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»Für mich existiert das Volk erst in dem Moment, wo es Publikum wird.«

B10: Do, 19.06.2014, 20 Uhr | A10: So, 22.06.2014, 11 Uhr | Hamburg, Laeiszhalle Semyon Bychkov Dirigent | Bertrand Chamayou Klavier Richard Strauss op. 20 | für Klavier und Orchester op. 40

DAS ORCHESTER DER ELBPHILHARMONIE

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Das Konzert am 22.06.2014 wird live 28 auf NDR Kultur gesendet. 8

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50 31 Donnerstag, 19. Juni 2014, 20 Uhr 38 34 38 Sonntag, 22. Juni 2014, 11 Uhr 551 57 Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal 551 42 50

26 37 51 58 27 30 29 38 447 377 Dirigent: Semyon Bychkov 47 7 49 Bertrand Chamayou Klavier 47

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33 Richard Strauss Don Juan (1864 – 1949) Tondichtung (nach Nikolaus Lenau) 222 für großes Orchester op. 20 37 17 551 24 51 16 (1888) 50 50 553 50 500 5511 37 38 50 j e23 t z t Burleske für Klavier und Orchester d-Moll 51 111 511 56 o n l i n e 15 (1885/1886) 24 1122 58 a n m e l d e n 50 23 51 4545 37 13 21 50 Pause 14 59 37 37 23 20 38 10 50 9 51 2 Ein Heldenleben 50 37 1 Tondichtung für großes Orchester op. 40 50

51 (1896 – 1898) 49 58 50 37 6 19 55 Der Held – 50 Des Helden Widersacher – 55 54 18 Des Helden Gefährtin – 3 54 Des Helden Walstatt – 5 4 Des Helden Friedenswerke – Illustration: Waldemar Naczyk Waldemar Illustration: Des Helden Weltfl ucht und Vollendung freitag, 19.9.2014 11.15 uhr antonín dvorˇák sinfonie nr. 9 e-moll op. 95 „aus der neuen welt“ Roland Greutter Solo-Violine ndr sinfonieorchester thomas hengelbrock dirigent rolf-liebermann-studio des ndr live auf allen ard kulturwellen und als video-livestream von arte

Einführungsveranstaltung mit Habakuk Traber am 19.06.2014 um 19 Uhr im Großen Saal der Laeiszhalle.

Livestream unter concert.arte.tv 3

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Semyon Bychkov Bertrand Chamayou Dirigent Klavier

