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DIETERLUETTGEN.DE / ACTION PRESS Rivalen Schill, Beust (nach Schills Entlassung): „Prime Time, bundesweit“ Das rosa Rathaus Die Politik ist längst privat, das Private längst politisch. Doch wollen Wähler wissen, ob ihre Regierungschefs schwul sind? Müssen sie so etwas wissen? attackierte den Hamburger Bürgermeister mit dem Vorwurf, er habe seinen Liebhaber zum Senator gemacht.

er Mann, der angetreten war, um darauf, zwei Fernbedienungen liegen da, Stunden her, es lief nur anders als geplant. zunächst die Freie und Hansestadt ein Stempel, ein DIN-A5-Block und gelbe ist definitiv verändert jetzt. Die DHamburg und anschließend die Zettelchen, und dann liegt da eine Mappe Bundesrepublik vermutlich auch. Stadt Bundesrepublik Deutschland zu verän- aus der Zeit vor der Veränderung: „Sit- und Land sind allerdings nicht sicherer, dern, könnte stolz sein, aber er ist nicht zung des Bundesrates – Senator Schill“. nicht frei von Drogen, nicht beschützt von stolz. Der Mann sagt: „Irgendwas ist schief Das mit dem Verändern hat er hinge- tapferen Polizisten in blauen Uniformen. gelaufen, ja, irgendwas.“ kriegt, es ging ganz schnell, es ist erst vier Das wollte der Mann. Seine Haare sind nass und dünn und kle- Stadt und Land sind erschüttert. Denn ben am Schädel, die schwarze Krawatte der Mann hat eine Affäre ausgelöst, wie es mit den Schmetterlingen hängt an ihm wie Private oder politische Affäre? sie noch nicht gab in Deutschland. Ein Se- ein Putzlappen mit Knoten, und der Mann nator, der sagt, dass sein Bürgermeister legt zwei Finger an die Oberlippe. Herpes „Halten Sie es prinzipiell für erstens schwul sei, zweitens eine Affäre hat er, ausgerechnet heute, Oralsex sei zu statthaft, wenn ein führender mit einem anderen Senator habe, drittens vermeiden, wird ihm der Herr Doktor von Politiker ein öffentliches Amt diesen anderen Senator in seiner Woh- „Bild“ deshalb raten, von „Hitler-Herpes“ mit einem Intimpartner besetzt, nung, einer „Liebeshöhle“, untergebracht wird die „tageszeitung“ schreiben. der als fachlich geeignet gilt?“ habe und viertens diesen anderen Senator Wie es eben so geht, wenn alle Tabus ge- wegen dieser Affäre überhaupt erst zum fallen sind. JA 43% Senator gemacht habe – das alles ist ein Es ist Dienstag, 16 Uhr, im Zimmer 134 neues Niveau. Fünftens, das sagt der Bür- des Hamburger Rathauses, einem kargen NEIN 50% germeister, habe der eine Senator mit die- Zimmer mit Neonlicht und weißen Gardi- sem Schmutz eine Erpressung versucht. nen, mit kleinem Grundig-Fernseher und NFO-Infratest-Umfrage für den SPIEGEL vom 20. und 21. August; rund Ist das noch eine ganz normale Affäre? braunem Schreibtisch. Ein Kalender liegt 1000 Befragte; an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“/keine Angabe Eine Tragödie um Macht und Sex und

34 35/2003 MICHAEL ZAPF Hamburger Rathaus: Tragödie um Macht und Sex und Größenwahn

Größenwahn, die Fortsetzung der „Affäre Beginn der totalen Durchleuchtung von er Montag der vergangenen Woche ist Semmeling“ als Doku-Soap? Shakespeare Amtsträgern. Dder erste Arbeitstag des Ersten Bür- an der Elbe? Ronald Barnabas Schill, 44, sitzt auf germeisters Ole von Beust nach den Feri- Es könnte auch ganz einfach Politik schwarzem Leder, er guckt auf ein düsteres en. Er war segeln vor Kroatien, mit dem im Jahr 2003 sein, ein neuer Stil der Ber- Bild von Eduard Dreher, „Am Kai im Ham- Justizsenator Roger Kusch und drei ande- liner Republik. Es könnte die Folge dessen burger Hafen“, er sagt: „Es gab Geräusche ren Freunden, er ist braun gebrannt, es war sein, was mit Bill Clinton und Monica Le- und innige Umarmungen beim Verlassen schön, aber nicht so schön, dass er es wie- winsky, einer Zigarre im Oval Office und der Haustür und so was alles und Küsschen. derholen würde, es war eng auf dem Boot. Sonderermittler Kenneth Starr begann. Mich haben besorgte Bürger angerufen.“ Beust (CDU) hat schon am Wochen- Dann würde die Affäre ums rosa Rathaus Er sagt das sehr ruhig und sehr klar, und es ende über den Fall Wellinghausen nachge- von Hamburg die Übernahme der Poli- ist keine Frage, dass dieser Mann immer dacht. Der Fall Wellinghausen dreht sich tik durch das Private bedeuten und den noch glaubt, im Recht zu sein. um den Staatsrat Walter Wellinghausen, 59, einen Rechtsanwalt, den Mann hinter dem Innensenator Ronald Schill. Welling- hausen hatte sich im neuen Amt für einen Polizisten eingesetzt, den er einst verteidigt hatte. Und er soll Geld kassiert haben für einen Nebenjob bei einem Münchner Klinikbetreiber. Hamburg hat gebrodelt, während Beust segeln war, das „Abendblatt“ hat beinahe täglich enthüllt, aber da war das Ganze noch eine Regio- nalposse, und das einzige Problem war, dass Wellinghausen nicht so leicht zu er- setzen ist. „Er hat 14 Stunden gearbeitet. Es gab hier einen Spruch: Du machst den Aktenschrank auf, und Wellinghausen sitzt schon drin“, sagt Schill. Es ist Montagmittag, als der Bürgermeis- ter den Staatsrat in sein Büro bestellt. Beust, 48, rät dem Sünder zum freiwilligen Rücktritt, er müsse doch an seinen Ruf denken, wer würde sich von einem unfrei- willig Entlassenen verteidigen lassen?

MICHAEL RAUHE Bausenator , Schills Justizsenator Kusch: „Ich wusste von ihm, dass er schwul war“ Parteifreund und einer, der vor anderthalb

