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SWR2 Musikstunde Heldenhaft – Musik über Menschen, die die Welt bewegen (1)

Von Jan Ritterstaedt

Sendung: 17. Mai 2021 Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2021

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Das abenteuerliche Leben so einer Heldin oder eines Helden – wie schaut das eigentlich aus? Fragen wir doch mal .

Musik 1-1 Richard Strauss: „Der Held“ aus: Ein Heldenleben op. 40 4‘16“ SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg Leitung: François-Xavier Roth faszination Musik 93.299, LC 10622

Wohl kaum ein Komponist hat so ein schönes Porträt eines Helden geschrieben wie Richard Strauss in seiner Tondichtung „Ein Heldenleben“. Das war der erste Satz aus diesem mehrteiligen Werk mit...

Wer war dieser Held, den Strauss da in so mächtigen Tönen gemalt hat? Das hat der Komponist bewusst offengelassen. Schon kurz nach der Uraufführung des Werkes am dritten März 1899 in Frankfurt am Main wurde gemutmaßt: der Komponist selbst habe sich mit seiner Tondichtung ein musikalisches Denkmal gesetzt – im prächtigen Gewand des Helden. Diese Deutung hat Strauss selbst befeuert: er zitiert sich nämlich darin andauernd selbst.

Auf der anderen Seite hat der Komponist dem Kritiker einmal zu Protokoll gegeben: Ich bin kein Held. Mir fehlt die nötige Kraft; ich bin nicht für die Schlacht gemacht; ich ziehe es vor, mich zurückzuziehen, Ruhe und Frieden zu genießen.

Tja. Vielleicht ist es ja so: der Held von Strauss‘ Tondichtung „Ein Heldenleben“ ist der Künstler im Allgemeinen, der sich vor allem beim Publikum und gegen seine Widersacher – die Kritiker - durchsetzen muss.

Ein wichtiges Merkmal des Helden oder der Heldin ist seine bzw. ihre unglaubliche Kraft. Die kann sich schon in der Jugend bemerkbar machen. So etwa bei einem der berühmtesten Helden der griechischen Antike: bei Herkules. Schon an der Brust seiner Ziehmutter, der Göttin Hera, soll er sich derart festgesaugt haben, dass sie den Knaben von sich stoßen musste. Dank der göttlichen Milch aber wurden seine Kräfte nur noch größer. So schaffte er es etwa im Alter von acht Monaten, eine Schlange zu erwürgen, die sich in sein Kinderzimmer eingeschlichen hatte. Respekt!

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Die fast übermenschliche Kraft des Herkules hat auch einen mittelalterlichen Musiker inspiriert. Wer der Mann war wissen wir heute nicht mehr. Sein Stück heißt jedenfalls „Le forze d’Hercole“ – die Kräfte des Herkules. Und das spielt jetzt....

Musik 1-2 Anonymus: “Le forze d’Hercole” 4‘00‘‘ Ensemble Unicorn Leitung: Michael Posch Naxos 8.558119, LC 05537

So klingt geballte Heldenkraft. Das war...

Der junge Herkules hat seinen Eltern nicht nur Freude bereitet. Er war nämlich äußerst jähzornig. So hat er etwa seinen Musiklehrer Linos kurzerhand mit seiner Leier erschlagen – nur weil der ihn zu Unrecht getadelt hatte. Liebe Musiklehrerinnen und -lehrer: seien sie also lieber vorsichtig!

Herkules‘ Pflegevater Amphitryon ist das dann zu viel: nach der Aktion mit dem Musiklehrer schickt er den jungen Herkules zu seinen Rinderherden auf den Kithairon. Das ist ein Gebirgszug in der Nähe des antiken Theben, nordwestlich der heutigen griechischen Hauptstadt Athen. Hier wächst er nun bei den Hirten auf und muss eine erste wichtige Prüfung bestehen. Die bekannte Geschichte dazu stammt wohl ursprünglich von dem antiken Schriftsteller Prodikos von Keos. „Herakles am Scheideweg“ heißt sie auf Deutsch.