Als einer der gefragtesten Pianisten seiner Seit seiner Emigration aus St. Petersburg in den Generation tritt Bertrand Chamayou weltweit 1970er Jahren ist Semyon Bychkov in allen auf bedeutenden Podien und bei renommier- Musikzentren der Welt zu Gast. Langjährige Be - ten Festivals wie dem Mostly Mozart Festival ziehungen unterhält er zu den großen Orches- New York, Lucerne Festival, Rheingau Musik tern und Opernhäusern in London, Paris, Wien, Festival oder Klavier-Festival Ruhr auf. Zu den Mailand, Berlin, Chicago und New York. Ein Orchestern, mit denen er zusammengearbeitet Schüler des legendären Pädagogen Ilja Musin, hat, gehören das Orchestre de Paris, London wurde Bychkov international während seiner Philharmonic , Rotterdam Philharmo- Amtszeit als Music Director des Michigan’s nic Orchestra, WDR und SWR Sinfonieorches- Grand Rapids Symphony Orchestra und des ter, Royal Scottish National Orchestra, Danish Buffalo Philharmonic Orchestra bekannt. Nach National Symphony Orchestra, Orchestre Sym- seiner Übersiedlung nach Paris wurde er Direc- phonique de Québec oder die Deutsche Kam- teur musical des Orchestre de Paris (1989-98), merphilharmonie Bremen. Dabei standen ihm Erster Gastdirigent der St. Petersburger Philhar- Dirigenten wie Pierre Boulez, Leonard Slatkin, moniker (1990 – 94) und des Maggio Musicale Neville Marriner, Michel Plasson, Jérémie Rhorer Florenz (1992 – 98), Chefdirigent des WDR Sin- regelmäßig zurück. An der New Yorker Met oder Andris Nelsons zur Seite. Zu seinen zeichnet wurde, darunter „Gramophone’s fonieorchesters (1997 – 2010) und Chefdirigent dirigierte er u. a. „Otello“, an der Wiener Kammermusikpartnern gehören Renaud and Editor’s Choice“. Ebenfalls viel beachtet wurden der Dresdner Semperoper (1998 – 2003). Staatsoper etwa „Tristan und Isolde“, bei den Gautier Capuçon, das Quatuor Ebène und Sol seine 2008 erschienene Mendelssohn-CD sowie Salzburger Festspielen „“ Gabetta. In der aktuellen Saison debütiert die Live-Aufnahme der „Études d’exécution In der jüngeren Vergangenheit dirigierte Bychkov und an der Mailänder Scala u. a. „Tosca“ oder Chamayou außer beim NDR Sinfonieorchester transcendante“ von Franz Liszt aus dem Jahr u. a. das Concertgebouworkest Amsterdam, „Don Carlo“. Die Saison 2011/12 des Teatro auch beim Deutschen Symphonie-Orchester 2006. Liszts 200. Geburtstag zelebrierte Gewandhausorchester Leipzig, Chamber Or- Real Madrid eröffnete er mit einer begeistert Berlin und beim Oregon Symphony Orchestra. Chamayou 2011 mit einer mehrfach ausge- chestra of Europe, die Wiener, Berliner und aufgenommenen „“-Aufführung. Daneben kehrt er zum hr-Sinfonieorchester zeichneten Gesamtaufnahme der „Années de Münchner Philharmoniker, die Tschechische zurück, unternimmt eine Tournee mit Ludovic pèlerinage“, die er auch an vielen Orten der Welt Philharmonie, das London Symphony oder Bychkovs Interpretationen sind in einer Reihe Morlot und seinem Orchestre de la Monnaie, aufführte. Im gleichen Jahr gewann er einen das BBC Symphony Orchestra. In den USA ist ausgezeichneter CDs und DVDs dokumentiert, gestaltet zum wiederholten Mal einen Rezital- „Victoire de la Musique“ als „Solist des Jahres“. er regelmäßig bei den großen Orchestern von die zum großen Teil aus seiner 13-jährigen Abend im Théâtre des Champs-Elysées und ist Boston, Philadelphia, Chicago, San Francisco, Amtszeit beim WDR Sinfonieorchester stammen. als Residenzkünstler des Orchestre National Geboren 1981, war Chamayou mit 20 Jahren Los Angeles und New York zu Gast. Zukünftige Seine Aufnahme von Wagners „Lohengrin“ de Bordeaux mehrfach in dessen neuem Kon- Preisträger beim Internationalen Long-Thibaud- Engagements umfassen u. a. Konzerte mit dem wurde 2010 „Record of the Year“ des BBC Music zertsaal sowie auf Tour zu erleben. Auf seiner Wettbewerb. Bereits früh wurde Jean-François Orchestre National de France, den Orchestern Magazine. Bychkovs Einspielung der „Alpen- Konzertreise durch die USA spielt er erneut Heisser auf ihn aufmerksam, bei dem Chamay- in Turin und Rom sowie das Debüt beim Orches- sinfonie“ ist Teil einer Serie von maßstabset- im Lincoln Center New York. ou später in Paris studierte. Seine Ausbildung tra of the Age of Enlightenment. Seit seinem zenden Strauss-Aufnahmen, darunter „Ein ergänzte er bei Maria Curcio in London; wich- Debüt am Royal Opera House Covent Garden Heldenleben“, „“ mit Renée Fleming 2010 veröffentlichte Chamayou eine César tige Impulse erhielt er auch von Leon Fleisher, 2003 mit Strauss’ „Elektra“ kehrt er dorthin oder „Elektra“ mit Deborah Polaski. Franck-CD, die mit zahlreichen Preisen ausge- Dimitri Bashkirov und Murray Perahia.

