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Deutsches Archäologisches Institut • Jahresbericht 2008 Archäologischer Anzeiger 2009/1 Beiheft Deutsches Archäologisches Institut

Deutsches Archäologisches Institut • Jahresbericht 2008 Archäologischer Anzeiger 2009/1 Beiheft Deutsches Archäologisches Institut

JAHRESBERICHT 2008

Hirmer Verlag · München ARCHÄOLOGISCHER ANZEIGER • BEIHEFT die Zeitschrift erscheint seit 1889, das Beiheft mit dem Jahresbericht des DAI seit 2008

AA 2009/1 Beih. • VI, 430 Seiten mit 581 Abbildungen

Herausgeber Deutsches Archäologisches Institut Zentrale Podbielskiallee 69–71 D–14195 Berlin www.dainst.org

© 2009 Deutsches Archäologisches Institut / Hirmer Verlag GmbH ISSN: 0003-8105 · ISBN 978-3-7774-2501-6 Gesamtverantwortlich: Redaktion an der Wissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin (www.dainst.org) Redaktion, Layout und Satz: Dorothee Fillies, Berlin (www.redaktion-layout-satz.de), nach Standard-Layout des Archäologischen Anzeigers von F217 Sailer/Sohn, Berlin (www.F217.de) Bildbearbeitung und Umschlag: Catrin Gerlach, Deutsches Archäologisches Institut, Zentrale Herstellung und Vertrieb: Hirmer Verlag GmbH, München (www.hirmerverlag.de) Titelbilder: Nach Projekt-Bildern der Zentrale, 7 Abteilungen und 3 Kommissionen des DAI Abbildungen: Eine Einholung der Nutzungsrechte aller Darstellungen, für die die Projekte des DAI nicht die Rechteinhaber sind, wurde angestrengt. In Einzelfällen konnten Copyright-Inhaber nicht ausfindig gemacht werden bzw. erfolgte keine Rückmeldung auf diesbezügliche Anfragen. Wir möchten Sie bitten, in solchen Fällen einen entsprechenden Hinweis an die Redaktion des DAI ([email protected]) zu senden, damit eine Einholung der Publikationserlaubnis schnellstmöglich noch vorgenommen werden kann. – Länderkarten: Weltkarte nach R. Stöckli, E. Vermote, N. Saleous, R. Simmon and D. Herring (2005). The Blue Marble Next Generation – A true color earth dataset including seasonal dynamics from MODIS. Published by the NASA Earth Observatory. Corresponding author: [email protected]. – Flüsse nach Global Runoff Data Centre (2007): GIS Layers of Major River Basins of the World. 1st edition. GRDC in the Bundesanstalt für Gewässerkunde, 56068 Koblenz, , http://grdc.bafg.de. – Ländergrenzen nach Environmental Systems Research, Inc. (ESRI), 20050811, Countries: ESRI Data & Maps 2005, Environmental Systems Research Institute, Inc. (ESRI), Redlands, California, USA Erscheint auch als digitale Version auf der Homepage des DAI (www.dainst.org) Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten. Printed and Bound in Italy Inhalt

DEUTSCHES ARCHÄOLOGISCHES INSTITUT

JAHRESBERICHT 2008

1 Vorwort

2 Zentrale

65 Abteilung Rom

105 Abteilung Athen

122 Römisch-Germanische Kommission

153 Abteilung Kairo

191 Abteilung

227 Abteilung Madrid

274 Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik

287 Orient-Abteilung

342 Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen

369 Eurasien-Abteilung

421 Forschungsstellen am Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DEI) in Amman und Jerusalem Berlin Bonn Frankfurt München

Rom Madrid Istanbul Athen

Damaskus Jerusalem Kairo Amman Jahresbericht 2008 des Deutschen Archäologischen Instituts

Ulaanbaatar

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Deutsche Archäologische Institut konnte im Jahr 2008 seine vielfältigen Unternehmungen mit Erfolg fortführen. Zahlreiche Schwerpunkte der Institutsarbeit ließen sich voranbringen, da- runter sind als besonders positiv hervorzuheben die 2008 weitergeführten, in- terdisziplinären Arbeiten in den fünf Forschungsclustern des DAI »Von der Teheran Sesshaftigkeit zur komplexen Gesellschaft: Siedlung, Wirtschaft, Umwelt«, »In- Baghdad novationen: technisch, sozial«, »Politische Räume«, »Heiligtümer. Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung« und nicht zuletzt »Geschichte des Deut- schen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert«. Die Forschungscluster des DAI haben es sich zur Aufgabe gemacht, die weltweit angesiedelten Projekte des Instituts unter übergeordneten Fragestellungen in Kooperation mit Univer- sitäten und Forschungseinrichtungen im In- und Ausland hinsichtlich kultu- reller Phänomene und Prozesse vergleichend zu beleuchten und zu vernetzen. Im Februar wurde mein Vorgänger im Amt des Präsidenten des Deutschen Sana’a Archäologischen Instituts, Hermann Parzinger, verabschiedet, der das Institut fünf Jahre verdienstvoll geleitet hat und nun als neuer Präsident der Stiftung Preu- ßischer Kulturbesitz weiterhin eng mit dem Institut verbunden bleiben wird. Das DAI dankt der Bundesregierung und dem Bundestag für die Bewilli- gung der Haushaltsmittel. Besonderer Dank sei dem Auswärtigen Amt für die wohlwollende Begleitung und Unterstützung der Institutsarbeit ausgespro- chen. Auch in diesem Jahr wurde eine große Anzahl von Projekten in den Gastländern durch verschiedenste Institutionen der Wissenschaftsförderung unterstützt und häufig erst realisiert, unter denen die Deutsche Forschungs- gemeinschaft, die Gerda Henkel Stiftung, die Fritz Thyssen Stiftung, die Max- Planck-Gesellschaft, die VolkswagenStiftung, die American Friends of the German Archaeological Institute und die Gesellschaft der Freunde des DAI/ Theodor Wiegand Gesellschaft besonders herauszustellen sind. Dank dafür gilt ihnen wie weiteren privaten Stiftungen, Kooperationspartnern und För- derern aus dem Bereich der Industrie, deren Unterstützung bei den entspre- chenden Unternehmungen gewürdigt wird. In die Danksagung an dieser Stel- le seien auch die Institutionen, Behörden und Wissenschaftler unserer Gast- länder für die herzliche Aufnahme und die herausragende Unterstützung der Forschungsarbeit eingeschlossen. Der hier vorgelegte Jahresbericht soll in einem Überblick über die weitge- fächerten Forschungsaktivitäten der Zentrale, der Abteilungen und Kommissi- onen von der erfolgreichen internationalen Zusammenarbeit Zeugnis geben.

Hans-Joachim Gehrke Präsident, Generalsekretär, Mitglieder der Zentraldirektion und des Direktoriums

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hermann Parzinger (bis 29. 2.) Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke (ab 1. 3.)

Generalsekretär Prof. Dr. Ortwin Dally, Vertreter des Präsidenten

Mitglieder der Zentraldirektion Mitglieder des Direktoriums Der Präsident (Vorsitzender) Maran, Joseph, Prof. Dr. Der Präsident (Vorsitzender) Borbein, Adolf H., Prof. Dr. Dr. h. c. Ruprecht-Karls-Universität Der Generalsekretär (Stellvertreter im Vorsitz) Institut für Ur- und Frühgeschichte und (Vertreter des Präsidenten) Freie Universität Berlin Vorderasiatische Archäologie Dreyer, Günter, Prof. Dr. (bis 31. 10.) Institut für Klassische Archäologie Marstallhof 4 DAI, Abteilung Kairo Otto-von-Simson-Str. 11 D-69117 Heidelberg 31, Sharia Abu el-Feda D-14195 Berlin Martini, Wolfram, Prof. Dr. ET-11211 Kairo-Zamalek Eichmann, Ricardo, Prof. Dr. Justus-Liebig-Universität Seidlmayer, Stephan, Prof. Dr. (Vertreter des Direktoriums) Professur für Klassische Archäologie (designierter Direktor) DAI, Orient-Abteilung Otto-Behaghel-Str. 10 D DAI, Abteilung Kairo Podbielskiallee 69–71 D-35394 Gießen 31, Sharia Abu el-Feda D-14195 Berlin Maul, Stefan, Prof. Dr. ET-11211 Kairo-Zamalek Kobler Martin, MD Ruprecht-Karls-Universität Eichmann, Ricardo, Prof. Dr. (Vertreter des Auswärtigen Amts) Seminar für Sprachen und Kulturen des DAI, Orient-Abteilung Auswärtiges Amt, Leiter der Kultur- Vorderen Orients – Assyriologie Podbielskiallee 69–71 und Kommunikationsabteilung Hauptstr. 126 D-14195 Berlin Werderscher Markt 1 D-69117 Heidelberg Hansen, Svend, Prof. Dr. D-10117 Berlin Nielsen, Inge, Prof. Dr. DAI, Eurasien-Abteilung Bergmann, Marianne, Prof. Dr. Universität Hamburg Im Dol 2–6, Haus II Georg-August-Universität Archäologisches Institut D-14195 Berlin Archäologisches Institut Edmund-Siemers-Allee 1, Flügel West Hesberg, Henner von, Prof. Dr. Nikolausberger Weg 15 D-20146 Hamburg DAI, Abteilung Rom D-37073 Göttingen Reinsberg, Carola, Prof. Dr. Via Sardegna, 79 Daim, Falko, Prof. Dr. Universität des Saarlandes I-00187 Rom Generaldirektor, Römisch-Germani- Institut für Klassische Archäologie Lüth, Friedrich, Prof. Dr. sches Zentralmuseum Campus/Gebäude B3 1 Römisch-Germanische Kommission Ernst-Ludwig-Platz 2 D-66123 Saarbrücken des DAI D-55116 Mainz Strube, Christine, Prof. Dr. Palmengartenstr. 10–12 Fless, Friederike, Prof. Dr. Ruprecht-Karls-Universität D-60325 Frankfurt a. M. Freie Universität Berlin Institut für Byzantinische Archäologie Marzoli, Dirce, Prof. Dr. Institut für Klassische Archäologie und Kunstgeschichte DAI, Abteilung Madrid Otto-von-Simson-Str. 11 und 7 Marstallhof 4 Serrano 159 D-14195 Berlin D-69117 Heidelberg E-28002 Madrid Funke, Peter, Prof. Dr. (ab 1. 3.) Wildung, Dietrich, Prof. Dr. Niemeier, Wolf-Dietrich, Prof. Dr. Dr. h. c. Westfälische Wilhelms-Universität Ägyptisches Museum und Papyrus- DAI, Abteilung Athen Seminar für Alte Geschichte, FB 7 sammlung der Staatlichen Museen zu Fidiou 1 Domplatz 20–22 Berlin PK GR-10678 Athen D-48143 Münster Bodestr. 1–3 Pirson, Felix, PD Dr. Hölscher, Tonio, Prof. Dr. D-10178 Berlin DAI, Abteilung Istanbul Ruprecht-Karls-Universität Buchner, Edmund, Prof. Dr. İnönü Caddesi 10 Institut für Klassische Archäologie Präsident i. R., TR-34437 Gümüşsuyu-Istanbul Marstallhof 4 Nadistr. 14 Schuler, Christof, PD Dr. D-69117 Heidelberg D-80809 München (ohne Votum) Kommission für Alte Geschichte und Käppel, Lutz, Prof. Dr. Kyrieleis, Helmut, Prof. Dr. Dr. h. c. Epigraphik des DAI Christian-Albrechts-Universität Präsident i. R., Amalienstr. 73b Institut für Klassische Altertumskunde c/o DAI, Podbielskiallee 69–71 D-80799 München Leibnizstr. 8 D-14195 Berlin (ohne Votum) Vogt, Burkhard, Dr. D-24118 Kiel Parzinger, Hermann, Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Kommission für Archäologie Außereu- Koenigs, Wolf, Prof. Dr.-Ing. Präsident, Präsident der Stiftung Preußi- ropäischer Kulturen des DAI Technische Universität München scher Kulturbesitz (ab 1. 3.) Dürenstr. 35–37 Baugeschichte und Bauforschung Von-der-Heydt-Str. 16–18 D-53173 Bonn Arcisstr. 21, D-80290 München D-10785 Berlin (ohne Votum) Zentrale

Zentrale Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hermann Parzinger (bis 29. 2.) Podbielskiallee 69–71 Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke (ab 1. 3.) D-14195 Berlin Tel.: +49-(0)3018 7711-0 Generalsekretär Fax: +49-(0)3018 7711-168/190/191 Prof. Dr. Ortwin Dally, Vertreter des Präsidenten E-Mail: [email protected] Leiterin des Architekturreferats Dr.-Ing. Ulrike Wulf-Rheidt

Leiter der Verwaltung Hartmut Gerlach (bis 31. 1.) Rainer Weiß (ab 1. 2.) Joachim Hahn (stellv. Leiter ab 1. 2.)

Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Dr. Peter Baumeister (ab 1. 3.), Prof. Dr. Norbert Benecke, Dr. Uta Dirschedl, Andreas Geißler M. A. (Projektschwerpunkte an der Universität zu Köln, Archäologisches Institut), Dr. Frank Godthardt (bis 31. 10.), Dr. Julia Gresky (ab 1. 11.), Prof. Dr. Hans Rupprecht Goette, Dr. Karl-Uwe Heußner, Rainer Komp M. A., Dr. Michael Krumme, Dr. Monika Linder, Dr. Susanne Moraw, Dr. Anatoli Nagler (bis 31. 1.), Dr. rer. nat. Reinder Neef, Dr. Andreas Oettel (ab 17. 3.), Patricia Rahemipour M. A. (ab 12. 11.), Dr. Felix Schäfer (Universität zu Köln, Archäologisches Institut, Projektschwerpunkte an der Zentrale), Dr.-Ing. Peter Schneider, Dr. Florian Seiler, Dr. Simone Wolf, Dr. Susanne Voss-Kern (bis 10. 7.), Dr. Hauke Ziemssen (bis 1. 3.)

Fortbildungsstipendiaten und Fortbildungsstipendiatinnen Dr. Soi Agelidis (bis 17. 8.), Dr. Dirk Brandherm, Dr. Georg Breitner, Dr. Renate Heckendorf, Dr. Frauke Heinrich, Dr. Jörg Holzkämper (bis 31. 12.), Dr. Oliver Hülden, Dipl.-Ing. Claudia Lacher, Dipl.-Ing. Daniel Lohmann, Dr. Sonja Magnavita (bis 31. 12.), Dr. Roland Oetjen, Dr. Iken Paap (bis 30. 6.), Dipl.-Ing. Timm Radt, Dr. Andrea Schmölder-Veit, Dipl.-Ing. Verena Stappmanns, Dr. Mike Teufer

Wissenschaftliche Hilfskräfte Dr. Veronica Bucciantini (ab 4. 9.), Anja Endrigkeit M. A. (ab 1. 4.), Frederick Jagust M. A., Veronica Hinterhuber M. A., Dipl.-Ing. Janet Lorentzen, Dominik Lukas M. A. (ab 10. 3.), Henny Piezonka M. A. (bis 31. 4.), Dr. Ulrich Sens (bis 31. 1.), Marie Vigener M. A., Jennifer Wilde M. A., Dipl.-Ing. Claudia Winterstein

Aus Drittmitteln finanzierte Stellen Dr.-Ing. Catharine Hof (DFG, 6 Monate), Dipl.-Ing. Juren Meister (DFG), Ulrike Nowotnick M. A. (DFG, 8 Monate), Dr. Andreas Oettel (DFG, bis 16. 3.)

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Tatjana Petersen M. A. (1. 2. bis 30. 9.), Nicole Kehrer M. A. (ab 1. 11.)

Zentrale

Ausgrabungen und Forschungen

Editionsprojekt FGrHist V, Fragmente der griechischen Historiker (Antike Geographen) Nachdem Felix Jacoby (Abb. 1) bereits 1908 in einer programmatischen Rede in Berlin sein Vorhaben, die Fragmente der griechischen Historiker – FGrHist – zu publizieren, angekündigt hatte, veröffentlichte er ein Jahr später (Klio 9, 1909, 80–123) einen ausführlichen Text, in dem er die Entwicklung der griechischen Historiographie skizzierte und sein Arbeitsprogramm darlegte, an das er sich auch im Großen und Ganzen später hielt: Prinzip seiner Auswahl und Reihung waren die historische Entwicklung der Geschichtsschreibung und die Ausrich- tung der Werke (I. Genealogie und Mythographie; II. Universal- und Zeitge- schichte. Chronographie; III. Ethnographie und Horographie; IV. Antiquari- sche Geschichte und Biographie; V. Geographie; VI. Unbestimmbare Autoren. Theorie der Geschichtsschreibung). Felix Jacobys Bände (FGrHist I–III, 1923–1958) sind deswegen eine unent- behrliche Arbeitsgrundlage für die altertumswissenschaftliche Forschung. Ja- coby selbst aber konnte sein Werk der Fragmente Griechischer Historiker nicht mehr vollenden, schon in den 1920er Jahren wurde der Freiburger Gelehrte Friedrich Gisinger mit der Edition der fünften Abteilung (FGrHist V) betraut. Gisinger konnte jedoch seine Arbeiten an den Fragmenten bis zu seinem Tod 1964 ebenfalls nicht abschließen. 1996 wurde unter Leitung von H.-J. Gehrke am Seminar für Alte Geschichte der Universität Freiburg die Arbeit an FGrHist V erneut aufgenommen. D. Meyer koordinierte die Fortsetzung des Sammelwerkes und von Juni 2002 bis 2006 organisierte A. Arenz die Koordination dieses international an- gelegten Projekts. Mittlerweile sind an der Edition des fünften Bandes der FGrHist 38 For- scher beteiligt: 9 aus Italien, 2 aus Frankreich, 2 aus Spanien, 4 aus Russland, 2 aus England, 1 aus der Schweiz und 18 aus Deutschland. Seit Ende 2008 widmet sich V. Bucciantini der Koordination und Orga- nisation des FGrHist V. Ziel des Editionsprojekts ist die systematische Zusam- menstellung aller fragmentarisch erhaltenen geographischen Autoren in philo- logisch kritischer und historischer Kommentierung. Die Fragmente werden – im Unterschied zu Felix Jacoby – übersetzt (ins Deutsche, Englische, Französi- sche, Italienische oder Spanische, nach Wahl des jeweiligen Bearbeiters). Die geographischen Autoren wurden in drei Teile gegliedert: FGrHist V 2000–2099 beschreibende Geographie und FGrHist V 2100–2199 mathema- tische Geographie sowie FGrHist V 2200–2299 Berichte über Entdeckungs- reisen (Abb. 2. 3). Alle 38 Forscher stehen untereinander in Kontakt, ein Projekt einer Ge- denkfeier aus Anlass des 50. Todestages von Felix Jacoby wird voraussichtlich mit W. Rösler (Humboldt-Universität zu Berlin) organisiert werden. Der Brill Verlag in Leiden wird die Fragmentsammlung publizieren und et- liche Autoren werden demnächst über die Website des Brill Verlags () elektronisch greifbar sein. Das Vorhaben ist – als Grundlagenprojekt – von besonderer Bedeutung Abb. 1 Editionsprojekt FGrHist V, für das Studium der antiken Raumvorstellungen und deshalb auch mit dem Fragmente der griechischen Historiker (Antike Geographen). Felix Jacoby trinationalen Projekt »Raum und Macht« von H.-J. Gehrke und dem Berliner (19. März 1876 – 10. November 1959) Exzellenzcluster »Topoi« eng verbunden. Das Projekt wurde von der DFG

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Abb. 2 Editionsprojekt FGrHist V, Fragmente der griechischen Historiker (Antike Geographen). Eine kartographische Umsetzung des Oikumenebildes des Eratosthenes

Abb. 3 Editionsprojekt FGrHist V, Fragmente der griechischen Historiker (Antike Geographen). Schematische Rekon- struktion von Herodots Bild der Meere und Kontinente

gefördert und ist nun im Forschungscluster 3 »Politische Räume« des DAI angesiedelt. Kooperationspartner: Università degli Studi di Firenze (S. Bianchetti); Uni- versità degli Studi di Perugia (F. Prontera); Université de Nice (P. Arnaud) • Leitung des Projekts: H.-J. Gehrke • Mitarbeiterin: V. Bucciantini • Abbil- dungsnachweis: nach Navicula Chiloniensis, Studia philologa Felici Jacoby Professori Chiloniensi emerito octogenario oblata (Leiden 1956) frontispicium (Abb. 1); nach J. Engels, Die Raumauffassung des augusteischen Oikumene- reiches in den Geographika Strabons, in: M. Rathmann (Hrsg.), Wahrnehmung und Erfassung geographischer Räume in der Antike (Mainz 2007) 130 (Abb. 2); nach R. Bichler, Herodots Historien unter dem Aspekt der Raumerfas- sung, in: M. Rathmann (Hrsg.), Wahrnehmung und Erfassung geographischer Räume in der Antike (Mainz 2007) 68 (Abb. 3).

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Abb. 4 Taganrog und Umgebung Taganrog und Umgebung (Russische Föderation) (Russische Föderation), Novo Zolotovka. Nachdem mit Taganrog von 2004 bis 2007 die Topographie und zeitliche Er- Geophysikalisches Messbild mit Plan der streckung einer der frühesten griechischen Handelsstützpunkte im nördlichen Ausgrabungen und Höhenrelief (M. 1 : 2000) Schwarzmeerraum an der Mündung des Don in das Asovsche Meer näher un- tersucht werden konnte, konzentrierten sich die Forschungen in diesem Jahr auf die eingehendere Untersuchung der Besiedlungsgeschichte der westlich gelegenen Halbinsel am Liman und des Don-Deltas. Mit Hilfe moderner Prospektionsverfahren und gezielter Ausgrabungen soll der Frage nachgegan- gen werden, welche Formen der symbolischen Raummarkierung (Bestattun- gen, Siedlungen, Verkehrswege) nach dem Aufeinandertreffen einer nomadi- sierenden und einer sesshaften Lebensweise im Umland von Taganrog von der späten Bronzezeit bis zur frühen Eisenzeit entwickelt worden sind. Feldforschungen fanden in der 10 km westlich von Taganrog an der Küs- te des Asovschen Meeres gelegenen einheimischen Siedlung Novo Zolotovka (4. bis frühes 3. Jh. v. Chr.) statt, die bereits 2007 prospektiert worden war (Abb. 4). Erste Ausgrabungen der lokalen Denkmalpflege, des Museums Taganrog und der Don-Archäologischen Gesellschaft Rostov am Don sind 1979/1980 und 1996 durchgeführt, jedoch die jeweiligen Ausgrabungsberichte bislang nicht publiziert worden. Die älteren Funde (u. a. griechische Amphorenfrag- mente) werden im Museum von Taganrog aufbewahrt. Bei den neuerlichen Grabungen wurden 12 Quadrate (4 m × 4 m) am nordöstlichen Rand des Siedlungsareals bis zu einer Tiefe von 2 m abgeteuft. Freigelegt wurde ein Haus aus gebrannten Lehmziegeln mit Ofen und Feuer-

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Abb. 5 Taganrog und Umgebung (Russische Föderation), Novo Zolotovka. Haus mit Wänden aus gebranntem Lehmverputz (4. Jh. v. Chr.)

stellen (Abb. 5). Dieser Haustypus war bislang nicht bekannt; bei den älteren Grabungen wurden ausschließlich die Überreste von Häusern mit steinernen Fundamenten freigelegt. In der unmittelbaren Umgebung des Hauses fanden sich zahlreiche Gruben, die mit Steinen, Keramik, gebranntem Lehm und Knochen verfüllt waren, sowie die Überreste von Häusern mit steinernen Fundamenten. In der weiteren Umgebung konnte eine Wallanlage dokumen- tiert werden, die die Siedlung umgab. Indizien wiesen ferner darauf hin, dass nördlich der Siedlung die zugehörige Nekropole gelegen haben könnte. Die Siedlung weist hinsichtlich der Typologie der Hausbauten Parallelen zu der Siedlung von Elisavetovka im Don-Delta auf, die um die Wende vom 6. zum 5. Jh. v. Chr. gegründet wurde und bis in das frühe 3. Jh. v. Chr. hinein bestand. Anders als von Teilen der russischen Forschung vertreten, zeigen die Forschungen in Novo Zolotovka sehr deutlich, dass Elisavetovka nicht die einzige Siedlung im Don-Delta während des 4. Jhs. v. Chr. gewesen sein kann. Vielmehr scheint ein Netz von Siedlungen existiert zu haben, zu dem neben Novo Zolotovka auch Petruschno Kosa unmittelbar westlich von Taganrog und Bugrij im Don-Delta gehört haben müssen. Vermutlich verfügten all diese Siedlungen über Kontakte zum Schwarzmeerraum und dem Bosporanischen Reich. Darauf deutet das Fundspektrum hin. Es besteht zu rund 60–70 % aus handgefertigter Ware in einheimischer Tradition und zu rund 40–30 % aus Importkeramik des 4. bis frühen 3. Jhs. v. Chr. (u. a. Herakleia Pontike, Pantikapeion, Phanagoreia, Abb. 6). Keramik aus dem östlichen Mittelmeer- raum war im Gegensatz zu Taganrog nicht vertreten. Interessant ist die Beob- achtung, dass die Siedlung in demselben Zeitraum aufgegeben wurde, in dem Elisavetovka durch Brand zerstört und die Tanais im Don-Delta von Kaufleu- ten aus dem Bosporanischen Reich gegründet wurde. Weiterer Forschungen bedarf die Frage, ob hier durch eine konzertierte Aktion der Einfluss des Bos- poranischen Reiches auf das Don-Delta dauerhaft gesichert werden sollte. Mit den Grabungen verbunden war eine Fortsetzung des im letzten Jahr begonnenen extensiven Surveys. Mittels GPS vermessen und in eine satelli- tenbildgestützte Karte eingetragen wurden zahlreiche Kurgane und 15 neu entdeckte Siedlungsplätze. Beobachtet werden konnten unterschiedliche Sys- teme des Verhältnisses von Siedlung und Kurganen. Letztere sind in der späten Bronzezeit zu Gruppen angeordnet, in der frühen Eisenzeit, dem Zeitraum der Abb. 6 Taganrog und Umgebung Gründung von Taganrog, wird, soweit bekannt, die enge Verbindung von (den (Russische Föderation), Amphorenfuß aus nur noch spärlich nachgewiesenen) Siedlungen und Kurganen aufgebrochen. Herakleia Pontike (?); 4. Jh. v. Chr.

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In Verbindung mit diesen Forschungen standen geologische Untersuchun- gen zu Klimadaten sowie zur Landschaftsmorphologie und Geochronologie des Umlandes von Taganrog und der Küsten der Halbinsel am Myus Liman mit Hilfe gezielter Bohrungen (Abb. 7). Mittelpunkt der ersten Hälfte der Geländekampagne war die Sondierung von Gebieten mit feuchtem Milieu, wie z. B. alten Flussarmen, Flusstälern, Auen-, Küsten- und Deltabereichen. Des Weiteren wurden geologische Aufschlüsse an der Küste und in Tagebau- gebieten erkundet. Insgesamt erfolgten Sondierungen auf der Halbinsel von Taganrog, am Myus Liman, im Don-Delta und entlang der Flüsse Elantschik, Myus und Sambek. Mittels verschiedener Handbohrgeräte wurde dieses Ge- lände nach geeigneten Archiven (d. h. tonig, torfige Ablagerungen mit einem hohen Anteil an organischem Material) für die Pollenanalyse untersucht. Es erfolgten gezielt 45 Bohrungen (Tiefe 3,4–6 m) und Probennahmen im Küs- tenbereich der Halbinsel, im Don-Delta, im Chavalital und im Sambektal. Im oberen Sambektal im Auenbereich des sog. Trockenen Sambeks wurden nahe einer bronzezeitlichen Siedlung mit Kurgan zwei Kerne für die pollenanaly- tische Untersuchung entnommen. Survey, Bohrungen und gezielte Grabungen im Umland von Taganrog sol- Abb. 7 Taganrog und Umgebung len 2009 fortgesetzt werden. Die Feldforschungen werden sich 2009 auf die (Russische Föderation), Bohrarbeiten auf 2007 prospektierte Siedlung von Levinsadovka an der Mündung des Myus der Halbinsel am Myus Liman Liman konzentrieren. Es handelt sich um einen spätbronzezeitlichen Sied- lungsplatz, der zerstört oder aufgegeben worden ist, um vermutlich im 5. Jh. v. Chr. wieder besiedelt zu werden. Die griechischen Lesefunde lassen wiede- rum Kontakte zum Bosporanischen Reich und zum Schwarzmeerraum ver- muten. Die Grabungen sollen weiterhin Aufschluss darüber geben, warum die reichhaltige Siedlungslandschaft im Don-Delta mit dem Ende der späten Bronzezeit im späten 2. Jt. v. Chr. stark ausdünnt und erst wieder ca. 200 Jahre nach der Gründung Taganrogs im späten 5./frühen 4. Jh. v. Chr. an Dynamik gewinnt. Kooperationspartner: Institut für Archäologie der Akademie der Wissen- schaften in Moskau (V. Kuznetsov); Don-Archäologische Gesellschaft Rostov am Don (A. Zibrij, V. Zibrij, A. Isakov, P. A. Larenok); Institut für Geogra- phische Wissenschaften, Fachrichtung Physische Geographie der Freien Uni- versität Berlin (B. Schütt, Ch. Singer); Institut für Strahlen- und Kernphysik der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (H. Mommsen) • Förderung: Exzellenzcluster »Topoi« • Leitung des Projekts: O. Dally • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: M. Blättermann, V. Boecker, A. S. Flade, P. Grunwald, J. Heymach, S. Huy, U. Kapp, M. Schlöffel, T. Schunke, Ch. Singer, N. Ullrich, L. van Hoof • Abbildungsnachweis: J. Heymach, U. Kapp auf der Grundlage von Ch. Klein, H. Stümpel (Abb. 4); O. Dally (Abb. 5); P. Grunwald (Abb. 6); M. Schlöffel (Abb. 7).

Rom (Italien), Palatin In diesem Jahr konnten die Untersuchungen zu den Palästen der römischen Kaiser auf dem Palatin in Rom fortgesetzt werden. Die Arbeiten zur Neuauf- nahme und erstmaligen, umfassenden bauforscherischen Analyse der Domus Augustana wurden abgeschlossen und um die Dokumentation des Bereiches der Domus Flavia erweitert. Mit der Erstellung eines Grundrissplanes und eines Querschnittes der Domus Flavia im M. 1 : 100 wurden die 1998 an der Ostseite des Palatin begonnenen Bauaufnahme- und Vermessungsarbeiten zu einem vorläufigen Abschluss gebracht. Es liegen nun von allen Teilbereichen des Palastausbaus ab der flavischen Zeit (2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr.) detaillierte Bauaufnahmepläne als Grundlage für die Bauanalyse vor (Abb. 8). In einer

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Abb. 8 Rom (Italien), Palatin. Bauaufnahmeplan des Hauptgeschosses der Domus Augustana, des Gartenstadions und der Domus Severiana mit Eintragung der Bauphasen (Stand 2/2009) sowie Bauaufnahmeplan der Domus Flavia. Deutlich wird, dass die Domus Augustana nicht einheitlich flavisch (orange Phase) entstanden ist, sondern zahlreiche Umbauphasen bis in maxentianische Zeit aufweist (M. 1 : 2000) Zentrale in Berlin 11

diesjährigen Aufarbeitungskampagne wurden die Arbeiten am Raumbuch fortgesetzt, in dem systematisch alle relevanten Daten und Beobachtungen zu den einzelnen Räumen der Domus Augustana in Skizzen, Photographien und kurzen Beschreibungen festgehalten sind. Gleichzeitig wurden die Arbeiten zur Untersuchung der opus caementicium-Fundamente über den Bereich der Domus Augustana hinaus auf das Gartenstadion und die Domus Severiana ausgedehnt. Die Untersuchung der opus testaceum-Konstruktionen der Domus Augustana, des Gartenstadions und der Domus Severiana sowie der Katalog aller Ziegelstempel, die sich noch in situ befinden oder durch die Literatur eindeutig zuordenbar sind, wurde abgeschlossen. Die ersten, vorläufigen Ergebnisse zur Phasenabfolge der Domus Augustana konnten weitgehend bestätigt werden (s. AA 2008/1 Beiheft, 9–13 Abb. 8). Eindeutig nachweisbar ist, dass die erhaltenen Baureste der Domus Augustana mit ihren drei Teilbereichen, dem »no man’s land« im Norden, den Räumen um das zentrale ›Inselperistyl‹ und den Räumen um das ›versenkte Peristyl‹ im Süden nicht einheitlich entstanden sind. Damit wurde bestätigt, dass es kei- nen einheitlichen Neubau unter Kaiser Domitian gegeben haben kann. Bau- fugen, unterschiedliche Mauercharakteristika und zahlreiche in situ befindli- che Ziegelstempel sind vielmehr eindeutige Hinweise auf mehrere Bauphasen, wobei eine neronische Vorgängerbebauung in diesem Bereich offensichtlich die Ausrichtung der flavischen Neubauten auf der Hauptebene maßgeblich bestimmt hat (Abb. 8). Während sich im Untergeschoss des ›versenkten Peristyls‹ eine frühflavische Phase weitgehend rekonstruieren lässt (s. AA 2007/2, 151 Abb. 22), kann die Gestaltung des Obergeschosses für diese Bauphase bisher nicht geklärt wer- den, da sich dort insgesamt nur sehr wenige Mauern in frühflavischer Mauer- und Fundamenttechnik erhalten haben. Dies könnte dafür sprechen, dass mit den Räumen um das ›versenkte Peristyl‹ der unteren Ebene in frühflavischer Zeit begonnen wurde und die Räume der Hauptebene zwar zu der gleichen Planungsphase gehören, aber erst in einer späteren Ausbauphase fertiggestellt wurden. Die dem Hauptgeschoss des ›versenkten Peristyls‹ zuweisbaren Mar- morbauteile, die alle nicht flavisch zu datieren sind, sondern einer hadriani- schen Umbauphase angehören, könnten sogar darauf hindeuten, dass in flavi- scher Zeit das ›versenkte Peristyl‹ nur eingeschossig war und erst in hadria- nischer Zeit in ein zweigeschossiges Peristyl umgebaut wurde (Abb. 9. 10). Einige wenige, stark restaurierte und nur schwer deutbare Reste von Becken und Einbauten im Südosten des ›versenkten Peristyls‹ auf der Hauptebene le- gen die Vermutung nahe, dass es hier eine kleine Therme gegeben hat (Abb. 8). Diese Arbeitshypothese muss in den nächsten Aufarbeitungskampagnen wei- ter untersucht werden. Da auch hier eine Datierung und Zuordnung der Räu- me nicht eindeutig zu bestimmen ist, kann bislang das Erscheinungsbild der domitianischen Domus Augustana nicht abschließend geklärt werden. Bau- fugen und Ziegelstempel deuten allerdings darauf hin, dass nicht alle heute erhaltenen Strukturen aus der Zeit des letzten Flaviers stammen. So sind ei- nige der Räume, die im Obergeschoss um das ›versenkte Peristyl‹ angeordnet sind, frühestens in hadrianischer Zeit entstanden (Abb. 8, grüne Phase). Alle diese Indizien unterstreichen die Annahme, dass die Umbaumaßnahmen im Zusammenhang mit dem Neubau der Exedra Anfang des 2. Jhs. n. Chr. sich nicht nur auf die Südfassade, sondern auf weite Teile der Räume im Bereich des ›versenkten Peristyls‹ im Hauptgeschoss bezogen haben. Durch die offen- sichtlich tief greifenden Umbauten haben sich von der flavischen Südfassade im Hauptgeschoss nur wenige Reste erhalten, die für diese Phase ebenfalls keine gesicherte Rekonstruktion zulassen. Wenige Anhaltspunkte könnten

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Abb. 9 Rom (Italien), Palatin. Hypothe- tische Rekonstruktion der flavischen Bauphase, Ende 1. Jh. n. Chr. (Stand 12/2008). In schwarz sind gesicherte, in grau rekonstruierte Mauern angegeben. Als Arbeitshypothese wird im Bereich des »no man’s land« von einem großen Hof ausgegangen, dessen Umfassungsmauern möglicherweise in Anlehnung an das Nervaforum gegliedert waren

dafür sprechen, dass die im Untergeschoss geschlossene Fassade sich auf der Hauptebene mit einer Nischenarchitektur zum Circus Maximus hin öffnete (Abb. 9. 10). Während sich die Räume um das zentrale Peristyl der Domus Augustana für die domitianische Phase weitgehend rekonstruieren lassen, bleiben auch nach einer eingehenden Bauanalyse die flavischen Strukturen im Bereich des »no man’s land« schwer interpretierbar (Abb. 8, orange Phase). In das imposante Fundamentrechteck, das aufgrund der Phasenabfolge und der opus caementicium- Zusammensetzung wohl als domitianisch anzusprechen ist, waren heute ausge- raubte bzw. in einer Umbauphase entfernte Travertinblöcke eingelassen (s. AA 2008/1 Beiheft, 12 Abb. 8. 9). Sie dürften die Fundamente für eine Säulen- oder Pfeilerstellung gewesen sein. Die 1,80 m × 1,80 m großen Fundament- einlassungen standen in einem sehr dichten Abstand von nur 1–1,40 m zuei- nander, der ungewöhnlich für die Säulen einer Portikus wäre. Die enorme Dimension des Fundamentes, die nur mit der der nischengegliederten Wand der Aula Regia in der Domus Flavia vergleichbar ist, scheint dafür zu spre- chen, dass dieses Fundament nicht nur eine Säulen- oder Pfeilerstellung, son- dern zusätzlich auch eine Wand getragen hat. Für die Rekonstruktion ergäbe sich so eine Kombination von Wand mit in geringem Abstand davor frei ste- Zentrale in Berlin 13

Abb. 10 Rom (Italien), Palatin. Hypothe- tische Rekonstruktion der flavischen Bauphase Ende des 1. Jhs. n. Chr. In dieser Phase präsentierte sich der Bereich der Domus Augustana zum Circus Maximus hin im Untergeschoss mit einer geschlos- senen Fassade. Im Hauptgeschoss könnte er sich mit einer Nischengliederung zu dieser Schauseite hin geöffnet haben. Nach den vorläufigen Ergebnissen der Bauuntersuchungen zum ›versenkten Peristyl‹ und zum Gartenstadion (A. Riedel, Brandenburgische Technische Universität Cottbus) könnten diese beiden Bereiche in der flavischen Phase nur ein Untergeschoss besessen haben

henden Säulen oder Pfeilern. Vorstellbar wäre demnach ein Architekturmotiv, das sich mit der Gliederung der Längswände des Nervaforums vergleichen ließe, welches nachweislich von Domitian begonnen wurde. Aus den Funda- mentresten wäre auf einen 44 m × 63 m großen domitianischen Hofbereich zu schließen, der von unmittelbar vor den Wänden in enger Reihung stehenden Säulen oder Pfeilern gerahmt worden wäre (Abb. 9. 10). Es gibt zahlreiche Hinweise, dass der gesamte Bereich spätestens in hadrianischer Zeit mit dem Einbau von Räumen umfassend umgestaltet und danach nicht mehr als Hof ge- nutzt wurde (Abb. 8, grüne Phase). Aus diesem Grund und wegen der fehlen- den aufgehenden Architektur muss bisher offen bleiben, ob die domitianische Hofanlage überhaupt über die Fundamente hinaus fertiggestellt und benutzt wurde. Diese ersten, zum Teil überraschenden Überlegungen zum Erscheinungs- bild der Domus Augustana in der flavischen Phase müssen in den geplanten Aufarbeitungskampagnen im kommenden Jahr weiter verifiziert werden. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, ob es sich bei den Ein- und Umbau- ten am Anfang des 2. Jhs. n. Chr. um eine groß angelegte Neustrukturierung handelt oder die Baumaßnahmen nicht vielmehr auf der Hauptebene erst in dieser Zeit abgeschlossen wurden, die aber immer noch einem einheitlichen Entwurf, möglicherweise der ursprünglichen flavischen Planung folgten. Im Rahmen des Kooperationsprojekts »Palast und Stadt im severischen Rom« steht die Frage im Vordergrund, ob und wie sich die in der ›Domus Severiana‹ und dem Gartenstadion nachweisbaren tief greifenden severischen Wiederauf- und Umbauarbeiten auch auf die Domus Augustana ausgewirkt haben. Daneben soll 2009 mit der Bauanalyse und der Klärung der Bauphasen der Domus Flavia begonnen werden.

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Kooperationspartner: Seminar für Klassische Archäologie der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg (N. Sojc); Seminar für Alte Ge- schichte der Universität Basel (A. Winterling); Lehrstuhl für Baugeschichte und Lehrstuhl für Vermessungskunde der Brandenburgischen Technischen Uni- versität Cottbus; E. Bukowiecki • Förderung: Soprintendenza Archeologica di Roma; Gerda Henkel Stiftung (Forschungsprojekt: »Palast und Stadt im severischen Rom«) • Leitung des Projekts: U. Wulf-Rheidt (Bauforschung) • Mitarbeiter: J. Pflug (Bauforschung, Domus Augustana), J. Denkinger, A. Müller (Graphik, 3D-Modell), U. Kapp (Vermessung) • Abbildungs- nachweis: DAI, Zentrale, Architekturreferat, Lehrstuhl für Vermessungskun- de BTU Cottbus, Archäologisches Seminar Würzburg unter der Mitarbeit von J. Pflug und E. Bukowiecki (Abb. 8); DAI, Zentrale, Architekturreferat, C. von Bargen, J. Pflug, U. Wulf-Rheidt (Abb. 9); DAI, Zentrale, Architek- turreferat, J. Denkinger auf der Grundlage eines 3D-Computermodells von A. Müller nach Angaben von J. Pflug und U. Wulf-Rheidt (Abb. 10).

Sarno-Ebene (Italien) Das Gebiet der Sarno-Ebene, die sich südlich des Somma-Vesuv-Massivs auf 300 km2 Fläche als fruchtbares Schwemmland ausdehnt und durch die hohen Gebirgszüge der Apenninausläufer im Nordosten und Süden begrenzt wird, wurde vermutlich aufgrund des reichlichen Angebots an natürlichen Ressour- cen und der günstigen naturräumlichen wie verkehrgeographischen Gegeben- heiten spätestens seit der Bronzezeit trotz der verheerenden Naturkatastro- phen, die die Vesuvregion immer wieder heimsuchten, dauerhaft besiedelt. Seit 2006 ist eine Gruppe von Archäologen und Naturwissenschaftlern bemüht, die Siedlungsbedingungen und naturräumlichen Gegebenheiten des Lebens- raumes in der Sarno-Ebene in verschiedenen Teilprojekten zu erforschen. Die dem Forschungscluster 3 »Politische Räume« des DAI angegliederten Projekte befassen sich schwerpunktmäßig derzeit mit Fragen der ländlichen Besiedlung, der räumlichen Erschließung und der Nutzung der natürlichen Ressourcen in der Landwirtschaft und im Bauwesen. Der Untersuchungszeitraum beschränkt sich vorerst auf die samnitische bis römische Periode mit dem Enddatum des Vesuvausbruchs 79 n. Chr. Da die Geländeoberfläche des antiken Lebensraumes aufgrund der in wei- ten Bereichen meterhohen Verschüttungsmassen nicht großflächig freiliegt und nicht mit herkömmlichen Methoden geographisch und archäologisch kartiert werden kann, wird gegenwärtig als neue kartographische Grundlage ein digitales 3D-Höhenmodell entwickelt, das die antike Morphologie des Sarno-Beckens auf dem Horizont vor 79 n. Chr. rekonstruiert. Das Höhen- modell erlaubt zum ersten Mal exakt raumbezogene Analysen und Szenarien der Paläolandschaft und Infrastruktur unter Echtzeitbedingungen, wie sie in allen Teilprojekten Anwendung finden. Die Basisdaten für die Generierung des Höhenmodells liefern geostratigraphische Bohrdaten, deren Sammlung auf inzwischen über 1100 Punkte vermehrt werden konnte und damit die gesamte Sarno-Ebene in einem relativ dichten Punktraster abdeckt. Eine neu bearbeitete kartographische Grundlage stellen außerdem Serien von Luftbild- aufnahmen von 1943 und 1945 dar, die in Form eines Orthobildmosaiks die Sarno-Ebene im noch weitgehend landwirtschaftlich genutzten Zustand vor der heute umfassenden Urbanisierung dokumentieren. Auf den beiden Kartengrundlagen wurden verschiedene GIS-gestützte Methoden der Wegeforschung erprobt und landschaftliche Strukturanalysen durchgeführt. Ergänzend zu diesen theoretischen topographischen Studien wurden in der Herbstkampagne 2008 gezielte Feldbegehungen unternommen.

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Trotz der starken modernen Überbauung der Landschaft war es möglich, den Verlauf antiker Verkehrsstraßen, z. B. die am östlichen Rand des Sarno-Beckens über Nuceria (das heutige Nocera Inferiore) nach Süditalien führende bedeu- tende Via Popilia, die Lage von Villen, Grabbauten, Aquädukten und anderen Bauwerken in der Geländemorphologie nachzuvollziehen und mittels GPS kartographisch zu verorten. Die ermittelten Daten und die Dokumentation fließen in die GIS-Datenbank des Projekts ein. Bei der Untersuchung landwirtschaftlicher Grundlagen sind römische Ackerböden bisher noch unzureichend erforscht worden, denen im Rahmen des Projekts eine seit 2007 laufende Studie gewidmet ist. Im Herbst 2008 wurden mehrere Testreihen gestartet, darunter ein langzeitliches Monitoring für Bodenwasseranalysen im Grabungsgelände der Villa Regina in Boscoreale und Tests zur Messung der Wasserdurchlässigkeit von Paläoböden (Abb. 11).

Abb. 11 Sarno-Ebene (Italien), Boscoreale. Ausgrabungsgelände der villa rustica mit wiederangepflanztem Rebacker in der Lokalität Villa Regina. Unter dem Schutz- dach im Hintergrund befinden sich die Sonden zur Entnahme des Bodenwassers; der sondierte Paläoboden liegt unterhalb der 8 m hohen Profilwand aus Eruptions- schichten

Der Zweck der Bodenwasseranalysen besteht darin festzustellen, ob und wie beschaffenes Oberflächenwasser durch die mächtigen Eruptionsschichten in die Paläoböden eindringen konnte, denn es geht im nächsten Schritt darum, die authentische Bodengüte des römischen Ackerbaus für die weiteren Frage- stellungen nach der Produktivität der villae rusticae zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurden in jüngst freigelegten römischen Ackerböden an verschiedenen Standorten in Boscoreale, Terzigno, San Marzano und Castellamare/Stabiae Bodenproben für die chemische und physikalische Laboranalyse entnommen. Um auch die Bodenentwicklung und spezifische Standortbedingungen zu un- tersuchen, wurde im Gebiet Boscoreale ein Transekt aus fünf Kernbohrungen durchgeführt, welche die geologische Stratigraphie bis zu einer Tiefe von 20 m aufschließen. Es zeigte sich, dass sich nach den großen Vulkanausbrüchen jedes Mal ausgeprägte Bodenhorizonte gebildet haben, die eine besondere Mächtig- keit in den Fazies der Bronzezeit und der vorrömischen bis römischen Periode erreichen. Die Analysen der Bodenproben bleiben abzuwarten, um genauere Aufschlüsse über die Spezifikation der Paläoböden zu erhalten. Eine Grabungssondage im antiken Gelände der Villa dei Misteri vor den Toren Pompejis verfolgte das Ziel, einen noch völlig unberührten römischen

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Sarno-Ebene (Italien), Pompeji. Villa dei Misteri

Abb. 12 Portikus auf der Südseite der Villa. Grabungsschnitt mit Tiefenson- dage zur Beprobung des Ackerbodens, am Südrand der teilweise ausgegrabene Wurzelstock

Abb. 13 Mit Gips ausgegossenes Wurzelwerk, möglicherweise eines alten Weinstocks mit Pfahlstütze 12

Ackerboden unter Gesichtspunkten der Bodenkunde, der Pollenanalyse und der Makrobotanik zu beproben (Abb. 12). Ein besonderer Glücksfall war, dass in dem 3 m × 3 m großen Grabungsschnitt am Südrand zwei Wurzelstöcke frei- gelegt und die vom zersetzten organischen Material zurückgebliebenen, aus- gezeichnet erhaltenen Wurzelhohlräume mit Gips ausgegossen und auf diese Weise dokumentiert werden konnten (Abb. 13). Durch die in Arbeit befindli- che botanische Analyse des Befundes werden erste Hinweise über die agrari- sche Nutzung des zum Besitz der Villa dei Misteri gehörenden Landes erwar- tet, ein Aspekt, der bei der archäologischen Bearbeitung der Villa bisher völlig außer Acht geblieben ist. Mit diesen Untersuchungen zur Agrargeschichte sol- len zum ersten Mal auf breiter Ebene naturwissenschaftliche und archäologi- sche Grundlagen erarbeitet werden, mit denen ein Beitrag zu der Kernfrage nach der kulturgeschichtlichen Bedeutung der villae rusticae und der land- wirtschaftlichen Produktivität des Sarno-Tales erbracht werden soll. Die etwa 200 bekannten, aber bisher noch nicht systematisch untersuchten villae rusticae werden dabei in einer vergleichenden Studie nach Gesichtpunkten der räum- lichen Verteilung, der Vorzugsstandorte, der architektonischen Struktur und funktionalen Bestimmung bearbeitet. In dem Teilprojekt, das sich mit der Herkunft, Verwendung und Verbrei- tung von Baustoffen aus dem Gebiet des Sarno-Beckens beschäftigt, wurde in 13 diesem Jahr die Sammlung von Gesteinsproben an Bauwerken verschiedener Zeitstufen vom 6. Jh. v. Chr. bis 79 n. Chr. und an verschiedenen Standorten in einer ersten Untersuchungsreihe abgeschlossen (Abb. 14). Unter den 62 Pro- ben ist die gesamte Bandbreite der regionalgeologisch anstehenden Gesteins- arten (Lava, Tuff, Kalkstein, Travertin) vertreten. Knapp zwei Drittel der Proben stammen aus Pompeji selbst. Da im Untersuchungsgebiet bisher nur verein- zelte petrographische Untersuchungen des antiken Baumaterials durchgeführt wurden, galt es, zunächst einen soliden Grundstock an Vergleichsparametern zu schaffen, wozu einzig die Bauten innerhalb des Grabungsgeländes mit ihrem hohen Informationspotential hinsichtlich Chronologie, Funktion und Bau- technik geeignet sind. Die übrigen Proben stammen aus archäologischen Gra-

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Sarno-Ebene (Italien), Pompeji

Abb. 14 Regio VI, Insula 16, Fassade des Hauses 29. Aus Lavabrocken gemauertes opus incertum kombiniert mit Eckverstär- kungen aus Travertin; beides sind lokal vorkommende Baustoffe, deren genaue Provenienz analysiert wird

Abb. 15 Makrofoto des Dünnschliffs einer Lavaprobe 14

bungen, verschiedenen Lagerstätten und potentiellen antiken Steinbrüchen im Umland (Boscoreale, Terzigno, Palma Campania, San Marzano, Sarno, Nocera, Piano di Sorrento und Vico Equense). Von allen Proben wurden Dünnschliffe angefertigt (Abb. 15), die gegenwärtig mikro- und makroskopisch ausgewertet werden. An ausgewählten Stücken werden zudem Provenienzanalysen durch- geführt. Koorperationspartner: Soprintendenza Speciale dei Beni Archeologici di Napoli e Pompei; Soprintendenza per i Beni Archeologici delle Province di Sa- lerno, Avellino e Benevento; Università Napoli Federico II, Dipartimento delle Scienze di Terra (G. Balassone, Petrographische Analysen); G. Di Maio (Geoar- chäologische Beratung); Geozentrum Nordbayern der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg (M. Joachimski, Isotopenanalyse); Autorità di Bacino del Sarno (Kartographische Grundlagen); Osservatorio Vesuviano, Napoli (Mikropaläontologische Untersuchungen); G. Patricelli, T. Saccone (Bohrdaten) • Leitung des Projekts: F. Seiler • Mitarbeiter und Mitarbei- 15 terinnen: P. Kastenmeier, S. Vogel, M. Märker, V. Heck, W. Linder, D. Esposito, F. Cammarota • Abbildungsnachweis: F. Seiler (Abb. 11–14); G. Balassone (Abb. 15).

Hamadab und Meroë (Sudan) Siedlungsstrukturen und Lebensformen im Mittleren Niltal in der meroiti- schen Zeit des Reiches von Kusch (3. Jh. v. bis 4. Jh. n. Chr.) werden exemp- larisch an zwei unterschiedlichen Orten im Sudan erforscht: Hamadab bietet eine meroitische Stadt mit ihren Lebensbedingungen, Meroë als Residenzstadt der Kuschiten hingegen Einblicke in das Leben im königlichen Umfeld. In Hamadab wurden die Oberflächensondagen zur Erfassung des Stadtplans fortgesetzt. Ein besonderes Interesse galt der Hauptstraße in der Oberstadt: Ist sie im Zentrum noch 7 m breit, so verengt sie sich zum vermuteten Stadtein- gang im Westen auf bis zu 2 m! Vor dem Tempel H 1000 endet sie in einem Vorplatz, in dem sich Pflanzgruben finden. Beiderseits der Hauptstraße rei- hen sich durch rechtwinklig abzweigende Gassen gegliederte Gebäudeblocks

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Abb. 16 Hamadab (Sudan), Oberstadt. Gebäude H 1600, eine Erweiterung des meroitischen ›Grundhauses‹. Es liegt unmittelbar an der Hauptstraße, die vom Tempel zum Stadteingang führt

aneinander. Im Westen setzen sie sich über die vermutete Stadtgrenze hinaus fort. Bei dem quadratischen Bau H 3000 in der Südostecke der Stadt handelt es sich wahrscheinlich um das Podest eines repräsentativen, möglicherweise mehrstöckigen Baues. Die Sondierung einer Fläche von 50 m2 südlich der Stadtmauer zeigte, dass die Bebauung außerhalb der Oberstadt derjenigen innerhalb der Stadt gleicht. Neben den großflächigen Prospektionen wurde auch ein einzelner Bau (H 1600) im Zentrum der Oberstadt näher untersucht, der direkt an die Hauptstraße angrenzt. Daraus ergaben sich allgemein Auf- schlüsse über Baugeschichte und Funktionalität eines meroitischen Gebäudes (Abb. 16): Der Bau aus ungebrannten Lehmziegeln, zumeist mit rotem bzw. weißem Lehmputz getüncht, ist die Erweiterung eines ›Grundhauses‹ mit Haupteingang in einer Seitengasse. Der Wohn- bzw. Repräsentationsbereich befand sich im Zentrum, östlich lag eine Küche mit vier Herdstellen aus gro- ßen, übereinander in mächtige Ascheschichten eingelassenen Kochgefäßen (Abb. 17). Die Fußbodenhöhe variiert auch innerhalb einer Nutzungsphase und unterschiedliche Nutzungshorizonte liegen mitunter dicht beieinander. Zugleich zeigt die Küche eine kontinuierliche Nutzung über eine lange Zeit- Abb. 17 Hamadab (Sudan), Oberstadt. periode. Dabei gliederte man größere Räume auf, was zu einem komplexen Gebäude H 1600, Küche mit mehreren Bauwerk mit sehr hoher Baudichte führte. Herdstellen In Meroë, im Areal der sog. Königlichen Bäder konzentrierten sich die Arbeiten weiter auf die hydrotechnischen Installationen rund um das Wasser- becken und auf die Ermittlung stratigraphischer Bezüge zwischen den einzel- nen Gebäudeteilen. Ergänzend zu dem mächtigen Kanal, der im Vorjahr west- lich des Wasserbeckens zu Tage kam (s. AA 2008/1 Beiheft, 19 f.), wurde ein weiterer unterirdischer Kanal südöstlich des Beckens untersucht (Abb. 18. 19). Dieser ist zwar bereits seit den Grabungen vor 100 Jahren bekannt, aber man- gels ausreichender Dokumentation weder in seiner Konstruktionsweise noch in seiner Beziehung zum Wasserbecken erforscht. Neu ist, dass dieser Kanal einen aus Brandziegeln aufgemauerten Revisionsschacht hat. Die Wölbung über dem Kanal ist ebenfalls aus Brandziegeln konstruiert, mit Keramikscher- ben als Lückenfüller dazwischen. Noch nicht freigelegt werden konnten die Seitenwangen und der Boden des Kanals, so dass sein Verhältnis zum Wasser- becken noch ungeklärt blieb. Sicher ist jedoch, dass zumindest der Revisions- schacht bereits außer Betrieb war, als offene oberirdische Wasserleitungen zur

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Meroë (Sudan), sog. Königliche Bäder

Abb. 18 Unterirdischer Kanal mit Revisionsschacht (im Vorder- grund) südöstlich des Wasserbeckens (unter dem Schutzbau im Hintergrund)

Abb. 19 Unterirdischer Kanal mit Revisionsschacht südöstlich des Wasserbeckens 19

Befüllung des Beckens verlegt wurden. In Zusammenhang mit diesen offenen Leitungen ergab sich ein weiterer wichtiger Befund: Sie liegen an mehreren Stellen im Areal der Bäder auf einer bis zu 70 cm dicken, eigens eingebrach- ten Erdschicht auf, die aus aufgelockertem Nilschlamm besteht und kaum von Sekundärmaterialien durchsetzt ist. Damit kann erstmals ein und dieselbe Kul- turschicht rund um das Wasserbecken nachgewiesen werden, auch zeigen sich relativ-chronologische Bezüge zwischen einzelnen Bauteilen. Darüber hinaus haben sich in dieser Erdschicht mehrere Pflanzgruben erhalten (Abb. 20): Man darf sich also einen Garten vorstellen, angelegt im Hof der sog. Königlichen Abb. 20 Meroë (Sudan), sog. Königliche Bäder rund um Wasserbecken und Exedra, Schatten und grüne Atmosphäre Bäder. Gartenanlage rund um das Wasser- spendend. becken, Erdschicht aus Nilschlamm mit Kooperationspartner: National Corporation for Antiquities and Museums, Pflanzgrube Khartoum; außerdem für das Teilprojekt Hamadab: Humboldt-Universität zu Berlin; Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin; Institut für Tech- nologie und Umweltschutz e. V. Berlin (INTUS); Universität Shendi (Sudan) • Förderung: DFG (WO 1515/1-1, seit 11/2007) • Leitung des Projekts: S. Wolf; Leitung des Teilprojekts Hamadab: P. Wolf • Mitarbeiter und Mit- arbeiterinnen: M. Böhme, D. Fuchs, C. Hof, A. de Matos Marques, U. Nowot- nick, H.-U. Onasch, M. Wetendorf-Lavall, F. Wöss • Abbildungsnachweis: P. Wolf (Abb. 16. 17. 20); H.-U. Onasch (Abb. 18. 19).

Milet (Türkei), Faustina-Thermen Aufgrund ihrer umfangreichen Ausstattung und einer relativ dichten epigra- phischen Überlieferung bieten die Faustina-Thermen in Milet an der türki- schen Westküste eine gute Ausgangssituation, um der Frage nachzugehen, ob und ggf. wie sich die visuelle Definition der Räume über einen längeren Zeit- raum von der römischen Kaiserzeit bis in die Spätantike hinein gewandelt hat.

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Die Ausgrabungen und die Forschungstätigkeit (Abb. 21 a) setzten 2008 die Milet (Türkei), Faustina-Thermen Aktivitäten der beiden vorangegangenen Jahre zur Klärung des Bauwerks so- wie seiner Entstehungs- und Nutzungsgeschichte fort (Abb. 21 b). Abb. 21 a Plan mit Angabe der Aktivitäten 2008. Hellgrün: grobe Reinigung im Areal Mit dem Ziel, die bauliche Situation im Südwesten der Thermenanlage, westlich von Raum 1 und südlich der Räu- die von der Altgrabung nicht freigelegt worden war, zu verstehen, wurden in me 7 und 8; Dunkelgrün: Freilegung der diesem Bereich drei Sondagen begonnen (Abb. 22). Mit der ersten Sondage Böden in den Räumen Nr. 5 und 6 sowie in in Verlängerung der Südwand von Raum Nr. 6 sollte der Anschluss einer Säu- den Apsiden in Raum Nr. 9. Zum Kampa- gnenende wurden alle freigelegten Berei- lenhalle an einen Raum verifiziert werden, der hier angenommen wird. Bis che mit einem wurzelsicheren, wasserun- zum Ende der Arbeiten konnten bis zu einer Tiefe von rund 3,50 m – dem durchlässigen Geotextil unter einer Lage Bodenniveau des benachbarten Raumes Nr. 6 – tatsächlich kaiserzeitliche Sand abgedeckt; Magenta: Entfernung Schichten aufgedeckt werden. Allerdings fand sich auch hier – in auffälliger von Erdmaterial (ohne Freilegung antiker Horizonte); Blau: Sondagen; Schwarz: Parallelität zu einem Befund im Norden der östlichen Palästraportikus – kein Lagerung großer Bauglieder und größerer Hinweis auf eine Bodenkonstruktion. Ausstattungselemente; Orange: Abraum Eine zweite Sondage, an der Südostecke des vermuteten Eckraums, be- zweckte die Freilegung der Mauerverbindung an dieser Stelle. Deutlich zeich- Abb. 21 b Schnitt durch die Räume Nr. 4 bis Nr. 7, Blick nach Osten nete sich die Fuge ab, die das Mauerwerk des angenommenen Raumes an der

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Südwestecke des Thermenkomplexes von dem Mauerwerk des östlich angren- zenden Raumes Nr. 21 trennt und den Eckraum als spätere Anfügung – viel- leicht im Zuge des byzantinischen Befestigungsbaus – kenntlich macht. Geophysikalische Untersuchungen wurden um die Thermenanlage herum und im Gebäude selbst durchgeführt, mit dem Ziel, Informationen über die Existenz älterer Baustrukturen oder Straßenfluchten am Ort der Thermen zu erhalten und die morphologische Situation am Bauplatz zu klären. Georadar- messungen im Ambulacrum (Raum Nr. 1) erbrachten Spuren von Baustruk- turen, die den lang gestreckten Raum in dessen südlicher Hälfte unterhalb des Marmorbodens kreuzen. Die Orientierung der Strukturen erfolgt parallel zur Ausrichtung der Thermenanlage und weicht wie sie von dem sonst streng re- gelmäßigen Straßenraster Milets ab. Demnach dürfte die auffällige Orientie- rung der Faustina-Thermen auf einen Vorgängerbau bisher unbekannter Funk- tion zurückgehen. Dagegen waren keine Hinweise auf Mauern zu erlangen, die mit der Orientierung der Straßen korrespondiert und eine ältere Bebau- ung an dieser Stelle angedeutet hätten. Eine Bohrung im Ambulacrum konnte Abb. 22 Milet (Türkei), Faustina-Thermen. danach erste Angaben über die Zusammensetzung der Verfüllung zwischen den Südwestecke, Sondage 2. Blick von Süden durch das Georadar sichtbar gewordenen Strukturen erbringen. Weitere Boh- rungen zur Klärung des Untergrundes am Bauplatz werden von dem Projekt zur Untersuchung des Apollon-Delphinios-Heiligtums in Milet erwartet. Parallel zu den Grabungs- und Prospektionsaktivitäten wurden an verschie- denen Stellen inner- und außerhalb des Gebäudes Reinigungen vorgenom- men, die eine Reihe von Detailbeobachtungen ermöglichten. In Raum 5 etwa wurden im Estrich die Abdrücke von Schrankenplatten sichtbar, die mit Kreuz- zeichen und Rahmung verziert waren. Die inzwischen nicht mehr vorhande- nen Marmorplatten des Fußbodens entstammten also einem christlichen Kon- text, dem sie wieder entnommen wurden, um in Zweitverwendung einer spä- ten Ausstattung des Thermenraums – wohl nicht vor dem 5. Jh. n. Chr. – zu dienen (Abb. 23 a. b). Die Wasserleitung, die in denselben Marmorboden hinein verlegt wurde, belegt schließlich eine noch spätere Versorgung des Wasserbe- ckens vor der Apside an der Westseite des Raumes, in dem von den Ausgräbern die Statue einer Aphrodite gefunden wurde. Nach Abschluss der Dokumen- Abb. 23 a. b Milet (Türkei), Faustina- tationsarbeiten wurden die gefährdeten Böden wieder mit einem Geotextil Thermen. – a: Raum Nr. 5 nach Reinigung abgedeckt, um die Bodenbefunde zu schützen. des Fußbodens. – b: Aufsicht des Wasser- beckens in der Südostecke von Raum 5 mit Ein weiterer Bereich intensiver Reinigungsarbeiten war die Räumung der dem Kreuzabdruck einer Bodenplatte Kammern Nr. 16–18, die als Serviceräume das große Caldarium (Raum Nr. 9)

23 a 23 b

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an dessen Nordseite umgeben und in denen sich nach der erstmaligen Frei- legung eine große Zahl schwerer Steinblöcke sowie umfangreiche Erdmen- gen wieder abgelagert hatten. Bei Reinigungsarbeiten in Raum Nr. 18 kamen unzählige Keramik- und Glasfragmente zum Vorschein, die von der Altgra- bung hier deponiert worden sein müssen. Weitere Steinblöcke wurden in den Räumen Nr. 1, 4, 6 und 7 bewegt. Zu beiden Seiten des Durchgangs an der Südseite des Ambulacrums (Raum Nr. 1) zu Raum Nr. 6 lagen verstreut die Fragmente der Gewände. Die beiden Gewände, die zwei längere Inschriften- texte tragen, wurden wieder zusammengelegt. Bei dieser Gelegenheit konnte ein Steinblock, der eine Ritzzeichnung mit einer Jägerdarstellung zeigt und in einer der westlichen Kammern des Ambulacrums vorgefunden wurde, einem der Gewände zugeordnet werden.

Abb. 24 Milet (Türkei), Faustina-Thermen. Wiederherstellung des Fensterarrange- ments auf dem Boden von Raum Nr. 7

Eine weitere restaurative Arbeit wurde in Raum Nr. 7 durchgeführt, wo bereits früher die Bauglieder des Fensters der Südwand am Boden des Raumes zusammengesetzt wurden, um die Konstruktionsweise dieser Öffnung besser nachvollziehen zu können. Die Bauelemente der Fenster, die insgesamt in den Faustina-Thermen von der Altgrabung aufgefunden wurden, sind für die Re- konstruktion römischer Thermenfenster als wesentliche Referenzobjekte be- deutend. Im Zuge der Reinigungsarbeiten konnte die Anordnung der Fens- terblöcke, die auseinander gefallen und zum Teil auch außerhalb des Raumes verbracht waren, wieder hergestellt werden (Abb. 24). Kooperationspartner: Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin Stiftung Preußischer Kulturbesitz (A. Scholl, M. Maischberger); Institut für Geowissenschaften, Abteilung Geophysik der Christian-Albrechts-Universi- tät zu Kiel (H. Stümpel); Fachbereich Geographie der Philipps-Universität Marburg (H. Brückner); Institut für Klassische Archäologie der Freien Univer- sität Berlin (A. Herda) • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: O. Dally • Mitarbeiter: P. Schneider (Bauforschung) • Abbildungsnachweis: P. Schnei- der (Abb. 21 a; 23 a; 24); V. Heine (Abb. 22); Aufnahme C. Lauth, Umzeich- nung C. von Bargen (Abb. 21 b; 23 b).

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Abb. 25 Die hellenistischen Stadtmauern Die hellenistischen Stadtmauern von (Türkei) von Pergamon (Türkei), Lageplan der Seit 2005 werden an der ›Philetairischen‹ und der ›Eumenischen‹ Stadtmauer ›Eumenischen‹ und der ›Philetairischen‹ bauforscherische Untersuchungen durchgeführt. Sie dienen dazu, die genaue Stadtmauer (M. 1 : 10 000) Ausbildung der Stadtmauern in ihrer Gesamtheit zu klären und damit einen Beitrag zur Erforschung der Genese der hellenistischen Stadt, dem aktuellen Forschungsprogramm der Pergamongrabung, zu liefern. In den letzten drei Jah- ren wurde in den Kampagnen vor Ort ein Lageplan (Abb. 25) erstellt und mit der Detailaufnahme der gut erhaltenen Abschnitte begonnen. Die Detailaufnahmen an der ›Eumenischen‹ Mauer konnten 2008 abge- schlossen werden. Einen Arbeitsschwerpunkt bildete die Verifizierung einer

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aus den alten Grabungsunterlagen bekannten Toranlage nahe der kleinen Pfor- Die hellenistischen Stadtmauern von te (Abb. 26) im Nordosten. Der entsprechende Bereich wurde dafür gereinigt. Pergamon (Türkei), ›Eumenische‹ Stadt- Es musste jedoch festgestellt werden, dass es sich nicht um eine bauzeitliche mauer Toranlage, sondern vermutlich um einen Durchgang handelt, der in einer Zeit, Abb. 26 Pforte im nordöstlichen Bereich als die Mauer bereits niedergelegt worden war, durch die Trümmer gebahnt der Mauer worden sein muss. Darüber hinaus wurde bei der Reinigung festgestellt, dass stadtseitig im Fußbereich der Mauer große, nahezu quaderförmige Steinbro- Abb. 27 Grundriss des ›Oberen Nordwest- tores‹ mit zwei Bauphasen (M. 1 : 1000) cken sitzen. Vermutlich handelt es sich dabei um Steine, die nachträglich als Verstärkung der ›Eumenischen‹ Stadtmauer an dieser Stelle versetzt worden Abb. 28 Der Maßstab liegt quer auf sind (Abb. 28). Dokumentiert wurden in der diesjährigen Kampagne vor al- den nachträglich zur Verstärkung der lem weitere Hinweise auf Bauphasen innerhalb dieser Mauer. Nachdem be- ›Eumenischen‹ Mauer stadtseitig davor gesetzten Steinen reits die ersten Ausgräber beim Haupttor im Süden der Stadt mehrere Phasen festgestellt hatten, konnte eine zweite Bauphase auch am Oberen Nordwest- Abb. 29 Mauerflucht im Nordosten, nahe tor bereits 2006 (Abb. 27) und an einer Kurtine (Abb. 29) nahe der Akropolis der Akropolis. Innerhalb der Kurtine ist eine nachgewiesen werden. Auch bei der kammerförmigen Struktur im unteren Ecklehre erkennbar, die deutlich macht, dass die Mauer in einer früheren Phase nordwestlichen Bereich der Mauer, der von den ersten Ausgräbern noch eine einen anderen Verlauf gehabt haben muss landwirtschaftliche Funktion zugeschrieben worden ist, handelt es sich ver- mutlich um ein Protheichisma, dessen nachlässige Bauausführung ohne einen Abb. 30 ›Kammerreihe‹, eventuell guten Fugenschluss darauf hindeutet, dass es nachträglich und unter Zeitdruck Protheichisma errichtet worden ist (Abb. 30). Wie im Vorangegangenen dargelegt, ist es of- fensichtlich, dass die Stadtmauer nachträglich verändert und ausgebaut worden ist. Bedeuten könnte dies z. B., dass schon unter Attalos I. (241–197 v. Chr.) oder vielleicht sogar bereits unter Philetairos mit dem Mauerbau begonnen

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worden war und Attalos I. oder Eumenes II. (197–159 v. Chr.) den Mauerring später schließen, ausbauen und/oder monumentalisieren ließ. Neben der Analyse der Bauphasen wurde insbesondere auch das Verhält- nis der Mauer zur Infrastruktur der Stadt untersucht. Grundlegend war dabei die Feststellung, dass die Lage der Stadttore weniger auf den Stadtgrundriss bezogen worden ist, sondern von wehrtechnischen Überlegungen und der dabei äußerst wichtigen Topographie abhängig gemacht worden sein muss. Eine Straße entlang der Mauer übernahm die Kommunikation zum Stadt- raster. Dadurch wurde deutlich, dass die Lage der Tore nicht ohne weiteres zur Rekonstruktion des Stadtrasters herangezogen werden kann. Gegenüber den zuletzt publizierten Stadtplänen musste zudem die Anzahl der Tore nach unten korrigiert und ihre Lage berichtigt werden. Die Diskrepanz zwischen der überlieferten Wehrhaftigkeit der Mauer (Pergamon war zweimal bis vor seine Tore belagert, ist aber nie eingenommen worden) und der großen Zahl der Tore, die dies unmöglich erscheinen ließ, kann durch die neuen Ergebnisse und eine differenzierte Betrachtung der Tore als aufgehoben gelten. Mit den Untersuchungen vor Ort ist die Stadtmauer bisher in ihrem Bezug zur Stadt untersucht worden und muss nun in einem größeren Maßstab kon- textualisiert werden, um sie zwischen anderen hellenistischen Wehrbauten un- ter wehrtechnischen, ökonomischen, politischen, sozialen und ästhetischen Ge- sichtspunkten beurteilen und einordnen zu können. Darüber hinaus sind auch durch die Analyse und den Vergleich von bautechnischen Besonderheiten – wie Art und Zahl von Bindern und Verklammerungen, der Ausbildung von Mauerwerksecken und der Torverschlusstechnik (Abb. 31) – Anhaltspunkte zur Datierung der Mauern zu erwarten. Nach Abschluss der Arbeiten an der ›Eumenischen‹ Stadtmauer wurden die Arbeiten an der ›Philetairischen‹ Mauer begonnen. Mit der Bauaufnah- me ist an verschiedenen Stellen auffällig geworden, dass die ›Philetairische‹ Abb. 31 Die hellenistischen Stadtmauern Stadtmauer z. T. offensichtlich aus Steinen einer früheren Befestigung errich- von Pergamon (Türkei), ›Eumenisches‹ Tor tet worden ist. In der Regel besteht die Mauer aus einem zweischaligen Qua- dermauerwerk mit unregelmäßig angeordneten kleinen Bindern. Im östli- chen Bereich finden sich allerdings sowohl im Umfeld als teilweise auch in Verbindung mit der Mauer einige großformatige, unregelmäßige Steine, die unter Umständen zu einer frühen Befestigung gehört haben könnten. Darü- ber hinaus besteht die Innenschale der ›Philetairischen‹ Mauer an einer Stelle der Westseite aus größeren brotlaibförmigen Steinen, die denjenigen ähneln könnten, die während der Stadtgrabung freigelegt worden sind und dort als zu einer ›frühen‹ Mauer zugehörig erkannt worden waren. Die Untersuchung der ›Philetairischen‹ Stadtmauer wird im nächsten Jahr fortgesetzt werden, wobei es vor allem darum gehen soll, die bisher gefunde- nen Hinweise auf Bauphasen weiter zu verdichten. Leitung des Projekts: J. Lorentzen (Bauforschung; Teilprojekt »Hellenis- tische Stadtmauern«); F. Pirson (DAI, Abteilung Istanbul, Leiter der - mongrabung) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: M. Baur (Technische Uni- versität Darmstadt), M. Wittmann (Fachhochschule Regensburg), M. Lim- berger, Th. Fuhrmann (Geodätisches Institut der Technischen Universität Karlsruhe) • Abbildungsnachweis: J. Lorentzen auf Grundlage der Topogra- phischen Karte von K. Nohlen und B. Schlüter von 1973 (Abb. 25); J. Lor- entzen, D-DAI-IST-PE08 Architektur_4257 (Abb. 26); J. Lorentzen (Abb. 27); J. Lorentzen, D-DAI-IST-PE08 Säu08_026 (Abb. 28); J. Lorentzen, D-DAI- IST-PE08 Architektur_4245 (Abb. 29); J. Lorentzen, D-DAI-IST-PE08 Ar- chitektur_4524 (Abb. 30); J. Lorentzen, D-DAI-IST-PE08 Architektur_4044 (Abb. 31).

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Selinus (Türkei), Şekerhane Köşkü

Abb. 32 Georadarmessung vor der Eingangsfront des Şekerhane Köşkü

Abb. 33 Blick vom Stadtberg nach Norden, der die prospektierten Flächen in der Umgebung der Bauanlage des Şekerhane Köşkü zeigt

Selinus (Türkei) Die 2005 begonnene bauhistorische Untersuchung des sog. Şekerhane Köşkü in der westkilikischen antiken Stadt Selinus wurde in diesem Jahr durch geo- physikalische Prospektionen ergänzt (Abb. 32). Der Şekerhane Köşkü liegt als zentraler Baukörper in einer weiträumigen Hofanlage, die ehemals allseitig von Portiken umgeben war. Ursprünglich stammt der Baukomplex aus der römi- schen Kaiserzeit. Zu Beginn des 13. Jhs. n. Chr. wurde er zu einem seldschu- kischen Jagdpavillon umgebaut. Innerhalb der seldschukischen Ummantelung sind jedoch große Teile des kaiserzeitlichen Bauwerks erhalten. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass der ehemals zweigeschossige Zentralbau als Pro- stylos korinthischer Ordnung mit vier Frontsäulen rekonstruiert werden kann. Dieser stand auf einem außergewöhnlich hohen Podium und war vermutlich über eine vorgelagerte Freitreppe vom Hofniveau aus erschlossen. Im Inneren des Podiums lagen zwei tonnenüberwölbte Räume, von denen einer mittels mehrerer Lichtschächte aufwendig belichtet wurde und über eine mehrfach gewendelte, schmale Treppe mit der Cella des oberen Geschosses verbunden war. Dieser Bau entstand höchstwahrscheinlich in Verbindung mit dem im Jahr 117 n. Chr. in Selinus verstorbenen römischen Kaiser Trajan. Nach dem Abschluss der bauforscherischen Dokumentation der obertägig sichtbaren baulichen Strukturen und einiger räumlich begrenzter Sondagen im Abb. 34 Selinus (Türkei), Şekerhane Jahr 2007, hatten die geophysikalischen Untersuchungen des letzten Jahres das Köşkü. Geomagnetische Messung mittels Ziel, weiterhin ungeklärte bauliche Details sowie die städtebauliche Einglie- eines mit sechs Sonden ausgestatteten Messwagens, der in einem Arbeitsschritt derung des Baukomplexes zu erkunden. Für die Interpretation der Funktion die Aufnahme von Messprofilen mit einer und Nutzung des kaiserzeitlichen Ursprungsbaus ist die Anbindung an die Breite von 3 m ermöglicht

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Abb. 35 Selinus (Türkei), Şekerhane benachbarte Nekropole im Osten und die Großbauten des Stadtzentrums im Köşkü. Gemeinsame Darstellung der in Westen von besonderem Interesse (Abb. 33). Dabei geht es um die Frage, ob die der Ebene erhaltenen Baustrukturen und Bauanlage eher im Zentrum der Stadt und im Kontext mit den anderen Groß- der geomagnetischen Kartierung, die die stadträumliche Situation in der Umgebung bauten oder eher in Randlage und in Bezug auf die Nekropole zu sehen ist. des Şekerhane Köşkü verdeutlicht. Das Bei den geophysikalischen Untersuchungen in Selinus kamen die Prospek- überlagerte Georadarbild in der Hoffläche tionsmethoden Geomagnetik, Georadar und Geoelektrik zur Anwendung. Mit zeigt die im Text erwähnten Störungen Hilfe der geomagnetischen Messungen konnten in relativ kurzer Zeit große Teile des in der Ebene zwischen Stadtberg und Fluss liegenden Stadtbereiches kartiert werden (Abb. 34). Beschränkt wurden die Messungen lediglich durch die heutige intensive landwirtschaftliche Nutzung einiger Stadtbereiche. Da der Messwagen mit einer GPS-Antenne ausgestattet ist, entstanden geore- ferenzierte Messbilder, die mit den topographischen sowie architektonischen Messdaten der vergangenen Kampagnen überlagert werden können (Abb. 35). Ein dichtes Gefüge baulicher Strukturen zeichnet sich klar in dem westlichen Anschluss an die Hofanlage des Şekerhane Köşkü ab. Dieser Bereich war bis zu den erhaltenen Überresten des Odeion und der Thermenanlage, und – wie die Messungen im westlichsten Stadtbereich zeigen – vermutlich auch darüber hinaus, dicht mit Großbauten besetzt. Östlich des Şekerhane Köşkü zeigt sich dagegen eine ganz andere Situation. Hier sind nur wenige bauliche Strukturen

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direkt am Fuß des Stadtberges zu beobachten, während die großen Flächen bis zum ehemaligen Flussufer frei von Bebauungsspuren sind. Die Bauanlage des Şekerhane Köşkü nimmt in der städtebaulichen Struktur der Stadt Selinus somit eine Gelenkfunktion zwischen dem dicht bebauten Stadtzentrum und der Nekropole mit umgebenden Freiflächen ein. Im Hofbereich des Şekerhane Köşkü wurden einige Flächen mittels Geo- radar und Geoelektrik detailliert untersucht. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Messungen vor der Eingangsfront des zentralen Baukörpers. Sie zei- gen zum einen die weite Fortsetzung der dem Gebäude vorgelagerten mas- siven Streifenfundamente, deren Ansatz im letzten Jahr bei den Sondagen im Eingangsbereich beobachtet wurde. Zum anderen liegt eine deutliche Störung genau in der Mittelachse des Gebäudes zwischen seiner Eingangsfront und der in die Anlage führenden Portikus. Diese Befunde stärken die Annahme, dass ei- ne breite Freitreppe das Obergeschoss des kaiserzeitlichen Bauwerks erschloss. Außerdem ist in der Hoffläche mittig vor dem Gebäude eine Altar- oder ähn- liche Konstruktion vorstellbar. Kooperationspartner: Museum (S. Türkmen); Institut für Geowis- senschaften, Abteilung Geophysik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Ch. Klein, H. Stümpel); DAI, Abteilung Istanbul • Förderung: Fritz Thyssen Stiftung • Leitung des Projekts: A. Hoffmann, C. Winterstein • Abbildungs- nachweis: C. Winterstein (Abb. 32–34); Ch. Klein, C. Winterstein (Abb. 35).

Romuliana-Gamzigrad und sein Umfeld (Serbien) Nachdem die im Rahmen des serbisch-deutschen Kooperationsprojekts zur Erforschung des spätantiken Kaiserpalastes Felix Romuliana durchgeführte bauforscherische Dokumentation im vergangenen Jahr abgeschlossen werden konnte, bestand eine der Hauptaufgaben der diesjährigen Vermessungskam- pagne in der Transformation des 2004 angelegten, lokalen Vermessungsnet- zes in das serbische Landeskoordinatensystem (zu den von der Römisch-Ger- manischen Kommission des DAI durchgeführten archäologischen Arbeiten s. auch S. 146 f.). Da das serbische Netz, von dem vier Festpunkte im Umkreis des Palastes bekannt sind, sehr große Spannungen aufweist, konnte trotz einer Helmert-Transformation keine ausreichende Genauigkeit (im Millimeterbe- reich) für die Koordinatentransformation erreicht werden. Dennoch ist die Genauigkeit ausreichend, um die Pläne des Palastes und seines unmittelbaren Umfeldes mit den mittels GPS gewonnenen Daten des Umlandsurveys in Übereinstimmung zu bringen. Alle Bauaufnahmepläne der Kampagnen 2004 bis 2007 wurden nochmals vor Ort überprüft und der Bauaufnahmeplan um die in den serbischen Grabungskampagnen 2007 und 2008 aufgedeckten Bau- strukturen ergänzt. Aufgrund von umfangreichen Säuberungs- und Rodungs- arbeiten waren der Mauerverlauf der zweiten Umfassungsmauer und die Reste der Türme der ersten Umfassungsmauer der Nordflanke weitgehend freige- legt. Sie wurden erneut tachymetrisch vermessen, um so den AutoCAD-Plan und das 3D-Modell der Gesamtanlage in diesem Bereich präziser darstellen zu können. In diesem Jahr konnte im Rahmen des Exzellenzclusters »Topoi«, in wel- ches das Forschungsprojekt integriert ist, das Forschungsprogramm ausge- weitet werden. Ziel ist es, unter der übergeordneten Fragestellung »Central Places« am Beispiel Felix Romuliana exemplarisch aufzuzeigen, in welchem Maß ein solcher Palast zentralörtliche Funktionen einnahm, welcher Art diese Funktionen waren und wie groß ihre Reichweite war. Von großem Interesse für das Verständnis des spätantiken Palastes sind vor allem die Rekonstruktion des bereits bestehenden Siedlungsgefüges, die topographischen und klimati-

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Abb. 36 Romuliana-Gamzigrad (Serbien), schen Gegebenheiten und die Vorgängerbebauung als Standortfaktoren für die der spätantike Kaiserpalast und sein Um- Platzierung der Anlage in dieser auf den ersten Blick isoliert wirkenden Lage. feld. Quickbird-Satellitenbild mit Angabe Ausgangspunkt für die erste diesjährige Forschungskampagne war ein der 2001 in einem ersten Umlandsurvey aufgedeckten Fundplätze (blaue Punkte), von den serbischen Kollegen 2001 durchgeführter Umlandsurvey, bei dem der 2008 neu gefundenen Fundorte (rote 69 Fundstellen aufgedeckt, sehr kurz beschrieben und charakterisiert wer- Punkte) und der 2008 durchgeführten den konnten. Das ca. 70 km2 große Untersuchungsgebiet liegt zwischen den Bohrungen (gelbe Punkte) modernen Dörfern Gamzigrad und Zvezdan. Es wird vom Tal des Flusses Crni Timok (weißer Timok) durchschnitten. Von den 69 kartierten Fundstel- len konnten 58 wieder gefunden werden, dazu wurden 15 neue Fundplätze ausgemacht (Abb. 36, blaue und rote Punkte). Mittels GPS-Messung wurden

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Abb. 37 Romuliana-Gamzigrad (Serbien), der spätantike Kaiserpalast und sein Um- feld. Bei den Bohrungen im Palastinneren im Temenosbereich des sog. großen Tempels. Durch eine sedimentologische Untersuchung des fast 4 m langen Bohrkerns sollen Hinweise auf Schwemm- schichten und potentielle frühere Siedlungsschichten erlangt und zeitlich eingegrenzt werden

die Fundplätze in Karten im M. 1 : 10 000 bzw. 1 : 5000 kartiert, die auf der Grundlage eines Quickbird-Satellitenbildes basieren. Soweit möglich wurden Skizzen aller Fundplätze angefertigt. Als erstes Ergebnis zeichnet sich ab, dass – wie dies bereits die geophysi- kalischen Prospektionen der unmittelbaren Umgebung des Palastes gezeigt haben – der Palast nicht in einer unbebauten Landschaft errichtet wurde. Die vorläufige Analyse der Oberflächenfunde der Fundstellen deutet auf eine lange Besiedlungskontinuität von der neolithischen Zeit über die Bronze- und die Eisenzeit bis zur Spätantike und dem Mittelalter hin. Besonders hoch war der Anteil an Fundplätzen mit einer Konzentration von neolithischem Material, die sich in der Regel auf Bergrücken befanden. Nach zahlreichen Funden von Eisenerzschlacken scheint neben der topographischen Komponente für die Siedlungswahl auch Erzvorkommen einen starken Einfluss auf die Besiedlungs- tätigkeit in dem Gebiet gehabt zu haben. Die Erzverhüttung und -verarbeitung war offensichtlich schon von der Frühzeit an ein wichtiger Faktor für die At- traktivität dieser Region. Ob dies auch für die Standortwahl des Palastes und seiner unmittelbaren Vorgängerbebauung einen maßgeblichen Einfluss hatte, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Parallel zu dem archäologischen Survey fand auch eine erste geowissen- schaftliche Geländekampagne statt. Ziel ist die Rekonstruktion der histori- schen Umwelt- und Klimabedingungen in dieser Region und ihr möglicher Einfluss auf die Siedlungstätigkeit in den unterschiedlichen historischen Epo- chen. Als Arbeitshypothese wird nach einer ersten Geländebegehung davon ausgegangen, dass sich die Palastanlage auf einem ausgedehnten Schwemm- fächer befindet, der über zwei Seitentäler im Südwesten der spätantiken Palast- anlage gespeist wurde. An 12 Punkten in und um den Palast konnten Boh- rungen zum Teil bis zu einer Tiefe von 7 m abgeteuft werden (Abb. 36, gelbe Punkte; Abb. 37; Abb. 38, grüne Kreuze). Die Bohrpunkte liegen auf den potentiellen Schwemmfächern, auf denen sich der Palast befindet, sowie im abgrenzenden Flussbett des Dragan-Baches östlich des Palastes. Das Bohrkern- material, das insgesamt ca. 55 laufende Meter umfasst, wird sedimentologisch untersucht und systematisch datiert. Es sollen so Hinweise auf eventuelle Über- schwemmungsereignisse in diesem Bereich gewonnen werden.

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Abb. 38 Romuliana-Gamzigrad (Serbien), der spätantike Kaiserpalast (in rot gekenn- zeichnet) und sein Umfeld. Topographische Übersichtskarte mit Eintragung der archäo- logischen Fundstätten und der 2008 durch- geführten Bohrungen

Neben den punktuellen sedimentologischen, chronologisch aufgelösten Daten sind in diesem Jahr umfangreiche geomorphologische Kartierungen im Einzugsgebiet des Dragan-Baches durchgeführt worden. Um das im Gelände als Schwemmfächer angesprochene Areal um den Palast besser zu verstehen, wurde der Raum mit den angrenzenden zwei kleinen tributären Seitentälern detaillierter untersucht. Dazu wurden in und um den Palast regelmäßige Ge- ländeprofile mittels differentiellem GPS vermessen, die Seitentäler mittels Tal- längs- und Querprofilen kartiert. Da die Ergebnisse der DGPS-Untersuchun- gen nicht im vollen Umfang überzeugen können, wurde zusätzliches digitali- siertes Kartenmaterial im M. 1 : 10 000 in die Analysen eingearbeitet (Abb. 38). Die Arbeiten sollen im kommenden Jahr an ausgewählten, nach der ersten Oberflächensichtung aussagekräftigen Fundplätzen durch einen systemati- schen archäologischen Survey und durch weitere geowissenschaftliche Gelän- dekampagnen fortgesetzt werden, um die ersten Arbeitshypothesen zur Gene- se des Umfeldes des Palastes überprüfen und verifizieren zu können. Kooperationspartner: DAI, Römisch-Germanische Kommission (G. Som- mer von Bülow); Institut für Klassische Archäologie der Freien Universi- tät Berlin (F. Fless); Institut für Geographische Wissenschaften, Fachrichtung Physische Geographie der Freien Universität Berlin (B. Schütt); Archäolo- gisches Institut der Akademie Belgrad; Archäologisches Institut der Philo- sophischen Fakultät Belgrad; Institute for the Protection of Cultural Monu- ments of Serbia; Museum Zaječar • Leitung des Projekts: U. Wulf-Rheidt (Bauforschung), G. Sommer von Bülow (Archäologie), B. Schütt (Geowis- senschaften) • Mitarbeiter: J. Škundrić (Archäologie), J. T¿th (Geographie), A. Pfützner (Vermessung), G. Breitner (Teilprojekt Bauornamentik) • Abbil- dungsnachweis: J. T¿th, J. Škundrić (Abb. 36. 37); U. Wulf-Rheidt (Abb. 38).

Tayma (Saudi-Arabien) Die Oase im Nordwesten der Arabischen Halbinsel wird von einem System aus Mauern und Wällen geschützt. Die Maueranlage beschränkt sich dabei nicht allein auf den Kern einer Besiedlung, sondern bezieht auch die Palmenhaine und landwirtschaftlichen Flächen mit ein. Seit 2005 werden die Mauern bauforscherisch und archäologisch untersucht, um Aufbau, Datierung

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Abb. 39 Tayma (Saudi-Arabien), Lage der Grabungsareale 2008

40 a 40 b

und Funktionen des Bauwerks samt dessen einzelnen Abschnitten zu klären. Abb. 40 a. b Tayma (Saudi-Arabien), Nachdem das Hauptaugenmerk im vorangegangenen Jahr auf die in Lehm- Grabungsareal W9/W10 ziegelbauweise errichteten Mauerteile konzentriert war, verfolgten die dies- jährigen Arbeiten vor allem die in Bruchstein errichteten Mauern und deren zeitliche Einordnung (zum DFG-Projekt Tayma an der Orient-Abteilung des DAI, s. auch S. 297–300). An zwei Stellen – W9/W10 und W41 – er- brachte zudem die Freilegung von Anbauten neue Hinweise zur Datierung der entsprechenden Mauerabschnitte (Abb. 39). W9–W10 (Abb. 40 a. b): Die Untersuchung der Anbindung der östlichen Verbindungsmauer zwischen dem äußeren und dem inneren Mauerring an den äußeren Mauerzug in Areal W9 konnte abgeschlossen werden. Es zeigte sich schließlich, dass bereits von der äußeren Mauer in deren erster Phase ein Mauerzug nach Norden in Richtung innere Mauer abging. Die Mauern die- ser ersten Phase wurden bereits über Schuttansammlungen vorangegangener Steinbauten errichtet. Äußere Mauer und Verbindungsmauer wurden dann in einer späteren Phase im Zuge derselben Baumaßnahme durch Steinschalen verstärkt. Aus dem Vorhandensein dieser Verbindungsmauer bereits zu einem frühen Zeitpunkt kann möglicherweise auch auf die Existenz eines gleichzei- tigen Mauerzugs im Bereich des inneren Mauerrings geschlossen werden.

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41 a 41 b

Abb. 41 a. b Tayma (Saudi-Arabien), W41 (Abb. 41 a.b): Mit der Eröffnung des Grabungsschnittes W41 wurde Grabungsareal W41 ein Anbau des westlichen Arms der Maueranlage untersucht, nachdem dort im Verlauf des vorangegangenen Surveys an der Oberfläche der Sanddüne senk- recht von der Westmauer abgehende, parallele Mauerzüge entdeckt worden wa- ren. Es handelt sich bei der so aufgefundenen Situation um den einzigen Anbau auf der Innenseite, zudem in unmittelbarer Nachbarschaft zur Anlage des Qasr ar-Radm, das am Rande der Palmenhaine steht. Im Zuge der Grabung wurde ein mindestens zweigeschossig erhaltenes Gebäude von nahezu quadratischem Grundriss mit Seitenlängen von 5,30 m bzw. 5,60 m freigelegt, das nach seiner Errichtung in mindestens zwei weiteren Phasen modifiziert wurde. Die Mau- ern sind sehr sorgfältig in massivem Mauerwerk geführt, die großformatigen Öffnungen mögen auf einen zwar innenseitig angeordneten, aber doch nach außen gerichteten Wachturm schließen lassen. Ob der Bau in einem funktio- nalen Zusammenhang steht mit dem benachbarten Qasr ar-Radm, ist nicht auszumachen. Im Boden des oberen Geschosses eingelassen fand sich eine fast vollständig erhaltene Schale mit hohem Fuß, die aller Wahrscheinlichkeit nach intentionell in diesen eingesetzt wurde – sei es als Vorratsstelle, sei es als Bau- opfer. Nach Ausweis der in den angewehten Flugsandschichten gefundenen Keramikfragmente ist eine Entstehung vor der Mitte des 1. Jts. v. Chr. ange- zeigt. Präzisere Datierungshinweise mögen 14C-Untersuchen erbringen. Weitere Sondagen wurden im Bereich von Compound A (Areal W40, W42) und am inneren Mauerring (W2) durchgeführt, um auch hier den Aufbau zu klären. Parallel zu den Grabungsaktivitäten wurden die unterschiedlichen Bau- formen untersucht sowie exemplarisch dokumentiert und das Aufmaß der Ge- samtanlage durch ein digitales Geländemodell (DTM) ergänzt. Kooperationspartner: Lehrstuhl Baugeschichte der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (K. Rheidt); DAI, Orient-Abteilung, DFG- Projekt Tayma (R. Eichmann, A. Hausleiter, Th. Götzelt) • Förderung: Fritz Thyssen Stiftung • Leitung des Projekts: P. Schneider • Abbildungsnachweis: Saudi Geological Survey 10097-WSA-62, Zeichnung über Luftbild P. Schnei- der (Abb. 39); H. Jantzen (Abb. 40 a); Stadtmauerprojekt Tayma, Zeichnung über Bauaufnahmeplan H. Jantzen (Abb. 40 b); Stadtmauerprojekt Tayma, Zeichnung über Bauaufnahmeplan P. Schneider (Abb. 41 a); G. Sperveslage (Abb. 41 b).

