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FUSSBALL Mit herzlicher Eiseskälte Die interessanteste Figur der neuen Bundesligasaison sitzt auf der Trainerbank. Nevio Scala hat die heikle Aufgabe, den nach drei Titeln saturierten Profis von neuen Schub zu geben. Der Italiener steht unter Erfolgsdruck: Der Klub will an die Börse.

o genau wissen die Fußballer von Borussia Dortmund noch nicht, was Sder neue Ausländer von ihnen will. „Heiko“, hat der über den Platz geschrien, „du mußt mit dem Bogen an Gesicht von Julio.“ Da will Heiko Herrlich aber nicht hin, das ist ihm zu direkt. „So“, meint der Fremde dann und macht vor, wie ein K.-o.-Schlag mit dem Ellenbo- gen funktioniert. Doch die Profis stehen immer noch ein wenig unschlüssig herum und vermeiden auch beim nächsten Eck- ball wieder jeglichen Körperkontakt. Später muß der Regisseur der Truppe mal etwas klarstellen. „Wir sind hier in Deutschland“, sagt Andreas Möller, 29, „wir sind sehr erfolgreich gewesen und müssen versuchen, unsere Tugenden an den Mann zu bringen.“ Das sollte auch ein Trainer verstehen können, der in Italien ein paar Titel gewonnen hat. Und darum sitzt der einstige Landwirt Nevio Scala, 49, nun auf diesem Barhocker und denkt darüber nach, ob er wohl Erfolg haben wird in Germania. Seine schmalen Füße stecken in feinen Wildlederschuhen, das Hemd ist offen, und die Krawatte steckt er in seine Tasche, während er über die komplizierten Fragen der Menschen- führung spricht. Viel Psychologie sei nötig, das sei schon

mal klar, und auch Philosophie schade M. SANDTEN / BONGARTS nicht. „Alle Probleme wird gelöst mit Spre- Dortmunder Trainer Scala: Vom Gürtel aufwärts Abgeklärtheit demonstrieren chen“, sagt der neue Trainer von Borussia Dortmund schließlich, „mit Kontakt.“ Den So muß der Neue künftig sensibel auf Denn längst war die Mannschaft in Spielern habe er bei seinem Amtsantritt eine selbstgewisse Clique von National- Gruppen zerfallen; Profis wie Steffen gesagt, daß er ihre „guten Gewohnheiten spielern eingehen und sie zugleich streng Freund oder kritisierten und Kapazitäten“ beizubehalten gedenke befehligen. Er muß das Spiel mit den Me- ihren Trainer und dessen und nur „ein bißchen meine Erfahrung“ dien beherrschen und gleichzeitig diskret angebliche strategische Defizite; und sie hinzufügen wolle. Das fanden die ganz sein. Insgesamt also hat Nevio Scala unge- untergruben seine Autorität dadurch, daß richtig so. fähr eine Synthese aus Berti Vogts, Ernst sie Verletzungen bei den Ärzten des Riva- Scala, soviel scheint sicher, hat das Happel, und Johan len Bayern München behandeln ließen und schwierigste Amt übernommen, das im Cruyff zu werden. so lange dort blieben wie eben möglich. deutschen Fußball in diesem Sommer zu Daß die Dortmunder so einen brauchen, Wenn er daran zurückdenkt, schwenkt vergeben war. Denn die Chefetage der haben sie in der vergangenen Saison lernen der Präsident auf einem Drehstuhl im Kon- Dortmunder, die in den vergangenen drei müssen. Da führte die riskante Expansion ferenzraum seiner Anwaltskanzlei hin und Jahren zweimal Deutscher Meister und der letzten Jahre, in denen jede fette Ein- her und bleibt lieber ein wenig abstrakt. Da Ende Mai Gewinner der europäischen nahme sofort in den Stadionausbau oder in sei „einfach eine Abnutzung“ feststellbar Champions League geworden sind, sieht einen weiteren „Volkshelden mit hohem gewesen, sagt Niebaum, 48, ein „ganz nor- in dem grauhaarigen Italiener den Mann, Image und Bekanntheitsgrad“ (Präsident maler Verschleiß“. Bei dem einen Trainer der ihren Klub auf die nächste Stufe hieven Gerd Niebaum) investiert wurde, den Klub gehe so etwas schneller, beim anderen, der werde – dorthin nämlich, wo aus Vereinen zwar einerseits an die Spitze des europäi- „mehr Klasse hat“, dauere es länger, aber Konzerne, aus Mitgliedern Aktionäre und schen Fußballs. Andererseits aber schien irgendwann sei für die Spieler bei jedem aus egozentrischen Fußballern Manager in die Reise damit zu Ende zu gehen: Die so- Befehlsgeber die „Summe der Negativ- Stollenschuhen werden sollen. ziale Schieflage war beträchtlich. erlebnisse“ einfach zu groß.