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Zum 150. Geburtstag von Richard Strauss Das Programm des heutigen Konzerts

Richard Strauss war der große „Letzte“ der Strauss. In seinem Geburtsjahr 1864 begann Meiningen, wo ihm Hans von Bülow eine aller- Musikgeschichte. Er war der Letzte „aus dem sich mit den Deutschen Einigungskriegen erste Anstellung als Hofmusikdirektor ver- großen Geschlecht der deutschen Vollblut- Schritt für Schritt das Kaiserreich zu formieren. schafft hatte. Damals stand bei Strauss durch- musiker, das von Händel über Beethoven und In seinem Todesjahr 1949 wurde die Bundes- aus noch die große Tradition von Mozart bis Brahms bis in unsere Tage reicht“ (). republik Deutschland gegründet. Auch die Brahms hoch im Kurs, auch wenn er durch Er war das „letzte große europäische Ereignis Musikgeschichte hatte in dieser Zeit kaum Alexander Ritter, einen Musiker der Hofkapelle, der Musik“ (). Er war der „letzte vorstellbare Wendungen genommen: Vom bereits für die neudeutsche Idee Liszts und Ausläufer bürgerlicher Musikkultur“, er stand Höhepunkt der Romantik ausgehend, war man Wagners gewonnen worden war. Insofern wirkt „am Ende einer bürgerlichen Kunstepoche, nicht mittlerweile fast schon wieder über die Zwölf- die Burleske weder wie das Werk eines am Beginn einer neuen Zeit“ (Ernst Krause). tonmusik hinaus gekommen. Und auch wenn Brahms-Epigonen noch wie dasjenige eines Strauss war der letzte Vertreter der Spätroman- Strauss mit Recht als großer Verwandlungs- Wagnerianers (auch wenn es Anklänge an das tik, der die Stile vergangener Jahrhunderte in künstler der Musik bezeichnet wird, der sich „Tristan“-Motiv oder das „Sturm“-Motiv aus sich aufgenommen hatte und zusammenfasste. vom Brahms/Beethoven-Epigonen über den der „Walküre“ nahe legen). Sie ist als ein Werk Vielleicht war er sogar der letzte Komponist, Wagner-Nachfolger zum modernen Expressio- zwischen allen ästhetischen und formalen der die Masse wie den Kenner in gleich hohem nisten und dann wieder zum Mozartianer und Stühlen – zwischen klassischer Tradition und Maße ansprach und es daher hinsichtlich seiner „griechischen Klassiker“ entwickelte, so ist er neudeutscher Moderne, zwischen „absolutem“ Präsenz auf den Spielplänen der Konzert- und über diese lange Zeit mit ihren turbulenten Sonatensatz, Klavierkonzert und erzählender vor allem Opernhäuser heute mit beinahe politischen wie musikästhetischen Umbrüchen Sinfonischer Dichtung – vielmehr ziemlich sin- jedem vor ihm geborenen Komponisten auf- doch stets originaler Strauss geblieben. gulär in der Literatur. Der lebendige Umgang nehmen könnte. Strauss ist unverkennbar Strauss, vom ersten mit allerlei tradierten Stilmitteln und mit ver- Der junge Richard Strauss (1888) bis zum letzten Stück – eine Beobachtung, die schiedensten Charakteren vom Kapriziösen, Am 11. Juni 2014 wäre Richard Strauss 150 man zumal in einem reinen Strauss-Geburts- Tänzerischen, Komischen oder Bizarren bis Jahre alt geworden. Zur Legende war er schon hielten ihn für einen naiven Schaumschläger tagskonzert wie dem heutigen bestätigt fi ndet. hin zum Schwärmerischen oder Dämonischen zu Lebzeiten geworden, wenn auch nicht un- und Größenwahnsinnigen, einen platten Natu- sowie die Verbindung von vertrackter Virtuo- umstritten. Die einen sahen in ihm den großen ralisten und unverbesserlichen Egozentriker, sität und lyrischer Gedankenfülle ist dabei ein Revolutionär und Visionär, der mit seinen illus- einen konservativen Romantiker oder Klassi- Zwischen den Stühlen – Die Burleske Zeugnis für die frühe kompositorische wie zu- trativen Tonmalereien neue Ausdrucksbereiche zisten, der immer dann ins Altvertraute oder für Klavier und Orchester gleich narrative Versiertheit des Alleskönners der Musik erschloss, mit seinen harmonischen gar Kitschige einlenkte, wenn er etwas zu pro- Strauss. Zwar hat er selbst das Stück später Experimenten in „Elektra“ an die Grenzen der vokant geworden war, schließlich für einen Schon die vom frühreifen Richard Strauss im als „reinen Unsinn“ und „miserabel instrumen- Tonalität vorstieß, dem Riesenorchester mit nostalgischen Vertreter einer längst vergange- Alter von 21 Jahren komponierte Burleske tiert“ bezeichnet. Aber etwa auf den aparten seiner schwindelerregend virtuosen Instrumen- nen imperialen Epoche, der zudem als Präsi- atmet in mancher musikalischen Kühnheit den Einfall, die Pauke so entscheidend am musi- tationskunst das Nonplusultra farbreicher, dent der Reichsmusikkammer im Nazi-Regime aufmüpfi gen Geist des „jungen Wilden“ wie kalischen Geschehen zu beteiligen, oder auf sinnlicher, plastischer Klänge abzugewinnen mitnichten eine Weiße Weste trug. sie zugleich in einigen vollgriffi gen, schwelge- die reizenden Melodien (von denen eine fast vermochte und als Meister des psychologisie- rischen Passagen die weit ausholende Geste so wirkt, als habe sie Leonard Bernstein zu renden „Nervenkontrapunkts“ in die Untiefen Über mehr als 80 Jahre und zwei Weltkriege des späteren Luxus-Klangzauberers offenbart. „Somewhere“ inspiriert) musste erst einmal der menschlichen Seele vordrang. Die anderen hinweg erstreckte sich das Leben von Richard Das Stück entstand in Strauss’ Lehrzeit in jemand kommen!