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Abb. 42 Tripoli (Libanon), Hān al-Mis ̣riyīn. ˘ Arkadenhofanlage mit privatisierter Pfeilerhalle im Erdgeschoss und Resten angebauter Vordächer (rechts)

Tripoli (Libanon), Handelsgroßbauten im Bazar der Altstadt In Tripoli, einer mamlukischen Stadtgründung (1289 n. Chr.) unweit der le- vantinischen Küste im Norden des heutigen Staates Libanon, hat sich ein ge- schäftiger Bazar mit mamlukischen (1289–1516 n. Chr.) sowie osmanischen (1516–1918 n. Chr.) Handelsgroßbauten erhalten. Diese Bauten, zu denen pri- mär monumentale zweigeschossige Arkadenhofanlagen (ïŒnbauten) zu zählen sind, spiegeln tief greifende baustrukturelle und funktionale Veränderungen wider, die sehr wahrscheinlich auf die Umbrüche und Neuordnungsprozesse des Osmanischen Reiches im 19. Jh. zurückzuführen sind. In welcher Form sich diese Prozesse in der materiellen Kultur der Stadt und deren Gesellschaft zeigen bzw. inwieweit lokale Akteure diese Prozesse aktiv ausgestaltet haben, rekonstruiert und analysiert das interdisziplinäre Stadtforschungsprojekt mit dem Titel »Akteure und ihre Lebenswelten: Die Transformation der Stadt Tripoli (Libanon) während des ›langen‹ 19. Jahrhunderts«. Die Untersuchung der Handelsbauten stellt hierbei ein Teilprojekt dar. Die genannten Veränderungen zeigen sich bei der Mehrzahl der ïŒnbau- ten, u. a. in der musterartigen Reorganisation der Erdgeschossstruktur; so wur- de die den Hof umgebende Pfeilerhalle durch das Einziehen von Wänden in einzelne verschließbare Raumeinheiten aufgeteilt (Abb. 42) und gegebenen- falls mit rückwärtigen Räumen zu größeren Nutzungseinheiten zusammenge- fasst. Die ehemalige Funktion der Pfeilerhalle als Witterungsschutz und Über- gangszone wurde an einigen Stellen durch neu angebaute Vordächer im Hof ersetzt. Darüber hinaus wurden mehrere rückwärtige Räume von der Erschlie- ßung über den Hof abgekoppelt und stattdessen von der flankierenden Straße aus als neue Ladengeschäfte zugänglich gemacht. Die baustrukturellen Veränderungen im ïŒn aš-JŒw¥š weichen von dem ge- nannten Muster jedoch deutlich ab. Als einziger Komplex ist dieser ïŒn der- artig überformt, dass nur noch der Name der Straße – zuqŒq ïŒn aš-JŒw¥š –, zu welcher der ehemalige Hauptzugang des ïŒns orientiert ist (Abb. 43), an den ursprünglichen Bautypus erinnert. Der heutige Komplex weist eine Über- dachung des vormaligen Hofbereiches auf, der zusammen mit weiteren Ge- schäftslokalen im Erdgeschoss vornehmlich dem Verkauf von lokal gefertigten

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Tripoli (Libanon), Hān aš-Jāwīš ˘ Abb. 43 zuqāq (dt. Straße) Hān aš-Jāwīš. Ostfassade des gleich- ˘ namigen Baukomplexes mit Ladengeschäften im Erdgeschoss und Wohnhäusern im Obergeschoss. Ehemaliger Hauptzugang (rechts unten) sowie Zugänge zweier Wohnhäuser im Obergeschoss (links daneben) mit Treppenaufgängen in ehemaliger Ladeneinheit

Abb. 44 Ladenkammer an der westlichen Außenseite des Hāns. ˘ Die nachträgliche Öffnung in der Rückwand erlaubte den Zusam- menschluss weiterer Raumeinheiten im Erdgeschoss (überdachte Hoffläche, Teile der Pfeilerhalle etc.) zu einem großen Ladengeschäft

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Möbeln dient (Abb. 44). Auf das Erdgeschoss sind unterschiedliche, dezentral erschlossene Wohneinheiten aufgestockt worden, deren Bandbreite von ein- hüftig aufgereihten Einraumwohnungen, über Apartmentwohnungen bis hin zu mehrgeschossigen Wohnhäusern reicht (Abb. 45). Um die ursprüngliche Gestalt dieses Baukomplexes sowie ihre folgende sukzessive Transformation rekonstruieren und analysieren zu können, wurde im Sommer dieses Jahres mit einer Bauuntersuchung und -dokumentation begonnen. Dabei konnte beispielsweise festgestellt werden, dass die Hoffläche vor ihrer endgültigen Abb. 45 Tripoli (Libanon), Hān aš-Jāwīš. Überdachung mit einer Stahlbetondecke durch tonnenüberwölbte Anbauten ˘ Wohnstruktur auf dem Erdgeschoss des bereits maßgeblich verkleinert war. Offensichtlich bestand bereits zu diesem Ostflügels. Betondach des ehemaligen Zeitpunkt ein gesteigerter Bedarf an überdachten (privaten) Räumen, was mit Hofes (rechts unten), Ruine ›Einraum- wohnzeile‹ (Vordergrund), verschiedene einer Verkleinerung der Hoffläche augenscheinlich in Einklang zu bringen Wohnhäuser (Hintergrund) war. Tendenzen hin zu dieser Entwicklung sind ebenfalls in den geschilderten

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Veränderungsmustern der anderen ïŒnbauten zu erkennen. Doch beschrän- ken sie sich dort u. a. auf die Privatisierung der Pfeilerhalle und den reversiblen Anbau von Vordächern im Hof. Eine Gerichtsakte bezüglich einer Erbteilung aus dem 18. Jh., welche von den am Projekt beteiligten Historikern bereits aus- gewertet wurde, weist den Rechtsstatus des ïŒn aš-JŒw¥š als Privateigentum (milk) aus, was ihn grundlegend von den anderen ïŒnbauten in Tripoli unter- scheidet, die mehrheitlich Eigentum wohltätiger Stiftungen (waqf, pl. auqŒf) sind. Dieser Status verhindert u. a. eine Zerstückelung der jeweiligen Immo- bilie durch Aufteilung gemäß dem geltenden Erbrecht. Die praktische Anwen- dung des Erbrechts dokumentiert nicht nur die genannte Akte im Fall ïŒn aš-JŒw¥š, sondern auch dessen heutiger Baubestand, der darüber hinaus noch von zahlreichen Umbauphasen nach seiner Aufteilung zeugt. Ein Vergleich der beiden Quellen (Akte und Baubestand) unter Berücksichtigung der normati- ven Vorgaben soll u. a. eine Erklärung für die heutige hybride Gestalt des Bau- komplexes ermöglichen und wird in der folgenden Arbeitsphase angestrebt. Kooperationspartner: Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin (G. Krämer); Fachgebiet Historische Bauforschung der Technischen Universität Berlin (D. Sack); Museum für Islamische Kunst, Berlin (S. Weber); Orient-Institut (S. Leder); Lebanese University, Centre of Restoration and Conservation (R. Majzoub) • Förderung: DFG • Leitung des Pro- jekts: J. Meister (Bauforschung Handelsgroßbauten) • Mitarbeiter: H. Ehrig • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des übergeordneten Projekts: S. Weber (Koordination), K. Börner (Bauforschung Wohnbauten), C. Saßmannshausen (Gerichtsaktenforschung Soziale Praxis) • Abbildungsnachweis: J. Meister (Abb. 42–44); H. Ehrig (Abb. 45).

Lissos (Albanien) Die dritte deutsch-albanische Kampagne zur Erforschung des antiken Lissos, dem heutigen Lezha in Nordalbanien, galt wie in den vergangenen beiden Jah- ren der urbanen Struktur der Stadt sowie – flankiert durch geoarchäologische Untersuchungen – der Besiedlung des Umlandes. Einen Schwerpunkt der Arbeiten in Lissos stellte die Bauaufnahme der au- ßerordentlich gut erhaltenen Stadtmauer dar. Ergänzt wurden die Arbeiten der Bauforscher durch Sondagen am Diateichisma und in einem Turm des Süd- tores. Am Diateichisma (Grabungsbereich »GB« H) wurde wie im letzten Jahr in dem Fundamentbereich einer Kammer gearbeitet. Innerhalb eines unge- störten Kontextes wurde zahlreiches Keramikmaterial angetroffen, so dass das Diateichisma jetzt bereits in das 3. Jh. v. Chr. datiert werden kann. Im westli- chen Turm des Südtores (GB F) stellte sich bei einer Sondage heraus, dass das Tor hier auf einer Brandschicht errichtet wurde, unter der sich gewachsener Boden befindet. Sowohl die Keramikfunde der Brandschicht als auch die aus der Fundamentierungsschicht stammen aus dem 3. Jh. v. Chr. Es ist daher da- von auszugehen, dass die Stadtmauern im 3. Jh. v. Chr. zur Zeit der illyrischen Könige errichtet wurden und noch in diesem Jahrhundert eine groß ange- legte Verstärkung der Wehranlage erfolgte, die u. a. auch die Errichtung des Diateichisma umfasste. Für die nächste Kampagne sind weitere Sondagen zur Bestätigung dieses Befundes geplant. In dem Grabungsbereich A, unmittelbar westlich der Terrassenmauer der Hauptverkehrsachse des antiken Lissos, wurde ein Dach in Versturzlage prä- pariert (Abb. 46). Da unter der zugehörigen Brandschicht, die in die 1. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. gehört, gewachsener Boden nachgewiesen werden konnte, wurde der Bereich unmittelbar westlich der Terrassenmauer offenbar erst in einer späteren Phase der bereits im 3. Jh. v. Chr. entstandenen Stadt bebaut.

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Abb. 46 Lissos (Albanien), Grabungsbe- reich A. Verstürztes Dach vor der Terras- senmauer, die zur Gründungsphase der Stadt (wohl frühes 3. Jh. v. Chr.) gehört. Wahrscheinlich blieb dieser Bereich zu- nächst unbebaut und wurde erst später – im 2. Jh. v. Chr. – überdacht

Bei dem der Zerstörung folgenden Wiederaufbau wurde dieser Bereich dann komplett neu errichtet: Die mit Steinblöcken der Stadtmauer fundamentierten Mauern eines Hauses liefen jetzt bis an die Terrassenmauer heran. Nach einer weiteren großflächigen Zerstörung im 1. Jh. v. Chr. wurde der gesamte Bereich um etwa 2 m aufgeschüttet; die Terrassenmauer war nun vollständig bedeckt und es entstand eine neue Architektur. In dieser Kampagne konnte jetzt in ei- nem neuen Schnitt direkt unter der Humusschicht eine Zerstörungsschicht des 1. Jhs. n. Chr. ausgegraben werden, die zu dieser Architektur gehört. Die drei übereinander liegenden Zerstörungs- und Versturzschichten vom 2. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr. werden umfangreiche Informationen zum urbanen Wan- del im Lissos des späten Hellenismus und der frühen Kaiserzeit liefern. Außerhalb der Unterstadt wurde vor dem Südtor weiter unmittelbar west- lich eines kleinen Thermengebäudes gearbeitet (Grabungsbereich B). Unter- halb der Fundamentierung dieser Therme kam der Mosaikboden eines Vor- gängerbaus – einer Villa? – mit zwei griechischen Inschriften zu Tage – eine »epoiesen«-Inschrift sowie die Benennung eines Bades (Abb. 47). Sehr wahr- scheinlich entstand dieser Bau nach Abtragung des Südtores in der 1. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr.

Abb. 47 Lissos (Albanien), Grabungsbe- reich B. Der Mosaikboden vor dem kleinen Thermengebäude

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Im Rahmen der geoarchäologischen Untersuchungen wurden in und um Suka e Gjelit (Albanien), Apsis der Lissos zahlreiche neue Bohrungen durchgeführt, die das bisherige Bild der frühchristlichen Kirche Landschaftsentwicklung von der Bronzezeit bis heute erweitern. Die archäolo- Abb. 48 Dokumentationsarbeiten gischen Begehungen konzentrierten sich auf die Ostabhänge der Ebene nörd- an der Apsis lich von Lissos. Dabei konnte auf dem Hügel »Suka e Gjelit« eine frühchrist- liche Kirche entdeckt werden. Da durch Baumaßnahmen Gefahr für das auf Abb. 49 Blick auf die erhaltenen einem privaten Grundstück gelegene Gebäude bestand, wurde in einer ein- Teile der Apsis wöchigen Kampagne die Apsis oberflächlich freigelegt und detailliert zeichne- risch sowie photographisch dokumentiert (Abb. 48. 49). Eine Sondage lieferte Informationen zur Fundamentierung, Datierung und einem wahrscheinlichen Vorgängerbau. Vereinzelte Oberflächenkeramik aus dem 3. Jh. v. Chr. legt zu- dem eine bereits deutlich frühere Besiedlung des in Sichtweite von Lissos ge- legenen Hügels nahe. Kooperationspartner: Albanisches Archäologisches Institut, Tirana; Labor für Geodäsie der Technischen Fachhochschule Berlin; Fachbereich Geogra- phie der Philipps-Universität Marburg • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: G. Hoxha, A. Oettel • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: B. Lahi, T. Evers, P. Wodtke (Keramik), H. C. Haas, T. Busen, S. Haneder (Bauforschung), R. Breuer, D. Hoxha, A. Kasa, G. Kosturi, M. Lackner, J. Mueller von der Hae- gen, S. Oaie, H. de Raedemaeker, S. Ratto, G. Rrugia, E. Shehi, B. Shkodra, G. Shkodra, W. Streblow, U. Tota (Archäologie), U. Rübens, U. Böttcher (Geo- däsie), L. Uncu, A.-F. Grothe, M. Rösingh, F. Stock (Geographie) • Abbil- dungsnachweis: LIS-08-1957, A. Oettel (Abb. 46); LIS-08-2666, A. Oettel (Abb. 47); LIS-08-1933, A. Oettel (Abb. 48); LIS-08-1927, A. Oettel (Abb. 49).

Naturwissenschaftliche Forschungen – Archäozoologie In diesem Jahr wurden Untersuchungen an Tierresten auf verschiedenen Aus- grabungen des DAI sowie anderer Institutionen im In- und Ausland durchge- führt. Sie betrafen u. a. Fundmaterialien folgender Orte: Okolište (Bosnien- Herzegowina), Pietrele (Rumänien), Kovačevo (Bulgarien), Kırklareli (Türkei) und Baalbek (Libanon). Die Studien an den Tierresten aus der am Fuße des Pirin-Gebirges gelegenen frühneolithischen Siedlung Kovačevo im Südwes- ten Bulgariens erfolgten im Rahmen des Projekts »Wirtschaft und Umwelt früher Bauern im zirkumpontischen Raum – Wirtschaftsstrategien in unter- schiedlichen Naturräumen« (Abb. 50). Über die Ergebnisse dieser Untersu- chungen soll hier näher berichtet werden. Das bislang aus der Siedlung Kovačevo ausgewertete Fundmaterial umfasst knapp 80 000 Tierreste aus sieben Sektoren der Grabungsfläche. Nach den vor-

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Abb. 50 Naturwissenschaftliche For- schungen – Archäozoologie, das Tal der Bystrica in der Umgebung des neolithi- schen Siedlungsplatzes Kovačevo. Im Hintergrund das Pirin-Gebirge

liegenden Bestimmungen stellen die Wirtschaftshaustiere die nahrungswirt- schaftlich wichtigste Tiergruppe am Ort dar. Innerhalb dieser Gruppe sind Schaf und Ziege die häufigsten Arten. Das Verhältnis beider Spezies beträgt etwa 4 : 1 zugunsten des Schafes. In der Häufigkeit folgen Schwein und Rind. Zwischen den Sektoren zeigen sich weitgehende Übereinstimmungen in der relativen Häufigkeit der Wirtschaftshaustiere (Abb. 51). Nur wenige Funde be- legen den Hund unter den Haustieren. Hinweise auf seine Nutzung für die Ernährung liegen nicht vor. Die ermittelten Altersangaben und die Bestimmungen zum Verhältnis der Geschlechter lassen Rückschlüsse auf die Art der Bewirtschaftung der Haus- tiere in Kovačevo zu. Unter den Schafen und Ziegen bilden juvenile Tiere (bis 11 Monate) sowie jungadulte Tiere (2–3 Jahre) die größte Gruppe unter den Schlachttieren. Die Schafe zeigen ein Geschlechterverhältnis von 2 : 1 zuguns- ten der weiblichen Tiere, bei den Ziegen findet sich ein annähernd ausgegli- chenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Die Nutzung beider Arten war offenbar hauptsächlich auf die Gewinnung von Fleisch orientiert. Bemerkens- wert ist der hohe Anteil von Tieren im Alter von 5–8 Monaten. Hier dürfte es sich um Herbst- und Winterschlachtungen handeln. Diese waren notwendig zur Bestandsregulierung bzw. um der Futterknappheit im Winter zu begegnen. Die Schweine zeigen ein anderes Muster der Altersgliederung. Knapp zwei Drittel der Tiere wurden als juvenile Tiere (bis 12 Monate) geschlachtet. In dieser Gruppe sind 6–10 Monate alte Tiere am stärksten vertreten. Ähnlich wie bei Schaf und Ziege wird man für sie eine Schlachtung in den Herbst-

Abb. 51 Naturwissenschaftliche For- schungen – Archäozoologie, Kovačevo. Relative Häufigkeit der Wirtschaftshaus- tiere sowie der Arten des Jagdwildes in den untersuchten Sektoren

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und Wintermonaten annehmen können. Knapp ein Drittel der geschlachteten Schweine sind subadulte Tiere (12–24 Monate). Tiere im Alter von über zwei Jahren sind nur schwach vertreten. Bei ihnen dürfte es sich um die für die Re- produktion der Bestände notwendigen Zuchttiere handeln. Insgesamt zeigt sich beim Schwein eine auf die Fleischerzeugung orientierte Haltung. Von den Rindern wurden die meisten Individuen als ausgewachsene Tiere geschlachtet. Unter diesen sind männliche Tiere (Stiere und Ochsen) etwas zahlreicher als weibliche Tiere. Auch beim Rind wird das Interesse der Nutzung hauptsäch- lich der Erzeugung von Fleisch gegolten haben. Die molekulargenetischen Untersuchungen an Knochen von Rind und Schwein sowie Ur und Wildschwein aus Kovačevo konnten zeigen, dass es sich bei den Haustieren um eingeführte Tiere aus Vorderasien handelt. Es fanden sich keine Hinweise auf eine lokale Tierdomestikation. Das Jagdwild ist nur mit einem geringen Anteil von ca. 5 % in den Fund- materialien von Kovačevo vertreten. Offenbar spielte die Jagd auf Haar- und Federwild nur eine untergeordnete Rolle für die Versorgung der Siedlungen mit Nahrung und tierischen Rohstoffen. Die am häufigsten bejagten Arten waren Rothirsch, Wildschwein, Reh und Hase. Diese Arten sind nahezu aus- schließlich durch Reste ausgewachsener Tiere repräsentiert. Dies spricht für ei- Abb. 52 Naturwissenschaftliche For- ne selektive Verfolgung von Wild zur gelegentlichen Bereicherung der Fleisch- schungen – Archäozoologie, Kovačevo. nahrung. Die Liste der nachgewiesenen Wildsäugetiere wird durch folgende Rechter Oberarmknochen (unterer Teil) von einem Braunbären (M. 1 : 3) Arten komplettiert: Damhirsch, Gämse, Europäischer Wildesel, Ur, Braunbär (Abb. 52), Löwe, Wolf, Rotfuchs, Marder, Biber und Igel. In dem Material fan- den sich auch einige Reste von Vögeln. Die artbestimmten Funde gehören zu Stockente und Milan. Aus den ökologischen Ansprüchen aller im Fundmate- rial nachweisbaren Wildtierarten kann auf eine aus Waldarealen und Offenland mosaikartig zusammengesetzte Landschaft in der Umgebung der frühneolithi- schen Siedlung von Kovačevo geschlossen werden. Kooperationspartner: Archäologisches Institut der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften; Centre de Recherches Protohistoriques, Universität Pa- ris I; Arbeitsgruppe Paläogenetik am Institut für Anthropologie der Johannes- Gutenberg-Universität Mainz • Leitung der Projekte: N. Benecke • Abbil- dungsnachweis: DAI, Zentrale, Naturwissenschaftliches Referat, N. Benecke (Abb. 50–52).

Naturwissenschaftliche Forschungen – Dendrochronologie In diesem Jahr konnte die Untersuchung von 3706 Holzproben mit Gutach- ten abgeschlossen werden. Das Spektrum reicht dabei von Nordwestchina über die Ukraine bis in den mediterranen Raum, der Schwerpunkt lag aber auf mit- telalterlichen Zusammenhängen Nordostdeutschlands. Die bestehenden Chro- nologien konnten z. T. erheblich ausgebaut und vertieft werden. Eine methodisch sehr interessante Untersuchung hat sich in Herculaneum angeboten. Der große Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. verschüttete die ganze Landschaft samt den Städten und Villen im Umfeld. Die archäologische Erfor- schung dieser einzigartigen Hinterlassenschaften zur römischen Geschichte be- ginnt bereits früh und nimmt noch heute einen sehr breiten Raum mit einem quasi unerschöpflichen Reservoir an unterschiedlichen Aspekten ein. Der Re- konstruktion der Landschaft widmet sich das an der Zentrale des DAI ange- siedelte Projekt »Sarno-Ebene« (s. auch S. 14–17). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage der Bewaldung und der Umweltentwicklung, wobei hier- zu Jahrringe als wesentliche Informationsquelle dienen können. Nach der er- folgreichen Datierung des bronzezeitlich/früheisenzeitlichen Komplexes von

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Poggiomarino ist es nur folgerichtig, nach dem Ausbau der Reihen sowohl in älterer als auch in jüngerer Zeit zu trachten. Im berühmten Pompeji ist zwar viel Bausubstanz freigelegt und die Stadt- struktur bereits umfassend dokumentiert worden, aber die Schichten des Ve- suvausbruchs sind relativ locker und porös. Dadurch wird zwar die archäolo- gische Arbeit erleichtert, die Hölzer sind jedoch weitgehend entweder schon in den Schichten zu Asche verglüht oder in der nachfolgenden Zeit vergangen. Die Erhaltung von Hölzern ist daher sehr gering, zumal größere Grabungen im Feuchtbodenbereich noch nicht erfolgt sind und auch die Lage des ehema- ligen Hafens mit potentieller Holzerhaltung noch diskutiert wird. Wesentlich günstiger sehen die Bedingungen zur Erhaltung von Holzfun- den in Herculaneum aus. Hier bedecken sehr hohe und dichte Schichten die ehemalige Stadt. Die Hölzer sind beim Ausbruch zum Teil in den Grundwas- serbereich gelangt und haben sich dort unter Feuchtbodenbedingungen erhal- ten, im weitaus überwiegenden Teil sind sie verkohlt, aber – mangels Sauer- stoffzutritts – nicht verbrannt (Abb. 53). Sie liegen daher als mehr oder weniger kompakte Holzkohlen vor. Die Jahrringstruktur ist in Holzkohlen an sich sehr Abb. 53 Naturwissenschaftliche For- gut überliefert. schungen – Dendrochronologie, Fund- Die Schrumpfung verändert nur die Absoluthöhe der Messwerte, aber nicht situation der Hölzer in Herculaneum die Relation der Jahrringe untereinander. Das Jahrringmuster bleibt daher als solches erhalten. Holzkohlen sind auch nicht mehr von Abbau durch Pilze und Bakterien betroffen. Schwieriger ist jedoch die mechanisch geringe Festigkeit der Außenbereiche. Gerade dort, wo die Dendrochronologie ihre Präzision am besten umsetzen kann, ist durch Abbrand, Trocknung, Bergung usw. der Substanzverlust am größten. Proben mit erhaltener Waldkante sind deswegen stark unterrepräsentiert. Eine erste Serie von 161 Proben konnte gewonnen werden, der überwie- gende Teil der Proben stammt aus der Villa dei Papiri. Unsere Untersuchung strebt die vollständige Erfassung aller auswertbaren Hölzer an und beschränkt sich nicht auf besonders aussageträchtige Stücke. Im Gegensatz zu Poggiomarino fällt schon auf den ersten Blick das völlig andere Artenspektrum auf. Während es sich im älteren Poggiomarino fast durchweg um Eichenhölzer handelt, dominiert mit 63 % Tannenholz gefolgt von 16,25 % Fichte (Abb. 54). Unter den restlichen Proben gibt es nur ein

Abb. 54 Naturwissenschaftliche For- schungen – Dendrochronologie, Daten- struktur der Proben aus Herculaneum (Tanne und Fichte)

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Eichenholz, die anderen bestehen aus Kiefer, Ulme und Zypresse. Tanne ist hier lokal nahe an ihrer südlichen Verbreitungsgrenze, kommt aber im Hinter- land noch heute vor. Die Verbreitung der Fichte liegt eigentlich deutlich wei- ter nördlich. Inwieweit sie in römischer Zeit in der Vesuvregion vertreten war, ist nicht sicher. Hier besteht noch erheblicher Klärungsbedarf. Da Eiche mit Sicherheit in großemn Umfang verfügbar war, liegt eine bewusste Auswahl der Tanne als Bauholz vor. Die leichtere Bearbeitbarkeit dürfte die Bauherren in damaliger Zeit kaum dazu bewogen haben. Eher sind die oberflächliche Ähnlichkeit zu Zedernholz und die mit den sich entsprechenden Wuchsfor- men des Stammholzes leichter umzusetzenden konstruktiven Anlehnungen an ostmediterrane Bautraditionen dahinter zu vermuten. Während sich die Eichenwälder am Fuß des Vesuvs und in den benachbarten flachen Hängen ausbreiten, gehört die Tanne in die höheren Bergregionen. Bei einer wesent- lich größeren Höhe des Vesuvs war dementsprechend auch ihr potentielles Verbreitungsgebiet entschieden weiter. Dagegen sprechen jedoch schon der zeitlich durchgängige Einsatz auch zu sehr profanen Konstruktionsteilen, das Zusammenspiel von Fichten- und Tannenchronologien, das auf gemeinsame Herkunft deutet, und eben die noch heute gegebene natürliche Verbreitung. Die Jahrringchronologien selbst füh- ren uns bei der Tanne aber nicht weiter. Ein Holztransport über die Alpen ist angesichts der Verfügbarkeit vor Ort auszuschließen. Dem widerspricht auch, dass dieser Transport westlich und östlich der Alpen hätte abgewickelt werden müssen und damit immer durch Gebiete mit mehr als ausreichend eigenem entsprechenden Holzbestand geführt hätte. Die Tannen untereinander zeigen eine sehr hohe Ähnlichkeit. Die relative Chronologie der Proben ist damit verhältnismäßig einfach zu klären. Auch die Fichten lassen sich gegenüber den Tannen eindeutig synchronisieren. Hin- sichtlich der Absolutdatierung liegt für diesen Raum noch keine durchgän- gige Chronologie vor. Der Vergleich mit den Tannen Süddeutschlands (Chro- nologien W. Tegel und F. Herzig) sowie mit denen Österreichs (K. Nikolussi) zeigt überraschend hohe Vergleichswerte. Die T-Werte liegen bei 9,50 bzw. 6. Die Tannenchronologie lässt sich damit auf 311 v. Chr. – 71 n. Chr. datieren, die Kurven sind somit fast deckungsgleich. Möglicherweise hängen die Strö- mungen der Atmosphäre doch deutlich enger zusammen, als es bislang ange- nommen wurde. Die enge Beziehung der Eichenchronologie von Poggioma- rino zu Südfrankreich weist in dieselbe Richtung. Die Tannen auf dem hoch herausragenden Vesuv könnten ganz gut eine engere Relation zum überregi- onalen Klimageschehen widerspiegeln, als es die heutigen Verhältnisse vermu- ten lassen. Für eine sichere Erklärung sind weitere Befunde und eine breitere Analyse notwendig. Im Laufe der Zeit wird gegenüber der Tanne verstärkt ebenso Fichtenholz eingesetzt. Wahrscheinlich stieß die Nutzung der doch begrenzten Bestände allmählich an ihre Grenzen. Der derzeitige Stand der Einzeldatierung der Hölzer erlaubt die Datierung von bislang 101 Proben. Es zeigt sich, dass die ältesten Hölzer kurz nach 174 v. Chr. geschlagen worden sind. Noch im 2. Jh. v. Chr. findet eine Konsoli- dierung statt. Danach folgt ein mehr oder weniger kontinuierlicher Ausbau, der um die Zeitenwende in der Hauptbauaktivität gipfelt. Einzelne Hölzer wurden noch kurz vor Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. geschlagen. Sie könn- ten gut zu Reparaturen der Schäden geotektonischer Ereignisse vor dem gro- ßen Ausbruch gehören. Hier steht aber die Rückkopplung der Holzbefunde an die Baubefunde und die eingehende Bewertung der bisherigen Ergebnisse noch aus.

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Kooperationspartner: Soprintendenza Speciale dei Beni Archeologici di Napoli e Pompei • Leitung des Projekts »Sarno-Ebene«: F. Seiler (DAI, Zen- trale) • Leitung des Labors: K.-U. Heußner • Mitarbeiterin: P. Kastenmeier • Abbildungsnachweis: K.-U. Heußner (Abb. 53. 54).

Naturwissenschaftliche Forschungen – Archäobotanik Von mehreren Ausgrabungen des DAI sowie anderer Institutionen wurde in diesem Jahr botanisches Material im Labor für Archäobotanik des DAI oder vor Ort bearbeitet. Dies betrifft u. a. botanische Proben aus Pietrele (Rumä- nien), Aruchlo (Georgien), Tayma (Saudi-Arabien), Tall HujayrŒt al-GhuzlŒn (Jordanien), Qreiye/cAyyŒš, Shir und Kharab Sayyar (Syrien), Elephantine (Ägypten) sowie Orlovka (Ukraine). An einigen interessanten Objekten, wie z. B. einem Thron aus Herculaneum (Italien) und drei in Grabanlagen ent- deckten Harfen aus Dra‘ Abu el-Naga (Ägypten), wurden Holzbestimmungen vorgenommen. An dieser Stelle soll näher auf die einmaligen Funde von Nutzpflanzen, geborgen aus einem auch sonst sehr reich ausgestatteten skythischen Fürsten- grab – dem Kurgan Aržan 2 auf der Hochebene von Aržan (Tuva, Westsibi- rien) –, eingegangen werden. Der Kurgan ist an das Ende des 7. Jhs. v. Chr. zu datieren und wurde im Rahmen eines deutsch-russischen Kooperationspro- jekts erforscht. Aufgrund außergewöhnlich guter Erhaltungsbedingungen, hervorgerufen durch eine feste Lehmdecke und eine Steinplattenabdeckung der Grabkam- mer sowie ein kaltes und verhältnismäßig trockenes Klima in dieser Region, war eine Anhäufung von botanischen Überresten aus Knollen und Fruchttei- len in der Westecke der Grabkammer bewahrt geblieben (Abb. 55). Dieses Material war ursprünglich vermutlich in einigen an der Kammerwand des 55 Grabes aufgehängten und allmählich morsch gewordenen Ledersäcken gela- Naturwissenschaftliche Forschungen – gert. Darin befanden sich kleine Kirschsteine von zwei in Frage kommen- Archäobotanik, Aržan 2 (Russische Födera- den wilden Kirscharten: entweder der Steppenkirsche (Prunus fruticosa Pall.), tion). Fürstengrab ein kleiner Strauch aus der Waldsteppe und Steppe, oder der Steinweichsel Abb. 55 Ansammlung von Knollen und (Prunus mahaleb L.), ein kleiner Baum oder Strauch aus offenen winterkahlen Fruchtteilen unterschiedlicher Pflanzen- Wäldern. Viele Teile der Steinweichsel, wie das Holz, die Blätter und auch arten in der Westecke der Grabkammer. die Steinkerne, sind stark aromatisch. Da die Kerne offensichtlich schon ohne Dazwischen liegen u. a. eine Holztasse mit Fruchtfleisch gelagert waren, ist die Deponierung von Steinkernen der Stein- einem goldenen Griff, ein goldener Kamm mit hölzernen Zähnen und steinerne weichsel am wahrscheinlichsten. Räucherschalen Dazu fanden sich viele kleine Knollen von einem Sauergrasgewächs, dem Knollen-Zyperngras (Cyperus rotundus L., Abb. 56), ein aromatisch duftendes, Abb. 56 Sprossknollen von Knollen- keinen intensiven Frost vertragendes Zyperngras, das heutzutage zu einem der Zyperngras (Cyperus rotundus L.) lästigsten Ackerunkräuter der Welt zählt. Die getrockneten, viele bitter-- tische Stoffe enthaltenden Knollen werden schon seit langem für medizinische Zwecke oder die Parfümierung von Kleidung und Haaren eingesetzt. Außerdem wurden noch viele Spaltfrüchte von einem bislang nicht wei- ter bestimmten Doldengewächs (Apiaceae) gefunden – die Früchte innerhalb dieser Familie sind ebenfalls fast alle sehr aromatisch – und einige Korian- derfrüchte (Coriandrum sativum L.) sowie bespelzte Getreidekörner der Ris- penhirse (Panicum miliaceum L.). Koriander wird heute nur mehr als Gewürz verwendet, er wurde aber früher auch oft als Heilpflanze eingesetzt. Korian- derfrüchte enthalten zudem leicht psychoaktive Öle und gehören traditionell in viele Rezepturen für psychoaktives Räucherwerk. Bemerkenswert ist, dass keine der nachgewiesenen Nutzpflanzen in der di- rekten Umgebung von Aržan gedeiht. Die Nekropole dieser Reiternomaden 56 liegt jedoch an alten Fernwegen, die von Nordchina über die Mongolei nach

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Abb. 57 Naturwissenschaftliche For- schungen – Archäobotanik, Aržan 2 (Russische Föderation). Mögliches Herkunftsgebiet einiger in dem Fürsten- grab nachgewiesener Nutzpflanzen

Tuva, von dort in die Altaj-Region und weiter in die westsibirisch-kazachi- schen Steppen- und Waldsteppenregionen führten. Vor allem die westliche Verbindung lässt sich leicht mit den botanischen Funden in dem Fürstengrab in Zusammenhang bringen und ist ein weiterer Beleg für die Kontakte der Reiternomaden zu jener Region (Abb. 57). Es kann, wie im Fall der anderen Grabbeigaben, davon ausgegangen wer- den, dass – gemessen an der Länge von benötigten Transportwegen von teils mehreren tausend Kilometern – es sich auch im Fall dieser pflanzlichen Grab- beigaben um Luxusgüter handelt. Über ihre Bedeutung und Funktion kann nur spekuliert werden: Waren es symbolische Gaben für den Verstorbenen in Form von Nahrung oder Kräutern gegen körperliches Leiden oder zu der Abwehr von ›bösen Geistern‹ für das Jenseits? Oder sind Teile des Materials in dem Fürstengrab vergleichbar mit auch heutzutage noch viel verwendeten duftenden Potpourris, aufgrund der angenehmen Düfte, die die Steinkerne der Steinweichsel, die Knollen des Knollen-Zyperngrases und auch die Früchte des Koriander verbreiten? Welche Rolle genau diese Pflanzen im damaligen Brauchtum – bei den Ritualen um Tod und Sterben – gespielt haben, wird jedoch wohl nie geklärt werden können. Leitung des Projekts: R. Neef • Abbildungsnachweis: DAI (Abb. 55); R. Neef (Abb. 56); Bearbeitung, J. Keitz nach Vorlage von R. Neef (Abb. 57).

Naturwissenschaftliche Forschungen – Prähistorische Anthropologie Das Naturwissenschaftliche Referat wurde mit der Einrichtung eines Labors für Prähistorische Anthropologie durch die Einstellung von J. Gresky am 1. November erweitert.

Die Forschungscluster des DAI

Eine Vernetzung der weltweit durchgeführten Forschungsaktivitäten des Instituts unter übergeordneten Fragestellungen ist Ziel der fünf Forschungs- cluster des DAI.

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Der globale Vergleich kultureller Phänomene und Prozesse in unterschied- lichen Regionen ermöglicht den Gewinn wichtiger, tief greifender Erkennt- nisse, nicht nur zu den traditionell im Hauptaugenmerk der Unternehmungen des Instituts stehenden Kulturen im Mittelmeerraum und im Vorderen Orient, sondern auch in der eurasischen Steppe, in Ostasien, auf dem afrikanischen Kontinent und nicht zuletzt in Lateinamerika. Die diesjährigen Aktivitäten der verschiedenen Forschungscluster sollen hier erstmalig in einem kurzen Überblick vorgestellt werden.

Forschungscluster 1 »Von der Sesshaftigkeit zur komplexen Gesellschaft: Siedlung, Wirtschaft, Umwelt« Der Übergang von einer nichtsesshaften Lebensweise kleinerer Gruppen zu permanenten Siedlungen größerer Gemeinschaften war einer der bedeutend- sten Entwicklungsschritte der Menschheit. Während die mobile Lebensweise in der Regel mit einer jägerischen, aneignenden Wirtschaft verbunden war, findet sich Sesshaftigkeit zumeist im Zusammenhang mit produzierenden Wirtschaftsformen, dem Bodenbau und der Viehzucht. In Mitteleuropa traten diese neuen Lebensformen im 6. Jt. v. Chr. gleichzeitig mit der Nutzung von Keramik und von geschliffenen Steingeräten auf. Man bezeichnete diese Phä- nomene zunächst einheitlich als ›Neolithisches Bündel‹, die einschneidenden Veränderungen, die mit dem Übergang von aneignender zu produzierender Wirtschaftsweise einhergingen, gar als ›Neolithische Revolution‹. Mit zunehmender Datenfülle in den Ursprungsgebieten der Neolithisie- rung im Vorderen Orient, im sog. Fruchtbaren Halbmond, zeigt sich jedoch, dass die Bestandteile des Neolithischen Bündels in unterschiedlichen Regio- nen durchaus keine einheitliche Entwicklung aufwiesen. Der Bodenbau ent- stand ab dem 10. Jt. v. Chr. vor der Erfindung von Keramik. Ob sich sess- hafte Siedlungen als Folge des Bodenbaus oder umgekehrt, der Bodenbau im Umkreis permanenter Siedlungen etablierte, steht zunehmend in der Dis- kussion. Einen wesentlichen Anlass, die Thematik der Entstehung sesshafter Gemeinschaften und produzierender Wirtschaftsformen vor dem Hintergrund neuer Forschungsergebnisse neu zu hinterfragen, gaben die Befunde der Gra- bungen des DAI in Göbekli Tepe (Türkei). Dort entstanden im 10. Jt. v. Chr. monumentale Kultanlagen mit ausgefeilter Steinskulptur und einer Ikono- graphie, die in engem Zusammenhang mit animistischen Vorstellungen von Jägern zu stehen scheint (Abb. 58). Offenbar wurden diese Kultanlagen von ebensolchen Gruppen mit mobiler Lebensweise erbaut, die sich in regelmäßi- gen Abständen zu Ritualen zusammenfanden, ansonsten aber weiter in meso- lithischer Tradition lebten. Da sich der Fundplatz in einer Region befindet, in der alle Voraussetzungen für den späteren Bodenbau gegeben sind, stellt sich die Frage nach den genauen Mechanismen der Entstehung von Sesshaf- tigkeit und Bodenbau. Die neuen Lebensformen breiteten sich vom Vorderen Orient über ver- schiedene Routen in den Mittelmeerraum, den Balkan und nach Mitteleuropa aus. Man sprach bislang von primären und sekundären Ausbreitungsgebieten der Neolithisierung. In den primären Ausbreitungsgebieten sind Migrations- und Diffusionsbewegungen anhand stilistischer Merkmale von Artefakten, pa- läogenetischer, paläozoologischer und paläobotanischer Methoden nachweis- Abb. 58 Forschungscluster 1 »Von der bar. Jedoch stellt sich in den sog. sekundären Ausbreitungsgebieten, etwa im Sesshaftigkeit zur komplexen Gesellschaft: nördlichen Europa oder im nördlichen Afrika, zunehmend die Frage, ob die Siedlung, Wirtschaft, Umwelt«. Göbekli Neolithisierung als Konsequenz der Entwicklungen im Vorderen Orient zu Tepe (Türkei), Pfeiler aus einer der Kultan- lagen, auf dem wahrscheinlich eine mytho- betrachten ist oder ob sich nicht vielmehr unabhängige Zentren mit ganz ei- logische Szene dargestellt ist genen, regional bedingten Entwicklungen herausgebildet haben. Dies würde

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erklären, warum in Nordafrika auch jägerische Gemeinschaften schon sesshaft Abb. 59 Forschungscluster 1 »Von der wurden oder nach anfänglicher Entwicklung des Bodenbaus aufgrund verän- Sesshaftigkeit zur komplexen Gesellschaft: derter ökologischer Bedingungen wieder zur Jagd zurückfanden. Oder warum Siedlung, Wirtschaft, Umwelt«. Timmen- dorf (Deutschland), Grubenhaus aus dem im nordeuropäischen Waldland vollständig nomadisch lebende Bevölkerungs- 5. Jt. v. Chr., dessen Reste sich am Boden teile schon Keramik nutzten. der Ostsee fast unversehrt erhalten haben. Ein vollständiges Umdenken ist notwendig, wenn man eine weltweite Pers- Es wurde im Rahmen des SINCOS-Projekts pektive einnimmt. In Amerika entstanden sesshafte Siedlungen ohne jeglichen unter Wasser dokumentiert Bodenbau auf der Grundlage reichhaltiger mariner Ressourcen. Städte im alt- weltlichen Sinn scheint es gar nicht gegeben zu haben, dafür aber Zeremoni- alzentren mit Monumentalbauten, in denen noch keine Keramik verwendet wurde. In anderen Regionen, wie im südlichen Afrika, gab es den Übergang zu einer sesshaften Lebensweise nie wirklich. In Ostasien dagegen fanden die frühesten Entwicklungen zu sesshaften Siedlungen lange nach der Erfindung der Keramik im 9. Jt. v. Chr. auf der Grundlage einer intensiven Sammelwirt- schaft nicht etwa von Gräsern, sondern von Eicheln und Nüssen statt. Archäologen und Archäologinnen des DAI erforschen diese Phänomene in vielen Regionen der Welt, sowohl im Ausgangsgebiet der Neolithisierung der Alten Welt (Osttürkei, Syrien) als auch in den primären und sekundären Ausbreitungsgebieten (Westtürkei, Georgien, Bosnien, Spanien), Mittel- und Nordeuropa (Ostseegebiet, Abb. 59; Nordosteuropäische Waldzone). Ebenso sind die außereuropäischen Gebiete in mehreren Projekten vertreten (Marok- ko, China, Peru). Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Instituts haben sich im Forschungscluster 1 mit Kollegen anderer deutscher Forschungs- institutionen zusammengefunden, um die Fragen zur sog. Neolithisierung zu diskutieren. Als Strategie wurde gewählt, die einzelnen Komponenten des ›Neolithischen Bündels‹ gesondert zu betrachten und im weltweiten Ver- gleich neu zu bewerten. Nach ersten Workshops im Kreis der Teilnehmen- den des Forschungsclusters fand am 23. und 24. Oktober in Berlin die Kon- ferenz »Sedentism: Worldwide Research Perspectives for the Shift of Human Societies from Mobile to Settled Ways of Life« zum Thema Sesshaftwerdung statt (s. auch S. 57). Zu dieser Tagung wurden zwölf international führende Experten eingeladen, um aus der Sicht ihrer Kulturregion den Stand der For- schungen zur Entstehung und Entwicklung der Sesshaftigkeit darzustellen. Die Berichte, die zum Teil erstaunliche Unterschiede in dem weltweiten Ver- gleich aufzuzeigen vermochten, werden in einem Tagungsband veröffentlicht. Weitere Tagungen sind zu dem Thema der Domestikation geplant, darauf ei- ne Tagung zu der Frage, in welchem Maß sich Umwelteinflüsse auf entschei- dende Umbrüche in der Kulturentwicklung ausgewirkt haben. Damit wären

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die wichtigsten Themenfelder des Forschungsclusters 1 des DAI – Siedlung, Wirtschaft und Umwelt – abgedeckt. Sprecher des Forschungsclusters 1: N. Benecke, F. Lüth, M. Reindel, K. Schmidt • Abbildungsnachweis: B. Steinhilber (Abb. 58); H. Lübke (Abb. 59).

Forschungscluster 2 »Innovationen: technisch, sozial« Innovationen haben schon in der frühen Menschheitsgeschichte eine wich- tige Rolle gespielt. Das Bündel von neuen Techniken, das G. Childe mit der griffigen Formel ›Neolithische Revolution‹ belegte, veränderte grundlegend die Wirtschafts- und Lebensweise des Menschen. Die Erfindung des Rades im 4. Jt. v. Chr. gilt als so elementar, dass sie in Form von Redewendungen in unsere Sprache eingegangen ist. In einer erweiterten Perspektive beobachtet das Forschungscluster 2 Innovationen auch jenseits der Sphäre der Technik: Neue Institutionen, die soziale Handlungsspielräume veränderten, oder neue Ideologien, die die etablierte Sicht der Welt radikal wandelten, prägten nach- haltig den Entwicklungsgang ganzer Gesellschaften. Obwohl die Bedeutung von Innovationen für die Herausbildung sozialer und politischer Organisation unbestritten ist, wurde dieser Zusammenhang für das Altertum bislang noch wenig untersucht. Für die dafür erforderliche Langzeitperspektive bieten sich die Archäologien sowie Altertumswissenschaften an, um im Kulturvergleich neue Einsichten in die Verschiedenheit innovativer Prozesse zu gewinnen. Das Forschungscluster 2 möchte dazu einen Beitrag leisten, indem es Projekte des DAI und seiner Kooperationspartner bündelt, die in besonderer Weise Inno- vationen in den Vordergrund rücken. Thematisch konzentrierte sich die Ar- 60 beit des Forschungsclusters in den Jahren 2006 bis 2008 entsprechend den Schwerpunkten der beteiligten Projekte auf die Nutzung von Wasser und Metallen (Abb. 60. 61) durch den Menschen. Die Untersuchung dieser beiden elementaren natürlichen Ressourcen verspricht repräsentative Erkenntnisse zu Innovationen und ihrer gesellschaftlichen Einbettung, denen das Haupt- interesse des Forschungsclusters gilt. Das Netzwerk gliedert sich in drei Arbeitskreise; zwei beschäftigen sich mit den genannten Themenschwerpunkten, ein dritter widmet sich den theore- tischen Implikationen des Innovationsbegriffs und bezieht dabei die Ergeb- nisse anderer Disziplinen (Wirtschaftswissenschaften, Psychologie u. a.) in die Betrachtung ein. Die Arbeitskreise sind jeweils offen für alle Mitglieder des Forschungsclusters. Darüber hinaus dienen Protokolle und Berichte im Rah- men der jährlichen Plenartagung dem Austausch zwischen den Arbeitskreisen. Die Arbeitsgruppe zur Wasserversorgung traf sich am 15. Februar in Berlin. Zur Vorbereitung hatten die 17 Teilnehmer einen Katalog von Leitfragen er- halten, die den Vorträgen zugrunde gelegt werden sollten. In einem chrono- logisch und geographisch breit gestreuten Programm kristallisierten sich der Brunnenbau, das Zusammenwirken verschiedener Versorgungsformen (Zis- ternen, Brunnen, Fernwasserleitungen) sowie die Verteilung des verfügbaren Wassers innerhalb städtischer Siedlungen als übergreifende Fragestellungen 61 heraus. Ein Schema zur Entwicklung früher Wassernutzung wurde vorgestellt und diskutiert. In Torres Vedras (Portugal) fand vom 4. bis 6. April der Work- Forschungscluster 2 »Innovationen: technisch, sozial« shop des Arbeitskreises »Metallurgie« statt. In den Referaten wurden u. a. die Anfänge der Metallurgie in Südosteuropa und auf der Iberischen Halbinsel Abb. 60 Pietrele (Rumänien), Kupfer- behandelt, die Verwendung des Begriffs »Kupferzeit« erläutert und Probleme nadeln des 5. Jts. v. Chr. aus Pietrele des antiken Bergbaus auf der Iberischen Halbinsel beleuchtet. Der Arbeitskreis Abb. 61 Pompeji (Italien), Wasser- »Theorie« diskutierte am 20. Juni in Frankfurt a. M. über soziologische und verteilung in der Stadt, Bleirohr ethnologische Konzepte zur Erklärung von Innovationen. Dabei ging es vor

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allem um die Bedeutung von Improvisation und Kreativität bei der Entste- hung von Innovationen und um die Rolle von Eliten bei deren Diffusion. Alle Mitglieder des Clusters kamen am 4. und 5. Dezember in Berlin zusammen (s. auch S. 57 f.). Jeweils mehrere Vorträge behandelten den Brunnenbau und die Kupfergewinnung. Neben den Berichten aus den Arbeitskreisen wurden in ei- nem Forschungsbericht aktuelle Publikationen über Innovationen in der grie- chischen und römischen Geschichte vorgestellt, ein Gastvortrag zeigte Stand und Perspektiven der Technikethnologie auf. Fragen des Wissenstransfers und der Ausbreitung von Innovationen im 2. Jt. v. Chr., die im Forschungscluster bisher vor allem durch ein Grabungsprojekt auf Tavsan Adası (Türkei) vertreten waren, rückten durch zwei erstmals vorgestellte Projekte über ägäische und ägäisierende Malerei in nahöstlichen Palästen sowie militärische und soziale Veränderungen im östlichen Mittelmeerraum um 1200 v. Chr. stärker in den Vordergrund. Dieser Aspekt soll, nachdem sich alle Teilnehmenden mit Nach- druck für eine Fortsetzung des Forschungsclusters ausgesprochen hatten, in der Arbeit der nächsten Jahre vertieft werden. Außerdem wurden erste Entwürfe für zwei Sammelbände, in denen die bisherigen Ergebnisse zu den beiden Schwerpunkten Wasserversorgung und Metallurgie zusammengefasst werden sollen, vorgestellt und diskutiert. Die Ausarbeitung dieser Publikationen soll im kommenden Jahr erfolgen. Sprecher: R. Eichmann, S. Hansen, Ch. Schuler • Abbildungsnachweis: S. Hansen (Abb. 60); Ch. Schuler (Abb. 61).

Forschungscluster 3 »Politische Räume« Das Forschungscluster 3 thematisiert politische Räume, d. h. die Zusammen- hänge zwischen räumlichen Strukturen und politischem Handeln. Dabei geht es nicht nur um klassische politische Räume wie und Forum, Rathäu- ser oder Theater, sondern ganz allgemein um Räume, die das Zusammenle- ben menschlicher Gemeinschaften strukturieren. Ziel der Arbeit der vier For- schungsfelder (Forschungsfeld 1 »Erschließung und Nutzung«, Forschungs- feld 2 »Grenzen politischer Räume«, Forschungsfeld 3 »Urbane Räume«, Forschungsfeld 4 »Orte der Herrschaft«, Abb. 62) war es in diesem Jahr, die relevanten Projekte im DAI von der Vorgeschichte bis in das Mittelalter mit solchen aus dem universitären Bereich weiter zu vernetzen, vier unterschied- liche Aspekte des Leitthemas zu vertiefen und die Ergebnisse in das Gesamt- forschungscluster »Politische Räume« einzubringen. Neben Treffen der ein- zelnen Arbeitsfelder fand am 15. und 16. Dezember ein Jahresabschlusstreffen in Bonn (s. auch S. 58) statt. Schwerpunkte der Diskussion berührten den Zusammenhang von Wegen und der symbolischen Demarkation von Landschaft (Forschungsfeld 1; Mo- deratoren I. Motzenbäcker, K. Rassmann, D. Vieweger), Kontinuitäten und Diskontinuitäten von Grenzen, die Trennung von Zentrum und Peripherie durch Grenzen sowie die Symbolik/Semantik von Grenzen und Mauern (For- schungsfeld 2; Moderatoren J. Heiden, C.-M. Hüssen, A. V. Walser) und die Definition und Nutzung urbaner Räume, ihrer Vernetzung bzw. die Defini- tion von unterschiedlichen öffentlichen und privaten Räumen im urbanen Kontext (Forschungsfeld 3; Moderatoren H.-J. Beste, K. S. Freyberger). For- schungsfeld 4 (Moderatoren F. Arnold, U. Wulf-Rheidt) ging der Frage nach, welche Faktoren (militärische oder wirtschaftliche Gesichtspunkte, die Lage im Mittelpunkt eines Verkehrsnetzes, die Wahl eines beherrschenden land- schaftlichen Punktes als Symbol der Macht, die Anknüpfung an die Gräber mythischer Gründer oder Heiliger etc.) für die Wahl eines Herrschaftsortes in Bezug auf seine Umgebung, sei sie nun ländlicher oder städtischer Natur,

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Abb. 62 Forschungscluster 3 »Politische Räume«. Kaiserpalast auf dem Palatin in Rom (Italien), sog. Domus Severiana, Rekonstruktion der flavischen Phase (1. Jh. n. Chr.)

ausschlaggebend sind. Diskutiert wurde ferner, ob es zeitgleich andere Orte der Herrschaft gab, wie diese zur Ausübung der Herrschaft eingesetzt wurden (z. B. sowohl einen Stadtpalast als auch eine Sommerresidenz auf dem Land), und inwiefern die räumliche Situierung Rückschlüsse auf ein zeitspezifisches Herrschaftsverständnis erlaubt. Die Abschlusstagung des Forschungsclusters 3 in Bonn stand unter dem Motto »Physische und symbolische Markierungen von Räumen«. In metho- discher Hinsicht basierte das Kolloquium auf der Annahme, dass (politische) Räume sowohl durch feste, d. h. gebaute Strukturen als auch durch rituali- sierte Handlungen markiert werden. Beide können über ihre primären Funk- tionen hinaus auch symbolische Bedeutungen entwickeln. So markiert der Wachwechsel vor dem Buckingham Palace in London den Raum der Herr- scher, aber auch deren Wehrhaftigkeit und ihre Rolle als erster Feldherr etc. Ähnliches gilt z. B. auch für einen Tumulus. Er ist zunächst ein Grabmal, kann aber auch den herrschaftlichen Anspruch über ein Territorium zum Ausdruck bringen. Schließlich können physische Markierungen von Räumen, wie zum Beispiel eine Stadtmauer, auch symbolische Funktionen übernehmen. Ziel des Schwerpunktthemas war es, beide Funktionen der Markierung von Räumen zunächst zu differenzieren, um im Anschluss über ihren unterschiedlichen Stel- lenwert und ihre verschiedenartigen Funktionen bei der Konstitution politi- scher Räume zu reflektieren. Dieses Thema wurde exemplarisch anhand von Beiträgen zu dem ostjordanischen Königreich Moab und den Königen von Israel (D. Vieweger, Abb. 63), dem Territorium der hellenistischen Residenz- stadt Pergamon (F. Pirson), Kurganen auf der Krim (K. Moede) und Fragen des politischen Raumes während der römischen Republik (M. P. Fronda) erörtert. Schon zuvor waren in den vorangegangenen Berichten sowie Beiträgen der Forschungsfelder Schnittmengen zum Schwerpunktthema aufgezeigt worden. Generell wurde beschlossen, die Ergebnisse der Forschungsarbeit des For- schungsclusters 3 in Form einer internationalen Tagung in Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster »Topoi« im Herbst 2009 zu präsentieren, die Er- Abb. 63 Forschungscluster 3 »Politische Räume«. Mescha und Moab (Israel/Jorda- gebnisse zu veröffentlichen und die Arbeit des Forschungsclusters mindestens nien), die Meschastele bis 2012 fortzusetzen.

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Sprecher des Forschungsclusters 3: O. Dally, R. Haensch, F. Pirson, S. Sie- vers • Abbildungsnachweis: A. Müller nach Angaben von U. Wulf-Rheidt (Abb. 62); nach D. Vieweger, Archäologie der Biblischen Welt (Göttingen 2006) 53 Abb. 39 (Abb. 63).

Forschungscluster 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung« Mit der vergleichenden Untersuchung von Heiligtümern wendet sich das DAI einem zentralen Element menschlicher Existenz zu, dem Verhältnis zum Nu- minosen bzw. zum Heiligen. Dieses war in den verschiedenen Gemeinschaften sehr unterschiedlich aufgefasst und organisiert. Deshalb zielt das Forschungs- cluster darauf ab, die religiösen Konzepte von Heiligtümern unterschiedlicher Kulturregionen in wesentlichen Punkten miteinander zu vergleichen. Dabei stehen vier thematische Aspekte im Zentrum, die in entsprechenden For- schungsfeldern behandelt werden. Die am Forschungsfeld 1 »Genese und Kontinuität von Heiligtümern« be- teiligten Projekte diskutierten die vielfältigen neuen Ergebnisse ihrer Feldfor- schungen im Jahr 2008 auf einem Treffen der Teilnehmer am 1. November in Athen (s. auch S. 120 f.). Es zeigte sich, dass die Definition der Begriffe »Genese« und »Kontinuität« einer Klärung vor dem Hintergrund der konkreten Ergeb- nisse bedurften. Mangels der Schriftzeugnisse in frühen Kulturen können der Ursprung eines spezifischen Kultes, der nur aus späteren Quellen bekannt ist, und seine Kontinuität im Vergleich mit den archäologischen Fakten nicht immer gesichert werden. In manchen Fällen erweisen sich die Aussagen künst- lerischer Darstellungen oder literarischer Überlieferung als mythologische Fiktion. Die zentralen Bauten der Heiligtümer erfuhren oft gravierende Än- derungen der Gestalt, die sich unterschiedlich auf den Kultbetrieb auswirk- ten, in der Regel aber keine Verlagerung des Schwerpunktes bedeuteten. Ende und Nachleben von Kultstätten können an mehreren antiken Plät- zen exemplarisch erforscht und verglichen werden und erhalten so den ihnen zustehenden Platz eines eigenständigen Abschnittes in der Geschichte der antiken Heiligtümer. Ziel des Forschungsfeldes 2 »Ende und Nachleben von Heiligtümern« ist es, die Entwicklung der Kultorte in der letzten Phase ihrer Existenz und in ihrem Nachleben mit den zur Verfügung stehenden archäolo- gischen Methoden und Schriftquellen zu untersuchen. In der Arbeitsgruppe sind sechs Fächer vertreten, die diese ›Endzeiten‹ erforschen. Will man hierzu Aussagen treffen, muss die funktionale Komplexität dieser religiös bestimm- ten Plätze in den Blick genommen werden. Denn wenn der Kult nicht mehr praktiziert wurde, verlor die Stätte ihren Daseinsgrund und ihre primären Funktionen fielen aus. Mit dem Verschwinden der Kulte ist jedoch nicht das materielle Ende der Heiligtümer verbunden. Die funktionale Komplexität ist ein wesentlicher Faktor für die andersgeartete Weiternutzung ehemaliger Kult- orte. Beim Treffen des Forschungsfeldes in München wurden daher zunächst die hierfür zentralen archäologischen Phänomene »Spolien und Spolisierung« behandelt (Abb. 64). Die Teilnehmer des Forschungsfeldes 3 »Gestalteter Raum« erarbeiteten in einem ersten Treffen am 12. Januar in Berlin (s. auch S. 309 f.) mit Fachleu- ten benachbarter Disziplinen (U. Verstegen, A. Schultes, H. Schwebel) einen fach- und projektübergreifenden Fragenkatalog zur Beurteilung der Gestal- tung ihrer jeweiligen ›heiligen‹ Räume. Um eine Vergleichsmöglichkeit zu finden, musste zuerst ein gegenseitiges Grundverständnis für die Gemein- samkeiten bzw. Differenzen der Heiligtumskonzeption aller Projekte geschaf- fen werden. Zu diesem Zweck ordnete sich jedes Projekt innerhalb seines

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Abb. 64 Forschungscluster 4 »Heilig- tümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung«. Olympia, Turm der spätan- tiken Befestigung. Der Turm wurde aus Spolien des Leonideion errichtet

kulturellen, zeitlichen und topographischen Rahmens ein und stellte rituell bedingte Mechanismen, räumliche und bautechnische Hauptcharakteristika sowie die typologische Grundentwicklung der jeweiligen Heiligtümer dar. Bei einem zweiten Arbeitstreffen am 28. und 29. Oktober in Berlin (s. auch S. 310) kristallisierten sich die Kernfragen »Topographische Verortung und Kulttopographie«, »Funktionalität und Semantik« und »Abgrenzung und Übergang« heraus. Für das Gesamttreffen in Kairo im Jahr 2009 sollen die einzelnen Projekte unter diesen Kernfragestellungen in drei Vorträgen zusam- mengefasst werden. Im Mittelpunkt des vierten Forschungsfeldes »Votiv und Ritual« stehen einerseits Weihgaben, die nicht selten das einzige Indiz für die einstige Exis- tenz eines Heiligtums sind, und andererseits Rituale, also Handlungen der antiken Menschen, von denen sich im archäologischen Befund der Heilig- tümer vor allem die Relikte ritueller Mahlzeiten, beispielsweise Speiseabfäl- le und Kultgeschirr erhalten haben (Abb. 65). Die im Forschungsfeld bear- beiteten Projekte befassen sich mit ganz unterschiedlichen kulturellen, geo- graphischen und chronologischen Räumen und tragen eine große Breite an Beispielen von Funden und Befunden bei. Aus diesem Grund konnte in den Diskussionen ein sehr differenziertes Gerüst an Fragestellungen und Metho- den entwickelt werden, mit denen sich Weihegaben und die Relikte ritueller Mahlzeiten künftig präziser und gleichzeitig umfassender beschreiben lassen. Die Forschergruppe »Votiv und Ritual« hat zunächst auf schriftlichem We- ge Synthesen zu den Themen »Spektrum und Veränderung«, »Formate und Quantitäten« sowie »rituelle Mahlzeiten« verfasst, um diese dann während eines in Heidelberg veranstalteten Arbeitstreffens zu diskutieren. Hierbei wur- de eine engere Verknüpfung der Arbeiten des Forschungsclusters mit denen des Heidelberger Sonderforschungsbereiches 619 »Ritualdynamik« angebahnt, die ihren Ausdruck u. a. in einem gemeinsamen Workshop im kommenden Jahr finden wird. Sprecher des Forschungsclusters 4: H.-J. Gehrke, I. Gerlach, W.-D. Niemeier, Abb. 65 Forschungscluster 4 »Heilig- tümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und D. Raue, R. Senff • Abbildungsnachweis: R. Senff (Abb. 64); W.-D. Niemeier Veränderung«. Milet (Türkei), Kultgeschirr (Abb. 65).

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Forschungscluster 5 »Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert« Im Forschungscluster 5 des DAI arbeiten Archäologen und Zeithistoriker zu- sammen. Auch wenn das Ausgangsinteresse für die Beschäftigung mit der Ge- schichte des DAI die Zeit des Nationalsozialismus betraf, so wurde der Fokus doch weiter aufgezogen. Ziel ist eine Geschichte des Instituts vom Beginn des 20. Jhs. bis etwa 1980. Im Mittelpunkt steht einerseits die Entwicklung des DAI als transnationa- le und transdisziplinäre Institution, andererseits die Reaktion des Instituts auf die wechselnden politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Wie haben sich die Forschungsschwerpunkte des DAI und seine Außendarstellung vom Wilhelminismus über die Weimarer Republik und das Dritte Reich bis in die Bundesrepublik verändert? Es geht um die Hintergründe einer erstaunlichen Erfolgsgeschichte, an deren Ende das DAI im Mittelpunkt der deutschen ar- chäologischen Forschung steht und weltumspannend tätig ist. Durch die Ausweitung des Betrachtungszeitraums wird die nationalsozia- listische Zeit in die längerfristigen politischen Entwicklungen und Trends der Forschung eingeordnet und vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen und politischen Kontextes analysiert. So werden sowohl die Kontinuitäten als auch die Brüche in der wechselvollen Geschichte des DAI im 20. Jh. deutlich. Neben der zusammenfassenden Darstellung zur Institutsgeschichte wurde 2008 an drei weiteren Monographien zu zentralen Einzelaspekten gearbeitet: 1. Das Teilprojekt »Die Zentrale des DAI in Berlin – Entscheidungsprozesse und Finanzstrukturen von der Zwischen- zur Nachkriegszeit 1929–1972« un- tersucht die Beziehungen des DAI zu den vorgesetzten staatlichen Stellen und Selbstverständnis, Bedeutung und Führungsstruktur der Institutsleitung. Beson- deres Augenmerk liegt auf der Bewilligung, Verwendung und Verteilung der finanziellen Mittel und der wirtschaftlichen Situation der am DAI beschäftigten Wissenschaftler. Eine solche Wirtschaftsgeschichte der Wissenschaft ist ein bis- her kaum verfolgter, aber vielfach als Desiderat erkannter Forschungsansatz. In diesem Jahr stand die Zeit bis 1945 im Mittelpunkt der Recherchen, so etwa die Hintergründe der Ernennung Theodor Wiegands und Martin Sche- des zu Präsidenten des DAI (Abb. 66. 67). Untersucht wurden neben Akten

Forschungscluster 5 »Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert«

Abb. 66 Schreiben vom Mai 1938 von dem Präsidenten des DAI Martin Schede an das Reichserziehungsministerium, die damals dem Institut vorgesetzte Behörde; deutlich zu erkennen sind die Kriegs- schäden

Abb. 67 Theodor Wiegand (Präsident des DAI von 1932–1936, links) und Martin Schede (Präsident des DAI von 1937–1945, rechts) in der Bibliothek der Abteilung Istanbul, 27. November 1929 66 67

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Abb. 68 Forschungscluster 5 »Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert«. Festsitzung im Plenar- saal des Reichstags zum 100-jährigen Jubiläum des DAI am 21. April 1929; am Rednerpult Reichsaußenminister Gustav Stresemann. Bis 1935 gehörte das DAI zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, wie dann wieder seit 1970

und Briefnachlässen im Besitz des DAI die Quellenbestände des Bundesarchivs in Berlin und des Universitätsarchivs Marburg. 2. Im Mittelpunkt des Teilprojekts »Archäologie und Öffentlichkeit 1929– 1979« stehen die komplexen Beziehungen zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit (Abb. 68). Das Projekt wurde durch intensive Recherchen im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, im Bundesarchiv sowie den Archi- ven der Abteilung Athen und der RGK vorangebracht. Im Rahmen dieser beiden Teilprojekte entstanden 2007/2008 biographi- sche Studien zu Paul Jacobsthal, Siegfried Fuchs und Theodor Wiegand, die im Zusammenhang des von G. Brands und M. Maischberger initiierten Pro- jekts »Lebensbilder« publiziert werden, das sich den Biographien prominenter Archäologen widmet. 3. Weitere Teilprojekte im Rahmen des Forschungsclusters 5 wurden an den Abteilungen Rom und Kairo durchgeführt (s. auch S. 99. 188). In engem und produktivem Zusammenhang mit den monographischen Forschungen des Forschungsclusters 5 wurden die Erschließungsarbeiten im Archiv fortgesetzt. Anfragen sowie Archivbesuche von Forschern, die sich für die Institutsgeschichte interessieren, nahmen auch jenseits der Projekte des For- schungsclusters 5 in diesem Jahr wiederum zu. Weitere Teile der Altregistratur wurden erfasst und die Biographica-Sammlung, ein wichtiges Instrument zur Personengeschichte, bearbeitet. Um im Rahmen des bisher erfolgreichen Fortgangs der Arbeit an den For- schungsprojekten die Kommunikation mit weiteren institutsgeschichtlichen Arbeiten an den Abteilungen des DAI zu intensivieren, wird für das kommen- de Jahr ein gemeinsamer Workshop organisiert. Eine Ausweitung der Aktivi- täten zur Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jh. ist für die nächsten Jahre vorgesehen. Zur Verbesserung der internen Kommunikation und zur Anregung der eigenen Forschungen zur Wissenschaftsgeschichte des 20. Jhs. wurde ein Kol- loquium geschaffen, das alle drei bis vier Wochen im Orienthaus tagt. Im Wechsel wurden eigene Arbeiten diskutiert oder Kollegen eingeladen, die an ähnlichen Themen arbeiten (s. auch S. 56).

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Wissenschaftlicher Beirat des Forschungsclusters 5: A. Borbein (Emeritus, Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität Berlin), G. Brands (Seminar für Orientalische Archäologie und Kunst der Martin-Luther-Univer- sität Halle-Wittenberg), R. vom Bruch (Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin), O. Dally, N. Frei (Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena), H.-J. Gehrke (Vorsitz), S. Hansen, H. Haßmann (Niedersächsisches Landesamt für Denk- malpflege), Ch. Jansen (Institut für Geschichte und Kunstgeschichte der Tech- nischen Universität Berlin), K. Junker (Institut für Klassische Archäologie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz), M. Maischberger (Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin Stiftung Preußischer Kulturbesitz), S. von Schnurbein (Erster Direktor der RGK i. R.) • Projektbearbeiter: Ch. Jansen (Teilprojekt 3), M. Vigener (Teilprojekt 2), F. Jagust (Teilprojekt 1) • Abbil- dungsnachweis: DAI, Zentrale, Archiv (Abb. 66–68).

Wissenschaftliche Veranstaltungen

Hauskolloquien der Wissenschaftlichen Abteilung 23. Januar Ulf Weber (Jena), Der Naiskos von – Was Versatzmarken zur Baugeschichte antiker Großbauten beitragen könnenxxx26. März Roman Stoyanov (Istanbul/St. Petersburg), Necropolis of Tauric Chersonesos: Peculiar- ities and the History of Researchesxxx23. April Astrid Lindenlauf (Athen), Das Deponieren von Votivgaben in griechischen Heiligtümern zwischen (Müll-) Entsorgung und ritueller Praxisxxx21. Mai Andrew Stewart (Berkeley), The Wardrobe Malfunction that Shook the World: Nudity, the Olympics, and Greek Self-Fashioningxxx25. Juni Susanne Muth (Berlin/München), Reglementierte Bewegung: Zur Konzeption des Forum Romanumxxx20. Oktober (gemein- sam mit dem Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität Berlin) Hector Williams (Vancouver), Mytilenexxx26. November (gemeinsam mit der Eurasien-Abteilung des DAI) Torsten Schunke (Halle), Bestattungssitten und soziale Differenzierung im 4. Jahrtausend v. Chr. Außergewöhnliche Ein- blicke anhand der neuen Ausgrabungen im eponymen Erdwerk Salzmünde.

Vortragsreihe »Bauforschung im Wiegandhaus« 24. Januar Thekla Schulz-Brize (Regensburg), Alter Kult im neuen Kleid – Zur architektonischen Neugestaltung des samischen Heraion in der frühen Kaiserzeitxxx21. Februar Friedericke Höbel (Cottbus), Kontinuität im Wan- del. Der Umbau des Heiligtums im ›Venusareal‹ in Baalbek im urbanen Kon- textxxx22. Mai Claudia Lacher (Berlin), Das Grab des Ninetjer in Saqqara. Architektonische Entwicklung von Königsgräbern der 2. Dynastie in Ägypten (Abb. 70)xxx10. Juli Kristine Iara (Rom) – Alexandra Riedel (Cottbus), Das Hippodrom im Kaiserpalast auf dem Palatin in Rom – Neue Forschungen zur Baudekoration und zur Architekturxxx13. November Martin Schaich (Altenthann), Kombinierte 3D-Scanning Technologien bei der Dokumen- tation der Burg Viandenxxx11. Dezember Holger Schwarzer (Berlin), Der Podiensaal in Pergamon. Abbildungsnachweis: DAI, Zentrale, Architekturreferat; C. Lacher (Abb. 69).

Berichte der Wissenschaftlichen Abteilung 25. Januar Peter Schneider, Die Mauern von Tayma. Werkstattbericht; Ort- Abb. 69 Vortragsreihe »Bauforschung im win Dally – Peter Schneider, Die Faustina-Thermen in Milet. Werkstatt- Wiegandhaus«, Einladung zum Vortrag von berichtxxx10. April Florian Seiler, Kurzbericht zu den geoarchäologischen Claudia Lacher

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Forschungen in der Sarno-Ebene 2007; Simone Wolf, Kurzbericht über die Feldkampagne in Meroë 2008; Jennifer Wilde, Die Adaption orientalischer Gefäßtypen in Attika und Euböa als Indikator für Akkulturationsprozesse in den sog. Dark Ages

Naturwissenschaftliche Forschungen an der Zentrale 28. Mai Ulrich Schmölcke (Kiel), Wandel des Landes und der Tierwelt. Zur Faunengeschichte des Ostseeraumes in den letzten 12 000 Jahrenxxx18. Juni George Willcox (Jalès-Berrias), Early Holocene Cereal Cultivation Before Domestication in Northern Syria.

Vortragsreihen, Informationsveranstaltungen Vortragsreihe (im Rahmen der Ausstellung »Ackern, Flößen, Jagen« [Ausstel- lungsort: Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem; Or- ganisation: Referat Naturwissenschaften der Zentrale, Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem, Archäologische Landesdenkmalämter Brandenburg und Berlin]). – Es sprachen: 2. November Norbert Benecke (Berlin). Fischers Fritz fischt frische Fische – Fischfang in ur- und frühge- schichtlicher Zeitxxx23. November Susanne Jahns (Wünsdorf), Blütenstaub unter dem Mikroskop – Zur Entwicklung der Wälder in Brandenburg seit dem Ende der Eiszeitxxx14. Dezember Uwe Heußner (Berlin), Holz schwimmt in die Stadt – Holznutzung und -handel im Mittelalter. Vortragsreihe »Deutsche Archäologen berichten. Aus der Arbeit des Deut- schen Archäologischen Instituts (DAI)« der Gesellschaft der Freunde des Deut- schen Archäologischen Instituts – Theodor Wiegand Gesellschaft (TWG) e. V. (Veranstaltungsort: Besucherzentrum des Auswärtigen Amts). – Es sprachen: 29. Oktober Hans-Joachim Gehrke (Präsident des DAI), Antike Raumvor- stellungen und römischer Imperialismusxxx26. November (in Zusammenar- beit mit der Antikensammlung SMB-SPK) Felix Pirson (Erster Direktor der Abteilung Istanbul des DAI), Die hellenistische Residenz Pergamon und ihre Hafenstadt Elaia: Neue Forschungen des Deutschen Archäologischen Instituts Informationsveranstaltungen: 4. Juli Präsentation Bauer Praus GbR: Tho- mas Bauer (Berlin) – Mark Praus (Berlin), 3D-Laserscanverfahren in der Ar- chäologiexxx25. November Karsten Lambers (Konstanz), Methodologische Untersuchungen zur Verwendung hochauflösender Satellitenbilder in der Archäologischen Prospektion.

Konferenz 5. Januar Session »The Power of Space – Research Projects of the German Archaeological Institute« des DAI im Rahmen des »109th Annual Meeting of the Archaeological Institute of America« vom 3. bis 6. Januar (Veranstaltungs- ort: Chicago, IL). – Es sprachen: Ulrike Wulf-Rheidt (Berlin), The Symbol- ic Power of Space – The Palace of the Roman on the Palatine in Rome; Axel Posluschny (Frankfurt a. M.), ›Princely Sites‹, Space and Envi- rons. New Ways to Investigate an Old Problem; Felix Arnold (Madrid), Pal- ace Architecture and Concepts of Power in Islamic Córdoba (Spain); Andreas Schachner (Istanbul), Manifestation of Royal Power in Bronze Age Anatolia: The Hittite Capital Hattusha; Felix Pirson (Istanbul), Pergamon: A Hellenis- tic Capital and Its Hinterland; Ulrich Thaler (Athen), Architecture of Power – Power of Architecture: Notes on a Study of Mycenaean Palatial Architecture; Rudolf Haensch (München), Presenting Documents of Roman Rule in Pub- lic and Private Space. Für den Empfang des DAI anlässlich der AIA-Konferenz s. auch S. 59.

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Veranstaltungen zu den Forschungsclustern des DAI

Kolloquium zur Wissenschafts- und Archäologiegeschichte im Rahmen des Forschungsclusters 5 »Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert« des DAI 25. Februar Achim Leube (Berlin), Wilhelm Unverzagt und die Entwicklung der ostdeutschen Prähistorie 1945 bis 1961xxx1. April Patricia Rahemipour (Berlin): Archäologie im Scheinwerferlicht. Die Visualisierung der Prähistorie im Film 1895–1930xxx14. Mai Katharina Becker (Frankfurt a. M.), Die Rö- misch-Germanische Kommission im Dritten Reichxxx20. August Rüdiger Hachtmann (Berlin), Wissenschaftsmanagement im Dritten Reich. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaftxxx10. September Volker Klimetzek (Velbert), Lothar Zotz und der »Breslauer Kreis« im Spiegel seiner Veröffentlichungen.

Workshops 20. Mai Workshop zu Forschungsfeld 1 »Erschließung und Nutzung von Räu- men« im Forschungscluster 3 »Politische Räume« des DAI. – Es sprachen: Ort- win Dally (Berlin) – Ingo Motzenbäcker (Berlin) – Knut Rassmann (Frankfurt a. M.) – Dieter Vieweger (Jerusalem), Begrüßung • Berichte der Moderatoren: Auswertung des Fragenkataloges; Dieter Vieweger (Jerusalem), Beanspruch- ter und beherrschter Raum – Eine Darstellung zur Ausdehnung politischer Räume in alttestamentlicher Zeit aufgrund schriftlicher und archäologischer Zeugnisse; Knut Rassmann (Frankfurt a. M.), GIS-basierte Wegemodelle und Aussagen der Altwegeforschung im Vergleich; Ingo Motzenbäcker (Berlin), Möglichkeiten und Grenzen der Rekonstruktion von Verkehrswegen in Süd- kaukasien; Jens B. Andresen (Aarhus), Reisen ist Leben – Neue Methoden zur Erforschung sozialer Interaktion im Landschaftsraum; Anne Kolbe (Zürich), Straßen und Raumerfassung im Römischen Reich; Anatoli Nagler (Berlin), Großkurgane in der kasachischen Steppe • Einzelbeiträge aus den Projekten des Forschungsfeldes zum Thema »Verkehrswege« und »Methoden«, Stich- punkte: Wasserstraßen – Seewege – Militärgeschichte – Straßenbau – Volumen und Charakter von Transport- und Handelsgütern – Einflüsse von Naturraum und sozioökonomischen Verhältnissen auf die Ausbildung von Kommuni- kationssystemen; Vorbereitung Dezembertreffen: Vorschläge und Diskussion, Weiteres Arbeiten im Forschungsfeld 1. 9./10. Juni Workshop zu Forschungsfeld 3 »Urbane Räume« im For- schungscluster 3 »Politische Räume« des DAI. – Es sprachen: Klaus S. Frey- berger (Rom), Begrüßung und Einführung; Andreas Oettel (Berlin), Lis- sos – Erste Überlegungen zu den urbanen Strukturen einer hellenistisch- römischen Stadt in Illyrien; Ralf von den Hoff (Freiburg), Urbane Strukturen und kulturelle Prägung in einer Stadt des hellenistischen Zentralanatolien: ; Klaus S. Freyberger (Rom), Definition und Nutzung der Basilika Aemilia im urbanen Kontext des Forum Romanum in Rom; Heinz-Jürgen Beste (Rom) – Thomas Fröhlich (Rom), Fabrateria Nova: eine Kolonie im mittleren Liri-Tal; Bettina Fischer-Genz (Berlin), Das Hinterland von Helio- polis-Baalbek (Libanon); Holger Wendling (Frankfurt a. M.), Urbanität und Raum im Oppidum von Manching – Fragestellung und Erkenntnispotential in prähistorischem Kontext; Cornelia Jöchner (Florenz), »Piazza e monumento« in der Renaissance und frühen Neuzeit; Abschlussdiskussion; Heinz-Jürgen Beste (Rom), Einleitung; Axel Filges (Frankfurt a. M.), Überlegungen zum Begriff des politisch-urbanen Raumes am Beispiel Prienes; Philipp Speiser (Berlin), Der Erste Katarakt • Erarbeitung eines Dispositionspapiers für die

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Präsentation des Forschungsfeldes 3 in Bonn; Themen zukünftiger Treffen; Publikationen. 23./24. Oktober Internationaler Workshop zu Forschungscluster 1 »Von der Sesshaftigkeit zur komplexen Gesellschaft: Siedlung, Wirtschaft, Umwelt« des DAI »Sedentism: Worldwide Research Perspectives for the Shift of Hu- man Societies from Mobile to Settled Ways of Life«. – Es sprachen: Norbert Benecke (Berlin) – Klaus Schmidt (Berlin) – Markus Reindel (Bonn), Open- ing words; Yvonne Marshall (Southampton), Introduction: Can ›Mobile-for- agers‹ and ›Sedentary-food producers‹ Remain Proper Objects of Study in the Light of Mounting Evidence to the Contrary; Hans Georg Gebel (Ber- lin), Sedentism: The Near Eastern Perspective; Jens Lüning (Frankfurt a. M.), Who were They, and why Did They Go to the West – the First Bandkeramians?; Lars Sundström (Uppsala), A Collective in Peril – The Process of Neolithiza- tion from an Eastern Central Swedish Perspective; Noriyuki Shirai (Leiden), Sedentism before Farming or Farming before Sedentism? Identifying Sedent- ism in the Archaeological and Ecological Record of the Earliest Neolithic Arming Culture in from a Behavioural Ecology Perspective; Kevin C. MacDonald (London), The Transition to Sedentism in Arid West Africa – Mobility, Specialists and Generalists; Detlef Gronenborn (Mainz), Hunters – Herders – Kings: From Foraging to Agropastoralism in Southern Africa; Klaus Schmidt (Berlin), Göbekli Tepe – A Stone Age Sanctuary in Upper Mesopota- mia; Li Liu (Victoria), The Emergence of Sedentism in China; Junzo Ushiyama (Kyoto), Reluctant Neolithisation? Resource Management and Landscape Diversity in Jomon Japan; John E. Clark (Provo), Sedentism, Mesoamerica’s lost Cause?; Thomas D. Dillehay (Austin), Multidimensional and Comple- mentary Mobility and Sedentary Strategies in South America; Closing Dis- cussion. 4./5. Dezember Workshop Forschungscluster 2 »Innovationen: technisch, sozial« des DAI. – Es sprachen: S. Hansen (Berlin), Begrüßung • Wasser – Bericht aus der AG Wasser: Jürgen Weiner (Nideggen), Brunnen und ihre Bedeutung für die Neolithisierung Mitteleuropas; Nils Müller-Scheeßel (Frankfurt a. M.), Die Brunnen aus Okolište; Andrea Schmölder-Veit (Mün- chen), Brunnen in römischen Städten; Bettina Tremmel (Münster), Brunnen in römischen Militärlagern; Hans Georg Gebel (Berlin), Brunnenkulturen in Sepulkrallandschaften? Neue Ergebnisse aus Qulban Beni Murra; Mobilität und Wissenstransfer; François Bertemes (Halle), Ausgrabungen in Tavsan Adaşı; Reinhard Jung (Athen), Im Krieg und beim Gelage – Militärische und sozi- ale Veränderungen im Ostmittelmeerraum um 1200 v. u. Z.; Constance von Rüden (Athen), Ägäische und ägäisierende Malerei in nahöstlichen Palästen. Eine technische und ikonographische Innovation und ihre lokale Einbet- tung im östlichen Mittelmeerraum • Perspektiven des Forschungsclusters 2: Diskussion über die weitere Arbeit • Theorie – Bericht aus der AG Theo- rie: Christof Schuler (München), Innovationen in Griechenland und Rom. Aktuelle Publikationen; Mareile Flitsch (Zürich), Stand und Perspektiven der Technikethnologie • Metall – Bericht aus der AG Metallurgie: Gert Goldenberg (Innsbruck), Bronzezeitliche Kupfergewinnung im Alpenraum; Ulrich Hartung (Kairo), Prä- und frühdynastische Kupfer- und Malachit- funde vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen im Ägypten des 4. Jahrtausends; Svend Hansen (Berlin), Kupfer im 5. und 4. Jahrtausend; Michael Kunst (Madrid), Kupferzeit und Klimawandel; Andreas Hauptmann (Bochum) – Kristina Pfeiffer (Berlin), Stand der Arbeiten im Sinai-Projekt; Peter Rothenhöfer (München), Zu Aufkommen, Bedeutung und Struktu- ren des spezialisierten Handwerkerzweiges der plumbarii in römischer Zeit;

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Iris Gerlach (Sana’a), Zur Rekonstruktion der spätholozänen Umweltbedin- gungen in den Oasenlandschaften Sabas. 15./16. Dezember Jahresabschlusskonferenz von Forschungscluster 3 »Politische Räume« des DAI. (Veranstaltungsort: Bonn/Bad Godesberg; Orga- nisation: Ortwin Dally [Berlin], Mitorganisation: Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen, Bonn in Zusammenarbeit mit der Humboldt- Stiftung). – Es sprachen: Ortwin Dally (Berlin), Begrüßung • Sektion des Forschungsfeldes 1 »Erschließung und Nutzung von Räumen«: Ingo Motzen- bäcker (Berlin), Bericht über die Aktivitäten im Forschungsfeld 1 (Workshop etc.) und über die Arbeiten der im Forschungsfeld 1 eingebundenen Vorhaben (Geländearbeiten); Ortwin Dally (Berlin) – Knut Rassmann (Frankfurt a. M.), Vorstellung des Vorhabens »Kulturgeschichte des Weges«; Jens B. Andresen (Aarhus) – Knut Rassmann (Frankfurt a. M.), Wege und Kommunikations- räume in Südosteuropa – Die diachrone Perspektive; Axel Posluschny (Frank- furt a. M.), Methodische Bemerkungen zu GIS-Applikationen für die Wege- forschung • Sektion des Forschungsfeldes 2 »Grenzen«: Andreas V. Walser (München), Überblick über die Aktivitäten des Forschungsfeldes 2 im Jahr 2008; Andreas Oettel (Berlin), Chronologische Ebene – Dynamik der Gren- zen; Michèle Eller (Frankfurt a. M.) – Sabine Reinhold (Berlin), Räumliche Ebene – Zentrum und Peripherie; Sophie Helas (Rom), Funktionalität – Symbolik und Semantik der Grenzen • Plenardiskussion: Internationale Tagung • Sektion des Forschungsfeldes 3 »Urbane Räume«: Heinz-Jürgen Beste (Rom), Ergebnisse des zweiten Arbeitstreffens des Forschungsfeldes 3 am 9. und 10. Juni in Berlin; Holger Wendling (Frankfurt a. M.), Symbolische Deutung und gebaute Realität. Zur Identifikation politischer Räume im Oppidum von Manching; Heinz-Jürgen Beste (Rom) – Thomas Fröhlich (Rom), Die Gestaltung von realem und symbolischem Raum am Beispiel der Kolonie Fabrateria Nova; Klaus S. Freyberger (Rom), Der zentrale Platz auf dem Forum Romanum in Rom: Die Verbindung von realen und konzepti- onellen Räumen; Valentin Kockel (Augsburg), Veränderungsprozesse auf dem Forum von Pompeji. Beobachtungen und erste Antworten (Gastvortrag) • Sektion des Forschungsfeldes 4 »Orte der Herrschaft«: Felix Arnold (Ma- drid), Ausdifferenzierung von Herrschaftsorten; Ulrike Wulf-Rheidt (Ber- lin), Bezug zwischen Herrschaftsort und Heiligtum; Gerda Sommer v. Bülow (Frankfurt a. M.), Bezug zwischen Herrschaftsort und Grab bzw. Geschicht- lichkeit • Plenarsitzung • Schwerpunktthema »Physische und symbolische Markierungen von politischen Räumen«: Felix Pirson (Istanbul), Einleitung; Dieter Vieweger (Jerusalem), Mescha und Moab; Felix Pirson (Istanbul), Das Territorium der hellenistischen Residenzstadt Pergamon: Herrschaftli- cher Anspruch als raumbezogene Strategie; Katja Moede (Berlin), Kurgane, Grenzen und antikes Landschaftswissen; Michael Fronda (Montreal), Political Space in the Roman Republic: A Project of McGill University.

Öffentlichkeitsarbeit

22. Februar Festakt zum Amtswechsel an der Spitze des Deutschen Archäo- logischen Instituts im Weltsaal des Auswärtigen Amts. – Ansprache des Bun- desministers des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland Frank-Walter Steinmeier, Ansprache des Präsidenten des Deutschen Archäologischen Ins- tituts Hermann Parzinger, Ansprache des Nachfolgers des Präsidenten des Deutschen Archäologischen Instituts Hans-Joachim Gehrke, Ansprache des Vertreters des Präsidenten im Vorsitz der Zentraldirektion des Deutschen

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Abb. 70 Die Mitglieder der Zentraldirek- tion des Deutschen Archäologischen Instituts

Archäologischen Instituts Adolf H. Borbein (Publikation der Reden im AA 2008/1, 157–174). 22. Februar Pressekonferenz anlässlich des Präsidentenwechsels im Licht- hof des Auswärtigen Amts. – Anwesende: Staatssekretär des Auswärtigen Amts Georg Boomgaarden, Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts Her- mann Parzinger, der designierte Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts Hans-Joachim Gehrke. 28. Februar Verabschiedung des Präsidenten des Deutschen Archäologi- schen Instituts Hermann Parzinger aus dem DAI im Wiegandhaus der Zen- trale. 3. März Begrüßung des Präsidenten des Deutschen Archäologischen Insti- tuts Hans-Joachim Gehrke am DAI im Wiegandhaus der Zentrale. 5. Januar Empfang des DAI aus Anlass des »109th Annual Meeting of the Archaeological Institute of America« vom 3. bis 6. Januar (Veranstaltungsort: Chicago, IL). – Es sprach: Ortwin Dally (Berlin), Between Peru and Italy. Cur- rent Research Projects of the German Archaeological Institute. – Als weitere Ansprechpartner anwesend waren: Ulrike Wulf-Rheidt (Berlin), Monika Lin- der (Berlin), Felix Pirson (Istanbul), Andreas Schachner (Istanbul), Richard Posamentir (Istanbul), Rudolf Haensch (München), Felix Arnold (Madrid), Axel Posluschny (Frankfurt a. M.), Astrid Lindenlauf (Athen), Ulrich Thaler (Athen). Für die Teilnahme des DAI an der AIA-Konferenz s. auch S. 55. 7. Mai Jahresempfang des Deutschen Archäologischen Instituts aus Anlass der Sitzung der Zentraldirektion (Abb. 70): Jahresbericht des Präsidenten mit anschließendem Festvortrag (Veranstaltungsort: Europasaal des Auswärtigen Amts, Abb. 71). – Es sprachen: Hans-Joachim Gehrke (Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts), Aus der Arbeit des Deutschen Archäologischen In- stituts 2007; Iris Gerlach (Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts), Die altsüdarabische Stadtanlage von Sirwah (Jemen) – Religiöses Zentrum der Herrscher von Saba. Abbildungsnachweis: DAI, Zentrale, P. Grunwald (Abb. 70. 71). 5. Juni Gartenempfang aus Anlass der Vorstandssitzung und Mitglieder- Abb. 71 Eröffnungsrede von Martin versammlung der Theodor Wiegand Gesellschaft e. V. sowie der Vorstellung Kobler, Leiter der Kultur- und Kommu- der neu gewählten Reisestipendiaten und Reisestipendiatinnen. – Es sprach: nikationsabteilung des Auswärtigen Amts, anlässlich des Jahresempfangs des Dietrich Raue (Kairo), Elephantine und der 1. Katarakt: Forschung an einer Deutschen Archäologischen Instituts vielseitigen Grenze.

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Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Architekturreferats führen in regelmäßigen Abständen interessierte Gruppen oder Einzelpersonen aus dem In- und Ausland durch das unter Denkmalschutz stehende Wiegandhaus, das 1912 nach Plänen des Architekten Peter Behrens für den Archäologen Theo- dor Wiegand errichtet wurde. Zudem erfolgten zahlreiche Führungen durch das Naturwissenschaftliche Referat der Zentrale. Am 8. September vertraten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Zentrale das DAI bei der Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt sowie vom 17. bis 19. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse. Sie betreuten den Stand des DAI und informierten interessierte Besucher über die Aktivitäten des Instituts.

Lange Nacht der Wissenschaften 14. Juni Lange Nacht der Wissenschaften »Geschichte, Geschichten und Methoden in der Archäologie«: Düfte des Orients (Weihrauch, Kardamom, Nana-Chai); Römische Gerichte nach antiken Rezepten; – Filmvorführun- gen: »Licht über Pergamons Burg«. Aus dem Archiv der Zentrale des DAI (ca. 1957). – Führungen durch das Wiegandhaus. – Archäologie für Kinder: Gegraben, gefunden, geborgen; Basteln und spielen wie die alten Ägypter (Abb. 72); Handgeformte Töpfe und Tonfiguren nach antiken Vorbildern; Wie kommt die Ruine aufs Papier? Wer findet die Maus?; Masken nach alten Vor- bildern gestalten; Malecke für Kinder. – Naturwissenschaften und Archäologie: Archäozoologie, Tierknochen erzählen Geschichte; Dendrochronologie, Holz als Kalender; Archäobotanik, Pflanzenreste aus Grabungen geben Einsicht in die Ernährungs- und Landwirtschaftsgeschichte und die damalige Umwelt. – Benefiz-Tombola zugunsten von Olympia (Griechenland). Infostand der Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts – Theodor Wiegand Gesellschaft e. V. (TWG). – Live-Musik, Reise durch die Musikge- schichte – Von der Knochenflöte zum Menuett (Gruppe »Musica Romana«). – Ausstellungen: Von der Handzeichnung zum virtuellen 3D-Modell; Poster- ausstellung der Eurasien-Abteilung. – Vorträge: Mayke Wagner (Berlin), Neue Archäologische Forschungen in China; Ingo Motzenbäcker (Berlin), Zwischen Orient und Okzident – Archäologie im Brückenland Kaukasien; Sabine Rein- Abb. 72 Archäologie für Kinder, basteln hold (Berlin), Kaukasien aus der Luft – Satelliten- und Luftbilder im Einsatz und spielen wie die alten Ägypter für die Archäologie; Klaus Schmidt (Berlin), Das steinzeitliche Bergheiligtum am Göbekli Tepe (Südosttürkei); Florian Seiler (Berlin), Verschüttet vom Vesuv: Lebensraum und Umwelt der Pompejaner; Margarete van Ess (Berlin), 10 000 Jahre Baalbek – Archäologie und Geschichte einer zugleich altorientalischen, römischen und osmanischen Stadt im Libanon; Ulrike Wulf-Rheidt (Berlin), Wie lebten die römischen Kaiser? Neue Forschungen zu den Kaiserpalästen in Rom; Dietrich Raue (Kairo), Heiliges und Unheiliges. Die Heiligtümer der altägyptischen Kultur prägten das Land am Nil; Hans-Joachim Gehrke (Berlin), Troja als europäische Erinnerungsfigur. – Lesung und Vorträge für Kinder: Alt- orientalische Märchen und Fabeln; Ortwin Dally (Berlin), Was ist Archäologie? Was bedeutet der Begriff und was tun Archäologen eigentlich?; Hans-Joachim Gehrke (Berlin), Der Trojanische Krieg nacherzählt. Die schöne Helena, der flotte Paris, der kühne Achill, die traurige Andromache – Das sind Figuren der Abb. 73 Archäologie für Kinder, der Präsi- spannenden Geschichte vom Kampf um Troja (Abb. 73); Constanze Röhl (Je- dent des DAI, Hans-Joachim Gehrke, hält den Vortrag »Der Trojanische Krieg nacher- rusalem), Die Bibel und Archäologie – Erklärt für Kinder. zählt. Die schöne Helena, der flotte Paris, Abbildungsnachweis: DAI, Zentrale, P. Grunwald (Abb. 72. 73). der kühne Achill, die traurige Andromache«

Ausstellung 17. Oktober bis 3. Mai 2009 Ausstellung »Ackern, Flößen, Jagen – Ernährung und Holznutzung in Berlin und Brandenburg in vorindustrieller Zeit« (Aus-

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stellungsort: Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem; Organisation: Referat Naturwissenschaften der Zentrale, Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem, Archäologische Landesdenkmal- ämter Brandenburg und Berlin, Abb. 74). Am 16. Oktober fand die Eröffnung im Botanischen Museum Berlin- Dahlem statt. – Es sprachen: Walter Lack (Direktor am Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin-Dahlem, Freie Universität Berlin), Monika Schäfer-Korting (Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin), Ortwin Dally (Generalsekretär des DAI), Franz Schopper (Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum), Norbert Benecke (Leiter des Naturwissenschaftlichen Referats an der Zentrale des DAI). Abbildungsnachweis: DAI, Zentrale, Architekturreferat, J. Denkinger (Abb. 74).

