die familiäre und regionale Herkunft eines Autors eine Ein Leserbrief nicht zu vernachlässigende Größe. Im Falle von Walter Schmidkunz gilt dies ganz besonders. von Wolfgang Burgmair Die Mutter von Walter Schmidkunz, Mathilde Porges von Porgesheim (geb. 14. November 1856 in Wien) ent- stammt einer österreichisch-jüdischen Familie, die in Der Beitrag von Frau Helga Margarete Heinrich »Die der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nobilitiert wurde. ›Münchner Lesebogen‹ und ihr Herausgeber Walter Schmidkunz« Die Ehe mit dem ebenfalls aus Wien gebürtigen Dr. Hans (Literatur in Bayern, 26. Jg., Nr. 97, Sept. 2009, S. 2–10) (Johann Anton) Schmidkunz, aus der vier Kinder hervor- stellt den Volksliedpublizisten, Alpinisten, Kulturjour- gingen, wurde 1894/95 in München geschieden; danach nalisten und Verleger in einer, meiner Ansicht nach, sehr verehelichte sich Mathilde Proges-Schmidkunz mit dem verkürzten Weise dar. Frau Heinrich schließt sich mit in München lehrenden Zoologen und Entomologen Prof. der Argumentationslinie ihres Beitrags eng an den Auf- Dr. August Pauly (geb. 1850, gest. 1914), während Hans satz von Josef Focht in der Sänger- ­und Musikanten-Zeit- Schmidkunz Caecilie Nathanson heiratete; Caecilie Na- schrift (Heft 52/1, 2009, S. 41–44) an, in dem die seit den thanson hat sich offenbar als zweite Mutter um die Kin- 1950er Jahren kursierenden Vorwürfe, Walter Schmid- der gekümmert. Walter Schmidkunz wuchs, wie seine kunz sei Nazi-Sympathisant oder sogar NSDAP-Mitglied Geschwister und die meisten Kinder von Intellektuellen, gewesen, wieder aufgegriffen werden. im damals modernen Geist der »Lebensreform« auf. 1904, Nun läßt sich durch die Formulierungen in Schmid- also mit knapp 17 Jahren, zählte er zu den Gründungs- kunz‘ Veröffentlichungen durchaus dieser Eindruck ge- mitgliedern des »Bayerischen Wandervogels« und war ab winnen, doch übersieht man dabei, daß Schmidkunz 1908 Mitglied der Sektion Bayerland des Deutsch-Öster- mit seinem Sprachstil und seiner Wortwahl kein singulä- reichischen Alpenvereins. Interessant in diesem Zusam- rer Fall gewesen ist. Eine Vielzahl von Autoren der Zwi- menhang, und im Hinblick auf Frau Heinrichs Argumen- schenkriegszeit bediente sich einer völkisch motivierten tationslinie sehr bemerkenswert, ist die Tatsache, daß Ausdrucksweise. Bedenkenswerter im Falle Schmidkunz Schmidkunz im Jahre 1924 aus Protest gegen die antise- ist jedoch seine Herkunft, sein familiäres und kulturelles mitischen Aktionen, v. a. den Ausschluß der sogenann- Umfeld. ten »Juden-Sektion Donauland«, aus dem Alpenverein ausge- Leider legt Frau Heinrich gerade hierauf überhaupt treten ist! kein Augenmerk. Außer dem Geburtsdatum und dem Schließlich gilt es zu bedenken, daß vermutlich ver- äußerst knappen Hinweis auf seine akademische Ausbil- wandtschaftliche Beziehungen zur einflußreichen dung wird nichts Weitergehendes mitgeteilt (siehe: S. 3). Schriftstellerin und Mäzenin Elsa Bernstein, geb. Porges Nun ist aber gerade in der Literatur, wie in der Publizistik, (geb. 1866, gest. 1949), und ihrem literarisch-musikali-