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Jahren seine Freundin auch gleich zu sei- Beust: „Das geht ihn an, ich kann nicht ner Referentin gemacht hatte, eilt herbei allein mit dir reden.“ Roger Kusch und versucht zu schlichten. Reicht nicht Schill: „Es geht mir gar nicht um Wel- ein Disziplinarverfahren? Da kommt eine linghausen, es geht um dich.“ 1954 geboren in Stuttgart Vorabmeldung der „Welt“ ins Haus, Schill Beust: „Das ist ja interessant.“ 1974 bis 1979 Jurastudium in Tübingen, wird darin zitiert, Schill droht mit dem Schill setzt sich vor den Schreibtisch des Hamburg und Freiburg Ende der Koalition. Und nun weiß Beust, Bürgermeisters, in einen grauen Leder- 1985 bis 1986 Straf- und Jugendrichter dass er Wellinghausen entlassen muss. stuhl. Wenn er nach rechts blickt, sieht er am Amtsgericht Karlsruhe „Sonst hätte es geheißen, ich sei die Ma- auf den Neuen Wall, wenn er nach links 1986 bis 1988 Referat für Strafprozessrecht rionette von Schill“, sagt er. blickt, sieht er eine Modelleisenbahn. im Bundesjustizministerium Der Bürgermeister bestellt Schill und Schill: „Hast du eigentlich schon mal 1988 bis 1990 Staatsanwalt in Stuttgart Wellinghausen für den nächsten Morgen, an die Konsequenzen gedacht?“ 1995 bis 2000 Ministerialrat im Bundes- Dienstag, 9.30 Uhr, in sein Büro, denn er Beust: „Ja, vermutlich stellt sich, wenn kanzleramt, Leiter des will Wellinghausen im Beisein seines Chefs ich Wellinghausen entlasse – was ich tun Referats „Innere Sicherheit“ die Entlassungsurkunde überreichen. „Ich werde – die Frage, ob es eine Regie- 2000 bis 2001 Sicherheitsberater des wollte Herrn Wellinghausen fragen, ob er rungskrise gibt, ob die Koalition beendet Hamburger CDU-Fraktions- es sich überlegt hätte, selbst um die Ent- wird oder nicht, ob es Neuwahlen geben vorsitzenden Ole von Beust lassung zu bitten“, sagt Beust, „falls ja, hät- wird oder nicht.“ Seit 31.10.2001 Justizsenator in Hamburg te ich ihm die Urkunde übergeben – falls Schill: „Das Politische meine ich nicht, nein, hätte ich sie ihm auch gegeben, sie lag sondern das Persönliche.“ fertig auf dem Tisch.“ Beust: „Was meinst du?“ Beust: „Wie bitte?“ Es kommt Schill, allein. Beust rekon- Schill: „Man nennt dich den Bürger- Schill wiederholt es. struiert das Gespräch so: meister der Herzen, du hast eine Zu- Beust: „Das ist schlichtweg falsch, Beust: „Wo ist denn Herr Welling- stimmungsquote von 70 Prozent, eine dummes Zeug.“ hausen?“ hohe Akzeptanz in der Bevölkerung und Schill: „Du hast ihn dazu gemacht.“ Schill: „Ich muss mit dir allein reden.“ der Presse. Das hast du dir mühsam er- Beust: „Verlasse sofort mein Büro, ich will dich nicht mehr sehen, raus.“ Schill bleibt sitzen, er schweigt. Es ist kalt hier drinnen, neben der Tür sind die Knöpfe für die Raumlufttechnik. Beust: „Ich sagte: raus!“ Schill: „Überleg es dir gut, heute Abend, Prime Time, bundesweit.“ Das ist der Satz, den Beust als Erpres- sung deutet. Beust: „Raus, ich kann dich nicht mehr sehen!“ Und dann ist Schill weg. Und der Bür- germeister der Freien und Hansestadt Hamburg sagt, er habe „tief durchgeatmet und nur gedacht: Jetzt ist aber Schluss“.

rüher, in der Bonner Republik, gab es Fdas Kartell des Schweigens“, sagt Hein- rich Oberreuther, Politikwissenschaftler der Uni Passau, „und heute gibt es ein Ka- russell der Geschwätzigkeit. Das Private gehört zum Politischen und das Politische zum Privaten.“ Aber wie reagiert man nun auf so et- Ronald Barnabas Schill was? Was sagt man zu Ole von Beust, was HERIBERT PROEPPER / AP HERIBERT zu Schill, was sagt man überhaupt zu 1958 geboren in Hamburg Schwulen in Spitzenämtern, wie soll man 1981 bis 1988 Jurastudium in Hamburg arbeitet und lange darauf hin gearbeitet. reden, wie schreiben, wenn all die Polit- 1993 bis 2001 Richter am Hamburger Willst du das eigentlich alles gefährden?“ Floskeln nicht mehr taugen? Natürlich Amtsgericht; Spitzname Beust: „Ich verstehe nicht, was du wissen alle, die in genauso wie die „Richter Gnadenlos“ meinst.“ in den Landeshauptstädten, dass sie bloß 2000 Gründung der Partei Schill: „Du hast hohe Maßstäbe an souverän mit dem Thema umgehen müss- Rechtsstaatlicher Offensive Herrn Mettbach angelegt, als es um sei- ten. ne Lebensgefährtin ging, Privates und Po- Wenn es nur nicht so heikel wäre. So 23.9.2001 Bei den Bürgerschafts- wahlen erreicht die Partei litisches nicht zu verquicken.“ glitschig, so gefährlich. 19,4 Prozent der Stimmen Beust: „Ja, das ist richtig.“ Es sind die Tage der Scheinheiligkeit. Schill: „Ich werde publik machen, dass „Bild“ lässt den Bürgermeister „über Ho- 31.10.2001 Ernennung zum Innen- senator und Zweiten du diese Maßstäbe nicht einhältst.“ mosexualität“ reden, ganz allgemein, aber Bürgermeister Hamburgs Beust: „Ich verstehe immer noch nicht, nicht über seine. Und alle Hamburger Zei- was du meinst.“ tungen und die „Tagesthemen“ schlachten 19.8.2003 Entlassung durch den Ersten Bürgermeister Schill: „Du hast deinen Lebensgefähr- Schill, und sie preisen Beust. So stark wie Ole von Beust ten und langjährigen Intimfreund Kusch nie sei er, so souverän, ein echter Anfüh- zum Justizsenator gemacht.“ rer, schreiben die Leitartikler.

36 der spiegel 35/2003 General Günter Kießling. Der galt in Wör- ners Augen als Gefahr für die Sicherheit der Republik, weil er angeblich homose- xuell und damit „erpressbar“ sei. Später stellte sich heraus, dass Wörner einen ganz und gar Heterosexuellen abserviert hatte. Anderswo in Europa geht es seit Jahr- zehnten leichter zu. Fröhlicher. Der frühe- re italienische Außenminister Gianni De Michelis lotterte Anfang der neunziger Jah- re durch Roms Discotheken und bot seine Erfahrungen in einem Führer für Nacht- eulen feil. Griechenland erfreute sich an der Spannweite des Busenwunders Mimi, am meisten Freude hatte Ministerpräsident Andreas Papandreou. Großbritannien hingegen nahm die Din- ge verkniffener. Das Callgirl Christine Kee-

MARKUS HANSEN / ACTION PRESS HANSEN / ACTION MARKUS ler stürzte 1963 den Verteidigungsminister und löste eine Regierungskrise aus. Der Sind die Vorwürfe, so schmutzig und in- Herbert Wehner sagte Brandt, aus den verheiratete Kulturminister David Mellor diskutabel sie vorgebracht sind, nicht zu- Frauengeschichten müsse er schon selbst musste 1992 zurücktreten, weil er einer mindest im Kern vielleicht doch ein Pro- herauskommen. Kam der aber nicht. Als Schauspielerin die Zehen gelutscht und da- blem? Hat da ein Bürgermeister seinen Brandt auf einer SPD-Klausur seinen mit den Begriff „toe job“ geprägt hatte. Freund, vielleicht auch nur einen Freund Rücktritt erklärte, schrie Helmut Schmidt Zwei Jahre später wurde der konservative protegiert, hat er einen Mann zum Senator ihn an: „Wegen dieser Lappalien kann ein Abgeordnete Stephen Milligan gefesselt gemacht, mit dem er, wie auch immer, pri- Bundeskanzler sein Amt nicht aufgeben!“ und tot in seiner Wohnung gefunden. Be- vat verbunden ist? Diese Frage stellt, 800 Und dann, 1983 war das, und es geschah kleidet war er lediglich mit Damen- Kilometer entfernt, die „Süddeutsche Zei- zu Unrecht, entließ der Verteidigungsmi- strümpfen, eine Plastiktüte verhüllte das tung“, ein wenig schwurbelig stellt sie auch nister Manfred Wörner den Vier-Sterne- Gesicht, und in seinem Mund steckte eine der „Tagesspiegel“, sonst fragt kaum einer. Orange: tödlicher Sex, what a story! Und die Unionsspitze lobt zwar den Den vorerst letzten libidobedingten Hamburger Bürgermeister Beust für den Ole von Beust Rücktritt legte Ronald Davies hin, 1998 Rauswurf des nun plötzlich vollkommen 1955 geboren in Hamburg noch Minister für Wales. Davies ließ sich in unberechenbaren Rechtspopulisten Schill – 1971 Eintritt in die Junge Union einem Londoner Park von fremden Män- aber das Thema Homosexualität? nern ansprechen – kurz darauf wurde er, Welches Thema? 1975 bis 1980 Jurastudium in Hamburg ein Messer am Hals, um Handy und Brief- Dabei wussten die meisten Christdemo- 1978 Jüngster Abgeordneter tasche erleichtert. Eine Geschichte? Natür- kraten seit langem von der Homosexualität der Bürgerschaft lich, gibt es eine bessere? des Hanseaten Beust. Auch Reporter waren 1983 Selbständiger Rechtsanwalt, Die Frage ist, wann sich die Grenzen eingeweiht. Aber sie alle hielten sich an Spezialgebiet Arbeitsrecht verschoben, wann Privates nicht mehr oder jene Regel, die bereits zu Bonner Zeiten 1993 Vorsitzender der CDU- jedenfalls nicht mehr komplett privat war. galt, nämlich über Privates nur zu berich- Bürgerschaftsfraktion Der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl leb- ten, „wenn das Amt Schaden zu nehmen 1998 Mitglied des CDU-Bundes- te zusammen mit seiner Vertrauten Julia- droht“. „In der Politik hat keine Emotion vorstands ne Weber und seinem Fahrer in einer Art und keine Leidenschaft Platz, außer der Seit 31.10.2001 Erster Bürgermeister Leidenschaft für die Vernunft“, sagte Hel- Hamburgs mut Schmidt. Das war der Kodex, und er galt mal mehr und dann wieder weniger. Der Hamburger Bürgermeister Paul Ne- vermann trat 1965 zurück, weil ihm die Gattin abhanden gekommen war: Der Re- gierungschef hatte sein Gretchen für eine Jüngere verlassen, und darum weigerte die Gattin sich, bei einem Empfang für die Queen die First Lady zu spielen. So etwas ging nicht damals. Dann stolperte . Als der DDR-Spion Günter Guillaume im April 1974 verhaftet wurde, legte ausgerechnet das Bundeskriminalamt ein Dossier über die Liebeseskapaden des Kanzlers an. Womöglich habe ja Guillaume diese Af- fären an die DDR-Führung übermittelt, all die Geschichten, die in einem Sonderzug und eigentlich überall spielten, wo Brandt unterwegs war. Womöglich sei Brandt ja dadurch erpressbar und das Land in Ge-