Veröffentlichungen

Abb. 74 Einband zum Katalog der Ausstel- Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 122, 2007 lung »Ackern, Flößen, Jagen« Archäologischer Anzeiger 2007/2 Archäologischer Anzeiger 2008/1 Jahresbericht 2007, Beiheft zum Archäologischen Anzeiger 2008/1 Didyma III 4: Th. G. Schattner, Die Fundkeramik vom 8. bis zum 4. Jahrhun- dert v. Chr. Archäologische Forschungen 24: K. Kissas, Archaische Architektur der Athe- ner Akropolis Altertümer von Pergamon XV 4: H. Schwarzer, Das Gebäude mit dem Podien- saal in der Stadtgrabung von Pergamon. Studien zu sakralen Banketträumen der Antike mit Liegepodien Ausgrabungen in Alt-Paphos auf Cypern 6: F. G. Maier, Nordost-Tor und per- sische Belagerungsrampe. III. Grabungsbefund und Baugeschichte. Mit Bei- trägen von H. W. Catling, A. H. Jackson, K. O. Lorentz und A. M. Snodgrass Boğazköy-Hattuša XXII: A. Dinçol – B. Dinçol, Die Prinzen- und Beamten- siegel aus der Oberstadt von Boğazköy-Hattuša vom 16. Jahrhundert bis zum Ende der Großreichszeit Diskussionen zur Archäologischen Bauforschung 9: U. Wulf-Rheidt – F. Pirson (Hrsg.), Austausch und Inspiration. Kulturkontakte als Impuls architektoni- scher Innovation Milesische Forschungen 6: G. Kalaitzoglou, Assesos. Ein geschlossener Fund südionischer Keramik aus dem Heiligtum der Athena Assesia Tiryns XV: K. Kilian, Die handgemachte geglättete Keramik mykenischer Zeitstellung Tiryns XVI: L. Rahmstorf, Kleinfunde aus Tiryns. Terrakotta, Stein, Bein und Glas/Fayence vornehmlich aus der Spätbronzezeit

Bibliotheken und Archive des DAI

Bibliotheken: Die Bibliotheken des DAI konnten ihren Gesamtbestand auf etwa 865 000 Bände ergänzen. Bei den Archäologischen Bibliographien wurden Arbeiten begonnen, die auf eine Integration der vom DAI an ver- schiedenen Standorten betriebenen Sacherschließung archäologischer Lite- ratur und die Verbesserung von Recherchemöglichkeiten zielen. Mit poten- tiellen Partnern in Russland und Frankreich wurden Kooperationsgespräche

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aufgenommen. Mit Mitteln des Exzellenzclusters »Topoi« wurde raumbezo- gene Literatur bearbeitet. Seit Herbst dieses Jahres können ZENON-Daten in Literaturverwaltungsprogramme (z. B. EndNote) übernommen und nach den Zitierrichtlinien des DAI angezeigt werden. Das Informationsangebot konnte kontinuierlich ausgebaut werden, indem z. B. die Migration von 40 000 Daten des Altbestandes der Abteilung Athen in ZENON DAI abgeschlossen wurde, so dass nunmehr der größte Teil der Athener Daten elektronisch vor- liegt. Seit Oktober 2008 erfasst das Deutsche Evangelische Institut für Alter- tumswissenschaft des Heiligen Landes (DEI), Forschungsstelle Amman, sei- nen Bibliotheksbestand im ZENON DAI. Im Vordergrund stand der weitere Ausbau des Angebots elektronischer Publikationen. So wurde mit dem Auf- bau diverser Dienste begonnen, wie der »Elektronischen Zeitschriftenbib- liothek« (EZB) und dem zentralen Nachweis aller am DAI geführten elek- tronischen Zeitschriften, der Freischaltung der von der DFG finanzierten Nationallizenzen sowie dem »Datenbank-Infosystem« (DBIS). Zusätzlich fan- den Verlinkungen zu 350 Monographien mit entsprechenden Digitalisaten statt. Für eine einheitliche und gemeinsame Statistikführung der Bibliotheken des DAI wurden intensive Vorarbeiten getätigt. Ausgehend von einer Revi- sion des Tauschlagers in der Bibliothek der Zentrale konnten in großem Ma- ße Dubletten an Bibliotheken des DAI sowie an in- und ausländische Partner versandt werden. Aufgrund der baulichen Situation der Abteilung Rom fand bis Juni ein begrenzter Benutzungsbetrieb im Ausweichlesesaal im Villino Amelung statt, danach musste die Bibliothek gänzlich geschlossen werden. Während der umfangreichen Renovierungsarbeiten an der Abteilung Kairo wurden auch die Bibliotheksräume saniert, im Zuge dessen fanden zusätzlich Bestandsrevisionen sowie Umstellungen statt. Ebenso wurden Revisionen an den Standorten Luxor und Siwa durchgeführt. In Bonn konnte der Bib- liotheksumzug abgeschlossen werden. In der Orientabteilung gestalteten die Auszubildenden zur »Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste« im Rahmen eines Projekts den Benutzungsbereich um. Abteilungsübergreifend wurde die Rotationsregelung für Diplombiblio- thekarinnen und -bibliothekare eingeführt, drei Wechsel konnten zwischen der Zentrale in Berlin, den Abteilungen Athen und Istanbul und der Römisch- Germanischen Kommission realisiert werden. Die Ausbildung der »Fachange- stellten für Medien- und Informationsdienste« wurde in Berlin fortgesetzt, in der Römisch-Germanischen Kommission neu eingeführt. Im Januar fand ein Bibliothekstreffen der Bibliotheksleiterinnen und -leiter sowie der Bibliothekarinnen und Bibliothekare aller Bibliotheken des DAI statt, an dem u. a. Arbeitsgruppen zu abteilungsübergreifenden Themen ge- gründet wurden (Abb. 75). Das DAI nahm weiterhin aktiv am Ausbau und der Erweiterung des Da- tenbestandes der Virtuellen Fachbibliothek Altertumswissenschaften »Pro- pylaeum« teil. Der Bereich präsentierte sich am Informationsstand des DAI während der Jahreskonferenz des »Archaeological Institute of America« in Chicago, auf dem »Dienstleistungsmarkt für Bibliotheken« im Rahmen des Deutschen Bibliothekartages in Mannheim sowie bei einer Postersession an der Konferenz der »International Federation of Library Associations« in Quebec. Die Bibliotheksdirektorin war an diversen Kooperationsverhand- lungen mit französischen Kollegen beteiligt. Archive: Die Gesamtübersicht der Archive des DAI wurde ergänzt, die Evaluierung verschiedener Datenbanksysteme sowie die Kernfelderdiskussion wurden fortgesetzt. Die Anfragen und Besuche von in- und ausländischen

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Abb. 75 Die Teilnehmer des Bibliotheks- treffens 2008 aller Bibliotheken des DAI

Wissenschaftlern am Archiv der Zentrale in Berlin sowie an anderen Archiven des DAI nahmen weiterhin zu. An diversen Abteilungen entstand Zuwachs durch Überlassung von weiteren Nachlässen und Schenkungen. Für den Aktenplan des DAI wurden das Teilsegment der Römisch-Ger- manischen Kommission, ein Musterverzeichnis für die Zweiganstalten sowie Teile der Zentrale fertiggestellt. Bibliotheksdirektorin: M. Linder • Abbildungsnachweis: DAI, Zentrale, P. Grunwald (Abb. 75).

Stipendien

Reisestipendium Das Reisestipendium wurde an Vibeke Charlotte Kottsieper, Katja Piesker, Verena Stappmanns, Christine Wilkening verliehen. Je ein halbes Reisestipen- dium der Römisch-Germanischen Kommission wurde Anja Hellmuth, Luc Moreau, Roland Karl Müller, Silviane Scharl zuerkannt (Abb. 76). Abbildungsnachweis: DAI, Zentrale, P. Grunwald (Abb. 76).

Abb. 76 Die Reisestipendiaten und Reise- stipendiatinnen 2008 des DAI mit dem Präsidenten Hans-Joachim Gehrke (vorne Mitte) und dem Referenten des General- sekretärs Andreas Oettel (hinten rechts), vordere Reihe von links: Anja Hellmuth, Vibeke Charlotte Kottsieper, Silviane Scharl; hintere Reihe von links: Luc Moreau, Katja Piesker, Verena Stappmanns, Christine Wilkening, Roland Karl Müller

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Mitglieder des Instituts

Das Institut betrauert den Tod seiner Mitglieder Paul Åström (Sävedalen), Gregory Bongard-Levin (Moskau), Jean Bottéro (Gif-sur-Yvette), Adnan Bounni (Damaskus), Jochen Briegleb (Bonn), Emma Katharine Brunner-Traut (Tübingen), Patrick M. Bruun (Helsinki), Karl Christ (Marburg), Gisela Clauß (Ingelheim), John Nicolas Coldstream (London), Ufuk Esin (Istanbul), Dome- nico Faccenna (Rom), Henry George Fischer (Newtown), Antonio Frova (Mailand, verstorben 2007), Fritz Gschnitzer (Neckargemünd), German Hafner (Mainz), Maria Hopf (Mainz), Guglielmo Maetzke (Florenz), Götz Lahusen (Frankfurt a. M.), Neda Leipen (Toronto), Ursula Moortgat-Correns (Ber- lin), Klára Póczy (Budapest), Rafael Puertas Tricas (Málaga), Claude Rolley (Paris, verstorben 2007), Mark B. Shchukin (St. Petersburg), Josef Speck (Zug), Hans von Steuben (Frankfurt a. M.), Henri van Effenterre (Paris), Padre Ale- jando Recio Veganzones (Martos, Jaén), Cornelius Vermeule (Boston), Stephan Waetzold (Berlin), Frank Walbank (Cambridge), Hans Wiegartz (Münster), A. Geoffrey Woodhead (York) und Eos Zervoudaki (Athen). Das Institut wählte zum Ordentlichen Mitglied Felix Bittmann (Wilhelms- haven). Zu Korrespondierenden Mitgliedern wurden gewählt Gabriele Albers (Würzburg), Giuma Mohamed Anag (), Lise Bender Jørgensen (Trondheim), Tang Chung (Hongkong), Manfred Clauss (Hennef), Tatjana Cvjetićanin (Belgrad), Mariette De Vos-Raaijmakers (Trient), Eva-Maria Engel (Münster), Per Ethelberg (Haderslev), Björn Christian Ewald (To- ronto), Johanna Fabricius (Berlin), Harriet Flower (Princeton), Reinhard Förtsch (Köln), Mark Gardiner (Belfast), Markus Gschwind (München), Christopher Hallett (Berkeley), Hani Hayajneh (Irbid), Markus Hilgert (Heidelberg), Michael A. Jochim (Santa Barbara), Ursula Kästner (Berlin), Konstantin Kissas (Korinth), Sergej Korenevskij (Moskau), Claus Dieter Korol (Münster), Ourania Kouka (Nicosia), Sabine Ladstätter (Wien), Gustav Adolf Lehmann (Göttingen), David Lordkipanidze (Tbilisi), Mar- tin Maischberger (Berlin), Arkadiusz Marciniak (Poznan), António Manuel Monge Soares (Savacém), Alessandro Naso (Molise), Tuba Ökse (Izmit), Rita Paris (Rom), Juan Aurelio Pérez Macías (Huelva), Slavisa Perić (Belgrad), Scott Redford (Istanbul), Walter Reinhard (Saarbrücken), Jean-Michel Rodaz (Bordeaux), Corinna Rohn (Cottbus), Nico Roymans (Amsterdam), Sajnolla Samasev (Almaty), Mirjana Sanader (Zagreb), Rosa Sanz Serrano (Madrid/ Berlin), Jürgen Schilbach (Weilheim), Stephan G. Schmid (Berlin), Sylvia Schoske (München), Mohamed Sherif Ali (Kairo), Zbigniew Szafranski (Kai- ro), Seher Türkmen (Alanya), Björn Varenius (Stockholm), Stefano Vassallo (Palermo), Geoffrey Wainwright (London), Stephan Westphalen (Hildesheim) und Katalin Wollák (Budapest).

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Abteilung Rom Direktoren Prof. Dr. Henner von Hesberg, Erster Direktor Via Sardegna, 79 Prof. Dr. Klaus Stefan Freyberger, Wissenschaftlicher Direktor I-00187 Rom Tel.: +39-06-488 81 41 Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Fax: +39-06-488 49 73 Dr.-Ing. Heinz-Jürgen Beste, Dr. Alexandra Busch (ab 1. 6.), Dr. Sylvia Diebner, E-Mail: [email protected] Dr. Matthias Grawehr (bis 28. 2.), Dr. Thomas Fröhlich, Dr. Sophie Helas (bis 30. 4.), PD Dr. Richard Neudecker, Dr. Philipp von Rummel (ab 13. 5.)

Auslandsstipendiat und Auslandsstipendiatin Dr. David Knipp, Dr. Kerstin Hofmann

Wissenschaftliche Hilfskräfte Markus Löx M. A. (ab 4. 2.), Katharina Meinecke M. A., Sabine Patzke M. A.

Aus Drittmitteln finanzierte Stellen Nadin Burkhardt M. A. (Gerda Henkel Stiftung, bis 31. 3.), Dr. Vincenzo Capozzoli (Gerda Henkel Stiftung, 1. 8. bis 31. 10.), Dipl.-Ing. Christine Ertel (DFG), Dr. Raphaelle- Anne E. Kok (Gerda Henkel Stiftung, 1. 5. bis 31. 7.), Dr. Laura Leggio (Gerda Henkel Stiftung, ab 1. 12.), Johannes Lipps M. A. (DAAD), Christiane Nowak M. A. (Gerda Henkel Stiftung), Dr. Ellen Thiermann (Gerda Henkel Stiftung), Dr. Andreas Thomsen (Gerda Henkel Stiftung, bis 30. 11.), PD Dr. Markus Wolf (Gerda Henkel Stiftung)

Abteilung Rom

Ausgrabungen und Forschungen

Rom, Basilica Aemilia und Basilica Iulia Die Basilica Aemilia zählt zu den bekanntesten öffentlichen Repräsentations- bauten auf dem Forum Romanum. Das originale Gebäude, ein eingeschossiger Bau, wurde 179 v. Chr. eingeweiht und Mitte des 2. Jhs. renoviert. In einer drit- ten Phase erhielt das Bauwerk ein Obergeschoss mit einer neuen und deutlich größeren Portikus auf der Südseite. Nach dem Brand 14 v. Chr. wurde der mo- numentale Bau gänzlich erneuert und mit Marmor ausgestattet. Entgegen der allgemeinen Annahme wurde das Gebäude nach der Brandschatzung der West- goten 410 n. Chr. nicht aufgegeben, sondern vollständig wiederhergestellt. Die Basilica Aemilia diente bis in das 7. Jh. n. Chr. als Bank und Gerichtsgebäude. Bei unseren Untersuchungen vor Ort wurden zwischen der Via Sacra und den Portiken der Basilica Aemilia elf kleine Heiligtümer vor der Portikenfront an der Südseite der Basilica freigelegt, von denen nur das Heiligtum der Venus Cloacina (Abb. 1, Nr. 8) bekannt ist. Diese Heiligtümer sind nun vollständig in Zeichnungen und Photographien dokumentiert (Abb. 1. 2). Die einfache Ge- staltung der mit einer Brüstung umfassten Bezirke und ihre bescheidenen Di- mensionen von etwa 6– 8 m Länge und 4 m Breite verleihen den Sakralbauten einen ländlichen Charakter. Die mit ihrer Langseite zum Forumsplatz ausge- Abb. 1 Rom, Basilica Aemilia. Südfront mit elf kleinen Sacella. Schematische Rekon- richteten Kultstätten hatten ihren Eingang auf einer der Schmalseiten, von struktionsskizze dem Stufen in den tiefer gelegenen Bezirk hinabführten. Aller Wahrscheinlich-

keit nach sind diese Sacella mit den von Cassius Dio (1 Frg. 6 [2]) überlieferten Archeia zu identifizieren. An diesen übte der mythologischen Überlieferung zufolge Numa Pompilius Amtsgeschäfte von ritueller und juristischer Art aus. Da die Archeia eng mit der Gründungsgeschichte Rom verbunden sind, hat- ten sie einen hohen Stellenwert. Dieser zeigt sich vor allem in der Tatsache, dass die Kultstätten bis in die spätantike Zeit immer wieder erneuert wurden. Von besonderer Formgebung ist der Kultbau in dem Bereich der Südost- ecke, vor dessen Rückwand sich die Fundamente einer Brunnenfassung fan- den. Nach der Lage und den Angaben antiker Autoren zu urteilen, könnte es sich um das bekannte Puteal Libonis handeln (Abb. 1, Nr. 1) und bei dem Sacellum 11 (Abb. 1, Nr. 11) der Südwestecke der Basilica Aemilia – damit nahe am Comitium – um das Heiligtum des Ianus. Da an der West- und Ost- seite Schwellen lagen, war der Kultbau von zwei Seiten betretbar. Ursprünglich war die Anlage ein offener Bezirk wie alle anderen Sacella, aber es ist denkbar, dass der für die augusteische Zeit überlieferte Neubau die Form eines kleinen Tempels hatte. Mehrere Heiligtümer dieser Formgebung und Größe liegen im zentralen Bereich des Forumsplatzes, wobei neben der Venus Cloacina der Lapis Niger und der Lacus Curtius zu den bekanntesten Kultbauten dieser Art Abb. 2 Rom, Basilica Aemilia. Ansicht der zählen. All diese Heiligtümer, deren Anfänge bis in das 7. oder gar 8. Jh. v. Chr. Südfront von Osten nach Westen zurückreichen, gewannen durch ihre Verankerung in der Geschichte und ihre

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Verbindung mit mythologischen Ereignissen und Personen eine enorme Be- deutung. Über Generationen hinweg blieben die Sakralbauten in Erinnerung, worauf die mehrfachen Restaurierungen und Verschönerungen sowie ihre bis in die Spätantike währende Nutzung verweisen. Nicht die Form und Ausstat- tung waren für den Stellenwert der Heiligtümer ausschlaggebend, sondern ihre Verknüpfung mit geschichtsträchtigen Orten und Personen. In der diesjährigen Herbstkampagne wurden zudem die Ruinen der Basi- lica Iulia (Abb. 3) vollständig vermessen. Die in Plänen festgehaltenen Messer- gebnisse dienen als Grundlage für die steingerechte Aufnahme des Grund- und Aufrisses des Gebäudes. Abb. 3 Rom, Basilica Iulia. Nördliches Kooperationspartner: Soprintendenza Autonoma per i Beni Archeologici Seitenschiff, Marmorfußboden mit di Roma (A. Bottini, I. Iacopi); Comune di Roma (E. La Rocca, C. Parisi-Pre- Dübellöchern sicce); Forschungsarchiv Antike Plastik der Universität zu Köln (R. Förtsch); Archäologisches Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München (R. Schneider); Institut für Geodäsie der Technischen Universität München (K. Schnädelbach, Th. Wunderlich); Institut für Historisch-Kulturwissen- schaftliche Informationsverarbeitung an der Universität zu Köln (M. Thaller) • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: K. S. Freyberger • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: A. Darwisch, Ch. Ertel, S. Ferri, J. Lipps, K. Tacke, F. Willems • Abbildungsnachweis: D-DAI-Rom-dig 2008.3514, Ch. Ertel (Abb. 1); D-DAI-Rom-dig 2008.3501, H. Behrens (Abb. 2); D-DAI-Rom-dig 2008.2419, D. Gauss (Abb. 3).

Rom, Domus Aurea Nachdem der Brand von 64 n. Chr. weite Teile des Stadtgebiets von Rom ver- wüstet hatte, nutzte Kaiser Nero die Gelegenheit, das Palastareal auf dem Pala- tin auszudehnen, indem er das Areal okkupierte, auf dem heute das Kolosseum und die Trajansthermen stehen, um auf dem ca. 80 ha umfassenden Gebiet eine kaiserliche Residenz – eben die Domus Aurea (Goldenes Haus) – zu erbauen. Da sich das Projekt zur Domus Aurea nicht allein auf die baulichen Über- reste des einstigen neronischen Palastes beschränkt, sondern das gesamte Areal der Residenz zu berücksichtigen versucht, konzentrierten sich die diesjährigen Arbeiten auf die Fertigstellung des im letzten Jahr begonnenen Geländemo- dells von den beiden Erhebungen Colle Oppio und Celio, die das Kernstück der zur Domus Aurea gehörenden Parkanlage bilden. Ferner konnte mit der Bauuntersuchung in der Domus Aurea angefangen werden. Die Arbeiten konzentrierten sich hier auf den Bereich zwischen der sog. Sala ottagonale (Achtecksaal) und der Sala della volta dorata (Saal mit der goldenen Decke), der die Räume 80–123 umfasst. Der momentane Stand der Untersuchung erlaubt es festzustellen, dass es sich bei den Räumen 84–86 (Abb. 4. 5) um die wohl ältesten Gebäudereste in diesem Bereich der Domus Aurea handelt, ohne dass ein festes Datum für ihre Errichtung angegeben werden kann. Mit großer Wahrscheinlichkeit bestan- den sie aber bereits vor dem Brand von 64 n. Chr. und sind nach ihrer Anord- nung und Raumaufteilung für einen Speicherbau konzipiert worden. In einer zweiten Phase, aber vermutlich auch vor dem Brand, wurde ein Neubau neben dem dadurch verkürzten Speicher (Räume 84–86) errichtet. Reste dieses Gebäudes wurden bei dem Bau der Domus Aurea zu einem lan- gen überdeckten Gang (Abb. 6) umgestaltet, der wohl als Servicegang diente. Die Raumgruppe 93–99, die zwischen dem sog. Cortile pentagonale (Fünf- eckhof) und dem Servicegang liegt, gehört zum Neubau der Domus Aurea, da ihre Wände das Obergeschoss des Palastes trugen. Ob die Räume eine spezielle Funktion hatten, kann nicht gesagt werden.

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Rom, Domus Aurea

Abb. 4 Phasen- und Funktionsplan im Bereich der Räume 84 bis 122

Abb. 5 Blick in die Räume 86 und 92, in denen Reste einer Vorgängerbebauung verbaut sind

Abb. 6 Blick in den Raum 92 mit tiefer gelegtem Laufniveau für die Nutzung als Kryptoportikus 4

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Repräsentative Aufgaben können den Räumen 88–91 und 116–122 zu- geschrieben werden, da sie sich zum ›Cortile pentagonale‹ öffnen und ihre Wand- und Deckenverkleidung Reste einer reichen Ausstattung aufweist. Aufgrund der verschiedenen Ausrichtungen von bereits schon bestehenden Strukturen bzw. neu geschaffenen Raumkonzepten kommt es dort, wo diese zusammentreffen, zur Bildung von dicken Wandeinheiten, deren Massivität durch das Einschneiden von Apsiden aufgehoben wurde.

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Kooperationspartner: Soprintendenza Archeologica di Roma; Institut für Geodätische Messtechnik und Ingenieurgeodäsie der Eidgenössischen Tech- nischen Hochschule (ETH) Zürich (H. Ingensand) • Förderung: Soprin- tendenza Archeologica di Roma • Leitung des Projekts: H.-J. Beste • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: D. Campanile, A. Cattaneo, T. Kohoutek, A. S. Labini • Abbildungsnachweis: H.-J. Beste (Abb. 4–6).

Rom, Heiligtümer des Kaiserkultes auf dem Marsfeld Schon im vergangenen Jahr wurde auf dem Marsfeld damit begonnen, die Bauten des Kaiserkultes zu dokumentieren und zu erfassen. Dort hatten sich in der Kaiserzeit zwei Zentren der Verehrung der Kaiser und der Mitglie- der ihrer Familien ausgeprägt. In der frühen Kaiserzeit errichtete Octavian/ Augustus im nördlichen Bereich des Marsfeldes sein Mausoleum, dem sehr bald andere Bauwerke, etwa das Pantheon, folgten. Der Erforschung dieser frühkaiserzeitlichen Anlagen galten frühere Aktivitäten der Abteilung. Das jetzige Projekt konzentriert sich hingegen ganz auf die Bauten des 2. Jhs. n. Chr., die unter begonnen und unter den antoninischen Kai- sern (138–192 n. Chr.) fortgeführt wurden. Im Zentrum der Überlegung steht die Frage, inwieweit hier ein bestimmtes Konzept verfolgt wurde und ob sich darin eine Steigerung in der Inszenierung der Personen beobachten lässt. Der Verehrung der Kaiser dienten verschiedene Bauten. Dazu gehörten vor allem die Tempel, daneben aber auch die sog. Ustrina, also möglicherweise die Orte, an denen die Kaiser während der Bestattungsfeierlichkeiten verbrannt und da- mit unter die Götter aufgenommen wurden, sowie die Altäre, die Säulen und nicht zuletzt das neue mächtige Mausoleum, das jenseits des Tibers errichtet worden war. Große Bedeutung aber hat daneben die Frage, wie die übrigen, älteren Bauwerke in dieses Konzept eingebunden wurden, etwa das Pantheon, das Stadion des Domitian und andere Anlagen mehr. Methodisch ist es deshalb von zentraler Bedeutung, die Bauten möglichst genau zu erfassen und in ihren Bezügen untereinander zu ermitteln. Denn erst 7 auf diese Weise lässt sich bestimmen, in welcher Reihenfolge sie gebaut wur- den, wie sie dabei aufeinander Bezug nehmen und ob so etwas wie ein kohä- rentes Konzept zu erkennen ist. Dazu ist es notwendig, die geringen Reste, die sich in den Kellern und Garagen der Gebäude in dieser Region finden, aufzunehmen, miteinander in eine exakte Relation zu setzen und auf diesem Weg die Kohärenz der Bauten zu erarbeiten. Die Projektarbeiten haben mit dem Kaisertempel für den vergöttlichten Hadrian (Hadrianeum, Abb. 7) und dem Bau, welcher der Matidia geweiht war, begonnen. Am Hadrianeum sind diese weit fortgeschritten. An Ergebnissen zeichnet sich ab, dass es eine Fülle von Korrekturen zu dem bestehenden Bild gibt. Früher vermutete man architektonische Verfeinerungen, wie sie vor allem aus der griechischen Architektur bekannt sind. Sie hat es aber nicht gegeben, sondern die vermeintliche Anschwellung der Säulen (Entasis) erklärt sich aus der Tatsache, dass sich der ganze Tempel zu einer Seite diagonal verkippt abge- senkt hat und die Säulen damit beträchtlich schief stehen (Abb. 8). Wenn man sie folglich nur auf einer Seite misst, kann sich die Vorstellung einer Entasis ergeben. Andere Ergebnisse betreffen den Innenraum, der sich präziser als zu- vor rekonstruieren lässt, die Arbeit an den Kapitellen oder auch konstruktive Details des Podiums. Kooperationspartner: Soprintendenza Archeologica di Roma • Leitung 8 des Projekts: H. von Hesberg, H.-J. Beste • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: A. Blanco, J. Lipps, F. Renda, A. Vella • Abbildungsnachweis: D-DAI-Rom- Abb. 7. 8 Rom, Heiligtümer des Kaiser- dig2008.2862, D. Gauss (Abb. 7); D-DAI-Rom-dig2008.3370, D. Gauss (Abb. 8). kultes auf dem Marsfeld. Hadrianeum

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Rom, Trastevere, Garten und Sordes Rom, Trastevere, Garten und Sordes In Trastevere wurde an den Hängen des Gianicolo eine Silogarage angelegt. Abb. 9 Tönernes Lampenfragment mit Die vorbereitenden Grabungen erbrachten eine Fülle an Material (Abb. 9. 11), der Darstellung eines säenden Mannes da es sich bei dem Befund offenbar um eine antike Müllhalde handelte, die in Abb. 10 Rekonstruktionszeichnung zu der frühen Kaiserzeit auf einem Gartengelände augusteischer Zeit eingerichtet zwei Marmorfragmenten aus dem Schutt und in severischer Zeit in die Substruktionen einer neu erbauten Villa einbe- zogen wurde. Innerhalb des umfangreichen italienischen Publikationsprojekts Abb. 11 Fragment eines Marmorreliefs wurden die aus dem Schutt stammenden Marmorfunde bearbeitet (Abb. 10. 11). Sie setzen sich aus zerbrochen Gefäßen, Füßen von Büsten und Platten von Wand- und Bodenverkleidungen zusammen. Aufschlussreich ist, ab welchem Zustand solche Objekte ihren Wert verloren und auf den Müll wanderten. Kooperationspartner: Soprintendenza Archeologica di Roma; Friedrich- Wilhelms-Universität Bonn • Förderung: Archäologische Gesellschaft Köln • Leitung des Projekts: F. Filippi • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: H. von Hesberg, M. Bentz • Abbildungsnachweis: Photographie und Zeichnung, Soprintendenza Archeologica di Roma (Abb. 9); Soprintendenza Archeolo- gica di Roma (Abb. 10); Umzeichnung M. Schützenberger (Abb. 11).

Rom, S. Maria Antiqua Im Zuge der Fortsetzung der Untersuchungen zur spätantiken Neuausstattung des großen Palastvestibüls am Nordwestfuß des Palatin, das nach 600 n. Chr. in die Kirche S. Maria Antiqua umgewandelt wurde, ging es zunächst um ei- ne Analyse der Reste einer großflächigen Marmorwandverkleidung in der Ex- edra (heute Presbyterium S. Maria Antiqua, Abb. 12. 13). Aus den in situ ver- bliebenen opus sectile-Fragmenten konnte auf das Vorherrschen einer dekora- tiven Textur anstelle einer tektonischen Gliederung geschlossen werden, wie sie in Rom seit etwa 330 und bis in das 6. Jh. n. Chr. auch im Osten (Hagia Sophia) und in Ravenna (S. Vitale) oder Parenzo üblich war. Bei dem Palast, den Papst Johannes VII. ab 705 n. Chr. zur päpstlichen Residenz auf dem Pa- latin ausbauen ließ, scheint es sich um den Tiberiuspalast gehandelt zu haben, da nur dieser in direktem, engem räumlichen Zusammenhang mit der durch Johannes VII. in großem Maßstab neu ausgestatteten Kirche S. Maria Anti- qua steht. Dies ergibt sich zwingend aus der Bestimmung der Kirche als Palastkapelle der päpstlichen Residenz und der spätantiken Durchgänge zur Palatinrampe, die auch im Frühmittelalter in Funktion blieben. Dass Johannes VII. einen keineswegs verlassenen, sondern offenbar mehr oder weniger kon- tinuierlich genutzten und gewarteten Palast ausbaute, folgt aus der Tatsache,

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Rom, S. Maria Antiqua. Ostwand des Presbyteriums

Abb. 12 Ikonennische, eine prä- existente Aedicula nutzend

Abb. 13 Stuckfries 12

dass sein Vater Plato bereits Administrator dieses Palastes gewesen ist und seine Unterhaltung leitete. Die spätantike Restaurierung der Domus Tiberiana wird am ehesten im Laufe des 6. Jhs. n. Chr. durch die Statthalter des byzantinischen Kaisers Justinian, Belisarius und Narses, oder etwas früher, um das Jahr 500 n. Chr., durch den Ostgotenkönig Theoderich veranlasst worden sein. Eine solche historische Einordnung wird von den vorgenommenen Untersuchun- gen der Reste der opus sectile- und Mosaikdekoration des Palastvestibüls bestä- tigt. Bei der in diesem Jahr durchgeführten Bauaufnahme konnten erstmals verbindliche Grundrisse der Exedra mit ihren Nebenräumen und des Peristyls sowie des westlichen Vorraumes, des großen Westsaales und des dem Peristyl vorgelagerten Nordsaales (heute Atrium S. Maria Antiqua) erstellt werden. Dabei wurden sämtliche Pavimente, von domitianischer Zeit bis in das 7. Jh. n. Chr., miterfasst, die teilweise in mehreren Schichten in situ verblieben sind. Komplizierter als erwartet stellt sich die Chronologie der Durchgänge von der Exedra zu ihren beiden Nebenräumen bzw. der Nebenräume zu den Peristyl- umgängen (Seitenschiffe S. Maria Antiqua) dar. Der Befund hat hier ganz neue Fragen schon für die domitianische Phase aufgeworfen, die auch Konsequen- zen für die Rekonstruktion der spätantiken Transformation des Baus haben. Kooperationspartner: Soprintendenza Archeologica di Roma • Leitung des Projekts: D. Knipp • Mitarbeiter: C. Kirzinger • Abbildungsnachweis: D. Knipp (Abb. 12. 13).

Agrigent, Olympieion Im Rahmen der Forschungen zum Olympieion von Agrigent (Abb. 14–16), dem größten dorischen Tempel in Westgriechenland, dessen Baubeginn trotz zweier literarischer Quellen nicht eindeutig datierbar ist, aber stets mit dem Sieg über die Karthager in Himera 480 v. Chr. in Verbindung gebracht wird, wurde eine größere Anzahl von Blöcken untersucht, die sich den Giebeln des Heiligtums zuweisen lassen (Abb. 15). Diese erlauben zumindest in begrenztem Umfang eine allgemeine Rekon- struktion der Bildfelder. Wie schon P. Marconi erkannte, handelte es sich um mächtige Reliefs mit Figuren von ca. 4 m Größe, die in der Mitte eher noch größer wurden. Aus einer Serie der Teile lassen sich schutzflehende Frauen erschließen, die wohl der Iliupersis zuzuweisen sind. Andere Blöcke sind ver- mutlich auf Krieger zu beziehen oder zumindest mit stehenden Figuren in

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Agrigent, Tempel B (›Olympieion‹)

Abb. 14 Innenansicht des Tempels mit den Resten der nördlichen Cellawand

Abb. 15 Tympanonblock mit der Durchzeichnung der Gewand- falten einer sitzenden Statue

Abb. 16 Hypothetische Rekonstruktion der Peristasis mit Statuen entlang der Cellawand 16

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Verbindung zu bringen. An den Wänden der Cella (Abb. 14), die bis zum antiken Laufniveau noch anstehen, zeigen sich auf der obersten Fundament- schicht mehrere Dübellöcher/Einlassungen, die dazu dienten, hier Statuen zu verankern. Aufgrund dieser Tatsache kann man annehmen, dass entlang der Cellawand Statuen standen, die die Peristasis des Tempels schmückten und damit deren Funktion als Prozessionsstraße unterstrichen (Abb. 16). Bei den Untersuchungen konnte auch festgestellt werden, dass ein in der Vergangenheit dem Giebel zugesprochenes Teil mit der Wiedergabe eines Löwenschwanzes davon zu trennen ist. Kooperationspartner: Parco Archeologico e Paesaggistico della Valle dei Templi di Agrigento • Förderung: Parco Archeologico e Paesaggistico del- la Valle dei Templi di Agrigento • Leitung des Projekts: H. von Hesberg, H.-J. Beste • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: M. Knechtel, U. Petzold, F. Renda, M. Schützenberger • Abbildungsnachweis: H.-J. Beste (Abb. 14–16).

Albano, Lager der Legio II Parthica Das Lager der Legio II Parthica in Albano Laziale besitzt als einziges monu- mentales Legionslager auf italischem Boden besondere Bedeutung. Die Er- richtung einer solchen Anlage in Entfernung nur eines halben Tagesmarsches zur Hauptstadt des Reiches bildete wegen der dortigen Stationierung von etwa 5000 regulären Soldaten einen gewaltigen Traditionsbruch. Trotz seiner Nähe zu Rom, den besonders guten Erhaltungsbedingungen einzelner Bauab- schnitte (Umfassungsmauer mit Porta praetoria und Porta principalis sinistra, Lagerbad, Zisterne), der reichen historischen Überlieferung zu der im Lager stationierten Truppe und der nachgewiesenen Zugehörigkeit des Areals zur Domitiansvilla von Castel Gandolfo wurde dem Platz von Seiten der For- schung bislang nicht die verdiente Aufmerksamkeit gewidmet. Noch heute sind im Stadtbild von Albano große Teile der Umwehrung des Lagers der Legio II Parthica aus der Zeit des Septimius Severus erhalten (Abb. 17–19). Die Innenbebauung des 15 km südlich von Rom gelegenen Legionslagers ist so gut wie unbekannt, gleiches gilt – von der Nekropole der Soldaten ab- gesehen – für sein unmittelbares Umfeld. Dass das Terrain ehemals zur Villa des Domitian im nahe gelegenen Castel Gandolfo gehörte, belegt eine Reihe von Bauten aus der 2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr., die zum Teil in das spätere Lager integriert wurden. Ihr funktionaler Kontext im früheren Villenareal ist jedoch ebenso unerforscht wie ihre spätere Nutzung im Legionslager. Für den gesamten Bereich fehlt also eine konkrete Vorstellung der Siedlungs- und Nutzungsabfolgen. Die im Sommer des Jahres begonnenen Projektarbeiten zielen darauf ab, zum ersten den Charakter der Vorgängerbebauung inner- halb der kaiserlichen Villenanlage zu erfassen und zum zweiten wesentliche Grundzüge der castra, die einen wichtigen Bezugspunkt zur Beurteilung der severischen Militärarchitektur darstellen, zu erkennen. Die geplante Unter- suchung verfolgt also zwei eng miteinander verknüpfte Ziele: Durch die sys- tematische Aufnahme und Analyse sämtlicher Befunde im Bereich der castra Albana und in deren unmittelbarem Umfeld sollen einerseits der Charakter und die Funktion der vorlagerzeitlichen Bebauung, andererseits die Gestalt und Innengliederung des Legionslagers genauer bestimmt werden. Bei der Betrachtung der Vorgängerbebauung liegt der Schwerpunkt aus zwei Grün- den auf der unmittelbar dem Lager vorangehenden Nutzungsphase des Gelän- des, das ab domitianischer Zeit Teil der kaiserlichen Villa von Castel Gandolfo war. Zum einen schaffte die vorangehende Phase nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Anlage des Lagers an eben dieser Stelle, zugleich bestanden durch bereits vorhandene Baukörper sowie die Erschließung des

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Geländes bestimmte Vorgaben, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Gestal- tung des Legionslagers wesentlich bestimmt haben dürften. Zum anderen kam es mit der Transformation des Villengrundes zum Legionslager zu einer funk- tionalen Umwidmung des Raumes, die nicht größer hätte sein können. Inwie- weit sich der Wandel an den Baubefunden und im Fundmaterial ablesen lässt, ist im Rahmen des Projekts zu klären. Die Untersuchung konzentriert sich damit auf den Zeitraum vom späten 1. bis zum späten 3. Jh. n. Chr. und daher auf die beiden eng miteinander verwobenen Nutzungsphasen des Areals. Um eine solide Ausgangsbasis für die Interpretation der Baubefunde, die geodätischen Messungen im Lagerareal und die Bauaufnahme der Lagermauer zu schaffen, wurden zu Beginn des Projekts Recherchearbeiten in den Archi- ven der Soprintendenza Archeologica per il Lazio und der Soprintendenza Archeologica di Roma durchgeführt, bei denen Pläne und Beschreibungen zusammengestellt und gesichtet werden konnten, die den Bereich des Lagers und dessen unmittelbares Umfeld betreffen. Die ältere Grabungsdokumen- tation der im Bereich des Legionslagers zu Tage getretenen Befunde soll in die für das kommende Jahr geplante Neuvermessung des Lagers und seines Umfeldes einbezogen werden. 17

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Albano Laziale, Lager der Legio II Parthica Kooperationspartner: Soprintendenza Archeologica del Lazio (G. Ghini); Musei Civici di Albano (G. Chiarucci); Fachbereich Bauwesen der Hochschu- Abb. 17 Turm der Lagermauer le Magdeburg-Stendal (T. Scheffler); Archäologisches Institut der Universität Abb. 18 Turm der Lagermauer, Detail zu Köln (T. Fischer) • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: T. Fischer, H. von Hesberg, A. Busch • Abbildungsnachweis: A. Busch (Abb. 17–19). Abb. 19 Porta principalis sinistra Castel Gandolfo, Villa des Domitian Die Villa des Domitian in Castel Gandolfo ist der wichtigste Landsitz dieses Herrschers außerhalb Roms, auf dem auch Feste ausgerichtet wurden. In die- sem Jahr fanden nur begrenzte Arbeiten an der Rekonstruktion der Krypto- portikus statt. Dabei wurden die Lichtverhältnisse im rückwärtigen Bereich in einer 3D-Rekonstruktion simuliert. Ferner ging es darum, für das Theater der Villa und seine besonderen Aufführungskonditionen Vergleiche zu erar- beiten. Auch dazu wurden Rekonstruktionen weiter ausgearbeitet. Kooperationspartner: Ville Pontificie, Musei Vaticani; Institut für Photo- grammetrie und Fernerkundung der Technischen Universität Karlsruhe • Leitung des Projekts: H. von Hesberg • Mitarbeiter: K. Ringle.

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Abb. 20 Die Städte Latiums, Gabii. Blick über Gabii von Norden mit Lage der nördlichen Stadtmauer

Die Städte Latiums, Stadtmauern von Gabii Unter dem Blickwinkel des Urbanisierungsprozesses in Latium seit dem 8. Jh. v. Chr. stellt Gabii ein besonders lohnendes Forschungsobjekt dar, weil hier bereits eine umfangreiche Nekropole orientalisierender Zeit untersucht und publiziert wurde, die zugehörige Siedlung jedoch weitgehend unerforscht und vor allem nicht modern überbaut ist. Ein wesentliches Element der Stadtwerdung in Latium sind große Wehr- und aufwendige Befestigungsanlagen, welche die entstehenden Gemeinschaf- ten schützten und als Einheit definierten. Schwerpunkte des Projekts sind momentan die eisenzeitliche Erdwallanlage und die frührepublikanischen Qua- dermauern von Gabii, die in diesem Jahr in mehreren Kampagnen untersucht wurden. Die geophysikalischen Prospektionen konnten die Hypothese bestätigen, dass unterhalb der sichtbaren Geländekante eine große bauliche Struktur liegt, die zurzeit als Aggermauer interpretiert wird (s. AA 2008/1 Beiheft, 73 f.). Diese ausgedehnte Umwehrung grenzte ein Gebiet von ca. 40 ha ein. Die Ergebnisse der Ausgrabungskampagnen betreffen insbesondere den nördlichen Abschnitt der Befestigung (Abb. 20). Hier können mittlerweile vier Bauphasen bestimmt werden. Anhand der Keramikfunde ist festzustellen, dass die früheste Mauer, die aus einem breiten Steinsockel und einem Lehm- aufbau bestand, bereits um die Wende vom 8. zum 7. Jh. v. Chr. errichtet wur- de. Die darauffolgende Aggermauer wurde etwas später, wahrscheinlich um die Mitte des 7. Jh. v. Chr. gebaut (Abb. 21). Diese Mauer umschloss vermut- lich eine innere Akropolis. Mangels Stratigraphie konnten die dritte und die vierte Phase bislang zeitlich nicht näher eingeordnet werden. Wir vermuten, dass die Quadermauer der zweiten Phase im 6. Jh. v. Chr. vorgeblendet wur- Abb. 21 Die Städte Latiums, Gabii. Krone de. Diese wurde etwas später (5. Jh. v. Chr.?) mit einer weiteren Mauer kon- der Aggermauer mit vorgeblendeter struktiv verstärkt. Auffällig ist die außerordentliche hohe Anzahl an Fundob- Quadermauer jekten und Strukturen des 8. und 7. Jhs. v. Chr., die auf eine intensive Besied- lung der Geländekuppe schließen lässt. Kooperationspartner: Soprintendenza Archeologica di Roma (S. Musco); Soprintendenza Archeologica del Lazio (G. Ghini); Fachbereich Bauwesen der Hochschule Magdeburg-Stendal (T. Scheffler); Institut für Geowissen- schaften, Abteilung Geophysik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (H. Stümpel) • Förderung: Soprintendenza Archeologica di Roma • Lei- tung des Projekts: S. Helas • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: B. Bernat, C. Briesack, C. Cioffi, C. Dorn, E. Erkul, P. Fleischer, D. Gauss, V. Glomb, S. Kriszt, M. Jakobi, C. Kirchner, M. Krenz, A. Mancini, S. Münzel, K. Özkap, T. Scheffler, E. Seitz, E.-M. Träder, A. von Helden, A. Werner, T. Wunderlich, M. Zingaretti • Abbildungsnachweis: Universität Bonn, G. Zuchtriegel (Abb. 20); DAI, Abteilung Rom, D. Gauss (Abb. 21).

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Latium, Fabrateria Nova. Hofanlage Latium, Fabrateria Nova Die im Vorjahr begonnenen Arbeiten in der nach der Zerstörung des aufstän- Abb. 22 Phasenplan dischen Fregellae (125 v. Chr.) 124 v. Chr. gegründeten colonia Fabrateria Nova Abb. 23 Tempelpodium, Blick nach im mittleren Lirital konnten 2008 mit einer Kampagne fortgesetzt werden. Norden Neben der weiteren Freilegung der im letzten Jahr begonnenen Sondage an der nordöstlichen Ecke der etwa 75 m × 40 m großen Hofanlage wurde ein neuer Schnitt in der Mitte der Nordhälfte des offenen Platzes angelegt, da durch die Bodenprospektion an dieser Stelle ein kleines, rechteckiges Gebäu- de nachgewiesen worden war (Abb. 25). Die in den Grabungen gewonnenen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen. Die nur auf Laufniveau erhaltene Hofanlage weist deutlich zwei Baupha- sen auf (Abb. 22). In der jüngeren Phase, deren Mauerzüge im Plan rot unter- legt sind, wurde der offene Platz zumindest im Osten und Norden, vermutlich aber ringsum, von einer einschiffigen, 3,60 m tiefen Portikus eingefasst. Der östliche Umgang endete im Norden in einer flachen Exedra. Die Säulen be- standen aus Ziegeln, von denen sich zahlreiche dreieckige Stücke in einer Ver- sturzschicht im Nordosten des Hofes gefunden haben. Ebendort kamen auch einige Terrakottaantefixe zu Tage, die zum Dach der Portikus gehört haben dürften. Sie vertreten einen Typus augusteischer Zeit und liefern somit einen Datierungsanhalt für die jüngere Bauphase. In dieselbe Phase gehört offenbar ebenso das Gebäude im Zentrum der Nordhälfte des Platzes, bei dem es sich um einen kleinen Tempel handelt, dessen Südseite freigelegt wurde (Abb. 23). Erhalten sind die Fundamente und der untere Teil eines etwa 7,60 m breiten Podiums, dem eine 2,40 m breite Freitreppe vorgelagert ist. Zu beiden Seiten der Treppe standen rechteckige Brunnenbecken, deren Bodenplatten sich erhalten haben. Dass auch der Tem- pel in augusteischer Zeit erbaut worden ist, belegen einige Fragmente der marmornen Bauornamentik, vor allem zwei Abakusblüten eines korinthischen

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Kapitells (Abb. 24), die sich stilistisch mit entsprechenden Ornamenten des Mars Ultor-Tempels auf dem Augustusforums vergleichen lassen. Sowohl die Stratigraphie des an den Tempel anstoßenden Platzes als auch das regelmäßige Retikulatmauerwerk des Podiums stehen diesem Zeitansatz nicht entgegen. Zu einer früheren, wohl republikanischen Phase gehören die im Plan gelb unterlegten Mauerzüge an der nordöstlichen Ecke des Platzes (Abb. 22), die in der Ausrichtung völlig mit den augusteischen Fundamenten übereinstimmen. Die Ostwand der augusteischen Portikus lehnt sich unmittelbar an die parallele ältere Mauer an, die vielleicht erhalten blieb, während die frühen Mauerfunda- mente im Norden und Westen von den augusteischen Strukturen geschnitten und überlagert werden. Deshalb ist davon auszugehen, dass diese Wände nie- Abb. 24 Latium, Fabrateria Nova. Hofan- dergelegt wurden. Die völlig gleiche Ausrichtung lässt vermuten, dass auch die lage, Fragment der Bauornamentik des republikanischen Mauern bereits zu einer großen Platzanlage gehörten. Tempels: Abakusblüte eines korinthischen Kapitells (M. 1 : 5) Grundsätzlich verschieden von den bislang besprochenen Strukturen aus mehr oder minder regelmäßigem Bruchsteinmauerwerk ist ein Mauerzug aus großen, unregelmäßigen Kalksteinblöcken, der außerhalb der Hofanlage in Ost-West-Richtung parallel zur Nordwand der Portikus verläuft (Abb. 22). Die Blöcke stammen wahrscheinlich aus dem zerstörten Fregellae, wo ähnli- che Stücke in großer Zahl gefunden worden sind, und dürften in Fabrateria in den ersten Jahren nach der Stadtgründung zweitverwendet worden sein. Über die Funktion des nahe der Grabungsgrenze entdeckten Mauerzuges ist vorläufig keine Aussage möglich. Auch die im Vorjahr begonnene Bodenprospektion des gesamten Stadtareals wurde 2008 fortgesetzt, wobei es galt, die im Osten des Stadtgebietes liegenden Brachflächen zu untersuchen (Abb. 25). Insbesondere das Areal zwischen der Thermenanlage, die von der Universität Lecce ausgegraben wird, und dem sog. großen Magazinbau, den die Kollegen aus Cassino untersuchen, schien viel versprechend, da sich nach der Entfernung der dichten Vegetation Reste eines Podiumstempels zeigten, die in den früheren Publikationen als mittelalterliche Kapelle angesprochen worden waren. Die Auswertung der Bodenprospektion in diesem Bereich ergab, dass sich neben dem Podiumstempel noch zwei wei- tere Tempel von unterschiedlicher Größe befinden. Die Ausrichtung aller drei Tempel liegt in Nord-Süd-Richtung, wobei ihr Zugang von Süden erfolgte, wie an den sich in der Bodenprospektion gut abzeichnenden Tempelvorhallen zu erkennen ist. Ferner scheinen die drei Tempel von einer Hallenanlage umge- ben zu sein, die im Westen bis dicht an die Thermenanlage heran reicht und im Nordosten an den ›Magazinbau‹ anschließt. Wurde letzterer bisher als ein eigen- ständiges Gebäude betrachtet, so wird nun deutlich, dass es sich um eine große Kryptoportikus handelt, die sich parallel zum hier steil abfallenden Flussufer erstreckt und so die Höhendifferenz zwischen dem Fluss und dem Stadtgebiet ausgleicht. Sie dient als Substruktion für die ca. 90 m × 100 m große Terras- se, die von Hallen eingefasst wird und auf der die drei Tempel stehen. Darüber hinaus zeichnet sich auf der Nordseite oberhalb der Therme ein ca. 50 m lan- ger Apsidenbau ab, dessen Funktion bisher nicht bestimmt werden konnte. An der Südseite der Terrassenanlage verläuft parallel zu dieser ein Straßen- zug, der auf Höhe der Thermenanlage freigelegt wurde (Abb. 25. 26). Die ge- pflasterte und gut erhaltene Straße besitzt eine Breite von ca. 6 m und wird an beiden Seiten von einem Bürgersteig flankiert. Aufgrund ihrer Breite sowie ihrer Lage in der Stadt und in der Topographie des Umlandes könnte es sich bei ihr um die Via Latina handeln, die über Fabrateria nach Aquinum und von dort nach Capua führte. Kooperationspartner: Soprintendenza per i Beni Archeologici per il Lazio (A. Betori); Comune di S. Giovanni Incarico (A. Nicosia); Università degli

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Abb. 25 Latium, Fabrateria Nova. Bodenprospektion 2008 (Ausschnitt)

Abb. 26 Latium, Fabrateria Nova. Rekonstruktion des östlichen Stadtgebietes

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Studi di Cassino (E. Polito, S. Marandola, C. Venditti); Università degli Studi del Salento (G. Ceraudo, A. Valchera) • Comune di S. Giovanni Incarico • Leitung des Projekts: H.-J. Beste, Th. Fröhlich • Mitarbeiter und Mitarbei- terinnen: S. Arcese, J. Becker, C. Cioffi, V. Iannone, C. Kirzinger, K. Kressirer, M. Kümmel, E. Maffioli, C. Menzler, C. Mocerino, E. Seitz, M. Zerjadtke, H. Becker (Geophysikalische Prospektion) • Abbildungsnachweis: Th. Fröh- lich (Abb. 22–26).

Minturnae, Heiligtümer Minturnae war ursprünglich eine Colonia Maritima, d. h. eine Koloniestadt mit römischen Bürgern, die im 3. Jh. v. Chr. zur Sicherung der Küsten an der Mündung des Garigliano errichtet wurde. Heute trifft der Besucher allerdings auf die Ruinen der frühen und mittleren Kaiserzeit, die vor allem in einer ame- rikanischen Grabung zwischen den Kriegen und später durch die Soprinten- denza Archeologica del Lazio freigelegt wurden. Nur weniges ist davon publi- ziert. Das Ensemble der Stadt ist aber besonders aufschlussreich, weil es klarer als andere Beispiele wesentliche Qualitäten etwa der Sakralarchitektur oder auch der Entwicklung einer solchen Landstadt in Italien bis in die Spätantike verrät. Überdies lässt sich mit ihr die Entwicklung in Fabrateria Nova, einer Stadt im Hinterland von Minturnae, die im Rahmen eines anderen Projekts der Abteilung Rom des DAI (s. auch S. 77–80) untersucht wird, gut vergleichen. Von der Abteilung Rom wurde dabei ein Projekt zur Bearbeitung der Bau- ten initiiert. Dabei konnte die Dokumentation des wohl in augusteischer Zeit errichteten Tempels C abgeschlossen werden. Trotz der starken Beraubung des Steinmaterials gelang es, den Grundriss in seinen wesentlichen Eigenarten zu rekonstruieren. Ferner sind das Fortleben des Kultes und der Ausbau des Hei- ligtums von großer Bedeutung, denn die erhaltenen Reste erlauben, einen klei- neren Bau aus Ziegeln, der vermutlich im 2. Jh. n. Chr. unmittelbar an der Via errichtet wurde, weitgehend vollständig zu rekonstruieren. Die Reste süd- lich des Tempels sind hingegen noch nicht klar interpretierbar. Insgesamt zeich- net sich die Entwicklung eines Heiligtums innerhalb der Stadt sehr gut ab. Mit der Dokumentation der Tempel im zentralen Areal am Forum wurde begonnen (Abb. 27). Das aus dem 2. Jh. v. Chr. stammende Kapitol blieb nach Minturnae, Heiligtümer den ersten Ergebnissen offenbar in seiner Gestalt weitgehend erhalten. Viel- mehr scheint die Aufnahme der Bauteile zu dem Ergebnis zu führen, dass der Abb. 27 Kapitolstempel, Vermessungs- Bau in der frühen Kaiserzeit von einer Portikus am Straßenrand verdeckt wurde team der Fachhochschule München und dass er dabei im Kontinuum dieser Portikus markant durch eine dorische Abb. 28 Portikus, Fragment des Metopen- Ordnung hervorgehoben wurde (Abb. 28). frieses

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Kooperationspartner: Soprintendenza Archeologica del Lazio; Fachhoch- schule München • Leitung des Projekts: H. von Hesberg, H. Bankel (Doku- mentation der Tempel im zentralen Areal am Forum) • Mitarbeiter: T. Kohl- berger-Schaubs (Dokumentation des Tempels C), P. Kreuz • Abbildungs- nachweis: H. Bankel (Abb. 27. 28).

Selinunt Nach Abschluss der zweiten Tranche der großflächigen Ausgrabungen auf der Agora von Selinunt wurde in diesem Jahr ausschließlich an der Publikation der Insula am Ostrand des Platzes gearbeitet, welche einen beispielhaften Ausschnitt aus dem Leben im Zentrum der großen griechischen Kolonialstadt in Sizilien (Abb. 29. 30) darstellen soll. In zwei Kampagnen wurde in ständigem Austausch

Selinunt

Abb. 29 Ansicht des Stadtgebietes von Nordosten. Luftaufnahme 2008

Abb. 30 Stadtmodell im M. 1 : 1500 angelegt 82 Jahresbericht 2008 des DAI

Abb. 31 Selinunt, Bleiblättchen mit Abrechnungsinschrift

zwischen den für die Schnittleitung und die Fundbearbeitung verantwortlichen Kollegen auf eine möglichst einheitliche Darstellung der komplexen Befunde hingearbeitet. In dem geplanten dritten Band der Selinunt-Publikation zur Agora, hierbei über die Insula am Ostrand des Platzes, werden die Beiträge von 22 Autoren vereint sein. Der Abschluss der Publikationsvorbereitung des Bandes ist für das kommende Jahr vorgesehen. Daneben ging es um die Restaurierung der für die Publikation relevanten Fundstücke, unter denen die große Menge von Metallfunden einen beson- ders arbeitsaufwendigen Komplex darstellt (Abb. 31). Sie sind aber auch von ganz besonderer Bedeutung und Aussagekraft durch den Umstand, dass sie in äußerst reicher Bandbreite verschiedener Gattungen in gut gesicherten Kontexten einer modernen Siedlungsgrabung zu Tage kamen. Daher ist dafür ein eigenes Forschungsprojekt in die Wege geleitet worden, welches ab kom- mendem Jahr von H. Baitinger mit der Unterstützung der DFG durchgeführt werden wird. Einen eigenen Ausschnitt aus den Metallfunden bilden im ver- gangenen Jahr gefundene Blei- und Bronzetäfelchen mit Inschriften, welche von der römischen Epigraphikerin M. Lazzarini publiziert werden sollen. Auch sie stellen besondere Anforderungen an die Restaurierung, weil sie durch Einrollen und Zusammenfalten in der Antike unlesbar gemacht wur- den und die Öffnung der Dokumente sich als arbeitsaufwendig und zeitrau- bend erweist. Die ersten Ergebnisse der in enger Zusammenarbeit mit dem Istituto Centrale del Restauro in Rom durchgeführten Arbeit, eine Abrech- nung und eine Namensliste, sind aber viel versprechend. Kooperationspartner: Soprintendenza per i Beni Culturali e Ambientali di Trapani • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: H. von Hesberg, D. Mer- tens • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: L. Adorno, E. Alvarez-Dossmann, R. Attula, H. Baitinger, M. Bentz, A. Bischoff, C. Dehl von Kaenel, V. Garaffa, N. Hoesch, J. Müller, M. Jonasch, M. Rutsche, M. Schützenberger, A. Schwarz, A. Thomsen • Abbildungsnachweis: D. Mertens (Abb. 29); S. Fleig nach einem Entwurf von D. Mertens (Abb. 30); A. Muleo (Abb. 31).

Teano, Theater In diesem Jahr konnte das seit 2002 von der Soprintendenza di Napoli e Ca- serta und der Abteilung Rom des DAI gemeinsam durchgeführte Projekt am antiken Theater in Teano abgeschlossen werden, auch wenn aufgrund der seit 2004 nicht fortgesetzten Grabung im Bereich der Bühnenfront hier Fragen im Detail offen bleiben müssen. Das Theater von Teano (Abb. 32–34), in Verbindung mit einem Heiligtum vermutlich in späthellenistischer Zeit erbaut und in augusteischer Zeit erneu- ert, wird Ende des 2. oder Anfang des 3. Jhs. n. Chr. auf Kosten des Heiligtums

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Teano, Theater ausgedehnt, indem der neue und erweiterte Zuschauerraum (cavea) des Theaters in die Substruktion des Heiligtums einschneidet. Parallel wird die Bühnenfront Abb. 32 Hypothetisches Schaubild des (scaenae frons) vollständig niedergelegt und durch eine größere ersetzt (Abb. 32). Theaters und Heiligtums im 1. Jh. v. Chr. sowie nach dem Umbau am Ende des Das Theater, das vermutlich bereits am Anfang des 4. Jhs. n. Chr. von einem 2./Anfang des 3. Jhs. n. Chr. Erdbeben zerstört und nur geringfügig durch Steinraub geplündert wurde, stellt sowohl in seinem Erhaltungszustand als auch in der Anzahl der gefunde- Abb. 33 Blick auf das teilweise ausge- nen großformatigen Bauglieder eines der wichtigsten Monumente in der Ent- grabene Bühnengebäude wicklungsgeschichte des hellenistisch/römischen Theaterbaus in Mittelitalien Abb. 34 Rekonstruktion des Bühnen- dar. Insbesondere die in Sturzlage konservierte Front des Bühnengebäudes, gebäudes bei der alle jene Bauglieder vertreten sind, die zu einer klassischen römischen Säulenordnung gehören, erlaubt eine weitgehend gesicherte Rekonstruktion (Abb. 33). Alle Bauglieder sind aus farbigen Marmorsorten verschiedener Her- kunft gearbeitet. Bestehen Basen, Architrave und Geisa (Gesims) aus weißem, lunensischem Marmor, so wurden für die Säulenschäfte grauer und roter Gra- nit sowie Pavonazzetto und Africano ausgewählt, wodurch dem Stilgefühl der Zeit entsprechend eine lebendig farbige Fassade geschaffen wurde.

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Ausgehend von der zeichnerischen Dokumentation der ca. 150 Werkstücke und der Untersuchung der in situ befindlichen Fundamentquader der Bühnen- wand sind eine genaue Zuordnung der Bauglieder und – damit verbunden – ein Rekonstruktionsvorschlag für die Bühnenfront (Abb. 34) möglich. Diese ist ca. 44 m lang, verläuft geradlinig und wird von drei Türen durchbrochen. Über den vier Pavonazzettosäulen der gewaltigen Kompositordnung vor der mittleren Tür (Porta regia) folgte eine korinthische Ordnung. Vor den seitlichen Türen (Porta hospitalis) standen auf erhöhten Sockeln vier rote Granitsäulen, die ebenso eine Kompositordnung trugen. Darüber schließen sich zwei korin- thische Ordnungen an, so dass die seitliche Architektur, die kleiner dimensi- oniert ist, die Höhe der mittleren Säulenordnung erreicht. Die so rekonstru- ierte Bühnenfront vermittelt mit ihren dreiachsigen Säulenstellungen ein Bild klassizistisch streng gegliederter Architektur und Symmetrie, zumal die drei Säulenstellungen isoliert voneinander sind, da es keine Verbindung zwischen der dominierenden mittleren Ordnung und den seitlichen Ordnungen gibt. Kooperationspartner: Soprintendenza Archeologica di Caserta e Bene- vento • Förderung: Soprintendenza Archeologica di Caserta e Benevento • Leitung des Projekts: H.-J. Beste • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: J. Becker, R. Sirelto, R. Sponer • Abbildungsnachweis: H.-J. Beste (Abb. 32. 33); S. Franz, V. Hinz (Abb. 34).

Abb. 35 Latium, Heiligtümer. Terracina, Terrassenheiligtum. Rekonstruktion einer Halle in dorischer Ordnung

Latium, Heiligtümer Die Arbeiten in dem Terrassenheiligtum, das in beherrschender Lage oberhalb Terracinas auf einem Felsen liegt, wurden in diesem Jahr weitergeführt. Dabei gelang es, aus bescheidenen erhaltenen Resten einen Vorschlag für eine Halle in dorischer Ordnung zu erarbeiten, die hinter dem Tempel lag (Abb. 35). Diese Rekonstruktion ist deshalb so bedeutsam, weil es aus der Zeit an der Wende vom 2. zum 1. Jh. v. Chr. in Mittelitalien nur wenige Beispiele für derartige Anlagen gibt, von deren Gestalt man sich im Einzelnen auch tatsächlich eine Vorstellung machen kann. Solche Hallen bildeten aber ein wesentliches Ele- ment innerhalb der Städte und Heiligtümer jener Zeit und boten neben dem Schutz vor den Unbilden der Witterung die Qualität eines engen Austausches zwischen den Besuchern, dienten also in hohem Maße der Kommunikation.

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Ferner aber hinterfing die Portikus auch den großen Tempel und gliederte auf diese Weise das Areal des Heiligtums. Kooperationspartner: Soprintendenza Archeologica del Lazio • Förderung: Fritz Thyssen Stiftung • Leitung des Projekts: H. von Hesberg • Mitarbei- ter und Mitarbeiterinnen: V. Hinz, S. Franz • Abbildungsnachweis: V. Hinz, S. Franz (Abb. 35).

Apollonia (Albanien), Theater Die Arbeiten in konzentrieren sich darauf, die Veränderung dieser Stadt in der Zeit des frühen Hellenismus an der Wende vom 4. zum 3. Jh. v. Chr. zu erfassen. Deutlich ist zu sehen, dass sich die Bauten nach außen wenden und so die Wirkung des Stadtpanoramas verändern. Das Theater, das zu den größten Bauten seiner Art im griechischen Kulturraum zählt, ist mit seinem Zuschauerraum aus weißem Kalkstein schon von weitem vom Meer her sichtbar und Gleiches gilt für die Bauten auf der Agora. Die Arbeiten am Theater, die als albanisch-deutsches Gemeinschaftsunter- nehmen geführt werden, konzentrierten sich in diesem Jahr dabei zum einen auf eine ausgedehnte Prospektion der umliegenden Flächen. Mit deren Hilfe gelang es, das obere Ende des Zuschauerraumes und darüber hinaus auch den Anschluss an das Straßensystem der Oberstadt zu bestimmen. Hinter der Büh- ne lag hingegen eine offene Anlage, die sich über mehrere Terrassen erstreck- 36 te und wohl von Säulenhallen gesäumt war. Die Bearbeitung der Skulpturenfunde zeigte zum anderen, dass diese erlau- ben, innerhalb der Ausstattung und Umgestaltung des Theaters die entschei- denden Phasen in ihrer Eigenart schärfer zu bestimmen. So ist die erste Phase aus der Mitte des 3. Jhs. v. Chr. durch Friese mit großen Masken (Abb. 36) gekennzeichnet, die das Bühnenhaus oder eine Anlage in seinem unmittelba- ren Umfeld geschmückt haben müssen. Als zweite Phase zeichnet sich bislang erst ein umfangreicher Umbau im 2. Jh. n. Chr. ab, dem zwei Ehrenstatuen für Frauen aus der soziopolitischen Führungsschicht der Stadt zugehören. Sie waren im Typus der sog. Großen Herkulanerin gestaltet (Abb. 37). Dank der systematischen Suche fanden sich auch die zugehörigen Basen. Die Inschrift der einen war bisher nicht bekannt und verrät nach der Lesung durch W. Eck, dass dort eine Pecuaea Filippa geehrt wurde. Aufschlussreich für die Geschich- te des Theaters ist auch ein Neufund dieses Jahres. Die Statue eines jungen Mädchens wohl hellenistischer Zeitstellung wurde in dem genannten Zeit- raum in ein Bild der Nemesis uminterpretiert, wie das Rad auf der Plinthe verrät. Das Bild dieser Gottheit ist aber charakteristisch für Theater, die in der mittleren Kaiserzeit in Arenen für Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen umgewandelt wurden. Nach einer Beobachtung M. Fiedlers wurde aber 37 nun wiederum dieses Bild am Ende der Antike, wohl als diese Art der Spiele ein Ende fanden, ein weiteres Mal uminterpretiert, denn das Rad wurde mit Apollonia (Albanien), Theater einem besonders festen Lehm intentional bis zur Unkenntlichkeit verklebt. Kooperationspartner: Albanisches Archäologisches Institut, Tirana (B. Lahi); Abb. 36 Maskenfries Archäologisches Institut der Universität zu Köln (M. Fiedler) • Förde- Abb. 37 Weibliche Gewandstatue rung: DFG; Bayerische Akademie der Wissenschaften • Leitung des Projekts: H. von Hesberg, B. Lahi • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: M. Fiedler, V. Hinz, S. Franz • Abbildungsnachweis: H. von Hesberg (Abb. 36. 37).

Baitokaike, Hössn Soleiman (Syrien), Heiligtum des Zeus Uranios 2008 wurde eine weitere Sichtung des Heiligtums in Hössn Soleiman unter- nommen, die zu neuen Ergebnissen zur Chronologie, Genese und Funktion der Kultstätte führte. Ursprünglich war die Anlage ein offenes Naturheiligtum,

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Baitokaike, Hössn Soleiman (Syrien). Heiligtum des Zeus Uranios

Abb. 38 Großer Bezirk, Nordmauer an der Feldseite

Abb. 39 Rekonstruktionsskizze (M. 1 : 2500) 38

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das in der Sohle eines Talkessels in den südlichen Ausläufern des syrischen Küstengebirges errichtet wurde. Das reiche Wasservorkommen und die Exis- tenz von Heilpflanzen waren für die Wahl des Ortes ausschlaggebend. In früh- hellenistischer Zeit, vermutlich im 3. Jh. v. Chr., erhielt die Anlage während der Herrschaft der Seleukiden eine architektonische Fassung, indem die bei- den Bezirke mit monumentalen Quadermauern, Tor- und Kultbauten verse- hen wurden (Abb. 38). Im ausgehenden Hellenismus ging das Heiligtum in den Besitz der Katochoi von Baitokaike über, die als Priesterschaft die höchs- ten Würdenträger dieses Dorfes waren. Im Laufe des 2. Jhs. n. Chr. wurden im großen Bezirk ein neuer Tempel um den alten Kultbau und ein neuer Altar errichtet sowie die Torbauten mit ornamentalem und figürlichem Schmuck versehen. Auf all diese Arbeiten beziehen sich die nach der Seleukidischen Ära berechneten Jahresangaben der Weihinschriften aus dem Heiligtum. Das Heiligtum fungierte bis in die späte Kaiserzeit als religiöses und merkantiles Zentrum in dieser Region. Darüber hinaus war es auch eine Heilstätte, wo- rauf vor allem die therapeutischen Einrichtungen und die in Weihinschrif- ten genannten Heilpflanzen verweisen. In dem großen Bezirk befinden sich Quellkammern, in denen das Wasser gesammelt und über Kanäle in ein oder mehrere Becken westlich des Heiligtums zum tiefer gelegenen Dorf weiter- geleitet wurde (Abb. 39). Allem Anschein nach waren diese Becken keine Wasserreservoirs, sondern Heilbäder. Die höchste Gottheit in Baitokaike war Zeus Uranios, ein lokaler Gott mit hellenisierter Namensgebung, der als Kosmokrator sowie als Heils- und Orakelgott verehrt wurde. Projektbearbeiter: C. Ertel, K. S. Freyberger • Abbildungsnachweis: K. S. Freyberger (Abb. 38); C. Ertel (Abb. 39).

Karthago und Simitthus/Chemtou (Tunesien) Ein neuer Rahmenvertrag der Abteilung Rom des DAI mit dem Institut National du Patrimoine in Tunis öffnet den Weg für eine neue deutsch-tune- sische Zusammenarbeit, die auf den langjährigen Grabungen der Abteilung Rom in Karthago und Simitthus (Chemtou, Abb. 40) fußt. Im Archiv der Abteilung Rom wurde mit der Aufarbeitung der Grabun- gen Karthago, rue Ibn Chabâat und Chemtou begonnen; in Zusammenarbeit mit dem Forschungsarchiv Antike Plastik der Universität zu Köln läuft ein Digitalisierungsprogramm der schriftlichen und bildlichen Dokumentation der Altgrabungen in Karthago und Chemtou (Tunesien) sowie Lambaesis und

Abb. 40 Simitthus/Chemtou (Tunesien), Museum. Das in deutsch-tunesischer Kooperation errichtete Museum mit den Steinbrüchen des numidischen Marmors (Giallo antico) im Hintergrund

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Siga (Algerien). Bei mehreren Besprechungsterminen in Tunis und Chemtou konnten die Grundlagen für eine neue Zusammenarbeit gelegt werden, so dass im kommenden Jahr mit den Arbeiten vor Ort begonnen werden kann. Wäh- rend sich die Arbeiten in Karthago auf die Grabung an der rue Ibn Chabâat konzentrieren, wird in Chemtou die vorrömisch-numidische Stadt ins Visier genommen. Außerdem werden ältere Arbeiten zum Aquädukt, zur römischen Brücke, zum spätantiken Solidi-Schatzfund und zum Forum zum Abschluss gebracht. Kooperationspartner: Institut National du Patrimoine, Tunis (F. Béjaoui, M. Khanoussi); Landesmuseum Kärnten (H. Dolenz); Landesstelle für nicht- staatliche Museen in Bayern (C. Flügel • Leitung des Projekts: H. von Hes- berg, P. von Rummel • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: H. R. Baldus, O. Brudy, M. Chaouli, W. Eck, M. Ghaki, M. Gschwind, R. Hahn, N. Hut- terer, M. Mackensen, K. Mansel, C. Morrisson, K. Müller, G. Olcese, C. B. Rü- ger, P. Scheding, M. Sieler, S. Storz • Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Rom, F. Rakob (Abb. 40).

Italische Kulturen des 7. bis 3. Jhs. v. Chr. in Süditalien und Sizilien Das Kernpunktprogramm nimmt die in Süditalien und in Sizilien ansässigen Völkergruppen ins Visier. Es geht dabei in erster Linie um die Formen und die Intensität der wechselseitigen Kontakte in der Zeit von der frühen grie- chischen Kolonisierung im 7. Jh. v. Chr. bis zur Machtübernahme durch Rom im 3. Jh. v. Chr. Von den Stipendiaten, die mit Dissertationsvorhaben am Pro- gramm teilnehmen, werden Befunde aus Orten in Kampanien, Westlukanien und in der Basilicata untersucht. Schwerpunkte liegen auf Nekropolen und indigenen Siedlungsformen. N. Burkhardts Arbeit über »Kulturaustausch am Beispiel der Bestattungs- sitten in den süditalischen Siedlungen und den griechischen Kolonien« wurde abgeschlossen mit der messapischen Nekropole von Gravina di Puglia, wo vom 6. bis zum 4. Jh. v. Chr. schrittweise neue Grabformen und Kammergräber mit Mehrfachbestattung auftauchen. Sie sind von den Kolonien Tarent, Metapont und Siris herzuleiten, woher auch die zunehmende Präsenz von griechischer Keramik und griechischen Waffen unter den Beigaben herrührt. Gleichzeitig wird aber weiterhin einheimische Keramik beigegeben und die einheimische Sitte der Hockerbestattung beibehalten, so dass die Veränderungen auf zuneh- mende soziale Differenzierungen in der indigenen Siedlung zurückzuführen sind. Die Nekropole Fornaci bei Capua ist der Untersuchungsgegenstadt von E. Thiermanns Arbeit über »Italische Kulturen vom 7. bis 3. Jh. v. Chr. Die archaische Nekropole von Capua«. Es wurden die Befunde von mehr als 100 Gräbern aus der Zeit von etwa 575 bis 400 v. Chr. ausgewertet. Entsprechend der Zielsetzung können damit die kollektiven Identitäten beschrieben und so letztlich die historischen Bevölkerungsverschiebungen in Nordkampanien fest- gestellt werden. Wesentlich ist dazu die Rekonstruktion verlorener Kontexte und deren Dokumentation, die an 100 ausgewählten Fundstücken zeichne- risch durchgeführt wurde (Abb. 41). C. Nowak stellt die Frage nach »Italiker(n) in griechischen Koloniestäd- ten Unteritaliens?« anhand von »Untersuchungen zu Wandlungsprozessen im Bestattungsritual«. Es geht darum, die Veränderungen in den Ritualen nicht primär aufgrund postulierter ethnischer Identitäten und einer sog. Samnitisie- rung Süditaliens zu interpretieren. Gegenwärtig konzentriert sich die Unter- suchung auf die ursprünglich griechische Stadt Poseidonia und ein im 4. Jh. v. Chr. sich neu etablierendes Bestattungsritual in Form von Waffengräbern.

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Abb. 41 Italische Kulturen des 7. bis 3. Jhs. v. Chr. in Süditalien und Sizilien, Santa Maria Capua Vetere. Nekropole Fornaci. Inhalt des Grabes F 1379 (550–520 v. Chr.)

Es lässt sich nachweisen, dass diese Veränderung nicht per se lukanisch war, sondern einen sozialen Wandel anzeigt, der im 4. Jh. v. Chr. alle griechischen Kolonien einholte. Bei den beiden vorgestellten Arbeiten handelt es sich nicht um Feldfor- schungen, sondern um die Auswertungen von Befunden zum besseren Ver- ständnis dessen, was sich in Süditalien im Zeitraum der Kolonisierung ab- spielte. Deshalb ist im Schwerpunktprogramm der Austausch mit Forschern an anderen Instituten und an Universitäten für den Erfolg entscheidend. Mit- tels Kurzstipendien konnten auch italienische und niederländische Forschun- gen insbesondere zu Lukanien eingebunden werden, so zur Nekropole von Melfi, zur Dynamik der Besiedlung um Rivello und zu lukanischen Archi- tekturformen. Eine ergiebige und weiterführende Diskussion wurde auf thematisch spe- zifizierten internationalen Symposia erreicht. Um »Kollektive Identitäten im Tod. Möglichkeiten und Grenzen der Analyse von Grabbefunden im vorrö- mischen Unteritalien und Sizilien« ging es bei einem diesjährigen Symposium (s. auch S. 101). Begünstigt durch die Teilnahme von Forschern aus der Vor- und Frühgeschichte sowie der Ethnographie konnten die Möglichkeiten ei- ner ethnographischen Interpretation kritisch besprochen und letztlich doch sehr in Frage gestellt werden. Zudem fand ein weiteres Symposium zu der »Topologie des Sakralen. Kultstätten in Unteritalien und Sizilien vom 7.–3. Jh. v. Chr.« statt (s. auch S. 101 f.), auf dem deutlich wurde, dass es besonders sied- lungskundliche Ansätze sind, mit denen die Rolle der Heiligtümer im Kontakt benachbarter Bevölkerungen zunehmend differenzierter dargestellt werden kann. Über den Stand der einzelnen Untersuchungen und besonders der eth- nischen Frage diskutierte die Gruppe der Stipendiaten C. Nowak, K. P. Hof- mann, M. Sclafani, M. Köder, N. Burkhardt, A. Thomsen und E. Thiermann auf dem »XVIIth International Congress of Classical Archaeology« in Rom. Unter dem Titel »Formen der Begegnung. Kolonisten und Indigene in der Magna Graecia und in Sizilien vom 7. bis zum 3. Jh. v. Chr.« (s. auch S. 102) konnten die Deutung von Grabbefunden und die Siedlungskunde als die bei- den Hauptkomponenten im Schwerpunktprogramm zusammenfassend prä- sentiert werden.

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Kooperationspartner: Scuola di Specializzazione in Archeologia di Ma- tera (M. Osanna); Koninklijk Nederlands Instituut te Rome (G. J. Burgers) • Förderung: Gerda Henkel Stiftung • Leitung des Projekts: R. Neudecker • Mitarbeiter: A. Thomsen • Abbildungsnachweis: Photographie E. Thier- mann, Zeichnung A. Petriccione, Photomontage D. Gauss (Abb. 41).

Zentralisierungsprozesse und Siedlungsgenese in Unteritalien und Sizilien Die im Rahmen des Projekts » Italische Kulturen des 7. bis 3. Jhs. v. Chr. in Süditalien und Sizilien« vorgesehenen Feldforschungen konnten in diesem Jahr weitgehend abgeschlossen werden (Abb. 42). Den Anfang machte die Aufarbeitung der Oberflächenfunde aus Pizzo Don Pietro und Castello della Pietra in Sizilien sowie des Fundmaterials aus Cerasello in Kalabrien. Hinzu kamen zwei Surveykampagnen auf dem Siedlungshügel von Timmari in der Basilicata. Die erste diente dem Abschluss der im Vorjahr begonnenen topo- graphischen Vermessung des Siedlungsareals sowie einer geomagnetischen Prospektion, während der zweiten wurde ein systematischer Keramiksurvey durchgeführt. I. Pizzo Don Pietro und Castello della Pietra: Bei Pizzo Don Pietro und Castello della Pietra handelt es sich um eine 10 km nördlich von Selinunt gelegene, auf zwei benachbarten Felshügeln errichtete indigene Höhensied- lung auf der Westseite des Belice-Flusses. Nach zwei Feldkampagnen im Jahr 2006 konnten nun auch die Oberflächenfunde abschließend untersucht wer- den. Durch deren systematische Auswertung hat sich das bisherige Bild von der Siedlungsentwicklung ein wenig gewandelt. Es hat nämlich den Anschein, dass die Siedlung ihre größte Ausdehnung von etwa 6 ha nicht – wie bislang angenommen – in der Eisenzeit, sondern bereits in der Bronzezeit erreichte.

Abb. 42 Zentralisierungsprozesse und Siedlungsgenese in Unteritalien und Sizilien, Verteilung der untersuchten indigenen Siedlungen

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Darauf deuten die Keramikfunde aus verschiedenen Reinigungen, die eine starke Frequentierung beider Siedlungshügel in dieser Zeit bezeugen. Da sich die Hüttenkonstruktionen bis zur Eisenzeit kaum veränderten, ist allerdings nicht zu entscheiden, aus welcher Zeit die im Nordteil der Siedlung, also auf dem Pizzo Don Pietro, freigelegten im Einzelnen stammen. Die Keramik- funde jedenfalls lassen auf eine deutliche Abnahme der Siedlungsintensität in diesem Bereich schließen. Wenn das richtig ist, dann siedelten sich die Griechen offenbar in einer Region an, die ihren demographischen Höhepunkt schon vor längerer Zeit überschritten hatte, ein Umstand, der die Auswahl des Siedlungsplatzes in Selinunt begünstigt haben könnte. Zur Absicherung dieser These sind jedoch stratifizierte Daten notwendig, die mit Hilfe einer Sondage in den Resten des Schutzwalls gewonnen werden sollen, der die Siedlung im Norden abschloss. Bemerkenswert ist ferner, wie schwach die archaischen kolonialen Waren unter den Oberflächenfunden vertreten sind. Es hat den Anschein, dass sich die Gründung Selinunts eher negativ auf die Entwicklung des Siedlungsplat- zes auswirkte. Tatsächlich deuten Grabungsbefunde aus dem benachbarten Montagnoli darauf hin, dass die Gründung Selinunts kriegerische Ausein- andersetzungen nach sich gezogen haben könnte. Eine Belebung erfuhr die Siedlungstätigkeit offenbar erst wieder im 5./4. Jh. v. Chr., einer Zeit, als sich die indigenen Bevölkerungsgruppen überall in den kolonisierten Gebieten zunehmend gegenüber den Griechen etablierten. II. Cerasello (Kalabrien): Durch die systematische Aufarbeitung der Funde aus Cerasello, einer im vergangenen Jahr untersuchten brettischen Höhensied- lung bei Pietrapaola in Kalabrien, kann die bisherige Einschätzung von der Entwicklung des Platzes weiter präzisiert werden. Die Keramikfunde bestäti- gen, dass die Siedlung ad hoc in der 2. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. entstanden ist und wie viele andere brettische Zentren in der Zeit um 200 v. Chr. vermut- lich als Konsequenz des 2. Punischen Krieges wieder aufgelassen wurde. An- ders als bislang angenommen, handelte es sich bei Cerasello jedoch nicht um eine Fluchtburg. Das bezeugt die gleichmäßige Verteilung der Dachziegel über das gesamte Siedlungsareal, was auf eine weitgehend geschlossene Bebau- ung schließen lässt. Als Rückzugsareal im Notfall diente vielmehr das Gebiet zwischen Cerasello und den nördlich davon gelegenen ›Muraglie‹, einer Be- festigungsanlage, die den einzigen meerseitigen Zugang abriegelte. III. Timmari: Auch bei der Erforschung Timmaris, einem indigenen Sied- lungsplatz unweit von Matera, an der Grenze zwischen dem japygischen und lukanischen Kulturraum, wurden große Fortschritte gemacht. Ein wichtiges Ergebnis ist die Fertigstellung des topographischen Plans (Abb. 43), der die wesentlichen morphologischen Merkmale und Besonderheiten des über zwei Hügel verteilten Siedlungsplatzes kenntlich macht und überdies Rückschlüsse über den Aufbau der Siedlung zulässt, insbesondere was die Organisation der Zugänge betrifft. Aufgrund der strikten Vorgaben des von sehr steilen Hängen geprägten Geländes kann die Siedlung nur zwei natürliche Zugänge besessen haben. Einer befand sich an der Nordseite von S. Salvatore, wo der Aufweg die nur leicht ansteigende Senke zwischen der Nordostflanke von S. Salvatore und der Montagnola nutzte. Er endet auf einem flachen, etwa 20 m × 20 m großen Sporn an der Nordostseite von S. Salvatore, von wo er in das an dieser Stelle leicht ansteigende Siedlungsareal führte. Der zweite, von Gräbern flankierte Aufweg befand sich in der ebenfalls gut begehbaren Senke zwischen S. Salva- tore und Camposanto. Da man auf ihm bis zum Sattel zwischen den beiden Hügeln gelangte, handelte es sich vermutlich um den Hauptzugang.

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Abb. 43 Zentralisierungsprozesse und Siedlungsgenese in Unteritalien und Sizilien, Timmari. Camposanto, Auswertung der geomagne- tischen Prospektion Abteilung Rom 93

So günstig die Geländesituation sich auch darstellt, als alleiniger Schutz kann sie – zumal in unruhigen Zeiten wie während des 4. und 3. Jhs. v. Chr. – nicht ausgereicht haben. Zwar wurden bisher noch keine eindeutigen Belege für eine Befestigungsmauer gefunden, doch legen mehrfach an den Rändern der Plateaus verifizierte Kalksteinspuren und große verstürzte Kalksteinqua- der an den Hängen die Existenz einer Wehrmauer nahe. Zumindest im Bereich der Zugänge ist ohnehin mit massiven Befestigungen zu rechnen. Über das Innere der Siedlung geben eine ganze Reihe von Grabungen Auskunft, etwa die von U. Rüdiger im Jahr 1968, der auf dem Camposanto einen 50 m langen Schnitt anlegte, oder die Grabungen E. Lattanzis in den 1980er Jahren auf S. Salvatore. Gemeinsam ist diesen Grabungsbefunden, dass in ihnen die Reste rechtwinkliger Steingebäude zum Vorschein kamen, die überwiegend aus dem 4. Jh. v. Chr. stammen, jener Epoche, in welcher die Siedlung offenbar am stärksten prosperierte. Hingewiesen sei an dieser Stelle insbesondere auf das große Grabungsareal von S. Salvatore, wo die Bauten ei- ne Freifläche zu umschließen scheinen, in der sich außer archaischen Kisten- gräbern, vor allem die fundreichen Kammergräber des 4. Jhs., darunter die berühmte ›Tomba 33‹ konzentrieren. Die Bauten sind zwar nicht standardi- siert, jedoch annähernd gleich ausgerichtet und auf wenigstens zwei Seiten wird die Freifläche von gepflasterten Straßen begrenzt. Es hat den Anschein, dass es sich hierbei um ein – im weitesten Sinne – öffentliches Areal handelte, eine Erkenntnis, die um so wichtiger ist, da über das Erscheinungsbild und die Organisation des öffentlichen Raumes in den Siedlungen der Region nichts bekannt ist. Wir begegnen hier freilich Vor- stellungen, die mit dem griechischen Verständnis von ›privat‹ und ›öffentlich‹ offenbar nur wenig gemein haben, denn im japygischen Kulturraum gibt es keine rigorose Trennung zwischen dem sepulkralen Raum und den Lebens- und Wohnbereichen. Die Gräber konzentrieren sich auch nicht in Nekropo- len, sondern werden verstreut, meist in der Nähe der Wohnbauten angelegt. Der Befund in Timmari könnte allerdings auf einen gewissen Traditionswan- del im 4. Jh. v. Chr. hindeuten. Die Toten – zumindest die bedeutenden – werden zwar auch weiterhin in der Siedlung bestattet, doch nun in eigens da- für ausgesparten Bereichen. Dabei muss es sich jedoch nicht um eine bewuss- te Angleichung an fremde Sitten handeln. Vielmehr stellte die Umsetzung der von den Griechen übernommenen urbanistischen Gestaltungsprinzipien ganz andere Anforderungen an die räumliche Organisation der Siedlung. Die auf Camposanto durchgeführte geomagnetische Prospektion vermit- telt einen Eindruck von der Bebauungsdichte sowie dem Aufbau der Sied- lung. Die zahlreichen Mauerreste lassen sich zwar nur selten zu vollständigen Gebäuden ergänzen, dennoch sind im Norden und Süden zwei Hauptorien- tierungen erkennbar. Dort wo die beiden aufeinander treffen, scheint sich eine große Freifläche zu befinden, über deren Bedeutung man derzeit nur speku- lieren kann. Auch einige Straßenzüge sind auszumachen sowie eine kleinere Gruppe von Gebäuden im Südwesten, deren Orientierung von den beiden Hauptrichtungen abweicht. Auffallend sind ferner die zahllosen Gruben und Gräben, die sich bei der Prospektion abzeichneten und die ihre Existenz wohl überwiegend der Tätigkeit von Raubgräbern verdanken. Obwohl die systematische Auswertung der Funde des ebenfalls auf Cam- posanto durchgeführten Keramiksurveys noch aussteht, liegen bereits Teiler- gebnisse vor. Der Survey hat einige der aus den älteren Grabungen gezoge- nen Schlüsse bestätigen oder sogar präzisieren können, während andere wohl korrigiert werden müssen. Die Funde reichen bis in das Neolithikum zurück und spiegeln das Aufblühen der Siedlung in der frühen Eisenzeit und im

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7./6. Jh. v. Chr. überzeugend wider. Auch der große Aufschwung während des 4. und 3. Jhs. v. Chr. ist durch Keramikfunde gut belegt. Überraschender- weise ist jedoch auch das an fast allen Orten der Region kaum bezeugte 5. Jh. v. Chr. mit zahlreichen Importen vertreten. Und anders als bisher angenom- men, gab es im frühen 2. Jh. v. Chr. offenbar keine Unterbrechung der Sied- lungstätigkeit. Auch wenn die Intensität der Besiedlung etwas geringer gewor- den zu sein scheint, wurde doch weiterhin der ganze Hügel genutzt. Es hat sogar den Anschein, dass der Platz ohne Unterbrechung bis in spätrömische Zeit besiedelt blieb, wenngleich sich das Leben wohl zunehmend auf den Süd- westteil des Hügels beschränkte und am Ende wohl nur noch aus einem land- wirtschaftlichen Anwesen bestand. Die systematische Auswertung der Funde hält vermutlich noch weitere Überraschungen bereit. Kooperationspartner – Pizzo Don Pietro und Castello della Pietra: Scuola di Specializzazione di Matera; Soprintendenza ai Beni Culturali e Ambien- tali della Provincia di Trapani; Fachhochschule Karlsruhe • Förderung: Gerda Henkel Stiftung • Leitung des Projekts: A. Thomsen • Mitarbeiter: V. Garaffa • Abbildungsnachweis: A. Thomsen (Abb. 42). Kooperationspartner – Cerasello: Scuola di Specializzazione di Matera; Soprintendenza per i Beni Archeologici per la Calabria; Comune di Pietra- paola; Fachhochschule Karlsruhe • Förderung: Gerda Henkel Stiftung • Leitung des Projekts: A. Thomsen • Mitarbeiter: M. F. Lanza. Kooperationspartner – Timmari: Scuola di Specializzazione di Matera; Soprintendenza per i Beni Archeologici della Basilicata; Fachhochschule Karlsruhe • Förderung: Gerda Henkel Stiftung • Leitung des Projekts: A. Thomsen • Mitarbeiter: M. Bileddo, M. Braun, W. Filser, C. Meyer, J. Pickenhahn, A. Rieger, D. Rubis, B. Ulrich, G. Zuchtriegel • Abbildungs- nachweis: Firma Eastern Atlas, Berlin (Abb. 43).

Die sakrale Landschaft Roms in der Kaiserzeit Rom weist in der Kaiserzeit eine Vielzahl von sakralen Stätten auf. Allein 456 sind es, die sich mehr oder weniger deutlich erkennen und rekonstruieren las- sen. Sie stellen einen entscheidenden Faktor in der Konstituierung von anti- kem Stadtleben überhaupt dar. Dieser sakrale Gesamtraum Rom wird anhand mehrerer Aspekte mit kulturhistorischer Methode untersucht, um zu erklären, in welcher Weise das Sakrale die ›Mitte‹ antiken urbanen Lebens bildete. Aus dieser Forschungsarbeit wurde ein Beitrag über »Rome. Law and Order in Sa- cred Spaces« zum Druck gegeben, ein weiterer über »Archives and Books in Sa- cred Spaces of Rome« auf der »Ancient Libraries Conference« vorgetragen. Projektbearbeiter: R. Neudecker.

Rom, Mailand und Ravenna, Präsenz und Repräsentation des Bischofs in der spätantiken Stadt Im Rahmen des Dissertationsprojekts soll das Verhältnis des Bischofs zur kai- serlichen Zentralgewalt als Vertreter der aristokratischen Oberschicht und sein Verhältnis zur jeweiligen Gemeinde vom 4. bis 6. Jh. n. Chr. untersucht werden. Ein Fokus liegt hierbei auf dem Verhältnis des Bischofs zum Kaiserhof einer- seits und zur lokalen Oberschicht andererseits. Es soll geklärt werden, worin sich der Bischof in seinem Repräsentationsverhalten von dem dieser Gruppen absetzte oder ihm entsprach, bzw. inwieweit die soziale Herkunft für die hohe Kirchenlaufbahn eine prägende Voraussetzung war oder nicht. Gestützt auf archäologische, kunsthistorische, literarische und epigraphische Quellen werden folgende Einzelaspekte und Mechanismen der bischöflichen Selbstdarstellung untersucht: Bauprojekte, Stiftung von liturgischem Gerät und

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Kircheninventar, bildliche Repräsentation des Bischofs besonders im Kirchen- raum, performative Repräsentation (Liturgie, Prozession), Bischofsbestattungen, Umgang mit Heiligen (Märtyrerverehrung). In diesem Jahr wurden, neben der fortlaufenden Literaturrecherche zum Gesamtphänomen, intensive Studien zur Rolle des Bischofs im spätantiken Mailand durchgeführt. Projektbearbeiter: M. Löx.