Herkules hat sich zurückgezogen, um über das Leben nachzudenken. Da erscheinen ihm zwei Frauengestalten – heute würden wir sagen: allegorische Figuren. Die eine wirkt schlicht gekleidet und eher schüchtern, die andere sehr herausgeputzt und selbstbewusst. Sie bietet ihm ihre Freundschaft an und verspricht, dass er nie mehr Schmerz, sondern nur noch Freude empfinden werde.

Danach ist die andere dran, die man auch die Personifikation der Tugend nennen könnte. Sie erklärt dem jungen Helden, wie wichtig Mühe und Fleiß im Leben sind. Als Dank für seine Freundschaft verspricht sie ihm Ehre und Bewunderung – zwei wichtige Ziele eines Helden antiker Prägung.

Für wen den beiden Damen sich der junge Herkules entschieden hat, das verrät ihnen jetzt Johann Sebastian Bach in seiner Kantate „Lasst uns sorgen, lasst uns wachen“ – auch bekannt unter dem Namen „Herkules am Scheideweg“.

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Musik 1-3 Johan Sebastian Bach: Lasst uns sorgen, lasst uns wachen (Herkules am Scheideweg) BWV 213 8‘23‘‘ daraus: Rezitativ: Geliebte Tugend, du allein (10) 0‘48‘‘ Arie: Ich bin deine, du bist meine (11) 7‘35‘‘ Elisabeth von Magnus, Alt Christoph Prégardien, Tenor The Amsterdam Baroque Leitung: Ton Koopman Classics 3984-25706-2, LC 06019

Die gerade gehörte Musik ist übrigens besser bekannt mit einem anderen Text: „Schlafe, mein Liebster, und pflege der Ruh‘“. Dort erscheint sie im zweiten Teil von Bachs Weihnachtsoratorium. (Anmerkung der Redaktion: Hier ist uns leider ein Fehler unterlaufen, bei der gehörten Musik handelt es sich um die Melodie der Arie "Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen" aus dem dritten Teil des Weihnachtsoratoriums).

Prüfungen, auch auf die moralische Standfestigkeit hin, sind typisch für das Leben eines Helden oder einer Heldin, so wie es uns die antiken Mythen erzählen. Nach der Wahl zwischen Laster und Tugend warten auf Herkules natürlich noch weitere Prüfungen. Und bei denen sind dann auch wieder seine physischen Kräfte gefordert. Vor allem aber deren Kontrolle. Denn die ist nicht gerade eine Stärke von Herkules. Das wird ihm auch bald zum Verhängnis: in einem Anflug von Jähzorn tötet er seine eigene Frau Megara und die gemeinsamen Kinder.

Tief bekümmert von seiner unglaublichen Tat sucht Herkules nun Rat beim berühmten Orakel von Delphi. Das verkündet ihm, dass er sich zwölf Jahre lang in den Dienst seines Bruders Eurystheus begeben und die von ihm geforderten Aufgaben erfüllen soll. Herkules, jetzt unter dem Namen „Herakles“ geführt, stellt sich den Prüfungen. Und jede davon machte ihn noch stärker. So erlegt er etwa den so genannten Nemeischen Löwen, um an dessen Fell zu gelangen. Das trägt er fortan und war dadurch unverwundbar.

Bei diesen zwölf Prüfungen des Herakles ist nicht nur seine Kraft, sondern auch sein Geschick und seine Intelligenz gefragt. So gelingt es ihm etwa, die Rinderställe des Augias auszumisten, indem er gleich zwei Flüsse durch sie hindurchleitete. An die goldenen Äpfel der Hesperiden gelangt er nur deshalb heran, weil er den Titanen Atlas überlistet. Hier kommt der Held immerhin mal kurz zu der Ehre, das ganze Firmament auf seinen Schultern tragen zu dürfen.