fahr. Sagten die Ermittler. / DDP BRANDT MARCUS

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Wohngemeinschaft im Bonner Vorort Pech. War es ein Fehler, Herr von Beust, im So wie Schill ist natürlich noch keiner Hanns Martin Schleyer, Präsident der Ar- Wahlkampf Reporter und Fotograf in aufgetreten. So drastisch. Aber man kann beitgeberverbände, warnte Kohl: „Helmut, Ihre Wohnung zu lassen und sich als ein- auch leise sein und genauso gemein. Der du musst das Zigeunerlager auflösen, samt samer Wolf zu stilisieren? Ole von Beust CDU-Politiker Matthias Wissmann fragte der Marketenderin.“ Stammtischgeflüster nimmt die Krawatte zwischen die Finger, 1998, wer denn die rot-grüne Wirtschafts- in Bonn war das, mehr nicht, Privatsache dann sagt er: „Damals nicht. Ich war politik bestimme: der Kanzler, der Kanz- halt. Oppositionsführer und wollte ins Rathaus leramtsminister, der Wirtschaftsminis- Genau wie der Ministerpräsident, über und bekannt werden. Heute würde ich ter, der Finanzminister oder vielleicht dessen junge Liebhaber noch heute alle das nicht mehr machen, heute bin ich be- dessen Ehefrau? Da sprach die SPD-Bun- nur flüstern. kannt.“ destagsabgeordnete Ingrid Matthäus-Mai- Genau wie Franz Josef Strauß, der ei- brüstete sich in Wahl- er von „Herrn Wissmann, der ja ein aus- nerseits heftig auf sein Recht auf Privates kampfreden, er sei „seit 34 Jahren mit der- gewiesener Spezialist für das partner- pochte, andererseits aber einen Rivalen selben Frau verheiratet“ – ein Plus im Du- schaftliche Zusammenleben von Mann mit der Geschichte klein halten wollte, dass ell mit dem in 25 Jahren dreimal geschie- und Frau ist“. jener eine Ehefrau und außerdem eine denen Kanzler. Der hat dafür die Jüngere Das nennt man „Outing“, und das ist Freundin habe und die Freundin wiederum und sagt immer: „Doris sagt immer …“ eine dieser Vokabeln, die Politiker von einen Vater, der Tiere liebe und letzteres Preisfrage: „Muss ich, wenn ich einmal heute lernen sollten. leider mehr, als normal sei. Auch das die Tür aufmache, jederzeit alle herein- schrieb niemand, was dem seligen Strauß lassen?“ Ole von Beust fragt so, und das err von Beust, es ist eine seltsame Fra- gar nicht recht war. Problem ist: Wem gehört das Privatleben Hge, aber man muss sie in diesen Tagen In den achtziger Jahren gab es dann den öffentlicher Figuren? Und wenn sie mit stellen: Sind Sie schwul? Konsens in Bonn, dass jeder Politiker ganz Teilen ihres Privatlebens öffentlich auftre- Ole von Beust trinkt Wasser, er trägt ein allein entscheiden durfte, wie viel er von ten, gehört ihnen trotzdem der Rest? blaues Hemd, er ist blond, er sieht ziemlich seinem Privatleben preisgab. Dann kamen Gerhard Schröder klagte, als über an- hanseatisch aus. Er antwortet: „Jeder hat die Neunziger, es kam Berlin, es kamen geblich gefärbte Haare am Kanzlerkopf ein Recht auf Privatheit, und ich möchte die Medien, die Amerikanisierung der Po- berichtet wurde. Als die „Märkische Oder- darauf auch künftig wieder zurückgreifen.“ REX FEATURES / ACTION PRESS (L.); TEAM PHOTO PRESS ATHEN (R.) PRESS ATHEN PRESS (L.); TEAM PHOTO / ACTION REX FEATURES Callgirl Keeler (1964), Ex-Kanzler Brandt (1975 in Griechenland): „Wegen dieser Lappalien kann ein Kanzler sein Amt nicht aufgeben“ litik, das Rattenrennen um Zitate, Sende- zeitung“ Gerüchte über angebliche Ehe- Herr von Beust, hatten oder haben Sie minuten, Prominenz. probleme der Schröders in Umlauf brach- ein Verhältnis mit Ihrem Justizsenator? Und genau das ist das Zauberwort: Pro- te, wurde dem Hessen eine Beust antwortet: „Ich war niemals intim minenz. Wer gewählt werden will, wer in ziemlich interessante Frage gestellt: Geste- mit Herrn Kusch. Ich bin auch niemals den Ausschuss, in den Vorstand, ins Kabi- hen Sie dem politischen Gegner zumindest über Nacht in der Wohnung am Hansa- nett und zu will, muss den Schutz der Privatsphäre zu? Koch sag- platz geblieben. “ prominent sein. Der braucht, der sucht wie te nicht Ja, er sagte nicht Nein, er sagte: Bevor Ole von Beust im September 2001 Rudolf Scharping die „Bunte“, der testet „Ein Bundeskanzler, der es für notwendig an die Macht kam, galt er, ähnlich wie Autos für den Boulevard und verkauft hält, über die Tönung seiner Haare Pro- Christian Wulff in Niedersachsen, als ewig Fotos von der neuen, jüngeren Freundin, zesse zu führen, provoziert offenbar die chancenlos. Mit dem lausigen Ergebnis von denn dem hilft die Homestory, und der Journalisten, sich näher mit privaten Din- 26,2 Prozent wurde er Bürgermeister, aber streut die Gerüchte zur eigenen Person ir- gen zu beschäftigen.“ dafür musste er sich mit der Schill-Partei gendwann selbst. Damit sagte Koch: Selbst schuld. einlassen, und die stellte mit ihren 19,4 Pro-