Römische Steinsarkophage im Kontext, Stadtrom und Umgebung Im Rahmen des Promotionsvorhabens werden Aufstellungs- und Nutzungs- kontexte römischer Steinsarkophage (Abb. 44) in Rom und Umgebung von der Republik (5./4. Jh. v. Chr. – 31 v. Chr.) bis in die Kaiserzeit (31 v. Chr. – 3. Jh. n. Chr.) untersucht. In diesem Jahr lag das Hauptaugenmerk auf dem an den kaiserzeitlichen Sarkophagen betriebenen Grabkult. Die Beisetzungs- zeremonie lässt sich an dem Mädchengrab von Vallerano im Süden Roms an- satzweise nachvollziehen. Anhand von Funden aus der fossa, dem Bodengrab, in dem der Marmorsarkophag mit den sterblichen Überresten des Mädchens stand, ist erkennbar, dass Rauchopfer durchgeführt, Trankspenden vorgenom- men und Lichter entzündet wurden. Ein fester Bestandteil des Totenrituals waren Gedächtnismähler, von denen das erste im Anschluss an die Beisetzung stattfand. Weitere gehörten zu den jährlich wiederkehrenden Totenfesten, den parentalia im Februar, dem Rosenfest im Sommer, dem Veilchenfest im März und den individuellen Gedenktagen wie dem Geburtstag des Verstorbenen. In einigen Gräbern mit Sarkophagen waren ab der Mitte des 2. Jhs. n. Chr. für die rituellen Mähler Öfen, Brunnen und Bänke für die Teilnehmer fest instal- liert. Auch Gräber des 3. Jhs. n. Chr. konnten noch mit solchen Vorrichtungen ausgestattet werden. Sie zeigen ebenso wie benutztes Kochgeschirr des 3. Jhs. n. Chr. in zahlreichen Grabanlagen, dass auch in dieser Zeit noch Totenkult stattfand. Da aber im 3. Jh. n. Chr. kaum noch neue Grabbauten errichtet wurden und viele Grabkammern deshalb mit immer mehr Bestattungen auf- gefüllt wurden, war in vielen Grabanlagen am Ende des 3. Jhs. kaum noch Platz, um rituelle Handlungen durchzuführen. Auffällig ist auch, dass sich an

Abb. 44 Römische Steinsarkophage im Kontext, Rom. Antiquarium Comunale Inv. 459. Trauernde Eltern am Totenbett der Tochter, Sarkophag der Crepereia Tryphaena aus Rom, Prati di Castello (2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.)

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den kaiserzeitlichen Steinsarkophagen keine Libationsvorrichtungen finden, d. h. Röhren oder Öffnungen, durch die Trank- oder Speisespenden direkt auf die sterblichen Überreste geleitet werden konnten, obwohl diese bei anderen gleichzeitigen Körperbestattungen, z. B. an Tonsärgen oder an mit Ziegeln ab- gedeckten Grabgruben, häufig begegnen. Der Kult hatte sich daher wohl zu einem Großteil an einen anderen Ort verlagert, vielleicht in gemeinschaftlich genutzte Gelageräume, sog. Triklinien, und nur einzelne Elemente, wie das Vorbeibringen eines Anteils der Speisen für die Toten, fanden noch am Grab selbst statt. Im kommenden Jahr soll das Projekt abgeschlossen werden. Projektbearbeiterin: K. Meinecke • Abbildungsnachweis: D-DAI-Rom- 1983.1707, H. Schwanke (Abb. 44).

Ländliche Siedlungen der Kaiserzeit in Italien Auf der Halbinsel Italien ist ab augusteischer Zeit (letztes Drittel 1. Jh. v. Chr.) eine Auflösung und zugleich eine Entstehung von Kleinsiedlungen festzustel- len. Von da an und bis an das Ende des 3. Jhs. n. Chr., teilweise auch noch in das 4. Jh. n. Chr., existierten in unterschiedlicher Dichte und Erscheinungsform all jene kleinen Siedlungsformen, die weder über eine städtische Selbstverwal- tung verfügten noch das normative urbane Ausstattungsarsenal aufwiesen. Gra- bungen liegen dazu kaum vor, dafür aber viele Berichte und Notizen unter- schiedlicher Qualität, die zur Erforschung dieser Siedlungsform in Italien mit Erfolg herangezogen werden können und bislang etwa 200 Orte mehr oder weniger erkennbar werden lassen. In einer Übersicht über eine solche ›Land- karte‹ Italiens lassen sich regionale Besonderheiten und Phänomene der kai- serzeitlichen Siedlungskultur unterscheiden, wie etwa die Knotenpunkte des ländlichen Marktes, die Ansiedlungen an Heiligtümern und Heilbädern, die historisierenden Villeggiaturen entlang der Küsten, lokale Identität bewah- rende Dörfer in den Bergen des Apennin und die kleinräumigen Vernetzun- gen im nördlichen Kampanien. Im Zuge einer Darstellung dieser Vielfalt wur- de im November ein Symposium über »Kleine Orte. Forschungsansätze zum römischen Siedlungswesen« veranstaltet, auf dem der Aspekt der »Repräsen- tation auf dem Land« vorgeführt und die bemerkenswert starke Präsenz von Ehreninschriften erklärt wurde (s. auch S. 102). Projektbearbeiter: R. Neudecker.

Amelia, Sonderformen römischer Aschenkisten Angeregt durch Detailbeobachtungen im Museum von Amelia in Umbrien entstand ein Beitrag zu den bisher nur in diesem Ort nachgewiesenen früh- kaiserzeitlichen Travertinurnen (Abb. 45). Neben einfachen dekorlosen Kisten, wie sie überregional bezeugt sind, ist eine Gruppe von Stücken bekannt, die

Abb. 45 Amelia, Sonderformen römischer Aschenkisten. Museo Comunale, Fragment eines Aschenkastens

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den Typus der etruskischen Hausurne aufnimmt, aber aus dem reichen figürli- chen spätetruskischen Repertoire allein die Gestalt des Triton auswählt. Am um- fangreichsten und unter interpretatorischem Aspekt am interessantesten sind diejenigen Urnenkisten, die in verkleinertem Maßstab charakteristische Ele- mente von Grabbauten, wohl auch solche der lokalen Oberschicht, aufnehmen. Einzelelemente wie Kapitelle, Pilaster, Bogenmotive werden exzerpiert und en miniature neu zusammengestellt. Auffällig und bisher noch nicht eindeutig ge- klärt ist die Tatsache, dass hier Darstellungen von Militaria oder Elementen des mundus muliebris, wie sie z. B. im Nebental auf den ›Cippi Carsulani‹ gang und gäbe sind, nicht auftreten. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Vielfalt der Lösungen, die die Werkstätten beispielsweise für die Gestaltung von Kapitellen fanden, und die Art der Steinbearbeitung, die es erlaubt, im überlokalen, regi- onalen Kontext diesen Aschenurnen ihren Platz zuzuweisen. Kooperationspartner: Soprintendenza per i Beni Archeologici dell’Um- bria • Projektbearbeiterin: S. Diebner • Abbildungsnachweis: D-DAI-Rom 2008.3080, H. Behrens (Abb. 45).

Die etruskische ›ceramica sovraddipinta‹ des 4. Jhs. v. Chr. Das Promotionsvorhaben behandelt die ›ceramica sovraddipinta‹, eine etrus- kische Keramikgattung klassischer und hellenistischer Zeitstellung (5.–3. Jh. v. Chr.). Dieses von der Forschung bisher weitgehend vernachlässigte Material zeichnet sich gegenüber anderen Gruppen von Tongefäßen durch eine eigene Technik der Bemalung aus: Die bereits getrockneten Vasen wurden in einem ersten Schritt vollständig mit einem dünnen Tonschlicker überzogen (Abb. 46). Nach erneutem Trocknen wurde mit einer oder mehreren tonbasierten Far- ben die eigentliche Bemalung aufgetragen. Diesem Bild konnten durch Ein- ritzungen weitere Details eingezeichnet werden. Der anschließende Dreipha- senbrand ließ die Bemalung hell (in verschiedenen Farbtönen von rot, gelb oder weiß) vor einem schwarzen Grund erscheinen. Während die im 5. Jh. v. Chr. in dieser Technik produzierten Gefäße auf- wendige Formen und oft narrative Bilder aufwiesen (z. B. Vasen der Praxias- Gruppe), wurden sie im Verlauf der 1. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. immer schlich- ter. Gleichzeitig kam es zu einem deutlichen Anstieg der Vasenproduktion. Ab der 2. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. können die Vasen in sovraddipinta-Technik als standardisiert bezeichnet werden (Sokra-Gruppe, Phantom-Gruppe). So wurden nur noch wenige unterschiedliche Vasenformen hergestellt und als figürliche Darstellungen dienten in der Sokra-Gruppe häufig z. B. noch Ath- leten mit Strigiles, seltener Frauen mit Gefäßen in den Händen. Auf Vasen der Phantom-Gruppe sind Menschen ausschließlich als Mantelfiguren ohne Attribute, oftmals auch ohne innere Details wiedergegeben. Sogar die Anga- be der Physiognomie, also z. B. der Augen, konnte unterbleiben. Im Rahmen des Projekts wird dieser Entwicklung besondere Aufmerk- samkeit gewidmet. Welche Faktoren führten zu der genannten Standardisie- rung? Wie wirkte sich diese auf die Organisation der Töpferwerkstätten aus? Änderte sich mit ihrem Äußeren auch der Verwendungszweck der Gefäße? Wie stellt sich das Verhältnis dieser Vasengattung zu anderen zeitgleichen, z. B. der faliskisch-rotfigurigen Produktion, dar? Um diese Fragen zu beantworten, werden gezielt ausgewählte Fundkontexte (beispielsweise die Nekropole von Aleria, Korsika) untersucht. Weiterhin werden mit Methoden der Technolo- gieforschung die hinter den heute sichtbaren Veränderungen stehenden Neu- Abb. 46 Die etruskische sog. ceramica erungen im Produktionsablauf herausgearbeitet. sovraddipinta des 4. Jhs. v. Chr. Rom, Musei Capitolini. Oinochoe des Typus VII Projektbearbeiterin: S. Patzke • Abbildungsnachweis: D-DAI-Rom- der Phantom-Gruppe 1972.0670, H. Singer (Abb. 46).

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Totenbrauchtum italischer Kulturen Süditaliens und Siziliens Im Rahmen eines DAI-Auslandsstipendiums werden die indigenen Totenri- tuale Südostsiziliens unter den Einflüssen griechischer Kolonien analysiert. Ziel ist es, ein differenziertes Bild der Rolle des Fremden bei dem eisenzeitli- chen Kulturwandel zu gewinnen. Insbesondere anhand der Nekropolen von Morgantina und Monte Casasia konnten zahlreiche Veränderungen im Bestat- tungsritual festgestellt werden. Es handelt sich dabei überwiegend um Akkul- turationserscheinungen. Neben Grabbeigaben wurden auch sog. griechische Grabformen adaptiert. Mit ihrer Hilfe scheint man insbesondere ab dem 6. Jh. v. Chr. vermehrt Alters- und Statusunterschiede ausgedrückt zu haben. Mög- licherweise schlagen sich darin durch den Kulturkontakt ausgelöste oder ver- stärkte Tendenzen einer zunehmenden Stratifizierung der Gesellschaft nieder. Die vielfach vorgenommene ethnische Deutung der Grabbefunde erweist sich hingegen als problematisch, weil eindeutige ethnische Identitätsmarker nicht identifiziert werden können. Projektbearbeiterin: K. P. Hofmann.

Visualisierung des römischen Köln Die Arbeiten an dem großen Modell zur Visualisierung des römischen Köln (Abb. 47) wurden zu einem vorläufigen Abschluss gebracht. Es handelt sich damit zurzeit um eines der größten Modelle seiner Art, das man in Echtzeit durchqueren kann, bei dem es also keine vorgefertigten Sequenzen gibt. Auf diese Weise ist es möglich, verschiedene Blicke und optische Erlebnisse in der Stadt in verschiedener Form zu simulieren. Allerdings zeigt das Modell bei die- sem Stand der Technik auch die Grenzen eines solchen Unternehmens auf, das vorerst keine weiteren Spezifizierungen erlaubt, etwa den Gang in das Innere der Gebäude. Vielmehr stellt es so etwas wie die Grundlage dar, von der aus in weiteren Projekten verschiedene Anwendungsbereiche entwickelt werden müssen. Sie umfassen einerseits den didaktischen Bereich der Präsentation im Museum oder auch in der Verwendung mit Hilfe elektronischer Medien durch Touristen innerhalb der Stadt wie auch die wissenschaftlichen Aspekte, etwa wenn diverse Ebenen der Dokumentation in einem solchen Modell verknüpft werden können.

Abb. 47 Visualisierung des römischen Köln, virtuelles Modell des Altars der Ubier (Ara Ubiorum)

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Kooperationspartner: Römisch-Germanisches Museum Köln; Köln In- ternational School of Design, Dreidimensionale Gestaltung; Archäologisches Institut der Universität zu Köln • Förderung: RheinEnergie-Stiftung • Leitung des Projekts: M. Eichhorn (Fachhochschule Köln), H. von Hesberg • Abbildungsnachweis: H. Eichhorn (Abb. 47).

Ludwig Curtius, ein Archäologe als Schriftsteller Die Auswertung verschiedenster Archivalien zu Ludwig Curtius, der von 1928 bis 1937 Erster Sekretär des römischen Instituts und einer der wirkmächtigs- ten und vielfach offiziell geehrten Repräsentanten des deutschen Bildungs- und Großbürgertums der 1. Hälfte des 20. Jhs. war, ermöglicht es, einer bisher nur wenig bekannten Tätigkeit dieses facettenreichen Wissenschaftlers nach- zugehen (Abb. 48). Curtius hat neben seiner erfolgreichen wissenschaftlichen Karriere sein Leben lang auch andere Textsorten verfasst, die vom Essay über feuilletonistische Schriften bis zur Novelle reichen. Am bekanntesten ist seine im Jahre 1950 in erster Auflage unter dem Titel »Deutsche und antike Welt.

Abb. 48 Ludwig Curtius, ein Archäologe als Schriftsteller. L. Curtius und J. Knittel besichtigen die Ausgrabungen von Sabratha, 1940

Lebenserinnerungen« erschienene Schrift. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen wenig bekannte briefliche Äußerungen und Artikel, in denen Curtius sich explizit für eine Öffnung des Faches für ein größeres Publikum ausspricht und für dieses schreibt. Es wird Fragen nachgegangen, welche Überzeugung Curtius zu seinem ›Gang ins Publikum‹ veranlasst hat und auf welche Weise sich die Diktion seiner Fachbeiträge von derjenigen seiner ›populärwissen- schaftlichen‹ Schriften unterscheidet; ob seine Motivation, für ein allgemei- neres Publikum zu schreiben, über die Jahre hindurch die gleiche bleibt oder sich warum und wie ändert. Leitung des Projekts: S. Diebner • Mitarbeiter: H. Manderscheid • Ab- bildungsnachweis: D-DAI-Rom 1982.4263 (Abb. 48).

Antikenzitate und Eklektizismus bei Adolfo Coppedè Im Rahmen des Schwerpunkts »Antikenrezeption während des Faschismus« richtet sich diese Studie auf die Architektur sowie Ausstattung eines in der Nähe von Florenz gelegenen, 1928 eingeweihten Parteihauses des italieni- schen Faschismus. Es wird versucht, über eine allgemeine Ablehnung solcher Gebäude hinauszukommen und das Ensemble vor allem in seinen zeitge-

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schichtlichen Rahmen zu stellen. Der phantasievolle Florentiner Architekt A. Coppedè (1871–1951) hat hier in einer erstaunlichen Verdichtung archi- tektonischer und ausstatterischer Präsenz eine Anlage gestaltet, die den groß- teils auf antike Dekorelemente rekurrierenden Zeitgeschmack deutlich vor Augen führt. Die Fassade mit ihrer aus verschiedensten Zeitstufen und Asso- ziationsbereichen stammenden Dekoration wirkt wie eine Bühnenarchitek- tur. Diese wie andere Schmuckelemente, z. B. Leisten mit Eierstab, kannelier- te Pilaster mit korinthischen Kapitellen, von pompejanischen Trapezophoren inspirierte Balustradenteile, Löwengreifen und Terrakottaelemente und An- lehnungen an frühchristliche Motive, stammten aus dem Katalog der lokalen Ausstattungsfirma »Manifatture di Signa«. Diese Manufaktur war berühmt für die Nachahmung von Hauptwerken der Antike und aus der Zeit der Renais- sance. An der Antike orientierte Waffenreliefs an ursprünglich haushohen, von Pinienzapfen bekrönten Säulen von 2 m Durchmesser schmückten die Front- seite des Gebäudes. Im Inneren sind noch eine moderne Augustusbüste vom Typus Prima Porta (Abb. 49), eine Athenastatuette, die eine reduzierte Fassung des Typus der sog. Athena Velletri darstellt und ein Kelchkrater mit Mänaden erhalten, der den Krater in Rom, Museo Torlonia 421 nachahmt. Ein Relief- pfeiler ist die Kopie eines in den Vatikanischen Museen aufbewahrten, iulisch- claudisch datierten Stückes. Abb. 49 Antikenzitate und Eklektizismus Kooperationspartner: Comune di Lastra a Signa, Florenz; Deutsches Kunst- bei Adolfo Coppedè, Lastra a Signa, Casa historisches Institut Florenz • Projektbearbeiterin: S. Diebner • Abbildungs- del Fascio. Augustusbüste in dem 1928 eingeweihten Bau des Architekten nachweis: D-DAI-Romdig 2007.0346 (Abb. 49). A. Coppedè

Wissenschaftliche Veranstaltungen

Vorträge 22. April (Palilienadunanz) Stefano Vassallo (Palermo), Himera. Topografia generale e urbanistica di una colonia d’Occidentexxx11. Dezember (Winckel- mann-Adunanz) Iris Gerlach (Sana’a), Das Altsüdarabische Reich von Saba: Kunst und Kultur in Arabia Felix (Jemen).

Vortragsreihe »Incontri Amelung« 15. Februar Andreas Thomsen (Rom), Zentralisierungsprozesse und Sied- lungsgenese in Unteritalien – Feldforschungen 2007xxx29. Februar Katha- rina Meinecke (Rom), Kaiserzeitliche Steinsarkophage im Kontext. Rom und Umgebungxxx28. März Sylvia Diebner (Rom), Il Villino Amelung; Andrea Babbi (Rom), La piccola plastica antropomorfa dell’Italia meridionale nella prima età del ferroxxx11. April Salvatore De Vincenzo (Napoli), Architet- tura pubblica ed evergetismo in Sicilia occidentale in età tardo repubbli- cana; Martina Almonte (Rom), Cossyra-Pantelleria. Ricognizione topografica nell’area dell’insediamento antico. Problemi di metodologia e di interpretazi- onexxx9. Mai Heinz-Jürgen Beste (Rom) – Thomas Fröhlich (Rom), Werkstatt- bericht zu Grabung und Prospektion des DAI in Fabrateria Novaxxx23. Mai Cecilia De Faveri (Rom), Cersosimo (PZ). L’abitato lucano e le sue trasforma- zioni in età post-annibalicaxxx20. Juni Dieta Svoboda (Wien), Die Heiligtümer von Elea/Velia. Bemerkungen zur Kultpraxis im 4.–3. Jh. v. Chr. in der Magna Graeciaxxx4. Juli Hüseyin Murat Özgen (Istanbul), Roman Honorary and Tri- umphal Arches in Asia Minorxxx4. Juli Sebastian Sabasan (Rom), Res Gestae Divi Augusti – oder wie man erfolgreich mit der Zeit spielen kannxxx5. Septem- ber Markus Wolf (Rom), Neue Forschungen an der Agora von Soluntxxx19. Sep- tember Kristine Iara (Rom), Die Bauornamentik des Hippodroms im Kaiser-

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palast auf dem Palatinxxx17. Oktober Klaus S. Freyberger (Rom), Die Heilig- tümer in Kanatha und Seeia. Zeugnisse einer religiösen Sanktionierung der Ver- fügungsgewalt über das Wasserxxx31. Oktober Marlis Arnhold (Köln), Entste- hung und Transformationen von Platzanlagen um Heiligtümer des mittleren und südlichen Marsfeldesxxx14. November Annalisa Lo Monaco (Rom), Pae- saggi della scrittura. Iscrizioni del passato e spazi colettivi in Greciaxxx28. No- vember Dominik Maschek (Wien), Werkstattfragen. Produktionsmodelle für Bauornamentik im Mittelitalien des 2. und 1. Jhs. v. Chr.xxx12. Dezember Vincenzo Capozzoli (Rom), I sistemi di decorazione architettonica nell’area nord-lucana fra età tardo-arcaica e prima età ellenistica. Il caso di Torre di Satriano.

Kolloquien und Symposien 14. März Studientag »Römische Städte und Produktionsstätten in den West- provinzen« (in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Historischen Insti- tut Rom). – Es sprachen: Christof Flügel (München), Großbauten im Stadt- zentrum von Karthago. Grabungen des DAI Rom bis 1996; Heimo Dolenz (Klagenfurt), Die römische Bergstadt Virunum am Magdalensberg in Kärnten; Regula Wahl Clerici (Horgen), Die Goldbergwerke von Tres Minas (Portugal). 6./7. Juni Symposium »Kollektive Identitäten im Tod. Möglichkeiten und Grenzen der Analyse von Grabbefunden im vorrömischen Unteritalien und Sizilien« im Rahmen des von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Pro- jekts »Italische Kulturen des 7. bis 3. Jhs. v. Chr. in Süditalien und Sizilien«. – Es sprachen: Henner von Hesberg (Rom), Begrüßung; Richard Neudecker (Rom), Einleitung; Marijke Gnade (Amsterdam), Volsci fra Latini e Romani. L’identificazione etnica delle tombe del V sec. a. C. a Satricum; Kerstin P. Hof- mann (Rom), Zur Konstituierung kollektiver Identitäten im Totenritual. Eine thanatoarchäologische Untersuchung südostsizilischer Grabbefunde; Marias- sunta Cuozzo (Campobasso), Interpretare le necropoli oggi. Il caso di Ponte- cagnano (Salerno); Ulrich Veit (Tübingen), Kulturelle Identitäten und sozialer Wandel in eisenzeitlichen Gesellschaften. Anmerkungen zur Prunkgrabdebatte in der Ur- und Frühgeschichtsforschung; Ellen Thiermann (Rom), Nuovi dati dalla necropoli Fornaci di Capua. Riflessioni su una comunità del VI e V sec. a. C.; Sebastian Brather (Freiburg), Ethnische Interpretationen in der frühge- schichtlichen Archäologie; Alexander Thein (Dublin), Ethnicity and Identity in Central and Southern Italy. Approaches to the Question since Jonathan Hall; Nils Müller-Scheeßel (Frankfurt a. M.), Die räumliche Dimension von Identi- tät. Gruppen und Grenzen in der Hallstattzeit Mitteleuropas; Nadin Burkhardt (Frankfurt a. M.), Crocevia delle culture. Zu den Veränderungen innerhalb der Bestattungssitten in Süditalien vom 8. bis 5. Jh. v. Chr.; Christiane Nowak (Rom), Ethnische Interpretationen als Erklärungsmodell von Wandlungs- prozessen im Bestattungsritual. Zum Fall der griechischen Polis Poseidonia; Antonia Davidovic (Frankfurt a. M.), Ethnische Gruppenzugehörigkeit aus kulturanthropologischer Perspektive. 6./7. Oktober Symposium »Topologie des Sakralen. Kultstätten in Unter- italien und Sizilien vom 7.–3. Jh. v. Chr.«. – Es sprachen: Henner von Hes- berg (Rom), Begrüßung; Richard Neudecker (Rom), Einleitung; Giovanni Mastronuzzi (Lecce), Contesti culturali nella Messapia. Alcune osservazioni; Massimo Osanna (Potenza), Palazzi e santuari nell’entroterra della costa ionica in età arcaica. Braida di Vaglio e Torre Satriano, Timmari e Garagusa; Olivier de Cazanove (Dijon), Luoghi di culto intra muros della Lucania; Maurizio Gualtieri (Perugia) – Helena Fracchia (Perugia), La collocazione del sacro a Roccagloriosa tra IV e III sec. a. C; Tesse D. Stek (Amsterdam), Location and

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Function of Sanctuaries in Italic Societies. Modern Conceptions and a Case- study on the Samnite Sancuary of S. Giovanni in Galdo; Giovanna Greco (Na- poli), Gli spazi del sacro a Cuma tra Greci e Sanniti; Dieta Svoboda (Wien), Kult an den Grenzen der Stadt. Überlegungen zur Topographie von Heilig- tümern; Francesca Spatafora (Palermo), Santuari e luoghi sacri nei centri indigeni della Sicilia centro-occidentale. Topografia e architettura; Stefano Vassallo (Palermo), Luoghi di culto nel territorio imerese. La colonia, i centri indigeni; Marianne Kleibrink (Groningen), The Relation between Topology and Iconography of the Acropolis-Sanctuary on Top of the Timpone della Motta, Francavilla Marittima. 23. September Sektion beim »XVIIth International Congress of Classical Archaeology« in Rom zum Thema »Formen der Begegnung. Kolonisten und Indigene in der Magna Graecia und in Sizilien vom 7. bis zum 3. Jh. v. Chr.« (Organisation: Richard Neudecker [Rom]). – Es sprachen: Christiane Nowak (Rom), Italiker in griechischen Städten? Zur Bewertung abweichender Bestat- tungsbräuche in griechischen Kolonien in Unteritalien; Kerstin P. Hofmann (Rom), Das Totenbrauchtum Südostsiziliens unter den Einflüssen griechischer Kolonien; Marina Sclafani (Rom), Personalità divine minori del pantheon greco tra le comunità indigene della Sicilia occidentale; Martin Köder (Rom), Indigene Siedlungen in Kampanien vom 8. bis zum 5. Jh. v. Chr. Entwicklung und Wandel; Nadin Burkhardt (Frankfurt a. M.), Kontaktbedingte Verände- rungen in den Bestattungssitten der Indigenen und Griechen in Unteritalien und Sizilien (8.–5. Jh. v. Chr.); Andreas Thomsen (Rom), Indigene Zentrali- sierungsprozesse im 4. Jh. v. Chr. 21. November Studientag »Kleine Orte. Überlegungen zur regionalen Vielfalt römerzeitlicher Siedlungsformen« (in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Historischen Institut Rom). – Es sprachen: Patric Kreuz (Bochum), Formierungen öffentlichen Raumes in Kleinstädten Norditaliens; Jacopo Ortalli (Ferrara), I fora della octava regio tra pianificazione urbana e territoriale; Felix Teichner (Frankfurt a. M.), ›Kleine‹ römische Städte am Westrand der Alten Welt; Christian Gugl (Wien), Die canabae legionis von Carnuntum. Modell für eine römische Lagervorstadt?; Salvatore Ortisi (Köln), Zur Entwicklung der ›kleinen Orte‹ im südlichen Niedergermanien; Marion Brüggler (Xanten), Zentrale Orte in den germanischen Provinzen; Richard Neudecker (Rom), Repräsentation auf dem Land.

Vorlesungszyklus Henner von Hesberg hielt im Rahmen der von der University of Michigan in Ann Arbor (USA) und der American Academy in Rome veranstalteten Jerome Lecture Series eine mehrteilige Vorlesung zum Thema »New Forms of Civilization in the Northwestern Provinces of the Empire«.

Buchvorstellung 9. Mai Maria Fancelli (Florenz) – Carlo Gasparri (Neapel) – Adolf H. Bor- bein (Berlin) – Bernard Andreae (Rom), Johann Joachim Winckelmann »Die Geschichte der Kunst des Alterthums«. Allgemeiner Kommentar, hrsg. von A. H. Borbein, T. W. Haetgens, M. Kunze u. a. (Mainz 2008).

Öffentlichkeitsarbeit

Die Frühjahrsführungen des Instituts fanden vom 26. Januar bis 19. April statt. Die beiden Direktoren und die Wissenschaftler und Wissenschaftlerin-

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Abb. 50 Rom, Gebäude der Food and nen der Abteilung führten außerdem bei verschiedenen Anlässen, so etwa die Agriculture Organization. Präsentation der Teilnehmer der DAAD-Lektorentagung zum Thema »Das Forum Romanum Publikationen des DAI durch die Abteilung als Schauplatz von Verbrechen in der Antike, um die Antiken und von Anti- Rom kenforschern«. Abb. 51 Ostia, Theater. Die Teilnehmen- Die Abteilung präsentierte die Publikationsreihen und Zeitschriften der den des Ostiakurses mit Referenten der verschiedenen Abteilungen des DAI auf dem AIAC Congress vom 22. bis Abteilung Rom 26. September in Rom (Abb. 50). Der traditionelle Fortbildungskurs für Gymnasiallehrer fand in diesem Jahr vom 13. bis 18. Oktober in Ostia und Rom statt (Abb. 51). Es beteiligten sich die Direktoren der Abteilung, alle wissenschaftlichen Referenten und Referentinnen und eine wissenschaftliche Hilfskraft. Der Italienkurs für Studierende und Absolventen der verschiedenen ar- chäologischen Fachdisziplinen und der Alten Geschichte wurde unter Leitung von Henner von Hesberg, Alessandro Naso und Marietta Horster vom 27. Sep- tember bis 5. Oktober im Picenum durchgeführt. Der Kurs dient zum Aus- bau einer umfangreichen und fundierten Denkmälerkenntnis und fördert den wissenschaftlichen Austausch. In diesem Jahr standen zwei Themen im Vor- dergrund: zum einen die voraugusteische Zeit, d. h. die Kultur der Picener mit den verschiedenen Kultureinflüssen von Seiten der Griechen, Kelten und Etrusker, zum anderen die Romanisierung mit ihren neuen Stadtbildern in der frühen Kaiserzeit. Abbildungsnachweis: P. von Rummel (Abb. 50); M. Steinmann (Abb. 51).

Veröffentlichungen

Römische Mitteilungen 113, 2007 Palilia 18: D. Mertens (Hrsg.), Stadtverkehr in der antiken Welt. Internationales Kolloquium zur 175-Jahrfeier des Deutschen Archäologischen Instituts Rom

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Abteilung Athen

Abteilung Athen Direktoren Prof. Dr. Dr. h. c. Wolf-Dietrich Niemeier, Erster Direktor Fidiou 1 PD Dr. Reinhard Senff, Wissenschaftlicher Direktor GR-10678 Athen Tel.: +30-210-330 74 00 Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Fax: +30-210-381 47 62 Dr. Joachim Heiden, Dr. Ivonne Kaiser, Dr. Konstantinos Kopanias (ab 1. 8.), E-Mail: [email protected] Dr. Astrid Lindenlauf (bis 31. 7.), Dr. Jutta Stroszeck

Auslandsstipendiaten und Auslandsstipendiatin Dr.-Ing. Nils Hellner, Dr. Constance von Rüden, Dr. Reinhard Jung

Wissenschaftliche Hilfskräfte Susanne Bocher M. A. (bis 31. 8.), Dr. Dimitris Grigoropoulos (ab 17. 3.), Jan-Marc Henke M. A., Dr. Stefanie Luchtenberg, Jana Mätzschker M. A. (ab 1. 12.), Oliver Pilz M. A. (bis 30. 10.), Laura Rizzotto M. A., Ulrich Thaler M. A.

Abteilung Athen

Ausgrabungen und Forschungen

Athen, Kerameikos Im Kerameikos wurden die Nachuntersuchungen an den Lakedaimoniergrä- bern der 403 v. Chr. gefallenen spartanischen Krieger fortgeführt. Ziele bildeten die Vervollständigung der Dokumentation des architektonischen Baubestandes einschließlich der Fundamente sowie die Kontrolle der Schichtbefunde. Auf- grund der vorhergehenden Analyse der vorhandenen Grabungsunterlagen der Arbeiten seit 1914 schien es möglich, durch Nachgrabungen weitere Informa- tionen über den Vorgang der Bestattung und der nachfolgenden Errichtung des Grabbaus zu gewinnen. Ganz unten in der Füllung wurden in der Tat aufschlussreiche, noch unbe- rührte Schichten angetroffen. Die Fragmente aus diesen Schichten, vor allem schwarz gefirnisste Trinkgefäße (Schalen, Kantharoi, Skyphoi etc.), ließen sich zum Teil Altfunden anpassen, die bei den früheren Ausgrabungen an den Lake- daimoniergräbern seit 1914 geborgen worden sind. So kam auch das Fragment eines rotfigurigen Kraters zu Tage, das an die altbekannte Scherbe mit einem Dioskurenkopf Inv. 2195 anpasst (Abb. 1) und zu dem auch die im vergange- nen Jahr gefundene Scherbe Inv. 113 67.1 mit dem Kopf der Athena gehört (s. AA 2008/1 Beiheft, 99 Abb. 2). Auf dem Fragment sind nicht nur die Spit- zen der beiden Lanzen erhalten, die der Jüngling hält, auf dem Firnisgrund ist auch der Rest einer Beischrift erhalten, die wohl ΗΡΩΣ zu lesen ist. Die Dokumentation und Analyse der verbliebenen Schichten unter dem Grabbau erbrachten auch ganz neue Erkenntnisse für die Abläufe der Bestattung selbst und die Kennzeichnung der ersten Gräber: Die Leichen der Gefallenen Abb. 1 Athen, Kerameikos. Lakedaimonier- wurden – nach Rang getrennt – in Gruben gebettet, diese Trennung zwischen grab Inv. 2195. Scherbe eines rotfigurigen den ranghöheren und -niederen Gefallenen erfolgte bereits bei der Bestattung Glockenkraters mit Darstellung eines der durch eine einfache Steinsetzung zwischen den Grabgruben, deren Funktion im Dioskuren (gefunden 1930) mit anpassen- später angelegten Grabbau dann von der Zwischenmauer übernommen wurde. dem Neufund (M. 1 : 2) Während die Grabgrube der rangniedrigeren Gefallenen 1–6 horizontal mit einer festen Lehmschicht abgedeckt und darüber ein Lehmziegelbau errichtet wurde, erfolgten über den Gefallenen 7–9 die Aufschüttung der Grabgrube, dann ein Brandopfer an deren Rand sowie schließlich die Aufschüttung eines Tumulus, der mit einer grün-grauen Kalkmergelschicht abgedeckt war. Die oberen Schichten von Lehmziegelbau und Tumulus wurden anschließend für den Bau des bekannten steinernen Grabbaus eingeebnet. Bei dieser Gelegen- heit wurde die Keramik von dem Opfer am Grab, die im Lehmziegelbau so- wie in der Aufschüttung des Tumulus niedergelegt worden war, weiter zerstört und verstreut. Teile davon gelangten wiederum in die Füllung des Grabbaus. In einer letzten Phase wurde der steinerne Quaderbau angelegt. Kooperationspartner: 3. Ephorie des griechischen Antikendienstes, Athen • Leitung des Projekts: W.-D. Niemeier; Leitung der Untersuchungen an den Lakedaimoniergräbern: J. Stroszeck • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: J.-M. Henke, V. Scheunert, B. Sommer, C. Graml, J. Papagrigoriou (Restau- rierung), P. Gjumes, E. Foto, G. und P. Antonopoulos • Abbildungsnachweis: J. Stroszeck (Abb. 1).

Kalapodi (Abai) Das Heiligtum bei dem heutigen Dorf Kalapodi Phthiotidas, das als das Ora- kelheiligtum des Apollon der Polis Abai in der antiken östlichen Phokis zu

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Abb. 2 Kalapodi, Südtempel von Südwesten nach Abschluss der Kampagne 2008

identifizieren ist, war nach den Quellen (Herodot 1, 46; 8, 27; 8, 33; Sophokles, Oidipous Tyrannos 897–901) eines der wichtigsten Heiligtümer Griechen- lands. In bisher einzigartiger Weise für das griechischen Festland lassen sich hier im Rahmen des Forschungsclusters 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung« des DAI die Genese des Heiligtums in der mykenischen Epoche und seine ununterbrochene Kultkontinuität bis in die römische Kaiserzeit untersuchen. Mit der Abfolge von Tempelbauten, den Zeugnissen für Tieropfer und ri- tuelle Mahlzeiten sowie den in situ angetroffenen Votivniederlegungen bei den rituellen Bestattungen von Kultbauten liefern die Grabungen in Kala- podi außerdem wichtige Befunde für die verschiedenen Fragestellungen im Forschungscluster 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Ver- änderung« des DAI. Im Süden, auf den sich die neuen Grabungen seit 2004 konzentrieren, konnten bislang drei übereinander errichtete Tempel unter- sucht werden (Abb. 2). Der oberste ist der hocharchaische, im mittleren 6. Jh. v. Chr. erbaute und 480 v. Chr. auf dem Vormarsch der Perser gegen Athen nach dem Durchbruch bei den Thermopylen niedergebrannte Tempel. Da- nach wurde – im Gegensatz zum Norden – kein neuer klassischer Tempel errichtet. Die Cella baute man in einen offenen Hof hinein, in dem aus Spo- lien ein kleiner offener Bau wohl für Kulthandlungen errichtet wurde (Abb. 2, Mitte). Darunter folgen – mit abweichender Orientierung – ein spätgeo- metrischer bis früharchaischer Apsidentempel, der im späten 8. Jh. v. Chr. erbaut und um 580 v. Chr. durch ein Erdbeben zerstört wurde, und ein bis- her nur teilweise ergrabener Tempel des 8. Jhs. v. Chr., der ca. 740/730 v. Chr. für die Errichtung des größeren Nachfolgebaus rituell bestattet wurde. Vor dem Westpteron des hocharchaischen Südtempels wurde 2008 dessen über der westlichen Zugangsrampe in Sturzlage angetroffener Westgiebel aus Kalkstein freigelegt (Abb. 2, Vordergrund). Ob – und wenn ja, wie – der Gie- bel verziert war (Malerei, Relief, Skulptur), wird sich erst nach der schwie- rigen Bergung der stark verbrannten Blöcke zeigen. In Sturzlage fanden sich außerdem Fragmente aus Terrakotta der Sima und des Mittelakroters in Ge- stalt einer Pferdeprotome. Aus baugeschichtlicher Sicht ist die Kombination von Holz- und Steinarchitektur bei diesem Tempel von besonderem Interes- se: Der steinerne Giebel ruhte auf Säulen sowie einem Gebälk aus Holz (Abb. 3).

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Abb. 3 Kalapodi, Rekonstruktion der Westfassade des hocharchaischen Süd- tempels (N. Hellner)

In dem im vergangenen Jahr entdeckten und seither in seinem Ostteil frei- gelegten geometrischen Tempel kamen weitere bei der rituellen Bestattung des Baus niedergelegte Metallvotive zu Tage, eiserne Lanzenspitzen und Messer, bronzene Halsketten, Ringe und Vogelanhänger. Von besonderem Interesse ist eine Bronzeschale mit der getriebenen Reliefdarstellung eines Reigens fron- tal wiedergegebener, sich an den Händen berührender Männer (Abb. 4). Es handelt sich um einen Import aus dem Vorderen Orient, dem nordsyrisch- späthethitischen Bereich, ein Indiz dafür, dass die durch Herodot (Herodot 1, 46) für das 6. Jh. v. Chr. belegte internationale Bedeutung des Heiligtums möglicherweise bis in das 8. Jh. v. Chr. zurückreichte. Im Nordosten wurde die Ausgrabung der dortigen mykenischen Schich- ten abgeschlossen. Dabei kamen weitere wichtige Funde zu Tage, vor allem Fragmente von mit dem Verzehr von Wein verbundenen Gefäßen: von Tassen, Kylikes und prachtvoll figürlich verzierten Krateren der Phase SH IIIC Mitte Kalapodi, Funde aus dem Bereich des (ca. 1140–1090 v. Chr.), unter letzteren die eines Kraters mit der bisher ein- Südtempels zigartigen Darstellung des Transportes von Vorräten über eine Leiter in ein Abb. 4 Zentraler Bereich, nordsyrisch- Gebäude (Abb. 5). Solche Prunkgefäße sprechen dafür, dass sich im Heilig- späthethitische Schale aus der geometri- tum in der Zeit nach dem Untergang der mykenischen Residenzen die neu schen Phase des Tempels aufsteigende, miteinander konkurrierende Aristokratie der Region zu Opfer und Festmahlen traf. Abb. 5 Nordöstlicher Bereich, Fragmente eines figürlich bemalten Kraters der Phase Nachdem jetzt endgültig die Genehmigung erlangt werden konnte, den SH IIIC Mitte im Anschluss an die Perserzerstörung in der Cella des zerstörten archaischen

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Südtempels errichteten offenen Einbau aus Spolienblöcken zu entfernen, ist es nun möglich, in den kommenden Jahren im Rahmen von Forschungscluster 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung« des DAI hier, im ursprünglichen Zentrum des Heiligtums, die älteren, geometrischen bis mykenischen Phasen des Heiligtums und damit seine Genese zu untersu- chen. Kooperationspartner: 14. Ephorie des griechischen Antikendienstes, Lamia • Förderung: Gerda Henkel Stiftung • Leitung des Projekts: W.-D. Niemeier • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: H. Birk, A. Felsch-Klotz, R. Felsch, N. Hellner, J.-M. Henke, Th. Hintermann, I. Kaiser, K. Kopanias, G. Pase- wald, L. C. Rizzotto, V. Sossau, S. Strack, Ch. Vaporakis • Abbildungsnach- weis: W.-D. Niemeier (Abb. 2. 4. 5); Rekonstruktion, N. Hellner (Abb. 3).

Kleonai Abb. 6 Kleonai, Ansicht der Stadthügel Die antike Stadt (Abb. 6) liegt etwa 25 km südlich von Korinth auf der Pelo- von Südosten. Im Zentrum der Akropolis- ponnes, sie richtete bis in das späte 4. Jh. v. Chr. die panhellenischen Spiele von hügel, rechts von ihm die ›Untere Akro- polis‹ und im Hintergrund (links) der Nemea aus. Das Interesse an einer besseren Kenntnis der Urbanistik, Stadt- Apesas mit dem Heiligtum des Zeus geschichte und ihrer politischen Organisationsform ist aus diesem Grund Apesantios. Das Bild zeigt Ausschnitte hoch. Außerdem steht Kleonai stellvertretend für das ›Dritte Griechenland‹ des untersuchten Areals (H.-J. Gehrke), also die Kleinstädte jenseits von Athen, Sparta oder Korinth, über deren von Traditionen unbelastete Architektur bisher nur wenig bekannt ist. Gerade in Kleonai konnten in den vergangenen Jahren immer wieder be- sondere Bauten von der archaischen Zeit bis in die Spätantike gefunden wer- den. Da zudem sowohl das antike Stadtareal als auch die weitere Umgebung der Stadt nicht überbaut worden sind, eignet es sich für die archäologische Forschung besonders gut. In diesem Jahr wurde ein Pilotprojekt zur Schnellinventarisation von Be- funden im näheren Umland der Stadt durchgeführt. Hierbei wurden Gelände- begehungen, die gezielte Dokumentation von bekannten Befunden und eine Analyse der Ortsakten der Ephorie miteinander kombiniert. Die Möglichkeit zu dieser Form der engen Zusammenarbeit stellt einen besonderen Vertrau- ensbeweis seitens der Ephorie dar. Mit dem Projekt wurden mehrere Ziele verfolgt: Zum einen sollte ein erster und möglichst breiter Überblick über die Befunde im Umland von Kleonai gewonnen werden, der es der Ephorie zu- künftig gestatten soll, den Schutz von Bodendenkmälern noch besser zu koor- dinieren. Zum anderen sollte so ein wissenschaftlich tragfähiger Einblick in die Besiedlungsstruktur gewonnen werden. Erfreulicherweise war das Pilotpro- jekt so erfolgreich, dass seitens des DAI und der Ephorie eine Fortsetzung der

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Forschungen geplant ist. Als Ergebnis kann unter anderem die Identifizie rung einer Wegetrasse südlich der Stadt hervorgehoben werden, die von Grabbau- ten flankiert wurde (Abb. 7). Außerdem konnten mehrere extramurale Heilig- tümer lokalisiert werden. Hierzu zählt wohl auch das Gebiet des südlich der Stadt gelegenen Khans Kourtesa: Es wurden mehrer Bauglieder einer monu- mentalen dorischen Architektur, u. a. ein Geisonblock (Abb. 8), gefunden. Im Zusammenhang mit bereits bekannten Grabfunden aus der unmittelbaren Umgebung werden so Hinweise auf eine lokale Siedlungsverdichtung gege- ben. Durch die Inventarisation gelang es auch, den extramuralen Herakles- tempel, der bereits in den Jahren 2000 bis 2001 untersucht wurde, besser in sein Umfeld einzuordnen. Auch im Stadtgebiet gingen die Forschungen weiter. Die Lage der antiken Agora von Kleonai kann mit großer Zuverlässigkeit eingegrenzt werden: In einer ebenen, zur Bebauung geeigneten Senke südlich der beiden Stadthügel 7 wurden in den letzten Jahren während der Bestellung von Feldern zahlreiche Quaderblöcke und Bauglieder gefunden, die auf eine monumentale Bebauung hinweisen. Hinzu kamen Blöcke mehrerer Exedren mit Inschriften (Abb. 9), die sich heute im Museum von Nemea befinden. Nachdem das Areal über mehrere Jahre hinweg immer wieder begangen worden war, konnten 2007 ei- ne Vermessung durchgeführt und die oberflächig sichtbaren Strukturen so- wie Einzelfunde von Baugliedern zur besseren Übersicht der Gesamtsituation kartiert werden. Hierdurch zeigte sich eine klare und auffällige Verteilung von Baubefunden und Baugliedern. Es zeichnete sich ein von Bebauung freies Areal ab, das von einer dichteren und wohl auch monumentaleren Bebauung 8

Kleonai

Abb. 7 Seitenansicht eines Bekrönungs- blocks eines Grabbaus (?) mit Stelenbet- tung auf seiner Oberseite

Abb. 8 Khan Kourtesa. Dorischer Geison- block einer größeren Architektur

Abb. 9 Exedrablöcke von der Agora. Die Blöcke stammen von mindestens drei freistehenden Exedren, die zum Teil mit Inschriften versehen und mit Statuen geschmückt waren 9

umgeben war. Die besondere urbanistische Lage des Areals wird auch dadurch deutlich, dass in dem südlichen, hier allerdings nur unscharf zu fassenden Stadt- mauerverlauf mit guten Gründen ein Tor vermutet werden kann. Grabungen zur Klärung der Randbebauung der Agora werden derzeit vorbereitet. Eine dritte, sehr Erfolg versprechende Forschungsperspektive ist die Un- tersuchung der bronzezeitlichen Stadtphasen, in denen Kleonai bereits einen zentralörtlichen Charakter gehabt haben dürfte und auch Zygouries dominiert haben wird. Kooperationspartner: Philipps-Universität Marburg (Projektträger) • 37. Ephorie des griechischen Antikendienstes, Korinth • Förderung: Gerda Henkel Stiftung • Leitung des Projekts: T. Mattern • Abbildungsnachweis: T. Mattern (Abb. 6–9).

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Olympia In diesem Jahr fanden Ausgrabungen im Zeusheiligtum – in der Antike der Austragungsort der olympischen Spiele –, am Turm der spätantiken Befesti- gungsmauer östlich des Leonidaion und im Areal südlich des Stadions statt. Ferner wurde das Gelände südlich und östlich des Stadions, dort wo nach der Beschreibung von Pausanias das antike Hippodrom gelegen hat, mit geophy- sikalischen Methoden prospektiert. Um die strittige Datierung der spätantiken Festung im Zentrum des Zeus- heiligtums zu klären, fand eine Untersuchung des noch nicht vollständig ausgegrabenen Turmes östlich des Leonidaion statt. An der offenen Seite zur Festungsmauer hin wurde das Profil in der Füllung des Fundaments um ca. 1 m nach Westen zurückverlegt (Abb. 10). Das Material, überwiegend grober Schutt mit vielen Dachziegeln und nur wenigen Keramik- und Glasresten erlaubte keine genaue zeitliche Eingrenzung. Lediglich eine Münze aus der Zeit des Maximinus Thrax (235–238 n. Chr., Abb. 11 a. b) gibt erstmalig ei- nen sicheren terminus post quem für die Errichtung des Bauwerks.

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Die Ausgrabung südlich des Stadions hatte das Ziel, festzustellen, wie weit Olympia sich die Mauern und ungestörten antiken Schichten des sog. Südostkomplexes nach Osten fortsetzen und wo dort das mittelalterliche Bett des Alpheios be- Abb. 10 Turm der spätantiken Befestigung (von Osten) ginnt. In einer Sondage, 3 m östlich des Baukomplexes, waren keinerlei Mauern Abb. 11 a. b Münze des Maximinus Thrax und nur wenige antike Bodenreste zu finden. Offenbar hat sie der Fluss in (235–238 n. Chr.) nachantiker Zeit zum großen Teil abgeschwemmt. In einer weiteren, 25 m nördlich angelegten Sondage begannen intakte antike Schichten dagegen bereits 0,10 m unterhalb des Niveaus, bis zu dem der Flusssand zuvor maschinell abgetragen worden war. In der Nordwestecke wurde ein mit kompakter, lehmiger Erde gefüllter Graben angeschnitten, mit dem W. Dörpfeld nach der von Pausanias südlich des Stadions erwähnten Stoa des Agnaptos gesucht hatte. Dieser Graben reichte nur in die oberste antike Schicht aus der römischen Kaiserzeit und darunter setzten sich ältere Straten ungestört fort. In etwa 1,40 m Tiefe lag ein spätklassischer Horizont mit sehr

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Abb. 12 Olympia, geophysikalische viel Holzkohle und kleinen, kalzinierten Knochensplittern, bei denen es sich Prospektion 2008 südlich und östlich des nur um Reste von Tieropfern handeln kann, möglicherweise aus dem Umkreis Stadions. Neben vermutlich geologischen eines der von Pausanias erwähnten Altäre. Darunter kamen große Mengen Formationen zeichnen sich auffällig gerad- linige Strukturen ab zerbrochener Dachziegel, Keramik des 4. Jhs. v. Chr. und auch Reste von Bronzeblechen zum Vorschein. Die geophysikalische Prospektion südlich und östlich des Stadions mit Bo- denradar und Geomagnetik galt dem antiken Hippodrom, dessen ungefäh- re Lage Pausanias überliefert hat (Abb. 12). Seinem Bericht zufolge erstreckte sich die Rennbahn südlich des Stadionsüdwalls von dem komplizierten Ab- laufmechanismus und der nahe gelegenen Halle des Agnaptos nach Osten. In diesem Gelände wurde die Untersuchung auf insgesamt 37 kleineren Arealen mit einer Gesamtfläche von etwa 15 ha durchgeführt. Die hohe Zahl der Ein- zelflächen resultiert aus der heutigen extrem kleinteiligen Parzellierung des Geländes, das noch bei Beginn der Grabungen im Jahre 1875 größtenteils zu dem weitläufigen Flussbett des Alpheios gehörte. Aus diesem Grund hatte man bisher alle Reste des Hippodroms für zerstört gehalten, aber die Messun- gen haben hier mehrere auffällig geradlinige, lange unterirdische Anomalien in Ost-West-Richtung aufgezeigt, bei denen es sich um künstliche Struktu- ren handeln könnte, die dann zum antiken Hippodrom gehören müssen. Ge- wissheit über die Natur der Anomalien wird sich aber erst durch eine gezielte Untersuchung im kommenden Jahr erreichen lassen. Die Bauaufnahme des Zeustempels wurde fortgesetzt, ebenso die Arbeit an der digitalen Datenbank der Bronzefunde. Abgeschlossen ist die photographi-

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Abb. 13 Olympia, Steinlager südlich des Stadions

sche Dokumentation der mehr als 3500 Bauglieder südlich des Stadions (Abb. 13). Von einer umfangreichen Röntgenuntersuchung an über 100 ausgewähl- ten Bronzeobjekten im Museum und Magazin werden neue Ergebnisse zur antiken Herstellungstechnik erwartet. Kooperationspartner: 7. Ephorie des griechischen Antikendienstes, Olym- pia; Deutsches Sport & Olympia Museum, Köln • Förderung: Fritz Thyssen Stiftung; Leventis-Stiftung; Pestalozzi-Stiftung; HRH Prinzessin Haya Bint Al Hussein, Fédération Equestre Internationale; Institut für Sportwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz; GE Sensing & Inspection Tech- nologies Deutschland; Applus RTD Deutschland • Leitung des Projekts: R. Senff • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: W. Koenigs, A. Hennemeyer (Bauforschung), K. Herrmann (Restaurierungsprojekte), S. Bocher (Digitali- sierung der Bronzefunde), Giese, Grubert, Hübner GbR, Chr. Wacker, Stu- dierende der Sportwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (Geophysik), H. Born (Metalluntersuchung), A. Gutsfeld, D. Kirstein, S. Leh- mann, D. Mohr, A. Sieverling, Chr. Schuhmann (Ausgrabung) • Abbildungs- nachweis: Archiv der Olympiagrabung (Abb. 10; 11 a. b; 13); Giese, Grubert, Hübner GbR (Abb. 12).

Tiryns Ausgrabung: Mit einer dritten Ausgrabungskampagne wurde die Erforschung des westlichen Teils der Unterstadt (›Stadt-West‹) fortgesetzt, die darauf abzielt, Erkenntnisse zu den noch unzureichend erforschten Abschnitten der vormy- kenischen und frühmykenischen Zeit, der älteren mykenischen Palastzeit (SH IIIA [ca. 14. Jh. v. Chr.]) sowie der frühen Eisenzeit (ca. 1050–700 v. Chr.) zu gewinnen (Abb. 14–18). Wie im Vorjahr ließen sich die Grundzüge der Besiedlung in der vor- und frühmykenischen Zeit zwar noch nicht anhand von Befunden, jedoch von Funden, die in spätere Sedimente verlagert worden waren, beurteilen. Der Bestand an frühhelladischen Tonplomben des Vorjahres konnte durch mindes- tens ein weiteres Stück ergänzt werden. Ein außergewöhnliches Fundstück mittelbronzezeitlicher Zeitstellung ist ein aus Steatit bestehendes Stempel- Abb. 14 Tiryns, Stadt-West. Mittel- siegel (Petschaft), das in Form und Dekoration die besten Entsprechungen in bronzezeitliches Stempelsiegel aus kretischen Siegeln der Stufen Mittelminoisch II–III findet (Abb. 14). Steatit (M. 1 : 1)

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Tiryns, Stadt-West Die ältesten bisher nachgewiesenen Architekturreste datieren in Späthella- disch (SH IIIA2) und gehören zu einem Großgebäude (Abb. 15), das bislang Abb. 15 Außenmauer des Großgebäudes nur in Teilen freigelegt wurde und in seiner Bauweise an den 1969–1974 et- (SH IIIA2), rechts davon Mauerwinkel des darauffolgenden, als Töpferei gedeuteten was weiter südlich ausgegrabenen älter-palastzeitlichen Architekturkomplex Gebäudes (Späthelladisch IIIA2/IIIB1) erinnert. In Abfallschichten, die sich in der Freifläche außerhalb des Gebäudes akkumuliert haben, fand sich das ca. 3,70 cm hohe und durch Abrieb stark Abb. 16 Ausschnitt der nördlichen und verrundete Bruchstück einer Linear B-Tafel, von der nur ein kurzes Stück westlichen Begrenzung des früheisenzeit- lichen Gräberareals mit auf der Seite liegen- einer originalen Kante erhalten geblieben ist (Abb. 17). Es ist das bisher älteste dem Großgefäß und einem Plattenpflaster Beispiel der Verwendung einer Linear B-Tafel in Tiryns. Die nächste Bauphase wird vor allem durch den im Vorjahr angeschnitte- nen, als Töpferei interpretierten Raum repräsentiert, dessen weitere Unter- suchung zeigte, dass er nicht als überdachter Bereich, sondern als Hof eines südlich angrenzenden Hauses gedient hat. Älter als die Nutzungszeit der Hof- fläche dürfte eine mykenische Tonplombe mit undeutlichem Abdruck sein, da sie in dem Untergrund des Fußbodens zum Vorschein kam. Als Schluss- datierung dieser Bauphase kommt allenfalls eine geringfügige Überlappung mit dem Beginn von SH IIIB1 (frühestes 13. Jh. v. Chr.) in Frage. Der eindrucksvollste eisenzeitliche Befund ist ein Gräberareal der geome- trischen Zeit, das nach Norden durch eine wiederverwendete, vermutlich my- kenische Terrassenmauer und nach Westen durch eine Reihe aus drei großen Steinblöcken umgrenzt wurde. Eingetieft in die nördliche Begrenzungsmau- er des Areals fand sich eine auf der Seite liegende Amphore mit Deckgefäß (Abb. 16). Neben der Amphore waren eine unbemalte Kanne und ein muster- Abb. 17 Tiryns, Stadt-West. Verschiedene Ansichten des Fragments einer Linear bemalter Skyphos aufgestellt. Zugehörig zu dem Befund ist ferner ein aus zer- B-Tafel (M. 1 : 1) schlagenen Kalksteinplatten bestehendes Pflaster, das entlang der Innenseite

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der nördlichen Begrenzungsmauer verlief, aber vor der Öffnung des Gefäßes in einem Bogen nach Süden zog. Da die Amphore als Block geborgen wurde und die Untersuchung ihres Inhalts noch nicht abgeschlossen ist, kann derzeit nur vermutet werden, dass sich darin die Bestattung eines Säuglings befindet. Ein herausragender Streufund vermutlich der geometrischen Zeit ist eine aus Gold bestehende Schieberperle (L 0,85 cm), die aus vier zusammengelö- teten dünnen Röhren besteht und wohl ursprünglich den Bestandteil einer Grabausstattung gebildet hat (Abb. 18). Fresken: Im Rahmen des Forschungsclusters 3 »Politische Räume« des DAI wurde in Zusammenarbeit mit der 4. Ephorie das Projekt zur Restaurierung und wissenschaftlichen Erschließung der Fresken aus den Ausgrabungen, die der griechische Antikendienst 1999 und 2001 an der Westtreppe durchgeführt Abb. 18 Tiryns, Stadt-West. Früheisenzeit- hat, fortgesetzt. Die intensive Suche nach Anpassungen hat erhebliche Fort- liche goldene Schieberperle (M. 2 : 1) schritte bei der Rekonstruktion von Bildkompositionen erbracht, wodurch die Bandbreite des bisher aus Tiryns bekannten, dem Palast zuzuweisenden Freskenspektrums vor allem um solche Szenen erheblich erweitert werden konnte, die in einem religiösen Zusammenhang zu interpretieren sind. Kooperationspartner: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Projektträ- ger); 4. Ephorie des griechischen Antikendienstes (A. Papadimitriou); National- museum Athen (L. Papazoglou-Manioudaki: Fresken, Altfunde) • Förderung: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; Institute for Aegean Prehistory (Phila- delphia, Ausgrabung) • Leitung des Projekts: J. Maran • Mitarbeiter und Mit- arbeiterinnen: U. Thaler (Assistent und Mitarbeiter im Fresken-Projekt), K. Bra, A. Makris, G. Papadimitriou, M. Skouteri (Restaurierung: Fresken), M. Kos- toula (Fundzeichnung und -photographie), V. Hachtmann (Planumszeich- nung), E. Kardamaki, M. Müller, E. Pape, Chr. Regner, M. Riedl, S. Richter, M. Siennicka, I. Vahlhaus, S. Wirghova (Ausgrabung) • Abbildungsnachweis: M. Kostoula (Abb. 14. 17. 18); Archiv der Tirynsgrabung, J. Maran (Abb. 15. 16).

Die antike Siedlungstopographie Triphyliens Die antike Landschaft Triphylien liegt in der südlichen Elis an der Westküste der Peloponnes. In der dritten Kampagne wurden die Stadtpläne von Sami- kon, Platiana, Lepreon und Vrestos im M. 1 : 2000 aufgenommen. Erste geo- physikalische Prospektionen mit den Methoden Geomagnetismus, Georadar und elektrischer Resistenz-Tomographie fanden in Skilloundia und in Babes statt. Die Testmessungen sollen in der Kampagne 2009 fortgeführt werden. Im Magazin des Museums Olympia wurden die Funde älterer Ausgrabun- gen in den Städten Samikon, Platiana, Lepreon sowie Vrestos bearbeitet. Es handelt sich dabei um Material aus Grabungen bzw. um Lesefunde bei den vor 2002 durchgeführten Reinigungsarbeiten des griechischen Antikendienstes. Die zur chronologischen Einordnung der Fundorte wichtigen Stücke wurden in einen Katalog aufgenommen und photographiert. In Samikon wurden die Stadtmauer und alle oberirdisch sichtbaren archi- tektonischen Reste innerhalb der Mauer aufgenommen. In der Wohnbe- bauung zeichnen sich zwei Phasen ab. Im Zentrum südlich der Agora gibt es kleine isoliert stehende Gebäude, die in ihrer Anordnung kein System erkennen lassen. Im Ostteil der Stadt hingegen ist die Wohnbebauung in ei- nem rechtwinkligen Straßensystem angelegt. Während der Arbeiten im Feld fielen zahlreiche Webgewichte und Spu- len auf, wie auch viele Fragmente von Tellern und vier Münzen. In der antiken Stadt oberhalb der modernen Ortschaft Platiana wurden die Stadtmauer, die Gebäude innerhalb der Mauer und ein Gebäudekomplex südwestlich außerhalb der Stadtmauer aufgenommen.

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Abb. 19 Die antike Siedlungstopographie Triphyliens, Platiana. Isoliert stehendes Turmhaus am Südabhang unterhalb der ummauerten Stadt

In der Oberstadt befinden sich neben einem Theater und weiteren gro- ßen öffentlichen Bauten auch kleinere Wohnhäuser. Die Anlage dieser Bauten folgt einem rechtwinkligen Straßensystem. Auch auf dem sehr steilen Südab- hang wurden viele Reste von Wohnbauten gefunden. Erstaunlicherweise ist auch hier – trotz der schwierigen topographischen Lage – das rechtwinklige Straßensystem der Oberstadt zu erkennen. Ein isolierter Gebäudekomplex liegt weit unterhalb der Stadt im Tal. Ein aus großen Quadern errichtetes Turmhaus (Abb. 19) wurde wahrscheinlich zur Kontrolle des Weges, der zur Stadt hochführt, genutzt. Aus Platiana sind keine Funde bekannt, die älter als das 5. Jh. v. Chr. datie- ren. Häufig finden sich schwarzgefirnisste Teller. Besonders fielen ein Fragment eines reliefierten Skyphos und ein gestempelter Amphorenhenkel auf. In Lepreon wurden in dieser Kampagne nur die Stadtmauer und das Plateau im Süden mit dem Demetertempel (Abb. 20) aufgenommen. In die Stadtmau- er von Lepreon sind fast auf der ganzen Länge kleine Räume integriert. Das gilt auch für eine Trennmauer zwischen der Ober- und der Unterstadt. Ein neuzeitlich als Stall genutztes Gebäude im Westteil der Mauer muss als Tor gedient haben.

Abb. 20 Die antike Siedlungstopographie Triphyliens, Lepreon. Demetertempel auf dem Südplateau der Stadt (1. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr.)

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Abb. 21 Die antike Siedlungstopographie Triphyliens, Vrestos. Kurtine der Stadtmauer

In Lepreon gibt es im Fundmaterial neben geometrischen Einzelfunden auch zahlreiche archaische Funde wie Pyxidendeckel. Viele der Funde datie- ren in das 5. und vor allem das 4. Jh. v. Chr., z. B. Scherben von Tellern, Fuß- bechern und Skyphoi. In der antiken Ortschaft bei Vrestos haben die Arbeiten in dieser Kampa- gne erst begonnen, sie werden im kommenden Jahr fortgesetzt. Es zeichnet sich eine fast kreisrunde Stadtmauer (Abb. 21) mit vielen rechteckigen Türmen und einem Rundturm im Norden ab. Die Bebauung innerhalb dieser Mauer wurde noch nicht untersucht. Kooperationspartner: Labor für Bauaufnahme und Bauforschung der Fach- hochschule Wiesbaden; 7. Ephorie des griechischen Antikendienstes; Lehrstuhl für Vermessungskunde der Brandenburgischen Technischen Universität Cott- bus (K. Heine, R. Haberland, Geodäsie); Institut für Archäologie des Mittel- meerraumes der Universität Bern (David , Geophysik) • Förderung: DFG-Schwerpunktprogramm 1209 »Die hellenistische Polis als Lebensform. Urbane Strukturen und bürgerliche Identität zwischen Tradition und Wandel« • Leitung des Projekts: J. Heiden, C. Rohn (Labor für Bauaufnahme und Bauforschung der Fachhochschule Wiesbaden) • Mitarbeiter und Mitarbei- terinnen: S. Bocher, J. Mätzschker, E. Richter; Studierende der Universitäten Berlin und Cottbus sowie der Fachhochschulen Mainz und Wiesbaden • Abbildungsnachweis: Archiv des Triphylienprojekts (Abb. 19–21).

Wissenschaftliche Veranstaltungen

Vorträge 16. Januar Felix Höfelmayer (Wien), Radiokarbon und Archäologie: und die ägäische Spätbronzezeitxxx28. Januar Constance von Rüden (Athen), Ägäische Handwerker in der Levante – Interpretationsmöglichkeiten und -grenzen der Wandmalerei von Tall Mishrife/Qatna (Syrien)xxx19. Februar Patrick Schollmeyer (Mainz), Der Eine und die Vielen: Der Gott Apollon zwischen Regionalität und Interkulturalität in archaischer Zeitxxx20. Februar Julian Bauch (Marburg), Hellenistische Herrscherporträtsxxx3. März Rein- hard Jung (Athen), Neues zur Frage der ägäisch-syrischen Beziehungen vom

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Ende des 3. Jahrtausends v. u. Z. am Beispiel von Tell Kazelxxx19. März Laura C. Rizzotto (Athen), »Sein zum Tode…«: Untersuchungen gesellschaftlicher Strukturen anhand von Nekropolen und Gräbern der protogeometrischen und geometrischen Epoche aus Ost- und Mittelkretaxxx7. April Andrea Babbi (Rom), Human and Divine: The Reflected Image, Recovered Memory. Clay Anthropomorphic Figurines in Ancient Italy between the Final Bronze Age and the Early Iron Agexxx15. April Norbert Eschbach (Göttingen), Die Pan- athenäen, die Sieger und das Öl. Anmerkungen zu Funktion und Bedeutung der Panathenäischen Preisamphorenxxx3. Mai Laetitia Phialon (Paris), Mit- telhelladische Siedlungen in Zentralgriechenlandxxx19. Mai Joachim Heiden (Athen) – Corinna Rohn (Cottbus), Die Siedlungstopographie Triphyliens (Peloponnes)xxx30. Oktober Dimitrios Grigoropoulos (Athen), Unter dem Joch Roms: Die römische Herrschaft im Spiegel der Nationalbildung im mo- dernen Griechenland (18.–19. Jh.)xxx11. November Barbara Horejs (Wien), Çukuriçi Höyük. Neue prähistorische Forschungen in der Ostägäis xxx27. No- vember Jan-Mark Henke (Athen), Beobachtungen zu den Werkstätten zyp- rischer Terrakotten im ostägäischen Raum. Am 23. Mai hielt Joachim Latacz (Basel) den diesjährigen Sommerfest- vortrag zu »Homer – Troia – Troianischer Krieg. Forschungsgeschichte und heutiger Forschungsstand«. Im Anschluss wurde auf der Institutsterrasse zum Sommerfest geladen. Am 5. Dezember fand die Winckelmannfeier statt. Nach dem Jahresbericht des Ersten Direktors Wolf-Dietrich Niemeier hielt Paul Zanker (Pisa) den Festvortrag über »Leben mit griechischen Mythen in Pompeji«.

Kolloquien 17./18. Oktober Internationales archäologisches Symposium »CYPRUS AND EAST AEGEAN: Intercultural Contacts from 3000 to 500 BC« in Pythagoreion, Samos (in Zusammenarbeit mit der Leventis-Stiftung; Or- ganisation: Vassos Karageorghis [Nikosia], Ourania Kouka [Nikosia], Nota Kourou [Athen], Wolf-Dietrich Niemeier [Athen]). – Es sprachen: Vassos Karageorghis (Nicosia), Relations Between Cyprus and the Eastern Aege- an; J. Muhly (Athen), The Origin of the Name ›Ionian‹; Ourania Kouka (Nico- ), East Aegean, Western Anatolia and Cyprus: Intercultural Contacts in the 3rd and the First Half of the 2nd Millennium BC; Toula Marketou (Rhodos), Rhodes and Cyprus in the Bronze Age; Penelope Mountjoy (Athen), Con- tacts Between the East Aegean and Cyprus as Evidenced by LB III Pottery; Reinhard Jung (Athen), Pirates of the Aegean. Italy – East Aegean – Cyprus at the End of the 2nd Millennium BCE; Nikos Stampolidis (Rethymnon und Athen), Can Crete be Excluded? Direct or Indirect Contacts among Cyprus- East Aegean and Crete During the G–A Periods; Helmut Kyrieleis (Ber- lin), Intercultural Commerce and Diplomacy: Near Eastern, Egyptian and Cypriot Artefacts from the Heraion of Samos; Eleni Farmakidou (Rhodos), How Far Pots Can Go? Conceptualizing Pottery Production and Exchange in Geometric Rhodes; Jacqueline Karageorghis (Nicosia), Moulds and Pro- duction of Terracotta Figurines in Cyprus and the East Aegean During the Archaic Period; Panayiota Marantidou (Athen), The Standing Female Figure in the Archaic Art of Cyprus and Eastern Aegean. A Comparative Study; Vassilis Kilikoglou (Athen) – Vassos Karageorghis (Nikosia) – Nota Kourou (Athen) – Panayiota Marantidou (Athen), Cypriote and Cypriote Type Terra- cotta Figurines in the Aegean: Chemical Characterization and Provenance Investigation; Ergün Lafli (Ankara), Cypriote Imports to Archaic Northern Ionia; Jan-Marc Henke (Athen), The Cypriote Terracottas of ; R. Senff,

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Beasts, Heroes and Worshippers – Statuettes Made of Cypriote Limestone from the Aphrodite-Sanctuary of Miletus; Numan Tuna (Ankara), Some Remarks on the Limestone Figurine Production and Intercultural Exchange in Archaic : New Evidences from the Archaic Sanctuary of Apollo at Emecik/ Datça; Antoine Hermary (Aix-en-Provence), The Ionian Styles in the Cyp- riote Sculpture of the Sixth Century BC; Kathrin Kleibl (Mainz), A New Approach to the Interpretation of Cypriote Kourotrophos Statuettes of the Archaic Period; Sabine Fourrier (Lyon), East Greek and Cypriote Ceramics of the Archaic Period; Olga Philaniotou (Rhodos), A Late Bronze Age Faience Workshop on Naxos. 24./27. Oktober Internationaler Workshop »Defining and Interpreting Cult Deposits« in Olympia (Abb. 22. 23, Organisation: Susan- ne Bocher [Athen], Petra Pakkanen [London/Athen]). – Es sprachen: Wolf- Dietrich Niemeier (Athen), New Excavations in the Sanctuary at Kalapodi (Ancient Phokis); Petra Pakkanen (London/Athen), Depositing Cult. Con- siderations on What Makes a Cult Deposit; Johannes Siapkas (Uppsala), Wor- shiping Archaeologies – Approaches to Votive Cult Deposits; Melissa Vetters (Heidelberg), Private and Communal Ritual in Postpalatial Tiryns; Berit Wells Abb. 22 Plakat zum Internationalen (Athen), New Beginnings? Preparations of Renewal of Cult at Kalaureia and Workshop in Olympia »Defining and Inter- Asine; Susanne Bocher (Athen), Ash, Bones, Votives – Analyzing the »Black preting Ancient Greek Cult Deposits« Strata« in Early Greek Sanctuaries; Alexander Nagel (Ann Arbor), Interpret- ing the Cult Deposit in the Text-Free Zone: The Rhyakos-Plain Deposit from Ancient Stratos; Christos Liangouras (Olympia), A First Approach on the Cult of Demeter Chamyne in Olympia and Its Cult Deposits; Gudrun Klebinder- Gauß (Athen), The Interpretation of Votives from Cult Deposits in the Archa- ic Artemision of Ephesos; Lena Sjögren (Stockholm), Cretan Cult Practices: Social Aspects of Iron Age and Archaic Votive Deposits; Oliver Pilz (Athen), Terracotta and Bronze Figurines from Geometric and Archaic Dwellings: Do- mestic Cult or Personal Belongings?

Abb. 23 Die Teilnehmer des Internati- onalen Workshops »Defining and Inter- preting Ancient Greek Cult Deposits«

1. November Workshop des Forschungsfeldes 1 im Forschungscluster 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung« des DAI (Organisation: Susanne Bocher [Athen] zusammen mit Vertretern des Finn- land-Instituts in Athen). – Es sprachen: Wolf-Dietrich Niemeier (Athen), Kult- kontinuität von der Bronzezeit bis zur Römischen Kaiserzeit im Apollon- Heiligtum von Abai (Kalapodi); Andreas Furtwängler (Halle), Didyma. Das Apollonheiligtum in archaischer und klassischer Zeit: Neue Perspektiven;

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Ioannis Panteleon (Bochum), Der Kult der Aphrodite von Oikous und seine literarische Rezeption in nacharchaischer Zeit – Legitimation von Gebietsan- sprüchen nach 494 v. Chr. oder verblassender Erinnerungsort?; Arnd Henne- meyer (München), Kontinuität und Wandel. Beobachtungen am Zeustempel von Olympia; Helmut Kyrieleis (Berlin), Tempelskulptur und politische Bot- schaft. Das Bildprogramm der Skulpturen des Zeustempels als Zeugnis für die zeitgenössische Wahrnehmung Olympias im Spannungsfeld zwischen lokalen elischen Interessen und der panhellenischen Bedeutung des Heiligtums; Ulrich Sinn (Würzburg), Kontinuität und Wandel im Besucherservice des Zeushei- ligtums von Olympia; Andreas Gutsfeld (Clermont-Ferrand) – Stefan Leh- mann (Halle), Olympia und seine zwei Leben in der Spätantike; Peter Funke (Münster), Integration und Abgrenzung. Politische Funktionen überregionaler Heiligtümer in der griechischen Staatenwelt.

Öffentlichkeitsarbeit

Am 4. Februar hielt Herr Niemeier einen Vortrag vor der Archäologischen Gesellschaft zu Athen mit dem Titel »Die neuen Grabungen im Heiligtum von Kalapodi/Abai. Kultkontinuität von der mykenischen Periode bis in die Römische Kaiserzeit«. Im Vorfeld der Entzündung der Olympischen Flamme gab Frau Bocher eine Reihe von Interviews an das ZDF, den Spiegel und den Bayerischen bzw. Norddeutschen Rundfunk. Altertumswissenschaftler verschiedener Nationen, Studenten- und Schüler- gruppen sowie Sponsoren wurden von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen durch die Grabungen des Instituts und archäologische Stätten Athens ge- führt.

Veröffentlichungen

Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung 122, 2007 Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung, Beiheft 20: V. Schild-Xenidou, Corpus der boiotischen Grab- und Weihre- liefs des 6. bis 4. Jahrhunderts v. Chr.

Persönliches

Wolf-Dietrich Niemeier wurde zum Ehrenmitglied der Archäologischen Ge- sellschaft zu Athen gewählt.

AA-2009/1 Beiheft Mitglieder der Kommission der RGK

Der Direktor und die Direktorin der RGK Kaenel, Hans-Markus von, Prof. Dr. Willroth, Karl-Heinz, Prof. Dr. Der Präsident Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Georg-August-Universität Kobler Martin, MD Institut für Archäologische Wissen- Seminar für Ur- und Frühgeschichte Auswärtiges Amt, Leiter der Kultur- schaften Abteilung II, Archäologie und Nikolausberger Weg 15 und Kommunikationsabteilung Geschichte der römischen Provinzen D-37073 Göttingen Werderscher Markt 1 sowie Hilfswissenschaften der Alter- Zimmermann, Andreas, Prof. Dr. D-10117 Berlin tumskunde Universität zu Köln Roth, Petra, Dr. Grüneburgplatz 1 Institut für Ur- und Frühgeschichte Die Oberbürgermeisterin der Stadt D-60629 Frankfurt a. M. Weyertal 125 1 Frankfurt am Main Kunow, Jürgen, Prof. Dr. D-50931 Köln Römerberg 23 Rheinisches Amt für Bodendenk- Maier, Ferdinand, Prof. Dr. D-60311 Frankfurt a. M. malpflege Erster Direktor i. R. Daim, Falko, Prof. Dr. Endenicher Str. 133 Justus-Liebig-Str. 8 Generaldirektor, Römisch-Germani- D-53115 Bonn D-64720 Michelstadt/Odw. (ohne Votum) sches Zentralmuseum Metzner-Nebelsick, Carola, Prof. Dr. Schnurbein, Siegmar von, Prof. Dr. Ernst-Ludwig-Platz 2 Ludwig-Maximilians-Universität Erster Direktor i. R. D-55116 Mainz Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Schneckenhofstr. 29 Bertemes, François, Prof. Dr. Archäologie und Provinzialrömische D-60596 Frankfurt am Main (ohne Votum) Martin-Luther-Universität Halle- Archäologie Wittenberg Geschwister-Scholl-Platz 1 Institut für Kunstgeschichte und D-80539 München Archäologien Europas Planck, Dieter, Prof. Dr. Brandbergweg 23 Präsident, Landesamt für Denkmalpflege D-06120 Halle/Saale Baden-Württemberg Bittmann, Felix, Dr. Berliner Str. 12 Niedersächsisches Institut für histori- D-73728 Esslingen a. N. sche Küstenforschung Schallmayer, Egon, Prof. Dr. Viktoriastr. 26/28 Direktor, Landesamt für Denkmalpflege D-26382 Wilhelmshaven Hessen, Abteilung Archäologische und Carnap-Bornheim, Claus von, Prof. Dr. Paläontologische Denkmalpflege Direktor, Stiftung Schleswig-Holstei- Schloß, Ostflügel nische Landesmuseen, Archäologisches D-65203 Wiesbaden-Biebrich Landesmuseum Sommer, C. Sebastian, Dr. Schloß Gottorf Bayerisches Landesamt für Denkmal- D-24837 Schleswig pflege, Abteilung Praktische Denkmal- Conard, Nicholas, Prof. Dr. pflege, Bodendenkmäler Eberhard-Karls-Universität Hofgraben 4 Institut für Ur- und Frühgeschichte D-80539 München Schloß Hohentübingen Stauch, Eva, Prof. Dr. D-72070 Tübingen Westfälische Wilhelms-Universität Ettel, Peter, Prof. Dr. Abteilung für Ur- und Frühgeschicht- Friedrich-Schiller-Universität liche Archäologie Bereich Ur- und Frühgeschichte Robert-Koch-Str. 29 Löbdergraben 24 a D-48149 Münster D-07743 Jena Römisch-Germanische Kommission

Römisch-Germanische Kommission Direktor und Direktorin Prof. Dr. Friedrich Lüth, Erster Direktor Haus I: Palmengartenstr. 10–12 Prof. Dr. Susanne Sievers, Wissenschaftliche Direktorin D-60325 Frankfurt a. M. Tel.: +49-(0)69-97 58 18-0 Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Fax: +49-(0)69-97 58 18-38 Dr. Uta von Freeden (Frankfurt), Dr. Markus Helfert (Frankfurt, ab 16. 2.), Dr. Claus- +49-(0)69-97 58 18-40 (Direktion) Michael Hüssen (Ingolstadt), Dr. Mariya Ivanova (ab 1. 10.), Dr. Gabriele Rasbach E-Mail: [email protected] (Frankfurt), Dr. Knut Rassmann (Frankfurt), Dr. Karl-Friedrich Rittershofer (Frankfurt), Dr. Gerda Sommer von Bülow (Frankfurt), Dr. Holger Wendling (Ingolstadt), Haus II: Arndtstr. 21 Dr. Thorsten Westphal (Frankfurt), Dr. David Wigg-Wolf (ab 2. 12.) D-60325 Frankfurt a. M. Tel.: +49-(0)69-75 61 07-0 Wissenschaftliche Hilfskräfte Fax: +49-(0)69-75 61 07-20 Michèle Eller M. A. (Ingolstadt), Manuela Gallenmüller M. A. (Frankfurt, ab 1. 12.), Annette Lennartz M. A. (Frankfurt, bis 30. 11.), Nina Schücker M. A. (Frankfurt, bis Forschungsstelle Manching 31. 1.), Dr. Juliane Stadler (Frankfurt), Ulrike Trenkmann M. A. (Frankfurt, ab 1. 2.), Auf der Schanz 45 Katja Winger M. A. (Frankfurt) D-85049 Ingolstadt Tel.: +49-(0)841-931 14 04 Fax: +49-(0)841-931 14 28 Aus Drittmitteln finanzierte Stellen E-Mail: [email protected] Dr. Holger Baitinger (Frankfurt, DFG, bis 29. 2.), Dr. Armin Becker (Frankfurt, DFG), Katharina Becker M. A. (Frankfurt, DFG, ab 1. 12.), Dipl.-Arch. Mike Belasus (Schwerin, DFG, ab 1. 1.), Ruth Beusing M. A. (Frankfurt, EU), Dipl.-Prähist. Stefanie Klooß (Kiel, EU, bis 22. 10.), Dr. Harald Lübke (Schwerin, DFG), Dipl.-Prähist. Sebastian Messal, (Schwerin, DFG), Dr. Nils Müller-Scheeßel (Frankfurt/Kiel, DFG), Dr. Daniel Peters (Frankfurt, BMBF, ab 13. 10.), Dr. Alexandru Popa (Frankfurt, DFG), Dr. Axel Posluschny (Frankfurt, DFG), Thomas Schierl M. A. (Frankfurt, DFG), Nina Schücker M. A. (Frank- furt, EU, ab 1. 2.), Dipl.-Prähist. Katrin Staude (Hamburg, EU, ab 23. 10.), Dr. Hans- Ulrich Voß (Schwerin, DFG)

Römisch-Germanische Kommission

Ein ausführlicher Tätigkeitsbericht für 2008 wird im Bericht der Römisch- Germanischen Kommission Band 89, 2008 veröffentlicht.

Ausgrabungen und Forschungen

SINCOS, Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommern Die wissenschaftlichen Feldarbeiten der archäologischen Arbeitsgruppe des SINCOS-II-Forschungsprojekts konzentrierten sich auf die Fundstelle Breet- zer Ort in den Boddengewässern der Insel Rügen sowie auf die Fundstellen Timmendorf-Tonnenhaken-Süd- und -Nord sowie Jäckelgrund-Orth in der Wismarbucht. Die endmesolithische Station Breetzer Ort lag einst am geschützten Süd- ufer einer kleinen Halbinsel am südwestlichen Ende des Breetzer Boddens. Ziel der Kampagne war es, die im Vorjahr beobachtete spätmesolithische Feu- erstelle (ca. 5600–5500 cal BC) näher zu untersuchen. Sie war zwischen zwei später (ca. 5000 cal BC) abgelagerten großen Eichenstämmen in den Unter- grund eingetieft erhalten geblieben. Über der Feuerstelle folgen Schwemm- torfsedimente mit endmesolithischen Funden der mittleren Phase der Erte- bølle-Kultur (ca. 4800–4500 cal BC). Diese Phase ist auf Rügen bislang nur unzureichend durch stratifiziertes Fundmaterial belegt. Überlagert wurde der Befund durch eine vermutlich zu einem endmesolithischen Fischzaun gehö- rende Pfostenreihe, die etwa auf 4200–4100 cal BC datiert werden kann. Die Ausgrabung zeigte nun, dass im Verlauf der im Endneolithikum erfolg- ten Überflutung des Platzes der gesamte Oberboden abgeschwemmt worden sein muss, da unmittelbar unter den Schwemmtorfschichten der endmesoli- thischen Uferzone bereits der anstehende pleistozäne Mergel ohne erkennbare Reste einer Bodenbildung folgt. Dieser Prozess muss etwa um 5000 cal BC erfolgt sein, da im Zuge der Transgression auch die vor Ort aufgewachsenen Eichenbäume abstarben und deren Stämme anschließend in der Uferzone ab- gelagert wurden. Die Wiederbesiedlung des Platzes durch die Ertebølle-Kultur erfolgte nach den vorliegenden 14C-Datierungen etwa ab 4800 v. Chr. Deren Siedlungsab- fälle wurden in der Uferzone zwischen den bereits vorhandenen Stämmen ab- gelagert. Zu den zahlreichen Flintartefakten konnten außerdem verschiedene Gerätschaften aus organischem Material geborgen werden. Dazu zählen neben Pfeilschaftfragmenten und Aalstecherschalmen aus Holz Geräte und Abfall- produkte der Geräteherstellung aus Hirschgeweih. Besonders erwähnenswert sind eine Harpune aus Rothirschgeweih, eine fragmentierte Tüllenaxt, meh- rere Vorarbeiten von Tüllenäxten und drei Hirschgeweihschlägel aus Rosen- endstücken, für die sowohl Abwurf- als auch schädelechte Stangen verwendet wurden (Abb. 1). Wiederum konnte keine Keramik nachgewiesen werden, obwohl diese auf zeitgleichen Fundstellen im westlichen Ostseegebiet bereits vorhanden ist. Dieses Phänomen wurde auch auf den jüngeren Stationen der Ertebølle-Kultur beobachtet und scheint ein besonderes Charakteristikum der Rügener Lokalgruppe zu sein. Der in der Wismarbucht gelegene Fundort Tonnenhaken liegt nordwest- Abb. 1 SINCOS, Ostseeküste Mecklen- lich der Ortschaft Timmendorf/Insel Poel und erstreckt sich vom Ufer aus burg-Vorpommern, Rügen. Breetzer Ort, Geweihhammer aus schädelechtem mit einer maximalen Wassertiefe von ca. 2 m etwa 500 m weit ins Meer. Der Rothirschgeweih Meeresgrund besteht aus organogenen Ablagerungen eines früheren Haffsees,

AA-2009/1 Beiheft 126 Jahresbericht 2008 des DAI

Abb. 2 SINCOS, Ostseeküste Mecklen- burg-Vorpommern, Timmendorf. Insel Poel, die Lage der steinzeitlichen Siedlungsplätze Timmendorf-Nordmole, Tonnenhaken-Süd und Tonnenhaken-Nord

die partiell durch rezente Sandbänke überlagert sind. Der Haffsee muss sich hier im Verlauf des Endmesolithikums und des nachfolgenden Frühneolithi- kums gebildet haben und war ursprünglich von einer vermutlich von Norden her in die Wismarbucht hineinreichenden Halbinsel abgeriegelt. Im Süden lag eine geschützte Bucht, an deren Ufer die älteren Fundplätze Nordmole I der jüngsten Ertebølle-Kultur sowie Nordmole III der frühesten Trichterbecher- kultur gelegen haben (Abb. 2). Am westlichen Rand des früheren Haffsees befindet sich in ca. 2 m Was- sertiefe der Fundplatz Timmendorf-Tonnenhaken-Süd. Bei früheren Sonda- gen konnten zunächst nur kleinräumige Artefaktkonzentrationen lokalisiert werden, weil die Prospektionsmöglichkeiten durch einen intensiven Seegras- bewuchs des Fundplatzareals stark eingeschränkt waren. Die wenigen Kera- mikscherben sind typologisch der frühneolithischen Trichterbecherkultur (et- wa zwischen 3800–3500 v. Chr.) zuzuordnen. Nach Rückgang des Seegras- bestandes liegen nun die ausstreichenden Torfbänke frei, die den Uferverlauf des damaligen Haffsees markieren, so dass in diesem Jahr eine erneute, umfas- sende Prospektion des Tonnenhakens möglich war. Dabei zeigte sich, dass der Fundplatz Tonnenhaken-Süd eine größere Ausdehnung hat als zuvor ange- nommen und dass weitere gut erhaltene Fundschichten vorhanden sind. Zu den Neufunden aus diesem Bereich zählt u. a. ein Felsgesteinbeil, das in seiner Formgebung den klassischen dickblattig-dünnnackigen Flintbeilen der früh- neolithischen Trichterbecherkultur entspricht. Die frühneolithischen Funde befinden sich an der Abbruchkante einer ausstreichenden Torfkante unmit- telbar unter der Oberfläche in einer ca. 15 cm mächtigen Kulturschicht im oberen Bereich eines Seggen-Schilftorfes, unter dem der anstehende minera- lische pleistozäne Untergrund folgt. Bemerkenswert ist, dass sich der pleisto- zäne Untergrund nicht nach Westen in Richtung heutiger Bucht, sondern nach Osten in Richtung eines ehemaligen Haffsees erstreckt haben muss. Die Kulturschicht folgt dem Verlauf des pleistozänen Untergrunds und wird im Beckeninneren zunehmend von Torf- und Muddeschichten überlagert. Wahrscheinlich hat es sich bei Timmendorf-Tonnenhaken-Süd nur um eine kurzfristig genutzte, kleinräumige Siedlungseinheit gehandelt, die nicht zum Meer, sondern zu einem dahinter gelegenen Haffsee orientiert war. Die

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Abb. 3 SINCOS, Ostseeküste Mecklen- burg-Vorpommern, Jäckelgrund-Orth. Forschungstaucher bei der Vorbereitung der Profildokumentation

Auswertung des archäozoologischen Fundmaterials hat aber ergeben, dass die geborgenen Tierknochen ausschließlich von domestizierten Tieren wie Rind oder Hausschwein stammen. Somit scheinen im Verlauf des späten Nordischen Frühneolithikums die bisher vorhandenen Jagdstationen zugunsten von stär- ker landwirtschaftlich ausgerichteten Siedlungen aufgegeben worden zu sein. Der Fundplatz Timmendorf-Tonnenhaken-Nord liegt am Nordufer eines ehemaligen Sees. Er ist kein Siedlungsplatz im engeren Sinne, sondern besteht aus einer Anzahl von kleinräumigen Aktivitätsbereichen. An mehreren Stel- len wurden Anhäufungen von Pfahlsetzungen aus Haselhölzern in der dama- ligen Flachwasserzone beobachtet. Ob sie zu Fischfanganlagen gehören, kann gegenwärtig noch nicht entschieden werden. Im Umfeld dieser Pfostenset- zungen wurden jeweils Flintartefakte und vereinzelt auch Keramikscherben neolithischer Machart geborgen. Der Schwerpunkt der diesjährigen Grabungsarbeiten in der Wismarbucht lag in der Untersuchung der Fundstelle Jäckelgrund-Orth in dem äußeren Bereich der Bucht. Durch die geophysikalischen Untersuchungen der Mee- resgeologen im Rahmen der Ausfahrten des Forschungsschiffes F/S »Professor Albrecht Penck« konnte festgestellt werden, dass der Jäckelgrund einen durch eine schmale, bis zu 6,50 m tiefe Rinne vom Jäckelberg getrennten Moränen- rücken darstellt, der bis auf 6 m u. NN aufragt. Mehrere noch in situ stehende und 14C-datierte Baumstubben eines mesolithischen Waldes in Wassertiefen bis zu 8 m zeigen, dass es sich bei dem Jäckelgrund im Verlauf des 6. Jts. v. Chr. um eine kleine Insel am Rande des Großen Tiefs gehandelt haben muss, die der Halbinsel Jäckelberg vorgelagert war. Auf dieser Insel konnten bei Sondierungstauchgängen insgesamt drei Fund- stellen in einer Wassertiefe zwischen 7 und 8 m nachgewiesen werden. Die besten Erhaltungsbedingungen bot der Fundplatz Jäckelgrund-Orth, der sich an der südöstlichen Spitze der Insel befindet. Dort wurden mehrere Baumstubben in ursprünglicher Wuchsposition beobachtet und neben kan- tenscharfen Flintartefakten auch Tierknochen und Geweihreste als Oberflä- chenfunde geborgen. Die 14C-Datierungen der Baumstubben ergaben ein Al- ter zwischen 5900 und 5700 v. Chr., was Rückschlüsse auf die bislang nicht datierten archäologischen Funde zulässt. Zur Überprüfung der Herkunft der Oberflächenfunde und der stratigra- phischen Verhältnisse wurden insgesamt acht Testschnitte von jeweils 2 m2 Größe eingebracht und die Profile dokumentiert (Abb. 3). Danach erfolgte die

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Überflutung zu einem Zeitpunkt, als das Meer bereits in die Wismarbucht eingedrungen war und diese nach und nach zunächst in einen Fjord umge- staltete. So stehen in dem Bereich des freiliegenden Oberbodens noch etwa ein Dutzend Baumstubben in ursprünglicher Wuchsposition, während in den angrenzenden Muddeschichten einzelne eingelagerte Eichenstämme beob- achtet werden konnten, ohne dass allerdings ein unmittelbarer Bezug zu den benachbarten Stubben gegeben ist. Durch die Sondageschnitte konnten zwei Fundschichten mit archäologi- schen Objekten beobachtet werden. Die erste Fundschicht befindet sich im fossilen Oberboden. Es war möglich, mehrere Flintartefakte, einzelne Tierkno- chen und auch Fischwirbel zu bergen. Mehrere kalzinierte Feuersteine und Fischwirbel sowie einzelne Stückchen gebrannten Lehms belegen die Anwen- dung von Feuer. Außerdem wurden zwei Pfostenstümpfe mit einem Durch- messer von 3–4 cm beobachtet. Da die Fundkonzentration in den benachbar- ten Testschnitten deutlich nachlässt, ist davon auszugehen, dass es sich bei den Funden um die Hinterlassenschaften eines kleinen Lagerplatzes mit geringer Ausdehnung handelt. Die Datierungen der Baumstubben verweisen auf die ersten Jahrhunderte des 6. Jts. v. Chr. und somit auf die Zeit des Eindringens der Ostsee in die Wismarbucht. Die zweite archäologische Fundschicht in den oberen marinen Muddela- gen ergab neben sehr viel Holzkohle vor allem Knochen größerer Säuger so- wie zahlreiche Fischreste. Prinzipiell kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um umgelagerte Funde eines älteren Siedlungsplatzes handelt. Wahrscheinlicher ist aber wegen des guten Erhaltungszustandes der Knochen die Interpretation als Uferzone eines zweiten, jüngeren Siedlungsplatzes. Kooperationspartner: Institut für Ostseeforschung Warnemünde (J. Harff); Landesamt für Kultur- und Denkmalpflege, Mecklenburg-Vorpommern (D. Jantzen); Archäologisches Landesmuseum Schleswig (U. Schmölcke); Stiftung Schleswig-Holsteinischer Landesmuseen Schloß Gottorf (C. von Carnap-Bornheim, S. Hartz); Niedersächsisches Institut für historische Küs- tenforschung (H. Jöns) • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: F. Lüth • Mitarbeiter: H. Lübke, A. Grundmann (DFG) • Abbildungsnachweis: DAI, RGK (Abb. 1–3).

Okolište und Umgebung (Bosnien-Herzegowina), Rekonstruktion spätneolithischer Siedlungsprozesse im Visoko-Becken I. Donje Moštre: Auf dem etwa 900 m südlich von Okolište gelegenen Sied- lungshügel von Donje Moštre wurden weitere Flächen, die im Vorjahr nicht zugänglich waren, geomagnetisch prospektiert. Dabei stellte sich heraus, dass die Siedlung – anders als Okolište und anders, als noch im letzten Jahr ver- mutet – wahrscheinlich nicht von einem Wall-Graben-System umgeben war. Systematische Rasterbegehungen zeigten Häufungen von Keramik, gebrann- tem Lehm und Silex in Bereichen besonders starker Anomalien, mutmaßlich verbrannte Häuser. Um eine durchgehende Stratigraphie durch den Tell zu erhalten, wurde ein ungefähr 2 m × 4 m messender Schnitt (Fläche 1) im Hangbereich zur Bosna angelegt. Bei einer Tiefe von 2,50 m war der anstehende Boden erreicht. Im Zentrum des Schnittes befanden sich zwei große, kreisrunde Gruben, die aus den oberen Siedlungshorizonten bis etwa 1 m unter die natürliche Gelände- oberkante eingetieft worden waren und dabei sämtliche älteren Schichten durchschnitten hatten. Insgesamt wurden in dem Schnitt vier Bauhorizonte (unverbrannter Lehm- bzw. Brandlehmschichten) erfasst, die zumeist durch dunklere humusreichere Kulturschichten voneinander getrennt waren.