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Ursprünglich hatte Strauss die Burleske für Hinaus und fort nach immer neuen Siegen, hinweist, nur Episode. Das in den mächtigen seinen Mentor Hans von Bülow komponiert. so lang der Jugend Feuerpulse fl iegen!“ – Hörnern erstrahlende „2. Don Juan-Thema“ Dieser lehnte eine Aufführung allerdings Diese Zeilen aus dem als Vorlage benutzten kündigt Aufbruch zu neuen Taten an. Am Ende mit den Worten ab: „Jeden Takt eine andere „Don Juan“-Gedicht von Nikolaus Lenau (1843) schlägt die Stimmung plötzlich ins Fahle um: Handstellung – glauben Sie, ich setze mich könnten zugleich die Aufbruchstimmung des Dieser kurze tragische, verebbende Ausklang vier Wochen hin, um so ein widerhaariges Stück vom neudeutschen Gedankengut befl ügelten deutet den Tod des Helden nur an – eine zu studieren?“ So wurde das Werk erst 1890 Komponisten kaum besser beschreiben, der Wagnersche Verklärung fi ndet nicht statt … durch Eugen d’Albert uraufgeführt. Im selben sich damals für einen „jungen musikalischen Jahr gab Strauss die Burleske – wohl aus Geld- Fortschrittler“ hielt. Die für Strauss typische, not – in den Druck. Längst freilich hatte sich hier schon voll ausgeprägte virtuose Orchester- Vom scheiternden Ego – in seiner kompositorischen Entwicklung ein behandlung verlangte den Musikern Einiges ab: „Ein Heldenleben“ entscheidender Kurswechsel vollzogen, der mit „alles klingt famos und kommt prächtig heraus, der Premiere des „Don Juan“ am 11.11.1889 wenn es auch scheußlich schwer ist … Dem „Es gibt in Europa andere große Musiker, aber in Weimar auch bereits in aller Öffentlichkeit Orchester schien die Geschichte trotz ihrer Richard Strauss ist ein Schöpfer von Helden- besiegelt worden war. natürlichen Verwunderung über solch uner- gestalten.“ So begeisterte sich der französische hörte Dinge Spaß zu machen“, schrieb Strauss Schriftsteller Romain Rolland. Tatsächlich hat von den Proben an seinen Vater. sich Strauss zeitlebens immer besonders für „Hinaus nach neuen Siegen!“ – das Heldenhafte in all seinen Facetten inte- „Don Juan“ Entsprechend der Lisztschen Vorstellung, ressiert: sei es der legendäre Frauenverführer dass der Inhalt die Form bestimmt, wäre es Don Juan, der „Ritter von der traurigen Gestalt“ Während Strauss am Anfang seiner komposito- verfehlt, das Werk in eine herkömmliche Richard Strauss: Handschriftliche Partiturseite aus „Don Juan“ oder sei es gar er selbst, dem er rischen Laufbahn vor allem Werke in den „alten Rondo-Struktur zu gliedern. Das ganze Auf und im „Heldenleben“ allem Anschein nach ein Formen“ der Sinfonik und Kammermusik vor- Ab scheint vielmehr eine musikalische Umset- In einem der schwierigsten Orchesteranfänge Denkmal setzte. Freilich hat Strauss insbeson- gelegt hatte (zu denen die Burleske im weites- zung der der Partitur im Nachhinein vorange- der Musikliteratur platzt der Held regelrecht dere die Identifi zierung des Helden in der ten Sinne ja auch noch gehört), widmete er sich stellten Lenau-Zeilen zu sein: „Den Zauberkreis, herein und steht nach wenigen Takten in voller letztgenannten Tondichtung offen gelassen. ab 1886 konsequent dem damals als modern den unermeßich weiten / Von vielfach reizend Pracht auf der Bühne: Sein melodisch stolzes Um sie zu verstehen, so sagte er einmal, müsse und fortschrittlich geltenden Genre der Sinfo- schönen Weiblichkeiten / Möchte’ ich durch- Thema der Violinen blüht in einem Kosmos man eigentlich nur wissen, dass es dabei um nischen Dichtung. Spätestens mit der erfolg- ziehn im Sturme des Genusses.“ Es geht Strauss aus lauter „angriffsbereiten“ Motiven auf und einen Helden im Kampf mit seinen Feinden reichen Uraufführung des „Don Juan“ war jener also nicht um eine detaillierte Nacherzählung fasst damit sehr treffend den Charakter Don gehe. In der Tat fi nden sich weder detaillierte Reigen von Werken eröffnet, mit denen Strauss der einzelnen Liebesabenteuer des legendären Juans zusammen. Verschiedene schwärme- Hinweise zum programmatischen Verlauf in als Vollender der Sinfonischen Dichtung in „Don Juan/Don Giovanni“, sondern vielmehr rische Themen könnten im Folgenden die der Partitur (auch die Zwischentitel wurden die Geschichte eingehen sollte. Das Publikum um ein ganzheitliches Abbild dieser zwischen „weiblichen Opfer“ darstellen. Aber: „Leiden- von Strauss nur für Programmzettel der Ur- staunte nicht schlecht, als es dieses tempera- erotischem Trieb, jugendlichem Sturm, Roman- schaft ist immer nur die neue“, heißt es bei aufführung bekannt gegeben), noch gibt es für mentvolle Werk des gerade 25-Jährigen hörte, tik und Tragik stehenden Figur. Lehnau, und so bleibt selbst die raumgreifende diese Musik eine literarische Vorlage. Um wen das von einer enorm sicheren Beherrschung Oboenmelodie, die mit ihrem leicht spanisch es im „Heldenleben“ geht, darüber ist also des kompositorischen Handwerks zeugte. „ gefärbten Charakter auf die Herkunft des Helden nur zu spekulieren. Als Strauss im Jahr 1898