38 der spiegel 35/2003 zent der Stimmen den Zweiten Bürger- in Hamburg als Rechtsanwalt nieder und „Ist das das Ende der Koalition?“ Er ant- meister: Ronald Schill. war mit 23 Jahren damals jüngster Abge- wortet: „Ich weiß es nicht. Es ist mir im Als Erster Bürgermeister begab sich ordneter der Hamburger Bürgerschaft. Er Moment auch egal. Das ist eine Frage der Beust wenig in die Niederungen der All- war mal ein Junger Wilder. Ehre, so kann man mit mir nicht umge- tagspolitik, das überließ er seinen Senato- Und schwul? hen.“ stimmt zu. ren, er versuchte zu repräsentieren und der Beust sagt, dass er eigenbrötlerisch ver- Dann ruft Ole von Beust Dirk Fischer an, mitunter etwas sterilen Stadt so etwas wie anlagt und gern allein sei. Er sagt: „Ich fin- den Landeschef seiner Partei, und seinen Glamour zu verleihen. Und er kümmerte de es schön, wenn ich abends in meine Vater und den Justizsenator Kusch. Dem sich intensiv darum, die Olympischen Spie- Wohnung komme und niemand fragt mich: sagt er, dass er den Grund der Entlassung le oder die Bambi-Verleihung nach Ham- Schatz, wie war dein Tag?“ nennen müsse; „völlig klar, das macht burg zu bekommen, denn er gefällt sich in nichts“, antwortet Kusch. der Rolle des Stadtpräsidenten. „Es gibt keinen Rechtsanspruch der Und um 11 Uhr folgt eine So kam es, dass sich Beust die Aussetzer Pressekonferenz, die schon seines Koalitionspartners sehr lange mit Wähler, etwas über die sexuelle Minuten nach ihrem Ende als sehr viel Geduld ansah: Auf der Innen- Präferenz der Gewählten zu wissen.“ legendär gilt. Es ist ein wenig ministerkonferenz forderte Schill zu prü- wie damals, als Giovanni Tra- fen, ob man in Deutschland das Gas vom 1979 traf sich Beust mit zwei Redakteu- pattoni, Trainer von Bayern München, Moskauer Geiseldrama einsetzen dürfe, je- ren von „Bild“. Wollen Sie heiraten und „Was erlauben Strunz?“ brüllte und mit nes Gas, das 129 Geiseln getötet hatte; im Kinder haben, fragten die. „Ich will schon „Ich habe fertig“ endete. Es ist genauso , es war während der Debatte heiraten – nur hat das noch etwas Zeit – absurd. So unvorstellbar. um die Folgen der Flut vom Sommer 2002, und drei Kinder“, sagte Beust. Es ist nur nicht so lustig. hetzte Schill gegen Flüchtlinge, bis ihm das Heuchelei? Oder eine andere Zeit? Denn Schill erscheint zwei Minuten vor Mikro abgedreht wurde. Es ist Donnerstag, 15 Uhr, im Büro des Ole von Beust, und er setzt sich nach vorn. Bei den Bürgern ist Beust ziemlich be- Ersten Bürgermeisters. Er sagt: „Ich möch- Der Bürgermeister tritt auf, er lässt den liebt. Er ist charmant, er ist schlau, er kann te mich nicht durch die Unterstellungen von Stuhl neben sich frei, er blickt Schill nicht reden, und er hat kluge Leute um sich ge- Herrn Schill dazu zwingen lassen, über mei- an, er gibt Schill nicht die Hand. Von einem JÖRG SCHMITT / DPA (L.); / E-LANCE MEDIA (R.) (L.); REUTERS / DPA JÖRG SCHMITT Verteidigungsminister Wörner und General Kießling*, Praktikantin Lewinsky und Präsident Clinton (1996): Totale Durchleuchtung schart. Seine Vertrauten sind der Chef der ne Sexualität zu reden. Das wäre eine spä- Blatt liest Beust seine Erklärung ab, er Senatskanzlei Volkmar Schön und der te Belohnung, die ich ihm nicht gönne.“ spricht abgehackt, verschluckt Wörter, Wirtschaftssenator Gunnar Uldall. Auch Und dann sagt er: „Es gibt keinen Rechts- reißt den Kopf vor und zurück. Er sagt, mit dem Finanzsenator, Wolfgang Peiner, anspruch der Wähler, etwas über die sexu- Schill habe ihn erpresst und sei charakter- berät er sich oft. elle Präferenz der Gewählten zu wissen.“ lich nicht dazu geeignet, Senator zu sein. Ole von Beust ist Hamburger durch und An jenem Dienstag, nach Schills Dro- Nicht einmal dazu? durch. Carl-Friedrich hieß er früher mal, hung, bespricht sich Beust kurz mit Und dann geht Beust und lächelt, und aber die Großmutter nannte ihn „Ole seinen Vertrauten. Er sagt, er wolle Wel- als er weg ist, wartet Schill. Minutenlang Popp“ („Alte Puppe“), daher kommt der linghausen entlassen und Schill gleich mit. sitzt er still und allein dort vorn, so lange, „Ole“. Ole von Beust wuchs in den Ham- Er ruft Angela Merkel an, und die fragt: bis ihn eine Journalistin endlich fragt, was burger Walddörfern auf, er wurde mit 22 er zu sagen habe. Und nun erzählt er von Vorsitzender der Jungen Union Hamburg, * Am 26. März 1984 bei Kießlings Verabschiedung in Neu- „Geräuschen, die auf Liebesakte schlie- er studierte in Hamburg Jura, er ließ sich stadt (Hessen). ßen lassen“. Nein, das ist nicht Trapattoni,

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das ist etwas, was es noch nicht gegeben hat. Schill sagt: „Ich habe Ole von Beust ge- sagt, dass dieses Messen mit zweierlei Maß „Schock und Scham“ meinem Gerechtigkeitsgefühl widerspricht, und ihn daran erinnert, dass er seinen Le- Die Hamburger Koalition setzt krampfhaft auf Normalität – dabei bensgefährten Roger Kusch zum Justiz- könnte Schill sie noch immer platzen lassen. senator gemacht hat. Seinen Lebensgefähr- ten, der am Hansaplatz in seiner Wohnung ie größte anzunehmende Krise stifter scheint die Strategie der Frak- wohnt und mit dem er früher ein homo- des Hamburger Senats hatte vor tionschefs aufzugehen, die Parlamen- sexuelles Verhältnis unterhielt und nach wie Dgerade mal 30 Minuten begon- tarier haben ihre Posten sicher. Bei vor ein homosexuelles Verhältnis unterhält.“ nen, da sah der Chef der FDP-Bürger- Neuwahlen hingegen, wie die Opposi- Einige im Raum kichern. Einige greifen schaftsfraktion, Burkhardt Müller- tion aus SPD und Grünen sie fordert, zum Mobiltelefon. Die meisten schweigen Sönksen, am Dienstag vergangener müssten FDP und Schill-Partei um den einfach und starren nach vorn, und dort Woche schon wieder Licht am Hori- Einzug ins Parlament bangen. Die CDU sitzt Schill und kennt keine Scham mehr, zont. „Wir gehen davon aus, dass wir könnte laut Umfragen mit 40 Prozent keine Privatsphäre, denn jetzt ist alles Po- die Koalition fortführen“, dozierte er. sogar stärkste Fraktion werden, hätte litik oder nichts mehr. aber keinen „Mehrheitsbeschaffer“, Er sagt: „Ja, ich habe mich mit Ole von wie CDU-Fraktionschef Freytag sagt. Beust geduzt und mit ihm viel über Priva- „Ohne einen der drei geht es nicht.“ tes gesprochen.“ Er sagt: „Er hat an mir Muss es auch gar nicht, denn die lä- vorbei eine einsame Entscheidung getrof- dierte Schill-Partei wird wohl für Uni- fen.“ Er sagt: „Ich bin menschlich ent- on und Liberale eine handzahme Part- täuscht.“ Dann sagt er: „Die Politik hat nerin. Auf „politisch-gestalterisch mehr sich heute auf so schmutzige Weise gezeigt. Spielraum“, hofft FDP-Mann Müller- Sie ist ein noch schmutzigeres Geschäft, Sönksen, jetzt wo Schill selbst politisch als ich es mir vorgestellt habe.“ fast erledigt scheint. Einem Reporter wird das zu viel. „Was Brav ließen die Schill-Leute ihren ist denn mit Ihrem Sexualleben, Herr Frontmann in der vergangenen Woche Schill?“, fragt er.