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Okolište und Umgebung (Bosnien-Herze- In einer zweiten Fläche (Fläche 2) sollten Siedlungsstrukturen aufgedeckt gowina), Rekonstruktion spätneolithischer werden. Dabei gelang es, mehrere zusammengehörige Pfostenreihen auszu- Siedlungsprozesse im Visoko-Becken. graben, die unter einer Schicht gebrannten Hüttenlehms lagen. Der größte Donje Moštre Teil der zugehörigen Funde ist nicht spät-, sondern äneolithisch (Abb. 4. 5), Abb. 4 Rückseite einer äneolithischen die Funde aus den obersten Schichten sind sogar Vučedol-zeitlich. Befunde Keramikstatuette (M. 1 : 1) dieser Perioden sind in Zentralbosnien bisher unbekannt. Daneben gibt es jedoch auch einen geringen spätneolithischen Fundnie- Abb. 5 Äneolithisches Keramikfragment (M. 1 : 1) derschlag. Die abweichende Ausrichtung der Pfostenreihen in den spät- und äneolithischen Schichten deutet auf Änderungen in der Siedlungsstruktur hin. Angesichts der geringen Entfernung der beiden Tells von Okolište und Donje Moštre scheint es sehr wahrscheinlich, dass beide in einem Ablösungsverhält- nis stehen, d. h. dass die Siedlung von Donje Moštre aufblühte, als diejenige von Okolište ihren Zenit bereits weit überschritten hatte. Bei geomorphologischen Untersuchungen der Schichten unterhalb der an- thropogenen Ablagerungen zeigte sich, dass über den pleistozänen Schottern und einem darauf aufliegenden degradierten Lösshorizont, die gemeinsam den natürlichen Untergrund des Tales bilden, eine kolluviale Ablagerung liegt, die auf eine Entwaldung des Areals deutlich vor dem Beginn der Siedlungsakti- vitäten an der Fundstelle hindeutet. Zur Datierung dieser Horizonte wurden Proben für 14C- und OSL-Datierungen entnommen. II. Kundruci: Die Siedlung von Kundruci befindet sich in einem Seitental der Bosna auf einer Höhe von 480 m, etwa 80 m hoch über dem Talgrund. Die spätneolithische Siedlung liegt auf einer pleistozänen Terrasse, die nach Norden, Osten und Süden relativ steile Hänge zeigt. Sie misst 50 m im Durch- messer bei einer Fläche von 0,20 ha. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer geophysikalischen Untersuchung wurden sechs Schnitte vom Hügel- zentrum in Richtung der nordwestlichen Hangkante angelegt. Hangabwärts, d. h. im nordwestlichen Grabungsbereich, waren die Kulturschichten durch Erosion weitgehend abgetragen, lediglich einige in den pleistozänen Schotter eingetiefte Gruben konnten dokumentiert werden. Dagegen besaß im Zent- rum das Schichtenpaket noch eine Mächtigkeit von ca. 1,20 m. In den hangaufwärts gelegenen Schnitten wurden vier Siedlungsschich- ten beobachtet, die in Form dünner Lagen gelblichen Lehms – Reste unver- brannter Häuser – erhalten blieben. Zwischen den Häusern hoben sich die Gassenbereiche als schwarz-graue Befunde ab. Der letzte Siedlungshorizont bestand aus drei Reihen massiver Pfostenlöcher mit einem Durchmesser von 80–100 cm, die zu einem Gebäudetypus gehört haben müssen, der im Spät- neolithikum des Balkans bisher unbekannt ist.

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Nach einer vorläufigen Analyse ist die Keramik überwiegend gleichzeitig mit der letzten Siedlungsphase des Tells von Okolište und ein Teil davon mög- licherweise etwas jünger. Auffällig unter den Funden war die große Zahl an Bergkristallkernen, -abschlägen und -trümmern, die weit über der liegt, die z. B. bisher in Okolište geborgen wurde. Das Rohmaterial stammt vermutlich aus den Schotterschichten selbst; vielleicht war die Rohmaterialgewinnung ausschlaggebend für die Wahl des Siedlungsplatzes in dem peripheren Seitental. III. Okolište: Über den befestigten neolithischen Siedlungshügel wurden geoelektrische Profile angelegt, die Hinweise über die Ausdehnung der Sied- lungsschichten liefern und in Verbindung mit den vorliegenden Bohrprofilen Auskunft über die Beschaffenheit des geologischen Untergrunds geben. Im zentralen Teil der Siedlung wurde der Bereich von drei Häusern durch 20 hochauflösende Profile (Elektrodenabstand 50 cm, Abstand der Messprofile 100 cm) prospektiert. Die Ergebnisse decken sich mit denen der geomagneti- schen Untersuchungen, eröffnen aber Einblicke in die tiefer liegenden Sied- lungsschichten. Bei geomagnetischen Prospektionen wurden weitere Teile des Tells untersucht, die in den Vorjahren nicht zugänglich gewesen waren. Dabei ergab sich, dass die Besiedlungsgrenzen im Westen tatsächlich mit den aus dem digitalen Geländemodell abgeleiteten Grenzen übereinstimmen. Das zweite wichtige Ergebnis war der Nachweis eines Tores im Nordosten des Tells. Be- merkenswert ist einerseits die verkehrstechnisch ungünstig anmutende Lage nahe dem Hangabfall in Richtung Bosna und andererseits die Orientierung, die mit derjenigen der Häuser übereinstimmt. Schließlich wurden zwei jeweils 4 m breite und ca. 20 m lange Bagger- schnitte im östlichen Hangabfall des Tells angelegt, die durch einen der Bosna- Altarme schnitten. Damit wird es möglich sein, die Verfüllungsgeschichte die- ser Rinne und die Erosion dieser Hangkante des Tells zu rekonstruieren. Vom Grund des Altarms wurden zwei Mooreichen geborgen, die voraussichtlich eine genaue Datierung der ältesten Schichten ermöglichen werden. IV. Zagrebnice: Der Fundort Papratnica-Zagrebnice liegt am westlichen Talrand der Bosna zwischen den beiden Beckenlandschaften von Kakanj und Visoko auf einem leicht nach Osten geneigten Hang ungefähr 400 m über dem Meer. Als spätneolithischer Fundplatz war er seit den 1960er Jahren be- kannt, als die Siedlung durch den Straßenbau komplett durchschnitten wurde. Auch hier wurden in der Sommerkampagne zwei Flächen angelegt: Fläche 1 befand sich direkt an der Straßenböschung und sollte eine komplette Strati- graphie durch die Siedlung sowie zugehörige Funde liefern. Die Lage von Fläche 2 wurde von den Ergebnissen einer geophysikalischen Prospektion be- stimmt, die an dieser Stelle ein verbranntes Haus vermuten ließen. Schnitt 10 zeigte eine Mächtigkeit der Kulturschichten von etwa 2 m, in denen mehre- re Planierungsschichten zu erkennen waren. Ein Teil des Schnittes wurde von einer mächtigen Grube eingenommen. Zu der ältesten Bebauung an dieser Stelle gehören mehrere Pfostenlöcher, die in den anstehenden Lehm einge- tieft waren. Die Keramik aus den untersten Schichten entspricht derjenigen aus den ältesten von Okolište, sie gehört also noch in die späte Kakanj-Zeit (5100–4900 v. Chr.). Die Stücke aus den obersten Schichten sind vermutlich jünger als diejenigen aus den jüngsten Siedlungsschichten von Okolište. Das würde bedeuten, dass beide Siedlungen über einen Zeitraum von nahezu 700 Jahren gleichzeitig existierten, die Siedlung von Zagrebnice jene von Okolište jedoch überdauerte. Die Befunde in Fläche 2 waren von bis zu 0,50 m mächtigen Lehmschich- ten überdeckt, die nach den geomorphologischen Untersuchungen von den oberhalb der Siedlung gelegenen Hängen stammen. Abgesehen von vier ver-

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Abb. 6 Okolište und Umgebung (Bos- nien-Herzegowina), Rekonstruktion spät- neolithischer Siedlungsprozesse im Visoko- Becken. Zagrebnice, Photogrammetrie der umgestürzten Wand eines spätneolithi- schen Hauses. Gut erkennbar sind die im Positiv erhaltenen, ursprünglich von Lehm eingeschlossenen Hölzer und deren Flecht- verbindung (Stangendurchmesser ca. 5 cm)

mutlich urnenfelderzeitlichen Brandbestattungen war das Schichtpaket weit- gehend fundfrei. Durch die Überdeckung sind die Reste des bereits in der Geomagnetik sichtbaren, nach Nordosten orientierten Hauses sehr gut über- liefert. Außerdem wurde eine noch auf 6 m Länge und 1 m Breite erhaltene, niedergestürzte Wand aufgedeckt, die Detailbeobachtungen zu den in ihr verbauten, noch als Positive in Lehm erhaltenen Hölzern zuließ (Abb. 6). Ei- ne Steinstruktur im Zentrum war vermutlich ein Ofen; die Tatsache, dass sich sowohl ober- wie auch unterhalb dieses Ofens gebrannter Hüttenlehm fand, könnte ein Hinweis auf eine Zweistöckigkeit des zugehörigen Gebäudes sein. Das im Zentrum gelegene Haus war durch einen dunkelgrauen und sehr fundreichen Gassenbereich von nördlich und südlich davon teilweise ange- schnittenen Hüttenlehmpackungen getrennt. Hier lagen offensichtlich wei- tere Häuser, die nicht vollständig ausgegraben werden konnten. Obwohl im geomagnetischen Bild – wohl aufgrund der mächtigen Überdeckung – nur undeutlich zu erkennen, wurde also auch die Siedlung von Zagrebnice durch eine zeilenweise Bebauung geprägt. Aufgrund der guten Erhaltung der Wand wurde entschieden, dass Restau- ratoren des Bosnisch-Herzegowinischen Zentralmuseums eine Silikonabfor- mung davon erstellen sollten. Neben der eigentlichen Grabung wurde ein 120 m langes Profil doku- mentiert, das durch den nahe gelegenen Autobahnbau entstanden war und

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die Siedlung auf einer Länge von ca. 80 m peripher anschnitt. Hierdurch und durch ein während der Grabung mit dem DGPS erstelltes digitales Gelän- demodell war es möglich, die Größe der Siedlungsfläche zu bestimmen, die lediglich 1–1,5 ha betragen haben dürfte. V. Arnautovici, Dvor und Lopate: Neben den oben genannten Fundplätzen wurden auch die bereits bekannten Fundstellen von Arnautovici, Dvor und Lopate geophysikalisch prospektiert und topographisch aufgenommen. Auf dem Siedlungsplatz bei Dvor erfolgte die systematische Aufnahme der Ober- flächenfunde. Die Siedlungen von Arnautovici und Dvor sind heute jedoch weitgehend überbaut bzw. durch den modernen Eisenbahnbau nahezu zer- stört (Arnautovici). Insbesondere in Hinsicht auf Dvor ist dies bedauerlich, da diese Siedlung ca. 80–100 m höher liegt als das Visoko-Becken und deshalb andere Subsistenzstrategien erwarten lässt. Die Prospektion des Fundplatzes von Lopate lieferte zwar Hinweise auf spätneolithische Siedlungsaktivitäten, doch waren diese weniger viel versprechend als bei den anderen Fundplätzen, die für die Grabung schließlich ausgewählt wurden (s. o.). Die Untersuchungen auf den Siedlungen im Umfeld von Okolište erlau- ben erste Einblicke in den Wandel der im Visoko-Becken gelegenen Sied- lungslandschaft. Offenbar bestand ein wechselseitiges Verhältnis von Entste- hung, Aufblühen und Niedergang der Siedlungen. Es deutet sich an, dass mit dem Niedergang von Okolište kleinere Siedlungen im Umfeld entstanden. Die Vielschichtigkeit dieser Vorgänge lässt sich an dem Umstand ablesen, dass daneben auch kleinere Siedlungen zeitgleich mit jener von Okolište exis- tierten. Die Vermutung, dass sich in dieser Konstellation arbeitsteilige Prozes- se spiegeln, liegt nahe, sie gilt es durch weitere Untersuchungen zu prüfen. Kooperationspartner: Landesmuseum Sarajewo (Z. Kujundžić-Vejzagić); Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (J. Müller, H.-R. Bork, H. Stümpel); Kreismuseum Visoko • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: J. Mül- ler, K. Rassmann • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: N. Müller-Scheeßel, R. Hofmann (DFG), T. Schröter, H. Kroll, N. Benecke, E. Erkul sowie Stu- dierende der Universitäten Kiel, Sarajewo, Bamberg, Brünn, Mainz und Zagreb • Abbildungsnachweis: DAI, RGK (Abb. 4–6).

Fidvar bei Vráble und Rybnik (Slowakei), siedlungsarchäologische Studien zur Früh- bronzezeit am Südwestrand des Slowakischen Erzgebirges I. Frühbronzezeitliche Siedlung Fidvar bei Vráble: Auf der befestigten Siedlung von Fidvar fanden weitere vorbereitende Untersuchungen statt, die Fragen der Aus- dehnung der Siedlung, der Qualität von Befunden und der Schichtmächtig- keiten betrafen. Diese Informationen sind für die Entwicklung und Durchfüh- rung eines langfristigen siedlungsarchäologischen Vorhabens erforderlich. An der Hangkante zur Žitava-Niederung wurden zwei Hangschnitte an- gelegt, die der Prüfung der stratigraphischen Befunde sowie der Gewinnung naturwissenschaftlich verwertbarer Proben (Pollenanalyse, Bodenchemie, Mi- kromorphologie) dienten. Im nördlichen Hangschnitt wurde ein Wall erfasst, außerdem ein Siedlungshorizont der vermutlich frühesten Besiedlungsphase. Im südlichen Hangschnitt, in dem zentralen Bereich der Siedlung, wurde eine fundreiche, stark mit organischen Resten durchsetzte Siedlungsschicht aufge- deckt, die vermutlich dem jüngsten Besiedlungshorizont entspricht. Die Gra- bungsergebnisse zeugen von einer umfangreichen Erosion durch die Zitava, die große Teile der zentralen Siedlungsinnenfläche abgetragen hat. In dem Kern der Siedlung wurden geophysikalische Untersuchungen mit Georadar durchgeführt. Dabei kamen auf den Flächen von 50 m × 50 m und 30 m × 30 m zwei unterschiedliche Antennensysteme zum Einsatz. Vor allem

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in den Tiefen von 0,70–1,60 m wurden regelhafte Strukturen erfasst, deren Verlauf teilweise den geomagnetisch erkannten Befunden folgt. Die wichtigsten Ergebnisse lieferten geo- sowie elektromagnetische Pro- spektionen der Firma SENSYS GmbH (Bad Saarow). Ergänzend zu den bis- herigen Untersuchungen mit einem Messlinienabstand von 1 m im zentralen Bereich des Fundplatzes erfolgte nun die hochauflösende, großflächige Auf- nahme von 22 ha (18 ha Geo- und 4 ha Elektromagnetik, Abb. 7). Vollständig erfasst ist inzwischen der innere Bereich des Grabensystems. Hier bilden sich Graben und detailreich Hausstrukturen ab. Im Wallbereich deuten rechteckige Strukturen auf einen Wallaufbau in Kastenkonstruktion hin. Außerhalb des Abb. 7 Siedlungsarchäologische Studien äußeren Grabens sind eng bebaute Areale zu erkennen. Dazwischen zeigen zur Frühbronzezeit am Südwestrand des sich befundfreie, vermutlich unbebaute Flächen. Außerhalb der Vorsiedlung Slowakischen Erzgebirges (Slowakei), zeichnen sich Cluster von grubenartigen Befunden ab. Die Überprüfung von Fidvar bei Vráble. Geophysikalische Prospektion drei Befunden ergab frühbronzezeitliche Gräber; bei einem Teil der ›Gruben‹ kann es sich durchaus auch um Vorratsgruben handeln, die bei Untersuchun- gen auf anderen Siedlungen, wie z. B. in Nitransky Hradok, in großer Zahl entdeckt wurden. Der damit vorliegende Plan einer befestigten Siedlung, der Vorsiedlung und der benachbarten Gräberfelder ist in dieser Klarheit im Kar- patenbecken und angrenzenden Regionen singulär (Abb. 8).

Abb. 8 Siedlungsarchäologische Studien zur Frühbronzezeit am Südwestrand des Slowakischen Erzgebirges (Slowakei), Fidvar bei Vráble. Ergebnis der geomagne- tischen Prospektion und die Berechnung von Fundmengen der Keramikaufsamm- lungen. Oben: Gut zu erkennen sind zwei Gräben und großflächig auftretende Mauerreste, Pfostengruben und wahr- scheinlich Vorratsgruben, am Rande der Siedlung vermutlich auch Grabgruben von frühbronzezeitlichen Körpergräbern. Unten: Die Berechnung der 1,20 t Keramik- scherben aus den Oberflächenausammlun- gen zeigt erstaunliche Übereinstimmungen zum Ergebnis der geomagnetischen Pro- spektion, insbesondere zum Verlauf der Gräben

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II. Frühbronzezeitliche Siedlung bei Rybnik: Auf der befestigten Siedlung von Rybnik wurden die Ausgrabungen im nördlichen Wallbereich zum Abschluss gebracht. In diesem Bereich erfolgten die Arbeiten in einem Wallschnitt und auf einer Fläche an der Rückfront des Walles. Dabei wurden zahlreiche Pfos- tengruben und Holzreste erkannt. Die Strukturen präzisieren das Bild der aus Kästen bestehenden Wallkonstruktion. Die Rückfront des ca. 8 m breiten Wal- les bildete eine Palisade aus Hölzern mit einem Durchmesser von 10–20 cm. Die Basis der Wallfront wurde durch eine Steinpackung gesichert, die noch in einer Höhe von 1 m erhalten ist. Der gleiche Wallaufbau ist nun auch im südlichen Bereich der Siedlung nachgewiesen. Hier kamen weiterhin Strukturen von zwei Häusern zu Tage, die durch eine enge Gasse getrennt sind. Die auf einer kleinen Fläche erfassten Siedlungsstrukturen entsprechen damit den geophysikalisch ermittelten von Fidvar bei Vrable. Die Breite der Häuser beträgt ca. 4 m, ihre Länge 8–10 m. Die Grabungsbefunde erlauben weiterhin die Rekonstruktion des Verlaufs der Befestigung. Sie umschließt eine Innenfläche von ca. 0,20 ha. Unter Annah- me einer Bebauung aus eng benachbarten Häusern bot sich Platz für maxi- mal 20 Häuser (Abb. 9).

Abb. 9 Siedlungsarchäologische Studien zur Frühbronzezeit am Südwestrand des Slowakischen Erzgebirges (Slowakei), Rybnik, Nad Hronom. Die befestigte Siedlung (hervorgehoben durch das Oval), befindet sich auf einem Sporn nahe der Gran. Die Zerstörung des Umfeldes durch einen Steinbruch bedroht auch die frühbronzezeitliche Siedlung

Die erste Serie von Keramikanalysen aus Rybnik zeigte, dass die chemi- schen Signaturen der Gefäße der frühbronzezeitlichen Hatvan-, Madarovce-, Otomani- und nordpannonischen Kultur unterschiedlich sind. Die Annahme liegt nahe, dass es sich bei den Gefäßen der Otomani- und nordpannonischen Kultur um Importe handelt und die der Hatvan- und Madarovce-Kultur lo- kale Erzeugnisse sind.

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Die Siedlungen von Fidvar und Rybnik zeigen in der Zusammensetzung des archäologischen Fundstoffs (Keramik, Geweihgeräte) und der Architektur von Hausbefunden und Wallaufbau Ähnlichkeiten. Die Größenunterschiede lassen auf unterschiedliche Funktionen schließen. Für Rybnik wäre es wohl zuerst die Kontrolle eines Verkehrsweges entlang der Gran, bei Fidvar lässt die Größe an eine zentrale wirtschaftliche, politische und militärische Funktion für die im Tal der Zitava siedelnden Bevölkerungsgruppen denken. Kooperationspartner: Archäologisches Institut der Slowakischen Akade- mie der Wissenschaften (J. Bátora); Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg (F. Fal- kenstein); Geographisches Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidel- berg (B. Eitel, S. Hecht, G. Schukraft); Seminar für Geographie und ihre Di- daktik der Universität zu Köln (W. Schultz) • Leitung des Projekts: K. Rass- mann • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: Studierende der Universitäten Bratislawa, Brünn, Kiel, Poznan • Abbildungsnachweis: DAI, RGK (Abb. 7. 8); DAI, RGK, I. Kuzma (Abb. 9).

Geophysikalische Prospektion im Oppidum von Manching Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden zahlreiche, mitunter mehrere Hek- tar große Areale im südlich der Donau bei Ingolstadt gelegenen keltischen Oppidum von Manching archäologisch untersucht. Jene meistens auf akute Bauvorhaben zurückgehende Grabungsflächen streuen über unterschiedliche Bereiche des Innenraumes der latènezeitlichen Stadtanlage, die von noch heu- te sichtbaren Wallresten begrenzt wird. Um die in den einzelnen Grabungszo- nen gewonnenen detaillierten Erkenntnisse zur Gliederung und Infrastruktur in ein Gesamtbild der spätkeltischen Siedlungsorganisation zu integrieren, wur- den in zwei Kampagnen auf einer Gesamtfläche von rund 41 ha geophysika- lische Prospektionen durchgeführt. Neben der strukturellen Verknüpfung der großen Grabungsflächen im Zentrum der Siedlung sollen das archäologische Potential und die konkrete Gefährdung des bislang von Überbauung frei ge- bliebenen Geländes durch die zerstörungsfreie Untersuchung abgeschätzt und in einen Denkmalkataster des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege eingebracht werden. Die Ergebnisse der Prospektion offenbaren besonders im zentralen Bereich eine große Zahl magnetischer Anomalien, die mit den Befunden der angrenzenden Grabungsflächen in Bezug gesetzt werden kön- nen. Gräbchenstrukturen, die als Drainage- oder Parzellierungsgräbchen ge- deutet werden, lassen sich über weite Strecken verfolgen und ermöglichen so Aussagen zu Größe, Form und Ausrichtung etwaiger Hofstellen oder Ge- höfte. Desgleichen sind innerhalb dicht belegter Grubenkomplexe lineare Abfolgen von Grubenanomalien zu erkennen, die entlang von Parzellen- oder Grundstücksgrenzen eingetieft worden sein dürften. Befundfreie Straßenzüge zeichnen sich eindeutig im Messbild ab und erlauben die Rekonstruktion eines verzweigten Wegenetzes, das einzelne, unterschiedlich bebaute Areale voneinander schied (Abb. 10). Am nördlichen Rand des zentralen Siedlungsareals treten Anomalien auf, die in ihrer Struktur und Verteilung den Befundverhältnissen im sog. Hand- werkerviertel ähneln, das im westlich anschließenden Grabungsareal »Alten- feld« identifiziert wurde. Die geomagnetisch prospektierten Strukturen erstre- cken sich mehrere hundert Meter nach Osten und könnten auf gleichartige funktionale und wirtschaftliche Strukturen wie im ergrabenen Produkti- onsumfeld hindeuten. Sie dürften ein weiteres Indiz für die Bedeutung der handwerklichen Produktion im urbanen Milieu des keltischen Oppidums darstellen.

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Abb. 10 Manching, geomagnetische Messfläche und Grabungsareal ›Zentralfläche‹. Die archäologische Interpreta- tion des Messbildes zeigt neben zahlreichen Grubenbefunden und modernen Störungen deutlich die Fortsetzung von Gräbchenstrukturen und Straßenzügen, die bereits im archäologischen Ausgrabungsbefund identifiziert wurden (M. 1 : 2000)

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Auf dem südwestlichen Ausläufer des erhaltenen Walles wurden geoma- gnetische und geoelektrische Prospektionen sowie Bodenradarmessungen durchgeführt, um Erkenntnisse über den Erhaltungszustand und den inneren Aufbau des verflachten Wallstumpfes zu gewinnen. Verschiedene Konstrukti- onsdetails, wie die Gruben der Pfostenschlitzmauerfront und mögliche Spuren des Balkengitters des murus Gallicus konnten nachvollzogen werden. Ein rück- wärtig wallbegleitendes Gräbchen diente möglicherweise der Drainage der Erdrampe oder der Aufnahme einer Stützkonstruktion der Maueranschüttung. Ein unter diesem Agger gelegenes Gräbchen könnte einer älteren Phase der Siedlungsumgrenzung, etwa in Form einer Palisade, zugehören. Sollte es sich nicht um neuzeitliche Störungen handeln, illustrieren große Kreisanoma- lien im Bereich der Mauerfront die nachkeltische Nutzung des Manchinger ›Pfahls‹. Wie bereits durch Grabungen nachgewiesen, wurden die Steine der Mauer in römischer Zeit vor Ort zu Kalk gebrannt; die Größe und Zahl der Brennkammern – es scheint sich um regelrechte Ofenbatterien zu handeln – weisen auf die Intensität der Ausbeutung des mineralischen Rohstoffes hin. Um ein möglichst umfassendes Bild der internen baulichen Organisation des Manchinger Oppidums zu gewinnen und Struktur und Ausdehnung von Gehöftsiedlungen, sog. Viereckschanzen, im direkten Umland des Zentralor- tes exakter einschätzen zu können, sind weitere Messungen vorgesehen. Kooperationspartner: Institut für Geowissenschaften der Christian-Alb- rechts-Universität zu Kiel (H. Stümpel); Bayerisches Landesamt für Denk- malpflege (E. Claßen); Markt Manching (H. Nerb, H. Forstner); WTD 61 der Bundeswehr (R. Demnick, J. Färber) • Leitung des Projekts: S. Sievers • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: H. Wendling, E. Erkul und T. Wun- derlich (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) sowie Studierende der Uni- versität Kiel • Abbildungsnachweis: DAI, RGK (Abb. 10).

Lahnau-Waldgirmes In diesem Jahr wurde mit der Untersuchung des 2000 m2 großen Nordteils der bereits 2007 geöffneten und mit einem Sondenabstand von 12,50 cm auf dem Baggerplanum geomagnetisch prospektierten Grabungsfläche der unter Augustus gegründeten und 16 n. Chr. wieder aufgegebenen Stadt bei Lahnau- Waldgirmes begonnen. Bereits nach der Anlage des ersten Planums zeigte sich, dass mit dieser Methode die zusammenhängenden Strukturen sehr exakt er- fasst werden konnten (Abb. 11). Dies trifft besonders auf den Ost-West ver- laufenden Wassergraben einschließlich der Überreste des ursprünglich hölzer- nen Unterbaus der Straße zu sowie auf die beiden Bauten nördlich der Straße. Gleichzeitig gab es im Osten, Norden und Westen Spuren weiterer Gebäude- teile, von denen zunächst nur Einzelpfosten erfasst wurden. Bei den in der Geo- magnetik erkennbaren Strukturen handelte es sich um die 8,50 m × 16,20 m und 7,70 m × 16,50 m großen Gebäude 24 a und b sowie den nördlich davon liegenden 2,40 m × 2,40 m großen Vierpfostenbau 25. Gebäude 24 a und b waren zur Straße hin in ganzer Breite geöffnet. Gebäude 24 a besaß mit Aus- nahme der Firstpfosten keine weitere Innenaufteilung, im Norden von Gebäu- de 24 b waren zwei 4 m × 3,80 m große Räume abgetrennt, deren westlicher nach Norden offen war. Da in der Nordwand dieser Raumgruppe kein tiefer eingegrabener Firstpfosten nachgewiesen wurde, besaßen die Räume vermut- lich ein nach Norden geneigtes Pultdach. Zwischen den beiden Gebäuden verlief ein flaches Traufgräbchen. Der 7,30 m × 15,40 m große Bau 24 c war im Westen direkt an Gebäude 24 a angebaut und gleichfalls zur Straße offen. Wahrscheinlich trug der Anbau ein nach Westen abfallendes Pultdach. Die Breite der Via Sagularis betrug hier 8 m.

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Der gesamte Baukomplex besaß zur Straße eine durchlaufende, 3,50 m Abb. 11 Lahnau-Waldgirmes, Plan breite Portikus. Die zur Straße offene Bauweise und der vergleichsweise hohe der Ausgrabung von 2008 Anteil an Schwerkeramik, Schlacken und Schleifsteinen im Fundmaterial des (Quadrat = 10 m × 10 m) vorgelagerten Straßengrabens sprechen für eine Funktion des Baukomplexes im handwerklich-wirtschaftlichen Bereich. Gleiches gilt für Bau 25, dessen mächtige quadratische Pfosten für einen Turmspeicher sprechen. Nur wenig weiter östlich lag der 8 m × 4,40 m große, ursprünglich wohl aus acht Pfosten bestehende Bau 26 in der Lücke zwischen Bau 25 und Gebäude 20. Zu seiner Funktion liegen keine Hinweise vor. Nördlich von Bau 25 setzte eine nur schlecht erhaltene, etwa 18,40 m breite Bebauung aus Einzelpfosten (Gebäu- de 28) ein. Die Ausdehnung nach Norden und die Funktion des Baus sind of- fen. Nur 0,80 m nördlich von Gebäude 24 a lag der 4,90 m × 4,80 m große Bau 27. Seine Pfosten saßen in Einzelgruben und überlagerten im Südwesten Teile des in Planum 1 beobachteten Wassergräbchens. Die Bauweise und die Überschneidung des Gräbchens sprechen dafür, dass Bau 27 erst nach Bau- komplex 24 errichtet wurde. Nördlich von Bau 27 lag eine Grube, die bis zur Sohle mit mehreren Schichten aus Brandlehm und Holzkohle verfüllt war. Am Nordrand der Grabungsfläche fanden sich zwei große Gruben. Bei einer davon könnte es sich um den Teil eines Grubenhauses handeln. Aufgrund sei- ner abweichenden Ausrichtung und der Überlagerung der Gräbchen ist eine Anlage erst nach dem Ende der römischen Siedlung wahrscheinlich, etwa im Zusammenhang mit einem Absuchen der aufgegebenen Siedlung nach ver- wertbarem Material. 2005 wurde nur wenige Meter westlich eine Grube über dem äußeren Pfostengräbchen der Holz-Erde-Mauer nachgewiesen, aus der 0,80 kg verschmolzenen Bleis geborgen wurden.

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Vor der südöstlichen Ecke von Gebäude 24 b lag eine 3 m durchmessen- de Verfärbung, bei der ein 1,8–2 m durchmessender Kern deutlich erkennbar war. Eine erste Bohrprobe ergab eine Tiefe von mehr als 3 m, so dass eine vor- läufige Interpretation als Brunnen gerechtfertigt erscheint. Der Befund soll im kommenden Jahr untersucht werden. Im Straßenbereich setzten sich die 2006 beobachteten, quer zum Straßen- graben verlaufenden Verfärbungen in einem regelmäßigen Abstand von 3,5– 4 m fort. Im Planum war der Straßengraben in seinem Verlauf von einer bis zu 3 m breiten Verfärbung überlagert. Durch Anlage eines zweiten Planums und der Profilschnitte konnte der Befund geklärt werden. Es handelte sich um die Reste der Straßendecke aus Kies und Erde, die über einem ursprünglich hölzernen Rahmenwerk aufgebracht war. Dieses lag über dem Straßengraben, seine Ausdehnung markiert die vermutliche Straßenbreite. Die Verfüllung des darunter liegenden Straßengrabens weicht in dem Bereich von der übrigen Verfüllung der Straßengräben ab. Die abschließende Schicht mit Brandschutt fehlte gänzlich, dagegen waren Funde bis zur Sohle des Grabens vorhanden. Von herausragender Bedeutung war, dass ein Bruchstück der vergoldeten Reiterstatue aus der Verfüllung des Straßengrabens, allerdings unterhalb der Straßenschüttung, geborgen wurde. Dies zeigt, dass hölzernes Rahmenwerk und Straßenschüttung nach der Zerstörung der Statue, aber vor dem Brand der gesamten Anlage angelegt wurden. Sterile Schichten zwischen Statuenbruch- stücken und abschließender Brandschicht an anderen Stellen machen einen Bruch in der Besiedlung wahrscheinlich. Die oben genannten Befunde spre- chen für erneutes Aufsuchen und einen partiellen Ausbau der Anlage. Ferner wurde der Ackerhumus auf einer 6600 m2 großen, nördlich an- schließenden Fläche maschinell abgetragen und geomagnetisch prospektiert. Etwa 23 m nördlich der Gebäude 24 a und b konnten zwei ähnlich dimen- sionierte Gebäude erfasst werden, deren Lage zu dem aus Einzelpfosten beste- henden Gebäude 28 auf eine Mehrphasigkeit in diesem Bereich hindeutet. Unmittelbar östlich der beiden neu prospektierten Hallenbauten lag ein wei- terer Vierpfostenbau ähnlich Gebäude 25. Etwa 5 m nördlich dieser Bebau- ung zeigte sich ein 7 m breiter und mindestens 7 m langer Speicher. Weitere Befunde markieren vermutlich den nördlichen Abschluss von Gebäude 21. Im nördlichen Teil des prospektierten Areals waren Befunde erkennbar, de- ren Größe und Ausrichtung einen Zusammenhang mit dem eisenzeitlichen Gräberfeld vermuten lassen. Südlich und westlich der beiden Hallenbauten wurde ein erstes Planum angelegt. Im Westen wurde eine Gruppe diffuser, von Nordosten nach Südwesten verlaufender Verfärbungen erfasst, die zum Teil die Umwehrung überlagerten. Die Grabung wurde schließlich witterungsbe- dingt unterbrochen. Kooperationspartner: Landesamt für Denkmalpflege Hessen (E. Schallmay- er, A. Kreuz); Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz (D. Wigg- Wolf); Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. (U. Ehmig, A. Stobbe, H. Thiemeyer); Freie Universität Berlin (G. Schneider); Universi- tät Hamburg (Chr. Schäfer); D. Baatz (Darmstadt) sowie S. von Schnurbein (Frankfurt a. M.) • Förderung: DFG; Landesamt für Denkmalpflege Hessen • Leitung des Projekts: G. Rasbach • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: A. Becker, A. Popa, Th. Westphal und Studierende der Universität Marburg • Abbildungsnachweis: DAI, RGK (Abb. 11).

Kaiserzeitliche Siedlungen in Sachsen-Anhalt In Siegersleben, Bördekreis, und in Beuna, Saalekreis, fanden Untersuchungen zur Klärung der Zeitstellung mehrerer mit Gräben befestigter Siedlungen statt.

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Abb. 12 Kaiserzeitliche Siedlungen in Sachsen-Anhalt, Beuna, Saalekreis. Schnitt durch die Gräben der slawischen Siedlung

Die Grabungsflächen wurden anhand von Luftbildern und Magnetogrammen festgelegt. In Siegersleben wurden ein breiter Einfriedungsgraben, ein weiterer, die Anlage unterteilender Graben sowie mehrere Grubenhäuser erfasst. Nach dem maschinellen Humusabtrag zeigten sich außer den erwarteten Struktu- ren mehrere Pfostengruben und schmale Gräbchen. Die Befunde zeichneten sich deutlich in Sanden und Feinkiesen des Periglazials ab. Zwei Grubenhäu- ser und alle kleineren Befunde wurden untersucht und die Gräben zum grö- ßeren Teil ausgegraben. Zwei kleinere Grubenreste sind vermutlich vorge- schichtlich, sie enthielten nur wenige unspezifische Wandscherben. Darüber liegen die Grubenhäuser und Gräben. Die jüngste Besiedlungsphase besteht aus einer Bebauung aus Pfosten und (Wand-?)Gräbchen. Es handelte sich um eine zunächst offene Siedlung, die in der Folge befestigt und danach weiter ausgebaut wurde, bevor sie wüstfiel. Das Fundmaterial stammt nach erster Durchsicht aus vier Perioden. Die ältesten Funde, ohne Befundzusammen- hang, sind paläo- bzw. auch neolithische Silices. Ein Teil der Keramik datiert wahrscheinlich in die vorrömische Eisenzeit und die römische Kaiserzeit. Den Hauptanteil der Funde in den Baubefunden und Grabenverfüllungen stellen früh- bis hochmittelalterliche Kugeltöpfe. In einem der mittelalterlichen Gru- benhäuser (Befund 2) fand sich ein Terra Sigillata-Splitter. Durch die mittel- alterliche Nutzung und Erosion wurden offensichtlich eisenzeitliche und kai- serzeitliche Siedlungsreste an diesem Platz weitgehend zerstört. Die Siedlung in Beuna, Saalekreis, liegt auf einem sanften Südhang über der Geisel und lieferte jüngerkaiserzeitliches Fundmaterial. Die beiden erfass- ten Gräben (Abb. 12) gehörten zu einer befestigten slawischen Siedlung und bestanden nacheinander in zwei verschiedenen Siedlungsphasen. Der äußere Graben stammt aus dem 8.–10. Jh. n. Chr., der jüngere, innere Graben kann nach den Funden bis in das 12. Jh. n. Chr. bestanden haben. In noch jüngere Zeit gehören zwei beigabenlose Skelettgräber, die die älteren frühmittelalter- lichen Befunde überlagern. Kooperationspartner: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Landesmuseum für Vorgeschichte (U. Schwarz) • Leitung des Projekts: C.-M. Hüssen • Mitarbeiter: J. Weinig • Abbildungsnachweis: DAI, RGK (Abb. 12).

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Römische Feldlager in der Slowakei, Römische Feldlager in der Slowakei Hviezdoslavov Zur Erforschung römischer Feldlager in der Slowakei fanden in diesem Jahr drei Untersuchungen statt. In Hviezdoslavov, Kreis Dunajská Streda, wurde Abb. 13 Kreis Dunajská Streda, Graben- profil des römischen Lagers ein mindestens 20 ha großes Lager auf der Großen Schüttinsel prospektiert. Der Graben wurde an der Nord- und Westseite durch zwei Schnitte erfasst, Abb. 14 Kreis Nové Zámky, Arbeiten an die Profile wurden dokumentiert (Abb. 13). Der bis zu 4,20 m breite, noch der Westseite des römischen Lagers 2 2 m tiefe Graben war natürlich verfüllt und lieferte zwei Bodenscherben ei- nes römischen Gefäßes. Ein längerer Suchschnitt zur Feststellung des Graben- verlaufs im Süden erhärtete die Annahme, dass hier der Graben bereits von einem Altlauf der Donau abgetragen war. In Mužla-Jurský Chlm, Kreis Nové Zámky, wurden anhand der Ergebnisse einer vorausgegangenen geophysikalischen Prospektion zwei Flächen an der West- und Nordseite des Lagers 2 ausgesteckt (Abb. 14). In den geöffneten Flä- chen zeichneten sich der Lagergraben sowie einige Pfostengruben und Gru- ben deutlich ab. Am nördlichen Lagergraben konnte eine zweite Bauphase festgestellt werden, die für eine längere oder wiederholte Nutzung der Anlage spricht. Parallel zu diesem Graben konnte außerdem im Inneren ein schmales, seichtes Gräbchen nachgewiesen werden, das wahrscheinlich den hinteren Ab- schluss der römischen Wallkonstruktion markiert. Im Lager Suchohrad-Karolov Dvor, Kreis Malacky, im Marchtal fanden geomagnetische Messungen und eine Sondierungsgrabung mit drei Schnitten durch den auf rund 120 m Länge verfolgbaren Lagergraben statt. Der Graben war 2–2,50 m breit und noch ca. 1,20 m tief erhalten. Außerdem fanden sich Spuren einer germanischen Siedlung sowie Siedlungsreste der Latènezeit und des frühen Mittelalters. Kooperationspartner: Archäologisches Institut der Slowakischen Akade- mie der Wissenschaften in Nitra (J. Rajtar) • Leitung des Projekts: C.-M. Hüs- sen • Mitarbeiter: M. Bernát (Universität Trnava), A. De Raymaeker, B. van Daele und Y. Schrever (Universität Leuven), J. Tirpak, Studierende der Uni- versität Bamberg • Abbildungsnachweis: DAI, RGK (Abb. 13. 14).

Ulpiana/Justiniana secunda-Gracanica (Kosovo) Im Kosovo fanden an zwei römischen Siedlungen Prospektionen statt. Un- tersucht wurden der römische Vicus Vindenis bei Gllamnik (Municipality

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Abb. 15 Ulpiana/Justiniana secunda- Gracanica (Kosovo), geophysikalische Prospektion

of Podujevo) und die römisch-frühbyzantinische Stadt Ulpiana/Justiniana secunda (Municipality of Priština). Die zunächst für Ulpiana geplanten geophysikalischen Untersuchungen mussten wegen der politisch instabilen Lage kurz nach der Unabhängigkeits- erklärung der Republik Kosovo auf die in den antiken Schriftquellen über- lieferte Siedlung/Straßenstation Vindenis bei Gllamnik verlegt werden, wo eine Fläche von rund 11 ha geomagnetisch untersucht wurde. Hierbei konnte erstmalig die römische Fernstraße von Lissus (Lissos, Lezha, Albanien) nach Naissus (Nis, Serbien) auf einer Länge von 475 m nachgewiesen und entlang der Nordost-Südwest verlaufenden Straße der nördliche Bereich des Straßen- vicus erfasst werden. Rund 150 m westlich des genannten Areals ist unter den geomagnetischen Anomalien der Grundriss eines Gebäudekomplexes zu er- kennen, der vorläufig als Thermenanlage interpretiert werden kann. Überra- schend ist durch die Messungen im nördlichen Anschluss an die Vicusbebau- ung ein spätrömisches Castrum entdeckt worden. Die quadratische Anlage mit 150 m Seitenlänge besitzt eine Wehrmauer, die ca. 2,90 m stark ist. Im Inne- ren der Befestigung ist unter den geomagnetischen Anomalien im Süden min- destens ein 20 m × 7 m großes Steingebäude erkennbar. Im Nordosten wurde ein weiterer Gebäudekomplex von ca. 33 m × 30 m Größe festgestellt. Anschließend wurden geomagnetische Prospektionen und ein vorberei- tender Testsurvey in Ulpiana sowie dem näheren Umfeld von Priština unter- nommen. Die Arbeiten wurden von Filmaufnahmen für den ZDF-Zweitei- ler »Der Limes« sowohl in Ulpiana als auch in dem Bergbaurevier um Novo Brdo begleitet, dessen Pingenfelder und Schachteingänge dabei im Rahmen dieses Projekts erstmals besichtigt werden konnten. Weitere Exkursionen zu römisch-byzantinischen Fundorten sowie Höhenbefestigungen im östlichen Landesteil des Kosovo dienten dazu, einen Überblick über die Siedlungsto- pographie dieser Kleinregion zu erhalten. Neben den Prospektionen wurden beratend die Ausgrabungen des Museums Kosovo im Zusammenhang des Summercamp 2008 in Ulpiana unterstützt. Für die Umsetzung des digitalen Gesamtplans wurden nochmals in detaillierter Form die heute zugänglichen, restaurierten Gebäudegrundrisse der Ausgrabungen aus den 1980er Jahren unter Anwendung eines differentialen GPS-Systems aufgemessen. Schließlich wurden die vom Frühjahr verschobenen geophysikalischen Messungen (Abb. 15) im Stadtareal von Ulpiana umgesetzt. Insgesamt konn- te mit dem Multisonden-Anhänger eine Fläche von 25 ha geomagnetisch gemessen werden. Zusätzlich wurde erstmals im Kosovo an drei Stellen des Siedlungsbereiches Georadar eingesetzt. Neben dem erfassten Stadtmauerver- lauf des römischen Municipiums sind größere zusammenhängende Flächen im

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Stadtinneren untersucht worden, die Aufschluss über Straßenverläufe und Par- zellenstruktur ermöglichen. Nördlich des eigentlichen, durch die Stadtmauer umgrenzten Areals konnte erstmals ein weiteres Stadtquartier extra muros ent- deckt werden. Starke, kreisrunde Anomalien lassen dort auf Produktionsan- lagen in Form von Öfen schließen. In Teilen wurde das nördliche Gräberfeld durch die Prospektionsflächen erfasst. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die Untersuchungen im Bereich des 100 m nordöstlich von Ulpiana gelege- nen spätrömischen Castrums. Neben der Erfassung der Süd- und Ostumweh- rung war es möglich, die innere südliche Hälfte der Anlage zu prospektieren. Durch die Prospektionskampagne ist nunmehr von einer Gesamtausdehnung der römisch-frühbyzantinischen Stadtanlage von mindestens 60 ha auszugehen. Kooperationspartner: Institut für Geowissenschaften der Christian-Alb- rechts-Universität zu Kiel; Archäologisches Institut Kosovo; Museum Koso- vo; Ministerium für Kultur, Jugend und Sport Kosovo; Institut für Denk- malschutz Kosovo; Unabhängige Kommission für Mineralien und Bergbau Kosovo • Förderung: Stabilitätspakt • Leitung des Projekts: F. Lüth • Mit- arbeiter: M. Helfert, Fa. SENSYS, Sensorik & Systemtechnologie GmbH, Bad Saarow • Abbildungsnachweis: DAI, RGK (Abb. 15).

Geophysikalische Prospektionen in Rumänien Gegenstand des Projekts war die Überprüfung der genauen Position, Ausdeh- nung und Qualität der noch erhaltenen Befunde in dem römischen Auxiliar- lager von Livezile, C‡lug‡reni, Inl‡nceni, Bretcu¸ sowie in der Zivilsiedlung bei Brâncoveneşti (Abb. 16). Hierbei handelt es sich um ausgewählte Plätze aus dem ca. 150 km langen Grenzabschnitt der römischen Provinz Dacia, entlang

Abb. 16 Geophysikalische Prospektionen in Rumänien, Karte der römischen Provinz Dacia. Die Lage der untersuchten Lager am Westabhang der Ostkarpaten

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dem Westabhang der Ostkarpaten, zwischen dem Rodna-Pass im Nordwesten Abb. 17 Geophysikalische Prospektionen und dem Oituz-Pass im Südosten. in Rumänien, Breţcu. Verschiedene geophy- In vier Kastellen wurden die Umwehrungsmauer und zum Teil die Innenbe- sikalische Untersuchungen am römischen Lager verweisen auf die Möglichkeiten bauung dokumentiert. Dazu wurde ein Magnetometer-Array mit sechs Sonden künftiger Ausgrabungen. Deutlich der Firma Dr. Foster eingesetzt. Zur Überprüfung einiger unklarer Strukturen zeichnen sich Mannschaftsunterkünfte wurden Georadarmessungen mit einer 200 Mhz Antenne durchgeführt. und die principia ab (M. 1 : 2500) In dem Holz-Erde-Kastell von Livezile deutet eine starke Anomalie auf ein zweiräumiges Steingebäude mit einer apsidenförmigen Wand. Die Untersu- chung in der Zivilsiedlung des Kastells von Brâncoveneşti ergab dagegen kei- ne erkennbaren Hausstrukturen. In dem Magnetometerplan von Bre¸tcu (Abb. 17) spiegeln sich detailreich die Anzahl und genaue Position der Mannschafts- unterkünfte. Mittels Georadar wurde hier die Anwesenheit einer zweiten Be- festigungsmauer bestätigt, die von der vorherigen Forschung nur vermutet

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Abb. 18 Geophysikalische Prospektionen wurde; in einer zweiten Georadar-Messfläche konnte die Innenbebauung öst- in Rumänien, Călugăreni. In der Geomagne- lich der principia konkretisiert werden. tik zeichnen sich alle für ein Auxiliarkastell Viel versprechend für die zukünftigen Untersuchungen sind die Ergebnisse typischen Bestandteile ab (M. 1 : 2500) in C‡lug‡reni (Abb. 18). Von der Umwehrung sind (zumindest in Teilen) alle vier Seiten nachgewiesen; neben der Befestigungsmauer ist auch der parallel verlaufende Graben zu erkennen. Zur Befestigung zählten die auf der inneren Seite der Mauer gebauten Eck- und Zwischentürme. Gut sichtbar sind auch zwei Tore (decumana und principalis dextra) und die wichtigsten Abschnitte des Straßensystems. Der Magnetometerplan von C‡lug‡reni liefert Informationen zur Größe und Position der principia, des Praetoriums sowie der beiden nörd- lich der principia gebauten horrea. Außerdem lassen sich mindestens acht Mann- schaftsbaracken erkennen. Die Wasserentsorgung des Kastells erfolgte über ein Wassergräbchen, das aller Wahrscheinlichkeit nach unter dem nordwestlichen Eckturm die Befestigung verließ. Die Badeanlage des Kastells befand sich au- ßerhalb der Umwehrung in der Nähe des Flusses Niraj. Somit ermöglicht der Magnetometerplan die Feststellung, dass das Kastell von C‡lug‡reni dem Ideal- bild der Inneneinteilung eines römischen Auxiliarlagers entspricht. Kooperationspartner: Institut für Geowissenschaften der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel (H. Stümpel); Universität Chişin‡u (Repub- lik Moldau); Rumänische Akademie Cluj-Napoca (S. Cociş, S. Ferencz); Bezirksmuseen Bistrita¸ und Târgu Mureş (C. Gaiu, N. Man) • Förderung: Stabilitätspakt • Leitung des Projekts: F. Lüth • Mitarbeiter und Mitar- beiterinnen: A. Popa, N. Schücker, G. Rasbach, Studierende der Universität Chişin‡u, unter der Leitung von Sergiu Mustea¸t‡ • Abbildungsnachweis: DAI, RGK (Abb. 16–18).

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Romuliana-Gamzigrad (Serbien) Im Umfeld des spätantiken Kaiserpalastes Romuliana bei dem Dorf Gamzi- grad, Bezirk Zaječar, in Ostserbien fanden in diesem Jahr sowohl archäologi- sche als auch verschiedene geomagnetische Untersuchungen statt. Zwei der Ziele waren die Erweiterung der geomagnetisch prospektierten Flächen westlich und südlich sowie eine Vervollständigung der Flächen nörd- lich und nordwestlich des Palastes um die Teile, die in den bisherigen Messkam- pagnen wegen landwirtschaftlicher Nutzung nicht zugänglich waren. Insge- samt wurden in dieser Kampagne ca. 13,2 ha Fläche geomagnetisch kartiert. Südlich der bereits 2004 untersuchten Fläche wurden magnetische Anoma- lien von mehreren verstreut liegenden Gebäudefundamenten festgestellt. Der größere Teil der Fläche wird von einem alten Bachbett mit beiderseits erkenn- baren Überschwemmungszonen eingenommen. Westlich des Palastes konnten der bereits bei den Messungen im vergan- genen Jahr erkannte Grundriss einer Basilika mit Apsis, die von einer Mauer umgeben ist, vervollständigt und zwei weitere Gebäude mit ähnlichem Grund- riss neu aufgenommen werden. Auf der Nordfläche wurde die tabernenartige Bebauungsstruktur östlich des im Vorjahr detektierten dreischiffigen Großbaus weiter nach Süden ver- folgt. Annähernd parallel dazu verläuft eine Umfassungsmauer, die anschei- nend durch einen von zwei rechteckigen Strukturen flankierten Durchlass un- terbrochen ist. Damit zeichnet sich auf diesem Areal eine ummauerte Fläche von etwa 300 m × 250 m ab, deren südlicher Abschluss vermutlich durch die Nordmauer des Palastes unterbrochen ist. Zusätzlich wurden durch die Firma SENSYS GmbH weitere Teilflächen mit einer Gesamtfläche von 8,11 ha sondiert. Sie lagen überwiegend nördlich des Kaiserpalastes, einzelne Flächen auch südlich und östlich. Großflächig vorhandene, intensive geomagnetische Anomalien, die vermutlich auf Abla- gerungen ferromagnetischer Materialien (z. B. eisenhaltige Schlacken) zurück- zuführen sind, beeinträchtigen die Kompensierbarkeit der Messdaten. Auf zwei Flächen konnten deutlich erkennbare Baustrukturen festgestellt werden. Zum einen handelt es sich um vermutliche Grundmauern eines großen Gebäudes mit den Abmessungen 12 m × 30 m, das sich am westlichen Rand der Untersuchungsfläche erstreckt, zum anderen um die vermutlichen Grund- mauern von zwei Gebäuden mit den Abmessungen von ca. 8 m × 12 m (mehr- fach unterteilt) und 4 m × 8 m (einfach unterteilt). Dazu kommen mehrere geomagnetische Anomalien. Archäologische Sondierungsgrabungen fanden auf der geomagnetisch pro- spektierten Fläche nördlich des Palastes statt. Insgesamt wurden sechs Son- dageschnitte bis zum anstehenden Boden abgetieft. Mit mehreren Schnitten sollte die stratigraphische Verbindung zwischen dem im Vorjahr detektierten dreischiffigen Großbau (horreum), den östlich davon befindlichen tabernen- artigen Gebäudestrukturen und der östlichen Umfassungsmauer untersucht werden (Abb. 19). Während die freigelegten Mauerabschnitte des Großbaus einschließlich der massiven Fundamente und die Umfassungsmauer um etwa 12 Grad aus ihrer ursprünglichen, senkrechten Position nach Osten abgekippt waren, standen die wesentlich schmaleren und weniger stabil ausgeführten Fundamente der Tabernenmauern noch aufrecht. Die aus dieser Beobachtung abgeleitete Vermutung, dass die Tabernen nach der Zerstörung des Großbaus errichtet worden seien, konnte durch die Profilbefunde zwar erhärtet, aber noch nicht schlüssig bewiesen werden. Ein weiterer Schnitt sollte zur Klärung einer aus zwei gleichgroßen raum- artigen Strukturen zusammengesetzten Anomalie etwa 45 m östlich des im

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Abb. 19 Romuliana-Gamzigrad (Serbien), Vorjahr sondierten Rundmonumentes beitragen. Zwar konnten Raummau- geomagnetische Aufnahme des nördlich ern entsprechend der geomagnetischen Gradientenkarte verifiziert werden, an den Palast anschließenden Geländes. aber außer einigen pflasterartig angeordneten Ziegelplatten und Bruchsteinen Zu erkennen sind eine Befestigung mit einem Tor im Südosten, eine 200 m lange konnte kein zugehöriger Laufhorizont erfasst werden, und die sehr dünne Raumflucht sowie ein großes dreischiffiges Schuttschicht enthielt auch keine aussagekräftigen Fundstücke. Gebäude (M. 1 : 5000) Außerdem wurde die Verbindung des Südendes der zusammen mit dem Großbau angeschnittenen Tabernen mit einem anschließenden, ebenfalls tabernenähnlichen Bauwerk mit abweichender Innengliederung untersucht. Am Südende bestätigte sich die bereits im geomagnetischen Messbild erkenn- bare Störung der Baustruktur. Im nördlichen Teilschnitt zeichnete sich eine Schuttschicht von ähnlicher Struktur wie in Schnitt 08/1 ab, in welche die Südmauer der Tabernen einschneidet. Zur weiteren Klärung dieses Befundes wurden geomorphologische Bohrungen durchgeführt. Kooperationspartner: DAI, Zentrale, Architekturreferat (U. Wulf-Rheidt); Archäologisches Institut Belgrad (S. Petković); Lehrstuhl für Archäologie der Universität Belgrad (M. Milinković); Museum Zaječar (M. Živić) • Leitung des Projekts: G. Sommer von Bülow (Archäologie), U. Wulf-Rheidt (Baufor- schung), T. Schüler (Weimar, Geophysik) • Mitarbeiter und Mitarbeiterin- nen: D. Dimitrova, H. Ivanova, G. Breitner (Trier, Bearbeitung der Bauorna- mentik), S. Conrad (Leipzig, Durchführung eines Workshops und Bearbeitung der spätantiken Keramik), M. Opelt (Jena, geophysikalische Untersuchungen),

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B. Schütt (Institut für Geographische Wissenschaften, Fachrichtung Physische Geographie der Freien Universität Berlin), P. Grunwald (Berlin, Photograph), Fa. SENSYS GmbH, Studierende der Universitäten Berlin und Heidelberg • Abbildungsnachweis: DAI, RGK, T. Schüler, J. Köhler (Abb. 19).

Friedrichsruhe, Mecklenburg-Vorpommern Der Burgwall: Durch zwei Schnitte im Innenraum des slawischen Burgwalls sollten Hinweise zu Besiedlungsablauf und -struktur im Inneren gewonnen werden, darüber hinaus stand die Frage nach dem Zeitpunkt der Auflassung des Burgwalls im Vordergrund. Ein Schnitt in der Verlängerung des bestehenden Burgwallprofils erbrachte Reste von Siedlungsschichten sowie einzelne Steinsetzungen und Feuerstel- len. Inwieweit diese Befunde der ehemaligen Bebauung zugeordnet werden können, bleibt aufgrund der zahlreichen Störungen jedoch nur zu vermuten. Von Bedeutung ist, dass hier der Übergang des sandigen Altmoränenrückens, auf dem der Großteil des Siedlungskomplexes liegt, zum Niederungsbereich deutlich erfasst werden konnte. Der Burgwall lag – wie bereits die Grabungen der Vorjahre zeigen konnten – nur teilweise auf diesem Rücken; die nördli- chen Bereiche der Befestigung wurden dagegen auf Torf errichtet. Im Profil (Abb. 20) konnten dabei die ältesten Torfschichten im Bereich des Fundplatzes

Abb. 20 Friedrichsruhe (Landkreis Parchim), Schnitt im Bereich des abgetra- genen Innenraums des Burgwalls. Neben den slawischen Siedlungsschichten ist deutlich die Lage des Burgwalls auf dem Altmoränenrücken zu erkennen, der nach Norden hin in die Niederung abfällt (Bildmitte). Aus den auf dem Moränen- rücken ziehenden Torfschichten konnten zahlreiche neolithische Funde geborgen werden

dokumentiert und für 14C-Analysen beprobt werden. Aus den Torfschichten stammen mehrere Flintartefakte, darunter ein geschliffenes Flintbeil. Ein weiterer Schnitt sollte den ungestörten Bereich des Burgwalls unmit- telbar im Hinterfrontbereich klären. Die obersten Schichten, wohl Reste der abgeflossenen Wallschüttung, waren stark durch Bioturbation gestört. Darunter befand sich ein Schichtpaket von aufeinander folgenden Siedlungs- und Auf- schüttungsschichten. Allerdings erwiesen sich auch diese Bereiche als zumeist gestört. Auf der Schnittsohle kamen Reste von zwei größeren Gruben zu Ta- ge, die vorläufig zur ältesten slawischen Besiedlung auf dem Fundplatz ge- rechnet werden (Abb. 21. 22); sie wurden archäobotanisch beprobt. Die Vorburgsiedlung: Der in der Geophysik erkennbare Verlauf der Befes- tigung konnte durch mehrere Suchschnitte verifiziert und der Erhaltungs- zustand der Konstruktion bestimmt werden. Die Untersuchungen ergaben,

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Friedrichsruhe (Landkreis Parchim), Innen- raum des Burgwalls

Abb. 21 Grubenbefunde auf der Sohle des Schnitts

Abb. 22 Bronzene Attasche vermutlich karolingischer Herkunft aus einer der Gruben (ca. M. 1 : 2)

21

dass die Erhaltungsbedingungen in den südlichen Bereichen des Fundplatzes wesentlich schlechter waren als in den nördlichen und östlichen Arealen. Die landwirtschaftliche Nutzung, vor allem jedoch die Meliorationsmaßnahmen der 1970er Jahre führten zur weitgehenden Zerstörung der archäologischen Befunde. Von der Befestigung der Vorburgsiedlung waren deswegen nur noch Pfostenstellungen und wenige Holzreste erhalten. Schnitte im Zentrum und im Süden der Vorburgsiedlung zeigten, dass auch die südlichen Areale der Siedlung bereits weitgehend zerstört sind; nur wenige Reste der ehemaligen Besiedlungen konnten dort nachgewiesen werden. Die zentralen Areale der Vorburgsiedlung wiesen dagegen eine wesentlich bessere Befunderhaltung auf. Dort bestand ursprünglich eine Senke, in der die Befunde erhalten geblieben sind. Sie wurde überlagert von Auftragsschichten, die bei 22 Planierarbeiten der 1970er Jahre im Bereich des Fundplatzes entstanden sind. Überwiegend konnten Reste einer zusammenhängenden Kulturschicht auf- gedeckt werden, in die mehrfach Steinsetzungen eingelagert waren, darunter eine rechteckige, etwa 3 m × 1,50 m messende. Die Funktion dieses Befundes ist derzeit noch unklar, vermutlich handelt es sich um Reste eines Arbeitsplat- zes. Wiederholt fanden sich in den Schichten auch Feuerstellen; Reste von Ge- bäuden zeichneten sich nicht ab. Ein weiterer Schnitt gab Hinweise auf Maß- nahmen zur Erschließung des Siedlungsareals. So konnte im Bereich der ver- torften Senke eine flächige Holzabdeckung (Abb. 23) nachgewiesen werden,

Abb. 23 Friedrichsruhe (Landkreis Parchim), Vorburgsiedlung. Reste einer flächigen Holzabdeckung im Bereich einer vertorften Senke im zentralen Siedlungs- areal. Derartige Erschließungsmaßnahmen führten zur Trockenlegung des Areals und ließen eine anschließende Besiedlung zu

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die mit Sand überschüttet worden war. Dies führte zur Trockenlegung der Senke und ermöglichte eine anschließende Besiedlung des Areals. Funde: Die Keramik ist hauptsächlich der mittelslawischen Menkendorfer Ware zuzuordnen; nach wie vor fehlt jungslawische Gurtfurchenkeramik. Un- ter den Kleinfunden dominieren Spinnwirtel (58 Objekte) und Wetzsteine. Her- vorzuheben sind 64 Perlen aus Glas, Bernstein, Karneol und Bergkristall, die durch das systematische Ausschlämmen der Siedlungsschichten geborgen wur- den. Damit liegen insgesamt über 120 Perlen aus Friedrichsruhe vor. Erwäh- nenswert sind zudem das Fragment einer bronzenen Ringfibel sowie mehre Abb. 24 Friedrichsruhe (Landkreis Geweihobjekte, die auf eine lokale Geweihverarbeitung schließen lassen (Abb. Parchim), Vorburgsiedlung. Geweihstange 24). Bei einem größeren Bronzeobjekt aus dem Burginnenraum könnte es sich in Fundlage aus der Siedlungsschicht ebenfalls um eine Fibel handeln. Darüber hinaus wurden abermals zahlreiche Fundstücke geborgen, die dem Neolithikum zugeordnet werden können, dar- unter befinden sich Klingen, Klingengeräte und ein geschliffenes Flintbeil. Kooperationspartner: Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin; Universität Hamburg; Georg-August-Universität Göttingen; Westfälische Wilhelms-Universität Münster; Universität Rostock • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: F. Lüth • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: S. Messal (DFG), Studierende der Universitäten Berlin, Leipzig, Hamburg und Prak- tikanten des Landesamts für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vor- pommern, es wurden außerdem zwei Lehrgrabungen der Universität Rostock (Leitung H. Jöns) und der Universität Münster (Leitung F. Nikulka) sowie ein bodenkundliches Praktikum (Leitung H. Lübke) durchgeführt • Abbildungs- nachweis: DAI, RGK (Abb. 20–24).

Wiskiauten, Siedlungsarchäologische Forschungen zur Wikingerzeit im Kaliningrader Gebiet (Russische Föderation) Ziel der Forschungen ist die Auffindung von Siedlungsspuren, die zeitlich zu den über 500 Hügelgräbern in einem kleinen Wäldchen 3 km südlich der Ostsee am Fuße der Kurischen Nehrung passen. Aus diesen Gräbern sind seit 1865 zahlreiche skandinavische Beigaben ausgegraben worden, die zusammen mit den vom ansonsten in der Region üblichen prussischen Flachgrabritus abweichenden Hügelgräbern zu der Interpretation führten, bei Wiskiauten/ Mohovoe müsse zwischen 850 und 1050 n. Chr. ein Handelsplatz von Skan- dinaviern, vermutlich aus der Mälarseeregion um Birka, existiert haben. Inzwischen ergibt sich folgendes Bild (Abb. 25): Neben vereinzelten Be- funden aus der Stein-, Bronze- und vorrömischen Eisenzeit, die sich haupt- sächlich östlich und nordöstlich der Nekropole konzentrieren, ist ein Großteil der Befunde dem Zeitraum zwischen dem 6. und 8. Jh. n. Chr. zuzuweisen. Sie liegen zwischen dem Gräberfeld und der 1 km östlich gelegenen Küste eines heute verlandeten Sees mit Verbindung zum Schifffahrtsraum Kurisches Haff/Ostsee. Auch das 11. und 12. Jh. n. Chr. sind überdurchschnittlich stark repräsentiert. Siedlungsspuren dieser Zeit finden sich im Süden und Norden des Hügelgräberfeldes. Beide Zeiträume treten auch durch spezifische Ober- flächenfunde in Erscheinung. Siedlungsspuren aus dem 9. und 10. Jh. n. Chr. sind dagegen bislang nur durch vereinzelte 14C-Proben nachzuweisen. 2008 wurden mehrere kleine Ausgrabungen und Sondagen angelegt, um das bisherige Bild zu überprüfen. Im Osten gehören Siedlungsgruben, eine Pfos- tenstandspur mit verkohltem Pfostenrest und Verkeilsteinen sowie eine gra- benartige Struktur dem Zeitraum des 6.–8. Jhs. n. Chr. an. Zugehörige Funde sind neben geringen Resten von produzierendem Gewerbe in Form von Guss- tiegelfragmenten die sehr unspezifische handgemachte Keramik, die ohne 14C- Datierungen kaum eine zeitliche Einordnung erlaubt. Im gleichen Areal sind

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Abb. 25 Wiskiauten (Russische Födera- über Kulturschichten des Neolithikums und der Bronzezeit zudem Siedlungs- tion), Übersicht über die bislang lokali- horizonte der Zeit zwischen dem 8. und 10. Jh. n. Chr. lokalisiert worden, die sierten Siedlungsareale in der Umgebung ebenfalls naturwissenschaftlich zu datieren waren. Die Siedlungstätigkeit in dem des frühmittelalterlichen Gräberfeldes (M. 1 : 20 000) Areal lässt sich nunmehr auf die gesamte 2. Hälfte des 1. Jts. n. Chr. ausweiten. Auch im Nordwesten, in ca. 1 km Entfernung zur Hügelgräbernekropole, existieren Siedlungsspuren aus diesem Zeitraum. Bisher waren nur Kulturho- rizonte der Zeit des 7.–8. Jh. n. Chr. mit geringen Hinweisen auf das 9. und 10. Jh. n. Chr. nachgewiesen. Eine 2008 aufgedeckte Herdstelle datiert in das 5.–7. Jh. n. Chr. und zeigt an, dass der Siedlungsprozess hier ebenfalls schon frü- her begonnen haben könnte. Nur 200 m weiter östlich, knapp südlich des frü- heren Ortes Wosegau (heute Vishnevoe), der in historischen Quellen ab dem 14. Jh. n. Chr. auftaucht, ist eine von Steinen umrahmte Grube (Abb. 26) teil- weise aufgedeckt worden. Vermutlich handelt es sich um einen Brunnen oder einen Keller. Ein Fragment eines Kammfutterals gibt in Kombination mit der

Abb. 26 Wiskiauten (Russische Födera- tion), Brunnen oder Kelleranlage des 12. Jhs. n. Chr. im Norden des Hügel- gräberfeldes

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häufigen Drehscheibenkeramik mit Gurtfurchenzier Anlass für eine Datie- rung ins 12. Jh. n. Chr. Die Grabungen dieses Jahres bestätigen demnach das bisher gewonnene Bild. Schon vor der vermuteten Ankunft der Skandinavier befanden sich bei Wiskiauten/Mohovoe mindestens zwei kleinere Siedlungen nordwestlich und östlich des später angelegten Gräberfeldes. Sie könnten auch im 9. und 10. Jh. n. Chr. existiert haben, wofür aber bislang – abgesehen von den 14C-Daten – klare Beweise fehlen. Der Befund des 12. Jhs. n. Chr. in einem Areal, das schon vorher durch Bohrungen und Ausgrabungen in die Zeit des 11.–13. Jhs. n. Chr. datiert war, beweist aufs Neue, dass die Siedlungsaktivitäten in der Umgebung der Hügelgräbernekropole auch nach deren Belegungsende weitergingen. Gräber zu dieser Spätphase könnten sich in einem bisher nur un- sicher ins 11.–13. Jh. n. Chr. datierten, separierten Bestattungsplatz mit typisch prussischen Brandbestattungen und Pferdebestattungen in Flachgräbern ver- bergen, der sich im Osten an das Hügelgräberfeld anschließt. Für die 2. Hälfte des 1. Jts. n. Chr. fehlen dagegen bisher jegliche Hinweise auf Bestattungen. Kooperationspartner: Archäologisches Landesmuseum Schleswig, Stiftung Schleswig-Holsteinischer Landesmuseen Schloß Gottorf; Baltische Expedition des Archäologischen Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: T. Ibsen (Schleswig) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: Studierende der Universitäten Kiel und Kaliningrad • Abbildungsnachweis: T. Ibsen (Abb. 25. 26).

Sitzungen und wissenschaftliche Veranstaltungen

Die Jahressitzung fand unter Vorsitz von Herrn Lüth am 21. Februar in der Römisch-Germanischen Kommission statt. Dabei wurden 14 Gelehrte zu Kor- respondierenden Mitgliedern des Deutschen Archäologischen Instituts gewählt. Es fanden neun Vortragsveranstaltungen statt. Die Kommission war ferner Gastgeber für mehrere Kolloquien und Arbeitsgespräche.

Veröffentlichungen

Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 87, 2006 Limesforschungen 28. Iatrus-Krivina VI: G. von Bülow – B. Böttger – S. Con- rad – B. Döhle – G. Gomolka-Fuchs – E. Schönert-Geiss – D. Stančev – K. Wachtel, Iatrus-Krivina – Spätantike. Befestigung und frühmittelalterliche Siedlung an der unteren Donau. Ergebnisse der Ausgrabungen 1992–2000. Mit Beiträgen von N. Benecke – M. Daszkiewicz – M. Lazarova – R. Neef – Ch. J. Raub – G. Schneider – J. Skoczylas Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte 11: J. Bemmann – M. Schmauder (Hrsg.), Kulturwandel in Mitteleuropa. Langobarden – Awaren – Slawen. Akten der Internationalen Tagung in Bonn vom 25. bis 28. Februar 2008 Internet-Zeitschrift 6/2008: St. Klooß – H. Lübke, Steinzeit in der Wismarbucht

Stipendien

Auf der Jahressitzung 2008 wurde je ein halbes Reisestipendium Anja Hell- muth (Berlin), Luc Moreau (Tübingen), Roland Müller (Tübingen) und Sil- viane Scharl (Berlin) zuerkannt.

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Abteilung Kairo Direktoren Prof. Dr. Günter Dreyer, Erster Direktor (bis 31. 10.) 31, Sharia Abu el-Feda PD Dr. Daniel Polz, Wissenschaftlicher Direktor (Kommissarischer Direktor, ab 1. 11.) ET-11211 Kairo-Zamalek Tel.: +20-(0)2-2735 14 60, 2735 2321 Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterin Fax: +20-(0)2-2737 07 70 Dr. Ulrike Fauerbach, Dr. Ulrich Hartung, Dr. Dietrich Raue E-Mail: [email protected] Auslandsstipendiat Dr. Ralph Bodenstein (bis 28. 2., ab 1. 3. Wissenschaftlicher Mitarbeiter als DAAD- Fachlektor für Islamische Architekturgeschichte, University)

Wissenschaftliche Hilfskräfte Nicole Kehrer M. A. (bis 31. 5.), Susann Harder M. A. (ab 1. 4.)

Abteilung Kairo

Ausgrabungen und Forschungen

Elephantine Die Siedlung Elephantine, gelegen auf einer Nilinsel gegenüber der modernen Großstadt Assuan, verdankt ihre Existenz und Entwicklung der geostrategi- schen Lage als Grenzpunkt des ägyptischen Territorialstaates. Für das gesamte Land war die Qualität der jährlichen Nilflut von ausschlaggebender Bedeu- tung. Daher erhielt der Kult der Göttin Satet, die mit dem Flutgeschehen in Verbindung gebracht wurde, eine größere Aufmerksamkeit, als man es unter anderen Umständen von dem spirituellen Mittelpunkt einer relativ kleinen Siedlung (ca. 200 m Durchmesser) in Ägypten erwarten würde. Die baugeschichtliche Entwicklung des Tempels, der von seinen Anfängen in einer Felsnische um 3300 v. Chr. bis hin zum letzten ptolemäischen Neubau um 150 v. Chr. untersucht werden konnte, wurde vor längerer Zeit in den we- sentlichen Zügen geklärt. Dagegen blieben die Analyse der Funde und die Ein- bindung des Heiligtums in die Stadttopographie ein Desiderat. Auch seltsame Befunde im rückwärtigen Teil des Tempels wie z. B. eine merkwürdige Ein- schnürung des Stadtmauerverlaufes des früheren 3. Jts. v. Chr. und ihre spätere Zusetzung blieben ungeklärt. Hier bestand die Hypothese, eine Flutkultstätte des 3. Jts. als Ursache für diese bauliche Besonderheit heranzuziehen. Im Rahmen des Forschungsclusters 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kon- tinuität und Veränderung« des DAI wurden diese Fragestellungen in Angriff ge- nommen. Zum Ende der diesjährigen Frühjahrsarbeiten wurde deutlich, dass der Stadtmauerverlauf nicht auf eine Hofsituation, sondern auf eine ganz be- sondere Felsformation Bezug nimmt. Mit Rücksicht auf die noch immer ange- nommenen bedrohlich hohen Flutpegel des Nils bemühte sich die Stadtmauer des früheren 3. Jts., eine halbkreisförmige Felsformation als Baugrund zu nut- zen. Mit den sinkenden Pegeln des 3. Jts. fiel um 2400 v. Chr. die Entscheidung, den alten Mauerverlauf aufzugeben und mit einem Neubau der Stadtmauer auf breiter Front gut 20 m Stadtfläche hinzuzugewinnen. Hierfür wurde ein neuer, bisher noch unbekannter Stadtmauerzug errichtet, dessen bis zu 1,50 m mächtige Fundamentierung aus Rosengranitplatten bestand (Abb. 1). Den gewaltigen Bedarf an Auffüllmaterial deckte die Bauplanung durch Materialabtragungen der Schichten des mittleren 3. Jts. aus der unmittelbaren Tempelumgebung wie auch aus dem Tempel selbst. Dies erwies sich als aus- gesprochener Glücksfall, denn somit konnte ein in der Grabung bisher wenig bekannter Ausschnitt der Kultausstattung und des Votivwesens erfasst werden. Von besonderem Interesse sind hier die Fragmente eines polychromen Wand- verputzes aus dem Tempel (Abb. 2) und eine Anzahl von sog. Igelbooten aus Lehm, die als Votivgaben im Zusammenhang mit dem Wunsch nach sicherer Flussfahrt im Kataraktengebiet interpretiert werden können. Erstmals konnte auch für die fortgeschrittene 5. und 6. Dynastie (2400–2250 v. Chr.) die Prä- senz von libanesischen Amphoren der Frühbronze-III-Kultur aus dem Raum Byblos und Sidon nachgewiesen werden. Inschriften der Folgezeit aus den Gräbern der Expeditionsleiter lassen vermuten, dass es vor allem diese Perso- nengruppe ist, die bei der Abwicklung des Fernhandels aus weit entfernten Regionen Luxusgüter wie Wein und Öl mitbrachten. Die Anschlussbebauung zeigte eine hervorragend erhaltene Raumgruppe der 3.–4. Dynastie (um 2650–2550 v. Chr.). Große Mengen von Siegelver- schlussfragmenten bezeugen hier die administrative Einbindung des Tempels

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Elephantine

Abb. 1 Bereich westlich des Satettempels, Stadtmauer mit Granit- fundament (um 2400 v. Chr.)

Abb. 2 Polychromer Wandverputz (2500–2400 v. Chr.); M. 1 : 1 1

und seiner Anbauten in das Wirtschaftsleben der Stadt. Im Anschluss an stadt- planerische Planierungsmaßnahmen um 2400 v. Chr., die das gesamte Stadt- gebiet erfassten und auch in diesem Grabungsbereich mehrere Meter mächti- ge Schuttlagen mit sich brachten, folgte die Bebauungsphase des späten Al- ten Reiches (um 2300 v. Chr.), die sehr wahrscheinlich mit Angehörigen der höheren Schichten der Stadt in Verbindung zu bringen ist. Aus diesem Haus stammen Toilettenartikel, ein Sistrum aus dem benachbarten Tempelkult und aus früheren Arbeiten der Beschwerdebrief einer Frau an ihren Vater. Hiermit kann möglicherweise der Wohnsitz einer Inhaberin des Hathorpriesterinnen- Titels, der im späteren Alten Reich in Ägypten höhergestellte Damen und ihre Kulteinbeziehung bezeichnete, in der Grabung lokalisiert werden. Das Schweizerische Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertums- kunde setzte die Untersuchung der Stadtmauerverläufe im südwestlichen Sied- lungsbereich fort. Hier stand die komplizierte Abfolge von Fundamentresten im südlichen Stadtgebiet im Mittelpunkt. Die Nachuntersuchungen legen nun nahe, die Datierung der großen neuen Umfassung, die zu einer Verdoppelung des umschlossenen Siedlungsbereiches führte, in das späte Mittlere Reich zu 2 setzen. In diesem Zeitraum wurde zur Abgrenzung gegen das zunehmend be- drohliche Reich von Kerma entlang dem Nil ein mehrere hundert Kilometer langer Festungsriegel errichtet, zu dem laut textlichen Zeugnissen auch Ele- phantine gehörte. Ein zweites Untersuchungsgebiet lag wie im Vorjahr im Chnumtempel- bezirk. Hierbei wurde zum einen die Aufnahme der Temenosbebauung der ptolemäischen Zeit mit einem Priesterhaus im Norden vervollständigt. Im Süden wurde hingegen der Produktionsabfall einer Metallgefäßwerkstatt aus dem 6. Jh. v. Chr. gefunden.

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Im Rahmen der Aufarbeitung des Fundmaterials der Unternehmung frü- herer Kampagnen wurde die Arbeit an der epigraphischen sowie architek- turgeschichtlichen Aufnahme am Tempel der Satet im Mittleren Reich, den Kleinfunden und der Lithik des 3.–2. Jts. v. Chr., der nubischen Keramik des 3.–2. Jts. v. Chr., der Dekoration des Tempels des Chnum im Neuen Reich und in der griechisch-römischen Epoche, der Keramik des Neuen Reiches, der Menschenknochen und der Farbpigmente fortgesetzt. Der geomorpho- logische Survey zur Rekonstruktion der Landschaft in den verschiedenen Zeiträumen wurde weitergeführt. Kooperationspartner: Schweizerisches Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde • Leitung des Projekts: D. Raue, P. Kopp, C. von Pil- grim • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: A. Antoniewicz, F. Arnold, M. Bom- mas, J. Budka, D. Bull, R. Colman, M. De Dapper, K. Decker, D. Dimitrova, I. Forstner-Müller, J. Gresky, L. von Haenigsen, I. Hofmann, M. Hofmann, R. Humphreys, W. Kaiser, A. Korhonen, A. Kozak, A. Krause, M. Krekeler, E. Laskowska-Kusztal, A. Paasch, S. Pages-Camagna, E. Peintner, V. Perunka, B. von Pilgrim, L. Randle, T. Rzeuska, N. Sartori, M. Schultz, A. Seiler, J. Ul- lersperger, A. Veldmeijer, C. Vormelker, P. Windszus • Abbildungsnachweis: DAI-KAI (Abb. 1. 2).

Assuan, Fatimidenfriedhof Die historische islamische Nekropole befindet sich auf der Ostseite des Stadt- kerns von Assuan. Sie erstreckt sich auf einer Länge von nahezu 2 km von Nor- den nach Süden, ihre Ost-West-Ausdehnung beträgt ca. 500 m. Der Friedhof war höchstwahrscheinlich in drei Bestattungsbereiche gegliedert: den nörd- lichen Teil (el-Anani), den zentralen Bereich (Bedr-Moschee Hügel) und den südlichen Teil, der heute Fatimidenfriedhof (arab. al-gabana fatimeia) genannt wird. Die Untersuchungen konzentrierten sich seit Beginn des Projekts im Jahre 2006 auf den Südbereich (600 m × 500 m), der als einziger der drei Bereiche nicht von Teilen der modernen Stadt überbaut ist und auf dem sowohl intakte Mausoleen und Memorialbauten als auch in großer Zahl Ruinen einfacherer Grabanlagen erhalten sind. Sein Erscheinungsbild dürfte demjenigen früherer Zeiten in etwa entsprechen (Abb. 3).

Abb. 3 Assuan, sog. Fatimidenfriedhof. Ansicht der islamischen Nekropole

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4 a 4 b

Geologisch stellt der Südbereich eine Rosengranitformation dar. Der Be- Abb. 4 a. b Assuan, sog. Fatimiden- reich ist Teil eines wesentlich größeren Gebietes, das durch moderne Straßen friedhof. Mausoleum, Zustand vor und fragmentiert wird. Dies gilt u. a. für die Breitenausdehnung, die von den Obe- nach der Restaurierung lisksteinbrüchen im Osten bis zu den Höhen des Scheich Osman-Hügels oberhalb des Nils im Westen eine zusammenhängende Fläche bildete. Auf der Kuppe des Scheich Osman-Hügels haben sich imposante Grabanlagen mit Gebetraum und Mausoleum (sog. nashat) sowie eines der ältesten Mina- rette Ägyptens überhaupt erhalten. Einige der Bauten wurden in der 1. Hälfte des 20. Jhs. von Somers Clarke, Strigowzky, Monneret de Villard, Creswell und Farid Shafei dokumentiert. Ein ganz besonders geschichtsträchtiger Friedhofsabschnitt befindet sich westlich bzw. hinter dem modernen Fern- sehgebäude, wo ein Teil des altägyptischen Prozessionsweges nach Philae noch erhalten ist und von einer größeren Zahl in situ erhaltener Felsinschriften flankiert wird. Bereits im 3. Jt. v. Chr. wurde auf dem Gelände der begehrte Rosengranit gewonnen, dessen Abbau während des Baubooms des Neuen Reiches (16.– 11. Jh. v. Chr.) wahrscheinlich seinen Höhenpunkt erreichte. Die Aktivitäten dauerten, wie an der Gebrauchskeramik abzulesen, bis zum Ende der Römer- zeit an. Nach der arabischen Eroberung Oberägyptens im ausgehenden 7. Jh. n. Chr. wurde dort weiterhin Granit abgebaut, allerdings waren inzwischen die zahlreichen pharaonischen und antiken Ruinen eine wesentlich kosten- günstigere Quelle für Baumaterial. Wieso gerade die Steinbruchfelder als Nekropolenstandort gewählt wurden, ist noch unklar. Mit ihrer Lage extra muros und ihrer Ausdehnung erfüllten sie wichtige Kriterien für die zukünftige islamische Nekropole. Die bekanntesten Vergleichsbeispiele in Ägypten sind die ayyubidische (11. und 12. Jh.) und die mamlukische (13.–16. Jh.) nördliche und südliche Totenstadt in Kairo sowie die Nekropole von Minja. Im 11. Jh. scheinen die Bestattungen, wie aus der Absenz von Stelen für diese Epochen zu schließen ist, wenn auch nicht gänz- lich, so doch weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein. Es bleibt noch abzuklären, ob und wo neue Friedhöfe belegt wurden. Erst seit Mitte des letzten Jahrhunderts finden dort wieder in großem Umfang Neubestattun- gen statt. Die Gründung der im Verhältnis zum historischen Siedlungskern erstaunlich ausgedehnten Nekropole geht in das ausgehende 7. Jh. zurück und erreichte eine erste Blüte im 9. und eine zweite im 11. Jh. Die erwähnten früheren Forschungen befassten sich fast ausschließlich mit Mausoleen und größeren Grabanlagen. Unsere Dokumentationsarbeit, die eine detaillierte Karte des Geländes und die formtreue Dokumentation der

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Abb. 5 Assuan, sog. Fatimidenfriedhof. Grabbau mit Stele am Kopfende

repräsentativsten Komplexe zum Ziel hat, wird von zahlreichen Fragen mit- bestimmt, die über eine reine Baudokumentation hinausgehen. Islamische Nekropolen bestehen selten nur aus Mausoleen (Abb. 4 a. b), sondern das Gros der Gräber bilden meist einfache mit Stein oder Ziegeln eingefasste Felder, an deren Kopfende eine Stele (Abb. 5) errichtet war. Die Inschrift dieser Stelen enthielt Namen, Sterbedatum und in seltenen Fällen den Beruf der Verstorbenen. Eine weitere Grabform besteht aus ca. 1 m hoch anstehenden, nach oben offenen Mauergevierten. In diesen Höfen (arab. hosh) konnten einer oder mehrere Tote (möglicherweise derselben Familie) beige- setzt werden. Die Stelennischen, durchgehend auf der Südseite angebracht, geben hierbei Aufschluss darüber, wie viele Bestattungen sich in der Graban- lage befinden. Es steht inzwischen fest, dass Gräber kaum einzeln vorkommen, sondern dass diese zu größeren Komplexen zusammengefasst waren. Dieser Friedhof unterscheidet sich von anderen dadurch, dass die meisten Grabstelen, wichtige Bestandteile des kollektiven Gedächtnisses, nicht mehr in situ sind. Innerhalb eines Grabkomplexes hingegen lässt sich inzwischen weitgehend eine relative Chronologie ermitteln. Eine weit größere Herausfor- derung stellt die relative Datierung ganzer Komplexe untereinander dar. Die Analyse der in den Gräbern verbauten Keramik, das einzige stratigraphische Material, ergab, dass es sich dabei fast ausschließlich um Gebrauchskeramik handelt, die zeitlich in zwei Hauptgruppen fällt: Spätantike und Mittelalter. Kooperationspartner: Lehrstuhl für Baugeschichte der Technischen Uni- versität Berlin • Leitung des Projekts: Ph. Speiser • Mitarbeiter und Mit- arbeiterinnen: L. Chablais, Y. Eigenmann, J. Lindemann, A. Paasch, G. Nogara, G. Pyke (Keramikbearbeitung), M. Sählhof, Ch. Straße • Abbildungsnach- weis: DAI-KAI (Abb. 3; 4 a. b; 5).

Theben-West, Nekropole von Dra‘ Abu el-Naga Die Unternehmung in Dra‘ Abu el-Naga, gegenüber der modernen Stadt Lu- xor, widmet sich der Erforschung der Nekropolen der Zweiten Zwischenzeit und des frühen Neuen Reiches (13.–18. Dynastie; ca. 1850–1500 v. Chr.). Die Felsgrabanlage K93.12 wird seit 2006 im Rahmen des Forschungsclusters 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung« des DAI ar- chäologisch untersucht (Abb. 6). Es handelt sich um den südlichen Teil einer großen Doppelgrabanlage (K93.11/K93.12), welche kurz unter der Kuppe in der Mitte der Hügelkette von Dra‘ Abu el-Naga liegt. Im Zentrum der For- schungen steht u. a. die Frage nach der Nutzungsgeschichte der zwei Grab- komplexe, die mit einer Gesamtfläche beider Vorhofbereiche von mehr als

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1600 m2 zu den größten Grabanlagen in Theben-West zählen. Verschiedene Theben-West, Nekropole von Dra‘ Abu Beobachtungen lassen darauf schließen, dass die ursprünglichen Felsgräber in el-Naga. Grabanlage K93.12 der 18. Dynastie (um 1550 v. Chr.) als Königsgräber angelegt wurden, wobei Abb. 6 Blick nach Nordosten über die of- einige Indizien für eine Zuweisung an König Amenophis I. (den zweiten Kö- fenen Vorhöfe (Stand April 2008). Am östli- nig der 18. Dynastie) und seine Mutter Ahmes-Nefertari sprechen. Wie die chen Schnittrand sind die unteren Lehmzie- Grabungen ergeben haben, wurde K93.12 am Ende der 20. Dynastie (um 1125 gellagen des zweiten Pylons zu erkennen v. Chr.) vom Hohenpriester des Amun, Amenophis, wiederbenutzt. Im Be- Abb. 7 Säulenbasen vor der Grabfassade reich der Vorhöfe ließ der Hohepriester längs der Grabfassade eine Säulen- in der südlichen Hofhälfte stellung aus Sandstein errichten, von der sich insgesamt fünf Säulenbasen in situ erhalten haben (Abb. 7. 8). Wie in den zwei Kampagnen zuvor wurden Abb. 8 In situ befindliche Säulenbasis in der Verfüllung des inneren Vorhofes hunderte Sandsteinfragmente gebor- aus Sandstein mit Relieffragmenten in Fundlage. Der erhaltene Mörtelrand gen, die sowohl von der mit Relief dekorierten Verkleidung der Wände als markiert die Position der ehemaligen auch von den Säulen und Kapitellen, u. a. Hathorkapitellen, stammen (Abb. Säule. Rechts: Detail des Holzkeils, der zum 9). Der stark fragmentierte Zustand der Sandsteinverkleidung und der Archi- Ausrichten der Säule untergelegt wurde

7 8

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tekturteile, die sich über weite Teile des Hofes erstreckende Schicht aus Sand- steintrümmern ebenso wie die auffälligen Zerstörungsspuren an vielen Frag- menten deuten darauf, dass das Monument des Hohenpriesters Amenophis, vermutlich in der Regierungszeit Ramses’ XI. (um 1100 v. Chr.), buchstäblich kurz und klein geschlagen wurde. In diesem Jahr stand neben der Freilegung des inneren Vorhofs und der Südflanke seines Eingangspylons aus Lehmziegeln (Abb. 6) vor allem die Un- tersuchung des Innenraumschachtes im Mittelpunkt, der bis zu einer Tiefe von 7,80 m ausgenommen werden konnte. Die Verfüllung enthielt vor allem Funde, die von der koptischen (frühchristlich, 6.–9. Jh.) Nutzung des Grab- innenraums herrühren, sowie einige Fragmente spätzeitlicher Särge und Mu- mienkartonage. Die Untersuchung des Schachtes wird hoffentlich Aufschluss darüber erbringen, ob der Hohepriester Amenophis in K93.12 bestattet wur- de. Der Schacht ist noch mindestens 2 m tief verfüllt und seine Ausgrabung soll im kommenden Jahr fortgesetzt werden. Neben Vorhof und Innenraum erstreckten sich die Arbeiten außerdem auf den Bereich oberhalb der Grab- fassade, wo die Überreste einer Pyramide aus ungebrannten Lehmziegeln, mit Basislängen von ca. 15 m × 16 m, freigelegt werden konnten (Abb. 10). Die Pyramide, deren Sockelzone mit Sandsteinplatten verkleidet war, wurde stel- lenweise bis auf den gewachsenen Fels abgetragen. Ein großer Teil der Ziegel wurde vermutlich im benachbarten Kloster Deir el-Bachit verbaut. Abb. 9 Theben-West, Nekropole von Dra‘ Die zentrale Frage, der das Projekt nachgeht, ist die nach der Nutzung der Abu el-Naga. Grabanlage K93.12, Relieffrag- Doppelgrabanlage in der 20. Dynastie. In der Grabanlage K93.11, die vom Va- ment mit der Darstellung eines Priesters, ter des Amenophis, dem Hohenpriester Ramsesnacht, wiederbenutzt wurde, der eine heilige Amunsvase trägt. Unten: Gesichtsfragment eines Hathorkapitells fanden sich keinerlei Hinweise auf seine tatsächliche Bestattung. Ramsesnacht hat offenbar nur den Bereich der Vorhöfe in aufwendiger Weise architekto- nisch ausgestaltet, indem er hier eine umlaufende Säulenstellung (ein Peristyl) errichten und die Wände mit einer reliefdekorierten Sandsteinverkleidung versehen ließ. Der Grabinnenraum ist bis auf kleinere Bau- und Restaurie- rungsmaßnahmen unberührt geblieben. Ob und in welcher Weise Amenophis das Innere des Felsgrabes K93.12 genutzt hat, ist noch zu klären. Die Doppel- grabanlage bildet ein herausragendes Beispiel für die ›Sakralisierung des Gra- bes‹ – einen grundlegenden Wandel der Grabsemantik, der am Ende des Neu- en Reiches zu verzeichnen ist. Im Zuge dieser Entwicklung übernimmt das Grab zunehmend die Funktion eines Tempels: Es wird zu einem ›heiligen Raum‹, in welchem der Verstorbene mit den Göttern kommuniziert. Das spie- gelt sich nicht nur im Dekorationsprogramm, sondern auch in der Architektur

Abb. 10 Theben-West, Nekropole von Dra‘ Abu el-Naga. Grabanlage K93.12, Überreste der Lehmziegelpyramide oberhalb der Grabfassade, Blick über die Südostecke

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wider: Mit einem Pylon und offenen Säulen- oder Pfeilerhöfen wird dem Felsgrab eine Tempelarchitektur vorgeschaltet. Diese typische Tempelgestalt liegt in K93.11/K93.12 in besonders ausgereifter Form vor und wurde noch um ein Architekturelement erweitert: Nämlich um die Hathorkapitelle, wel- che im Neuen Reich ausschließlich im Tempelkontext weiblicher Gottheiten zu finden sind. Es deutet einiges darauf hin, dass Ramsesnacht und Amenophis den Platz als privaten Totentempel genutzt haben, während die eigentliche Bestattung an einem anderen Ort stattgefunden hat. Leitung des Projekts: D. Polz, U. Rummel (Grabungsleitung in K93.12) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: Th. Brockmeier, N. Gräßler, G. Heindl, A. Kilian, L. Körfer, L. Kruck, J. Lücke, S. Michels, M. Müller, P. Windszus • Abbildungsnachweis: DAI-KAI-DAN, U. Rummel (Abb. 6–10).

Theben-West, Särge des Imeni und der Geheset Auf Anregung und mit Unterstützung des Generalsekretärs der ägyptischen Antikenverwaltung, Zahi Hawass, wurden die beiden reich dekorierten Holz- särge des Imeni und der Geheset bereits im November und Dezember ver- gangenen Jahres in das Ägyptische Museum Luxor überführt. Die Särge waren im Herbst 2004 in einem Schachtgrab der Nekropole des Mittleren Reiches in Dra‘ Abu el-Naga (Theben-West) entdeckt worden. Sie formten einst als Ensemble den äußeren und inneren Sarg einer hochgestellten Dame namens Geheset, deren sterbliche Überreste sich teilweise ebenfalls erhalten haben. Den anthropologischen Untersuchungen zufolge war Geheset nubischer Ab- Abb. 11 Theben-West, Särge des Imeni stammung und bei ihrem Tod etwa 50–60 Jahre alt. und der Geheset. Luxor, Ägyptisches Nach kompletter Dokumentation und einer aufwendigen Konsolidierung Museum. Standort der Särge des Imeni und der Geheset in einem Sonderraum und Restaurierung wurden die Särge von einem Magazin der Antikenver- des Museums waltung an ihren jetzigen Standort im Museum von Luxor transportiert. Für die Präsentation der Särge wurde von der Museumsleitung unter Ali dankenswerterweise ein besonderer Raum zur Verfügung gestellt, der auch in Zukunft ausschließlich den beiden Särgen vorbehalten bleiben soll (Abb. 11). Die Särge sind damit Teil der permanenten Ausstellung des Museums in Luxor. Leitung des Projekts: D. Polz • Mitarbeiter: E. Peintner (Konsolidie- rung und Restaurierung der Särge) • Abbildungsnachweis: DAI-KAI-DAN, D. Polz (Abb. 11).