dium an der Universität – und das in Spanien. Aber schad Aufruf an unsere werten Leser: is schon, wenn das Bairische zur Sprache eines Reservats herabsinkt, vulgo Sprache von demnächst Ausgestorben- Sein-Werdenden, Halbdeppen und anderen Hinterwäld- lern, und damit immer mehr verloren geht. Schließlich Wortspenden für die steht hinter jeder Sprache eine Welt und eine Sicht auf diese Welt, wie sie nur in dieser ganz spezifischen Weise hundertste Ausgabe der möglich ist – es is mehr ois wia bloß schad, a Kreiz is! »Literatur in Bayern« arum, um aller Himmels willen, heißen die den Vö- Wgeln im Tierpark Hellabrunn gewidmeten Tage » Bird?« Weil’s so internationaler klingt, globaler? Wia waars, wenn scho »Munich Bird« praktisch unbedingtly sei muaß, mit am zweisprachigen Titel, so wie Straßen- und Ortsnamen in ür unsere Nummer hundert (100!) finden die werten anderen mehrsprachigen Regionen Europas auch zwei- oder FLeser kein Wort in Sachen Spende, aber einen Aufruf mehrsprachig angegeben werden, aiso in dem Foi: »z’Minga, zu einer »Wortspende« schon, zu einer »bairischen Wortspen- voglwuid!« de«, im Sinne der »boarischen äboridschinäs« (aborigines). Kein Purismus, nicht den nächsten sprachlichen Zen- Man muß wahrlich nicht in einen Sprachfundamenta- tralismus und Wahrheits- und Unbedingtheitsanspruch lismus im Sinne etwa eines katalanischen Regionalismus bittschön, aber dabei sei woi ma scho, gern aa im Schbui, verfallen, in dem Kindern spanisch sprechender Eltern zum Beispiel, wenn die mit ihrer Familie aus Berlin nach weder ein Schuleintritt in spanischer Sprache ermöglicht München zurückgekehrte Tochter der Kollegin Frau Pro- wird noch dem spanisch sprechenden Studenten ein Stu- fessor Dr. Götz – um schnellstmögliche Assimilation

50 Ein Leserbrief schen Salon in München bestanden. Elsa Bernstein und promisse eingehen mußte, um weiter publizieren zu ihr Ehemann, der Jurist und Schriftsteller Dr. Max Bern- können, liegt auf der Hand. Immerhin ist diese Reihe von stein, zählten zum Freundeskreis der Familie des Kom- offiziellen Stellen des Regimes finanziert worden. Daß in ponisten . Wagners Schwiegertochter einer Diktatur nicht zu erwarten ist – besonders in einer Winifred versuchte, Elsa Bernstein während der Nazi- halboffiziellen Veröffentlichungsreihe – regimekritische Zeit zu schützen, was ihr allerdings nur bis 1942 gelang. oder gar umstürzlerische Texte zu finden, dürfte auch – Elsa Bernstein überlebte das KZ Theresienstadt und starb und gerade – nach den Erfahrung mit dem SED-Regime 1949 in Hamburg bei ihrer Tochter Eva, die mit Gerhart mittlerweile jedem klar geworden sein. Hauptmanns Sohn Klaus verheiratet war (vgl. hierzu Bri- Es wäre daher sehr viel spannender gewesen, Frau gitte Hamann, oder: Hitlers , Heinrich hätte sich mehr um die verlagsrechtliche Seite München 2002, S. 450ff.). dieser »Lesebogen« und um die Person des Herausgebers Somit ergibt sich ein sehr viel differenzierteres Bild des bemüht, als nur eine Beweiskette von Zitaten aufzubauen familiären und gesellschaftlichen Umfeldes von Walter – die N.B. zumeist nicht aus der Feder von Schmidkunz Schmidkunz. Ähnlich wie Elsa und , war stammen! Meinem persönlichen Dafürhalten nach hätte die Familie Schmidkunz deutschnational gesinnt, eine sich hieraus mehr Erkenntnisgewinn ziehen lassen, als politische Überzeugung, die jedoch nach 1933 nicht vor die bloße Wiederholung von längst bekannten Vorwür- Diffamierungen und vielfältigen Schwierigkeiten schütz- fen. te. Walter Schmidkunz wurde ab 1934 und vor allem Ich erlaube mir auch daraufhinzuweisen, daß der be- in den Jahren 1937/38 als »Halbjude« denunziert, was zu kannte Volksliedforscher Wolfgang A. Mayer seit einiger einem zeitweisen Verlust seiner wirtschaftlichen Ba- Zeit intensiv Leben und Werk Walter Schmidkunz‘ er- sis führte. Paradigmatisch kann man