MARCUS BRANDT / DDP BRANDT MARCUS fallen. Der Bundesvorsitzende und „Ich bin nie in Konflikte geraten mit Schill-Nachfolger Nockemann Hamburger Bausenator Mario Mett- meiner Amtsführung“, sagt Schill. Festhalten an der Macht bach gab die Richtung vor, entschul- Das ist das Ende, und vermutlich weiß digte sich für Schills Verhalten in der Beust jetzt, dass er sich verschätzt hat: dass Und dass es so viele Themen gebe, wo Affäre – und avancierte flugs zu Schills Politik und Privates nicht mehr zu trennen man mit der Schill-Fraktion doch so Nachfolger als Zweiter Bürgermeister. sind, dass das Gesetz des Stillschweigens, wunderbar zusammenarbeite. Schon einen Tag nachdem die Bom- der Diskretion nicht mehr funktioniert, Bald darauf kamen die Vorsitzenden be explodiert war, votierten dann die 25 vielleicht, weil Homsexualität kein Tabu der beiden anderen Regierungsfrak- Schill-Abgeordneten einstimmig dafür, mehr ist, vielleicht, weil öffentliche Men- tionen, Michael Freytag (CDU) und die Koalition fortzusetzen – Norbert Frühauf (Schill-Partei), ins trotz der Entlassung Schills FDP-Büro. Kurz nach 13 Uhr war die und trotz der Bedingung Marschroute der drei schon perfekt: der CDU, der Mann dürfe Unterhaken und weitermachen. nicht Fraktionsvorsitzender War da was? Hat da tatsächlich der werden. „Schock und Innensenator gesagt, der Regierungs- Scham“ hätten die Kollegen chef sei schwul und habe was mit sei- angesichts des ungeheuer- nem Justizsenator? Und wurde im lichen Verhaltens von Schill Getümmel nicht der Innensenator und empfunden, sagt Fraktions- Parteigründer Ronald Schill gefeuert? mitglied Peter Paul Müller, Ach was, die Strategie der drei Frak- Zweiter Vizepräsident der

tionschefs: schnellstens wieder zur Nor- Bürgerschaft. PRESS ACTION / JATSCH-KOESLING RAINER malität. Das Ziel: festhalten an der Re- „Es hat nie eine Schill- gierungsmacht um jeden Preis. Dabei Partei gegeben“, sagt Frak- Gefährdete Macht wissen die drei, dass im Hintergrund tionschef Frühauf. „Es hat Sitzverteilung in der Hamburger Bürgerschaft noch eine Gefahr drohen könnte: Der immer eine ‚Partei Rechts- erratische Schill, im Moment zwar ge- staatlicher Offensive‘ ge- 4 Schill-Anhänger könnten durch Parteiaustritt schasst und geschlagen, bräuchte nur geben.“ Schills designier- zusammen mit Rot-Grün die Mehrheit kippen drei Getreue aus seiner Fraktion auf ter Nachfolger auf dem Rot-Grün Bürgerblock seine Seite zu ziehen – dann könnte er Posten des Innensenators, 57 Sitze 64 Sitze mit der Opposition zusammen der Koa- sein ehemaliger Büroleiter lition die Macht nehmen (siehe Gra- Dirk Nockemann, möchte GAL Schill- fik). Unberechenbare gibt es genug. die ganze Episode schnell 11 Partei Noch hat Schill nicht erklärt, was er vergessen. Was Schill getan 25 weiter tun will – es ist nicht einmal si- und gesagt habe, das sei SPD CDU cher, ob er sein Abgeordnetenmandat doch „Schnee von ges- 46 33 behalten möchte. Ohne den Unruhe- tern“. FDP 6 insgesamt 121

40 der spiegel 35/2003 Titel HARTMUT MUELLER-STAUFFENBERG / ACTION PRESS / ACTION MUELLER-STAUFFENBERG HARTMUT Berliner Regierungschef Wowereit (beim ): „Die meisten von euch wissen es sowieso – ich bin schwul“ schen, ganz egal ob schwul oder nicht, in „Eine Schlammschlacht hatte begon- Patenschaften für Drillinge an und kommt diesen Zeiten automatisch ein öffentliches nen“, so erklärt Wowereit seinen Schritt. Si- schon wieder ins Fernsehen. Privatleben haben. cher ist das nicht: Die großen Zeitungen Ist es gut so? Ist das Land also tolerant Und vielleicht fragt sich Ole von Beust, der Stadt ließen dementieren, dass sie dem und frei, ist es gelassen, in allen Schichten, ob er es so hätte machen sollen wie Klaus Sozi auf der Spur waren. Sicher ist aller- allen Parteien? Oder steht Wowereit nur Wowereit. dings, dass dieser eine Satz aus Wowereit für Berlin, so wie Bertrand Delanoë, sein einen Star gemacht hat, weil dieser eine Kollege in Paris, gleichfalls ganz selbstver- ls , heute 49, am Mit- Satz der perfekte Werbespruch war: spon- ständlich schwul sein darf? Atag des 10. Juni 2001 den großen Saal tan, ehrlich, einprägsam. Wowereit durfte in Als die CDU-Chefin Angela Merkel nach des Berliner Hotels „Maritim Pro Arte“ Talkshows, und Europas und Amerikas Zei- der Wahlniederlage im Herbst 2002 nicht betrat, stürzten sich die Journalisten auf besonders laut anmerkte, ihn. An jenem Sonntag wollte die Berliner Adenauer kümmerten die Gerüchte die CDU müsse glaubhaft SPD das Regierungsbündnis aufkündigen machen, dass sie „allen Le- und Wowereit zum Spitzenkandidaten für wenig: „Also wissen Se, solange der misch bensformen“ positiv ge- die Neuwahlen machen, das war ziemlich nit anpackt, isset mir ejal.“ genüberstehe, empörten aufregend. Noch aufregender waren aber sich die rechten Gralshüter. natürlich die Gerüchte. tungen schrieben über den mutigen Kandi- „Wir dürfen das konservative Tafelsilber Drei Tage zuvor hatte Wowereit, der sich daten, und da konnte Hetero Frank Steffel nicht verscheuern“, mahnte Schönbohm. selber einen „Kuschellinken“ nennt, im von der Union noch so eifrig Gattin Katja Konrad Adenauer kümmerte sich nicht Landesvorstand seiner Partei gesagt: „Lie- vor die Kameras zerren, es half ihm nichts. um Gerüchte über die Homosexualität sei- be Leute, die meisten von euch wissen es Natürlich hat Wowereit seinen Freund, nes Außenministers Heinrich von Brenta- sowieso – ich bin schwul.“ Das sollte rei- den Arzt Jörn Kubicki, längst in die Berli- no. Da gab es noch jenen Paragrafen 175 im chen, dachte Wowereit, aber dann er- ner Gesellschaft eingeführt. Und natürlich Strafgesetzbuch, der „Unzucht zwischen reichte ihn die Warnung, dass eine Boule- ist die Stadt sehr stolz auf diesen gla- Männern“ unter Strafe stellte, doch der vardzeitung in seinem Privatleben recher- mourösen Regierenden. Und wenn ein al- Alte knarzte: „Also wissen Se, solange der chiere. ter Konservativer wie In- misch nit anpackt, isset mir ejal.“ Und darum schleuderte Wowereit im nenminister Jörg Schönbohm mäkelt, dass Es hat also vermutlich mit Selbstbewusst- Hotel Maritim diesen einen Satz ins Volk, auch mal etwas anderes als bunte Paraden sein zu tun, aber sicherlich auch mit der der nicht im Manuskript stand: „Ich bin gefeiert werden müsse, nämlich „ein Fest Wählerklientel, wie die Parteien mit ihren schwul – und das ist auch gut so.“ für Familien“, dann kündigt Wowereit die Homos umgehen.