Theben-West, spätantik-koptische Klosteranlage Deir el-Bachit in Dra‘ Abu el-Naga Während der diesjährigen Kampagne konzentrierten sich die Grabungen in Deir el-Bachit wie in den Vorjahren auf die südlichen, zum Niltal ausgerich- teten Terrassen und die Nekropole im Osten der Klosteranlage. Beim Abbau eines Profilsteges in dem bereits 2006 und 2007 ausgegrabenen Vierpfeiler- raum kamen in einem verschlossenen Lehmbehälter elf vollständige Keramik- gefäße, eine Glasflasche, ein Bastkorb und diverse Holzutensilien zu Tage, die einer älteren Phase des Klosters zugeordnet werden können (Abb. 12). Eine vorläufige Datierung der Keramik und der Glasflasche führt ins 8. Jh. n. Chr. Grabungen im sog. Nischengang südlich dieses Fundortes ergaben, dass diese ältere Phase sich auch auf die im Süden angrenzende Terrasse fortsetzt. Hier wurden Mauerzüge und ein Tonnengewölbe freigelegt, die von den jüngsten Fußböden des Nischenganges vollkommen überdeckt wurden und mit einigen der älteren Mauerstrukturen im benachbarten Vierpfeilerraum fluchten. Die kleinräumigen Strukturen der älteren Phase wurden später vollständig über- baut. Die anders ausgerichteten Mauern der jüngeren, heute noch sichtbaren Bauten zeigen, dass es keinen Zusammenhang zwischen den beiden Phasen gegeben hat.

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Theben-West, spätantik-koptische Kloster- Weiter westlich kamen bei den Grabungen drei Räume zu Tage, von denen anlage Deir el-Bachit von Dra‘ Abu el-Naga der westlichste wohl als offener Hof konzipiert war, durch den man mittels einer Treppe in ein nicht mehr erhaltenes Obergeschoss gelangte. Aus dem Abb. 12 Vierpfeilerraum, Blick in den Lehmbehälter mit intakten Keramikge- zerstörten Obergeschoss stammen zahlreiche bemalte Verputzfragmente, auf- fäßen, einer Glasflasche, einem Bastkörb- grund derer von einer besonderen Funktion dieses Obergeschossraumes aus- chen sowie zahlreichen Holzobjekten zugehen ist. unmittelbar nach Abheben des Lehm- Unmittelbar an den Hof grenzen im Osten zwei Räume an, die mit Lehm- deckels betten ausgestattet sind und als Mönchszellen dienten (Abb. 13). Mehrfache Abb. 13 Gepflasterter Hof (links) und zwei kleinere Umbauten innerhalb der Räume lassen darauf schließen, dass sie über Mönchszellen (Mitte und rechts) einen längeren Zeitraum benutzt wurden. Südlich davon wurden drei kleine Vorratsräume teilweise freigelegt, in ihnen befanden sich Keramikgefäße, die in eine ringsum entlang der Wände aufgemauerte Bank eingefügt waren. In der zum Kloster gehörenden Nekropole wurden im Zentrum und am südlichen Rand mehrere Grabreihen ausgegraben (Abb. 14), um die Flächen- ausdehnung der Nekropole besser erfassen zu können. Wie in den bereits in den Vorjahren ausgegrabenen Abschnitten der Nekropole findet sich auch hier

Abb. 14 Theben-West, spätantik-kopti- sche Klosteranlage Deir el-Bachit von Dra‘ Abu el-Naga. Blick nach Süden auf die Grabreihen und Wege sowie den kleinen Platz rechts neben dem gepflasterten Weg

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ein System aus schmalen Wegen, die geradlinig in Nord-Süd-Richtung ver- laufen und die einzelnen in Reihen angeordneten Gräber zugänglich machen. Eines dieser Gräber unterscheidet sich so auffallend durch seine Größe und einen weißen Außenverputz von den umliegenden Gräbern, dass die Vermu- tung nahe liegt, dass es sich hier um den Bestattungsplatz einer herausragen- den Persönlichkeit innerhalb der Klosterhierarchie gehandelt haben muss. Bis zu diesem Grab ist der Weg zudem mit gebrannten Ziegeln gepflastert, wo- durch er sich markant von den sonst mit Lehmestrich verputzten Wegen un- terscheidet. Westlich vor dem Grab erstreckt sich außerdem ein kleiner Platz für Versammlungen, der aber von späteren Gräbern schließlich zugebaut wor- den ist. Da es bisher nur wenige systematische Grabungen in koptischen Klos- ternekropolen gibt, haben die neuen Ergebnisse über die Ausdehnung und die Organisation des Friedhofes einen besonders hohen Stellenwert. Kooperationspartner: Institut für Ägyptologie der Ludwig-Maximilians- Universität München • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: G. Burkard, I. Eichner • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: T. Beckh, I. Dudzinski, E. Endenburg, R. Fey, M. Fischer, K. Gabler, S. Hodak, C. Holler, C. Jones, D. Keller, S. Lösch, S. Mehret, G. Neunert, E. Petersmark, S. Richter, J. Sigl, A. Veldmeijer, A. Zink • Abbildungsnachweis: Ludwig-Maximilians-Uni- versität München (Abb. 12–14).

Theben-West, Thebanische Beamtengräber (Grab TT 95) Das thebanische Grab TT 95 (Theban Tomb No. 95) liegt inmitten des Elite- friedhofes der 18. Dynastie an dem südwestlichen Ausläufer des Hügels von Scheich Abd el-Qurna auf mittlerer Höhe und ist nach Osten gegen den Tempel von Karnak ausgerichtet (Abb. 15). Es wurde in der Regierungszeit Amenophis’ II. (um 1410 v. Chr.) für den Hohenpriester des Amun von The- ben Meri und seine Mutter Hunai, einer Amme Amenophis’ II., angelegt und besteht aus einer in den Fels gehauenen, oberirdisch zugänglichen Grabka- pelle, einem der Grabfassade vorgelagerten Hof und zwei separat angelegten, begehbaren Bestattungsanlagen, TT 95B sowie TT 95C. Die archäologische und epigraphische Bearbeitung des Grabes wurde Anfang der 1990er Jahre begonnen und hatte primär die zeichnerische und photographische Erfassung der mit Malereien dekorierten Kapellenwände zum Ziel. Bis 1996 konnten außerdem ein Teil des Grabvorhofes sowie das Bestattungssystem TT 95B und die Schachtanlage in der Grabkapelle freigelegt und dokumentiert werden.

Abb. 15 Theben-West, Thebanische Beamtengräber (Grab TT 95). Blick von Nordosten auf das am Südwesthang des Hügels von Scheich Abd el-Qurna liegende Grab TT 95

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Die Doppelanlage TT 95B ist vom Hof durch einen separaten Eingang in der Fassade zugänglich. Sie wurde für die Familie des Hohenpriesters angelegt. Aus dem Beginn des 1. Jts. v. Chr. stammt die Schachtanlage im Inneren der Grabkapelle. Grabkapelle und Vorhof sind unfertig. Von den Grabinnenräumen ist ledig- lich die Nordhälfte der ersten Pfeilerhalle vollständig ausgearbeitet und größ- tenteils auch mit Wandmalereien dekoriert. Wie archäologische und bauge- schichtliche Untersuchungen ergaben, scheint der Grund für die Einstellung Abb. 16 Theben-West, Thebanische der Arbeiten an der Kapelle ein Bauunfall gewesen zu sein, bei dem ein gro- Beamtengräber (Grab TT 95). Bildostrakon ßer Teil der Decke über der ersten Pfeilerhalle einbrach. Der irreparable Scha- mit der Zeichnung des Kopfes einer Gazelle den zwang zur Aufgabe der Kulträume, deren Verlust durch die Übernahme in roter Tinte aus den Bauschuttschichten der 18. Dynastie im Vorhof von TT 95 einer benachbarten älteren Grabkapelle (TT 84) kompensiert wurde. Die 2006 wieder aufgenommene Feldarbeit wandte sich zwei bisher nur partiell bzw. gar nicht berücksichtigten Bereichen der Anlage zu: erstens der Aufdeckung und Erschließung der Hofbegrenzung im Nordosten und zwei- tens der Reinigung der sich unmittelbar im Südosten an TT 95 anschließen- den Bestattungsanlage TT 95C. Ein Hauptziel der Freilegung des nordöstlichen Vorhofes bestand darin, die baugeschichtlichen Zusammenhänge zwischen TT 95 und den etwas äl- teren und tiefer gelegenen Nachbargräbern, dem des Sennefer (TT 96) im Norden und jenem des Imenemipet (TT 29) im Süden, zu bestimmen und der Frage nachzugehen, wo der Eingang zu Grab TT 95 lag. Während der letzten beiden Kampagnen konnte ein Großteil der Südmauer von Grab Nr. 96 aufgedeckt werden. Die Untersuchung der Bauschichten zeigte, dass der steil abfallende Berghang dort, wo später das Grab des Meri angelegt wurde, bereits für die Bauarbeiten an den beiden Nachbargräbern durch Aufschüt- tungen terrassiert war und diese Planierung durch den Auftrag von Funda- mentschichten befestigt wurde. Später wurden diese Schichten von Bauschutt aus dem Hohenpriestergrab überlagert. Neben Resten von Seilen und etwas Gebrauchskeramik konnten aus diesen Schichtenfolgen Maler- und Gipser- töpfe sowie einige Text- und Bildostraka geborgen werden (Abb. 16). Im Nor- den und Osten des Hofes von TT 95 ließen sich nur kärgliche Reste einer Lehmziegeleinfriedung nachweisen. Der alte Eingang in den Hof war archä- ologisch nicht mehr zu ermitteln. Aufgrund der Grablage aber ist es nahelie- gend, ihn im nördlichen Segment der östlichen Hofeinfriedung zu vermuten. Abb. 17 Theben-West, Thebanische Die Bestattungsanlage TT 95C ist von Osten durch einen kleinen Hof Beamtengräber (Grab TT 95). Bestattungs- begehbar. Es zeigte sich, dass der tief in den Fels hinabführende, zweimal anlage TT 95C, getreppter, von Westen abknickende Treppenkorridor nicht fertiggestellt und die Ausführung einer nach Norden führender Abstieg Sargkammer während der ersten Benutzungsphase nie in Angriff genommen wurde (Abb. 17). Die architektonische Gestaltung des Komplexes, seine bau- technischen Merkmale, das Fehlen einer der Größe der Anlage entsprechen- den kultischen Einrichtung (Felskapelle) und seine Unvollendetheit sprechen dafür, dass TT 95C mit TT 95 ein Grabensemble bildete, die Anlage folglich zur selben Zeit, unter Amenophis II., in Bau war und auch zur selben Zeit aufgegeben wurde. Das Korridorsystem blieb während der 18. Dynastie unbe- nutzt, nahm aber danach zu verschiedenen Zeiten, vom späten Neuen Reich bis in die Spätzeit (ca. 11. Jh. v. Chr. – 2. Hälfte 1. Jt. v. Chr.), Bestattungen auf. Bemerkenswert sind die Überreste der Grablege einer ramessidischen Sänge- rin des Amun (Abb. 18). Jüngeren Datums scheinen die beiden im Süden des Abb. 18 Theben-West, Thebanische Hofes von TT 95C gelegenen kleinen Kulträume mit Schachtanlagen zu sein, Beamtengräber (Grab TT 95). Polychrom deren Bestattungsüberreste auf Nutzungsphasen im 1. Jt. v. Chr. hinweisen. bemaltes Mumienband einer ramessidi- schen Frauenbestattung mit Resten eines Kooperationspartner: Ägyptologisches Seminar der Universität Basel • Nutspruches Förderung: Ägyptologisches Seminar der Universität Basel • Leitung des Pro-

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jekts: A. M. Gnirs-Loprieno • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: D. Arpagaus, P. Berg, P. Collet, S. Fetler, C. Malnasi, M. Müller, E. Paulin-Grothe, C. Rey- mond, C. Talon, P. Windszus, N. Wüthrich • Abbildungsnachweis: A. Gnirs- Loprieno (Abb. 15); P. Windszus (Abb. 16); A. Gnirs-Loprieno (Abb. 17. 18).

Theben-West, Memnon-Kolosse und Tempel Amenophis’ III. Die Grabung hat die Rettung der letzten Reste des einst prachtvollen Toten- tempels Amenophis’ III. aus der 18. Dynastie in Theben zum Ziel, der vom Grundwasser, Versalzung, Vegetation und gelegentlichen Feuern bedroht war. Wie jedes Jahr ging den Grabungsarbeiten eine gründliche Säuberung des gesamten Tempelareals voraus. Insbesondere mussten die Memnon-Kolosse er- neut von Kopf bis Sockel gründlich von Vogelkot gereinigt werden, dessen Säu- re die Patina der Statuen angreift. Alle Versuche, die Tauben und Spatzen vom Nisten auf den Köpfen und Schultern und in den Rissen der Körper abzuhal- ten, haben sich bisher nur beschränkt erfolgreich gezeigt; selbst Tonträger mit dem Gekreisch von Falken und Habichten erwiesen sich als wirkungslos. 2. Pylon: Am 2. Pylon konnten die untersten Lagen des Ziegelmauerwerks des Pylons und die Fundamentblöcke der beiden gestürzten Kolosse freigelegt werden (Abb. 19). Damit sind die Voraussetzungen für eine feste Basis und die Wiederaufrichtung des nördlichen Kolosses im kommenden Jahr geschaffen. Bei der Freilegung des gestürzten südlichen Kolosses kam an seiner rechten Thronseite die 3,62 m hohe Statue der Königin Teje unversehrt erhalten zu Tage (Abb. 20). Mit ihren jugendlichen Zügen, voll Liebreiz, schmalen man- delförmigen Augen, einer zarten Nase und vollem lächelnden Mund, erscheint sie noch schöner als die Statue derselben Königin Teje, die 2003 am Thronso- ckel des Nordkolosses zum Vorschein gekommen war. Peristyl: Auf der Suche nach dem Torbau des großen Peristylhofes fanden Abb. 19 Theben-West, Memnon-Kolosse sich in dem Versturz von Fundamentsteinen erstmals ein mächtiger Block mit und Totentempel Amenophis’ III. Blick auf Überresten der Außendekoration des Peristylhofes, darüber und darunter wie- das Grabungsgelände mit dem 2. Pylon, den Fundamentblöcken, dem Nordkoloss der Statuen der Göttin Sachmet – damit sind es über 80 Statuen –, erstaunli- in neuer Lage und dem Südkoloss in cherweise bestens erhalten, und zwei große Sphingen des Königs Amenophis Fundlage

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Theben-West, Memnon-Kolosse und Toten- tempel Amenophis’ III

Abb. 20 Büste der neuen Statue der Königin Teje

Abb. 21 Kopf des Königssphinx 20 21

und der Königin Teje. Sie bewachten vielleicht den Eingang oder sie sind die ersten Zeugen einer zu vermutenden Sphingenallee, die vom 3. Pylon zum Peristyl führte. Der Königssphinx zeigt in elegantem Stil das ewig jungendli- che Antlitz Amenophis’ III., mit mandelförmigen Augen, einer kleinen Nase, dem fein gezeichneten Mund, die Lippen von einer dünnen Konturlinie um- randet (Abb. 21). Er trägt ein nemes-Kopftuch und einen Königsbart. An sei- ner Brust ist der Thronname Nebmaatre/Nimmuria eingraviert. Der zweite Sphinx ist kopflos, aber die breite Perücke auf dem Nacken zeigt an, dass es eine Königinnensphinx war. In dem Schutt zwischen den Sphingen und den Sachmetstatuen fand sich ein Köpfchen einer Königin aus hartem, kristalli- nischem Kalkstein; die Augen und Augenbrauen waren eingelegt, die Lippen des vollen Mundes fein gestaltet. Nordstele vor der Portikus: Nachdem sämtliche Fragmente mittels einer Mikrosableuse (Feinsandgebläse) gereinigt waren, wurden die gut 180 großen und kleinen Fragmente auf einem Holzrost zusammengefügt (Abb. 22). Dies

Abb. 22 Theben-West, Memnon-Kolosse und Totentempel Amenophis’ III. Ausge- legte Fragmente der Nordstele

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Abb. 23 Theben-West, Memnon-Kolosse und Totentempel Amenophis’ III. Die frei stehende Statue PWN II im Gelände

ergab eine Stele von 3,60 m Höhe und 8,50 m Breite. In einer kommenden Kampagne soll über das passende Bindematerial entschieden werden. Dann kann die Stele neben der etwas größeren Südstele wieder aufgerichtet wer- den. Portikus: An der westlichen Portikus des großen Peristylhofes standen einst bis zu dem großen Erdbeben Ende des 13. Jhs. v. Chr. zehn monumentale Statuen des Königs Amenophis, fünf aus Rosengranit auf der Südseite, mit der weißen oberägyptischen Krone, fünf aus Quarzit auf der Nordseite, mit der roten unterägyptischen Krone; Köpfe und sogar Statuensockel der zer- brochenen Statuen wurden am Beginn des 19. Jhs. von Agenten des briti- schen Konsuls H. Salt abtransportiert und an europäische Sammlungen ver- kauft. Im Frühjahr 2006 wurde nun begonnen, die weit verstreuten Blöcke der schweren Podeste aus dunklem Granit an ihre originalen Stellen in der Porti- kus zurückzubringen, zusammenzusetzen und zwischen die Säulenbasen der nördlichen Hälfte der Portikus zu schieben, um darauf die erhaltenen Basen und Beinfragmente aus Quarzit zu stellen. Diese Basen aus Quarzit sind mit Darstellungen unterworfener Städte nördlicher Nachbarländer dekoriert. Der erste Sockel (PWN I) enthielt einst die Namen der großen Staaten Syriens, Sangar-Babylon, Naharina, das Reich der Mitanni, Assur-Assyrien und Hatti, das Hethiterreich. Dieser Statuensockel wurde bei der verheerenden Feuers- brunst im Jahr 1996 gespalten und in dieser Kampagne wieder restauriert. Der zweite Sockel (PWN II) enthielt die Namen syrischer Städte, darunter auch Timashk, Damaskus. Im vergangenen Jahr konnte der Torso von PWN II, der verstürzt zwischen den Säulenbasen lag, auf die Beine gesetzt werden. Über ein 12 m hohes ›Portal‹ aus mächtigen Holzbalken konnten die Restauratoren in der diesjährigen Kampagne den Oberkörper aufsetzen und mit einer Kopie des originalen Kopfes aus dem Britischen Museum vervollständigen. Diese Kopie ist eine bis in alle kleinsten Einzelheiten getreue Abformung des Ori- ginalkopfes, allerdings aus einer hochempfindlichen Kunstharzmischung, die der intensiven Sonnenbestrahlung und den Sandwinden nicht allzu lange aus- gesetzt werden darf. Deswegen muss bald noch eine weitere Replik aus einem widerstandsfähigeren Material angefertigt und auf die Statue gesetzt werden. Die Originalreplik wird dann in unserem kleinen Museum ausgestellt werden. Die Statue ist mit der Basis über 8 m hoch und dominiert 400 m hinter den Memnon-Kolossen die Landschaft Thebens (Abb. 23). In den nächsten Jahren

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Abb. 24 Theben-West, Memnon-Kolosse sollen aus den vorhandenen Bruchstücken weitere monumentale Statuen, auch und Totentempel Amenophis’ III. Drei- solche aus Rosengranit, auf der Südseite der Portikus aufgestellt werden. dimensionale Darstellung des Tempels Aufgrund der bisherigen Grabungen kann für die zukünftige Planung und Gestaltung des Tempelbereiches ein weitgehend gesichertes, dreidimensiona- les Modell des Tempels mit seinen Pylonen, den offenen Höfen, dem großen Peristylhof und den monumentalen Statuen erstellt werden (Abb. 24). An ei- nen Wiederaufbau des Tempels, selbst in Teilen ist jedoch aus methodischen Gründen nicht zu denken. Allerdings sollen gewisse Architekturelemente an- gedeutet werden, z. B. die Pylone mit ihren Nischen für die Flaggenmasten, die Tordurchgänge soweit die Schwellen erhalten sind. Vor den Pylonen wer- den die Kolossalstatuen wieder aufgerichtet, sofern dies mit den vorhande- nen Mitteln gelingt. Dies dient auch dem Schutz der freigelegten Denkmäler und der Architektur. Das Peristyl soll zu einer Art Freilichtmuseum gestal- tet werden. Der ägyptische Antikendienst hat zugesagt, dass alle im Tempel- bereich ausgegrabenen Denkmäler am Ort bleiben und ausgestellt werden sollen. Dies ist eine Verpflichtung, der man nachkommen soll. Ein Entwurf wurde inzwischen den zuständigen Autoritäten der Antikenbehörde und dem Gouverneur von Luxor vorgelegt, die dem spontan zugestimmt haben. Eine unerlässliche Voraussetzung für die freie Aufstellung der Denkmäler in dem geplanten ›Open Air‹-Museum ist der effektive Schutz des gesamten Bereiches durch einen festen, ästhetisch ansprechenden Zaun. Dabei hoffen wir sehr auf die angedeutete Unterstützung durch den kulturbewussten Gouverneur von Luxor und die Autoritäten des Supreme Council of Antiquities sowie Spen- den großzügiger Mäzene. Die sensationellen Funde veranlassten den ägyptischen Premierminister in Begleitung des Kulturministers und des Generalsekretärs der Antikenverwal- tung, Zahi Hawass, zu einem Besuch der Grabung.

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Kooperationspartner: Supreme Council of Antiquities • Förderung: Monique Hennessy; Association des Amis des Colosses de Memnon; Förder- verein Memnon; Ernst von Siemens Kunststiftung • Leitung des Projekts: H. Sourouzian • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: Ägyptologie/Archäolo- gie: R. Stadelmann, M. Seco Alvarez, J. Dorner, I. Noureddine, Ch. Perzlmeier; N. Hampikian (Architektur); Geologie und Seismologie: A. Karakhanyan, A. Avagian; Statik: F. Wenzel, J. Meier, H. Pliett; Konservierung: M. Blanco Sanz, M. Lopez Marcos, L. Mesa Garcia, M. A. Moreno, E. Mora Ruedas, S. J. Vidal, A. Hasan Ibrahim, T. Hasan Ibrahim, A. Mohamed Ali, unter Mit- arbeit von O. Samuel, B. Sayed Abdelrahim (Conservation Department des SCA); Epigraphik und Zeichnung: P. Calassou, J. Malatkova; Dokumentation: C. Bondi, M. Gabalawy, E. Kamimura, B. Lachat, K. Ueno, assistiert durch R. Ishak, M. Tawhid; Photographie: A. Amin, A. Chéné, assistiert durch O. Chéné; Koordination für Stiftungen und Video-Dokumentation: U. Lewen- ton; R. Hanisch (Ingenieur, Beratung für Grundwasserproblematik, Elektroge- räte, Vogelabwehr); A. Hamad (Erarbeitung von Vorschlägen für permanentes Monitor System an den Memnon-Kolossen); M. Ibrahim Osman, A. Mahmud Yasin M. Ali Abdelrahman (Vertreter des Antikendienstes), unterstützt durch A. Haggag Hassanein Taai, A. Abusafa Khalifa und A. Abdelqader Hamed (tem- porary workshop); unter der Leitung von Rais M. Ali waren über den gesam- ten Zeitraum 250 Arbeiter mit Reinigung, Transport und bei den Grabungen tätig • Abbildungsnachweis: ©Memnon/Amenhotep III project (Abb 19–23); Zeichnung N. Hampikian (Abb. 24).

Abydos, Umm el-Qaab Im frühzeitlichen Königsfriedhof war die Grabungstätigkeit weiterhin auf das Grab des Djer (1. Dynastie, um 2950 v. Chr.) konzentriert, das seit dem Mitt- leren Reich als das Grab des Totengottes Osiris galt (s. auch S. 172–174). Au- ßerdem wurden eine Sondage am Grab des Wadj und verschiedene Reini- gungsarbeiten in der Umgebung des Grabes des Peribsen und beim Grab des Semerchet durchgeführt. Die Königskammer des Djer wurde weiter bis zu einer Tiefe von 2,70 m, bis dicht über das Bodenniveau geleert (Abb. 25). Damit konnte die Aufnah- me der inneren Zungenmauern, die als Stützen eines großen Holzschreines

Abb. 25 , Königsfriedhof Umm el-Qaab. Grab des Königs Djer. Königs- kammer von Süden

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Abb. 26 Abydos, Königsfriedhof Umm el-Qaab. Grab des Königs Djer. Treppe des Mittleren Reiches in der Nordwestecke der Königskammer

dienten, vervollständigt werden. Ebenso wie die Ausmauerung der Kammer weisen sie bis zum Boden reichende Brandspuren auf. In der Nordwestecke der Kammer wurden noch Reste der teilweise schon von F. Petrie abgebauten kleinen Treppe gefunden, die vermutlich aus dem Mittleren Reich stammt, als das Grab in Zusammenhang mit dem Osiriskult umgestaltet und eine Statue des auf einer Bahre ruhenden Osiris dort eingebracht wurde. Die Treppe ist aus großformatigen Ziegeln (37 cm × 20 cm × 11,5 cm) angelegt und unver- brannt (Abb. 26). In der Umgebung der Königskammer wurde ein schmaler Streifen gereinigt und auf der Nordseite der Abbau der Halden über den Ne- bengräbern weitergeführt. Aus der Füllung der Königskammer und den Schutthalden wurden erneut große Mengen an Keramik, Steingefäßfragmenten, Siegelabrollungen sowie Abb. 27 Abydos, Königsfriedhof Umm el-Qaab. Nordwestecke der Tumulus- einige Objekte aus Elfenbein, Holz und Stein geborgen. Wiederum bemer- fassung in der Grabgrube des Wadj kenswert ist die Häufigkeit und Vielfalt der Pfeilspitzen aus Bergkristall, Flint, Elfenbein und Bein. Neben frühzeitlichem Material kamen auch wieder zahl- reiche Opfergefäße (zumeist große Flaschen und kleine qaab-Schalen), Weih- rauchbröckchen und einige Fayenceamulette zu Tage. Wie in den vorherge- henden Kampagnen fanden sich vor allem am Boden der Königskammer be- arbeitete Fragmente aus kristallinem Kalkstein von einem Schrein des Osiris (zu den Forschungen zu Osiris in Abydos s. auch S. 172–174, bes. 174) so- wie einige Kalkstein- und Sandsteinblöcke. Vom Grab des Wadj wurde in einem Schnitt die Westwand der Königskam- mer noch einmal freigelegt, um Nachmessungen für einen neuen Gesamtplan von Umm el-Qaab vorzunehmen. Dabei wurde auch die Nordwestecke der Einfassungsmauer des in der Grabgrube über der Königskammer errichteten Tumulus aufgedeckt, die bei den ersten Untersuchungen 1988 noch nicht sicht- bar gewesen war. Sie ist bis zur ursprünglichen Höhe von ca. 1,25 m erhalten und nur auf der Außenseite verputzt (Abb. 27). Nordwestlich und nordöstlich des Grabes des Peribsen wurden in Auswei- tung des 2005 angelegten Schnittes weitere Abschnitte der originalen Wüsten- oberfläche von Schuttüberlagerungen und Flugsand gereinigt. Aus den Schutt- schichten, die auch einige Streufunde aus dem Grabkomplex des Djer enthiel-

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Abb. 28 Abydos, Königsfriedhof Umm el-Qaab. Neu aufgeschütteter Tumulus über dem Grab des Semerchet

ten, wurden mehrere gesiegelte Verschlüsse des Peribsen und des Sechemib geborgen, außerdem Keramik sowie einige Bein- und Kupferobjekte. Dane- ben wurde auch etwas spätzeitliche Opferkeramik (zumeist qaab-Schälchen) gefunden und in der originalen Wüstenoberfläche einige (Opfer-?)Gruben festgestellt, die aber sämtlich fundleer waren. Östlich des Grabes des Semerchet wurden bei Reinigungsarbeiten noch Deponierungen alten Schutts der Grabungsaktivitäten vom Ende des 19. Jhs. abgetragen. Das Material erwies sich als stark durchmischt mit Inventaren aus den Gräbern von Den und Semerchet, wie vor allem anhand einiger Siegel- abrollungen festgestellt werden konnte. Mit dem durchsiebten Sand wurde ein Tumulus über der Königskammer des Semerchet aufgeschüttet, der zur Formbewahrung mit Kalksteinsplit belegt wurde (Abb. 28). Die Fundbearbeitung galt vor allem der Keramik, den Steingefäßen so- wie den Kleinfunden aus dem Friedhof U und den Gräbern des Dewen, des Semerchet und des Chasechemui. Förderung: DFG • Leitung des Projekts: G. Dreyer • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: F. Barthel, A. Blöbaum, B. Böhm, K. Butt, E.-M. Engel, U. Fauerbach, U. Hartung, R. Hartmann, I. Köhler, H. Köpp, A. Kohse, R. Kuhn, C. Lacher, E.-S. Lincke, M. Mahn, V. Müller, A. Pokorny und kurz- zeitig J. Irish • Abbildungsnachweis: DAI-KAI (Abb. 25–28).

Osiris in Abydos Ägyptische und ägyptisierende Kulte waren seit hellenistischer Zeit im gesam- ten Mittelmeerraum verbreitet. Die Mythen und Mysterien um den Totengott Osiris und seine Gattin Isis, besonders der zentrale Aspekt des Osiris-Schick- sals – der Tod und seine Überwindung durch die Auferstehung –, haben die europäische Antike bis in das Credo des aufkeimenden Christentums beein- flusst. Osiris galt als früher König Ägyptens. Es lag daher nahe, sein Grab in der frühzeitlichen Königsnekropole von Abydos zu suchen, wo nach Grabungen im Mittleren Reich (um 2000 v. Chr.) das Grab des Königs Djer aus der 1. Dynastie (um 2950 v. Chr.) als das Gottesgrab identifiziert wurde. Damit wurde die mit- telägyptische Stadt Abydos zum wichtigsten Kultort des Osiris und das Grab des (Djer/)Osiris die zentrale Kultstätte des Wiederauferstehungsgedankens. Aus archäologischen und textlichen Quellen soll unter Einbeziehung der topographischen Gegebenheiten das aufwendige Kultgeschehen rekonstruiert werden. Die eng mit der Erforschung der frühzeitlichen Königsgräber verbundenen Grabungsarbeiten (zu den Arbeiten in Abydos s. auch S. 170–172) galten vor- nehmlich der weiteren Untersuchung eines Prozessionsweges, von dem 2003

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Abb. 29 Osiris in Abydos, Kultachsen

ein Abschnitt östlich des Grabes des Dewen aufgedeckt worden war. Bei der Auswertung von Satellitenphotos (Abb. 29) hatte sich ergeben, dass dieser mit Keramikflaschen aus der Spätzeit (25. Dynastie) gesäumte Weg wahrscheinlich vom Grab des Djer (das seit dem Mittleren Reich als Grab des Osiris galt) zu einem ca. 150 m südlich von Umm el-Qaab befindlichen Hügel führte. Dieser ›Südhügel‹ scheint eine besondere Rolle im Osiriskult gespielt zu haben, er ist dicht mit spätzeitlicher Opferkeramik bedeckt und die Achse des Tempels Sethos I. ist genau darauf ausgerichtet. Eine weitere Kultachse führte offenbar vom Stadtgebiet/Tempelbezirk des Osiris-Chontamenti am Kom es-Sultan über den Südhügel in die Öffnung des großen Wadis, das schon in der Früh- zeit als Eingang zur Unterwelt angesehen wurde. Der Hügel war bereits in den 1980er Jahren mit Bohrungen untersucht worden, die zeigten, dass es sich dabei um eine natürliche Erhebung handelt. Zur Klärung der Frage, ob sich die ›Flaschenstraße‹ möglicherweise bis zum ›Südhügel‹ fortsetzt, wurde ein Strei- fen von ca. 19 m × 44 m südöstlich des Grabes des Dewen untersucht. An- haltspunkte für den Prozessionsweg waren dort aber nicht mehr festzustellen.

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Große Fortschritte wurden beim Zusammensetzen der Fragmente aus kris- tallinem Kalkstein aus dem Grab des Djer und seiner Umgebung erzielt. Sie gehörten offenbar nicht zu einem Sarkophag, sondern einem großen Schrein mit leicht gewölbter Oberseite von 1,63 m Breite und über 2 m Länge. Eine Ecke ließ sich bereits vollständig rekonstruieren (Abb. 30). Ihre für die Auf- nahme der Statue des auf einem Bett liegenden Osiris zu geringe Höhe von nur ca. 1 m und ein Mörtelbett auf dem unteren Rand lassen darauf schließen, dass es noch ein getrennt gearbeitetes Sockelteil gab. Dekoriert war offenbar nur die rückwärtige Schmalseite, die ein großes versenktes Feld aufweist, das nach Ausweis von Türzapfenlöchern mit zwei Holztüren verschlossen werden konnte. Von der Darstellung in diesem Feld ist bisher lediglich ein kleiner Abb. 30 Osiris in Abydos, Schrein des Abschnitt einer links stehenden Figur mit Tierschwanz erhalten. Rechts von Osiris. Rückseite und vorläufiges Modell dem verschließbaren Feld befindet sich eine weitgehend ausgehackte Darstel- lung des Königs beim Milchopfer. Leitung des Projekts: G. Dreyer, U. Effland • Mitarbeiter und Mitarbeite- rinnen: F. Barthel, C. Benavente, B. Böhm, J. Budka, A. Effland • Abbildungs- nachweis: DAI-KAI, nach G. Dreyer, Umm el-Qaab I, AV 86 (Mainz 1998) Pl. 1 (Abb. 29); DAI-KAI (Abb. 30).

Dahschur Abb. 31 Dahschur, Knickpyramide. Das etwa 30 km südlich von Kairo gelegene Dahschur gehört mit seinen Blick vom Tal auf den Tempel am Aufweg Pyramiden des Alten und Mittleren Reiches (um 2600–1700 v. Chr.) zu den zur Knickpyramide, den Aufweg und die von König Snofru errichtete Knickpyramide bedeutenden Pyramidenfriedhöfen Ägyptens. Das DAI gräbt hier seit 1975. (Altes Reich, um 2600 v. Chr.) Weitgehend unerforscht blieben bislang die zu den Pyramidenbezirken ge- hörenden Aufwege und Taltempel. Großenteils unbekannt sind auch die am Fruchtlandrand gelegenen Pyramidenstädte, die für Priester gegründet wur- den und den Kult an der Pyramide teilweise über Jahrhunderte versahen. Die diesjährigen Untersuchungen konzentrierten sich auf die Erforschung der Zugangssituation zur Knickpyramide, die fast 2 km tief in der Wüste liegt und bereits in den 1950er Jahren von A. Fakhry untersucht wurde. Zu der hoch auf dem Wüstenplateau gelegenen Pyramide führt ein 700 m langer, von Kalksteinmauern begrenzter Aufweg (Abb. 31). Am Anfang dieses Aufweges befindet sich ein Tempel, in dem König Snofru, der die Knickpyramide errich- ten ließ, verehrt wurde. Zu diesem Tempel führt ein mit Lehmziegelmauern begrenzter Weg, der aber bei früheren Ausgrabungen nur über eine Strecke von 30 m verfolgt wurde. Die diesjährige magnetometrische Prospektion und Bohrungen haben den Nachweis erbracht, dass sich dieser Weg noch minde-

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Abb. 32 Dahschur, Knickpyramide. Bohrungen im Vorfeld des am Aufweg gelegenen Tempels. Durch die Bohrungen konnte ein steil ansteigender Lehmzie- gelweg als talseitiger Tempelzugang nachgewiesen werden

stens 140 m weit nach Osten fortsetzt (Abb. 32). Die Bohrungen haben gezeigt, dass der Tempel auf einer natürlichen, hoch gelegenen Zunge des anstehenden Tonschiefers errichtet wurde. Überraschend hat sich ergeben, dass sich die Sohle des Weges in nur 140 m Entfernung von dem Tempel in einer Tiefe von 7,50 m befindet und dass die den Weg begrenzenden Lehmziegelmauern noch bis zu 2,50 m hoch anstehen. Der Weg musste also auf den letzten 140 m bis zum Tempel einen Niveauunterschied von 12 m überbrücken (heute sind es nur 4 m). Man erreichte den Tempel also offenbar über eine Art Rampe. Weiter talwärts konnte der Aufweg bisher nicht verfolgt werden. Zukünftig ist zu klären, ob der Weg sich weiter fortsetzt und ob sich am Ende des Weges möglicherweise ein weiterer Tempel, der eigentliche Taltempel, befindet. Seine Lage könnte auch Aufschluss über die Lokalisation der südlichen Pyramiden- stadt des Snofru geben. Darüber hinaus soll in Zusammenarbeit mit Geographen der Freien Uni- versität Berlin der Versuch unternommen werden, die antike Landschaft von Dahschur auf breiter Basis zu rekonstruieren. Bohrungen im Fruchtland haben wiederholt gezeigt, dass die Siedlungen des Alten Reiches bis zu 7 m unter dem heutigen Begehungsniveau liegen (Abb. 33). Unsere diesjährigen Untersuchun- gen haben ergeben, dass sich nicht nur der Fruchtlandstreifen, sondern auch die Wüstenlandschaft tief greifend von der heutigen Landschaft unterschieden haben muss. Mittels der bei den Bohrungen gewonnenen Daten sind die natur- räumlichen Bedingungen zu rekonstruieren und Veränderungen im Relief und Geländeniveau auszuweisen. Die eindrückliche, symbolisch kodierte Lage der Heiligtümer und Gräber soll in ihrer ursprünglichen Landschaft visualisiert werden. Weiterhin sollen die räumlichen Beziehungen der Heiligtümer und Gräber untereinander, ihre Sichtbarkeit vom Fruchtland, zentralen Heiligtü- mern und Orten sowie Kult- und Blickachsen mit Hilfe einer GIS-gestützten Datenbank ermittelt werden. Hierfür wurden in diesem Jahr umfangreiche Abb. 33 Dahschur, Bohrungen im Frucht- Vorarbeiten, wie die Digitalisierung von Karten, unternommen. land. Die Schichten des Alten Reiches Die anthropologische und paläopathologische Untersuchung von insge- liegen bis zu 7 m unter dem heutigen samt 38 Skeletten aus dem seit 2002 untersuchten Friedhof östlich der Roten Begehungsniveau. Die Sedimentproben bilden die Grundlage für die Rekonstruk- Pyramide ergab wichtige Einsichten in die Lebensverhältnisse einer definier- tion der Paläoumwelt von Dahschur ten sozialen Gruppe, nämlich der Bewohner der nördlichen Pyramidenstadt

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Abb. 34 Dahschur, Skelett des Priesters Hekenu-Ba, der in der nördlichen Pyrami- denstadt des Snofru wohnte und ca. 300 Jahre nach dem Tod des Königs Snofru um 2300 v. Chr. den Kult an dessen Pyramiden aufrechterhielt

des Snofru aus dem Alten Reich (Abb. 34). Die meisten Individuen starben im Alter zwischen 30 und 40 Jahren. Das Fehlen von Säuglingsbestattungen und das Defizit von Kinderbestattungen zeigen, dass diese außerhalb oder an anderer Stelle des Friedhofes beigesetzt wurden. Abnutzungserscheinungen der Hals- und Wirbelkörper und der rechten Hände verweisen auf eine mas- sive mechanische Belastung, z. B. durch das Tragen schwerer Lasten. Kooperationspartner: Freie Universität Berlin • Förderung: DFG • Lei- tung des Projekts: N. Alexanian, S. J. Seidlmayer • Mitarbeiter und Mitarbei- terinnen: H. Becker, F. Becker, M. Beer, D. Blaschta, L. Borrmann, R. Döhl, T. Gutmann, S. Lösch, J. Malur, A. Nerlich, A. Paasch, J. Pinke, R. Schiestl, B. Schütt, K. Seitz • Abbildungsnachweis: DAI-KAI, Freie Universität Ber- lin (Abb. 31–34).

Saqqara In Saqqara, der Nekropole der ersten Hauptstadt Memphis, war der Schwer- punkt der Arbeiten am Grab des Ninetjer, des 3. Königs der 2. Dynastie (um 2700 v. Chr.), die Untersuchung eines Bereiches nördlich des Aufweges zur Unas-Pyramide. Westlich der ca. 25 m langen, von der Mastaba des Nebkauhor überbauten Eingangsrampe des Ninetjer waren dort ähnlich wie beim Zugang zum Grab des Vorgängers Raneb/(Hetepsechemui?) noch unbekannte unter- irdische Galerien zu vermuten. Außerdem wurden die Aufnahme, Bergung sowie Restaurierung der Bestattung des Neuen Reiches in Kammer H 202 weitergeführt und die Bearbeitung der Funde fortgesetzt. Westlich der Mastaba des Neb-Kau-Hor hatte schon P. Munro zahlreiche Schächte festgestellt, von denen einige Verbindung zu wiederbenutzten älteren Galerien hatten. Nach der Reinigung eines Areals von ca. 15 m × 25 m (Abb. 35) wurden von über 40 Schächten 17 untersucht und tatsächlich ein ausge- dehntes Gangsystem des Ninetjer festgestellt (Abb. 36). Es besteht aus drei von der Eingangsrampe ausgehenden Galerien in Ost-West-Richtung, von denen die nördlichste zu beiden Seiten noch je sieben kleine Nebenkammern auf- weist. Diese Galerie (A 100) ist ca. 13,50 m lang, 1,35 m breit und ca. 1,70 m hoch (Abb. 37). Die Nebenkammern sind unterschiedlich groß: die drei der Zugangsrampe nächstgelegenen auf der Nordseite haben eine Länge von 6,20– 8,20 m, die anderen sind bloß 2,50 m bzw. ca. 4,10 m lang. Besonders die klei- neren Kammern sind nur grob ausgehauen, weisen verschiedene Bodenniveaus auf, haben niedrigere Deckenhöhen und machen insgesamt einen unfertigen Eindruck. In den eingerieselten Schuttfüllungen der Kammern fanden sich noch zahlreiche spätzeitliche Bestattungen und Reste von Holzsärgen. Die über einen Durchbruch von einer der südlichen Nebenkammern er- reichbare mittlere Galerie A 300 ist 6,35 m lang. In diesem Gang kam unter spätzeitlichen Mumien am Boden auch noch frühzeitliche Keramik zu Tage, u. a. Weinkrüge und Verschlüsse des Ninetjer, ovoide Flaschen sowie eine Reihe

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Saqqara, Grab des Königs Ninetjer

Abb. 35 Schächte nördlich des Unas-Aufweges

Abb. 36 Neu entdeckte Kammern westlich der Zugangsrampe (M. 1 : 250)

Abb. 37 Galerie A 100 von Westen 36

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Saqqara, Grab des Königs Ninetjer

Abb. 38 Flintmesser aus Galerie A 300

Abb. 39 Keramik in Galerie A 500 39

von kleinen Scheingefäßen. Im östlichen Abschnitt der Galerie lagen außer- dem verstürzte Ziegel, die wohl von einer Blockierung an der Verbindung zur Eingangsrampe stammen. Zur Grabausstattung des Ninetjer gehört vermutlich auch ein Konvolut von 56 größeren Flintmessern verschiedener Typen (Abb. 38), 44 sog. Rasiermessern und 44 kleinen Klingen, die in der Sandfüllung am Durchlass zur Eingangsrampe verstreut waren. Ebenso überraschend war der Befund in der südlichsten Galerie (A 500), die nur über einen der späteren Schächte zugänglich ist, der dicht vor der Verbindung der Galerie mit der Zugangsrampe mündet. Sie ist ca. 6,40 m lang und enthält noch weitgehend vollständig die ursprüngliche Ausstattung von über 50 Weinkrügen mit gesiegelten Verschlüssen des Ninetjer und Resten von Tragnetzen aus Pflanzenfasern, ferner verschiedene Holzobjekte (wohl Tragjoche vom Transport der Gefäße), Bierflaschen und streifenpolierte ovoide Gefäße (Abb. 39). Aus Zeitgründen konnten eine genaue Aufnahme und die Bergung aber nicht mehr erfolgen. Die Ähnlichkeit dieser Galerien mit denen des Raneb/(Hetepsechemui?) lässt darauf schließen, dass sie nach dessen Vorbild angelegt sind und sich dementsprechend östlich der Zugangsrampe noch weitere Galerien unter der Mastaba des Neb-Kau-Hor befinden. Eine Durchsicht der neu gefundenen Siegelabrollungen aus der Galerie A 300 ergab, dass sie sämtlich von Ninetjer stammen. Unter den dort gebor- genen Weinkrügen scheinen aber auch einige zu sein, die eher in die späte 1. Dynastie zu datieren sind. Einige der rot polierten ovoiden Flaschen enthiel- ten Christdornfrüchte. In Kammer H 202 wurde für die weitere Bergung der Bestattung des Nen-semech-tuef aus dem Neuen Reich die abschnittweise Freilegung und Festigung des Sarges fortgesetzt. Von dem bereits geborgenen Kanopenkasten und dem Sargdeckel wurden nach weiterer Konsolidierung die Darstellungen und Inschriften aufgenommen. Der sehr fragile Kanopenkasten ist mit einer umlaufenden Palastfassade dekoriert, der Sargdeckel u. a. in vier rechteckigen Feldern mit Sprüchen aus dem Totenbuch beschriftet. Von den späteren Bestattungen wurden nach Konsolidierung der Bema- lung die wahrscheinlich ramessidischen Särge aus der Grube in Korridor I sowie zwei Oberflächenschnitten aufgenommen bzw. gefestigt. Im Magazin Abb. 40 Saqqara, Grab des Königs des Antikendienstes wurden von den Funden aus der Grabung von P. Munro Ninetjer. Frauensarg aus der Grabung außerdem ein Frauensarg (Abb. 40) und neun Mumienmasken dokumentiert, von P. Munro (R 187)

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von denen drei noch mit Sargfragmenten verbunden waren. Wie die anderen Särge zeigen sie die Verstorbenen als Lebende in Festtagstracht. Dieser Sargty- pus scheint in ramessidischer Zeit in diesem Friedhofsabschnitt von Saqqara der häufigste zu sein. Kooperationspartner: Freie Universität Berlin/Technische Universität Hannover (P. Munro) • Leitung des Projekts: G. Dreyer • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: C. Lacher, S. Boos, A. Pokorny, I. Regulski, T. Reichl, P. Windszus, J. Ziegler; Restaurierung: E. Peintner, Ahmed Rifaat Isa und Hoda Ismail Abd el Hamid • Abbildungsnachweis: DAI-KAI (Abb. 35–40).

Kairo, Wohnhäuser des 19. Jahrhunderts In den historischen Stadtgebieten von Kairo nehmen sich die großen, mitunter über tausend Jahre alten Baudenkmäler wie Felsen in der Brandung aus, um die herum sich der Baubestand fortlaufend erneuert. Insbesondere die Wohn- häuser unterliegen diesem schnelleren Wandel und im 19. Jh. beschleunigte sich dieser Prozess: Neue Stilmoden – vom osmanischen Barock Istanbuler Pro- venienz des früheren 19. Jhs. bis hin zu Neo-Klassik, Neo-Renaissance und anderen historisierenden Stilen europäischer Provenienz im späteren 19. Jh. – veränderten das Aussehen der Häuser mehrfach, gleichzeitig änderten sich die städtische Einbindung und inneren Strukturen der Häuser und mit ihnen die Art und Weise, wie Menschen in ihnen wohnten. Eine solche Intensität wiederholter Um- und Neubauten von Wohnhäusern ist nicht nur Ausdruck eines sich wandelnden Geschmacks. Sie spricht für veränderte Anforderun- gen an das Wohnen und für einen anhaltenden gesellschaftlichen Wandel. Die Wohnhäuser des 19. Jhs. bezeugen einen tief greifenden Wandel, der oft sehr vereinfachend mit Europäisierung und Modernisierung umschrieben wird. Sie sind daher von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung. Jedoch sind gerade die Wohnhäuser dieser Epoche sehr unzureichend erforscht, während ihr Bestand rapide abnimmt. Das Projekt hat zum Ziel, mittels einer bauhistorischen und historischen Erforschung dieser Häuser ein schärferes Bild der sozialen sowie kulturellen Transformationsprozesse zu gewinnen. Dabei sollen durch einen diachronen Vergleich repräsentativer Fallbeispiele wichtige Entwicklungslinien in der Anlage und Raum- und Nutzungsstruktur der Häuser identifiziert werden; ferner soll untersucht werden, welche älteren Elemente fortlebten, welche neuen Elemente eingeführt wurden und in welcher Form und Funktion dies geschah. Wichtige Fragestellungen betreffen die Entwicklung frei stehender Haustypen bei gleichzeitiger Fortentwicklung der Hofhaustypen sowie die Entwicklung neuer Funktionen, Raumzusammenhänge und Erschließungs- formen. Gerade Veränderungen im Raumsystem der Häuser geben Hinweise auf sich wandelnde soziale Bedürfnisse: Etwa hinsichtlich Privatheit, Gastlich- keit, Ausdruck von sozialem Status und der Beziehungen einzelner Unter- gruppen des Haushalts (z. B. Generationen, Geschlechter, Herrschaft und Die- nerschaft). Für die erforderliche Rekonstruktion von Raumnutzungen und Haushaltszusammensetzung werden historische Quellen (u. a. Gerichtsakten und zeitgenössische Beschreibungen) herangezogen und zum Baubestand in Bezug gesetzt. Die im vergangenen Jahr begonnenen und 2008 fortgeführten Surveys in den Altstadtgebieten und den Stadterweiterungsgebieten des 19. Jhs. hatten zur Aufgabe, aussagekräftige Fallbeispiele zu lokalisieren und mittels photo- graphischer Dokumentation und Formenvergleich eine Basis zur Datierung der Bauten und Umbauten zu schaffen. Der Survey ergab, dass heute nur noch sehr wenige Häuser aus dem früheren und mittleren 19. Jh. identifizierbar sind

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(Abb. 41). Häuser aus dem späten 19. Jh. sind viel zahlreicher erhalten. Auch ließ sich feststellen, dass viele Wohnhäuser Teile von Vorgängerbauten integ- rierten (Abb. 42). Jedes einzelne Fallbeispiel ist daher ein komplexes Puzzle, das in sich selbst Kontinuität und Wandel verkörpert, aber zunächst eine rela- tiv aufwendige bauforscherische Untersuchung erfordert. Ob zusammenhän- gende Raumstrukturen für bestimmte Phasen überhaupt noch ausreichend rekonstruierbar sind, wird sich erweisen müssen. Für das kommende Jahr sind Bauaufmaße und bauhistorische Untersu- chungen an zwei bis drei Häusern im Bezirk Darb el-Ahmar in Vorbereitung, sowie an zwei weiteren Häuser in Darb el-Ahmar und in Khalifa (Abb. 43), die glücklicherweise in informeller Kooperation mit Restaurierungsprojekten anderer Träger erforscht werden können. Für einige dieser Häuser konnten auch schon Archivdokumente gesichtet werden, die Aussagen zu den histori- schen Eigentümern, Bewohnern und Nutzungen gestatten. 43 Leitung des Projekts: R. Bodenstein • Abbildungsnachweis: R. Bodenstein (Abb. 41–43). Kairo, Wohnhäuser des 19. Jahrhunderts

Kairo, altägyptische Architekturmodelle Abb. 41 Wohnhaus Darb al-Suyagh 5–7 im Bezirk Darb al-Ahmar, ein großes Wohn- Antike Architekturmodelle, die gebaute oder geplante Architektur verklei- haus im charakteristischen Rumi-Stil (d. h. nert wiedergeben, sind sehr selten erhalten. Ägypten stellt diesbezüglich eine türkischem Stil) der 1. Hälfte des 19. Jhs. Ausnahme dar: Über 130 Modelle, meist Detailmodelle etwa von Säulen oder Säulenkapitellen, werden weltweit in Museen aufbewahrt. Diese Modelle, die Abb. 42 Wohnhaus Darb al-Suyagh 5–7 im Bezirk Darb al-Ahmar, die ehemals offe- aus dem 1. Jt. v. Chr. stammen, ermöglichen teils mehr noch als vollendete ne Bogenstellung der Loggia (Maq@ad) Architekturdetails Erkenntnisse über das Vorgehen und die Fähigkeiten der eines Vorgängerbaus aus dem 17. oder Handwerker und Planer. Das 2006 in Berlin begonnene und nun in Kairo 18. Jh. wurde für den Neubau des 19. Jhs. fortgesetzte Projekt erforscht die Modelle auf Basis millimetergenauer Ver- umgebaut messungen und Zeichnungen (Abb. 44). Abb. 43 Wohnhaus Shari@ Khalifa 3 im Das Ägyptische Museum in Kairo allein besitzt etwa 70 Architekturmo- Bezirk Khalifa. Decke eines Wohn- und delle. Die meist aus Kalkstein gefertigten Objekte sind durchschnittlich 10– Empfangssaales aus der Mitte des 19. Jhs. 30 cm hoch und in der Regel sehr sorgfältig gearbeitet. Sie zeigen häufig voll- im Stil des osmanischen Barock endete Baudetails (Abb. 46), manche bilden aber bewusst verschiedene Stadien der Fertigung nebeneinander ab (Abb. 44. 45). Besonders aufschlussreich sind

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Kairo, altägyptische Architekturmodelle

Abb. 44 Modell eines geöffneten Lotus- kapitells in verschiedenen Fertigungssta- dien (Kalkstein, H 26,50 cm, Berlin 14137)

Abb. 45 Modell eines geöffneten Lotus- kapitells in verschiedenen Fertigungssta- dien (Kalkstein, H 17,50 cm, Kairo GC 33396/ JE 36501)

Abb. 46 Modell einer Bündelsäule mit Papyrus-Palmetten-Kapitell (Kalkstein, H ca. 68 cm, Kairo JE 47090)

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eingeritzte Hilfslinien, welche das konstruktive Vorgehen der Bauleute genau nachvollziehbar machen. Andere Stücke verraten die ungeübte Hand eines Schülers. Die Frage, warum Modelle im ägyptischen Bauwesen der sog. Spätzeit und der griechisch-römischen Epoche eine so große Rolle spielten, kann nur in Zusammenhang mit der Wissens-, Technik- und Baugeschichte verstanden werden. Da viele der Modelle offenbar dem Lernen und Üben gedient haben, kann man auf eine organisiertere Form der Ausbildung in dieser Epoche schließen, in der man sich phasenweise intensiv mit der eigenen Bau- und Kunstgeschichte auseinandersetzte. Vermutlich wurden die Modelle aber auch auf der Baustelle eingesetzt. Die Oberflächen und Details ägyptischer Stein- architektur wurden von den Steinmetzen erst zugerichtet, als die einzelnen Blöcke bereits versetzt waren. Dies geschah also meistens auf hohen Gerüs- ten, auf die man die handlichen Modelle gut mitnehmen konnte. Schließlich wurde die ägyptische Bauornamentik ab dem 7. Jh. v. Chr. enorm bereichert, in ihrer Vielfalt wie in ihren jeweiligen Details. Die Entwicklung dieser For- men, von denen manche nie realisiert wurden oder nicht mehr erhalten sind, lässt sich anhand der Modelle in einmaliger Weise nachvollziehen. 2006 wurden 17 Modelle in Berlin gezeichnet. Nachdem es in diesem Jahr gelungen ist, anhand der Inventare des Ägyptischen Museums in Kairo über 50 bisher unpublizierte Beispiele zu identifizieren, sollen im nächsten Jahr ausge- wählte Kairener Objekte auch im M. 1 : 1 gezeichnet werden. Neben dem Stu- dium der Modelle ist die Untersuchung gebauter Architekturornamentik er- forderlich. Zwei Kapitelle der mittelägyptischen Nekropole von Tuna el-Gebel wurden in diesem Jahr detailliert vermessen, weitere Aufnahmen sind geplant. Kooperationspartner: Ägyptisches Museum Kairo; Ägyptisches Museum und Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin Stiftung Preußischer Kulturbesitz; Lehrstuhl Baugeschichte der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus; Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin; Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim • Leitung des Projekts: U. Fau- erbach • Abbildungsnachweise: U. Fauerbach mit freundlicher Genehmigung des Ägyptischen Museums Berlin (Abb. 44); N. Tomoum (Abb. 45. 46).

Sinai, Kupferversorgung des prädynastischen Ägypten/Archäometallurgie des Sinai Das im Rahmen des Forschungsclusters 2 »Innovationen: technisch, sozial« des DAI durchgeführte interdisziplinäre Forschungsprojekt zu Fragen der Kupfer- versorgung Ägyptens im 4. Jt. und zur archäometallurgischen Rolle des Sinai als Brücke zwischen der südlichen Levante und Ägypten (s. auch S. 295–297) wurde mit zwei Exkursionen (auf den Sinai und in die ägyptische Ostwüste) und weiteren mineralogischen, chemischen und bleiisotopischen Untersu- chungen von Erz- und Schlackenproben sowie von archäologischen Funden fortgeführt. Damit wurde eine bereits für Kupfervorkommen im Wadi Arabah (Feinan/Timna im heutigen Jordanien bzw. Israel) und im nordwestlichen Saudi-Arabien bestehende Datenbank erweitert, die die Grundlage für Prove- nienzanalysen archäologischer Kupfer- und Malachitfunde bilden soll. Um für die Fragen der Kupferversorgung Ägyptens ein möglichst breites Spektrum an archäologischem Material zu gewinnen, wurde mit verschiede- nen europäischen und amerikanischen Museen Kontakt aufgenommen um die Möglichkeiten einer Beprobung von prä- und frühdynastischen Kupfer- objekten auszuloten. Den ersten Analysen von archäologischen Funden aus der unterägyptischen Siedlung Maadi folgte mittlerweile die Analyse einer Serie von Malachit- und Kupferfunden aus dem oberägyptischen Abydos, die u. a. dem University of Pennsylvania Museum, , zu verdanken ist.

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Sinai, Kupferversorgung des prädynasti- Für die Beprobungen weiterer Objekte liegt bereits das Einverständnis von schen Ägypten Museen in Berlin, Brüssel, Hannover, London, München und Wien vor. Das Ziel der beiden Exkursionen war wie im Vorjahr die Inaugenschein- Abb. 47 Malachitminen am Hang eines Nebenarms des Wadi Semna in der ägypti- nahme verschiedener Minen- und Verhüttungsplätze und das Sammeln von schen Ostwüste Erz- und Schlackeproben, um die Serie bereits durchgeführter Analysen zu verdichten. Auf dem Sinai konnten einige weitere frühbronzezeitliche Ver- Abb. 48 Steinbauten (Arbeiterunter- hüttungsplätze im Süden der Halbinsel besucht werden, andere Regionen künfte?) aus dem Alten Reich in der Kupfer- minenregion des Wadi Semna erwiesen sich wegen der starken Militärpräsenz leider als unzugänglich. Da neben Importen aus der südlichen Levante und den Lagerstätten auf dem Sinai die Kupfervorkommen in der ägyptischen Ostwüste, wie in späterer pharaonischer Zeit, auch für die prädynastische Kupferversorgung Ägyptens eine Rolle gespielt haben dürften, führte eine zweite Exkursion nun erstmals in den nördlichen und zentralen Teil dieser Region. Neben verschiedenen Fundorten mit vornehmlich ptolemäisch/römischem Abbau ist ein Gebiet mit zahlreichen kleineren Minen im nördlichen Teil der zentralen Ostwüste (Wadi Semna) besonders zu erwähnen, das bisher in der Literatur hauptsächlich für römische Steinbruchaktivitäten bekannt war. In diesem Gebiet gab es aber auch zahlreiche kleinere Kupferminen (Abb. 47), die nach Keramikfunden von der spätprädynastischen Zeit (Ende 4. Jt.) bis ins Alte Reich betrieben wur- den. An einem der Plätze fanden sich Reste von Steinbauten aus der 3./4. Dy- nastie (ca. 2600/2500 v. Chr.), bei denen es sich um Arbeiterunterkünfte han- deln könnte (Abb. 48). Schmelzöfen oder andere Installationen zur Weiterver- arbeitung des Kupfererzes wurden bei dem kurzen Besuch nicht festgestellt. Solche Öfen könnten in windexponierter Lage auf den umliegenden Bergen zu finden sein, es ist aber auch nicht auszuschließen, dass es sich bei diesen Minen um einen bloßen Abbau von Malachit, ohne Kupfergewinnung, han- delt. Wie zahlreiche Grabfunde belegen, wurde das Mineral seit prädynastischer Zeit auch als grünes Farbpigment für kosmetische Zwecke (Augenschminke) benutzt. Nach den ersten bleiisotopischen Untersuchungen könnten zumin- dest einige der Malachitfunde aus Abydos aus diesen Minen stammen. Für das kommende Jahr ist geplant, diesen Platz noch einmal näher zu untersuchen und vor allem die Frage des Vorhandenseins von Öfen zur Kup- ferverhüttung zu klären. Kooperationspartner: DAI, Orient-Abteilung; Deutsches Bergbaumuseum Bochum; University of Cairo, Faculty of Science, Department of Geology • Leitung des Projekts: R. Eichmann, U. Hartung, K. Pfeiffer • Mitarbei- ter und Mitarbeiterinnen: A. Abdelmotelib, M. Bode (Westfälische Wilhelms-

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Universität Münster), M. El-Aref, A. El-Manawi, R. Hartmann, A. Hauptmann (Deutsches Bergbaumuseum Bochum) • Abbildungsnachweis: DAI-KAI (Abb. 47. 48).

Buto, Tell el-Fara‘in Die jüngsten Grabungsarbeiten an dem im nordwestlichen Nildelta gelegenen, vom frühen 4. Jt. bis in römische Zeit besiedelten Tell el-Fara‘in konzentrierten sich auf die abschließende Klärung der im Vorjahr angetroffenen Grabkammer mit einer ungestörten Elitebestattung der 3. Zwischenzeit (8. Jh. v. Chr.) und auf die Untersuchungen der saitischen (26. Dynastie, 7./6. Jh. v. Chr.) und früh- dynastischen (1. und 2. Dynastie, frühes 3. Jt. v. Chr.) Bebauung. Daneben wur- de mit weiteren Bohrungen im Gelände die Erkundung der allgemeinen Ent- wicklung der Siedlung und der Altlandschaft fortgesetzt. Bei der Weiterführung der Arbeiten an der Grabanlage aus der 3. Zwischen- zeit zeigte sich, dass die im Vorjahr nur teilweise untersuchte Grabkammer ca. 2,80 m eingetieft und bis zum Boden mit reinem Sand verfüllt worden ist. Für den in der Mitte der Kammer stehenden, mit einer Muschelschüttung be- deckten Granitsarkophag war nicht nur der Sarkophagdeckel, der ursprünglich einem ramessidischen Beamten gehört hatte, usurpiert worden, sondern auch die Wanne erwies sich nun als sekundär verwendeter, von einem Gebäude des Pepi I. (ca. 2310–2260 v. Chr.) aus dem Alten Reich stammender Granit- block, der für die aktuelle Bestattung sorgfältig ausgehöhlt worden war. In der Füllung der Grabkammer fanden sich außer zwei zerdrückten Gefäßen über 100 Uschebtis aus Fayence (Abb. 49), die dem Grabherrn im Jenseits dienen sollten. Die sekundäre Verwendung von repräsentativen Sarkophag- und Bau- teilen sowie die bereits im Vorjahr festgestellte reiche Ausstattung des Grabes Buto, Tell el-Fara’in (Abb. 50) lassen keinen Zweifel an der herausgehobenen sozialen Stellung des Bestatteten, bei dem es sich um einen hohen Beamten oder einen bisher nicht Abb. 49 Fayenceuschebtis aus einem bekannten Lokalfürsten aus Buto handeln dürfte. Elitegrab der 3. Zwischenzeit (8. Jh. v. Chr.) An einem anderen Grabungsplatz wurden Reste eines saitischen Gebäudes Abb. 50 Menitanhänger aus dem glei- aus der 1. Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. freigelegt. Erhalten war allerdings nur noch chen Grab, Lapislazuli mit Goldfassung dessen Fundament (Abb. 51), das in der für die Spätzeit typischen gekammer- (M. 1 : 1)

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Buto, Tell el-Fara’in

Abb. 51 Saitisches Gebäudefundament mit Rundspeichern (1. Hälfte des 6. Jhs. v. Chr.), im Hintergrund frühdynastische Mauerzüge

Abb. 52 Fayenceamulette einer Bestat- tung aus einer der Fundamentkammern des saitischen Gebäudes (spätes 6. Jh. v. Chr.); M. 1 : 4

Abb. 53 Hausreste aus der frühen 1. Dy- nastie mit eingegrabenen Vorratsgefäßen (frühes 3. Jt. v. Chr.) 51

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ten Bauweise konstruiert ist. In mehreren der Fundamentkammern kamen eingebaute Rundspeicher zu Tage, in anderen fanden sich aus dem späten 6. Jh. v. Chr. stammende Mehrfachbestattungen, die als Sekundärnutzung die bereits zu dieser Zeit erfolgte Aufgabe des Gebäudes anzeigen. Die Bestattungen selbst waren nur sehr schlecht erhalten, jedoch vermitteln beigegebene Gefäße und zahlreiche Fayenceamulette (Abb. 52) einen Eindruck von den Bestattungs- sitten dieser Zeit. Das saitische Gebäude überlagert unmittelbar die Mauerzüge eines grö- ßeren administrativen Gebäudekomplexes frühdynastischer Zeit (frühes 3. Jt. v. Chr.), der wahrscheinlich in der 1. Hälfte der 1. Dynastie unter Djer errichtet bis etwa zur Mitte der 2. Dynastie in Benutzung war. Neben der Freilegung weiterer Räume des Gebäudes ergaben sich bei den diesjährigen Arbeiten durch sekundär in Mauerfundamenten verbaute Kalksteinblöcke Hinweise auf die Existenz eines Steingebäudes in Buto, das bereits in der 1./frühen 2. Dynas- tie nicht mehr genutzt wurde und als ›Steinbruch‹ gedient hatte. Aus dieser Zeit sind sonst in Ägypten noch keine größeren Steingebäude bekannt. Der Gebäudekomplex ist unmittelbar auf abgetragenen Mauerzügen aus der frühen 1. Dynastie errichtet, die zu mehreren kleineren Gebäuden mit zahlreichen Rundspeichern und eingegrabenen Vorratsgefäßen gehört hat- ten (Abb. 53), die wiederum eine regelmäßige Bebauung mit durch schmale Gassen voneinander getrennten Wohneinheiten aus der Zeit des Narmer (um 3000 v. Chr.) überlagern. Verweisen in der jüngeren Siedlungsphase neben den Einrichtungen zur Vorratshaltung auch zahlreiche Sichelklingen auf landwirt- schaftliche Aktivitäten, fehlen solche Befunde in der narmerzeitlichen Sied- lung bisher völlig. Dafür fand sich hier ein ungewöhnlich hoher Prozentsatz an Mergeltonware, die nicht lokal produziert sein kann, sondern aus südlicheren Gegenden stammen muss. Diese offensichtlichen Veränderungen des Charak- ters der Siedlung im Laufe der frühen 1. Dynastie sollen im kommenden Jahr näher untersucht werden. Kooperationspartner: Universität Poitiers (P. Ballet) • Leitung des Projekts: U. Hartung • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: J. Bourriau, A. Buszek, M. de Dapper, E. Dedden, A. Effland, P. French, R. Hartmann, E. Hower-Tilmann, C. Jones, Ch. Kitagawa, P. Kopp, W. Kreibig, S. Laemmel, S. Lösch, P. Windszus, A. Zink • Abbildungsnachweis: DAI-KAI (Abb. 49–53).

Oase Siwa, Ammoneion Die Grabungen am Ammoneion in der Oase Siwa beinhalten die Erfor- schung der Archäologie, der Kultpraxis und des politischen Raumes einer der berühmtesten Orakelstätten der Antike, an der u. a. Alexander der Große sei- ne Legitimierung als rechtmäßiger König Ägyptens erhielt. Neben denkmalpflegerischen Arbeiten zum Erhalt des absturzgefährdeten Orakeltempels liegt das Schwergewicht der Ausgrabungen auf der Akropolis von Agh´rm¥ und in dem Bereich des rund 400 m weiter südlich gelegenen Amun-/Totentempels (eines Oasenkönigs) von Umm UbaydŒ. In dem nördlich gelegenen Eingangsbereich der Tempelanlage von Umm UbaydŒ erbrachten die Grabungen des Frühjahrs eine zweite (südliche) Reihe stark beraubter Säulenfundamente westlich und östlich der Tempelachse, die im Verein mit den Überresten eines Mauerzugs auf der Nordwestseite mög- licherweise einen Hof mit überdachter Kolonnade auf den Längsseiten oder eine Art Doppelkiosk bildeten. In diesen Bauteil mündete jedenfalls die Pro- zessionsstraße (dromos) und hier empfingen wohl die Götter(-Standarten) und Priester von Umm UbaydŒ die aus Agh´rm¥ kommende Orakelprozession mit der Barke des Amun (Abb. 54. 55).

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Oase Siwa

Abb. 54 Vordere Säulen- und Mauerfun- damentierung im Eingangsbereich des Tempels von Umm Ubaydā. Westseite (Blick nach Westen)

Abb. 55 Der Befund im Bereich der stark beraubten hinteren Säulenreihe (Blick nach Nordwesten). Der hohe Grundwas- serspiegel in der Oase erforderte eine mächtige Fundamentierung

Die Existenz eines derartigen Bauglieds quer zur Bewegungsachse legt die Vermutung nahe, dass mit dem Barkenzug an dieser Stelle eine Richtungsän- derung vollzogen wurde. Statt weiter zum Tempel zu schreiten, dürfte sich die Prozession zunächst durch ein östliches Seitentor auf die Plattform begeben haben, die den heiligen Bezirk (temenos) wohl auf allen Seiten umgab. Zweck wird ein Besuch bei der berühmten ›Sonnenquelle‹ gewesen sein, d. h. dem Heiligen Brunnen (und vielleicht See) der in einer Gartenlandschaft platzier- ten Tempelanlage. Der Barkenzug mag daraufhin das Temenos umrundet haben und trat hernach durch ein westliches Tor wieder in die Hof- (oder Kiosk-) Anlage ein, um anschließend von dort in den Tempel geführt zu werden. Östlich des Tempelhauses ergaben Sondagen eine Reihe von Streifenfun- damenten, perpendikulär zur (Fundamentierung der) östlichen Temenosmauer verlaufend und in diese kontemporär eingebunden. Auf der Westseite scheinen

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Abb. 56 Oase Siwa, Bildnis des Ammonier- Königs Wenamun vom Eingangstor des Tempels von Umm Ubaydā. Das pharao- nische Uräendiadem ist zum Straußen- federschmuck der libyschen Fürsten umgedeutet

sie durch eine aus kleineren Blöcken bestehenden Steinsetzung (Streifenfun- dament eines Mauerzugs?) begrenzt gewesen zu sein. Nach augenblicklicher Befundlage ergeben sich drei innen an die Umfassungsmauer angelehnte Kammern unterschiedlicher Größe. Die Zugangssituation – am ehesten von Norden oder Westen – sowie die Funktion der Räume (Kultbau; Magazine) ist ungeklärt. Unter den spärlichen Funden ragt aufgrund der sorgfältigen Reliefierung ein Torfragment mit dem in erhabenem Relief gearbeiteten Kopf des Herr- schers von Siwa (sicherlich Wenamun) heraus. Als Zeichen der Königswürde trägt der Herrscher die typisch libysche Straußenfeder (Abb. 56). Aufgefun- den im Eingangsbereich des Tempelhauses, stammt das Stück ursprünglich von der Westseite des Eingangstores in der Tempelfassade. Leitung des Projekts: K. P. Kuhlmann • Mitarbeiter und Mitarbeiterin- nen: B. Böhm, A.-C. Escher, B. Fleischmann, N. Flessa, H.-Ch. Noeske, A. al- Tayyib, M. al-Tayyib, sowie zeitweilig F. Hollweger und I. Kulitz • Abbil- dungsnachweis: DAI-KAI (Abb. 54–56).

Die Geschichte der Abteilung Kairo von 1907 bis 1979 mit Schwerpunkt auf der NS-Zeit Das Projekt beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der Geschichte der Abteilung Kairo während der Zeit des Nationalsozialismus. Aufgrund der Einbindung in Forschungscluster 5 »Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert« des DAI wurde der zeitliche Rahmen jedoch ebenfalls weiter gefasst und reicht nun von der Gründung 1907 bis 1979. Die Untersuchung beschränkt sich nicht auf die wissenschaftlichen Aktivitäten, sondern versucht diese auch mentalitätshistorisch einzuordnen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Einfluss der deutschen Politik auf die Archäologie in Ägypten zu jener Zeit. In diesem Zusammenhang belegen die in diesem Jahr abgeschlossenen Aktenstudien zur wilhelminischen Zeit und die begonnene Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Zeit starke politische Einflüsse auf das Institut, die bis hin zum Missbrauch für politische Zwecke reichten. Nach 1945 prägte die Liberalität der Direktoren Hanns Stock und Werner Kaiser die Entwicklung der Abteilung. Projektbearbeiterin: Susanne Kern.

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Wissenschaftliche Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit

An den Veranstaltungen der »Langen Nacht der Wissenschaften« am 14. Juni in der Zentrale des DAI beteiligte sich die Abteilung mit einem Vortrag von Dietrich Raue über die Heiligtumsforschung im Rahmen des Forschungsclus- ters 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung« des DAI in Ägypten (s. auch S. 60). Außerdem referierte Frau Irene Forstner-Müller an- lässlich des Winckelmann-Tages am 17. Dezember in Kairo über das Thema »Tell el-Daba’a. Development of an Urban Landscape«. Auf den Grabungen des Instituts, im Ägyptischen Museum Kairo und an verschiedenen antiken Stätten wurden zahlreiche Gruppen, Sponsoren und Einzelbesucher geführt, u. a. am 12. Januar der Bundespräsident der Schweiz Pascal Couchpin und der Botschafter der Schweiz in Kairo Charles-Edouard Held (Elephantine), am 30. Januar Prinzessin Jawaher Bint Majid Ibn Abdulaziz (Elephantine), am 31. Januar die Abgeordnete des Deutschen Bundestages Herta Däubler-Gmelin (Giza), am 7. Februar der Abgeordnete des Deutschen Bundestages Karl A. Lamers und die Abgeordnete des Europaparlaments Inese Vaidere (Abydos), am 28. Februar der australische Botschafter Robert Bow- ker (Abydos), am 19. März der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Herwig Friesinger (Elephantine), am 14. April die ägyptische Ministerin für Internationale Zusammenarbeit Fayza Mohamed Aboulnaga und der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland Bernd Erbel (Dra‘ Abu el-Naga) und am 5. September der Fraktionsvorsitzende der Partei »Die Linke« Gregor Gysi (Giza und Altstadt Kairo). Günter Dreyer, Ulrike Fauerbach, Ulrich Hartung, Daniel Polz und Diet- rich Raue gaben Rundfunk und Presse diverse Interviews und betreuten verschiedene internationale Film- und Fernsehteams.

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Abteilung Istanbul

Abteilung Istanbul Direktoren PD Dr. Felix Pirson, Erster Direktor İnönü Caddesi 10 Dr.-Ing. Martin Bachmann, Wissenschaftlicher Direktor TR-34437 Gümüşsuyu-Istanbul Tel.: +90-(0)212-393 76 00 Wissenschaftliche Mitarbeiter Fax: +90-(0)212-393 76 40, 393 76 14 Dr. Philipp Niewöhner, Dr. Richard Posamentir (bis 30. 11.), E-Mail: [email protected] PD Dr. Andreas Schachner, Dr. Jürgen Seeher

Auslandsstipendiat und Auslandsstipendiatin Dr. Beate Böhlendorf-Arslan (bis 31. 1.), Dr. Ralf Becks (ab 6. 10.)

Wissenschaftliche Hilfskräfte Işıl Işıklıkaya M. A. (bis 31. 3.), Ute Kelp M. A., Torsten Zimmer M. A. (bis 31. 12.)

Aus Drittmitteln finanzierte Stellen Dr. Güler Ateş (DFG), Dipl.-Ing. Corinna Brückener (DFG, bis 31. 10.), Dr. Stefan Feuser (DFG)

Abteilung Istanbul

Ausgrabungen und Forschungen

Göbekli Tepe Die seit 1995 am steinzeitlichen Ruinenhügel des Göbekli Tepe im Südosten der Türkei unternommenen Grabungen erbrachten Befunde, die mit ihrer Reichhaltigkeit und Monumentalität unser Bild von der Entstehung sesshafter und bäuerlicher Gesellschaften in wichtigen Bereichen verändern. Es waren jägerische Gruppen, die bruchlos das Erbe der ›Großen Zeit der Eiszeitjäger‹ Eurasiens fortführten und die zu bisher nicht bekannten und auch nicht erwar- teten Leistungen, besonders auf dem Gebiet der Architektur, befähigt waren. Die Arbeiten 2008 konzentrierten sich auf Anlage C und auf eine Erwei- terung des Grabungsareals auf der südwestlichen Hügelkuppe (Abb. 1). An- lage C besitzt mehrere konzentrisch ineinander geschachtelte Mauerringe und einen Gesamtdurchmesser von über 30 m. Im Zentrum war sie allerdings durch eine große Raubgrube stark gestört. Besonders in Mitleidenschaft ge- zogen wurden die Zentralpfeiler, deren obere Hälften sich in zentnerschwe- re Bruchstücke zerschlagen in der Grubenfüllung fanden. Doch gerade diese Abb. 1 Göbekli Tepe, die Arbeiten im Frühjahr 2008 im Grabungsgebiet am Zerstörung bot die Chance, in dieser Anlage erstmals auf großer Fläche den Südhang. Im Vordergrund Anlage C, da- Fußboden freizulegen, da hier im Unterschied zu den anderen Anlagen A, B hinter in der Bildmitte rechts Anlage D und und D keine hoch aufragenden, frei stehenden und in ihrem Stand instabilen links die von einem temporären Schutz- und gefährlichen Pfeiler vorhanden waren. dach verdeckte Anlage B; am oberen Bildrand die südwestliche Hügelkuppe Es gelang, bis zum Fußboden des Bauwerks vorzudringen. Die Anlage ist mit den 2007 neu geöffneten Arealen direkt auf dem Fels gegründet. Der ist sorgfältig zu einer völlig planen und

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glatten Fläche abgearbeitet. Ganz wie beim sog. Felsentempel, der schon 1995 Abb. 2 Göbekli Tepe, Vertikalaufnahme dokumentiert und beschrieben worden war, wurde auch bei Anlage C neben der beiden inneren konzentrischen Mauer- dem artifiziell geglätteten Fußboden noch ein weiteres ›architektonisches‹ ringe der Anlage C im Herbst 2008. Gut er- kennbar sind der Felsboden und die aus Element aus dem Fels gehauen. Beide Zentralpfeiler stehen auf einem durch- dem Felsgrund herausgearbeiteten, trapez- schnittlich 30 cm über dem Boden aufragenden Podest (Abb. 2). Als wichtiger förmigen Podeste mit den noch erhaltenen Detailbefund darf die Protome eines Keilers gelten, die in situ in der innen an Schaftstümpfen der Zentralpfeiler 35 und 37 die Ringmauer angelehnten steinernen Bank angetroffen wurde (Abb. 3). Auf der südwestlichen Hügelkuppe wurden die Arbeiten in den im Vor- jahr geöffneten neuen Arealen fortgesetzt. Als wichtigstes Ergebnis kann die Abb. 3 Göbekli Tepe, Protome eines Kei- Freilegung der neuen Kreisanlage F gelten (Abb. 4). Ihr Durchmesser beträgt lers (L 86 cm). Bis auf eine Beschädigung an der Schnauze vollständig. Deutlich erkenn- ca. 10 m. Sie gleicht damit in ihrer Dimension zwar Anlage B, doch sind die bar die Rippen des Tieres, gefunden in situ Pfeiler deutlich kleiner und ihre Größe entspricht der der Pfeiler der Schicht in der steinernen Bank unmittelbar west- II. Ihre Nummerierung wurde deshalb mit römischen Ziffern vorgenommen. lich von P28; die Skulptur war in der Weise Da eine stratigraphische Einbindung dieser Kreisanlage angesichts ihrer Lage eingemauert, dass das Tier aus der Bank herauszuspringen schien; sie musste aus Si- unmittelbar unter der Oberfläche bisher nicht möglich ist, muss es aber bis cherheitsgründen entnommen und in das zum Vorliegen von Radiokarbondaten als ungeklärt gelten, ob Anlage F zur Museum nach Şanlıurfa verbracht werden jüngeren oder älteren Bauschicht oder zu einer potentiell noch unbekannten Schicht gehört. Bemerkenswert ist in jedem Fall die südwestliche Orientie- rung der Zentralpfeiler, die deutlich von der bisher vorherrschenden Südsüd- ost-Orientierung der Anlagen A–E abweicht. Die Anlage ist gut erhalten. Nur die Oberteile der Pfeiler sind infolge der Oberflächennähe stark zerstört. An die Innenseite der Ringmauer sind wie bei den anderen Anlagen steinerne Bänke angelehnt, deren Abdeckungen bei Anlage F durchgängig aus großen Steinplatten bestehen. Beim Fußboden handelt es sich wie erwartet um einen Terrazzoboden.

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Abb. 4 Göbekli Tepe, Vertikalaufnahme der am Westhang der südwestlichen Hügelkuppe gelegenen Anlage F. Gut zu erkennen sind der Terrazzoboden, die nach Südwesten hin orientierten Zentralpfeiler und ein zwischen beiden Pfeilern in situ befindliches Steingefäßfragment

Kooperationspartner: Institut für Ur- und Frühgeschichte der Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Institut für Paläoanatomie und Domestikationsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München • Förderung: DFG; Theodor Wiegand Gesellschaft e. V.; ArchaeNova e. V. Hei- delberg • Leitung des Projekts: K. Schmidt (Orient-Abteilung) • Mitar- beiter und Mitarbeiterinnen: C. Beuger, T. Carter, Chr. Haas, U. Hilby, F. Ja- recki, D. Johannes, Ç. Köksal-Schmidt, S. Matzerath, A. Murgan, Chr. Neu- mann, J. Notroff, J. Peters, N. Pöllath, M. Schaller, B. Sever, E. Steiner, M. Stru- bel, J. Thomalsky, J. Wagner, F. Weigel; N. Atar, A. Beyazlar (Vertreter der Ge- neraldirektion für Altertümer in Ankara) • Abbildungsnachweis: Archiv der Göbekli Tepe-Grabung (Abb. 1. 2. 4); D. Johannes (Abb. 3).

Boğazköy-Expedition Mit dem Ziel, die kulturhistorische Entwicklung der Siedlungskammer über den gesamten Zeitraum menschlicher Aktivitäten zu untersuchen, in der sich im 2. Jt. v. Chr. die hethitische Hauptstadt etablierte, wurden die Ausgrabun- gen in der chalkolithischen Siedlung von Çamlıbel Tarlası und in der hethiti- schen Stadtruine fortgesetzt. Die diesjährigen Ergebnisse zu verschiedensten Epochen – Chalkolithikum, Mittel- und Spätbronzezeit und zur byzantini- schen Zeit – verdichten unser Bild wesentlich. I. Çamlıbel Tarlası: In Çamlıbel Tarlası wurde die Erforschung einer vor- bronzezeitlichen Siedlung in der unmittelbaren Nachbarschaft von Boğazköy

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Abb. 5 Boğazköy-Expedition, Çamlıbel Tarlası. Das sog. Verbrannte Haus mit Tier- knocheninstallationen und Fußbodenbe- funden im Nordteil des Gebäudes

fortgesetzt. Die diesjährigen Arbeiten konzentrierten sich vor allem auf die beiden jüngeren Nutzungsphasen des Ortes. Erneut wurde eine Reihe von Kindergräbern aufgedeckt. Diese gehören mehrheitlich in die Zeit der ältes- ten Siedlung, von den jüngeren durch eine Unterbrechung menschlicher Anwesenheit an diesem Platz getrennt. Es hat nun den Anschein, als seien die Bestattungssitten zu dieser Zeit nach Altersklassen gestaffelt gewesen. Bei den Bestattungen in großen Keramikkrügen handelt es sich durchgehend um Säuglinge. Es deutet sich an, dass sie zunächst an einem anderen Ort und erst danach unter den Hausfußböden beigesetzt worden sind. Dagegen sind ältere Kinder in Hockerposition direkt und ohne ›Sarg‹ begraben worden. Von einer dritten Altersklasse, den Erwachsenen, fehlt jede Spur – sie fanden ihre Ruhe- stätte wohl außerhalb der Siedlung. Eines der Häuser, die bei der Wiederbesiedlung des Platzes errichtet wor- den sind, zeigte sehr ungewöhnliche Eigenschaften (Abb. 5). Es ist ein Großbau mit über 9 m Länge. Als einziges Gebäude in Çamlıbel Tarlası besitzt es eine Serie von Fußböden aus Kalk – ein Material, das mit den damaligen Mitteln nur mit hohem Aufwand und beträchtlichem Know-how herzustellen war. Auf dem obersten der Böden ruhten Installationen von Rinderknochen, die bei der Erneuerung der Fußböden – nun in Stampflehm ausgeführt – in die- se integriert wurden. In dem ersten der jüngeren Fußböden fanden sich halb- runde Anordnungen von Linsen verkohlten Materials, die teils die Knochen, teils leere Zentren umgaben. Über mehrere Phasen hin lässt sich verfolgen, dass sich die ungewöhnlichen Befunde auf die Nordhälfte des Baus beschrän- ken – der Süden war immer ›sauber‹. Offensichtlich sind die Bereiche unter- schiedlich genutzt worden. Das Gebäude ist das einzige, das in einem heftigen Brand zugrunde gegangen ist – die Innenausstattung hat man aber zuvor ent- fernt. Ist der Bau am Ende seiner Nutzungszeit intentionell zerstört worden? Im Brandschutt des Gebäudes fand sich ein sehr ungewöhnliches Terra- kottaobjekt (Abb. 6): Eine Gussform, die der Herstellung von sog. Ringidolen gedient hat, stark stilisierten Frauenfiguren mit ringförmigem Körper. Dieser Typus ist vor allem in Südosteuropa zuhause und findet sich dort oft in Horten oder Gräbern. Unser Fund zeigt, dass solche Objekte auch ganz am östlichen Abb. 6 Boğazköy-Expedition, Çamlıbel Rand des Verbreitungsgebietes nicht nur genutzt, sondern auch hergestellt Tarlası. Fundlage einer Gussform für Ring- worden sind. idole im Schutt des ›Verbrannten Hauses‹

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Abb. 7 Boğazköy-Expedition, Çamlıbel Tarlası. Blick über eines der Großgebäude der jüngsten Schicht auf einen offenen Hof- bereich, der mit Schlackebrocken übersät war. In der Südostecke des Hofes ist ein großer Ofen mit Scherbenpflaster sichtbar

Bereits im vergangenen Jahr sind in Çamlıbel Tarlası große Mengen an Kupferschlacken zu Tage getreten. Dieses Jahr wurde in der obersten Sied- lungsschicht ein großer offener Hofbereich entdeckt, der von zwei Häusern flankiert ist (Abb. 7). In einer Ecke des Hofes stand ein großer rechtwinkli- ger Ofen mit Seitenlängen von über 2 m. Neben zahlreichen zerbrochenen Gefäßen und Resten verschiedener anderer Aktivitäten fanden sich hier auch große Mengen zerschlagener Schlackebrocken. Hinter dem Hof war zumin- dest eine kleine Schmelzgrube in Betrieb. Große Mengen an Bachkieseln mit Pickspuren haben vermutlich der Zerkleinerung der Schlackebrocken gedient. Wir haben hier offenbar die Reste einer unspezialisierten Metallverarbeitung im dörflichen Rahmen vor uns, die mit einfachen Mitteln, aber in durchaus beträchtlichem Umfang betrieben worden ist. Tiegel oder große Metallob- jekte wurden bisher nicht gefunden. Daher ist noch unklar, ob alle Schritte des Herstellungsprozesses vor Ort ausgeübt worden sind. Diese Situation ist ein Glücksfall, denn üblicherweise verfügt man über weniger Informationen zum spezifischen Kontext, in dem die frühe Metallverarbeitung stattgefunden hat. Eine kleine Serie von Radiokarbondaten erlaubt nun Aussagen zur Zeit- stellung von Çamlıbel Tarlası. Der Ort datiert demnach in die Mitte des 4. Jts. v. Chr., in das Spätchalkolithikum. Die Siedlungsdauer scheint recht kurz, ca. 120 Jahre, gewesen zu sein. Dieses Ergebnis macht Çamlıbel Tarlası zwar um einiges jünger als ursprünglich erwartet – gleichzeitig ist er aber einer der ersten prähistorischen Fundorte Nordanatoliens, dessen Alter mit modernen Methoden bestimmt worden ist. II. Boğazköy-ïattuša: In ïattuša konzentrierten sich die Ausgrabungen auf das Tal westlich vor Sarıkale, in dem seit 2001 gearbeitet wird und wo die For- schungen in diesem Jahr zu einem weitgehenden Abschluss gebracht werden konnten. Obwohl im Bereich der Grabungsstelle in der Talsenke vor allem er- gänzende und klärende Arbeiten anstanden, die zur Vervollständigung der be- reits freigelegten Gebäude führten, konnte durch die Ergebnisse einer Tiefson- dage überraschenderweise die Nutzung der westlichen Oberstadt bereits in der ausgehenden Karum-Zeit, d. h. mehrere Generationen vor Beginn der hethiti- schen Ausdehnung des Stadtgebietes in diesen Bereich, nachgewiesen werden. Die Vervollständigung der in den Jahren 2006 und 2007 ausgegrabenen Ge- bäude zeigt nun, dass die älteste hethitische Siedlungsperiode im ausgehenden

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16. Jh. v. Chr. in einer einmaligen Regelmäßigkeit geplant und angelegt wurde. Abb. 8 Boğazköy-Hattuša, work in ˘ Dieses Ergebnis ist vor allem im Gesamtzusammenhang der Entwicklungen progress – Ausgrabungen eines reprä- während des 16. Jhs. v. Chr. ein weiteres Indiz für die tief greifenden Verände- sentativen hethitischen Gebäudes auf dem mittleren Plateau rungen, die gerade in diesem Jahrhundert stattfanden und die Grundlage für die Entstehung des hethitischen Großreiches im 15.–13. Jh. v. Chr. bildeten. Durch eine zweite, seit 2006 bestehende Grabungsstelle am südlichen Übergang des Tales vor Sarıkale zur zentralen Oberstadt sollen weitere Ein- blicke in die urbanistische Gestaltung und Entwicklung der Oberstadt gewon- nen werden (Abb. 8). Vor allem die nahezu abgeschlossene Freilegung eines großen, wahrscheinlich quadratischen Bauwerks, dessen erste Bauphase auf- grund von Keilschriftfunden bereits im 15. Jh. v. Chr. bestanden hat, liefert in dieser Hinsicht vielseitige Ergebnisse. Durch dieses Gebäude, das wahrschein- lich als repräsentatives Wohnhaus anzusehen ist, wird nicht nur deutlich, wie ältere Bautraditionen in neue Formen übertragen werden, sondern es werden aufgrund eines im Südostteil der zweiten Bauphase dieses Gebäudes aus dem 13. Jh. v. Chr. (?) ausgegrabenen Gefäßinventars auch Einblicke in Lebensfor- men der Elite des hethitischen Staats möglich (Abb. 9). Zusätzliche Sondagen auf der genannten Geländeterrasse förderten neben Resten weiterer hethitischer Gebäude ein zweiräumiges Haus der byzanti- nischen Zeit zu Tage, so dass die bereits geäußerte Vermutung wohl zutrifft, die mittelbyzantinische Bebauung in Boğazköy sei ausgedehnter gewesen als angenommen. Parallel zu den Ausgrabungen wurden die Begehungen in der Unterstadt Abb. 9 Boğazköy-Hattuša, Teil eines ˘ fortgesetzt. Dabei konnten die Kartierung von Kesikkaya und die geomagne- Gefäßinventars

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Abb. 10 Boğazköy-Hattuša, geophy- tische Prospektion abgeschlossen werden. Obwohl sich auf Kesikkaya praktisch ˘ sikalische Kartierung in der nördlichen keine Baureste erhalten haben, wird durch die Arbeiten nun deutlich, dass Unterstadt sich die Poternenmauer in einer weiten S-Kurve an die Westhälfte des Felsens anlehnt. Der nun erstmals korrekt kartierte Verlauf der Poternenmauer zeigt, dass sie in diesem Abschnitt dem Gelände angepasst errichtet wurde. Auf der Ostseite von Kesikkaya belegen die dokumentierten Abarbeitungen auf dem Felsen eine wahrscheinlich monumentale Bebauung, die in mehreren Höhenstufen den gesamten Felsblock umfasst haben dürfte. Da auch südlich und nördlich des Felsens ausgedehnte Reste großer Gebäude durch die geo- magnetischen und traditionellen Begehungen entdeckt wurden, kann man vorläufig folgern, dass sich die monumentale Bebauung der Unterstadt bis Kesikkaya hingezogen hat. Möglicherweise hatte dieser Felsen eine besondere Stellung in diesem Stadtviertel. Mit den geomagnetischen Prospektionen im Norden der Unterstadt konn- ten infolge der starken Überlagerungen hier zu vermutende kleinräumige Strukturen nicht festgestellt werden. Dennoch erbrachten die Arbeiten über- raschende Ergebnisse, da sich nun der Verlauf der Stadtmauern gänzlich an- ders darstellt, als bislang aufgrund der Geländeformationen angenommen. Im Gegensatz zu den bisherigen Rekonstruktionen vereinen sich die Abschnitt- mauer und die nördliche Befestigung der Unterstadt nicht (Abb. 10). Vielmehr knickt die Abschnittmauer nach Osten um, so dass die beiden Befestigungs- anlagen nordöstlich von Mıhraplıkaya ein kurzes Stück sogar parallel ver- laufen. Dieser Befund spricht für eine chronologische Entwicklung des Mau- ersystems und der betroffenen Stadtbezirke, die zwar die bis dato gültigen

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Abb. 11 Boğazköy-Hattuša, rekonstru- ˘ ierter Besucherweg in Yazılıkaya, der wie in hethitischer Zeit durch die Gebäude verläuft

Abläufe in Frage stellt, jedoch wohl nur durch Ausgrabungen geklärt werden kann. Neben der Erforschung der Ruine steht deren Erhalt und besuchergerechte Präsentation im Mittelpunkt der Arbeiten. Dieses Jahr wurde bereits mit der Rekonstruktion der Baubefunde im Tal vor Sarıkale begonnen. Darüber hin- aus konnte in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden der Besucherweg in Yazılıkaya, einem Felsheiligtum 2 km nordöstlich von ïattuša, so neu struktu- riert werden, dass die Besucher nun dem hethitischen Weg durch das Gebäude in das Heiligtum folgen (Abb. 11). Kooperationspartner – Çamlıbel Tarlası: University of Edinburgh, Edin- burgh • Leitung des Teilprojekts: U.-D. Schoop • Mitarbeiter und Mitar- beiterinnen: E. Schoop, S. Ben Mohamed, B. Irvine • Abbildungsnachweis: Archiv der Boğazköy-Epxpedition (Abb. 5–7). Kooperationspartner – Boğazköy-ïattuša: Generaldirektion für Kultur- denkmäler und Museen des Kultur- und Tourismusministeriums der Republik Türkei; Generaldirektion für Kulturdenkmäler und Museen des Kultur- und Tourismusministeriums der Republik Türkei, Direktion für Denkmalschutz und Baudokumentation; Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz, Kommission für den Alten Orient; Institut für Altorientalistik der Bayeri- schen Julius-Maximilians-Universität Würzburg; Institut für Vorderasiatische Altertumskunde der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; Institut für Altorientalistik der Universität Leipzig; Institut für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; School of History, Classics, and Archaeology, University of Edinburgh, Edinburgh • Förderung: Gerda Hen- kel Stiftung (Abschluss der Arbeiten im Tal vor Sarıkale); DS-Concept (allge- meine Förderung des Projekts); Brennan Foundation (Arbeiten im südlichen Tal von Sarıkale) • Leitung des Projekts: A. Schachner • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: U. Schoop (Edinburgh, Leitung der Ausgrabungen in Çam- lıbel Tarlası), G. Wilhelm (Würzburg/Mainz, Bearbeitung der Keilschrifttafeln), S. Herbordt (Leipzig, Bearbeitung der Siegel- und Bullaefunde), R. Dittmann (Münster, Stadtsurvey) (für eine vollständige Liste der Mitarbeiter und Mit- arbeiterinnen s. auch den Vorbericht im AA 2009/1) • Abbildungsnachweis: Archiv der Boğazköy-Expedition (Abb. 8–11).