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sein neues Werk abschloss, hatte der frisch mögliches Vorbild zur Hand: Friedrich Nietzsche. gebackene Erste Kapellmeister der Berliner So wie sich dieser als anti-akademischer Hofoper, dessen Karriere auch als Komponist Einzelkämpfer gegen das Bildungsbürgertum steil aufwärts gegangen war, freilich allen durchzusetzen hatte, so muss sich der Held Grund, sich selbst als einen solchen Helden im „Heldenleben“ gegen die kleinkarierte, zu sehen. Und es mangelt beileibe nicht an bornierte Gelehrtenkritik der „Widersacher“ Indizien für diese Interpretation: Wenn Strauss behaupten. Und so wie Nietzsche in seinen als „Des Helden Friedenswerke“ ausschließlich Schriften am Ende zunehmend Objektivität seine eigene Musik zitiert, wenn er in „Des vermissen ließ und sich immer egozentrischer Helden Gefährtin“ seine Ehefrau Pauline por- gab, so scheint sich auch der geschilderte trätiert wissen will und wenn er – angesprochen Held zum Schluss eher in den Wahnsinn zu- auf seine spätere „Sinfonia Domestica“ – rückzuziehen, wo sein eigentlicher Gegner, halbironisch zugibt, er fi nde sich „ebenso inte- nämlich: er selbst, keinesfalls überwunden ist. ressant wie Napoleon oder Alexander“, dann Kann es also ein Zufall sein, dass Strauss’ Ton- scheinen kaum mehr Zweifel angebracht, es dichtung ausgerechnet mit dem eindeutigen handele sich beim „Heldenleben“ um ein durch Verweis auf das berühmte „Zarathustra“-Thema und durch autobiographisches Stück. „Warum ausklingt, also mit jenem Trompetensignal, sieht man nicht das Neue an meinen Werken, das seine Sinfonische Dichtung „frei nach wie in ihnen, wie nur noch bei Beethoven der Friedrich Nietzsches ‚‘“ Mensch sichtbar in das Werk spielt“, fragte eröffnet? Und warum notierte Strauss das Strauss noch als alter Mann im Rückblick auf Richard Strauss (Porträt von Józef Faragó, 1905) Richard Strauss: „Ein Heldenleben“, erste Seite der Hauptthema seines „Heldenleben“ unter sein Schaffen. eigenhändigen Originalpartitur jenem Porträt von Józef Faragó (siehe S. 10), seien, „daß besonders Don Qu. erst neben dem auf dem der Komponist mit hoher Stirn und Der Mensch, der sichtbar in das Werk spielt – Heldenleben voll und ganz verständlich ist.“ konservativen Kritikern herausgefordert wird, Schnauzbart so sehr dem besagten Philoso- was aber ist das im „Heldenleben“ für ein Der komische „Ritter von der traurigen Gestalt“ scheint nicht nur im selbstironischen Ego des phen gleicht? – Die Spekulationen Rainer Mensch? Sicherlich, wie immer in der Kunst, und der heroische Held des „Heldenleben“ also Komponisten zu wurzeln. Es geht hier vielleicht Bayreuthers erscheinen bemerkenswert, sind eine mehrdimensionale, vielschichtige Gestalt nur zwei Seiten einer Medaille? Don Quixote substantieller – wie es der Musikwissenschaftler aber freilich nur eine mögliche Interpretation und kein bloßes Abbild des Urhebers. Und als – tatsächlich weithin parallel komponiertes – Rainer Bayreuther vorschlug – um eine in der des von Strauss sicher bewusst anonym be- gewiss auch kein nur eitler, vor Selbstbewusst- Satyrspiel zur Tragödie des „Heldenleben“ wilhelminischen Epoche verbreitete Denkfi gur, lassenen „Heldenlebens“. sein strotzender, sich selbst darstellender (wie sich Strauss ebenfalls einmal äußerte)? um das „Thema des Ichsagens“, ja, geradezu Held. Zwar sprach Strauss mit Blick auf das um eine „Ichstörung“ ohne Verhältnis mehr zur Das 1899 in Frankfurt unter der Leitung des „Heldenleben“ bisweilen von seiner „Eroica“ In jedem Fall ist die Darstellung des „Helden- Außenwelt, um die tragische „Fallhöhe des Ego“, Komponisten uraufgeführte Werk wird von („in Es-dur, mit sehr viel Hörnern, die doch lebens“, ob autobiographisch oder nicht, die- kurz: um die Repräsentation eines intellektuel- einem imposanten Thema in den Celli und einmal auf Heroismus geeicht sind“), doch hob jenige eines nicht nur rühmlichen, idealtypi- len, scheiternden, pathologischen Heldentyps. Hörnern eröffnet, das durch seine weit ausla- er auch hervor, dass „Don Quixote und Helden- schen, optimistischen Lebens. Das Porträt des Und folgen wir Rainer Bayreuther in seiner denden Intervallsprünge und markanten Punk- leben so sehr als direkte Pendants gedacht“ freischaffenden Künstlers, der von seinen Analyse, so haben wir dafür auch gleich ein tierungen den Helden zunächst im Vollbesitz