42 der spiegel 35/2003 Die angeblich Liberalen von der FDP ein Senatorenamt gehievt. Vor 28 Jahren, überlassen das heikle Thema ihrer Jugend- im Wintersemester 1975/76, lernten die bei- organisation, 30 Eifrige wirken im Bun- den sich kennen, da saßen sie gemeinsam desarbeitskreis „Schwule und Lesben“. im Strafrechtseminar an der Uni Hamburg, Parteichef Guido Westerwelle, 41, Mitbe- „Vorsatz und Vorsätzlichkeit von Unterlas- gründer der Julis, ließ sich in dem inzwi- sungsdelikten“ war das Thema. Eine Affä- schen in vierter Auflage erschienenen re, sagt Kusch, hatten sie auch damals Lexikon „Out!“ der 600 berühmtesten nicht, „ich wusste von ihm, dass er schwul Lesben, Schwulen und Bisexuellen por- war, aber ich wusste es von mir selber noch trätieren, und auch Interviews für schwu- nicht – ob er es wusste, ob er hellseherische le Medien gibt er schon mal. Ansonsten Fähigkeiten hat, weiß wiederum ich nicht“. aber sagt er nur eines: „Privatsache.“ Und als der Kandidat Beust 2001 die Der Kollege Volker Beck, 42, weiß, dass Wahl mit dem Versprechen gewann, den er seine Karriere durchaus auch, vielleicht Filzteppich von 44 Jahren SPD-Herrschaft sogar vor allem seiner Homosexualität zu aus den Behördengängen zu reißen, soll verdanken hat. Klar, sagt der Mann mit der fähigste aller Kandidaten für sein Jus- der freundlichen Stimme, „ohne dieses tizressort ausgerechnet sein Kumpel Kusch Ticket wäre ich vielleicht nie so weit ge- gewesen sein. kommen“. Jener Kusch, der immer mal wieder mit Beck, der im Alter von 20 Jahren sein Beust in den Urlaub düst, zum Skifahren, Coming-out hatte, ist der Vorzeigeschwu- nach Sylt, zum Segeln. Jener Kusch, der im le der Grünen. Zunächst arbeitete er als Hamburger Szeneviertel St. Georg für 1100

Schwulenreferent der Bundestagsfraktion, PRESS / SIPA / VILLARD ABD RABBO Euro in dieser 150-Quadratmeter-Wohnung 1994 wurde er Parlamentarierer. Er kenne, Pariser Bürgermeister Delanoë lebt, die Beust gehört. Jener Kusch, der sagt er ein bisschen kokett, „inzwischen Ist das Land tolerant, frei, gelassen? die Freundschaft mit Ole von Beust als einige schwule Bundestagsabgeordnete“ – „sehr eng“ bezeichnet, „sicherlich die dau- doch nur er selbst und der SPD-Kollege des Publikums am Sex der Politiker. Denn, erhafteste, die ich pflege“. Und schon das Johannes Kahrs geben es zu. Sogar im Ab- so Beck, „Hetero- und Homosexualität hat ja irgendwie mit Filz zu tun, mit jener geordneten-Handbuch, in dem die Herren prägen natürlich soziales Verhalten, sozia- Sorte jedenfalls, die Freunde an Posten von der Union „verheiratet, katholisch, le Kontakte“. Und darum, so folgert Beck, kommen lässt und andere Menschen nicht. drei Kinder“ vermerken, steht bei Beck: müsse es Gleichbehandlung geben, auch Und deshalb müsste es in dieser Affäre „schwule Lebensgemeinschaft“. im Affärenfall: „In puncto Transparenz nun darum gehen, ob Kusch tatsächlich der Und Beck rät „jedem schwulen Politiker, muss für Homo- und Heterosexuelle das beste Mann für diesen Posten war. diesen Schritt zu gehen. Jeder, der der Ho- Gleiche gelten.“ Schon bald profilierte sich Beusts Mann mosexualität regelrecht überführt wird, er- Homosexualität, das sagt der Politikwis- als Schill der Schwarzen, als einer, der ge- weckt selbst den Eindruck, dass Homose- senschaftler Oberreuther, sei jenes Tabu- nauso maßlos sein kann wie Richter Gna- xualität ein Makel ist“. thema, bei dem das Recht auf Privatheit denlos und genauso verbohrt. Er ließ in Doch was darf, was muss das Volk über am meisten respektiert wird: „Wenn aber der Justizvollzugsanstalt Vierlande den die Menschen wissen, die es wählt? Gehört Homosexualität der Untergrund ist, auf Automaten von der Wand schrauben, aus die Sexualität der Herrschenden zu den dem politischer Filz gedeiht, muss es er- dem sich Junkies seit 1996 saubere Spritzen Dingen, über die wir, die Wählenden, das laubt sein, dies zum Thema zu machen.“ holen konnten. Ein Saubermann? Der Stoff Wesentliche kennen müssen? Und kennen kommt weiter in den Knast, aber jetzt wollen? b sie sich liebten, ob sie sich nicht lieb- hängen dort alle wieder an den gleichen Volker Beck geht da sehr viel weiter als Oten, Bürgermeister Beust hat einen dreckigen Nadeln. „Eine lebensgefährliche Ole von Beust und versteht das Interesse seiner „langjährigsten Freunde“ (Beust) in Ideologie“ bescheinigt deshalb Klaus Beh- Hamburger für ihren Bürgermeister „Der Erste Bürgermeister Ole von Beust hat „Sollten nach dem Eklat „Sollen sich homosexuelle Innensenator Ronald Schill wegen fehlender so schnell wie möglich Politiker outen, um nicht charakterlicher Eignung aus seinem Amt Neuwahlen stattfinden?“ erpressbar zu sein?“ entlassen. Hat er damit richtig gehandelt?“ JA 45% JA 59% JA 87% NEIN 49% 24% 8% „Für welche Partei würden Sie stimmen, wenn am kommenden „Wird der entlassene Innen- „Stört es Sie, dass Sonntag die Hamburger Bürger- senator Ronald Schill künftig der Erste Bürgermeister schaft neu gewählt würde...?“ eine wichtige Rolle in der Ole von Beust Politik spielen?“ homosexuell ist?“ (Veränderung gegen- über der Wahl 2001) 8% 6% SCHILL- CDU PARTEI SPD GAL FDP NEIN 87% NEIN 93%

40% 5% 37% 11% 4% NFO-Infratest-Umfrage für den SPIEGEL vom 20. und 21. August; rund 1000 (+13,8%) (–14,4 %) (+0,5%) (+2,4%) (–1,1%) Hamburger Befragte; an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“/keine Angabe