Nachdem Herakles nun alle seine Taten vollbracht hat, heiratet er erneut: diesmal die Königstochter Deianeira. Die muss er schon bald vor dem Centauren Nessos beschützen. Der hat sie zu kidnappen versucht, stirbt dann aber durch einen vergifteten Pfeil des

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Herakles. Vorher hat er Deianeira noch einen fatalen Rat gegeben: wenn sie spüre, dass ihr Mann eine andere mehr liebe als sie, dann solle sie ihm sein blutgetränktes Hemd anlegen.

Dieses „Nessoshemd“ findet sich tatsächlich bald auf dem Körper des Herakles wieder und verschmilzt untrennbar mit seinem Fleisch. Als Deianeira das sieht, erschrickt sie so sehr, dass sie Selbstmord begeht. Auch Herakles hält es mit dem fürchterlichen Hemd nicht mehr lange aus und bittet darum, ihn auf einem Berg auf dem Scheiterhaufen bei lebendigem Leib zu verbrennen. So grausam endete das Leben des Helden Herakles: er wird aus den Flammen in den Olymp entrückt und erlangt dort immerhin die Unsterblichkeit.

Musik 1-4 Erik Satie: Prélude de la porte héroïque du ciel 5‘11‘‘ Reinbert de Leeuw, Klavier Etcetera KTC1427, LC 14750

Mit Heldinnen und Helden, ihren Taten und ihrem Schicksal beschäftigt sich die SWR2 Musikstunde in dieser Woche. Heute geht es so zu sagen um die Archetypen des Helden, wie sie uns aus der griechischen Antike überliefert sind. Wobei man immer dazusagen muss: von vielen Geschichten existieren mehrere Versionen und Varianten. So auch im Fall unseres nächsten Helden Theseus.

Der soll so etwa 1200 Jahre vor Christi Geburt gelebt haben und herrschte damals über die Stadt Athen. Sein Vater Aigeus war einst nach Delphi gereist, um dort das Orakel zu befragen. Der Grund: er war bisher kinderlos geblieben. Das Orakel rät ihm, sich nicht zu betrinken, bevor er nach Athen zurückkehrt. Damit kann oder will der gute Aigeus allerdings nichts anfangen und betrinkt sich trotzdem beim weisen König Pithheus, den er besucht hatte. Des morgens wacht er dann neben einem Mädchen auf – Aithra, der Tochter des Pittheus. Die ist schwanger.

Voller Panik wegen der Prophezeiung von Delphi versteckt er sein Schwert und ein Paar Sandalen unter einem schweren Stein. Sein möglicher Sohn soll erst zu ihm nach Athen kommen, wenn er den Stein beiseiteschaffen kann. Und tatsächlich bekommt Aithra einen Sohn und gibt ihm den Namen Theseus. Er wächst heran und irgendwann ist er in der Lage, den Stein wegzurollen. Da offenbart ihm seine Mutter, wer sein Vater ist. Theseus nimmt die Erkennungszeichen Schwert und Sandalen an sich und zieht los in Richtung Athen.

Auf dem Weg stellen sich ihm allerdings manch schaurige Gestalten in den Weg. Mit dem väterlichen Schwert kann er die aber bezwingen und sich dadurch den Status eines echten Helden erwerben. Endlich in Athen angekommen muss Theseus erst noch eine böse Zauberin an der Seite seines Vaters verjagen, ehe der ihn erkannte und ihn zu seinem Nachfolger krönt. Doch jetzt geht die Helden-Karriere des Theseus erst so richtig los: Erst fängt er den Marathonischen Stier und dann muss er Athen von einem grausamen Ritual befreien.

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Alle neun Jahre sollen sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen nach Kreta gebracht werden, um dort dem Minotaurus geopfert zu werden. Halb Mensch, halb Stier haust er dort in einem Labyrinth. Theseus will nun diesen Minotaurus töten und die Jugendlichen wieder heil mit nach Hause nehmen. Hilfe bekommt er dabei von der kretischen Prinzessin Ariadne. Sie gibt ihm den berühmten Tipp mit dem Faden, den Theseus im Labyrinth ausrollen soll, um wieder hinauszufinden.