106 der spiegel 31/1997 In Dortmund – und damit ist er zurück Ende, sondern wieder mal im Aufbruch zu den ruhmreichen , 58, im Konkreten – sei „das alles beherrsch- Großartigem. zulegten. Der plagt sich beim FC Bayern bar“ gewesen. Aber „geknirscht“, so der Er sei da in einen wirklich besonderen allerdings noch immer mit seinem „Eng- Notar und Anwalt für Steuerrecht, habe Verein geraten, meint Nevio Scala; Männer lisch-Italienisch-Deutsch-Kauderwelsch“ es doch. Es gibt auch Herren im Klub, die mit Visionen sieht er im Ruhrgebiet wirken. (Manager Uli Hoeneß) herum und mit meinen, daß das 3:1 gegen Juventus Turin Und Spieler habe er nun in der Mann- Stars, die bei jeder Auswechslung meutern. im Finale der Champions League die al- schaft, die beim 100-Meter-Lauf „am Ende Nach Trapattonis Vorzügen gefragt, nen- lerletzte Kraftanstrengung der alten Trup- gebremst werden müssen“; in Italien hin- nen die Münchner ihren Trainer hilflos ei- pe gewesen sei – bei einer Niederlage, sagt gegen „mußt du sie schieben“. nen „Gentleman“; über sonstige Qualitä- etwa einer aus der Geschäftsstelle, „hätte Scala, auf der vereinsinternen Wunsch- ten sind sie sich selbst nach der gewonne- die Borussia auch kollabieren können“. liste hinter (jetzt FC Bar- nen Meisterschaft noch nicht im klaren. Der überraschende Sieg ließ den Macht- celona) und (Bayer Le- Als sich Scala und Trapattoni am ver- wechsel wie geplant wirken und damit sehr verkusen) zunächst die Nummer drei, hat gangenen Mittwoch beim Halbfinale des Liga-Pokals in Augsburg begegneten, war der Neue ziemlich auf Distanz bedacht. Vor dem Spiel vermied er Umarmung oder Händedruck; nachher hatte er „eine Mei- nung, different von Giovanni“, und dann wünschte er dem Rivalen „viel Erfolg – in der übernächsten Saison“. Er sei, sagt Scala über sich, ein Mann, „der mit sich selbst im reinen ist“. Wenn Borussia spielt, zucken zwar unter dem Stuhl seine Füße bei jeder Ballbewegung seiner Mannschaft hektisch mit; vom Gür- tel aufwärts aber demonstriert der Trainer Abgeklärtheit: keine Anweisungen, keine Pöbeleien gegen den Schiedsrichter, nur verschränkte Arme und ein lässiger Blick. Scala wuchs auf dem Bauernhof seiner Eltern in Lozzo Atestino (Provinz Padua) auf; er war Meßdiener, ehe er mit 15 Jah- ren auszog, um Fußball zu spielen: beim AC Mailand vor allem, aber auch bei Inter und bei AS Rom. Einmal sah er eine hübsche 17jährige am Strand und verlieb- te sich – seit 28 Jahren ist er nun mit Janny aus Ingolstadt verheiratet. Trainer wurde Scala zunächst bei einer Jugendmannschaft in Vicenza, ehe er sich über die Dörfer zum AC Parma hochdiente, wo er den Uefa- Cup und den Europacup der Pokalsieger gewann. Und nun ist er „bei den Europamei- stern“ angestellt und sehr stolz darauf.Wie