der spiegel 35/2003 43 Titel „Das war quasi Notwehr“ Der schwule Theaterintendant Corny Littmann über heimliche Homos in der Politik Littmann, 50, führt auf der Hambur- strie etwa sitzen so viele verkappte Schmidts gab es eine vierte, eine ger Reeperbahn das „Schmidt“-Thea- Schwule, dass es bisher nicht einmal schwule Fraktion, die sich in geheimen ter. Der bekennende Schwule ist zu- eine anständige Fernsehsendung für Zirkeln getroffen hat, um den so ge- dem Präsident des Fußballclubs St. Schwule gibt. Das liegt nicht an den nannten Schwulen-Paragrafen 175 ab- Pauli. Heteros, das liegt an den Tunten, die al- zuschaffen, der homosexuellen Ver- SPIEGEL: Herr Littmann, hätten Sie ge- les dafür tun, dass nichts über ihr Le- kehr unter Strafe stellte. Noch heute dacht, dass eine Affäre über homo- ben veröffentlicht wird. Die Angst vor agieren die meisten Politiker wie in sexuelle Politiker im 21. Jahr- den siebziger Jahren im Ver- hundert noch eine Regierungs- borgenen. krise verursachen kann? SPIEGEL: Sie plädieren für tota- Littmann: Ja, leider, weil es le Offenheit? gesellschaftliche Bereiche gibt, Littmann: Nicht unbedingt. Die und dazu zählen Politik und Ängste eines CDU-Politikers, Fußball gleichermaßen, in de- sich selbst zu outen, sind durch- nen Homosexualität noch im- aus verständlich. Wer in einem mer als Makel angesehen wird. bayerischen Dorf Karriere ma- Das hat auch mit den Ängsten chen will, dem würde ich nicht der Betroffenen zu tun, dass raten, sich als schwul zu be- ihre sexuelle Neigung das kennen. Man muss schon un- Licht der Öffentlichkeit er- terscheiden zwischen einem blickt. Dabei ist das Quatsch: Großstadtmilieu und einer Prominente, die sich geoutet Kleinstadt: In Hamburg stört haben, waren selbst überrascht sich keine Frau daran, dass ihr über die positiven Reaktionen. Friseur schwul ist. Woanders Es ist sogar möglich, dass der haben Hausfrauen noch immer Berliner Bürgermeister Klaus Angst, dass ein schwuler Fri- Wowereit die Wahl deshalb seur ihren Sohn unsittlich an- gewonnen hat, weil er sich fassen könnte. vorher outete. Dadurch hat er SPIEGEL: Hat der Wähler ein viel an Glaubwürdigkeit ge- Anrecht darauf zu erfahren, in wonnen. Nur: Man muss auch welchen Lebensverhältnissen wissen, dass er sich wohl im Politiker leben? Zusammenhang mit einer be- Littmann: Das ist eine schwere

fürchteten Veröffentlichung VOGEL / BONGARTS FRIEDEMANN Frage, weil in den vergangenen geoutet hat, das war quasi Hamburger von Beust, Littmann: „Strich gezogen“ Jahren die Privatheit in großem Notwehr. Maße Einzug in die Politik ge- SPIEGEL: Warum dann die Aufgeregt- Enttarnung schlägt bei vielen sogar in nommen hat. Soll ja keiner erzählen, es heit in Hamburg? Homophobie um. sei Zufall, dass Edmund Stoiber oder Littmann: Homosexualität an sich wird SPIEGEL: Wowereits Weg war deshalb Gerhard Schröder bei Terminen ihre immer noch als etwas Bemerkens- besser als von Beusts Schweigen? Ehefrau dabeihaben. Das ist Teil des wertes angesehen. Heterosexualität Littmann: Ich kenne von Beust sehr lan- politischen Marketings. wird dagegen erst dann interessant, ge. Ich finde, er hat einen klaren Strich SPIEGEL: Muss man nicht fragen dürfen, wenn sie besondere Spielarten zeigt. zwischen öffentlichem und privatem ob von Beust Roger Kusch tatsächlich Schwule sollten erkennen: Erst wer Leben gezogen und hat nicht wie viele nur aus fachlichen Gründen zum Jus- sich zu seiner Neigung bekennt, der ist andere in einer Falschheit gelebt. Letzt- tizsenator gemacht hat? nicht mehr erpressbar. In Hamburg ha- lich muss jeder mit sich allein abma- Littmann: Es ist legitim zu fragen, in ben die Betroffenen ja selbst ihre chen, ob er an die Öffentlichkeit geht welcher Beziehung der Bürgermeister Zwangslage geschaffen, indem sie nach oder nicht. zu seinem Justizsenator steht – so wie außen ihre Homosexualität verheim- SPIEGEL: Fehlt schwulen Politikern ge- das bei Heteros auch legitim wäre. Dar- licht haben. nerell der Mut, offener mit der Ho- auf hat von Beust erschöpfend Aus- SPIEGEL: Aber ist diese Heimlichkeit mosexualität umzugehen? kunft gegeben. Aber in diesem Fall hat nicht normal für Menschen, die glau- Littmann: Politiker sind in erstaunli- sich Ronald Schill doch vor allem als ben, viel verlieren zu können? chem Maß hinter dem Volk zurück, das cholerischer und gefährlicher Politiker Littmann: Ja, und das interessanteste Schwulsein längst akzeptiert. Es gibt geoutet, der an billigste Ressentiments Phänomen sind die nicht bekannten im Deutschen Bundestag genügend anknüpft, in der Hoffnung, politisch Schwulen, die an den Schaltern der Politiker, von denen man weiß, dass seinen Kopf zu retten. Das scheint ja Macht sitzen und alles Schwule sie der gleichgeschlechtlichen Neigung nicht zu funktionieren. Und das ist bekämpfen. In der Unterhaltungsindu- anhängen. Schon zu Zeiten Helmut gut so. Interview: Udo Ludwig

44 der spiegel 35/2003 rendt, Chefarzt der Abteilung Abhängig- Däubler-Gmelin, bei Sitzungen ihre Noti- sein – wenn dieser eine Mitarbeiter in der keitserkrankungen im Klinikum Nord, dem zen gleich in ihren Mini-Laptop zu hacken Wohnung des Chefs residiert? Senator, denn diese Politik sei „unverant- – aber der Hamburger blaffte die Bundes- Die sexuelle Präferenz sei Privatsache, wortlich“. ministerin an, sie solle das unterlassen. so hielt es Beust, so hielt es Kusch, es war Kusch, Spitzname „lächelnde Guilloti- Worauf Däubler-Gmelin ziemlich kühl in all den Jahren ein heikles Manöver. Die ne“, wollte die Häftlinge im Gefängnis lächelte und weitertippte. „Erschreckend lokale Presse nannte Beust einen „über- „Santa Fu“ zusammenrücken lassen: Zwei unsouverän“ sei der junge Mann gewesen, zeugten Junggesellen“, auf eine „First Mann pro Acht-Quadratmeter-Zelle, das sagt sie. Lady“ müsse Hamburg wohl verzichten. gab der Senator als Ukas aus, Richter kan- Und schon wegen dieser Eskapaden Alle kannten die Wahrheit. zelten ihn dafür ab. Schon im August müssen sich Beust und sein Kumpel heute Und dann kamen die Gerüchte. Fragen gefallen lassen. Fra- „Ein Prozess lässt sieben Promis zit- Warum wurde Kusch Senator? Wie eng ist gen sind das, die – da ist die tern“, so beschrieb „Bild“ ein Gerichts- Republik eben noch längst verfahren gegen einen Sozialarbeiter, der die Verbindung? Kann der Chef objektiv sein, nicht so liberal, wie sie gern einen Minderjährigen an einen Freier ver- wenn der Mitarbeiter sein Mieter ist? wäre – einem heterosexuel- mittelt hatte. Teile der Akte, vor allem len Regierungschef, der eine die Namen der Prominenten, waren ge- 2002 notierte das „Hamburger Abend- Bekannte in ein Spitzenamt gehievt hat, schwärzt worden. „So etwas habe ich noch blatt“, Kusch mausere sich zur Schwach- ganz selbstverständlich gestellt würden. nie erlebt“, schimpfte der Verteidiger des stelle Nummer eins in Beusts Regierungs- Fragen wie diese: Warum wurde Roger Angeklagten, Uwe Maeffert. Denn der mannschaft. Damals ging es um einen Kusch Senator? Wie eng ist die Verbin- Betreiber von „Haralds Hotel“, jenem über Besuch bei Joe Arpaio, dem Chef des dung? Kann der Regierungschef allen Mit- die Stadtgrenzen hinaus bekannten Etab- berüchtigten Wüstenknastes von Arizo- arbeitern gegenüber noch gleich objektiv lissement, wo Schwule auch mal stunden- na; Kusch ließ sich dort neben Häftlingen knipsen, die rosa Unterwäsche tragen müssen. Dann holte der Mann, dessen Karriere so „makellos wie ein Taufkleid“ sein soll („Bild“), die Ehefrau eines „Bild“-Redak- teurs als Abteilungsleiterin in seine Behör- de. Kusch „gilt inzwischen sogar bei CDU- Mitgliedern als nicht salonfähig“, lästert einer aus der Justizministerkonferenz. Zum Außenseiter macht sich Kusch in solchen Runden selbst, immer dann, wenn dieser seltsame Zorn aus ihm rausmuss. So war es zum Beispiel im vergangenen Jahr in Berlin, bei einem Treffen der Justizmi- nister, bei dem es um die bevorstehende