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chen sich – vergleichbar mit den „Philistern“ in Englischhornmelodie und die offenbar nicht „Till Eulenspiegel“ oder mit der „Wissenschaft“ stumm zu bekommende „Widersacher“-Musik in „Also sprach Zarathustra“ – in einer gleich- lassen einige Zweifel an der „Vollendung“ des sam akademisch ersonnenen, möglichst alle Helden. Geradezu aufgesetzt wirken mithin Noten der chromatischen Skala berücksich- die abschließenden Blechbläserakkorde, in die tigenden Tonreihe vernehmbar. „Meckernde“ eben auch das vielsagende „Zarathustra“- Oboen und leere Quinten der Tuben dienen Motiv hineintönt … hier einem recht kuriosen, von Strauss’ Vater durchaus bemängelten Verfahren: hohle, Julius Heile rechthaberische Kunstkritik nämlich in einem anspruchsvollen Kunstwerk darzustellen ... Ob die folgende, Wagners „Tristan“-Sphäre er- ahnen lassende Passage auch Strauss‘ eigent- liches Vorbild zu den „Widersachern“ zählen soll, oder ob hier ein Anschauungsobjekt „Hoher Kunst“ geliefert werden soll – der Held kann schließlich siegreich und in Es-Dur aus der Debatte hervorgehen.