Der Plan funktioniert: Theseus kann den Minotaurus töten und damit seine Heimatstadt von den unmenschlichen Tributzahlungen erlösen. Nur Ariadne bleibt verzweifelt auf Kreta zurück. Sie hatte sich sofort unsterblich in den jungen Helden aus Athen verliebt. Und wie stark ihre Liebe zu Theseus sind, das hat Claudio Monteverdi besonders eindrucksvoll in Musik gesetzt.

Musik 1-5 Claudio Monteverdi: Lamento d’Arianna: Lasciatemi morire SV 107 7‘12‘‘ Véronique Gens, Sopran Le Concert d’Astrée Leitung: Emmanuelle Haïm Virgin classics 5099951904425, LC 07873

Ob ein solch schöner Gesang Theseus vielleicht dazu gebracht hätte, Kreta doch nicht zu verlassen und bei Ariadne zu bleiben? Das war....

Minotaurus besiegt, den Weg aus dem Labyrinth gefunden und alle Jünglinge und Jungfrauen wieder heil nach Athen zurückgebracht. Theseus hat seine Mission erfolgreich erfüllt. In Athen stößt er nun diverse Verwaltungsreformen an und zieht in den Krieg gegen die Amazonen. Von dort aus bringt er die Prinzessin Hippolyte mit. Die hat einen Sohn mit Theseus, der den Namen Hippolytos trägt. Und der ist zum Protagonisten eines Stückes des antiken Dramatikers Euripides geworden.

Euripides zeichnet diesen Sohn des Theseus als einen keuschen jungen Mann, der die Liebesgöttin Aphrodite verachtet. Die rächt sich nun an ihm auf besonders perfide Art und Weise: ausgerechnet in seiner Stiefmutter Phaidra weckt sie Liebesgelüste nach ihm. Als er diese zurückweist, nimmt sich Phaidra das Leben. Vorher hat sie noch behauptet: Hippolytos hatte sich ihr annähern wollen. Nun will Hippolytos vor der Rache seines Vaters Theseus fliehen. Am Meer erwischt ihn allerdings ein Seeungeheuer. Das zerschmettert ihn umgehend mitsamt Wagen an einem Baum. Tragische Geschichte!

Die Szenen im Palast des Theseus mit seinem Sohn Hippolytos und Phaidra haben nun dem französischen Diplomaten und Librettisten Henri Hoppenot als Vorlage für ein Libretto gedient. Vertont hat es der Komponist Darius Milhaud im Jahr 1928 – allerdings in einer sehr ungewöhnlichen Form: als Bestandteil eines Opern-Triptychons mit einer Dauer von gerade

6 einmal siebeneinhalb Minuten! „Opéras minute“ – Minutenopern hat Milhaud diese Stücke genannt.

Deshalb gibt es heute in der Musikstunde einmal eine komplette Oper zu hören:

Musik 1-6 Darius Milhaud: La délivrance de Thésée op. 99 7‘23‘‘ Minutenoper in 7 Szenen Klaudia Cieslik, Sopran Aleksandra Baranska, Sopran Maciej Rudzinski, Tenor Bogdan Makal, Bass Capella Cracoviensis Leitung: Karl Anton Rickenbacher

Zum Abschluss dieser Musikstunde habe ich noch etwas für Liebhaber von Tastenheldinnen und Helden für sie:

Morgen geht es dann weiter mit einem besonderen Typus eines Helden aus der griechischen Antike. Für den ist vor allem ein berühmter Schriftsteller aus dieser Zeit verantwortlich.

Für heute verabschiedet sich und dankt fürs Zuhören Jan Ritterstaedt.

Musik 1-7 Franz Liszt: Eroica aus: Études d’exécution transcendate S139 4‘48‘‘ Konstantin Scherbakov, Klavier Steinway & Sons 30098, LC 29168

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