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Milet Die Grabungsarbeiten standen in diesem Jahr im Zeichen des Abschlusses des Hauptprogramms der Miletgrabung, das sich seit 1988 kontinuierlich auf die Erforschung der archaischen Phase der Stadt an der Westküste der Türkei bezog. Im Aphroditeheiligtum auf dem Zeytintepe waren vor allem noch Fragen nach der räumlichen Ausdehnung des sakralen Bereiches an den Hängen des Hügels sowie nach dem Weg, der zu dem Tempel auf dessen Spitze führte, zu klären. Die Sondagen im Westen und an dem südwestlichen Hügelabhang erga- ben folgendes Bild: Im Westen läuft der Steinbruch für den spätarchaischen Tempel, der anschließend zur Westterrasse aufgefüllt wurde und in dem die Hauptzahl der Weihgaben aus dem 6. Jh. v. Chr. gefunden wurden, langsam aus. Nur im äußersten südwestlichen Bereich war man für die Steingewin- nung noch tiefer gegangen. Die entsprechende Auffüllung bestand aus einem Scherbendepot, das in das früheste 7. Jh. v. Chr. und damit an die Anfangszeit des Heiligtums zu datieren ist. Im westlichen Bereich des Südhanges trafen die Grabungen auf Gräber, die sich seit der frühhellenistischen Zeit den Hang hinaufzogen. Diese dichte Reihe der Gräber hat hier die archaischen Befunde weitgehend zerstört. Im östlichen Bereich des Südhanges kamen am Hügelfuß Siedlungsspu- ren aus der byzantinischen Zeit zu Tage. Die gleichzeitig gemachten reichen Funde archaischer Weihegaben belegen aber, dass sich das Heiligtum in die- sem Bereich ursprünglich bis zu dem Hügelfuß ausgedehnt hat. Die Sondagen am Osthang haben zur Lösung einer wichtigen topogra- phischen Frage geführt. Etwa auf der halben Höhe des steilen Hanges wurden Abschnitte einer sich schräg den Hang hochziehenden Mauer festgestellt, 12 die aus einer starken, in polygonaler Fügung gesetzten Außenschale, einer im Lehmbett versetzten Füllung aus Bruchsteinen und einer dünneren Innen- schale besteht. Da diese Mauer für eine Temenosmauer zu breit und zu mas- siv erscheint und da auch jenseits von ihr noch archaische Weihegaben gefun- den wurden, wird angenommen, dass es sich um die Stützmauer für den Weg zum Altar und zum Tempel handelt. In der mittleren Zone zwischen dem Gipfel und dem Fuß des Südhanges trafen die Sondagen auf Spuren von Steinbrucharbeiten, die aber nicht, wie auf der Westterrasse, der Ausbeutung von Kalkstein als Baumaterial dienten, sondern durch die Gewinnung von Tuffitblöcken entstanden sind. Man kann annehmen, dass das Baumaterial für einen Nachfolgebau des von den Persern zerstörten spätarchaischen Tempels verwendet worden ist. Unmittelbar an der Grenze zwischen der geologischen Tuffit-Formation und dem Kalksteinkern des Hügels wurde ein großer (ca. 1,70 m × 2 m), in den Fels gehauener Bothros entdeckt. Die hier geborgenen reichen Weihe- gaben waren zusammen mit Erde, Knochen und teilweise mit Asche einge- bracht worden. Ihre Niederlegung erfolgte planmäßig und mit der Absicht, den Objekten einen größtmöglichen Schutz zu gewähren. So waren in der Regel Terrakottafiguren mit dem Gesicht nach unten, Gefäße mit den zer- brechlichen Mündungen und Henkelansätzen gleichfalls nach unten gelegt 13 worden. Kleinere und größere Steine waren so gruppiert, dass sie ebenfalls dem Schutz der Weihegaben dienten. Milet, Aphroditeheiligtum Zu den reichen Funden aus dem Bothros, die nach erster Einschätzung vom Beginn bis in die Zeit nach der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. reichen, gehören Abb. 12 Fayencegefäß (7. Jh. v. Chr.) Terrakottafiguren, Fayencegefäße (Abb. 12) und Fayencefiguren, Elfenbeinfi- Abb. 13 Elfenbeinfigur (7. Jh. v. Chr.) guren (Abb. 13), Bronzefiguren und Schmuck aus Bronze und Silber, kyprische

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Terrakotten und Kalksteinfiguren, Siegel und geschnittene Steine. Unter den umfangreichen Keramikfunden befindet sich Importkeramik (Abb. 14) von hoher Qualität. Die zuletzt durchgeführten Grabungen im Heiligtum der Artemis Khitone auf der Ostterrasse des Kalabaktepe sind in der diesjährigen Kampagne eben- falls zum Abschluss gebracht worden. Dabei konnten der Plan des im letzten Jahr gefundenen Kultbaus ergänzt und die allgemeine Stratigraphie des Hei- ligtums bis in die mittelgeometrische Zeit ausgedehnt werden. Weitere Aktivitäten in Milet betrafen die Bau- und Skulpturenuntersu- chungen in den Faustina-Thermen (s. auch S. 19–22) sowie die Fortführung der Bauaufnahme im Heiligtum des Apollon Delphinios. Kooperationspartner: Eremitage St. Petersburg (S. Solovyov); Österreichi- sches Archäologisches Institut (M. Kerschner, Grabungen im Heiligtum der Artemis Khitone) • Zusammenarbeit mit der Zentrale des DAI (O. Dally, Faustina-Thermen) und den Abteilungen Istanbul (Ph. Niewöhner, Projekt Byzantinisches Milet) und Athen (W.-D. Niemeier, Projekt Athenatempel) des DAI • Förderung: DFG; Ruhr-Universität Bochum • Leitung des Projekts: Abb. 14 Milet, Aphroditeheiligtum. V. von Graeve • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: K. Akinci (Aphrodite- Korinthischer Aryballos (7. Jh. v. Chr.) heiligtum, Sondagen am Osthang), I. Blum, I. A. Panteleon (Aphroditehei- ligtum, Arbeiten im Bereich des Südhanges), S. Solovyov (Aphroditeheilig- tum, Sondagen im Westen und an dem südwestlichen Hügelabhang), A. Yaşar (Aphroditeheiligtum, Sondagen am Osthang, Grabung Aphroditeheiligtum), M. Kerschner, A. von Miller, A. Vacek (Grabung Artemisheiligtum), A. Herda, E. Sauter, M. Taschner (Delphinionprojekt) • Abbildungsnachweis: G. Günay- von Graeve (Abb. 12–14).

Didyma Der Apollontempel von Didyma gilt als die am besten erhaltene und impo- santeste Ruine eines in klassischer Zeit entworfenen Sakralbaus Kleinasiens (Abb. 15). Schwerpunkte der laufenden Projekte sind die Erforschung der topographischen Veränderungen im Kernheiligtum des Apollon von Didyma zwischen dem 7. und 4. Jh. v. Chr. und ferner der bronzezeitlichen Siedlung auf der nah gelegenen Insel Tavşan Adası. Im Rahmen der Untersuchungen zur räumlichen Planung und Ausdeh- nung des didymäischen Orakelheiligtums konnten mittels Georadar neue wichtige Anhaltspunkte zur ursprünglichen Geländemorphologie gewonnen werden: Unter dem jüngeren Didymaion (Großer Tempel) ließ sich ein noch anstehender Felsrücken mit Abarbeitungsspuren feststellen. Infolge der dies- jährigen Auswertung der lage- und höhengerechten Messdaten war es mög- lich, ein detailliertes 3D-Modell der reflektierenden Untergrundstrukturen zu erstellen, das Neues zur archaischen Topographie des Heiligtums beiträgt (6. Jh. v. Chr.). Die im Zuge der geophysikalischen Prospektion gewonnenen Daten werden laufend über definierte Schnittstellen in die digitale Gelände- rekonstruktion des Tempelumfeldes (inklusive Terrassenanlagen) integriert, bei der die phasenabhängige topographische Übersicht des Kernheiligtums von der archaischen bis in die klassische Zeit erfasst wird. Um Trassenverlauf und Zugang zum Kernheiligtum zu erforschen, galt es, einen Bereich der Heiligen Straße jenseits der modernen Straße näher zu untersuchen (Sondagen HSA/HSB), zumal der Verlauf des didymäischen Prozessionsweges bisher äußerst kontrovers diskutiert wurde. Von besonderer Bedeutung ist hierbei der neue Fund einer profilierten Rundbasis in situ, auf der eine verloren gegangene, bronzene Siegerstatue eines Ringers stand. Sie besteht aus fein kristallinem, hell-bläulichen Marmor (Abb. 16). Von Interesse

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Didyma

Abb. 15 Das jüngere Didymaion (Modellhubschrauber- Aufnahme 2008)

Abb. 16 Basis in situ für eine Ringerstatue am Westrand der Heiligen Straße 16

ist die Tatsache, dass die Schauseite der Basis mit Inschrift nach Nord-Nord- osten weist. Aus ihrer Standlage geht somit hervor, dass gerade an dieser Stelle die Straßen-Trasse in hellenistischer wie in archaischer Zeit noch einen Knick nach Südosten beschreibt und somit direkt auf die Terrasse vor dem Tempel orientiert war, woraus sich auch erklären lässt, weswegen der Abstand zwischen dem Stufenbau des jüngeren Didymaion an dessen Nordostecke und der Ter- rassenmauer so eng gefasst wurde. Es handelt sich also um die Trasse des alten archaischen Prozessionsweges, der aus kultischer Tradition in hellenistischer Zeit beibehalten wurde. Die im Rahmen der Didyma-Expedition durchgeführten Feldforschun- gen auf der nah gelegenen Insel Tavşan Adası haben diesen Fundplatz als wichtiges überregionales Handelszentrum herausgestellt. Die Insel und die

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Grabungsschnitte wurden in diesem Jahr erstmals aus der Luft mit einem Abb. 17 Didyma, Tavşan Adası (Modell- Modellhubschrauber dokumentiert (Abb. 17). Mit der Freilegung des großen, hubschrauber-Aufnahme 2008) aus rechteckigen Räumen bestehenden Gebäudekomplexes im Osten der Insel (Areale D17–D19, C17 und C18) wurde fortgefahren. Stratigraphie und Baubefunde zeigen zwei Bauphasen. Derartige Hauskomplexe sind besonders aus größeren kretischen Siedlungen bekannt. Zahlreiche Scherben verweisen auf ein Magazin. Das sehr einheitliche archäologische Material findet Ent- sprechungen in der minoischen Formenwelt der Süd- und Ostägäis. Es sind ebenso sehr Importe (teilweise von hoher Qualität) wie regionale ›minoische‹ Waren belegt. Sie lassen sich mit den Phasen MMIII/SMIa (17. Jh. v. Chr.) auf Kreta verbinden. Herausragender Fund ist ein amigdaloides, kretisches Bergkristallsiegel mit einer fein gravierten Segelschiffsdarstellung. Es zeigt sich, dass in der Älteren Palastzeit Kretas mit einer regelrechten ›Minoisierung‹ der südöstlichen Ägäisküste zu rechnen ist. Verantwortlich dafür waren vermutlich kretische und z. T. kykladische Einwanderer, die mit der lokalen Bevölkerung verschmolzen, wodurch die typisch ostägäisch-minoische Kultur entstand, wie wir sie nunmehr aus Milet und von Tavşan Adası kennen. Jährlich muss die imposante Ruine des Apollontempels wegen starker tou- ristischer Frequenz unter Beobachtung stehen und von spezialisierten Steinre- stauratoren auf Zerstörungen und Beschädigungen untersucht werden. Ferner werden laufend Konsolidierungsmaßnahmen am großen Tempel durchgeführt, die im Sommer dieses Jahres, neben der Abschlusssanierung der Nordlaibung der großen Erscheinungstür, der Ost- und Westmauer des 2-Säulensaales gal- ten. Es konnte ein wesentlicher Teil des Nordostbereiches des Tempels voll- ständig saniert werden (Abb. 18).

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Abb. 18 Didyma, Restaurierungen im 2-Säulensaal und an der großen Portal- wange

Leitung des Projekts: A. Furtwängler • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: F. Bertemes (Leitung der Untersuchungen auf Tavşan Adası), D. Mauermann, A. Slawisch, U. Weber (Sondagen an der ›Heiligen Straße‹), Ch. Kronewirth (Tempelkonsolidierung und Restaurierung) • Abbildungsnachweis: Archiv der Didymagrabung (Abb. 15–18).

Priene Die im 4. Jh. v. Chr. am Südfuß des Mykale-Gebirges (heute: Samsun Dağları) über dem Mündungsgebiet des Mäander (Büyük Menderes) angelegte Stadt wurde im späten 19. Jh. durch deutsche Archäologen teilweise ausge- graben und gilt seitdem als Musterbeispiel einer ›hippodamischen‹ Stadtanlage. Seit 1998 laufende Grabungen und Bauuntersuchungen gelten städtebaulich bedeutsamen Veränderungen im Hellenismus und neuerdings auch in spätan- tik-byzantinischer Zeit. Ein Schwerpunkt der Untersuchungen liegt auf einem bisher nicht berück- sichtigten Geländestreifen am Hang nördlich des Wohngebietes, wo sich meh- rere bescheidene Kultplätze befunden zu haben scheinen. In der diesjährigen Kampagne wurden in der Nähe der östlichen Stadtmauer eine unerwartet dichte kleinteilige Heiligtumsbebauung festgestellt und zahlreiche hellenisti- sche Weihgeschenke von z. T. sehr ungewöhnlicher Art geborgen. Dazu zähl- ten Terrakottafiguren von Tänzerinnen (Abb. 19), eine Gruppe auf Ziegelplat- ten abgelegter Hände aus Ton sowie ein reliefverziertes rundes Bleitischchen, dessen Platte 4,80 cm Durchmesser aufweist (Abb. 20). Ob diese Funde und die bisher festgestellten Baureste einem einzigen Heiligtum oder den Kult- plätzen verschiedener Gottheiten zuzurechnen sind, ist derzeit noch offen. Die Untersuchungen am Heiligtum der ägyptischen Götter und in seiner Nachbarschaft verfolgen das Ziel, die Vorgeschichte sowie die Entwicklung

Priene

Abb. 19 ›Felsheiligtum‹ im Nordosten der Stadt. Terrakottastatuette einer Tänzerin (PR 08 TK 24), H 9,30 cm

Abb. 20 Votivtischchen aus Blei mit Relief- darstellungen dionysischer Thematik aus dem Felsheiligtum Ost (Dm 4,80 cm) 19 20

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dieses in prominenter Lage errichteten Bezirks zu klären. Der zentrale Tempel stammt aus dem späten Hellenismus oder der frühen Kaiserzeit, der Kult muss aber um 200 v. Chr. schon existiert haben. Im 3. Jh. v. Chr. war das gesamte Areal durch eine monumentale Stützmauer gegliedert (Abb. 21), hinter der sich vier ungewöhnlich große Gebäude vom Typus des in Priene auch sonst bekannten Prostashauses befanden. Deren Funktion und damit die Frage, ob diese Bebauung mit der Frühphase des Heiligtums zu verbinden ist, gilt es in Zukunft zu klären. Die Arbeiten im Westteil der Stadt haben die Klärung der Baugeschichte von Wohnhäusern zum Ziel, die teilweise schon von der alten Grabung frei- gelegt wurden, aber nach heutigen Maßstäben unzureichend dokumentiert und daher nur bedingt aussagekräftig sind. Mittlerweile zeichnen sich neue Ergebnisse etwa zur Präparierung des Geländes zu Beginn der städtischen Baumaßnahmen oder zum Übergreifen privater Bebauung in den öffentli- chen Raum ab. Daneben wird die Ausgrabung eines Hauses fortgesetzt, das, wie das gesamte Westviertel, im späten 2. Jh. v. Chr. durch eine Naturkata- strophe zerstört wurde und daher für die Ausgräber ungewöhnlich dichtes Abb. 21 Priene, Heiligtum der ägypti- Fundmaterial aus der letzten Nutzungsphase bereithält. schen Götter. Hellenistische Vorgänger- Die Untersuchungen spät- und nachantiker Gebäude in Priene bestätig- bebauung ten die im Vorjahr durch Begehungen gewonnenen Erwartungen in vollem Umfang. So erwiesen sich die Mauerreste über dem Parkplatz östlich der Stadtmauer als Teile einer ursprünglich dreischiffigen Basilika wohl frühby- zantinischer Zeitstellung, deren Abmessungen denen der bekannten ›Bischofs- kirche‹ beim Theater nur unwesentlich nachstehen. Eine detaillierte Bauauf- nahme sowie einige Grabungsschnitte in der Kapelle östlich der Agora (Abb. 22) schufen die Grundlage für das Verständnis der Phasenabfolge dieses Ge- bäudes, welches das am besten erhaltene von ganz Priene ist. Weiteren Auf- schluss versprechen Gräber unter dem Fußboden der Anlage, die in der Kam- pagne kommenden Jahres geöffnet werden sollen. Förderung: DFG; private Unterstützer • Leitung des Projekts: W. Raeck (Grabungsleitung, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M.), W. Koenigs (Technische Universität München), F. Rumscheid (Christian- Albrechts-Universität zu Kiel) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: W. Blü- mel, A. Filges, B. Gossel-Raeck, U. Mandel, J. Rumscheid, U. Mania, A. Hen- nemeyer, M. Grandl, D. Kah, U. Ruppe, L. Heinze, J. Fildhuth, E. Baylan, N.-M. Toma, Z. Yılmaz • Abbildungsnachweis: Archiv der Prienegrabung, Abb. 22 Priene, Kapelle östlich der Agora. B. Schödel (Abb. 19. 22); Archiv der Prienegrabung, B. Gossel-Raeck (Abb. Miniaturkrug aus Glas (PR 08 G 18), 20); Archiv der Prienegrabung, W. Raeck (Abb. 21). H 6,30 cm

Pergamon Die antike Metropole Pergamon liegt unweit der Küste der türkischen Ägäis. Nach nunmehr 130 Jahren archäologischer Forschung durch deutsche Wissen- schaftler konzentriert sich das neue Forschungsprogramm der Pergamongra- bung seit 2005 auf den urbanen Gesamtorganismus, d. h. auf die Gliederung der Stadt durch Straßensystem und Gebäudeensembles, sowie auf ihre Besiedlungs- geschichte. Im Mittelpunkt der Arbeiten steht die Untersuchung der großen noch unausgegrabenen Gebiete am Ost- und Westhang des Stadtbergs. Dabei kommt eine Kombination aus verschiedenen Methoden der archäologischen, geodätischen sowie geophysikalischen Geländeerkundung zum Einsatz, die größtmöglichen Erkenntnisgewinn bei kleinräumigen Grabungen verspricht. Anhand zahlreicher neuer Einzelergebnisse können wir nun die Besied- lungsgeschichte des Ostabhanges und seine räumliche Gliederung in ihren Grundzügen rekonstruieren (Abb. 23): Nachdem das Areal im Zuge der großen

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Abb. 23 Pergamon, Rekonstruktion des Straßensystems am Osthang des Stadtbergs 208 Jahresbericht 2008 des DAI

hellenistischen Stadterweiterung unter dem Attalidenherrscher Eumenes II. Abb. 24 Pergamon, Lage der vier potenti- (197–159 v. Chr.) Teil des Stadtgebietes geworden war, erfolgte seine Erschlie- ellen Naturheiligtümer im Gelände ßung schrittweise von Südwesten nach Nordosten, d. h. ausgehend von der Unteren Agora, dem neuem Marktplatz der vergrößerten Stadt. So können wir zeigen, dass im nördlichen Bereich des Osthanges flächendeckende Be- bauung erst im späten 2. oder frühen 1. Jh. v. Chr. einsetzte, also bis zu 100 Jahre nach der Vergrößerung des Stadtgebietes. Entgegen der bisherigen For- schungsmeinung, die von einem erheblichen Bedeutungsverlust des Stadt- bergs in römischer Zeit infolge der Besiedlung der Ebene ausgegangen war, wurden auch hier in der Kaiserzeit (1.–3. Jh. n. Chr.) noch Großbauten, wie z. B. eine Thermenanlage, errichtet. Für die frühbyzantinische Zeit konnte am Ostabhang bisher nur ein vereinzeltes Grab (7. Jh. n. Chr.) nachgewiesen werden, während in mittel-spätbyzantinischer Zeit auch außerhalb des dama- ligen Befestigungsrings noch Wohnhäuser gebaut wurden. Die Dichte der Bebauung scheint sich in allen Epochen an den Vorgaben des Geländes orientiert zu haben. So war der stark zerklüftete und mit pro- minenten Felsformationen durchsetzte nördliche Abschnitt des Ostabhanges wesentlich weniger dicht bebaut. Allerdings nutzte man seine Abgeschieden- heit und seine landschaftlich eindrucksvolle Gestalt zur Anlage von Naturhei- ligtümern, von denen eines anhand einer in den Fels gehauenen Kultbildbasis sicher identifiziert werden konnte (Abb. 24. 25). Die abschließende Deutung der drei anderen Plätze als Kultplätze für Kybele oder andere Naturgottheiten steht zwar noch aus, doch zeichnet sich schon jetzt eine ›Heiligtumslandschaft‹ innerhalb des Stadtgebietes ab. Wesentliche Fortschritte gegenüber der älteren Forschung wurden auch bei der Rekonstruktion des Straßensystems erzielt. War man bislang von einem streng orthogonalen Raster ausgegangen, können wir nun zeigen, dass man Abb. 25 Pergamon, Felsbasis für das das Straßensystem offenbar in mehreren Abschnitten angelegt und sich dabei Kultbild von Platz 1

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Abb. 26 Pergamon, Schnitt durch eine antike Straße mit Tonrohrleitungen

primär an den Vorgaben des Geländes und an wesentlichen Baufluchten des Gymnasionkomplexes orientiert hatte (Abb. 23). Die Straßen erreichten Brei- ten von bis zu 4,50 m und übertrafen damit das Gassensystem der Altstadt teilweise um mehr als das Doppelte (Abb. 26). Von einer Anpassung an das schwierige Terrain zeugt auch die geringe Größe der Häuserblocks, die nur ca. 35 m × 45 m betrug. Im zerklüfteten nördlichen Abschnitt des Ostabhan- ges, wo neben den bereits besprochenen Felsheiligtümern auch mit Hand- werksbetrieben, nicht jedoch mit aufwendiger Wohnbebauung zu rechnen ist, verzichtete man offenbar auf ein Straßensystem und begnügte sich stattdessen mit wenigen Hauptverbindungswegen. In den kommenden Jahren soll mit der gleichen Methode auch der West- abhang des Stadtbergs untersucht werden. Von der Gesamtschau der hellenis- tischen Stadterweiterung Pergamons erwarten wir uns wesentliche neue Ein- blicke in die Möglichkeiten und Grenzen der Stadtplanung des Hellenismus. Kooperationspartner: Generaldirektion für Kulturdenkmäler und Museen des Kultur- und Tourismusministeriums der Republik Türkei; DFG-Schwer- punktprogramm 1209 »Die hellenistische Polis als Lebensform. Urbane Struk- turen und bürgerliche Identität zwischen Tradition und Wandel«; Ankara Üni- versitesi, Başkent Meslek Yüksekokulu, Restorasyon ve Konservasyon Programı; Archäologisches Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Geodäti- sches Institut der Universität Karlsruhe; Institut für Geomatik der Hoch- schule für Wirtschaft und Technik Karlsruhe; Institut für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des DAI; Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin Stiftung Preußischer Kulturbesitz • Förderung: DFG; Theodor Wiegand Gesellschaft e. V. • Leitung des Projekts: F. Pirson • Mit- arbeiter: R. von den Hoff (Leitung DFG-Projekt Gymnasion; für eine voll- ständige Liste der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen s. auch den Vorbericht im AA 2009/2) • Abbildungsnachweis: Archiv der Pergamongrabung (Abb. 23), Archiv der Pergamongrabung, F. Pirson (Abb. 24. 25); Archiv der Perga- mongrabung, S. Ardeleanu (Abb. 26).

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Pergamon, Umland Die Untersuchung des Umlandes von Pergamon verspricht neue Erkenntnisse für die Entstehungsgeschichte der hellenistischen Residenzstadt, die wesent- lich von der Kontrolle der Verkehrswege, dem Zugriff auf Ressourcen und dem Aufbau einer militärischen Infrastruktur abhing. Die Stellung Pergamons als Hauptort des unteren Kaikostales und der angrenzenden Gebirgszüge spiegelt sich in seinem Verhältnis zu den benachbarten Gehöften, ländlichen Siedlungen und Städten wider. Der Analyse der pergamenischen Landschaft als historischem Siedlungsraum widmen sich seit 2006 drei Teilprojekte der Pergamongrabung, die Methoden der archäologischen Oberflächenuntersu- chung, der Geographie und verschiedener ingenieur- und naturwissenschaft- Abb. 27 Umland von Pergamon, licher Disziplinen miteinander verbinden. Schon jetzt zeichnen sich wesent- Yeni Yeldeğirmentepe. Mahlsteine liche Ergebnisse ab: und Silexknollen Die Bedeutung des westlichen Kaikostales als Siedlungsgebiet der frühen Bronzezeit (3. Jt. v. Chr.) belegen Neufunde in den antiken Poleis und Elaia sowie auf dem Yeni Yeldeğirmentepe, einem kleinen prähistorischen Siedlungshügel, der in diesem Jahr erstmals systematisch untersucht wurde. Dabei kamen nicht nur erstaunliche Mengen an Keramik, zahlreiche Mahl- steine für Getreide sowie Rohmaterial für die Herstellung von Steinwerk- zeugen zu Tage (Abb. 27), sondern auch oberirdisch sichtbare Reste bronze- zeitlicher Architektur. Damit verspricht der Platz, sowohl zum Referenzpunkt für die Mikroregion des Kaikostales zu werden als auch zur Schließung einer Lücke in der prähistorischen Besiedlungsgeschichte Westanatoliens zwischen Troja im Norden und Izmir im Süden beizutragen. Die Arbeiten des Teilprojekts »Die Chora von Pergamon« konzentrier- ten sich auf die weitere Dokumentation und Erforschung des Stadtbergs von Atarneus (Abb. 28) und der umgebenden Siedlungshügel. In Atarneus konn- Abb. 28 Umland von Pergamon, ten wichtige Ergebnisse zur Geschichte der Befestigungsanlagen sowie zur Atarneus. Blick auf den Stadtberg

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Abb. 29 Umland von Pergamon, antiken Wohnbebauung am Südhang erzielt werden, die wesentlich ausge- Elaia. Ergebnisse der geophysikali- dehnter war als bisher angenommen. Anhand der systematisch gesammelten schen Prospektionen (M. 1 : 12 500) Keramikfunde verdichtet sich das Bild des spürbaren Bedeutungsverlustes von Atarneus infolge des Aufstiegs Pergamons im 3. Jh. v. Chr. Auf zwei na- he gelegenen Hügeln wurden bislang unbekannte Reste hellenistischer Befes- tigungsanlagen entdeckt, von denen wir uns Hinweise auf die Grenzen der Chorai, d. h. der ländlichen Territorien der Städte, erwarten. In Elaia, dem militärisch wie wirtschaftlich bedeutenden Haupthafen Per- gamons, wurden die Untersuchungen im Flachwasserbereich vor der Küste fortgesetzt. Im Vorjahr konnten wir dort die Reste sehr ausgedehnter Bau- strukturen beobachten, die offenbar zu einem oder mehreren Außenhäfen ge- hörten. Mit Hilfe geomagnetischer Messungen ließ sich die Fortsetzung der Molen oder Wellenbrecher im heute verlandeten Marschgebiet nachweisen (Abb. 29). Ein weiteres wesentliches Ergebnis dieser geophysikalischen Pro- spektionen ist die Feststellung eines Straßenrasters im nördlichen Stadtgebiet von Elaia (Abb. 29), das mit seiner streng nord-südlichen Ausrichtung und mit Insulae (Häuserblöcken), die Seitenlängen im Verhältnis von 1 : 2 (ca. 28 m × 56 m) aufweisen, den Regeln hellenistischer Stadtplanung folgt. Diese Beobachtung bestätigt das Bild eines planmäßigen Ausbaus der Stadt unter dem Einfluss Pergamons, das in seinen ›maritimen Satelliten‹ Elaia aus militärischen und wirtschaftlichen Motiven heraus investierte. Während die bisher geschilderten Ergebnisse allein auf Basis von Ober- flächenuntersuchungen erzielt wurden, konnte im Sommer dieses Jahres in Zusammenarbeit mit dem Museum Bergama eine Notgrabung in einer der

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Abb. 30 Umland von Pergamon, Elaia. Gräberstraße mit Einlassung für eine Stele

Nekropolen Elaias durchgeführt werden (Abb. 30). Neben der Freilegung mehrerer Brandbestattungen des 4.–3. Jhs. v. Chr. gelang der Nachweis einer Gräberstraße, in deren Begrenzung sich die Einlassung für eine Stele gefun- den hat. Die Ausdehnung der Untersuchungen auf die Nekropolen Elaias er- öffnet Einblicke in einen weiteren wesentlichen Bereich antiker Stadtkultur. Kooperationspartner: Generaldirektion für Kulturdenkmäler und Museen des Kultur- und Tourismusministeriums der Republik Türkei; Museum Ber- gama; DFG-Schwerpunktprogramm 1209 »Die hellenistische Polis als Lebens- form. Urbane Strukturen und bürgerliche Identität zwischen Tradition und Wandel«; Geodätisches Institut der Universität Karlsruhe; Historisches Semi- nar der Abteilung für Alte Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München; Institut für Geomatik der Hochschule für Wirtschaft und Technik Karlsruhe; Institut für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Fachbereich Geographie der Philipps-Universität Marburg; Kom- mission für Alte Geschichte und Epigraphik des DAI; Ephesosgrabung des Österreichischen Archäologischen Instituts; Fa. Eastern Atlas, Berlin; Fa. EMI Harıtası, Istanbul • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: F. Pirson • Mitarbeiter: B. Horejs (Leitung Projekt »Yeni Yeldeğirmentepe«), M. Zimmer- mann (Leitung DFG-Projekt »Atarneus – Chora von Pergamon«; für eine vollständige Liste der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen s. auch den Vorbe- richt im AA 2009/2) • Abbildungsnachweis: Archiv der Pergamongrabung, B. Horejs (Abb. 27); Archiv der Pergamongrabung, T. Zimmermann (Abb. 28); Archiv der Pergamongrabung (Abb. 29); Archiv der Pergamongrabung, S. Feuser (Abb. 30).

Pergamon, Konservierungsprojekt Rote Halle Als abschließender Bauabschnitt eines auf drei Jahre konzipierten Programms zur Konsolidierung des südlichen Rundturms der Roten Halle in Pergamon wurde 2008 die Kuppel des antiken Gebäudes gesichert und mit einer Bleide- ckung versehen, zudem der Eingangsbereich des Turmes arrondiert und neu gestaltet, um dessen für 2009 geplante Öffnung für Besucher vorzubereiten. Voraussetzung der Kuppelsanierung war eine vollständige Einrüstung des Turmes im Inneren und Äußeren (Abb. 31). Erst danach konnte das gesamte

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Pergamon, Rote Halle

Abb. 31 Einrüstungsarbeiten an den Außenmauern und der Kuppel des südlichen Rundturms, Ansicht von Nordwesten

Abb. 32 Dokumentationsarbeiten an der freigelegten Kuppel- oberfläche des südlichen Rundturms, im Bild links das Opaion mit der gestuften, antiken Einfassung und den Ringlagen der osmani- schen Vermauerung

Abb. 33 Verlegungsarbeiten der Bleideckung auf einer Bettungs- schicht aus Lehm und Stroh. Die beiden antiken Marmorkonsolen werden in die Dachdeckung integriert

Abb. 34 Der südliche Rundturm nach Abschluss der Arbeiten von Westen mit der neuen, metallischen Dachdeckung und den Mauer- werksergänzungen aus Ziegeln und Naturstein in der Westfassade 31

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Ausmaß der Schäden an den Kuppeloberflächen und den die Kuppel umfas- senden Mauerkronen erfasst und dokumentiert werden. Es zeigte sich, dass na- hezu die gesamten Mauerabschlüsse des Rundturms gefährdet waren, da sich der Verbund zwischen Mauerwerk und Kuppelfuß durch Bewitterung und eindringende Feuchtigkeit gelöst hatte. Zudem war die Kuppeloberfläche mit einer bis zu 70 cm starken Schicht aus Geröll, Erde und Bewuchs bedeckt – einer gefährlichen Auflast der antiken Konstruktion von insgesamt fast 46 Ton- nen Gewicht. Sie wurde vollständig entfernt und damit die originale Kuppel- oberfläche freigelegt. Die seltene Chance zur genauen Dokumentation des konstruktionsgeschichtlich höchst bedeutsamen Gefüges wurde anschließend mit einer verformungsgetreuen Bauaufnahme genutzt (Abb. 32). Danach folg- te die Konsolidierung der Mauerkronen, die in einigen Bereichen völlig neu aufgeführt werden mussten. Insbesondere mussten zwei absturzgefährdete, große Marmorkonsolen – letzte Zeugen des antiken Dachgesimses – aufwen- dig gesichert und restauriert werden. Umfangreiche Maßnahmen erforderte ebenso die Sicherung des Opaions. Die kreisrunde Lichtöffnung im Schei- tel der Kuppel besaß ursprünglich einen Durchmesser von 3,80 m und war durch eine Vermauerung in osmanischer Zeit auf 1,20 m lichte Weite reduziert worden. Während sich das antike Mauerwerk hier noch in gutem Zustand befand, drohten die osmanischen Ringlagen aus flachen Ziegeln ins Innere des Turms zu gleiten. Da das Restaurierungsvorhaben in der Roten Halle die Bewahrung aller Nutzungsphasen der zweitausendjährigen Geschichte des Gebäudes zum Ziel hat, wurde auch dieser vergleichsweise junge Baubestand durch einen stählernen Druckgurt aufwendig gesichert, die Ziegel wurden mit Kalkmörtel vollständig neu verfugt. Zur Vorbereitung der Dachdeckung wurde die gesamte Kuppeloberfläche mit einer Kalkmörtelschicht abgedeckt, die Unebenheiten im Bestand ausglich und die Kuppelsilhouette arrondierte. Auf einer darüber liegenden Bettungsschicht aus Lehm und Stroh wurde dann die eigentliche Bleideckung aufgebracht (Abb. 33). Diese wurde von einem renommierten Handwerksmeister aus Istanbul mit seinen Mitarbeitern verlegt, während für die übrigen Arbeiten die auf den Restaurierungsbaustellen in Pergamon ausgebildeten Fachkräfte zuständig waren. Nach Abschluss der Bleideckungsarbeiten präsentiert sich die Kuppel des südlichen Rundturms der Roten Halle mit einer dauerhaften, aufwendigen metallischen Deckung, wie sie prinzipiell auch in der Antike bestanden haben könnte (Abb. 34). Der obere Abschnitt der Westfassade wurde in den beschä- digten Partien ebenfalls konsolidiert. Gravierende Fehlstellen wurden mit Ziegelmauerwerk ergänzt. Die gesamte Außenhaut des Rundturms ist damit ebenso wie sein im Vorjahr restauriertes Inneres nun dauerhaft gesichert und damit für die museale Nutzung vorbereitet. Kooperationspartner: Generaldirektion für Kulturdenkmäler und Museen des Kultur- und Tourismusministeriums der Republik Türkei; Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des DAI • Förderung: Studiosus-Foun- dation e. V.; Kulturstiftung der deutsch-türkischen Wirtschaft; Kulturhilfe- Programm des Auswärtigen Amts • Leitung des Projekts: M. Bachmann, F. Pirson • Mitarbeiter: J. Steiner (Statik; für eine vollständige Liste der Mit- arbeiter und Mitarbeiterinnen s. auch den Vorbericht im AA 2009/2) • Ab- bildungsnachweis: Archiv der Pergamongrabung, M. Bachmann (Abb. 31–34).

Aizanoi Im antiken Aizanoi, dem modernen Çavdarhisar (Provinz Kütahya), in etwa 250 km Entfernung von der türkischen Westküste am Übergang zum anatoli- schen Hochland gelegen, wurden die Arbeiten in Fortsetzung des neuen For-

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Abb. 35 Aizanoi, Zeustempel mit schungsprogramms in diesem Jahr weitergeführt. Nachdem bis 2006 besonders Tempelplateau. Geophysikalische die Ruinen der römischen Stadt des 1. bis 3. Jhs. n. Chr. und der Spätantike Prospektion 2007–2008 (M. 1 : 2500) untersucht worden waren, stehen nun die nur unzureichend bekannten Reste der hellenistisch-frührömischen Siedlung (3.–1. Jh. v. Chr.) im Zentrum der Arbeiten. Sie lassen sich durch Grabungen am Rand eines Siedlungshügels untersuchen, der sich unter dem Plateau des gut erhaltenen römischen Zeus- tempels (spätes 1. Jh. n. Chr.) erhebt. Da Aizanoi wohl im 2. Jh. v. Chr. unter Einfluss aus Pergamon auch von makedonischen Siedlern bewohnt wurde, sind Ergebnisse zur kulturellen Prägung einer Kleinstadt im Hinterland des hellenisierten westlichen Kleinasiens zu erwarten. Die Gestaltung des urba- nen Raumes mit Wohnbebauung und öffentlichen Plätzen sowie das Verhält- nis der Siedlung zu den Sakralanlagen stehen im Zentrum des Interesses. In diesem Jahr wurden die geophysikalischen Untersuchungen am Plateau des Zeustempels abgeschlossen (Abb. 35). So konnte geklärt werden, dass sich das Areal direkt südlich des Tempels aufgrund fehlender jüngerer Strukturen am besten für weitere Ausgrabungen eignet. Zudem bestätigte sich die Ver- mutung, dass die antike ebenso wie die nachantike Bebauung außerhalb des Tempelhofes etwa auf der Höhe des Tempels nach Westen ausdünnt und hier die Stadtgrenze Aizanois zu suchen ist, ohne dass Hinweise auf eine Stadtmauer vorliegen. In zwei Grabungsschnitten im Inneren des Tempelhofes und der späte- ren byzantinischen Befestigung wurden die Überreste einer vor-tempelzeitli- chen, spätestens im frühesten 1. Jh. n. Chr. errichteten Brunnenanlage frei-

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gelegt (Abb. 36). Die erhaltenen Strukturen lassen die Rekonstruktion eines Abb. 36 Aizanoi, frührömische Brunnen- ca. 14 m × 14 m messenden quadratischen Bauwerks zu, in dessen Mitte ein anlage unter dem Tempelhof kreisförmiger opus caementicium-Kern mit Wasserbecken und radial verlaufen- (Sondage 1 und 3) den Abflüssen gesetzt ist. Während die funktionalen und konstruktiven Gege- benheiten noch zu klären sind, ist damit bereits klar, dass das Areal schon in der frühesten Kaiserzeit monumental ausgebaut war, ob im Zusammenhang mit einem früheren Zeustempel ist offen. Die Brunnenanlage wurde schon im späten 1. Jh. n. Chr., bei der Neukonzeption von Tempel und Tempelhof, aufgegeben. In einer außerhalb des Tempelhofes liegenden Sondage (Abb. 37)

Abb. 37 Aizanoi, hellenistische Mauern, frührömischer Kanal und ausgeraubte Befestigungsmauer südlich des Tempel- plateaus (Sondage 2)

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traten die Reste einer schon 2000/2001 weiter südöstlich entdeckten Befes- tigungsmauer des späten 2./1. Jh. v. Chr. zu Tage, die hellenistische Häuser- reste überbaute. Sie entstand wohl vor der Anlage des Brunnens, wurde später durch einen Wasserkanal erweitert und bei Abriss des Brunnens ebenfalls systematisch ausgeraubt. Die zerstörten Häuser waren reich mit Wandmale- rei ausgestattet, deren Reste sich in Verfüllungsschichten ebenso fanden wie Werkstattfunde (Abb. 38), die die Herstellung von Bleiglasurkeramik in die- sem Areal belegen. Abb. 38 Aizanoi, Werkstattfunde mit Kooperationspartner: Institut für Archäologische Wissenschaften, Abtei- Bleiglasur (Sondage 2) lung für Klassische Archäologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Lehrstuhl für Baugeschichte der Brandenburgischen Technischen Universi- tät Cottbus; Fakultät für Architektur der Fachhochschule Regensburg • Förderung: Wissenschaftliche Gesellschaft in Freiburg im Breisgau • Leitung des Projekts: R. von den Hoff (Freiburg) • Mitarbeiter und Mitarbeiterin- nen: H. Bücherl, E. Kasubke, N. Möller, T. Schulz-Brize, Ph. Brize, S. Seiler, B. Sielhorst, H. Türk, M. Wörrle • Abbildungsnachweis: Aizanoigrabung, Giese, Grubert, Hübner GbR (Abb. 35); Aizanoigrabung (Abb. 36–38).

Oinoanda Nach der Voruntersuchung im Vorjahr konnte 2008 die erste reguläre For- schungskampagne in der antiken Stadt Oinoanda in Lykien, ca. 80 km nordöst- lich von Fethiye im Landesinneren, durchgeführt werden. Die antike Bergstadt ist besonders durch ihre Inschriftenfunde bekannt, darunter die umfangreiche philosophische Inschrift des Diogenes von Oinoanda, die auch im Zentrum

Abb. 39 Oinoanda, Esplanade. Überblick des neuen Projekts steht. Dabei soll es aber nicht nur um ihre epigraphischen über das Gelände der hellenistischen Inhalte gehen, sondern auch um ihren architektonischen und städtebaulichen Platzanlage mit teilweise dichtem Kontext, also um ihre Einbindung in die materielle und geistige Kultur des Baumbewuchs urbanen Gefüges. Vier Arbeitsbereiche standen dabei in diesem Jahr im Vordergrund: Un- tersuchungen an der sog. Esplanade, einem städtischen Platz, der als ursprüng- licher Aufstellungsort der Inschrift gelten muss, Dokumentation der philo- sophischen Inschriftenfragmente mit neuen Methoden, allgemeine Untersu- chungen zu den Inschriften von Oinoanda und schließlich die Erforschung des Umlandes der antiken Stadt. Auf der großen hellenistischen Platzanlage der Stadt, der Esplanade (Abb. 39), wurden die im vergangenen Jahr auf einem Probefeld durchgeführten Messungen mit dem Laserscanner auf die gesamte Fläche des Platzes sowie seine architektonische Rahmung ausgedehnt. Trotz dichten Bewuchses lassen sich im generierten Modell die Baustrukturen der

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im spitzen Winkel den Platz rahmenden Hallen gut erkennen (Abb. 40). Dar- Abb. 40 Oinoanda, Esplanade. Ergebnis über hinaus wurde versucht, mit geophysikalischen Untersuchungen der im der Dokumentation mit dem Laserscanner Boden verborgenen Platzarchitektur auf die Spur zu kommen. Diese ersten in Orthogonalprojektion; erfasst ist die trapezförmige Fläche der eigentlichen Versuche lieferten gute Ergebnisse, so deuten die dunklen Partien auf Einzel- Platzanlage und die rahmende Bebauung; monumente in der Platzfläche hin. Die Arbeiten an der Diogenesinschrift ver- die gelb angelegten Flächen zeigen die teilten sich auf eine Kartierung der weit im Stadtgebiet verstreuten Fundstücke Ergebnisse der Untersuchung mit dem mit GPS und auf die Dokumentation der Fragmente mit dem Lichtlinienscan- Georadar ner. Bei den Begehungen konnten 26 neue Fragmente der Inschrift entdeckt werden (Abb. 41), darunter eine aufsehenerregende vollständige Sentenz, in der der Philosoph des 2. Jhs. n. Chr. zu Platons Weltschöpfungstheorie Stellung bezieht. Auch die Neufunde wurden bereits mit dem Scanner dreidimensio- nal in hoher Auflösung erfasst (Abb. 42). Neben der Diogenesinschrift standen auch die bedeutenden nichtphiloso- phischen Inschriften Oinoandas im Visier. Und auch hier kam es zu aufsehen- erregenden Neufunden. Besonders hervorzuheben sind Weihinschriften an der hellenistischen Stadtmauer von Oinoanda, in denen ein »Höchster Gott« (Theos Hypsistos) angesprochen wird, ein religionsgeschichtlich bemerkens- werter Hinweis. Topographische Untersuchungen im Umland des Stadtge-

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Oinoanda, Diogenesinschrift. Zwei der bietes, die von dem internationalen Forschungsteam ebenfalls durchgeführt 2008 neu entdeckten Fragmente wurden, ergaben schließlich viele neue Indizien für die Einbindung der Stadt in eine vielfältig gestaltete antike Kulturlandschaft. Abb. 41 Inschriftenfragment YF 217 Kooperationspartner: Universität zu Köln; Hacettepe Universität Ankara; Abb. 42 Fragment YF 219 in der drei- British Institute at Ankara; M. Ferguson Smith; Institut für Geomatik der dimensionalen Dokumentation mit Hochschule für Wirtschaft und Technik Karlsruhe; Institut für Geowissen- dem Lichtlinienscanner schaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Fa. SEMA Ankara • Förderung: Fritz Thyssen Stiftung; Gesellschaft der Freunde und Förderer der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften • Leitung des Projekts: M. Bachmann • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: E. İlter, V. İnan (Laserscanning Esplanade), E. Laufer, K. Vogel, D. Altıner (Bauaufnahme), M. F. Smith, J. Hammerstaedt, E. Güldiken (Diogenesinschrift, GPS); T. Mül- ler, K. Berner, B. Fischer (Lichtlinienscanning Inschriftenfragmente), N. Mil- ner, P. Baumeister, V. Köse, G. Staab, M. Obryk (epigraphischer Survey) • Archiv der Oinoandaunternehmung, M. Bachmann (Abb. 39–42).

Istanbul, Holzhäuser Die bereits 2007 begonnenen Untersuchungen an einem der bedeutend- sten und ältesten osmanischen Holzhäuser , dem Amcazade Yalısı bei Anadolu Hisarı, konnten in diesem Jahr in Form einer aufwendigen verfor- mungsgerechten Bauaufnahme abgeschlossen werden. Beim Amcazade Yalısı handelt es sich eigentlich nur um ein Fragment einer größeren Anlage – den Empfangssaal (Divanhane) eines aus mehreren Einzelgebäuden bestehenden Sommerpalastes der im 17. und 18. Jh. sehr einflussreichen Familie Köprülü. Das spektakulär über die Uferkante des Bosporus ragende Gebäude ist heute stark vom Verfall bedroht (Abb. 43). In mehreren Schnittzeichnungen und Grundrissen wurden dieser gefähr- liche Bauzustand ebenso wie das konstruktive Gefüge des Gebäudes analytisch erfasst. Damit entstand zum ersten Mal eine regelrechte Bauaufnahme des be- rühmten Holzhauses, denn ältere Untersuchungen hatten sich fast immer auf die Dokumentation der reichen Dekorationen des Innenraumes beschränkt (Abb. 44). Nun erlaubte der schlechte Bauzustand auch den Blick hinter die Wandverkleidungen und die Erfassung des gesamten konstruktiven Gerüstes. Es zeigte sich, dass im Gegensatz zu der oft sehr leichten Bauweise der osma- nischen Holzhäuser des 19. Jhs. hier fast ausschließlich kräftige und sehr sorg- fältig vorbereitete Eichenbalken verwendet wurden. Dennoch führten man-

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Istanbul, Holzhäuser. Amcazade Yalısı

Abb. 43 Situation des baufälligen Gebäudes am Bosporus (2008)

Abb. 44 Perspektivische Rekonstruk- tionszeichnung des Innenraumes von S. H. Eldem (1942)

Abb. 45 Querschnitt durch das Gebäude mit Blick nach Süden in der verformungs- gerechten Bauaufnahme (M. 1 : 100) 44

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gelnder Bauunterhalt und ein Nachgeben des Untergrunds zu einer gefährli- chen Verformung der Konstruktion, wie sie in der Schnittzeichnung ebenfalls deutlich wird (Abb. 45). Hier zeichnen sich auch die Rippenkonstruktionen der hölzernen Gewölbe ab, mit denen der Raum überspannt ist. Ihr kunstvoller Aufbau mit einem mehrschichtigen Untergrund, auf dem Bemalungen und Vergoldungen angebracht wurden, konnte in der Baudokumentation genau erfasst werden. Erstmals wird auch deutlich, wie die Auskragung des Gebäu- des über das Meer mit einer steinernen Substruktionskammer und den darüber ausgreifenden Holzbalken konstruktiv bewältigt wurde. Um das in allen Ein- Abb. 46 Istanbul, Holzhäuser. Amcazade zelheiten gewonnene Konstruktionsschema nachvollziehen zu können, wurde Yalısı, Konstruktionsmodell des Gebäudes ein detailliertes, maßstabsgerechtes Holzmodell des Gebäudes hergestellt (Abb. aus Lindenholz und Birke im M. 1 : 20 46). Es zeigt den rekonstruierten Zustand, wie er vor Beginn des Verfallspro- angelegt zesses ausgesehen haben dürfte. Um das Verhältnis zwischen dem tragenden Holzskelett und den Wandverkleidungen anschaulich zu gestalten, ist die eine Hälfte des Modells in ausgebautem Zustand dargestellt, während die andere das konstruktive Gerüst zeigt. Durch die Bauuntersuchung des Amcazade Yalısı haben sich richtungs- weisende Erkenntnisse zu seinen konstruktiven Besonderheiten ergeben, die den osmanischen Holzbau insgesamt in neuem Licht erscheinen lassen. Kooperationspartner: Universität Karlsruhe; Istanbul Teknik Üniversi- tesi; Mimar Sinan Üniversitesi; Fa. SEMA Ankara • Leitung des Projekts: M. Bachmann • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: E. İlter, V. İnan (Laser- scanning), B. Ar, Ö. Özcan, S. Tezer, D. Altıner, E. Yerlikaya, I. Şipal, P. Erdoğan, S. Babayiğit (Bauaufnahme und Ausarbeitung), S. Sauter, A. Knipper (Bau- aufnahme und Modellbau) • Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Istanbul, T. Zimmer (Abb. 43); S. H. Eldem, 17inci ve 18inci asırlarda Türk Odası, in: Güzel Sanatlar 4, 1942, 15 Abb. 10 (Abb. 44); DAI, Abteilung Istanbul, Zeich- nung S. Tezer (Abb. 45); Universität Karlsruhe, B. Seeland (Abb. 46).

Wissenschaftliche Veranstaltungen

Vorträge 24. Januar Harald Stümpel (Kiel), Geophysikalische Prospektion in der Ar- chäologie. Ausgewählte Projekte in der Türkeixxx14. Februar Ersin Doğer (Izmir), Die Grabungen von in der Aiolis (2004–2007). Erste Ergeb- nissexxx6. März Güler Ateş (Heidelberg), Ein neu entdeckter Kultplatz bei Aizanoi. Neue Forschungen über den Kult der Kybelexxx13. März And- reas Schachner (Istanbul), Ausgrabungen in der hethitischen Hauptstadt ïattušaxxx17. April Robert Fleischer (Mainz), Die Felsgräber der Könige von Pontos in Amasyaxxx15. Mai Ersin Doğer (Izmir), Die Grabungen von Aigai in der Aiolis (2004–2007). Erste Ergebnissexxx2. Juni Rainer Warland (Freiburg), Der Gegenstand im Bild. Zur Kontextualität von Realien in der byzantinischen Wandmalerei Kappadokiensxxx6. November Martin Bach- mann (Istanbul), Vergängliche Lebensweltenxxx13. November Hayat Erkanal (Ankara), Die Bedeutung von in der ägäischen Vor- und Frühge- schichtexxx27. November Yaşar Ersoy (Ankara), Excavations at . The Iron Age and the Archaic Periodxxx3. Dezember Ernst Pernicka (Tü- bingen), Der Schauplatz der Ilias – Troia archäologisch und kulturhistorisch.

Hauskolloquien 21. Januar Eric Ivison (New York), Burial in Medieval . The Evi- dence from Amoriumxxx11. Februar Macit Tekinalp (Ankara), The Mauso-

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leums of Osman and Orhan at Bursa. New Evidence for the Original Byz- antine Church Buildingxxx10. März Andrea Pirson (Istanbul), Klein und unscheinbar? Überlegungen zu Schmuck und Trachtbestandteilen aus Perga- monxxx17. März Beate Böhlendorf-Arslan (Çanakale/Istanbul), Byzantini- sche Forschungen in Assosxxx31. März Susanne Bocher (Olympia), Ölpro- duktionxxx7. April Armin Wirsching (Hamburg), Wie die Obelisken um die Zeitenwende und im 4. Jh. aufgerichtet wurdenxxx21. April Yvonne Stolz Oxford/Istanbul), Frühbyzantinischer Goldschmuckxxx3. November Inge Uytterhoeven (Istanbul/Leuven), The Urban Mansion of . From a Late Roman Luxurious Residence to an Early Byzantine Rural Areaxxx24. No- vember Ute Kelp (Istanbul), Kaiserzeitliche Grabdenkmäler in Phrygien.

Wissenschaftliches Netzwerk Das 2006 an der Abteilung Istanbul des DAI ins Leben gerufene wissenschaft- liche Netzwerk zum Thema »Manifestationen von Macht und Hierarchien in Stadtraum und Landschaft« wurde Ende 2008 planmäßig abgeschlossen. Ziel war es, Projekte von Mitarbeitern und Stipendiaten der Abteilung sowie von Kollegen und Kolleginnen, die im Rahmen von Abteilungsprojekten forschen, methodisch und inhaltlich zusammenzuführen und so das spezifische Profil der Abteilung für die Nachwuchsförderung zu nutzen und wissenschaftliche Syn- ergien auf dem Gebiet der archäologischen Raumforschung zu erzielen. Das dritte Seminar wurde am 7. Februar zum Thema »Gebaute Räume als Orte sozialer Interaktion« durchgeführt, das vierte Seminar am 7./8. November beschäftigte sich mit dem Thema »Hierarchisierung von Landschaft und Terri- torien«. Das Netzwerk gehörte als Teilprojekt zum Forschungscluster 3 »Poli- tische Räume« des DAI. Im Anschluss an das letzte Seminar wurde das Nachfolge-Netzwerk ge- gründet, das sich in den Jahren 2009–2010 mit dem Thema »Epochenwandel und historische Veränderungssprozesse in Anatolien« beschäftigen wird.

Workshops 8./9. Februar Workshop »Byzanz – Konstantinopel – Istanbul: Städtische Räume von der Antike bis zur Gegenwart« (im Rahmen des oben genannten Netzwerks; Organisation: Torsten Zimmer [Istanbul]). – Es sprachen: Philipp Niewöhner (Istanbul), St. Benoit in Galata. Der byzantinische Ursprungsbau vor der genuesischen Okkupation des Stadtteils; Alessandra Ricci (Istanbul), Harmonic Orders?: Space, Landscape, and Architecture in the Asian Suburbs of Byzantine Constantinople; Haluk Çetinkaya (Istanbul), Kosmidion: A Heal- ing Center With Its Urban Space; Franz-Alto Bauer (München), Prozessionen in Konstantinopel: Die Zeremonialisierung der Stadterfahrung; Martin Bach- mann (Istanbul), Das Landhaus als Stadtpalast. Raumkonzepte osmanischer Holzhäuser in Istanbul; Stefan Weber (London), Istanbul in der Provinz – Hauptstädtische Raumkonzepte in den osmanischen Bilad aš-Šam; Gözde Çelik (Istanbul), Architectural Reflections of Political Authority during the Tanzimat Era; Bilge Ar (Istanbul), Urban und Architectural Environment in Istanbul under Allied Forces; Orhan Esen (Istanbul), Urban Transformations in Istanbul Today: Europeanization of the ?; Christoph K. Neumann (Istanbul), Das Photographische Gedächtnis Beyoğlus und die Ereignisse von 1955. 2. bis 4. Juni Workshop »Byzantinische Kleinfunde im archäologischen Kontext/Byzantine Small Finds in Archaeological Contexts« (in Zusammen- arbeit mit dem Research Center for Anatolian Civilizations der Koç Uni- versity Istanbul und dem Archäologischen Museum Istanbul; Organisation:

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Beate Böhlendorf-Arslan [Freiburg], Alessandra Ricci [Istanbul]; Förderung: Gerda Henkel Stiftung; Abb. 47). – Es sprachen: Philipp von Rummel (Rom), Byzantinische Kleinfunde und ihre Rolle in der Diskussion um die ›Transfor- mation of the Roman World‹; Falko Daim (Mainz), Byzantinische Funde in awarischen Gräbern des 7. und 8. Jahrhunderts; Paul Arthur (Lecce), Artefacts from Byzantine and Medieval Rural Sites in Southern Italy; Birgit Bühler (Wien), Die Identifizierung byzantinischer Feinschmiedearbeiten mit Hilfe her- stellungstechnischer Studien; Marco Ricci (Rom), Rome-Byzanz Affinity and Difference in the Production of Luxury Goods; Anastasios Antonaras (Thes- saloniki), Middle and Late Byzantine Jewelry from Thessaloniki and Its Re- gion; Eleni Barmparitsa (Athen), Metal Objects from the Tombs of the Frank- ish Castle of Clarence in Western Peloponnese; Smaragdi Arvaniti (Athen) – Nikos Kontogiannis (Athen), Dating Small Finds from the Medieval Castles of Andros; Andrzej Biernacki (Poznan), Byzantine Iron Helmets of Novae (the Diocese of Thracia); Platon Petridis (Athen), Holy Bread Stamps from Early Byzantine Delphi; Evangelia Militsi (Kalamata), Small Finds from the Early Christian Settlements in Cos, Dodecanese; Nikos Tsivikis (Athen), Small Finds Abb. 47 Poster zum Workshop »Byzantine from the Byzantine Settlement of Messene; Stephan Westphalen (Hildesheim), Small Finds in Archaeological Contexts« Kleinfunde aus der Basilika am Kalekapı in Herakleia Perinthos ( Ereğlisi); Şeniz Atik (Istanbul), Üsküdar Kazısı’nda Bulunan Geç Roma – Erken Bizans Dönemi Buluntuları; Şehrazat Karagöz (Istanbul), Marmaray – Üsküdar Kazılarında Bulunan Seçme Ufak Bizans Buluntuları; M. Metin Gökçay (Istan- bul), Yenikapı Kazılarında Bulunan Ahşap Aletler; Elena Klenina (Sevastopol), The Byzantine Bone Wares from Chersonesos in Taurica: Interpretation and Chronology; Alexandr Aibabin (Simferopol), Les fibulas militaires protobyzan- tines à pied attaché provenant du Sud-Ouest de la Crimée; Elzara Khairedinova (Simferopol), Les croix-pendentifs des VIe–IXe siècles provenant du Sud-Ouest de la Crimée; Tülin Çoruhlu (Sarkaya), Adramytteion Antik Kenti Bizans Küçük Buluntuları; Fede Berti (Ferrara), Materials from the Byzantine Necro- polis in the Agora of ; Thomas Otten (Düsseldorf), Ausgewählte byzan- tinische Kleinfunde und Grabfunde aus Pergamon. Ein Beitrag zur Chronolo- gie und Siedlungsgeschichte; Andrea Pirson (Istanbul), Schmuck und Trachtbe- standteile aus Pergamon; Evangelia Dafi (Kallithea), A Byzantine Lead Amu- let from Samos; Andrea Pülz (Wien), Byzantinische Kleinfunde und Tracht- bestandteile aus Ephesos; Zeynep Mercangöz (Izmir), Kuşadası, Kadıkalesi/ Anaia Kazısından Küçük Buluntular; Vera Bulgurlu (Istanbul), Byzantine Lead Seals Found in the Kadıkale Excavation; Muradiye Öztaşkın – Gökten Öztaşkın (Eskişehir), ›Building with Mosaics‹ in Olympos: A Comparative Evaluation of Finds and Construction; Eric Ivison (New York), Burial Contexts with Small Finds of the 10th and 11th Centuries from the Lower Church Complex at Byzantine ; Petra Linscheid (Bonn), Middle Byzantine Textile Finds from Amorium; Oğuz Koçyiğit (Çanakkale), Small Finds from the Early 9th Century Destructions at Amorium; Hüseyin Yaman (Çanakkale), Small Finds for the Dating of a Tomb from Amorium; Beate Böhlendorf-Arslan (Frei- burg), Haushaltsgegenstände und landwirtschaftliche Geräte aus dem byzan- tinischen Boğazköy; Adele Federica Ferrazzoli (Rom), Byzantine Small Finds from Elaiussa ; Gülgün Köroğlu (Istanbul), 1993–2007 Yılları Arasında Höyüğü Kazılarında Ele Geçen Ortaçağ Buluntuları; Francesca Dell’Era (Rom), Byzantine Small Finds from Zeytinli Bahçe – Birecik (Urfa); Scott Redford (Istanbul), A 12th Century Iron-working Workshop at Kinet Hoyuk, Hatay, ; Dionysis Mourelatos (Athen), Early Byzantine Metall Small Finds from Sinai; Yvonne Stolz (Istanbul), Goldschmiedearbeiten aus Menouthis in der Bucht von Abuqir in Ägypten; Marianne Stern (Hilversum),

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Early Byzantine Glass from Athens; Yael Gorin-Rosen (Jerusalem), Gold-Glass Tiles – New Discoveries, Evidence of Distribution and Date; Daniel Keller (Mainz), Context, Stratigraphy and Residualty. The Problem of Establishing a Chronology of Byzantine Glass in Southern Egypt.

Tagung 23. September Sektion »Cultural Contacts and Exchange – Case Studies from Anatolia« beim XVII. Internationalen Kongress für Klassische Archäologie in Rom »Meetings of East and West« (Organisation: Ute Kelp [Istanbul]; Teilför- derung: DFG). – Es sprachen: Felix Pirson (Istanbul), Images: Visual Culture of Lycia; Oliver Hülden (München), Ethnicity: Persians by Birth or ›Persianized‹ Locals? – The so called Persian Tombs in Anatolia as a Paradigma for a Spe- cific Cultural Interrelation during the Achaemenid Rule; Martin Bachmann (Istanbul), Technology: Architectural Innovation in Anatolia; Ulrich Mania (Kiel), Art and Religion: Egyptianizing Sculpture from Pergamon; Ute Kelp (Istanbul), Urbanisation and Identities: The Evidence of Grave Types in Ro- man Phrygia; Işıl Işıklıkaya (Frankfurt a. M.), Reception: Ancient ›Forefathers‹? The View of the Average Turkish on Archaeological Remains.

Öffentlichkeitsarbeit

Führungen Zwischen dem 6. April und dem 8. Juni fanden sechs öffentliche Führungen in Stadtvierteln, Gebäuden und Museen in Istanbul durch Mitarbeiter der Ab- teilung statt. Presseinterviews für nationale und internationale Zeitungen und Zeitschriften sowie Funk- und Fernsehanstalten wurden vor allem im Rah- men der einzelnen Arbeitsprojekte gegeben. Im Institutsgebäude, auf den Gra- bungen des Instituts sowie an anderen archäologischen Stätten und in verschie- denen Museen wurden zahlreiche Gruppen und Einzelpersonen geführt.

Ausstellung »Istanbuls Holzhäuser – Beispiele seiner historischen Wohnarchitektur« In Kooperation mit dem İstanbul Araştırmaları Enstitüsü – einer stadtgeschicht- lichen Forschungseinrichtung der Koç-Stiftung – hat die Abteilung Istanbul des DAI 2008 eine Ausstellung zu den osmanischen Holzhäusern der Stadt vor- bereitet, die einen Überblick über fast 50 Jahre Forschungsaktivitäten des DAI auf diesem Gebiet gibt. Die Ausstellung wurde am 30. Oktober im Rahmen der deutsch-türkischen Kulturwochen eröffnet und in den Räumlichkeiten des İstanbul Araştırmaları Enstitüsü gezeigt (Ende: 15. März 2009, Abb. 48). Zwölf ausgewählte Einzelobjekte – vom Ende des 17. Jhs. bis zum Anfang des 20. Jhs. stammend – wurden in Plänen und Photographien ausführlich vorgestellt (Abb. 49). Damit ist sowohl in zeitlicher wie auch in typologischer und stadttopographischer Hinsicht das weite Spektrum dieser Bauten umris- sen. Unter den Beispielen sind außerordentlich prominente Objekte – wie etwa das Amcazade Yalısı aus dem späten 17. Jh. und das Sadullah Paşa Yalısı aus dem 18. Jh. (Abb. 50), die zu den bekanntesten Istanbuler Holzhäusern ge- rechnet werden. Einen weiteren Schwerpunkt nahmen die mit großem Aufwand betrie- benen flächendeckenden Untersuchungen im Istanbuler Stadtviertel Zeyrek ein, die Ende der 1970er Jahre in Kooperation mit der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Karlsruhe durchgeführt wurden. Es ist wohl die umfassendste Dokumentation eines – damals noch relativ geschlossen erhalte- Abb. 48 Istanbul, Ausstellung Holzhäuser. nen – Holzhausviertels, die je in Istanbul entstand. Sie wurde jedoch nie der Plakat zur Ausstellung

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Abb. 49 Istanbul, Ausstellung Holzhäuser. Zwölf Objekte aus der gesamten zeitlichen und typologischen Bandbreite der osmani- schen Holzhäuser Istanbuls

Abb. 50 Istanbul, Ausstellung Holzhäuser. Ansicht des Sadullah Paşa Yalısı aus dem 18. Jh. vom Bosporus aus 226 Jahresbericht 2008 des DAI

Öffentlichkeit präsentiert und ist nun erstmals zusammen mit einer ganzen Reihe eindrucksvoller Photographien, die während der Dokumentation ent- standen waren, gezeigt worden. Die Mehrheit dieser damals dokumentierten Bauwerke ist inzwischen verschwunden. Illustriert wurde die Ausstellung fer- ner mit historischen Photographien aus dem Archiv der Abteilung Istanbul des DAI, das einen sehr umfangreichen Bestand zu den Holzhäusern der Stadt besitzt. An Objekten wurden neben einem Konstruktionsmodell des Amcazade Yalısı zum Vergleich ein schematisches Modell einer mitteleuropäischen Fach- werkkonstruktion und eine originale Holztür des 18. Jhs. mit Intarsienarbeiten gezeigt. Der konstruktionsgeschichtliche Schwerpunkt der Ausstellung wurde neben entsprechenden Texten und Abbildungen auch durch eine umfangrei- che Sammlung von historischen Holzbearbeitungsinstrumenten türkischer so- wie deutscher Provenienz unterstrichen (Abb. 51). Die Texte zur Ausstellung wie auch der Katalog, der begleitend erschien und an dem zahlreiche, namhafte Autoren mitgewirkt haben, sind dreispra- chig (deutsch/türkisch/englisch) verfasst. An eine Präsentation der Ausstellung außerhalb Istanbuls in naher Zukunft ist gedacht. Kooperationspartner: İstanbul Araştırmaları Enstitüsü • Förderung: İstanbul Araştırmaları Enstitüsü; Kulturabteilung des Auswärtigen Amts im Rahmen der deutsch-türkischen Kulturwochen 2008 • Leitung des Pro- Abb. 51 Istanbul, Ausstellung Holzhäuser. jekts: M. Bachmann • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: M. Baha Tanman, Holzbearbeitungsinstrumente des 19. und Z. Ögel, G. Tanman, E. Bora (Ausstellungskuratorium), S. Tezer, D. Altıner, frühen 20. Jhs. aus deutscher und türki- scher Provenienz E. Yerlikaya, I. Şipal, P. Erdoğan, S. Babayiğit (Vorbereitung der Zeichnungen und Pläne) • Abbildungsnachweis: İstanbul Araştırmaları Enstitüsü (Abb. 48); DAI, Abteilung Istanbul, Zeichnung (Abb. 49); DAI, Abteilung Istanbul, Photoarchiv, D. Lorentzen (Abb. 50); DAI, Abteilung Istanbul, Photoarchiv, M. Bachmann (Abb. 51).

Diskussionsrunde auf der Frankfurter Buchmesse In diesem Jahr war die Türkei Gastland auf der Frankfurter Buchmesse (Abb. 52). Aus diesem Anlass wurde am 18. Oktober im Rahmen des vom Aus- wärtigen Amt ausgerichteten »Internationalen Zentrums« von der Abteilung Istanbul des DAI eine Diskussionsrunde zum Thema »Archäologietourismus. Kulturelles Erbe zwischen Erhalt und Vermarktung« veranstaltet. – Es nahmen teil: Abdullah Kocapınar (Ministerium für Kultur und Tourismus der Türkei, Ankara), Klaus A. Dietsch (Studiosus Reisen, München), Jürgen Kunow (Ver- band der deutschen Landesarchäologen, Bonn), Lucienne Thys-Şenocak (Koç Universität Istanbul), Felix Pirson (Erster Direktor der Abteilung Istanbul des DAI), Raşit Ürper (Bürgermeister von Bergama); Moderation Dieter Bartezko (FAZ). Abb. 52 Logo der Frankfurter Buchmesse 2008, Gastland Türkei Veröffentlichungen

Istanbuler Mitteilungen 57, 2007 Istanbuler Forschungen 50: H. Mert, Zur hellenistischen und kaiserzeitlichen Bauornamentik von Stratonikeia Byzas 8: P. I. Schneider, Die Rizk-Moschee in Hasankeyf. Bauforschung und Baugeschichte

AA-2009/1 Beiheft Abteilung Madrid

Abteilung Madrid Direktorin und Direktor Prof. Dr. Dirce Marzoli, Erste Direktorin Serrano 159 Prof. Dr. Thomas G. Schattner, Wissenschaftlicher Direktor E-28002 Madrid Tel.: +34-(91) 561 09 04 Wissenschaftliche Mitarbeiter Fax: +34-(91) 564 00 54 Dr.-Ing. Felix Arnold, PD Dr. Michael Kunst, Dr. Dirk P. Mielke E-Mail: [email protected] Auslandsstipendiatin Dr.-Ing. Nicole Röring

Wissenschaftliche Hilfskräfte Beate Brühlmann M. A., Nina Lutz M. A., Maria Joao Delgado Correia do Santos M. A.

Aus Drittmitteln finanzierte Stelle PD Dr. Thomas X. Schuhmacher (DFG, bis 30. 9)

Abteilung Madrid

Ausgrabungen und Forschungen

Zambujal (Portugal) In der kupferzeitlichen befestigten Siedlung von Zambujal, etwa 14 km von der Atlantikküste entfernt im heutigen Landkreis von Torres Vedras (Distrikt Lissabon) gelegen, fanden in diesem Jahr keine Grabungen statt. Es wurde aber von Seiten der Stadt Torres Vedras, die über 45 ha Land in der unmittelbaren Abb. 1 Zambujal (Portugal), Modell für Bauphase 4. Blick von Südwesten auf Umgebung des Fundortes erworben hatte, ein neues Projekt zur Musealisie- den Steilabfall. Die hellgrauen Bauten im rung begonnen. Für eine große Glockenbecherausstellung wurden die jüng- Vordergrund sind rein hypothetisch und sten Forschungsergebnisse in einem Modell umgesetzt. Es handelt sich um die orientieren sich an der Publikation von Rekonstruktion von Zambujal in der entwickelten Glockenbecherzeit, d. h. E. Sangmeister und H. Schubart MB 5, 1 (1981). Aus diesem Grund wurde bei den Bauphase 4 (etwa 2. Hälfte des 3. Jts. v. Chr. bis Anfang 2. Jt. v. Chr). Grund- Gebäuden auf Dächer verzichtet lage für diese Rekonstruktion war zum einen das im Jahr 2006 für Turm B

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Abb. 2 Zambujal (Portugal), Modell entworfene Modell (s. AA 2007/2, 296 Abb. 27) mit einer ehemaligen Ge- für Bauphase 4. Blick von Osten über samthöhe des Turmes vom Boden bis zur Dachspitze von etwa 9 m und zum den Bergsporn: In Hellgrau sind die rein anderen die Auswertung der Ausgrabungen an der vierten Befestigungslinie, hypothetischen Bauten, in Dunkelgrau mit Kennzeichnung der Steine die vorhan- deren monographische Publikation derzeit vorbereitet wird (Abb. 1. 2). denen Baubefunde angezeigt, in Gelblich- Kooperationspartner: Câmara Municipal de Torres Vedras • Förderung: Beige werden sichere Rekonstruktionen Câmara Municipal de Torres Vedras; V. Neves (Torres Vedras, Finanzierung des wiedergegeben. An den Stellen, an denen Modells) • Leitung des Projekts: M. Kunst • Mitarbeiter: L. J. Trindade (Erstel- das Dach – zwar hypothetisch – dargestellt ist, gibt es dennoch die besten Hinweise für lung des Modells nach Angaben von M. Kunst) • Abbildungsnachweis: MAD- eine Rekonstruktion. In den freien Plätzen PAT-DG-13-08-094 (Abb. 1); D-DAI-MAD-PAT-DG-13-08-100 (Abb. 2). zwischen den Mauern können Häuser gestanden haben. Bisher sind nur wenige Sizandro-Alcabrichel (Portugal) steinerne Grundmauern von Rundhäusern entdeckt worden, allerdings wiesen zwei Das geoarchäologische Projekt »Sizandro-Alcabrichel: Zwei kupferzeitliche Schnitte hinter der vierten Befestigungs- Siedlungskammern im Vergleich« ist nach zwei Flüssen benannt, die etwa par- linie, die hier im Vordergrund zu sehen ist, allel in den Atlantik münden. Vor allem wird das von Zambujal dominierte Ter- auch auf freie Räume ritorium im Einzugsgebiet des Río Sizandro zu suchen sein. Wichtig ist da- her, die prähistorische Besiedlung beider Flusstäler miteinander zu vergleichen. Im Rahmen von Forschungscluster 2 »Innovationen: technisch, sozial« ver- folgt das Projekt das Ziel, die Umweltfaktoren und die kulturellen Vorausset- zungen für die technologische und soziale Entwicklung im 3. Jt. v. Chr. auf der

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Abb. 3 Sizandro-Alcabrichel (Portugal), Karte des Untersuchungsgebietes im Sizandrotal

Iberischen Halbinsel – der ›Kupferzeit‹ – exemplarisch am klar umschreibba- ren Raum zu erforschen, nämlich an den Einzugsgebieten der Flüsse Sizandro und Alcabrichel in der Umgebung der Befestigungsanlage von Zambujal. I. Geoarchäologische Prospektionen des DAI: In diesem Jahr lag der Schwerpunkt auf den geowissenschaftlichen Untersuchungen zur holozänen Talentwicklung. Untersuchungen in der Flussaue des Río Sizandro östlich des Ortes Couta- da zielten darauf ab, Erkenntnisse zur Entwicklung in näher zum Atlantik ge- legenen Arealen des Sizandrotales zu gewinnen, nachdem Vorarbeiten in wei- ter von der Küste entfernten Talabschnitten, nahe dem Ort Benfica, detaillier- te Belege für die Existenz einer Meeresbucht in der 2. Hälfte des 5. Jts. v. Chr. geliefert hatten. Die Gebiete bei Coutada wurden bereits von der Meerestrans- gression erfasst, als die Lokalitäten nahe Benfica noch rein terrestrischen Ver- hältnissen ausgesetzt waren. Die Unterschiede der Entwicklung im Längsprofil könnten Einfluss auf das Siedlungsverhalten genommen und zu raum-zeitlich differenzierten anthropogenen Eingriffen in den Landschaftshaushalt geführt haben. Der Aspekt stellte den Ausgangspunkt der aktuellen Untersuchungen dar (Abb. 3) Bei Coutada wurden die bisher größten Sedimentmächtigkeiten im Sizan- drotal erbohrt (Abb. 4). In zwei Lokalitäten war eine 28 m mächtige Folge vor- wiegend feinklastischer Alluvionen zu bergen. Ein Untersuchungsziel war, die Morphologie des Talbodens zu rekonstruieren und daraus Rückschlüsse zur Ausdehnung des Meeresarmes in diesem Teil der Sizandro-Aue zu ziehen. Die Bohrungen belegen, dass die von Sedimenten bedeckte Paläooberflä- che des anstehenden Gesteinsuntergrundes als Folge der Tiefenerosion in den Kaltzeiten des Pleistozäns schluchtartig zerschnitten ist. Eindeutige Beweise für die marine Beeinflussung der untersuchten Talabschnitte sind durch Reste von Muschelschill gegeben, der örtlich unterhalb von 9 m Tiefe in den Abla- gerungen enthalten ist. Die Verknüpfung der zoologischen Befunde mit den Erkenntnissen zur Morphologie des Talbodens erlaubt erste Aussagen zur late- ralen Extension der Meeresbucht (Abb. 3). Das Gewässer ist auf einen relativ schmalen Bereich des Sizandrotales einzugrenzen und dürfte im Querschnitt eine maximale Breite von 200 m aufgewiesen haben.

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Abb. 4 Sizandro-Alcabrichel (Portugal), Beschreibung eines Sedimentprofils im Sizandrotal bei Coutada

Lokal wurde in 7,6–10,9 m Tiefe eine in pleistozänen Terrassensanden und -kiesen entwickelte Bodenbildung erfasst. Sie markiert eine ehemalige Land- oberfläche, datiert höchstwahrscheinlich in das frühe Holozän und belegt, dass diese Lokalität zur Zeit der Pedogenese frei von Hochwasser war. Das Terras- senniveau wurde erst überflutet, als der Sizandro, bedingt durch starken Sedi- menteintrag, die Flusssohle soweit erhöht hatte, dass bei temporären Hochwäs- sern die Randbereiche überschwemmt werden konnten. Wegen der vor Über- flutung sicheren Reliefposition könnte der Profilstandort im frühen Holozän von prähistorischen Siedlern als Wohnplatz genutzt worden sein. Der Aspekt bietet Potential für Folgeuntersuchungen, weil schon früher vermutet wurde, dass prähistorische Siedlungsplätze unter jüngeren Sedimenten verborgen lie- gen und dadurch der archäologischen Identifikation entzogen sind. Es wurden etwa 400 Sedimentproben entnommen und der analytischen Auswertung im Labor zugeführt. Im Vergleich mit den bereits vorliegenden Ergebnissen aus anderen Teilen des Einzugsgebietes sollen die Daten raum- zeitlich differenzierte Aussagen zur Paläoumwelt ermöglichen und den holo- zänen Landschaftswandel im Sizandrotal in den Kontext der überregionalen Entwicklung an der portugiesischen Westküste stellen. Hinweise dazu sind auch aus einem Sedimentprofil zu erwarten, das in einem Seitental (nahe dem Ort Paúl) aus einer Versumpfungszone geborgen werden konnte. Die grund- nassen Verhältnisse und das partielle Auftreten von geringmächtigen Torfla- gen belegen die Eignung der Lokalität für vegetationsgeschichtliche Analy- sen. Daher wird das Profil pollenanalytisch untersucht (Abb. 5). Erstmals konnte eine Bohrung im Tal des Río Alcabrichel erfolgen. Die- se lieferte Belege für früher marin-brackisch beeinflusste Verhältnisse in aktu- ell terrestrisch geprägten Bereichen. Das lässt auf eine in Grundzügen ähnli- che Entwicklung wie im Sizandrotal schließen. Bei Geländebegehungen im Umfeld der Bohrstelle wurde eine Keramikscherbe gefunden, die als kupfer- zeitlich bzw. eventuell bronzezeitlich einzustufen ist. Dies ergänzt die archäo- logischen Erkenntnisse für diesen Raum und liefert zudem einen Ansatzpunkt für zukünftige Untersuchungen, mit denen geklärt werden soll, inwiefern der Faktor Mensch die holozäne Landschaftsentwicklung im Tal des Río Alcabri- chel beeinflusst hat. Abb. 5 Sizandro-Alcabrichel (Portugal), Begutachtung einer Sondage für Pollen- Auch die archäologischen Prospektionen wurden weitergeführt und rich- analysen im Sizandrotal bei Paúl teten sich in diesem Jahr mehr auf die küstenfernen Bereiche des Sizandrotales

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sowie des Alcabricheltales, wo in der Nähe der Bohrstelle spärliche Reste Abb. 6 Sizandro-Alcabrichel (Portugal), wahrscheinlich eines Siedlungsplatzes entdeckt wurden, von dem aus die Blick von einem prähistorischen Fundplatz Alcabrichelmündung kontrolliert werden konnte (Abb. 6). über die Bucht des Alcabrichel zur Mündung in den Atlantik II. Ausgrabungen in Bolóres, eine Kooperation mit der University of Iowa: Die Ausgrabungen des kupferzeitlichen Kollektivgrabs bei Bolóres wurden von der amerikanischen Forschergruppe weitergeführt. Die portugiesische Denk- malbehörde ermöglichte es zudem, die menschlichen Knochen für anthro- pologische Untersuchungen vorübergehend nach Iowa mitzunehmen. Kooperationspartner: Câmara Municipal de Torres Vedras; AG Bodenkun- de, Institut für Physische Geographie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M.; Department of Anthropology, University of Iowa • Förde- rung: Câmara Municipal de Torres Vedras; Social Science Funding Program der University of Iowa (für das Projekt Bolóres) • Leitung des Projekts »Geo- archäologische Prospektionen des DAI«: M. Kunst • Leitung der Bohrkampa- gne und der naturwissenschaftlichen Untersuchungen: H. Thiemeyer, R. Dam- beck (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M.) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: D. Bergmann-Dörr, D. Schneider, C. Haase, C. Sänger, S. Sylla (Frankfurt a. M.), N. Herrmann (Leipzig); Analysen: A. J. Kalis, A. Lord, A. Stobbe (Frankfurt a. M.), H. Rittweger (Waldbrunn), H.-P. Stika (Stuttgart); Leitung der archäologischen Prospektionen: N. Lutz (Marburg); L. J. Trindade (Torres Vedras) • Leitung des Projekts »Ausgrabungen in Bolóres«: K. Lillios (Iowa) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: J. A. Artz, B. Kendall (GIS, Geo- archäologie); J. Thomas (Prähistorie); A. Waterman, J. Willman (Anthropolo- gie); L. J. Trindade (Torres Vedras) • Abbildungsnachweis: R. Dambeck nach Kartengrundlage, Carta Militar de Portugal 1 : 25 000, Série M 888, folha 374 Torres Vedras, 4. Ausgabe (Hrsg. Serviço Cartográfico do Exército, Lissabon, 1992) und Carta Geológica de Portugal 1 : 50 000, folha 30-C, Torres Vedras (Hrsg. Serviçios Geológicos de Portugal, Lissabon, 1954) (Abb. 3); C. Sänger (Abb. 4); S. Sylla (Abb. 5); D-DAI-MAD-PB160081, M. Kunst (Abb. 6).

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Die Kontakte zwischen der Iberischen Halbinsel und dem Maghreb während des Chalkolithikums und der frühen Bronzezeit. Studien zum Austausch von Elfenbein Grundlage des Projekts ist die Erstellung eines möglichst vollständigen Kata- loges aller Elfenbeinobjekte der Iberischen Halbinsel, die sich zwischen 3000 und 1650 v. Chr. (Chalkolithikum bis frühe Bronzezeit, Abb. 7) datieren lassen. Gleichzeitig wurden verschiedene zerstörungsfrei arbeitende spektroskopische Analysen an ausgewählten Elfenbeinobjekten durchgeführt. Hierdurch sollte der genaue Rohmateriallieferant, d. h. Flusspferd, Afrikanischer oder Asiati- scher Elefant, bestimmt und damit die Herkunft des während des Chalkolithi- kums und der frühen Bronzezeit auf der Iberischen Halbinsel und im Maghreb verwendeten Elfenbeins geklärt werden. Das Projekt konnte in diesem Jahr abgeschlossen werden. So wurde der Ka- talog der entsprechenden Elfenbeinobjekte durch die Aufnahme von Stücken in verschiedenen Museen Portugals und Spaniens, insbesondere in den Museen von Jaén, Badajoz (Abb. 8), Murcia, Sesimbra (Portugal) sowie im Museu Geo- 8 logico und Museu do Carmo (Lissabon) vervollständigt. Er umfasst nun insge- samt ca. 1100 Objekte, von denen der größte Teil beschrieben, gezeichnet und Studien zum Austausch von Elfenbein photographiert werden konnte. Einige Altfunde müssen jedoch inzwischen als Abb. 7 Verbreitung der chalkolithischen verschollen gelten. und frühbronzezeitlichen Fundstellen mit Auch in diesem Jahr lag das Hauptaugenmerk auf den naturwissenschaft- Elfenbeinfunden lichen Analysen des Elfenbeins. Hierzu wurden weitere 18 Objekte bzw. Pro- Abb. 8 La Pijotilla, Badajoz (Spanien). ben aus Spanien, so unter anderem aus verschiedenen Elfenbeinwerkstätten der Anthropomorphes Idol aus Elfenbein Siedlung Fuente Álamo (Grabung der Abteilung Madrid des DAI, Abb. 9) und

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einem Grab aus Camino de Yeseras (Madrid, Grabung der Universidad Autó- noma Madrid) untersucht. Zusätzlich konnten zum ersten Mal ebenso zehn Objekte aus dem Chalkolithikum Portugals mittels Fourier-Transformations- Infrarot-(FTIR)-Spektroskopie und der Analyse der Schreger-Strukturen un- tersucht werden. Es zeigte sich, dass die Herkunft des Rohmaterials Elfenbein nicht nur chronologisch sondern auch regional differenziert war. So erhielt zwar der spanische Südosten seit dem Beginn des 3. Jts. v. Chr. überwiegend Elfen- bein vom asiatischen Elefanten (Elephas maximus), im äußersten Westen sah dies jedoch anders aus. Hier wurde stattdessen wohl ein atlantischer Versor- Abb. 9 Studien zum Austausch von Elfen- gungsweg genutzt, über den Elfenbein des afrikanischen Steppenelefanten bein, Fuente Álamo, Almería (Spanien). (Loxodonta africana africana) nach Portugal kam. Als Herkunftsregion wurde Vermutlich zu Grab 105 gehöriger Kamm aus Elfenbein die Atlantikküste Marokkos vermutet. Um diese Hypothese überprüfen zu können, wurden auf Vermittlung des marokkanischen Antikendienstes INSAP (Rabat) auch zehn Proben aus der Höhle Khef-el-Baroud (Rabat) untersucht. Tatsächlich konnte entgegen teilweise anders lautender Forschungsmeinun- gen eine Anwesenheit von afrikanischen Steppenelefanten in den atlantischen Küstenebenen Marokkos glaubhaft gemacht werden. Für weitere Proben aus dem jüngeren Chalkolithikum Portugals erhiel- ten wir dagegen mit Zähnen des Pottwals (Physeter macrocephalus) ein völlig unerwartetes Ergebnis. Vermutlich handelt es sich um die Nutzung eines gestrandeten Tieres. Darüber hinaus bestätigten die weiteren Analysen an spanischem Material unser bisheriges Bild, wonach in der jüngeren Frühbronzezeit wiederum der Steppenelefant den Hauptrohmateriallieferanten bildete. Die untersuchten Produktionsabfälle aus einer Elfenbeinwerkstatt in der argarzeitlichen Siedlung von Fuente Álamo bestehen sämtlich aus diesem Material. Das nun abgeschlossene Projekt konnte hiermit nicht nur die Zahl der für das Chalkolithikum und die frühe Bronzezeit bekannten Elfenbeinobjek- ten bedeutend vergrößern (Abb. 7), sondern es wurden auch entscheidende neue Erkenntnisse zur Herkunft und zu den Routen des Elfenbeinaustauschs gewonnenen. Förderung: DFG (Projekt SCHU 1539/2-2) • Leitung des Projekts: Th. X. Schuhmacher (Forschung) • Mitarbeiter: A. Banerjee (Gruppe IN- CENTIVS, Institut für Geowissenschaften der Johannes-Gutenberg-Uni- versität Mainz) • Abbildungsnachweis: Th. X. Schuhmacher nach einer Kar- tenvorlage der Abteilung Madrid des DAI (Abb. 7); Museo Arqueológico Provincial de Badajoz, Inv. Nr. D 3781, Th. X. Schuhmacher (Abb. 8); FA 91/3436, J. Patterson (Abb. 9).

Los Castillejos de Alcorrín (Spanien) Die 2006 begonnenen Ausgrabungen in Los Castillejos de Alcorrín haben die hervorragende Stellung und regional übergreifende Bedeutung der 11,3 ha großen befestigten Anlage der Endbronzezeit/frühen Eisenzeit im unmittel- baren Hinterland der südspanischen Mittelmeerküste am Westrand der Pro- vinz Málaga belegt. Das Ziel der Ausgrabungen und Forschungen in und um Los Castillejos de Alcorrín ist die am Übergang vom 9. zum 8. Jh. v. Chr. entwickelte erste Phase der Kontakte zwischen Phöniziern und Einheimi- schen. Das Motiv der Errichtung und die architektonischen sowie poliorche- tischen Merkmale der komplexen Befestigung, die urbanistischen Merkmale der Innenbebauung, die Kennzeichen einer gesellschaftlichen Struktur, die Bedeutung der Einführung der Schrift sind hier so gut wie bisher an keinem anderen gleichzeitigen Fundplatz der Region zu untersuchen.

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Los Castillejos de Alcorrín (Spanien) Nachdem das Gelände gerodet worden war, fand in diesem Jahr eine Gra- bungskampagne statt, die zur Klärung der Fragen zur Befestigung angesetzt Abb. 10 Ansicht der Grabungsfläche im war. Ein Schnitt wurde im Norden der Anlage dort angelegt, wo die Einfas- Norden der endbronzezeitlichen Anlage, Blick von Westen nach Norden sungsmauer der ›Akropolis‹ an den äußeren Mauerring stößt (Abb. 10. 11). Hier kam unter einem mächtigen Versturz ein mehrräumiges Gebäude zum Abb. 11 Blick auf Schnitt F im Nordwesten Vorschein, das in zwei Phasen errichtet wurde und offensichtlich mit der der ›Akropolis‹, im Hintergrund die Sierra Fortifikation zusammenhängt, vorerst aber noch nicht näher gedeutet werden de Utrera kann. Es zeigte sich, dass die bis zu 4 m breite Außenmauer der ›Akropolis‹ Abb. 12 Schnitt G, Nordprofil der äußeren in zwei Phasen gebaut wurde und dass 11 m nördlich von ihr, die Felsader Befestigungsmauer (M. 1 : 100) am Fuß eines steilen Hanges nutzend, ein weiterer Mauerzug verläuft, der zum steil abfallenden Alcorríntal hin der äußersten Einfassung der Anlage entspricht. Ein weiterer Schnitt wurde im Bereich der durch die Bastionen hervorgehobenen Westfront der Außenmauer gelegt (Abb. 12). Das Profil belegt die 4 m breite mächtige Mauer und ihre stufenartig gegliederte In- nenfront. Die Funde aus dem Bereich beider Schnitte sind zeitgleich, sie

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gehören der letzten Phase der Endbronzezeit an. Das Fragment einer Ampho- Abb. 13 Los Castillejos de Alcorrín renschulter mit einem eingeritzten »Alef« gibt einen der seltenen Hinweise (Spanien), geophysikalische Prospektion auf den phönizischen Einfluss. mit deutlich sichtbaren Befestigungs- und Gebäudestrukturen. Interpretation nach Auch in diesem Jahr wurden wieder geophysikalische Prospektionen durch- C. Meyer geführt, die gemeinsam mit den Ergebnissen aus den Vorjahren ein aufschluss- reiches Gesamtbild der komplexen Befestigungsanlage und der im Inneren durch Graben und Mauer deutlich abgesetzten ›Akropolis‹ ergeben, wo sich frei stehende mehrräumige Gebäude abheben und die wohl dazu gehören- den Gruben zu erkennen sind (Abb. 13). Aufgrund dieses präzisen Bildes wer- den in der bereits bewährten Art auch in den kommenden Kampagnen die Schnitte angelegt werden, die zur Klärung der Strukturierung des Innenrau- mes dienen sollen. Kooperationspartner: Centro de Estudios Fenicios y Púnicos (Madrid); Gemeinde Manilva (Málaga) • Leitung des Projekts: D. Marzoli, F. López Pardo; Subdirektion: J. Suárez Padilla • Mitarbeiter: Archäologie: H. Domín- guez del Triunfo (Madrid), V. García Coca (Madrid), D. Godoy Ruiz (Fuengi- rola), C. León Martín (Manilva), E. López Rosendo (Puerto de Santa María), D. P. Mielke; F. Paizal González (Alhaurín de la Torre, Málaga), K. Thömel (Berlin), M. Torres Ortiz (Madrid); Zeichnungen: J. Fernández (Madrid); Pho- tographie: J. Patterson; Restaurierung: E. Ziegler (Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz); Geophysik: C. Meyer (Berlin), E. Schönherr (Berlin) • Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Madrid, Photographie, J. Patterson (Abb. 10. 11); DAI, Abteilung Madrid, Zeichnung J. Fernandez (Abb. 12); Fa. Eastern Atlas, Berlin, C. Meyer (Abb. 13).

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Mogador, Essaouira (Marokko), ein phönizischer Außenposten und sein afrikanisches Hinterland Mit interdisziplinären Forschungsmethoden wird auf der kleinen Insel Moga- dor (Abb. 14) vor der südmarokkanischen Atlantikküste am Nordrand der gro- ßen Meeresbucht von Essaouira eine phönizische Faktorei untersucht, die we- gen ihrer extremen Lage am Rande der Antiken Welt, 900 km südlich der sog. Säulen des Herakles, von außergewöhnlicher Bedeutung ist. Seit dem 7. Jh. v. Chr. gelangten Menschen, Ideen, Waren aus den unterschiedlichsten Regio- nen der phönizischen Koiné in diese entfernte afrikanische Region, um ihren risikoreichen, aber gewinnbringenden Aktivitäten nachzugehen. In phönizi- scher Zeit befand sich hier ein ›Heiligtum‹ unter freiem Himmel, in dem u. a. die phönizische Göttin Astarte verehrt wurde. In römischer Zeit entstand auf demselben Platz eine große römische Villa (Abb. 15). Obwohl durch Unwetter, hohen Wellengang sowie starke Strömungen in diesem Jahr die Ausgrabung nur während knapp zwei Wochen und dann manchmal sogar nur wenige Stunden lang möglich war, wurden Ergebnisse erzielt, welche die Bedeutung der kleinen Atlantikinsel weiter bekräftigen. Nach der Rodung der dichten Macchia kam das Gelände der Altgrabungen wieder zum Vorschein und die auf der Oberfläche spärlich erhaltenen Struk- turen ließen erkennen, dass sich die römische Villa über eine Fläche von min- destens 2200 m2 erstreckte und mehrere Bauphasen besaß (Abb. 16). Die äl- testen Funde aus ihrem Bereich gehören der Zeit des mauritanischen Königs Juba II. (25 v. Chr. – 23. n. Chr.), die jüngsten dem 4. Jh. n. Chr. an. Säulen ei- nes Peristyls und Reste von Mosaikböden zeugen von der aufwendigen Aus- stattung des Wohnbereiches, große Garumbecken belegen einen wirtschaftli- chen Schwerpunkt der römischen Anlage. Die Zisterne mit einer Breite von 1,90 m, einer rekonstruierbaren Länge von 30 m und einem Fassungsvermö- gen von mindestens 200 m3 Wasser ist einzigartig in Marokko. Ihre typolo- gischen Kennzeichen lassen eine Datierung in das 2. Jh. v. Chr. nicht aus- schließen (Abb. 17). Die Arbeiten in diesem Bereich haben in gewisser Weise auch den Charakter einer Notgrabung, sind doch gerade die Erosion und das Unterspülen durch die Brandung derart stark vorangeschritten, dass nur noch wenige Meter zwischen der Zisterne und der abfallenden Küste verblieben sind. Es ist zu befürchten, dass die Zisterne in absehbarer Zeit ins Meer stür- zen wird. Die zur Villa gehörenden Garumbecken liegen schon dort. Schnitte wurden auf dem ›Tetre‹ (so von A. Jodin genannt, entspricht der Platz einer Art kleinem ›Monte Testaccio‹ aus phönizischer bis spätantiker Zeit) und südlich am Rande der Insel angelegt. Während die Ausgrabung auf dem ›Tetre‹ bis zum Ende der Kampagne Schichten des 4.–2. Jhs. n. Chr. erfasste, in denen islamische Bestattungen lagen, ließen sich im Schnitt südlich davon zwei deutlich voneinander getrennte Schichten des späten 6./frühen 5. Jhs. v. Chr. und der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. verfolgen. Sie geben eine bedeutende punische Phase zu erkennen, die auf der Insel bisher noch nicht beobachtet wurde. Die zahlreichen Keramikfunde, unter denen sich vor allem Amphoren aus Südspanien aber auch griechische und ›tartessische‹ Importe befinden, weisen auf großräumige wirtschaftliche Einflusssphären. Unter der handgemachten, lediglich einen kleinen Prozentanteil einnehmenden Ware sind neben Formen, die auch in anderen phönizischen Fundplätzen (z. B. Lixus und Faktoreien in Südspanien) vorkommen, in den punischen Kontexten Schüsseln und Schalen einer Gattung belegt, die sich durch eine Magerung mit ›goldenem‹ Glimmer und Kerbverzierung abhebt, die Ähnlichkeiten mit bronzezeitlicher Keramik Nordwestmarokkos besitzt. Möglicherweise ist mit diesen Funden in Mogador erstmals eine lokale einheimische Komponente zu fassen.