Zur in der Solo-Violine repräsentierten „Ge- fährtin“ bemerkte Strauss gegenüber Romain Richard Strauss und seine Frau Pauline (Foto von 1894, Rolland: „Ich wollte meine Frau darstellen. dem Jahr der Hochzeit) Sie ist sehr komplex, sehr weiblich, ein wenig „Des Helden Widersacher“, Illustration zu „Ein Heldenleben“ pervers, ein wenig kokett, niemals sie selbst, wie zu Beginn (in einer Art Reprise) mit seinem aus der Berliner Musik- und Theaterzeitung, 1902 jede Minute anders.“ Demgemäß entfaltet sich markanten Thema auf und stellt anschließend der Dialog zwischen dem Helden und seiner seine „Friedenswerke“ zur Schau (es handelt seiner Kräfte und seines Selbstbewusstseins kapriziösen Gefährtin nicht in vollständigem sich um Zitate aus Strauss’ „Don Juan“ und vorstellt. Schon nach wenigen Takten aber wird Einvernehmen, auch wenn eine abermalige „Also sprach Zarathustra“, aber auch – um die deutlich, dass es sich hier keinesfalls um einen „Tristan“-Musik solches glauben macht. erwähnte tragikomische Komponente nicht einfältigen Charakter handelt, zeigt doch schon Immerhin schaffen es die beiden zusammen – zu vergessen – aus „Don Quixote“, „Till Eulen- ein zweiter Themenkomplex gewissermaßen so suggeriert es die Motivgestaltung –, sich auf spiegel“ sowie „Tod und Verklärung“). Das Ende das Gegenbild des auftrumpfenden Heroen und der „Walstatt“ (gewissermaßen die Durchfüh- dieses „Heldenleben“ ist indes weder Verklä- wird doch durch stete motivische Verwand- rung des Werks) gegen die erneut auftretenden rung noch Tod. Anstelle der ursprünglich ge- lungen und harmonische Trugschlüsse das Ver- „Widersacher“ durchzusetzen und ihren Sieg planten Idylle bleibt der Schluss seltsam wage trauen in diese Selbstgewissheit einigermaßen in einem glänzenden Duett zu feiern. Mit ge- und zerrissen. Eine wohl nicht zufällig an die ins Wanken gebracht. Die „Widersacher“ ma- stärktem Selbstbewusstsein tritt der Held nun 10. Variation aus „Don Quixote“ erinnernde