RAUCHENSTEINER schwer es sein kann, einen Haufen von Profi Cesar (beim Liga-Pokal-Spiel gegen Bayern München): „Drei oder vier ausmustern“ 30jährigen Millionären zu scheuchen, die gerade vom Gipfel kommen, ahnt er auch elegant. Hitzfeld trat vom diffizilen Amt die Dortmunder Führungscrew gleich beim schon. „Ich werde mit Herz mit ihnen spre- zurück und wurde zum Sportdirektor Vorstellungsgespräch überzeugt. Denn der chen“, sagt Scala, „ich hoffe, wir können hochgelobt. Als solcher, schwärmt Nie- Mann ist selbst im Deutschen ein gewief- wieder was gewinnen.“ baum, sei der Mann „die Eins-a-Lösung“ ter Rhetoriker. Ausladend gestikuliert er, Aber vielleicht ist der höfliche Herr ja für einen „neuen Aktionsradius“: Da mitt- mit seinem gewaltigen Unterkiefer und auch nur sehr kokett. In Wahrheit nämlich lerweile Manchester United, Real Madrid blitzenden Zahnreihen lacht er mächtig, plant Scala längst, die Mannschaft rund- und Juventus und nicht mehr Schalke 04 und nie verliert er den Blickkontakt. zuerneuern und Jahr für Jahr „drei oder die Konkurrenten seien, bräuchte der Klub Bei jenem Arbeitsessen in der Nähe des vier“ von den Etablierten auszumustern. einen Außenminister, der über den Konti- Düsseldorfer Flughafens sprach Scala von Niebaum, der glaubt, daß im Trainerfach nent fegt und „uns in Europa positioniert“. der italienischen Lehre, von langen Trai- „die Fossile und die Dinosaurier ausster- „Nur mit dem Erfolg im Rücken“ konn- ningslagern und Übungsprogrammen, wel- ben“, hält ihn schließlich für den Prototy- te Niebaum dann den eigenen Rücktritt che ein Computer für jeden Spieler exakt pen einer neuen Generation – jene dyna- und eine Satzungsänderung ankündigen. vorgibt. Dann stellte er Fragen. Solch einen mischen Personalchefs, die so tun, als hät- Im November soll der Ballspielverein 09 hatten sie gesucht: einen, der „die Konti- ten sie für jede Sorge ihrer Untergebenen Borussia zu einer Kapitalgesellschaft mit nuität wahrt und doch Innovation ein- größtes Verständnis und dann mit Eises- hauptamtlichem Vorstand werden und Nie- bringt“ (Niebaum), der international an- kälte die nötigen Entscheidungen treffen. baum zum Chef des Aufsichtsrats; die Ak- erkannt ist und dem deutschen Fußball das Neulich bestellte Scala die Profis zur Be- tiengesellschaft wird im kommenden Jahr Flair der italienischen Seria A einhauchen sprechung in den „Abstellraum“. Der Prä- folgen, „und dann haben Sie Borussia in möge. sident lachte und sagte: „Er meint natürlich sechs Monaten an der Börse“. Und auf ein- Ähnliches hatten vor den Westfalen die Umkleidekabine.“ Die Profis jedoch mal wähnt sich der Klub nicht mehr am schon die Münchner im Sinn, als sie sich waren sich da nicht so sicher. ™

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