Wahl der Bundesrichter ging. Jeder in der BRUCH (2) O. CHRISTIAN Runde kennt die Marotte von Herta Szenetreffs „Haralds Hotel“, „Wunderbar“: Dann kamen die Gerüchte

weise Zimmer mieten, hatte Ole von Beust als Gast genannt. Ein Aufschneider? Beust sagt, er sei dort nie gewesen. Bekannt war bei der Polizei auch ein Besuch von Ole von Beust und Roger Kusch in der „Wunderbar“, einem stadt- bekannten Schwulentreff. Nach einem Mord im Milieu war die Bar das Ziel einer Razzia – „wenn ihr etwas eher gekommen wärt, hättet ihr Beust und Kusch getrof- fen“, sagten Gäste den Polizisten. Privat- sache? In Schills Innenbehörde wurden diese Geschichten kolportiert, Bürgermeis- ter Beust hörte die Gerüchte. Und ignorierte sie. „Man kann sich gegen Gerüchte nicht wehren“, sagt er. „Wenn ich all die Gerüch- te über Alkohol und Affären glauben wür- de, dann müsste das Rathaus doch Sodom und Gomorrha sein“, sagt er. „Manchmal übersteigt die Infamie die Phantasie“, sagt Roger Kusch. Es ist Donnerstag, es ist 12 Uhr in der In- nenbehörde an der Hamburger Drehbahn, und in Zimmer LuV 308 sitzt der Justiz-

HAMBURGER ABENDBLATT SYNDICATION HAMBURGER ABENDBLATT senator. Rosen stehen auf dem Glastisch, Justizsenator Kusch, Gefängnischef Arpaio in Arizona: Häftlinge in rosa Unterwäsche viel Chrom und schwarze Ledermöbel gibt 45 Titel

gewesen und habe sich als Mieter angebo- ten. „Er zahlt pünktlich, ich werde niemals auf Eigenbedarf klagen müssen, er ist ganz einfach ein guter Mieter“, sagt Beust. Ob es politisch geschickt war? Klug? „Hinterher ist man klüger“, sagt Beust, „wir haben damals darüber geredet, ob es problematisch ist, und ich habe gesagt: Es gibt keine Interessenkollision. Wie sehr will ich mein Privatleben nach Gerüchten ausrichten?“ War es das also? Ole von Beust hat viel eingeräumt, und mit dem Satz „Das ist al- les, absolut alles“ hat er sich festgelegt. Er weiß, dass ein Foto, das ihn eng um- schlungen mit Kusch zeigt, oder die glaub- hafte eidesstattliche Versicherung eines Zeugen die Regierung der Hansestadt stür- zen würde. „Das kann nicht passieren“, sagt er, „weil da nichts war.“

üssen Politiker im Jahr 2003 so etwas Maushalten? Ja, vermutlich müssen sie. Klar: Die Medien sind aggressiver gewor- den. Und das Image zählt mehr als Kon- zepte, und deshalb drängen die Darsteller

BERTHOLD FABRICIUS / ACTION PRESS / ACTION FABRICIUS BERTHOLD der Macht in die bunten Blätter und TV- Parteifreunde Kusch, Beust: „Einer meiner langjährigsten Freunde“ Shows, mit ihren Scheidungen und Hoch- zeiten, ihren Homestorys über Koch-Re- es hier, der Chef trägt schwarzen Anzug, tretung der Hansestadt in Berlin, wo die zepte und Lieblingssofas. Wer kann da weißes Hemd, eine grünlich-gelbe Kra- beiden genächtigt haben sollen. „Es kann noch die Grenzen ziehen? watte. Und er wundert sich über die sein, dass wir mal gleichzeitig dort über- Es ist kein Wunder, dass der Respekt vor Wucht, die diese Affäre bekommen hat. nachtet haben, aber nicht zusammen“, sagt dem Privaten flöten geht, wie der US- „Der Blick durch ein Schlüsselloch, hin- Beust. Soziologe Richard Sennett („Die Tyrannei ter dem man schwulen Sex vermutet, ist Warum aber dann diese Wohnung? der Intimität“) beklagt. Sennet glaubt, wohl immer noch spannender als der durch Trotz all der Gerüchte? „dass jede Person in gewissem Maße ein eines, hinter dem es heterosexuell zugeht“, Horrorkabinett ist und dass sagt er. „Ich hatte nichts zu kaschieren, ich „Zivilisierte Gesellschaften gelingen daher zivilisierte Beziehun- habe aus Respekt gegenüber den Wählern gen nur so weit gelingen, nie über mein Privatleben geredet“, sagt er. nur so weit, wie die hässlichen kleinen wie die hässlichen kleinen „Die CDU wird getragen von Menschen, Geheimnisse eingeschlossen bleiben.“ Geheimnisse eingeschlossen die sich belästigt fühlen, wenn sie gegen bleiben“. Darum fordert ihren Willen mit sexuellen Dingen kon- Ole von Beust sagt, er habe die Woh- Sennett mehr Distanz und mehr Diskre- frontiert werden“, sagt er. nung zur Altersvorsorge gekauft, bis dahin tion – die Rückkehr des Privaten. Und was war da nun mit dem Bürger- habe er nur zwei kleine Lebensversiche- Müssen die Wähler aber nicht gerade meister, Herr Kusch? rungen gehabt. Sein Kumpel, handwerk- deshalb die privaten Geheimnisse der Re- Beust holte Roger Kusch Ende 2000 als lich begabt, sei bei der Besichtigung dabei gierenden kennen – bevor sie diesen Hor- Sicherheitsberater nach Hamburg. Der pro- rorkabinetten die Macht in die Hand ge- movierte Jurist Kusch (Titel der Doktor- ben? Wenn es in der Politik zum Beispiel arbeit: „Der Vollrausch“) war gerade aus um Homo-Ehe geht, ist dann nicht gerade dem Kanzleramt hinausgebeten worden, die Sexualität der Politiker Politik? wo er seit 1995 das Referat Innere Sicher- Und Ronald Schill, der Mann, der das heit geleitet hatte. rosa Rathaus beschrieben und damit Maß- Es gibt eine Menge Geschichten über stäbe gesetzt hat, der sicherlich Hamburg die beiden, und die Geschichte, mit der sie und vielleicht das ganze Land verändert kontern, diese Geschichte von der plato- hat, sitzt auf seinem Stuhl und sagt, er habe nischen Männerfreundschaft kann durch- das alles gar nicht gewollt. Er habe Ole von aus die wahre Geschichte sein – es ist aber Beust ja nicht erpresst, dieser eine, der ent- auch die einzige Geschichte, mit der sie scheidende Satz mit der „Prime Time, bun- sich im Amt halten können. desweit“ sei gar nicht gefallen. Silvester 2001 verbrachten beide ge- „Ich wollte nur den Rauswurf Walter meinsam auf einer Feier über den Dächern Wellinghausens verhindern“, sagt Schill, Hamburgs. Es gibt Zeugen, die sie knut- „und deshalb wollte ich Ole von Beust bib- schend gesehen haben wollen. „Definitiv lisch-moralisch ermahnen: Nur wer ohne nicht“, sagt Kusch. „Nein“, sagt Beust, „es Schuld ist, werfe den ersten Stein.“ kann sein, dass ich ihn zum Prost Neujahr Stefan Berg, Klaus Brinkbäumer, Jürgen Dahlkamp, Per Hinrichs, umarmt habe, das hätte ich mit Ihnen viel- BRUCH O. CHRISTIAN Sebastian Knauer, Cordula Meyer, leicht auch gemacht.“ Und er lacht. Es gibt Haus mit Kusch-Wohnung Andreas Ulrich, Christoph Schult Geschichten wie die aus der ständigen Ver- „Geräusche und Umarmungen“?

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