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Konzertvorschau Hamburgs „Titan“ Impressum Die ersten Konzerte des NDR Sinfonieorchesters in der Saison 2014/2015 auf der aktuellen CD Saison 2013 / 2014

Fr, 12.09.2014 | 19 Uhr B1 | Do, 18.09.2014 | 20 Uhr Die neue gemeinsame Einspielung von Thomas Herausgegeben vom Hamburg, Laeiszhalle A1 | So, 21.09.2014 | 11 Uhr Hengelbrock und dem NDR Sinfonieorchester NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK OPENING NIGHT – Hamburg, Laeiszhalle widmet sich einer Hamburger Besonderheit: PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK ITALIENISCHE NACHT Thomas Hengelbrock Dirigent Gustav Mahlers Erster Sinfonie in ihrer 5-sätzi- BEREICH ORCHESTER, CHOR UND KONZERTE Thomas Hengelbrock Dirigent Lisa Batiashvili Violine gen Hamburger Fassung von 1893, erstmals Leitung: Andrea Zietzschmann Nuria Rial Sopran gespielt nach der alle verfügbaren Quellen Maria Agresta Sopran Violinkonzert D-Dur op. 77 berücksichtigen Edition in der Neuen Kritischen Redaktion Sinfonieorchester: Atalla Ayan Tenor Antonín Dvořak Gesamtausgabe. Ein Fest für alle Mahler- Achim Dobschall Italienische Ouvertüren, Arien, Duette Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 Afi cionados und ein packendes Zeugnis der und Intermezzi vom Barock bis zum „Aus der Neuen Welt“ kreativen Energie des jungen Mahler in seiner Redaktion des Programmheftes: Belcanto und Verismo Hamburger Zeit, gespielt vom zukünftigen Julius Heile Einführungsveranstaltungen mit Thomas Hengelbrock: Residenzorchester der Elbphilharmonie! 18.09.2014 | 19 Uhr Der Einführungstext von Julius Heile 21.09.2014 | 10 Uhr ist ein Originalbeitrag für den NDR.

Fotos: Sheila Rock (S. 4) Marco_Borggreve (S. 5) akg-images (S. 6, S. 10, S. 11, S. 12) culture-images/Lebrecht (S. 9, S. 13) Philipp von Hessen (S. 14 links) Anja Frers | DG (S. 14 rechts) In der mittlerweile vierten Opening Night des NDR Sinfonie- orchesters geht es musikalisch nach Italien, ins Ursprungs- NDR | Markendesign land der Oper. Thomas Hengelbrock und seine Musiker ge - stalten zusammen mit drei internationalen Opernstars eine Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg „Liebeserklärung an das Singen – auch an das instrumentale“. Lisa Batiashvili, eine der gefragtesten Geigerinnen unserer Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. Zeit, ist in der Saison 2014/2015 „Artist in Residence“ Druck: Nehr & Co. GmbH beim NDR Sinfonieorchester. Im ersten von insgesamt drei Programmen im Rahmen dieser Residenz spielt sie das Violinkonzert von Johannes Brahms. Nachdruck, auch auszugsweise, Thomas Hengelbrock Dirigent nur mit Genehmigung des NDR gestattet. Gustav Mahler Sinfonie Nr. 1 Das NDR Sinfonieorchester im Internet (Hamburger Fassung 1983) ndr.de/sinfonieorchester facebook.com/ndrsinfonieorchester Sony 88843050542

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