hierdurch das Di- forscht und erste Ergebnisse anläßlich des vom Volks- lemma der »Alt-Konservativen« in Deutschland sichtbar musikarchiv des Bezirks Oberbayern im Frühjahr 2009 machen, die sich nach der Machtergreifung politisch in Kloster Seeon veranstalteten Seminars »Bayerische unversehens im Niemandsland befanden. In diesem Zu- Geschichte im Lied« vorgestellt hatte. Da ich durch meine sammenhang ist auch zu bedenken, daß z. B. Schmid- Tätigkeit als Archivar und Historiker der Max-Planck- kunz‘ bedeutende Volksliedersammlung »Das leibhaftige Gesellschaft mich häufig mit den Lebensläufen von »Per- Liederbuch« 1938 eben nicht bei einem bayerischen Verlag sonen der Zeitgeschichte« beschäftigen muß, weiß ich um die erscheinen konnte, sondern in Erfurt gedruckt werden Schwierigkeiten, die eine historisch­ ausgewogene Ein- mußte. ordnung mit sich bringt. Der große zeitliche und menta- Daß Schmidkunz bei der Publikation der »Münchner Le- litätsmäßige Abstand zum heutigen Forscher und Bear- sebogen« den ideologischen Vorgaben des Regimes Rech- beiter birgt zwar viele Vorteile, jedoch im gleichen Maß nung tragen und speziell nach den Denunziationen Kom- auch Gefahren.

bemüht – »ne Obadzada-Stulle« möchte. Oder die Portugie- Ein Raum, der Wissen schafft sisch-Dozentin die »Caixa de Schafskopf« ihres bayerischen Neuer Lesesaal für die Forschung Mannes plündert, um Wechselgeld beim Einsammeln für in der »Bayerischen Staatsbibliothek« das Kopiergeld parat zu haben. Oder der türkische Straßenkehrer am Ende einer lan- Am 5. Februar 2010 öffnete in der »Bayerischen Staatsbibliothek« gen Schlange, die mittags in einer alteingesessenen Metz- ein neu eingerichteter Forschungslesesaal speziell für die Ge- gerei zur Brotzeit ansteht, auch »eine Semmel mit Pflanze« schichtswissenschaften und Bavarica seine Pforten. bestellt, also mit einem »Fleischpflanzerl«, wobei unser Kol- Aufgrund des stark wachsenden Zulaufs durch Studierende lege Professor Grimm darauf aufmerksam macht, daß aller Fachrichtungen in den letzten Jahren war der Allgemeine ein Fleischpflanzerl auch schon ein Schmarrn ist, weil es Lesesaal der Bayerischen Staatsbibliothek mit seinen 550 Ar- eigentlich, wenn schon: ein »Pfanzerl« sein müßte. Aber beitsplätzen immer häufiger überbelegt. Forscher und Wissen- das Wort »Pfanz« für »Pfanne« ist nach dem Krieg auch den schaftler fanden oft keinen angemessenen Arbeitsplatz für ihre Münchenern verloren gegangen, man hat gar nicht mehr Studien und Recherchen. Um dieser Entwicklung entgegen- gewußt, was das ist, eine »Pfanz«, und so wurd aus der zuwirken und Spitzenforschung weiterhin optimal unterstüt- »Pfanz« halt eine Pflanz. zen zu können, wurde nun ein separater Lesesaal für Forscher So schee foisch ko des Boarische sei, aber grad des is und Wissenschaftler eingerichtet der »Aventinus-Lesesaal«. Zum ja des Scheene, aiso, wer wos woaß: her damit! Gemailt, Forschungslesesaal gehört auch ein für die Nutzer direkt zu- gefaxt, mit der Post geschickt, als Rauchzeichen nach Art gänglicher Bestand von rund 20.000 Bänden Grundlagen- und der letzten Mohikaner in den weiß-blauen Horizont ge- Referenzliteratur der Geschichtswissenschaften, Altertums- morst: mir gfrein uns auf ois! wissenschaften und Bavarica sowie eine ausgewählte Samm- lung von Werken rund um das »Alte Buch«. Der Lesesaal ist von Montag bis Samstag von 9 bis 19 Uhr ge- Gerd Holzheimer und die Redaktion öffnet.

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