die Weltfinanzmärkte von einem Be- SPIEGEL: Sie waren damals Vorsitzender des Krisenchronik der HSH Nordbank ben bislang unbekannter Stärke erschüt- Beirats der Bank, warum haben Sie nicht APRIL 2008 tert, und Berger erzählt dem Kabinett, dass Alarm geschlagen? HSH-Chef Hans Berger beziffert die bei ihnen, von kleineren Problemen abge- Marnette: Habe ich doch. Ich war schon im Abschreibungen aufgrund der Finanz- sehen, alles in Ordnung sei. Der hatte noch April, es war der 15., bei Carstensen und krise für das Jahr 2007 auf 1,3 Mrd. €. nicht einmal einen Zettel dabei. habe ihm gesagt, dass ich dringend davon Kurz zuvor hatte er betont, dass damit SPIEGEL: Keine Zahlen, keine Präsentation? abrate, die für Mai 2008 geplante Auf- sämtliche Risiken aus der US-Subpri- Marnette: Nichts, null. Noch nicht einmal stockung des Eigenkapitals um zwei Mil- me-Krise vollständig bereinigt seien. eine grobe Übersicht, wo die Bank steht. liarden Euro mitzumachen, weil meiner An- MAI 2008 Gar nichts. Das war der Hammer. sicht nach nicht klar war, welche weiteren Die Stadt Hamburg bewilligt einen Teil SPIEGEL: Gab es Proteste? Risiken in der Bank noch schlummerten. der geplanten Kapitalspritze. Finanz- Marnette: Ich habe natürlich gefragt, nach SPIEGEL: Was hat der Ministerpräsident Ih- senator Michael Freytag: „Um eine den Kreditersatzgeschäften und der Ge- nen geantwortet? solche Bank werden wir beneidet.“ samtertragslage der Bank, aber ich hatte Marnette: Er wolle sich darum kümmern. JULI 2008 damals schon den Eindruck, Finanzminis- SPIEGEL: Hat er sich gekümmert? Die Eigentümer stimmen einer ter Wiegard ist mehr Vorstand als Berger. Marnette: Ich habe in dieser Sache nichts Kapitalerhöhung in einem Umfang Der hat das alles abgewürgt und mir zu mehr von ihm gehört, und die Kapitaler- von fast 2 Mrd. € zu. verstehen gegeben: Da hast du dich nicht höhung wurde durchgeführt. SEPTEMBER 2008 einzumischen. SPIEGEL: Hätten Sie als Vorsitzender des Die Bank kündigt die Streichung von SPIEGEL: Hat Carstensen das auch signali- Beirats Ihre Zweifel nicht lauter und nicht 750 ihrer weltweit 4300 Stellen an. siert? nur unter vier Augen äußern müssen? NOVEMBER 2008 Marnette: Man konnte das spüren, aber es Marnette: Von heute aus gesehen schon. Die HSH Nordbank begibt sich unter war damals noch nicht so verhärtet wie Aber das war damals mehr eine Ahnung den Schirm des Soffin und erhält später. wegen der gigantischen Abschreibungen 30 Mrd. € Liquiditätsgarantien. SPIEGEL: Hat Carstensen in dieser Sitzung in der Bilanz 2007. Konkrete Zahlen für HSH-Chef Berger tritt ab, Dirk Jens Fragen gestellt, oder haben Sie das Thema das laufende Geschäftsjahr hatte ich zu die- Nonnenmacher wird sein Nachfolger. anschließend diskutiert? sem Zeitpunkt nicht. Und im Gegensatz FEBRUAR 2009 Marnette: Am 26. September war ich mit zum Aufsichtsrat haben Sie als Beirat ja Die HSH gibt für 2008 vorläufig einen dem Ministerpräsidenten zu Besuch auf keine Kontrollfunktion. Das ist ein Hono- Verlust im operativen Geschäft von der Fregatte „Schleswig-Holstein“ der ratiorenzirkel aus Politik und Wirtschaft, 2,8 Mrd. € bekannt. Darin enthalten Deutschen Marine. Da habe ich ihn abends der die Bank beraten soll, mehr nicht. sind Abschreibungen in Höhe von zur Seite genommen und gesagt, Herr SPIEGEL: Dennoch hätte Ihr Wort Gewicht 1,6 Mrd. €. Weitere 350 Mitarbeiter Carstensen, da braut sich was zusammen. gehabt. Schließlich waren Sie mehr als ein sollen entlassen werden. Ich höre aus der Hamburger Geschäftswelt Jahrzehnt der Vorstandsvorsitzende des MÄRZ 2009 – da war und bin ich gut verdrahtet –, dass größten europäischen Kupferproduzenten. Schleswig-Holsteins Wirtschafts- die Sache mit der Nordbank weitaus dra- So jemand wird nicht ignoriert. minister Marnette tritt aus Protest matischer ist, als sie uns dargestellt wird. Marnette: Als ich dem damaligen HSH-Vor- gegen das Krisenmanagement der Ich glaube, wir werden belogen. standsvorsitzenden Hans Berger nach ei- Politik zurück. SPIEGEL: Wie hat er reagiert? ner Beiratssitzung im Juni 2008 vorhielt, APRIL 2009 Marnette: Er hat gesagt, wir setzen uns dass meiner Ansicht nach mindestens 50 Die Landtage in Schleswig-Holstein nächste Woche mit Rainer Wiegard zu- Prozent der Kreditersatzpapiere, die mit und Hamburg