AA-2009/1 Beiheft Abb. 14 Mogador (Marokko), im Rahmen des deutsch-marokkanischen Projekts erfolgte die erstmalige topographische Aufnahme der Atlantikinsel Mogador. Auf diesem Plan sind die 1 m Höhenlinien, die neuzeitlichen Bauten und das Grabungsareal wiedergegeben Abteilung Madrid 239

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Mogador (Marokko) Besonders aufschlussreich sind die Ergebnisse der ersten zoologischen Untersuchungen. Unter den Funden nehmen Tierknochen, Muscheln und Abb. 15 Querschnitt durch das Grabungs- Schnecken nämlich einen große Anteil ein: Bisher wurden etwa 40 000 Fun- areal vom Ostrand der römischen Villa über die Zisterne bis zum Atlantik (M. 1 : 1000) de gesichtet, davon sind über 20 000 aus phönizischem Kontext. Die Insel- bzw. Halbinsellage der phönizischen Faktorei impliziert eine enge Bindung Abb. 16 Das archäologische Areal am an das Hinterland. Die Versorgung der Bewohner wurde gesichert durch die Südrand der Insel Mogador nach der Belieferung mit Rindern, Ziegen und Schafen, seltener Schweinen. Fisch Rodung der dichten Macchia, die alles bedeckte und Meeresfrüchte wurden vermutlich regelmäßig verzehrt. Hühnerfleisch, Wildgeflügel, Eier, Milchprodukte, sogar Fleisch von Robben sorgten für Abb. 17 Die 12,5 m lange Zisterne Abwechslung im Speiseplan. Die Natur bot Ressourcen in so reichem Aus- (s. Abb. 15) wurde freigelegt und von maß, dass eine Produktion von Garum und Trockenfisch für den Export als Architekten steingerecht aufgenommen. Hier eine Ansicht von Westen nach Osten wahrscheinlich angesehen werden kann. In phönizischer Zeit wurden zudem auf der Insel Hunde und Katzen gehalten, ebenso wie Löwen und kleinere Raubtiere. Außerdem hat man Elfenbein, Horn, Geweih und Knochen in geringem Umfang verarbeitet. Dank der interdisziplinären Untersuchungen ist auch ein erster Einblick in die Pflanzenwelt von Mogador und seinem Hinterland möglich. Die Holz- bestimmungen betreffen ausschließlich Wacholder (Juniperus sp.), dessen wei- ches und aromatisch duftendes Holz sich nicht nur gut für Schnitz- und Drechslerarbeiten eignet, sondern auch zum Räuchern. Es war wohl früher wie auch heutzutage der einzige in Frage kommende Lieferant dafür in der direkten Umgebung von Mogador.

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Geoarchäologische Untersuchungen in dem Umfeld von Mogador und Abb. 18 Mogador (Marokko), die Rekon- Essaouira: Nach Beendigung der geographischen Feldarbeiten der Kampa- struktion der beachtlichen landschaft- gne von 2007 auf der Insel Mogador und in der stadtnahen Umgebung von lichen Veränderungen im Umfeld von Mogador und der Bucht von Essaouira Essaouira wurden die im Gelände geborgenen Proben aufbereitet. Die Daten- lässt die Archäologie und Geschichte der auswertung zeigt, dass die Region um Essaouira/Mogador einem ständigen Region von der mittleren Steinzeit bis und dynamischen Formenwandel unterliegt, der sich durch sedimentologi- heute besser begreifen sche Stratigraphien rekonstruieren lässt (Abb. 18). Vor etwa 8000 Jahren verlief die Küste weiter im Osten. Die gesamte Küs- tenlinie stand unter dem Einfluss von Hochflutereignissen. Im Norden des untersuchten Gebiets ist eine einstige Lagune nachweisbar. Um ca. 6500 BP erreichte die Transgression im Untersuchungsgebiet ihr holozänes Maximum. Weite Bereiche des heutigen Festlandes waren überschwemmt. Die Wassermas- sen trennten den Äolianitzug ab, auf dem später die noch erhaltene Altstadt von Essaouira erbaut wurde und der die heutige Insel Mogador bildet. Im nörd- lichen Bereich des Untersuchungsgebiets erstreckte sich küstenparallel eine Lagune, die im Süden einen Anschluss an das Meer besessen haben muss.

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Durch die Zusammenführung der im Gelände gesammelten Anhaltspunkte gelingt es, einen markanten Unterschied des landschaftlichen Erscheinungsbil- des vor ca. 3000 Jahren gegenüber früheren und späteren Phasen zu ermitteln. Eine Besonderheit bezüglich der Chronostratigraphie stellt das Profil in ei- nem Prallhang am rechten Ufer des unteren Oued Ksob dar, da hier die 14C- und OSL-Alter gemeinsam mit den im Jahr 2006 gesammelten Daten hilfreiche Aussagen über Sedimentationszeiträume ermöglichen. Der Fluss verlagerte um ca. 2000 v. Chr. sein Bett. Um Christi Geburt mäandrierte er wieder zurück und verschüttete den früheren Altarm mit grobkörnigen Sedimenten. Der Oued Ksob schüttete zu dieser Zeit ein langes Delta in das Litoral des Atlantiks. Durch den Küstenlängsstrom wurden die Sedimente der Bucht zugeführt. Gleichzeitig archivierte sich – begünstigt durch die humide Phase des Subatlantikums – ein ästuarines Milieu in den Sedimenten, das hauptsäch- lich durch zahlreiche wasserführende Flüsse ausgebildet wurde. Durch die flu- vialen Schüttungen kam es zu einer progradierenden Küstenlinie und zu einer Anbindung der zuvor noch isolierten Inseln. Im südlichen Bereich der Bucht entwickelte sich zwischen dem Festland und der Insel Mogador ein Tombolo. Diese Veränderung hatte maßgeblichen Einfluss auf die Besiedlungsstruktur der Region. Die anschließenden, nachchristlichen Trockenphasen entschie- den über den bis heute anhaltenden Wandel zu einer semiarid bis arid gepräg- ten Region. Aus der zudem anthropogen bedingten, abnehmenden Materi- alfracht der Flüsse und der Verlagerung des Flussbettes des Oued Ksobs resul- tierte eine retrogradierende Küstenlinie, die die Insel Mogador vom Festland abtrennte (Abb. 18). Die Bedeutung dieser landschaftlichen Veränderungen für das Verständnis der antiken Besiedlung und Nutzung des Raumes (unmittel- bares Hinterland, Küste, Meer, Insel) ist ausschlaggebend. Kooperationspartner: Institut National des Sciences de l’Archéologie et du Patrimoine (INSAP), Rabat; DAI, Kommission für Archäologie Außer- europäischer Kulturen • Förderung: ZF/Zahnrad Friedrichshafen und Stiel • Leitung des Projekts: D. Marzoli, A. El Khayari • Mitarbeiter und Mit- arbeiterinnen: Archäologie: A. El Bertai, I. Fettah, H. Hassini, O. Meddah, G. Rabouli; Architektur: St. Arnold, M. Beiersdorf; Archäozoologie: C. Be- cker, Chr. Küchelmann; Botanik: R. Neef; Geographie: H. Brückner, J. Lucas; Zeichner: J. Fernández, R. Pozo Rueda; Photographie: J. Patterson; Restau- rierung: E. Sulzer, H. Trommer; Unterwasserarchäologie: J. Ibañez Sanmartí, C. de Juan Fuertes, F. X. Nieto Prieto, G. Vivar Lombarte • Abbildungsnach- weis: St. Arnold (Landsberg), F. Arnold (Madrid) (Abb. 15); Topographischer Plan von Chr. Hartl Reiter (Schwerin) (Abb. 14); DAI, Abteilung Madrid, D. Marzoli (Abb. 16); St. (Landsberg), F. Arnold (Madrid) (Abb. 17); H. Brück- ner (Marburg), J. Lucas (Marburg) (Abb. 18).

Archäometrische Untersuchungen an archaisch-phönizischer Keramik von der Iberischen Halbinsel und Marokko Bei dem in der interdisziplinären Phönizierforschung der Abteilung angesie- delten Projekt (s. o. S. 237) wurde phönizisch-archaische Keramik (9.–7. Jh. v. Chr.) aus gut datierbaren Kontexten von 13 bedeutenden phönizischen Faktoreien der Iberischen Halbinsel und von Mogador in Marokko archäo- metrisch untersucht (Abb. 19). Dabei wurde das gesamte phönizische Kera- mikspektrum berücksichtigt: Neben der feinen Ware mit rotem Überzug, bichromen Gefäßen oder der reduzierend gebrannten grauen Ware wurden vor allem tongrundige Transport- und Vorratsgefäße in die Untersuchung aufgenommen (Abb. 20).

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Ziel der Analysen ist die Feststellung des chemischen Elementmusters der Archäometrische Untersuchungen an lokalen Töpferei, um so vor Ort gefertigte Produkte von Importen zu unter- archaisch-phönizischer Keramik von der scheiden und Verbindungen unter den jeweiligen phönizischen Handelsplät- Iberischen Halbinsel und Marokko zen sichtbar zu machen. Um das Elementmuster der einzelnen Keramikproben Abb. 19 Übersicht der einbezogenen zu ermitteln, wurde die speziell für Keramikanalysen optimierte Neutronen- Fundorte aktivierungsanalyse eingesetzt. Sie ermöglicht es, die Konzentration von 26 chemischen Elementen präzise zu messen und damit einen einzigartigen ›geo- Abb. 20 Auswahl der archäometrisch analysierten Keramik. Pithoi (tongrundige chemischen Fingerabdruck‹ der Probe zu bestimmen. Soweit vorhanden, wur- Ware mit Bemalung), Teller (Ware mit den auch Fehlbrände oder Tonprismen analysiert, denn sie stellen besonders rotem Überzug), Schale (graue Ware) und wichtige Referenzen dar, da sie sicherlich den lokalen Öfen entstammen. Prisma Die statistische Auswertung der Messergebnisse erfolgte mittels Cluster- und Diskriminanzanalyse. Als Ergebnis wurden 80 % der 228 untersuchten Objekte in fünf Clustergruppen eingeteilt, die unter Berücksichtigung der archäologischen Gegebenheiten nicht nur lokale Produktionszentren zu er- kennen geben, sondern auch Verbindungen zwischen den einzelnen westphö- nizischen Zentren nachzeichnen lassen. Kooperation: Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie Mannheim • Förderung: Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie Mannheim, Eber- hard-Karls-Universität Tübingen • Leitung des Projekts: D. Marzoli, E. Per- nicka • Bearbeiterin: S. Behrendt • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: D. P. Mielke; A. M. Arruda (Lissabon), M. E. Aubet (Barcelona), A. El Kha- yari (Rabat), A. González Prats (Alicante), G. Maaß-Lindemann (Gamburg), E. Martin Córdoba (Torre del Mar), Ma. Morente (Málaga), D. Ruiz Mata (Cádiz) • Abbildungsnachweis: S. Behrendt (Abb. 19); J. Patterson (Abb. 20).

Prä- und protohistorische Befestigungen auf der Iberischen Halbinsel Befestigungen gehören zu den wohl häufigsten baulichen Überresten vergan- gener Kulturen, da sie – unabhängig von weiteren Funktionen – ein grund- legendes Schutzbedürfnis vieler menschlicher Gemeinschaften widerspiegeln. So findet sich auch auf der Iberischen Halbinsel eine große Zahl vorgeschicht- licher Befestigungsanlagen, die von der beginnenden Kupferzeit (ab dem 3. Jt. v. Chr.) bis zu der römischen Okkupation (218 v. Chr.) errichtet worden sind. Die Archäologie steht jedoch vor dem Problem, dass sich Befestigungen einer formalen Typologisierung entziehen und kulturspezifische Ausprägungen oft schwer festzumachen sind. Der Grund liegt darin, dass die bautechnischen Mög-

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Abb. 21 Prä- und protohistorische Befestigungen auf der Iberischen Halbinsel, Zambujal (Portugal). Kupfer- zeitliche Befestigung, Blick von Osten auf aus mehreren Linien bestehende Fortifikationen

lichkeiten, eine Befestigung zu errichten, stark eingeschränkt sind, so dass der Bau von Fortifikationen zwangsläufig immer wieder zu ähnlichen Ergebnis- sen führt. So überwiegen die ›universellen‹ Elemente, die epochen- und kul- turübergreifend allen Befestigungen eigen sind (z. B. Bruchsteinmauerwerk, Türme, Bastionen oder Gräben). Diese Tatsache bedingt, dass sich Entwick- lungen und Innovationen im Befestigungswesen nur über längere Zeiträume hinweg beobachten lassen. Um eine adäquate Beurteilung der Befestigungen – auch im Hinblick auf weitere Funktionen – zu ermöglichen, wird im Rahmen des Forschungspro- jekts versucht, das hinter diesen Anlagen stehende ›fortifikatorische Konzept‹ zu entschlüsseln. Dieses Konzept wird erst aus der Summe der Elemente er- sichtlich. Wie wird beispielsweise die Topographie eingebunden? Wie sind Mau- ern und Türme errichtet und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Welche weiteren Elemente (Gräben, Annäherungshindernisse) sind erkenn- bar und wie sind sie ausgeführt? Unter welchem übergreifenden Ansatz las- sen sich die einzelnen Elemente schließlich zusammenbringen? Neben einer grundlegenden Definition der vorkommenden fortifikatorischen Elemente wird vor allem ihre zeitliche und räumliche Verteilung untersucht. Änderun- gen im Vorkommen und in der Kombination können dann als Hinweise auf Wechsel in der Befestigungsstrategie dienen. Das fortifikatorische Konzept ist dabei als Reaktion auf die militärischen Möglichkeiten zu einer bestimmten Zeit zu verstehen. Um sich dem Konzept von Befestigungen anzunähern, müssen also auch die Kriegstechniken und die damit verbundenen Waffen übergreifend betrachtet werden. Schon jetzt deutet sich an, dass fortifikatorische Konzepte über weite Räume verbreitet sind und sich nicht ohne weiteres mit bestimmten Kultu- ren oder Ethnien verbinden lassen. So liegt den kupferzeitlichen Anlagen von Zambujal (Torres Vedras/Estremadura/Portugal) oder Los Millares (Santa Fe de Mondújar/Almería/Spanien) das gleiche Konzept zugrunde, wie es bei vergleichbaren Befestigungen im Mittelmeerraum und im Vorderen Orient zu finden ist (Abb. 21). Dieses Konzept scheint bis in die Frühbronzezeit hinein existiert zu haben. Ein nächster großer Umbruch zeichnet sich in der

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Abb. 22 Prä- und protohistorische Befestigungen auf der Iberischen Halbinsel, Los Castillejos de Alcorrín (Spanien). Endbronze-/früheisenzeit- liche Befestigung, Blick von Westen auf die als Versturzwall sichtbaren Reste der einstigen Mauer, die mit hervortretenden Bastionen versehen war

Mittelbronzezeit ab. Auch hier liegen unter Berücksichtigung entsprechen- der Anpassungen wohl überregionale Entwicklungen vor, die längerfristig Be- stand hatten. Ein Beispiel dafür ist die endbronze-/früheisenzeitliche Befesti- gung von Los Castillejos de Alcorrín (Manilva/Málaga/Spanien), die in einem aktuellen Projekt der Abteilung Madrid untersucht wird (Abb. 22). Ziel des Forschungsvorhabens ist es, unter Berücksichtigung der überregi- onalen Entwicklungen einen diachronen Überblick zur Entwicklung des Be- festigungswesens auf der Iberischen Halbinsel zu geben, welches losgelöst ist von kleinräumigen oder kulturorientierten Betrachtungsweisen. Projektbearbeiter: D. P. Mielke • Abbildungsnachweis: D-DAI-MAD- DG-25-8210744, M. Kunst (Abb. 21); DAI, Abteilung Madrid, Paisajes Aéreos, S. L. 2008 (Abb. 22).

Tharsis (Spanien) Wirtschaftsweise, Gesellschaft und Kultur in der Kontaktzone zwischen Küste und Hinterland des hispanischen Südwestens zur mittleren Eisenzeit sind Ge- genstand dieses im Forschungscluster 2 »Innovationen: technisch, sozial« des DAI angesiedelten Projekts. Das Anliegen dieser Forschung lässt sich auch mit dem Begriffspaar Zent- rum – Peripherie umschreiben. Konkret soll das Verhältnis des antiken Minen- zentrums Tharsis zu seinem Umland untersucht werden. Tharsis ist nach Rio- tinto der zweitwichtigste Silber- und Kupferproduzent der Pyrenäenhalbinsel, die ihrerseits zu den metallträchtigsten Gebieten des Erdballs gehört. Insofern ist Metallreichtum eines der zentralen Themen der hispanischen Geschichte. In unmittelbarer Nähe von Tharsis sind zwei weitere Siedlungen zu finden, die ungefähr gleichzeitig vom 7. bis zum 4./3. Jh. v. Chr. bestanden. Da in beiden Siedlungen (Castro Cerquillo und Cerro de la Divisa) große Schla- ckebrocken zu Tage liegen, ist klar, dass in beiden verhüttet wurde, dass beide somit an dem außerordentlichen Metallreichtum von Tharsis teilhatten. Die antike Siedlung von Tharsis befindet sich auf der Mine selbst, wurde durch den modernen Bergbau allerdings schwer in Mitleidenschaft gezogen, die beiden genannten Siedlungen liegen in Sichtweite davon. Im Jahr 2008 galt die Untersuchung dem Cerro de la Divisa (Abb. 23). Die Prospektion ergab Funde des 8./7. Jhs. v. Chr. Der erarbeitete topographische Plan (Abb. 24) zeigt eine befestigte Hügelkuppe mit wenigstens einem vor- springenden Turm (ML 1) und einer Binnenbebauung aus rechteckigen (M3)

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Abb. 23 Tharsis (Spanien), Cerro de la Divisa von Osten im Morgennebel

bzw. rechteckig zueinander stehenden Gebäuden (M1 und M2). Angesichts der Zeitstellung und des Charakters der Fundkeramik scheinen die Bewoh- ner der Siedlung auf dem Cerro de la Divisa der einheimischen tartessischen Bevölkerung zuzugehören, also nicht der phönizischen. Die Beobachtung ist aufschlussreich, da Tharsis selbst bislang ausschließlich phönizische Funde er- bracht hat. Das Verhältnis der beiden Siedlungen wird sicher über das Metall Abb. 24 Tharsis (Spanien), Cerro de la zu erklären sein, da sich Vorgängersiedlungen nicht finden, mithin beide Sied- Divisa. Topographischer Plan lungen etwa gleichzeitig entstanden sind.

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Kooperationspartner: Universität Huelva (J. A. Pérez Macías) • Leitung des Projekts: Th. G. Schattner • Mitarbeiter: Chr. Hartl-Reiter, A. Behrendt • Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Madrid, J. Patterson (Abb. 23); DAI, Abteilung Madrid, Chr. Hartl-Reiter, A. Behrendt (Abb. 24).

Zwischen Puig de Sant Andreu und Illa d’en Reixac (Spanien), der Grenzraum zwischen zwei iberischen Oppida Die iberischen Oppida auf dem Puig de Sant Andreu und der Illa d’en Reixac bei Ullastret nahmen in der Zeit zwischen ca. 600–200 v. Chr. eine heraus- ragende Stellung unter den Siedlungen der nordostspanischen Küstenregion ein. Als Hauptgrund für die steile Entwicklung zu einem der bedeutendsten Handelszentren des iberischen Hinterlandes waren die engen Kontakte zur griechischen Polis Emporion entscheidend (Abb. 25). Neben der Anbindung an die griechische Hafenstadt auf dem Landweg könnte die Erreichbarkeit der 10 km westlich der heutigen Küstenlinie ge- legenen Oppida über eine Wasserverbindung ein wichtiger, naturräumlicher Standortvorteil gewesen sein. Die Auswertung zahlreicher, im Siedlungsum- feld und der östlich angrenzenden Deltaebene abgeteufter Sedimentbohrun- gen konnte jedoch weder einen direkten Anschluss an eine Meeresbucht – die Küstenlinie lag in der iberischen Epoche schon 4–5 km östlich der Oppida – noch eine Flussverbindung belegen (alle Spuren von Flussläufen im Siedlungs- umfeld weisen 14C-Alter unter 500 Jahren auf [Abb. 26]). Dennoch stellen die relative Nähe zu der Küste einerseits und der an die Siedlungen grenzende See von Ullastret andererseits, wichtige natürliche Gunstfaktoren dar. Der vor 7000–6000 Jahren aus einer Lagune hervorgegangene See bedeckte bis zu seiner Trockenlegung im 19. Jh. weite Bereiche des Siedlungsumfeldes und erfüllte wohl auch in der iberischen Epoche eine wichtige Funktion bei der Versorgung der Oppida. Während großräumige Umweltveränderungen in der iberischen Epoche Abb. 25 Ullastret (Spanien), Luftbild noch nicht auftraten (belegt durch Pollenanalysen), hatten anthropogene Ein- mit Blick nach Norden von der iberischen Siedlungskammer bei Ullastret bis zum griffe im direkten Umfeld der Oppida kleinräumig einen prägenden Einfluss Montgri-Massiv, jenseits von dem die auf die Siedlungsstruktur (Abb. 27). Sedimentbohrungen belegen sowohl im griechische Stadt Emporion liegt

AA-2009/1 Beiheft Abb. 26 Ullastret (Spanien), die Verbin- dung der Ergebnisse der geologischen Bohrungen mit den archäologischen Befunden ermöglicht die Rekonstruktion der Landschafts- und Besiedlungs- geschichte, wie hier im Falle der iberischen Siedlung Illa d’en Reixac

Abb. 27 Ullastret (Spanien), Marburger Geographen ist es gelungen, 5000 Jahre Landschaftsgeschichte im Umfeld der iberischen Siedlungskammer bei Ullastret zu rekonstruieren

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Westen der Siedlung auf der Illa d’en Reixac als auch im Norden des Puig de Sant Andreu eine künstliche Verfüllung von flachen Abschnitten des Sees von Ullastret. Diese im Laufe der iberischen Epoche erfolgten Schüttungen in die Randzonen des Gewässers ermöglichten eine bessere Anbindung der Oppida an den Cami d’Empúries. Besonders für die Illa d’en Reixac, die zuvor eine Insel innerhalb des Sees war, muss diese Veränderung entscheidende Vorteile mit sich gebracht haben. Ähnliche Eingriffe in die Umwelt waren für die Er- weiterung des Oppidum auf der Illa d’en Reixac entscheidend. Auch die Aus- weitung der Siedlungsfläche nach Süden im 3./4. Jh. v. Chr. wurde erst mög- lich, nachdem Teile des Sees, der sich noch zu Beginn der iberischen Epoche an dieser Stelle befand, durch den Eintrag anthropogenen Materials verlandet waren (Abb. 27). Kooperation: Ma. A. Martín i Ortega (Servei d’Arqueología Girona) • Leitung des Projekts: D. Marzoli • Mitarbeiter: H. Brückner, D. Brill (Fach- bereich Geographie Philipps-Universität Marburg) • Abbildungsnachweis: Servei d’Arqueología Girona, o. Nr. (Abb. 25); H. Brückner und Dominik Brill, Marburg (Abb. 26. 27).

Munigua (Spanien) Im Rahmen der Forschungen zur Wirtschaftsgrundlage der hispano-römi- schen Stadt in Andalusien galt diese Kampagne der Vermessung von zwei römischen, im Umland liegenden Anlagen, Casa Alcántara (Abb. 28. 29) und Cerro del Tambor, die wohl als Gehöfte anzusprechen sind. Das Erstgenann- te befindet sich in der näheren (Entfernung ca. 2 km), das Zweitgenannte in der weiteren Umgebung Muniguas (Entfernung ca. 10 km). Die beiden Plät- ze wurden prospektiert, in Casa Alcántara konnte das Terrain an zwei Punk- ten sogar geophysikalisch untersucht werden, was ein ausgezeichnetes Ergeb- nis brachte. Demnach besteht diese Anlage aus mehreren Gebäuden, die über ein Areal von gut 200 m verteilt sind (Abb. 29). Das größte Gebäude zeichnet sich durch seinen Grundriss mit einem Innenhof und dreiseitig umgeführten Räumlichkeiten aus, von den drei kleineren besitzen zwei rechteckige Grund- risse, das kleinste zeigt einen langrechteckigen Plan. Es dürfte sich um das Gutshaus sowie um Nebengebäude wie Scheunen und Stallungen handeln. Im Bachbett unten im Tal liegt eine kleine Schlackenhalde, die von Eisenver- hüttung zeugt, ein sehr charakteristisches Merkmal der Gehöfte in der Sierra Morena.

Abb. 28 Munigua (Spanien), virtuelle Re- konstruktion der Anlage Casa Alcántara 3

Da es sich um Privatgelände handelt, auf dem nicht gegraben werden darf, die geophysikalischen Ergebnisse jedoch sehr gut waren, wurde nunmehr wäh- rend der Kampagne der detaillierte topographische Plan fertiggestellt, der die Grundlage für eine 3D-Rekonstruktion am Computer liefern soll (Abb. 28). Am Ende wird die Rekonstruktion der Gesamtanlage möglich sein, ohne dass auch nur ein Spatenstich erfolgt ist.

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Abb. 29 Munigua (Spanien), topographi- scher Plan der Anlage Casa Alcántara

Während die Anlage Casa Alcántara aufgrund ihrer Größe Ausnahmecha- rakter besitzt, scheint es sich im Falle des Cerro del Tambor um eine Anlage im Normalformat zu handeln. Auf einem Hügel, der sich ›omphalosartig‹ in einem Tal erhebt, liegt eine rechteckige, nahezu quadratische Anlage, deren Ausmaße anhand oberflächlich sichtbarer Mauern abschätzbar sind (Seiten- länge ca. 10 m). Leitung des Projekts: Th. G. Schattner • Mitarbeiter: Chr. Hartl-Reiter, A. Behrendt • Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Madrid, cdmb archi- tects/Berlin (Abb. 28); DAI, Abteilung Madrid, Chr. Hartl-Reiter, A. Beh- rendt (Abb. 29).

Centum Celas (Portugal) Das turmartige Bauwerk in Centum Celas, Belmonte, steht noch – mit Aus- nahme des fehlenden Daches – in voller Höhe von über 12 m und gehört damit zu den am besten erhaltenen römischen Gebäuden des hispanischen

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Westens (Abb. 30). Im Verlauf seiner Geschichte wurde es verschiedenen Nut- Centum Celas (Portugal) zungen unterzogen, die sich nur teilweise zu Recht in den vermuteten Bestim- mungen spiegeln: Beobachtungsturm, Gefängnis, Tempel, Schafstall usw. Zu- Abb. 30 Aktueller Zustand sammen mit den umgebenden Anlagen wurde es spätestens seit den 1980er Abb. 31 Hypothetische Rekonstruktions- Jahren und bis zuletzt (2005) als römische Villa mit Aussichtsturm (Belvedere) zeichnung mit Aufweg und Umgangs- angesprochen. tempel, im Vordergrund rechts ist das Neueste Untersuchungen jedoch zeigen, dass es sich bei der gesamten An- Forum zu ergänzen lage um das Forum einer Stadt handelt, wahrscheinlich des bisher nur inschrift- lich bekannten Lancia Oppidana, der angebliche Belvedere ist ein Umgangs- tempel, seine Rekonstruktion kann hier mit dem nötigen Vorbehalt in groben Zügen angesprochen werden, da die Untersuchung frisch und noch im Gan- ge ist (Abb. 31). Ist die Bestimmung als Umgangstempel korrekt, so liegt mit ihm das bislang einzige Beispiel dieses Bautypus auf der Iberischen Halbin- sel vor, was aber wenig erstaunen kann, weil die römische Architektur Hispa- niens einige Bautypen aufweist, die nur ein einziges Mal hier vertreten sind (Hoftempel in Sant’Ana do Campo, Terrassenheiligtum in Munigua, Stadttor mit aufsitzendem Tempel in Carmona). Da die bisher vorgelegten Pläne nicht genügen, wurde eine photogrammetrische Bauaufnahme des Bauwerks ange- fertigt und die Pläne der umgebenden Anlage wurden überprüft und neu ge- zeichnet. Das Bauwerk mit gestaucht rechteckigem Grundriss ist turmartig hoch und besitzt Unter-, Mittel- und Obergeschoss. Große Fenster und Türen bestimmen das Erscheinungsbild, das von vollkommener Symmetrie geprägt ist. An seinen Langseiten in Höhe des Untergeschosses befinden sich zwei Anbauten (Annexe), welche durch Binnenmauern in je drei Räume geteilt sind. Das turmartige Bauwerk selbst hatte allein im Untergeschoss eine Bin- nenraumteilung, das Mittel- und das Obergeschoss waren einräumig. Die Annexe ragen an der Rückseite über die Flucht des Bauwerks hinaus und ermöglichen so im Verein mit anderen technischen Vorrichtungen und Ge- gebenheiten, unter denen die entsprechenden Balkenlöcher besonders ins Au- ge fallen, die Rekonstruktion einer vierseitig umlaufenden Galerie in Höhe des Mittelgeschosses. Die Decken der Anbauten bilden den Laufhorizont an den Langseiten. Auf dem Vorplatz befinden sich zwei rechteckige Bauten in der Achse der Annexe, welche ebenfalls in die Galerie eingebunden sind, da sie ihre Fläche vor der Front vergrößern. Möglicherweise waren in diesen Bauten die (Treppen-)Aufgänge untergebracht. Zusätzlich gab es offenbar eine Aufgangsrampe, die an der Südwestecke des Bauwerks Zugang zum Umgang bot. Sehr bemerkenswert, weil in Hispanien ganz ungewöhnlich, ist die ver-

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wendete Technik, da das Bauwerk in weiten Teilen als Quaderbau ausgeführt ist, wobei die Mauern des Kernbaus mit denen der Annexe innig verzahnt sind. Skelettartig findet sich Quadertechnik an den tektonisch wichtigen Stel- len des Unter- sowie Obergeschosses, die tektonisch unwichtigen Stellen sind hier mit qualitätvollen Bruchsteinmauern ausgefüllt. Allein das Mittelgeschoss besteht vollständig aus Quadern, ist auf diese Weise herausgehoben und darf deshalb auch von daher mit gutem Grund als der eigentliche Tempelraum an- gesprochen werden. Die Bettung für einen großen Altar (2 m × 2,35 m) fin- det sich exakt in der Achse des Kernbaus zwischen den beiden Vorbauten, weitere Weihaltäre wurden während der Grabung gefunden, welche das portu- giesische Amt für Denkmalpflege zwischen 1986 und 1993 in Centum Celas unternommen hatte. Die vorgeschlagene Datierung der Anlage in das 1. Jh. n. Chr. mit Baubeginn in claudisch-neronischer Zeit bedarf der Überprüfung. Kooperationspartner: Universität Lissabon (A. Guerra) • Leitung des Pro- jekts: Th. G. Schattner • Mitarbeiter: J. Fernández, J. Patterson, Chr. Hartl- Reiter • Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Madrid, J. Patterson (Abb. 30); DAI, Abteilung Madrid, Zeichnung A. Ramos (Abb. 31).

Mérida, ›Marmorforum‹ Im Zentrum der antiken Stadt Colonia Emerita (Abb. 32), dem heu- tigen Mérida im Westen Spaniens, liegt das sog. Marmorforum. Es fügt sich südöstlich an den ›Diana-Tempel‹, der sich auf dem zentralen Forum in dem südöstlichen Quadranten unterhalb der Kreuzung der beiden Hauptverkehrs- Abb. 32 Mérida, ›Marmorforum‹. Schema- tischer Stadtplan des Consorcios und des adern, dem cardo und decumanus maximus (den sich rechtwinklig kreuzenden Archäologischen Instituts von Mérida mit Hauptstraßen), erhebt. Eintragungen der Grabungsergebnisse Das ›Marmorforum‹ ist vor allem berühmt durch seine sensationellen Sta- des antiken Straßenrasters mit darunter tuenfunde und seine Affinität mit dem Forum Augustum in Rom, die sich be- liegendem heutigem Straßenverlauf. Die ausgegrabene Portikus ist in Orange sonders in der architektonischen Gestaltung und der Dekoration mit Karyati- hervorgehoben den (Stützfiguren) und Clipei (Dekorschilde) abzeichnet.

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Fragen zur städtebaulichen Einbindung der in den 1980er Jahren freige- Abb. 33 Mérida, ›Marmorforum‹. Über- legten Platzanlage und ihrer Monumentalisierung sowie zur Baukonstruk- blick über die in den 1980er Jahren frei- tion und zum architektonischen Dekor stehen im Vordergrund des Projekts. gelegte Ecke der Platzanlage, die sich heutzutage teilweise wieder aufgebaut Dazu wurde zunächst ein formgetreues Bauaufmaß erstellt, das die Basis für und rekonstruiert präsentiert bauhistorische Untersuchungen bildet. Die Bauaufnahme der Platzanlage konnte in diesem Jahr abgeschlossen werden. Die Untersuchungen erbrachten neue Erkenntnisse zur Bauentwicklung, zur Baukonstruktion der Attikazone und hier vor allem zum Dachansatz und zum Architekturdekor der Gesamt- anlage. Im kommenden Jahr sollen die Arbeiten vor Ort abgeschlossen, die einzelnen Bauphasen in Rekonstruktionsvorschlägen in Form von 3D-Mo- dellen dargestellt und die angestrebte Publikation vorgelegt werden. Vom ›Marmorforum‹ liegt bisher lediglich die nordwestliche Ecke einer Portikus (Säulenhalle) frei, deren Säulen ein umlaufendes Wasserbecken umge- ben (Abb. 33), der Rest der Platzanlage ist größtenteils von modernen Häusern überbaut. Diese Anlage wird von einer mit Pilastern (dekorierte Wandpfeiler) und Nischen gegliederten Mauer umschlossen. Im Norden befinden sich zwei unterschiedlich große Räume sowie eine erweiterte Nische auf der Nordost- seite. Die Umfassungsmauer ist mit einer Schalung aus Bruchsteinen und hori- zontalen Ausgleichsschichten aus Ziegeln gegen den bis zu 1,8 m hoch anste- henden Felsen gesetzt. Die bauhistorischen Untersuchungen erbrachten, dass man hier das gesamte Terrain um ca. 1,8 m nach unten verlegt hat, vermutlich, weil das Forum tiefer liegen sollte als der Tempel auf dem daneben liegenden zentralen Forum der Stadt und höchstwahrscheinlich, um so eine einfachere Erschließungsmöglichkeit von einem zum anderen Forum zu gewährleisten.

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Abb. 34 Mérida, ›Marmorforum‹. Sog. Traufblock mit unterschiedlichen Abarbeitungsspuren

Neben der Dokumentation der Gesamtanlage im Allgemeinen sowie der der Bauornamentik im Detail, wurde auch Wert darauf gelegt, ›Konstrukti- onsbauteile‹, die in Mérida meist aus Granitblöcken bestehen, eingehend zu betrachten. Hervorzuheben ist hier beispielsweise ein Block mit besonders vielen und verschiedenen Abarbeitungsspuren (Abb. 34): Auf der ›Oberseite‹ sind rechteckige Vertiefungen vermutlich für Auflager, mehrere Dübellöcher sowie eine eingetiefte Rinne eingearbeitet. Seine ›Frontseite‹ weist eine ho- he Anzahl an Dübellöchern unterschiedlicher Größe auf und auf der ›Unter- seite‹ befindet sich ein rechteckiges Auflager, das merkwürdig schräg nach oben abgearbeitet ist. Die dreidimensionale Erfassung des Blocks zeigte, dass es sich hierbei um ein Bauteil für den Dachansatz, also eine Art Traufblock, handeln muss. Ein Großteil des marmornen Baudekors ist im Magazin des Nationalmu- seums von Mérida gelagert und konnte dort dokumentiert werden. Darunter gibt es wichtige Fragmente von Pfeifenfriesen, die bisher bei der Rekonstruk- tion der Platzanlage keine Beachtung fanden. Durch die genaue Dokumen- tation einzelner Bauteile kann deren Zuordnung bestimmt werden. Dadurch wiederum zeigt sich ein Erscheinungsbild der Gesamtanlage, das dem reprä- sentativen Aussehen des Augustusforums in Rom deutlich näher kommt als bislang vermutet. Durch die neu gewonnenen Erkenntnisse wird sich also ein neues Bild abzeichnen, das sich von den bisher publizierten Vorschlägen ab- hebt und sich auch von der derzeitigen Rekonstruktion unterscheidet. Kooperationspartner: Museo Nacional de Arte Romano (J. M. Álvarez Martínez, T. Nogales Basarrate) • Förderung: Junta de Extremadura • Lei- tung des Projekts: N. Röring (Bauforschung) • Kodirektion: W. Trillmich • Mitarbeiter: B. Marr • Abbildungsnachweis: N. Röring, nach P. Mateos Cruz aus X. Dupré Raventós (Hrsg.), Las capitales de Hispania 2. Mérida. Colonia Augusta Emerita (Rom 2004) Taf. 1 a (Abb. 32); B. Marr (Abb. 33); N. Röring (Abb. 34).

Die Romanisierung einheimischer Heiligtümer im Westen der Iberischen Halbinsel I. Cabeço das Fráguas (Portugal): Die Arbeiten auf dem 1100 m hoch gelegenen und recht unzugänglichen Cabeço das Fráguas in Mittelportugal sind in die- sem Jahr in zwei Schüben vorangetrieben worden. Während einer Woche im Frühjahr haben zwei Vermesser den vorliegenden Plan weiter verbessert und detaillierter gestaltet. Damit liegt zum ersten Mal ein publikationsfähiger Plan

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Abb. 35 Cabeço das Fráguas (Portugal), topographischer Plan

vor (Abb. 35), welcher das Gipfelplateau umfasst mit der Siedlung einerseits und dem Heiligtum (Temenos) andererseits. Die beiden Bereiche sind jeweils von einer Mauer eingefasst, so dass sich im Grundriss zwei unregelmäßig ge- führte Mauerkreise ergeben, ein größerer der Siedlung und ein kleinerer des Heiligtums (Abb. 36). An zwei Stellen, Tore bzw. Maueröffnungen, kann von dem einen in den anderen Bereich gewechselt werden. Die Trennung in einen profanen und einen sakralen Bereich ist für einige der »Castros« genannten Siedlungen des hispanischen Nordens und Westens in letzter Zeit gelegentlich vermutet worden, kann am Beispiel von Fráguas nun aber sehr deutlich, da großflächig, gezeigt werden. Damit ist eine neue Grundlage zum Verständ- nis dieser Siedlungen geschaffen, die über die Eisenzeit hinweg bis in die rö- mische Zeit hinein existierten. Fráguas ist das bislang älteste Beispiel. Die eigentliche Grabungskampagne wurde mit deutschen, spanischen und portugiesischen Studierenden durchgeführt, die überwiegend aus Gießen und Córdoba stammten, da die archäologischen Institute dieser beiden Universi-

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Abb. 36 Cabeço das Fráguas (Portugal), hypothetische Rekonstruktionszeichnung mit der Begrenzungsmauer des Castros links und der Heiligtumsmauer rechts

täten im Verein mit dem Archäologischen Institut der Universität Florenz in Kürze ein Abkommen zu gemeinsamer Forschung und Lehre unterzeichnen wollen. Ziel war es, den zu Beginn unserer Arbeiten abgesteckten Bereich in dem Heiligtum in der Mitte des Gipfelplateaus weiter freizulegen sowie an der berühmten Inschrift selbst zu graben. Dieser Schnitt zeitigte jedoch lei- der keinen verwertbaren Befund. Waren im vergangenen Jahr etwa 150 m2 des genannten Bereichs aufge- deckt worden, wurden 2008 die restlichen 250 m2 angegangen. Da Fráguas offenbar im 1./2. Jh. n. Chr. aufgegeben und danach nicht mehr besiedelt wurde, liegen die antiken Befunde unmittelbar unter der Grasnarbe; die Gra- bungen 2007 zeigten, dass die Vertikalstratigraphie höchstens ca. 70 cm beträgt. Gleichwohl ist das Plateau bis in die Neuzeit hinein landwirtschaftlich genutzt worden, Eggen und Pflüge haben ihre Spuren im Befund hinterlassen. Im Ergebnis bestätigte sich das bereits im Vorjahr vermutete Bild, wonach das Heiligtum aus einem freien Platz besteht, auf dem sich ein ungewöhnlich (Dm 8 m) großes Rundhaus befindet, das nicht genau in der Mitte liegt. An zwei Seiten dieses Platzes liegen große Granitplatten in Schrittabstand. Teils handelt es sich um verlegte Platten, teils um anstehenden Fels, der eine ebene Oberfläche zeigt. Vielleicht sind ähnliche Steinplatten auch an den noch nicht aufgedeckten Seiten des Platzes erhalten. Dann würden diese den Platz gewis- sermaßen einfassen und das Rundhaus umschließen. Es könnte sich um einen Weg handeln. Zum ersten Mal ist ein Bild von der Gestalt eines einheimischen lusitanischen Heiligtums gewonnen. Im Hinblick auf das Fundbild verstärkt sich der bestehende Eindruck ei- ner großen Vielfalt an keramischen Formen und Dekorweisen, die auf die um- liegenden Siedlungen gesehen auffällig variantenreich ist. Hierin könnte sich ein konkreter Hinweis auf das archäologische Erscheinungsbild von Heilig- tümern zeigen, die ja bislang im Westen der Pyrenäenhalbinsel nahezu allein durch das Beispiel Panóias bekannt sind, das bereits stark römisch geprägt ist. II. São Miguel da Mota (Portugal): Die Kampagne gehört zu einem neuen Lustrum im Endovelicus-Heiligtum, das von der portugiesischen Denkmal- behörde Igespar genehmigt worden ist. Ziel ist es, die Arbeiten einem Ende zuzuführen, da sich zeigt, dass die antiken Befunde sich in der Tat auf der Gipfelplattform selbst konzentrieren und das Grabungsfeld damit erheblich verkleinert ist (Abb. 37). Zur zeitlichen Prüfung der den Bereich A einfassenden Terrassenmauer, die J. Leite de Vasconcellos für eisenzeitlich und für die Wehrmauer einer Sied- lung (Castro) hielt, wurde diese in einem großen Schnitt Nr. 11 freigelegt und dort gegraben. Die Abtiefung auf ganzer Schnittfläche erwies sich allerdings schon sehr bald als entbehrlich, da in der Testsondage in ca. 1 m Tiefe direkt über dem anstehenden Fels braun glasierte Keramik des 19. Jhs. gefunden wur- de. Baubefunde wurden nicht angetroffen, auch keine Hinweise darauf. Der Befund bestätigt eine zu ebendiesem Zweck im Jahre 2006 niedergebrachte

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Abb. 37 São Miguel da Mota (Portugal), aktueller Grabungsplan. – Blau = Grabungsfläche bis 2008; Lila = Grabungsfläche ab 2009; Rot = Mauern, die aus der geophysikalischen Prospektion erschlossen sind; Grün = Böschungen; Grau = rezente Gebäude; Grau schraffiert = Fels Abteilung Madrid 257

Abb. 38 São Miguel da Mota (Portugal), römisches Gebäude

Grabung (Schnitt Nr. 8). Damit ist Vasconcellos’ Meinung definitiv widerlegt: Die Terrassenmauer ist rezent, sie wurde wahrscheinlich im 19. Jh. errichtet, ein eisenzeitliches Castro gibt es an dem Platze nicht. Dadurch und mangels sonstiger Befunde wird auch jeder Gedanke hinfällig, ein vorrömisches Hei- ligtum auf dem Hügel zu postulieren, für das es keinerlei Anzeichen gibt, das Heiligtum des deus Endovelicus besitzt keinen Vorgänger. Auf der Gipfelplattform selbst ging es, wie schon im vergangenen Jahr, um die Datierung und Klärung von Baubefunden. Als besonders wichtig erwies sich ein Mauerzug, weil seine Datierung in römische Zeit wahrscheinlich schien. Angesichts der zahlreichen Mauersteine, die als Spolien in dem Ge- höft und in den Stallungen und Pferchen verbaut sind, ein bedeutender Fund, da römische Mauerbefunde und Grundrisse bisher fehlten. Die diesjährige Grabung hat seine Datierung in römische Zeit nun bestätigt, durch Münzbe- fund ist die Nutzung des entsprechenden Gebäudes im 1. Jh. n. Chr. belegt. Das Gebäude muss älter sein, ohne dass es bisher möglich scheint, das Datum näher einzugrenzen. An der Datierung in die Kaiserzeit besteht jedoch kein Zweifel. Offen ist die Frage, wann das Gebäude eingestürzt ist. Da kein In- ventar auf dem Boden angetroffen wurde, ist deutlich, dass es zum Zeitpunkt seines Einsturzes bereits aufgelassen war. Sein Bau zeichnet sich dadurch aus, dass zur Aufnahme der Mauern eine Bettung in den Felsen eingearbeitet wor- den ist, das Verfahren ist aus dem hispanischen Süden hinlänglich bekannt und findet sich regelmäßig bei römischen Bauten besserer Qualität. Es handelt sich um ein Gebäude auf rechteckigem Grundriss (4,70 m × 3,60 m lich- tes Innenmaß) ohne innere Mauerstruktur, das heißt um ein Einraumhaus (Abb. 38). Allerdings dokumentiert eine Steinreihe im Inneren eine gewisse Raumaufteilung. Eine Türöffnung befindet sich in der Südmauer. Da auch das Fußbodenniveau durch eine offenbar in situ befindliche Schieferplatte bekannt ist, wird deutlich, dass man bei Eintritt in das Gebäude hinunterging, sich also auf ein tieferes Niveau begab. Es handelt sich um eine altertümliche Form, die sich bereits in prähistorischer Zeit findet. Allerdings kann diese tief liegende Bodenfläche nicht gleichmäßig von Wand zu Wand gereicht haben, da der Fels an der südwestlichen Langseite noch hoch ansteht, entsprechend befindet sich diese Langmauer auf höherem Niveau. Möglicherweise ist eine

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Bettung rundlicher Form, die schwarze, aschige Erde enthielt und sich beim Ansatz dieses Felsens befindet, mit diesen Niveausprüngen in Verbindung zu bringen, vielleicht stand hier ein Pfosten. Von der großsteinigen äußeren Mauerschale ist noch eine Steinlage erhal- ten, von der inneren, kleinsteinigeren noch zwei bis drei. An den Ecken sind größere Blöcke versetzt, ähnlich einer Eckquadratur, ohne dass diese aber die gesamte Mauerstärke besitzen. Die Mauern sind verstürzt, die Fallrichtung ist nördlich, hangabwärts. Allerdings wurde Versturz allein innerhalb des Gebäu- des angetroffen, außerhalb davon fehlt dieser, er fiel wahrscheinlich Steinraub zum Opfer. Den Beweis dafür liefert die Profillinie des Geländes über dem Versturz, da sie mit der Falllinie des Hügels übereinstimmt. Dies bedeutet, dass Stein bis zu einem Niveau abgeräumt worden ist, das dem Niveau der Gelän- deoberfläche entsprach. Steinraub im Verein mit Maßnahmen zur Glättung des felsigen schiefrigen Untergrundes dürfte der Grund für das völlige Fehlen von ungestörten älteren Befunden im engeren Bereich des Gipfelplateaus sein. Offenbar wurden in jeder der Epochen, die auf dem Platze dokumentiert sind, also in der kup- ferzeitlichen, der römischen sowie der rezenten (mittelalterlich und barock- zeitlich), Maßnahmen unternommen, den Fels zu glätten. Hinzu kommt die Beschädigung durch die landwirtschaftliche Nutzung des Areals wenigstens während des 19. und 20. Jhs. Dies bedeutet jeweils ein Aufreißen des schiefrig- splittrigen Untergrundes, die entsprechende Abtiefung des Gehniveaus und in der Folge davon die Beseitigung von älterer Substanz. Anders scheint die angetroffene Situation des vollkommenen Fehlens von ungestörten kupfer- zeitlichen und römischen Resten oder auch nur deren Spuren nicht verständ- lich. Daraus ergibt sich jedoch kein Schluss auf das Fehlen von Gebäuden auf der Plattform. In die Kupferzeit scheinen einige Vertiefungen zu datieren, die – zu klein für Silos – möglicherweise als Pfostenlöcher angesprochen wer- den können. In diesem Fall hätte die Bebauung des kupferzeitlichen Castros wenigstens teilweise aus hölzernen Konstruktionen bestanden, den üblichen Rundhäusern, die in den Pfostenlöchern verankert waren. Für die römische Epoche zeigt sich die Situation verschieden. Die oben beschriebenen Bettun- gen zu der Fundamentierung römischer Bauwerke fehlen. Damit scheint der Schluss unausweichlich, dass Bauwerke daselbst nicht vorhanden waren, die einer solchen Fundamentierung bedurft hätten. Entweder die Gipfelplattform war in der römischen Zeit unbebaut oder aber hatte eine Bebauung, die von so leichter Konstruktion war, dass sie keine Spuren hinterließ. Die erstgenann- te Möglichkeit scheint die wahrscheinlichere. Das Problem stellt sich ebenfalls in den späteren Epochen. Die Überreste der Kapelle sind wenigstens durch die Kalkspur erkennbar, welche die Ver- mörtelung auf dem Felsen hinterlassen hat. Die römische Technik der Bettun- gen für Mauern ist in dieser Periode nicht üblich. Im Hinblick auf den Versturz in dem oben beschriebenen Gebäude kann es als Glücksfall gelten, wenn seine Außenmauern und der innere Versturz vom Steinraub verschont blieben. Dieser wurde gleichwohl spätestens beim Bau des Pferches bemerkt, der unmittelbar hangabwärts davon liegt. Wahr- scheinlich wurde zur Errichtung der Mauern des Pferches der Versturz bei- seite geräumt und die Steine wurden wieder benutzt. In dem Versturz selbst finden sich wenige römische Dachziegel, Reste von Holzkohle und Nägel do- kumentieren die hölzerne Konstruktion des Dachstuhls. Da die Dachziegel und die Holzkohle mit den Mauersteinen kunterbunt durcheinander liegen, muss die Zerstörung nicht allmählich, sondern mit einem Male geschehen sein. Es lässt sich an Erdbeben oder aber an intentionelle Zerstörung denken.

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Abb. 39 São Miguel da Mota, charakteris- Der geschilderte Vorgang des Glättens und Steinraubens lässt sich seit dieser tischer Erhaltungszustand einer Statuette, Kampagne auch archäologisch beweisen: In den Gruben, die nach dem Stein- Plinthe und Fußansatz raub zurückblieben, findet sich römisches Material, wie etwa das Unterteil einer Statuette zeigt (Abb. 39). In einer Rinne, die südwestlich des Gebäudes verläuft und die wohl der Entwässerung auch des fraglichen Gebäudes diente, wurden römische Tegulae vermischt mit rezenten Scherben gefunden, d. h. in rezenter Zeit ging die Nutzung des Geländes bis auf den Felsen hinunter. Kooperationspartner – Cabeço das Fráguas (Portugal): Universität - bon (C. Fabião, A. Guerra); Museum von Guarda (D. H. Pires Borges) • Leitung des Projekts: Th. G. Schattner, M. J. Santos • Mitarbeiter: J. Fer- nández, J. Patterson, Chr. Hartl-Reiter • Abbildungsnachweis: DAI, Abtei- lung Madrid, Chr. Hartl-Reiter (Abb. 35); DAI, Abteilung Madrid, Zeich- nung, A. Ramos (Abb.36). Kooperationspartner – São Miguel da Mota (Portugal): Universität Lissa- bon (C. Fabião, A. Guerra) • Förderung: Instituto de Gestão do Patrimó- nio Arquitectónico e Arqueológico (IGESPAR) • Leitung des Projekts: Th. G. Schattner • Mitarbeit: A. Rocha, C. Alves, J. Patterson, G. Saraiva • Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Madrid, Chr. Hartl-Reiter (Abb. 37); DAI, Abteilung Madrid, A. Rocha (Abb. 38); DAI, Abteilung Madrid, J. Pat- terson (Abb. 39).

›Felsheiligtümer‹ der Iberischen Halbinsel Das Dissertationsprojekt behandelt die sog. Felsheiligtümer der Iberischen Halbinsel, wobei das Hauptziel in der Erstellung eines Katalogs sowie einer Typologie dieser Heiligtümer besteht, um in einem zweiten Schritt die Hei- ligtümer sodann in ihrem naturräumlichen und topographischen Kontext im Hinblick auf zeitgleiche römische und indigene Siedlungen, aber insbeson- dere auch auf andere Kultplätze zu betrachten. Die Fundplätze, an denen indigene Kulte vermutet wurden, sind immer in den blanken Fels eingehauen. Sie sind durch die Vergemeinschaftung meh- rerer Merkmale, wie Stufen – generell in ungerader Anzahl –, Vertiefungen bzw. Einbettungen, oft verbunden durch Kanäle und manchmal auch durch Felsinschriften und römische Votivaltäre, charakterisiert. Die Hauptprobleme liegen in der Bestimmung ihrer Chronologie einerseits und ihrer Funktion andererseits, erschwerend kommt hinzu, dass ein archäo- logischer Kontext häufig fehlt oder nicht bekannt ist. Um einen Katalog und eine Datengrundlage erstellen zu können, muss daher zunächst definiert werden, was ein Felsheiligtum ist. Der Katalog um- fasst derzeit 126 als Felsheiligtümer bekannte Orte, die Hälfte davon konnte besucht und in situ beschrieben und aufgenommen werden. Nahezu 40 Orte wurden als nicht zugehörig ausgeschieden. Neue Inschriften und Felsritzun- gen wurden gefunden, bereits publizierte wurden korrigiert. Es können drei Haupttypen ausgemacht werden, die offenbar eine klare morphologische Entwicklung zeigen. Als Arbeitshypothese wird eine erste

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›Felsheiligtümer‹ der Iberischen Halbinsel

Abb. 40 Ulaca, Solosancho, Ávila (Spanien). Typ A-1 mit den charakteristischen Treppenstufen

Abb. 41 Cadeirão da Quinta do Pé do Coelho, Gouveia (Portugal). Typ A-2

Abb. 42 Castro da Mogueira, Resende, Viseu (Portugal). Typ A-3 mit den charakteristischen Felsinschriften

Abb. 43 Pias dos Mouros, Argeriz, Valpaços (Portugal). Typ A-3

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Stufe angenommen, die sich durch natürliche Vertiefungen auszeichnet (Abb. 40). Diese ist vergesellschaftet mit eisenzeitlichen Oberflächenfunden. In einer zweiten Stufe werden diesen natürlichen Vertiefungen artifizielle Eintiefun- gen und andere neue Elemente hinzugefügt (Abb. 41). In einer dritten Stufe erscheinen orthogonale Einarbeitungen (Abb. 42. 43). Da es dazu manch- mal Inschriften gibt und meist römische Oberflächenfunde sowie römische Votivaltäre, dürfte es sich um die späteste Stufe handeln. Ausgrabungen tun

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in diesem Zusammenhang not, weshalb der Fundplatz Mogueira in den Blick genommen wurde, dessen sichtbare Reste offenbar zwei dieser Stufen zuzu- ordnen sind. Förderung: Gemeinde Mogueira • Leitung des Projekts: M. J. Santos (Betreuung: F. Marco Simon, Universität Saragossa) • Mitarbeiter und Mit- arbeiterinnen: S. Gomes, C. Gaspar, P. Marques (Universität Lissabon) • Ab- bildungsnachweis: DAI, Abteilung Madrid, M. J. Santos (Abb. 40. 41. 43); DAI, Abteilung Madrid, S. Gomes (Abb. 42).

Römische Villen in Hispanien und Gallien – eine vergleichende Untersuchung zur Architektur und Funktion römischer Prachtvillen im Westen des Römischen Reiches In dem Promotionsprojekt werden die Villen der reichen provinzialen Ober- schicht des 2. bis 4. Jhs. n. Chr. in den römischen Provinzen Galliens und His- paniens untersucht und in Aufbau und Architektur miteinander verglichen. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt auf der Untersuchung der lusitani- schen Villen (Abb. 44). Lusitanien lässt sich in einen stärker romanisierten Sü- den und einen schwächer romanisierten Norden unterteilen. Die römischen Prachtvillen befinden sich vor allem im Gebiet südlich des Tejo und hier wie- derum vor allem im Küstenstreifen der Algarve sowie im Umland der Pro- vinzhauptstadt Emerita Augusta (Mérida), der Colonia Pax Iulia (Beja) und von Ebora (Évora). Auffallend bei den lusitanischen Villen ist die große Vielfalt an Bautypen und -formen, die ihre Parallelen in der Africa Proconsularis, in Gallien sowie in Italien haben. Die Peristylvillen (Abb. 45) gehören zu dem am weitesten Abb. 44 Römische Villen in Hispanien und verbreiteten Villenschema auf der Iberischen Halbinsel und überwiegen auch Gallien, Karte mit den im Text erwähnten in der Lusitania (Monroy, Torre de Palma, La Cocosa, Torre Águila, Pisões, Städten und Villen in Lusitanien Milreu). Jedoch unterscheiden sich die einzelnen Anlagen bezüglich ihres Aufbaus stark voneinander und lassen sich nicht enger zu Gruppen zusam- menfassen.

Abb. 45 Römische Villen in Hispanien und Gallien, Estói (Portugal). Villa von Milreu, Peristylhof mit Blick auf den Tempel

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Neben den um einen rechteckigen Säulenhof gelegten Peristylvillen gibt Römische Villen in Hispanien und Gallien es Sonderformen: So ist die Villa von Rabaçal um ein oktogonales Peristyl er- richtet, eine Grundrissform, die nur zwei weitere Male aus Hispanien (Valde- Abb. 46 Abicada (Portugal), Portikusvilla. Hexagonaler Säulenhof mit Blick auf die torres de Jarama, Madrid; Can Farrerons, Katalonien) sowie aus Italien (Palaz- einstige Meeresbucht zo Pignano, Cremona) bekannt ist, doch ist umstritten ob diese Beispiele als Villen anzusprechen sind. Um eine Portikusvilla handelt es sich bei der Anla- Abb. 47 Vidigueira (Portugal), Villa von ge von Abicada (Abb. 46). Kommt dieser Bautypus an sich auf der Iberischen São Cucufate, Ansicht der Südwestfassade mit dem Tempel/Mausoleum im Vorder- Halbinsel bereits eher selten vor, so ist die in Abicada anzutreffende Kombi- grund nation dieses Typus mit einem hexagonalen Innenhof singulär. Während die- se Villa direkt auf das Meer ausgerichtet ist, befindet sich die zweite Porti- kusvilla der Provinz im hügeligen Inland des Alentejo (São Cucufate, Abb. 47). Die Südwestfassade der spätantiken Villa von São Cucufate fällt durch die betonten Eckrisalite auf, die sowohl an gallorömische Villen als auch an Villendarstellungen auf Mosaiken aus Nordafrika erinnern. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es im äußersten Westen des rö- mischen Reiches eine extrem große Variationsbreite an Villentypen gab. Un- terschiedliche Interessen und Bedürfnisse, je nach Lage an der Küste, im Inland oder in Stadtnähe, sowie unterschiedliche (land-)wirtschaftliche Ausrichtun- gen mögen dabei eine Rolle gespielt haben. Die regionale Besonderheit die- ser Villen zeigt sich nicht in einem bestimmten ›lusitanischen‹ Villentypus, sondern in bestimmten Bauformen, wie z. B. den Tempeln oder Mausoleen mit Apsis und Säulenumgang (Abb. 45. 47), die fast ausschließlich in der Lusitania vorkommen. Projektbearbeiterin: B. Brühlmann • Abbildungsnachweis: B. Brühlmann (Abb. 44); D-DAI-MAD-R-77-83-11, P. Witte (Abb. 45); B. Brühlmann (Abb. 46. 47).

Die islamischen Villen von Córdoba (Spanien) Im Rahmen eines Projekts zu der islamischen Palastarchitektur im Westen wurde die Untersuchung des Landsitzes ar-Ruman¥ya fortgesetzt. Bei der Anlage handelt es sich um den Sommersitz von ad-Durri, »dem Kleinen«, einem Finanzminister des Kalifen al-Hakam II. aus der Zeit um 970 n. Chr. Auf vier Terrassen am Hang der Sierra Morena gelegen umfasste der Landsitz ausgedehnte Gärten, Wohn- und Repräsentationsgebäude sowie ein großes Wasserbecken. Die Untersuchung der Anlage soll einerseits zur Klärung der Frühgeschichte der islamischen Palastarchitektur auf der Iberischen Halbin- sel beitragen, andererseits die Grundlage für einen Vergleich zwischen römi- scher und islamischer Villenarchitektur schaffen.

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Abb. 48 Córdoba (Spanien), ar-Rumanīya. Rekonstruktion des Saales zwischen großem Wasserbecken und Garten

Nach Abschluss der Bauaufnahme konnten in diesem Jahr mehrere Gra- bungsschnitte angelegt werden. Unter anderem wurden Teile eines Saales frei- gelegt, der zwischen dem großen Wasserbecken und den Gartenterrassen des Landsitzes lag (Abb. 48). Der Saal war innen 11,80 m breit und 5 m tief und an beiden Enden von quadratischen Nebenräumen flankiert. Zum Wasserbe- cken und zum Garten war er jeweils über eine 6,40 m breite Arkade geöff- net, die durch Säulen in drei Joche gegliedert war. Während die Arkaden im Sommer für Durchzug sorgten, ließen sie sich im Winter mit Hilfe hölzer- ner Türflügel komplett verschließen. Bauhistorisch ist der Saal insofern von besonderem Interesse, als er in seiner Gestaltung ein Bindeglied zwischen den Bauten von Madinat al-Zahra’ um die Mitte des 10. Jhs. und den Palästen der Taifa-Zeit des 11. Jhs. darstellt, wie sie unter anderem aus Almería bekannt sind. Innerhalb dieser Entwicklung ist er das älteste Beispiel eines Saales, des- sen Entwurf auf gleichschenkligen Dreiecken beruht. Bei der Ausgrabung wurden Reste der Dekoration des Saales entdeckt, unter anderem das Stück eines Säulenschaftes und das Fragment einer Dekor- platte aus Marmor (Abb. 49). Insbesondere der Bereich der Arkaden war dem- nach mit Marmor dekoriert, während die restlichen Wände des Saales über einem rot bemalten Sockel weiß verputzt waren. Die neu gefundenen Frag- mente erlauben die Zuordnung weiterer Bauteile zur Dekoration des Saales, die sich heute im Archäologischen Museum von Córdoba befinden. Details in der Ausführung zeigen, dass bei der Dekoration die Badeanlage des Salón Rico von Madinat al-Zahra’ (953–955 n. Chr.) als direktes Vorbild diente. Ein Ergebnis der diesjährigen Grabung ist der Nachweis einer umfangrei- chen Nachnutzung des Landsitzes im Spätmittelalter. Wohl als Folge des Bür- Abb. 49 Córdoba (Spanien), ar-Rumanīya. gerkrieges von 1009–1031 n. Chr. war der Landsitz aufgegeben worden und Dekorplatte aus Marmor vom Saal am blieb mehrere Jahrhunderte ungenutzt. Nach der Reconquista von Córdoba großen Wasserbecken im Jahr 1230 wurde jedoch zumindest der Saalbau teilweise wieder herge- richtet und das große Wasserbecken für die Fischzucht umgestaltet. Die neu- en Besitzer des Gutes waren wahrscheinlich die Señores de Aguilarejo, eine adlige Familie aus Navarra. Mit der Verlagerung landwirtschaftlicher Betriebe vom Hang der Sierra Morena in die Ebene des Guadalquivir wurde das Land- gut im Verlauf des 15. Jhs. wieder verlassen. Ein weiteres Ziel der diesjährigen Grabung war die Klärung von Fragen zu den wassertechnischen Anlagen des Landsitzes. Dessen hydraulisches System war sehr komplex und hoch raffiniert: Aus einer ganzen Reihe unterschied- licher Quellen, die für sich genommen teils nur geringe Mengen von Wasser führen, wurde ausreichend Wasser gewonnen, um ein großes Becken, eine

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Abb. 50 Córdoba (Spanien), ar-Rumanīya. Setzbecken an der Zuleitung des großen Wasserbeckens

Zisterne und einen zusätzlichen Tank mit Wasser zu speisen, um dann für die Bewässerung des Gartens, die Versorgung einer Badeanlage und als Trinkwas- ser genutzt zu werden. Neben der Klärung der Zu- und Abflüsse des großen Wasserbeckens wurde in diesem Jahr ein Setzbecken freigelegt, in dem Wasser, das von einer höher gelegenen Quelle zum Landgut geleitet wurde, gereinigt und dann entweder zur Badeanlage oder zum großen Wasserbecken verteilt wurde (Abb. 50). Grabungen innerhalb des großen Wasserbeckens erbrachten den Nachweis, dass dieses am Boden mit Steinplatten gepflastert war. Kooperationspartner: Conjunto Arqueológico de Madinat al-Zahra (A. Val- lejo Triano); Universidad Autónoma de Madrid (A. Canto García) • Leitung des Projekts: F. Arnold • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: M. Beiersdorf, H. Fahlbusch, M. Hofmann, A. Kreisel, A. Mera Herranz, I. Montilla Torres, J. Patterson • Abbildungsnachweis: F. Arnold (Abb. 48); D-DAI-MAD-DG- 33-08-144, J. Patterson (Abb. 49); D-DAI-MAD-DG-33-08-250, J. Patterson (Abb. 50).

Wissenschaftliche Veranstaltungen

Hauskolloquien 31. Januar Tanja Gouda (München), Untersuchungen zum Romanisierungs- prozess auf der Iberischen Halbinsel aus der Perspektive der einheimischen Kul- turenxxx5. Februar Philipp Kobusch (Gießen), Die römischen Grabbauten auf der Iberischen Halbinselxxx7. Februar Renate Heckendorf (Rabat/Hamburg), L’art rupestre de la vallée moyenne du Draa (Présahara marocain)xxx10. Ap- ril Maria João Santos (Madrid), Heilige Plätze im indoeuropäischen Hispa- nienxxx17. April Sofia Sanz González (Madrid), Absolute Chronologie im Neolithikum der Iberischen Halbinsel. Analyse und kulturelle Bewertung.

Tagungen (Abb. 51) 4. Januar Tagung zur Geschichte der Abteilung Madrid des DAI, Teil 2, Prä- historie »Historia del Instituto Arqueológico Aleman de Madrid. Sus investiga-

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Abb. 51 Die Teilnehmenden der for- ciones y la recepción de la arqueología y la prehistoria alemana (1954–2004). schungsgeschichtlichen Kolloquien II. Prehistoria« (Koordination: Jorge Maier [Madrid], Thomas G. Schattner [Madrid]; Förderung: Frank Abegg [Madrid]). – Es sprachen: Dirce Marzoli (Madrid), Grußworte; Jorge Maier (Madrid), Einführung; Fernando Molina (Granada), Relaciones hispano-luso-alemanas en la Prehistoria de la Península Ibérica; Manuel Pellicer (Sevilla), La Prehistoria en España en la primera mitad del siglo XX y los prehistoriadotes alemanes; Marco de la Rasilla (Oviedo), Paleolítico (San Quintí de Mediona) y Arte Rupestre; Isabel Rubio (Madrid), Neolítico: Ambrona; Concepción Blasco Bosqued (Madrid), Calcolítico: Los Millares, Vila Nova de S. Pedro, Zambujal, Monte da Ponte; Rui Parreira (Faro), Edad del Bronce: Fuente Álamo y El Argar; Atalaia y el Bronce del Sudo- este; Arturo Morales (Madrid), Bio-Arqueología, Salvador Rovira (Madrid), Arqueometalurgia. 24./25. April III Jornadas del Instituto Arqueológico Aleman y la Univer- sidad Autónoma, Madrid (Leitung: Dirce Marzoli [Madrid] – Joaquín Barrio [Madrid]; Zusammenarbeit: Universidad Autónoma de Madrid, Departamento de Prehistoria y Arqueología). – Es sprachen: Dirce Marzoli (Madrid) – Joa- quín Barrio (Madrid), Begrüßung und Einführung; Michael Kunst (Madrid), Zambujal. Resultados de las excavaciones de 1994 a 2007 y la investigación del Calcolítico de la Península Ibérica; Concepción Blasco Bosqued (Madrid) – Javier Baena (Madrid) – Corina Liesau von Lettow-Vorbeck (Madrid) – J. Francisco Blanco (Madrid) – Patricia Ríos (Madrid) – Raquel Aliaga (Mad- rid), El poblado calcolítico de fosos del Camino de las Yeseras; Thomas X. Schuhmacher (Madrid) – Corina Liesau von Lettow-Vorbeck (Madrid), Marfil

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en la Península Ibérica desde el Calcolítico hasta el Bronce Antiguo: origen, intercambio e importancia social; Michael Kunst (Madrid), Un encuentro in- ternacional en Torres Vedras (Portugal) sobre el tema: El vaso campaniforme marítimo; Dirce Marzoli (Madrid) – Dirk P. Mielke (Madrid), Los Castillejos de Alcorrín (Manilva, Málaga). Un yacimiento del Bronce Final; Sonja Beh- rendt (Tübingen) – Dirk P. Mielke (Madrid), Estudios arqueométricos de cerá- mica fenicio-arcaica; Dirce Marzoli (Madrid), Mogador. Factoría fenicia en el extremo del mundo antiguo; Luis Berrocal (Madrid) – Antonio Carlos Silva (Moura-Alqueva), El castro dos Ratinhos (Moura-Alqueva, Portugal). Un yaci- miento del Bronce Final y la primera presencia fenicia en el interior occidental; Fernando Quesada (Madrid) – José Ma. Zamora (Madrid) – Elena González (Madrid) – Ronald E. Kavanagh (Madrid), Trabajos recientes en el poblado ibérico del Cerro de la Cruz (Almedinilla, Córdoba); Thomas G. Schattner (Madrid), Romanización de santuarios indígenas en Occidente. Un balance de la investigación; Ángel Fuentes (Madrid), A propósito de romanización de cultos y santuarios: Foro como santuario: Romanización de cultos indígenas en el foro de Valeria a comienzos del Imperio; Maria João Santos (Madrid), Sacri- ficio y espacio sagrado en el Occidente de la antigua Hispania; María Pérez (Madrid), Estudio comparado de los lararios domésticos de la ciudad de Pom- peya. Ubicación, función y significado; Manuel Bendala (Madrid) – Lourdes Roldán (Madrid) – Juan Blánquez (Madrid) – Sergio Martínez Lillo (Madrid), Investigaciones en Carteia; Nicole Röring (Madrid), El ›Foro de Mármol‹ de Emerita Augusta: estudios de su arquitectura; Beate Brühlmann (Madrid), Villas tardorromanas en Hispania y Galia: Una comparación de la arquitectura, la decoración y la función de las villas monumentales en el oeste del Imperio Romano; Carmen Fernández Ochoa (Madrid) – Manuel Bendala (Madrid) – Verónica García-Entero (Madrid), Investigaciones en Carranque; Pedro Javier Salido (Madrid), Los sistemas de almacenamiento de grano en el occidente del Imperio romano: planteamiento y metodológica; Joaquín Barrio (Madrid), Los dorados medievales arqueológicos: Arqueometría y conservación; Alberto Canto García (Madrid) – Felix Arnold (Madrid), La documentación de una villa islámica en Córdoba; Dirce Marzoli (Madrid) – Joaquín Barrio (Madrid) – Manuel Bendala (Madrid), Schlussworte. 30. April bis 2. Mai Internationale Tagung »Bell Beakers. Symbols of a 5000 Years Old Cultural Community in Europe« in Torres Vedras (Portugal) (Leitung: Michael Kunst [Madrid]; Förderung: Câmara Municipal von Torres Vedras [Portugal]). Die Glockenbechertagung wurde mit der Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung (s. u.) begonnen. – Es sprachen: Carlos Miguel (Präsident der Câmara Municipal von Torres Vedras) – Michael Kunst (Mad- rid), Grußworte; Michael Kunst (Madrid), Einführung: Short Summary of the Bell Beaker Phenomenon; Christian Strahm (Freiburg), The Bell Beaker Complementary Ware; Erik Drenth (Amersfoort), New Ideas on the Origin and Development of Bell Beakers in the Netherlands; Concepción Blasco Bos- qued (Madrid) – Corina Liesau von Lettow-Vorbeck (Madrid) – Patricia Ríos Mendoza (Madrid), El Campaniforme impreso en el yacimiento de fosos de Camino de las Yeseras; Salvador Rovira (Madrid) – Ester Moreno García (Mad- rid) – María Jesús Rodríguez de la Esperanza (Madrid) – Raquel Aliaga Almela (Madrid), Metalurgia Campaniforme en el yacimiento Camino de las Yeseras (Madrid); Paweł Jarosz (Krakau) – Piotr Włodarczak (Krakau) – Ewa Włodarczak (Krakau), The Corded Ware Culture in Southeastern Poland and Western Ukraine; António Carlos Valera (Lissabon), Ciempozuelos Geometric Patterns. A Glimpse into Its Meaning; Antonio Martínez-Cortizas (Santiago de Compos- tela) – Óscar Lantes Suárez (Santiago de Compostela) – Pilar Prieto Martínez

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(Santiago de Compostela), Between Steppe and the Bell Beaker Domain. Late Phase of Archaeometric Characterization of Bell Beaker Pottery from NW Iberia; Julia Roussot Larroque (Bordeaux), Palmelas, Poignards, Gobelets en Aquitaine occidental; Daniela Kern (Wien), Bell Beakers in Austria; Jan Turek (Prag), Recent Discoveries of Bell Beaker Period in Bohemia; Anna Endrödi (Budapest), Bell Beaker Package, Common Ware, Origin and Background of Bell Beaker Csepel Group; Abdel Ben-Ncer (Rabat), Étude de sépulture chalcolithique d’Ifri n’Amr ou Moussa; Youssef Bokbot (Rabat), News of Bell Beaker in Marrocan Meseta; Anita Szczepanek (Krakau) – Elz˙beita Haduch (Krakau), Body Proportions of Individuals of Bell Beaker Culture from Poland; Lubomír Šebela (Brno) – Jerzy Kopacz (Brno) – Antonín Prichystalˇ (Brno), Bell Beaker Lithic Chipped Industry in Moravia; María Lazarich González – Antonio Ramos Gil (Cádiz), Prodedures for Calculating the Volume in Ce- ramic Pots Fragmented. An Application to Maritime Bell Beaker of the Iberian Peninsula; João Luís Cardoso (Lissabon), La présence Campaniforme dans la région au nord de l’embouchure du Tage. Nouvelles observations; Joaquina Soares (Setúbal) – Carlos Tavares da Silva (Setúbal), Transformações Económi- co-Sociais na Segunda Metade do III Milénio cal BC, Horizonte Campani- forme. 5. Juni Tagung zur Geschichte der Abteilung Madrid des DAI, Teil 3, Vorgeschichte und Vorrömische Zeit/»Historia del Instituto Arqueológico Aleman de Madrid. Sus investigaciones y la recepción de la arqueología y la protohistoria alemana (1954–2004) III. Protohistoria y mundo Prerromano« (Leitung: Jorge Maier [Madrid], Thomas G. Schattner [Madrid]; Vorsitz: Diego Ruiz Mata [Cádiz], Juan Blánquez [Madrid]; Förderung: Asociación de Ami- gos del Instituto Arqueológico Alemán de Madrid/Vereinigung der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Madrid). – Es sprachen: Dirce Marzoli (Madrid) – Jorge Maier (Madrid), Begrüßung und Einführung; Alfredo Mederos (Madrid), Las primeras intervenciones arqueológicas; Manuel Bendala (Madrid), Fenicios en Tartessos I Factorías; Maria Belén (Sevilla), Fenicios en Tartessos II La Costa antigua; José Ángel Zamora López (Zaragoza), Fenicios en Tartessos III Aspectos filológicos; Juan Blánquez (Madrid); Adolfo Domínguez Monedero (Madrid), Griegos en Iberia; Joaquin Gorrochategui (Vitoria), Lenguas prerromanas; Alberto Lorrio (Alicante), Hispania céltica; Lorenzo Abad (Alicante), Arte Iberico. 14. bis 22. Juni 3. Workshop für junge Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler »Villae, Vici, Oppida. Städtewesen und ländliche Siedlungsformen in den westlichen Provinzen des Römischen Reiches« (Leitung: Dirce Marzoli [Madrid], Daniel Baloup [Madrid], Pierre Moret [Toulouse]; Koordination: B. Brühlmann [Madrid], Olivier Michel [Madrid/Paris]; Zusammenarbeit: Casa de Velázquez, Madrid).– Es sprachen: Direktor der Casa de Velázquez Jean Pierre Etienvre (Madrid), Eröffnung; Beauftragter für Kommunikation im Auswärtigen Amt, Botschafter Michael Zenner (Berlin) – Leiter des Kul- turreferats der Deutschen Botschaft Hans-Günter Löffler (Madrid), Begrü- ßung; Daniel Baloup (Madrid) – Pierre Moret (Toulouse) – Dirce Marzoli (Madrid) – Olivier Michel (Madrid/Paris) – B. Brühlmann (Madrid), Ein- führung • Vorträge der Mentoren: Jean-Pierre Vallat (Paris), Habitat groupé, habitat dispersé en Italie romaine: sources, méthodologie, synthèses régionales; Ricardo González Villaescusa (Reims), Territoires indigènes, centuriations et civitates. La ›production‹ de l’espace de la res publica. Exemples de Valentia, Edeta, Saguntum, Saetabis, Ilici, Nemausus, Aeso; Pere Castanyer (Barcelona), La villa de Vilauba: aproximación al estudio del poblamiento rural romano en el extremo nordeste peninsular; Carmen Fernández Ochoa (Madrid) –

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Almudena Orejas (Madrid) – Fernando Gil (Madrid), La villa de Veranes y el fundus • Beiträge der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Laurent Brassous (Bordeaux), Les villes de la péninsule Ibérique du IIIe s. ap. J.-C.; Robin Brigand (Besançon), Archéologie du paysage, dynamique des parcellaires; Beate Brühlmann (Madrid), Römische Villen in Hispanien und Gallien. Eine vergleichende Untersuchung zur Architektur, Ausstattung und Funktion römischer Prachtvillen im Westen des römischen Reiches; Victoria Cantarellas Sancho (Barcelona), La transformación del hábitat señorial, de domus a villae, en el Conventus Tarraconensis entre el s. I a C. y s. VI d. C; Tiziana Ercole (Paris), Évolution du paysage de la région du Fucino; Tanja Gouda (München), La romanización en la Península Ibérica desde la perspec- tiva ibérica; Jochen Griesbach (Köln/München), Ländliche Besiedlung und Totenkult auf der Iberischen Halbinsel von der mittleren Kaiserzeit bis zum frühen Mittelalter; Susanne Lamm (Graz), Die römische Villa von Grünau; Carmen López San Segundo (Salamanca), La villa romana tardoantigua en la Meseta. Estudio de su organización arquitectónica, espacial y funcional; Saúl Martín González (Madrid), Aristocracias y teritorios en la Hispania Tardoan- tigua; Olivier Michel (Madrid/Paris), Formes d’habitats groupés de la vallée de l’Èbre (Ier–Ve s. ap. J.-C.); Jennifer Morscheiser-Niebergall (Trier), Die Gründung Triers im Spiegel der archäologischen Zeugnisse; Silvia Polla (Bern), Keramik und Siedlungsgeschichte in der Dougga Region (Nordtunesien); Alejandro Quevedo Sánchez (Murcia), Los niveles de abandono de los siglos II y III d. C. en Carthago Nova y su entorno; Ingrid Renault (Paris), L’occupation du sol chez les Carnutes. Les confins de territoire (Ier s. av. J.-C.–IVe s. ap. J.-C.); Andrea Roppa (Padua), Evoluzione delle forme insediative urbane e rurali nella Sardegna di età ellenistica. Città, campagna e contesti ceramici; Javier Salido Domínguez (Madrid), Formas de ocupación rural en el cuadrante Noroccidental de la Península. Transición y desarrollo entre las épocas romana y medieval (Territoria); Frerich Schön (Tübingen), Ressourcenmanagement auf Pantelleria (Italien). Siedlungskammern im Wandel der punisch-römischen Antike; André Miguel Serra Pedreira Carneiro (Évora), Povoamento rural no Alto Alentejo em época romana. Vectores estruturantes durante o Imperio e Antiguidade Tardia; Saimir Shpuza (Paris), La romanisation de l’Illyrie méri- dionale et de l’Épire; 148 av.n.e–IIIe s. de n.e. 19./20. November Tagung »Emil Hübner und die Altertumswissen- schaften in Hispanien, Tagung zu Ehren seines 175. Geburtstages« (Abb. 52, Tagungsorte: Real Academia de la Historia, DAI, Abteilung Madrid, Museo del Prado; Koordination: Michael Blech [Bad Krozingen], Jorge Maier [Madrid], Thomas G. Schattner [Madrid]; Förderung: Asociación de Amigos del Instituto Arqueológico Alemán de Madrid/Vereinigung der Freunde des Deutschen Ar- chäologischen Instituts, Abteilung Madrid). – Es sprachen: Gonzalo Anes (Di- rektor der Real Académia de la Historia, Madrid) – Dirce Marzoli (Madrid), Eröffnung; Antonino González (Murcia), Hübner y su obra; Michael Blech (Bad Krozingen), La formación de Emil Hübner; Javier Miranda Miranda (Madrid), El archivo de Emil Hübner en la Staatsbibliothek (West) de Berlín; Abb. 52 Martín Almagro Gorbea bei der Jorge Maier (Madrid), Hübner y los arqueólogos españoles; José Remesal Tagung »Emil Hübner und die Altertums- (Barcelona), Hübner y el Padre Fita, Thomas G. Schattner (Madrid) – Jorge wissenschaften in Hispanien, Tagung zu Ehren seines 175. Geburtstages« Maier (Madrid), Los viajes de Emil Hübner en la Península’; Amílcar Guerra (Lissabon), Hübner y los arqueólogos portugueses; Beatrice Cacciotti (Rom), Cronache di archeologia dall’Italia di Emil Hübner, María Paz García-Bellido (Madrid), Hübner entre Mommsen y Haeberlin: La moneda hispánica en la ciencia alemana, Juan Manuel Abascal (Alicante), Hübner y el CIL; Martín Almagro Gorbea (Madrid), Hübner y las lenguas ibéricas; Joaquin Gómez-

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Pantoja (Alcalá de Henares), Hübner y la geografía histórica; Sabine Panzram (Hamburg), Hübner y la epigrafía y arqueología paleocristiana y Mommsen; Helena Gimeno (Alcalá de Henares), La nueva edición del Corpus Inscrip- tionum Latinarum II; Christof Schuler (München), El Corpus Inscriptionum Latinarum II ante el futuro; Peter Rothenhöfer (München), Aspectos técni- cos en los estudios epigráficos de Hübner; Ramón Corzo (Sevilla), Hübner y la arqueología fenicia-púnica; Pierre Moret (Toulouse), Hübner, la Dama de Elche y la escultura ibérica; Thomas G. Schattner (Madrid), Hübner y la estatuaria lusitano-galaica • Schlussveranstaltung (im Museo del Prado mit Führung von Stephan Schröder [Madrid] durch die Ausstellung »Entre dioses y hombres«). – Es sprachen: Letizia Azcue Brea (Leiterin der Skulpturenab- teilung des Prado) – Dirce Marzoli (Madrid), Einführung; Martín Almagro Gorbea (Madrid), Präsentation der neu erschienenen, von der Abteilung Mad- rid herausgegebenen spanischen Version von Emil Hübner, Las colecciones de arte antiguo en Madrid con un apéndice sobre las colecciones en España y Portugal; Stephan Schröder (Madrid), Festvortrag »Hübner y su catálogo de escultura del Museo del Prado«. 26./27. November Internationale Tagung »Marfil y elefantes en la Península Ibérica y el Mediterráneo occidental« (Zusammenarbeit: Museo Arqueológico Provincial de Alicante [MARQ] und INCENTIVS, Institut für Geowissen- schaften der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz; Veranstaltungsort: Museo Arqueológico Provincial de Alicante [MARQ]; Leitung: Manuel Olcina [Ali- cante], Dirce Marzoli [Madrid]; Vorsitz: Dirce Marzoli [Madrid], Thomas X. Schuhmacher [Madrid], Juan Antonio López Padilla [Madrid]; wissenschaft- liche Koordination: Thomas X. Schuhmacher [Madrid], Juan Antonio López Padilla [Alicante]; Förderung: Museo Arqueológico Provincial de Alicante [MARQ]). – Es sprachen: Manuel Olcina (Direktor des Museo Arqueológico Provincial de Alicante [MARQ]) – Pedro Romero (Diputado de Cultura de la Diputación de Alicante) – Dirce Marzoli (Madrid), Grußworte; Arun Banerjee (Mainz), Non-destructive Investigation of Archaeological Objects; Johann Oliver Schwarz (Mainz) – Arun Banerjee (Mainz), Micro-Computer- Tomographic Investigation of Ivory Objects; Silvério Figueiredo (Tomar), The Pleistocene Elephants of Portugal; Thomas X. Schuhmacher (Madrid), El mar- fil en la Península Ibérica desde el Calcolítico al Bronce antiguo. Resultados de un proyecto de investigación interdisciplinar; Francisco Nocete (Huelva) – Manuel Vargas (Valencina de la Concepción) – Thomas X. Schuhmacher (Ma- drid), Contextos de producción de objetos de marfil en Valencina de la Con- cepción (Sevilla); Corina Liesau von Lettow-Vorbeck (Madrid), Marfiles cam- paniformes de El Camino de las Yeseras (San Fernando de Henares, Madrid) y del yacimiento argárico de Fuente Álamo (Almería); João Luís Cardoso (Lissabon) – Thomas X. Schuhmacher (Madrid), Marfiles calcolíticos en Portu- gal. Estado de la cuestión; Abdeslam Mikdad (Rabat), L’utilisation de l’ivoire au Maroc depuis les origines jusqu’à l'époque médiéva; Giovanna Bortolaso (Mainz), Case Study: Investigation of Archaeological Ivory Objects from Sa- maria; Juan Antonio López Padilla (Alicante), Producción y consumo de marfil en el Grupo Argárico y en su ámbito periférico; Juana M. Marín (Murcia) – Juan Antonio López Padilla (Alicante), El yacimiento de Los Molinos de Papel y el consumo del marfil en los inicios de la Edad del Bronce del Sureste; Josep Lluís Pascual-Benito (Valencia), El marfil en la Edad del Bronce Valenciano. Los talleres de La Mola d’Agres; Virginia Barciela González (Alicante), El trabajo del marfil en la Edad del Bronce de la Meseta sur; Sophie Makariou (Paris), Los marfiles de época islámica en la Península Ibérica y el mediterráneo occidental. Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Madrid (Abb. 51. 52).

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Veranstaltungen zu den Forschungsclustern des DAI

4./5. April Treffen der Metall-AG des Forschungsclusters 2 »Innovationen: technisch, sozial« des DAI (Leitung: Michael Kunst [Madrid]). – Es sprachen: Michael Kunst (Madrid), Grußworte und Einführung; Martin Bartelheim (Tübingen), Frühe Metallurgie: Sinn und Unsinn des Begriffs ›Kupferzeit‹; Svend Hansen (Berlin), Metallurgie im 5. und 4. Jt. v. Chr.; Barbara Helwing (Berlin), Frühe Metallurgie im ; Roland Müller (Madrid), Kupferzeitliche Metallurgie in Zambujal und Estremadura (Portugal); Gert Goldenberg (Inns- bruck), Frühe Kupferminen in Portugal; Erica Hanning (Bochum), Schmelz- versuche an portugiesischem Kupfer; Rui Mataloto (Redondo), Metallurgie in São Pedro (Redondo); Salvador Rovira (Madrid), Tinbronze; Thomas G. Schattner (Madrid), Metallurgie in römischer Zeit; Regula Wahl-Clerici (Horgen), Goldminen in Três Minas. 30. Mai bis 1. Juni Treffen »Situierung der Herrschaftsorte, ihre Beziehung zu anderen Orten und dem zugrunde liegenden Herrschaftsverständnis« des Forschungsfeldes 4 »Orte der Herrschaft« im Forschungscluster 3 »Politische Räume« des DAI (Leitung: F. Arnold [Madrid]) • 30. Mai Exkursion nach Córdoba • 31. Mai Treffen des Forschungsfeldes 4. – Es sprachen: F. Arnold (Madrid), Einführung: Orte der Herrschaft des Präsidenten der Vereinigten Staaten; Ulrich Thaler (Athen), Mykenische Paläste; Axel Posluschny (Frank- furt a. M.), Frühkeltische Fürstensitze; Torsten Zimmer (Istanbul), Die Basileia von Pergamon; Roland Färber (München), Die Amtssitze der spätantiken Stadt- präfekten von Rom und Konstantinopel; Heinz-Jürgen Beste (Rom), Die Kai- serresidenz Domus Aurea in Rom; Ulrike Wulf-Rheidt (Berlin), Die Kaiser- paläste auf dem Palatin in Rom; Fernando Valdéz (Madrid), Der islamische Pa- last auf der Alcazaba von Badajoz; Gerda Sommer von Bülow (Frankfurt a. M.), Der Kaiserpalast Felix Romuliana bei Gamzigrad; Beate Brühlmann (Madrid), Spätantike Kaiservillen in Trier und Córdoba; Dorothée Sack (Berlin), Die Ka- lifenresidenz in ar-RusŒfa (Syrien); Felix Arnold (Madrid), Islamische Herr- schaftssitze im Umfeld von Córdoba. Diskussion zur Publikationsform und zu den künftigen Arbeitstreffen.

Öffentlichkeitsarbeit

5. April Führung durch die Ausstellung über Endivélico (São Miguel da Mota) im Kulturzentrum Alandroal (Konzeption und wissenschaftliche Koordina- tion: Thomas Schattner [Madrid]).

Ausstellungen 30. April bis 30. August Ausstellung »Bell Beakers. Symbols of a 5000 year- old Cultural Community in Europe« in Torres Vedras (Portugal) (Konzeption und wissenschaftliche Koordination: Michael Kunst [Madrid]; Design: Olga Moreira (Torres Vedras); Koordination der Produktion: Francisca Ramos (Torres Vedras); Druck: Aresta – Design e Serigrafia; Förderung: Câmara Municipal von Torres Vedras [Portugal]; Sponsor: Valdemar Neves [Radio-Oeste]). – Der Prä- sident der Câmara Municipal von Torres Vedras Carlos Miguel eröffnete die Ausstellung und verlieh in diesem Rahmen die Silbermedaille der Stadt Torres Vedras an Edward Sangmeister (in Abwesenheit, Abb. 53) und Hermanfrid Schubart, Valdemar Neves (Radio-Oeste) überreichte je einen silbernen Teller Abb. 53 Nachträgliche Verleihung an Edward Sangmeister, Hermanfrid Schubart und Michael Kunst zur Aus- der Medailla an Edward Sangmeister zeichnung ihrer Verdienste um Zambujal (Abb. 54). Im Anschluss folgten eine in Freiburg i. Br.

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Abb. 54 Verleihung der Medaillen und Silberteller, von links nach rechts: Valdemar Neves, Hermanfrid Schubart, Carlos Miguel, Michael Kunst, Carlos Bernardes

Glockenbecherausstellung in Torres Vedras

Abb. 55 Eingang, Teil 1: Verbreitung in Europa

Abb. 56 Teil 2: Zambujal, Vitrine zur Kupferverarbeitung

Abb. 57 Teil 3: Portugal 55

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Führung von Michael Kunst durch die Ausstellung und ein Empfang im Innen- hof des Museums mit einer Vorstellung der Camerata Vocal de Torres Vedras. Die Ausstellung, an der 50 Prähistoriker aus verschiedenen Ländern mit- wirkten, umfasste drei Bereiche: 1. Die Verbreitung der Glockenbecher in Europa mit Postern für jede Region (Abb. 55); 2. Zambujal als Beispiel einer befestigten Siedlung der Kupferzeit der Iberischen Halbinsel mit Resten me- tallurgischer Aktivitäten (Abb. 56) und einem Glockenbecherhorizont; 3. Die Glockenbecher in Portugal allgemein (Abb. 57). Abbildungsnachweise: B. Sasse-Kunst (Abb. 53. 54); D-DAI-MAD-PAT-DG- 12-08-040, J. Patterson (Abb. 55); D-DAI-MAD-PAT-DG-13-08-040, J. Pat- terson (Abb. 56); D-DAI-MAD-PAT-DG-12-08-028, J. Patterson (Abb. 57).

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16. September bis 26. Oktober Photoausstellung »Blick – Mira!« (Abb. 58) im archäologischen Museum im Zentrum von Badajoz/Spanien (Kooperati- onspartner: Museo Nacional de Arqueologia, Tarragona; Leitung: Dirce Mar- zoli [Madrid], Pilar Sada [Tarragona], Fransesc Tarrats [Tarragona]; Mitarbeit: Michael Kunst [Madrid], John Patterson [Madrid]). – Bei der Eröffnung der Wanderausstellung sprachen: Esperanza Díaz (Directora General del Patrimo- nio de Cultura de la Junta de Extremadura) – Manuel de Alvarado Gonzalo (Badajoz) – Francesc Tarrats (Tarragona) – Enrique Cerrillo Martín de Cáceres (Cáceres) – Michael Kunst (Madrid). Im kommenden Jahr wird die erfolgrei- che, nun schon in Tarragona, Berlin, Murcia, Valencia und Badajoz gezeigte Abb. 58 Eröffnung der Ausstellung Ausstellung in Pamplona (Spanien), Manacor (Mallorca) und Cascais (Portu- »Blick – Mira!« in Badajoz am 16. Sep- gal) zu sehen sein (zur Konzeption, Thematik und Umfang der Ausstellung s. tember 2008 AA 2007/2, 295 und AA 2008/1 Beiheft, 228). Abbildungsnachweis: B. Sasse-Kunst (Abb. 58).

Vereinigung der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Madrid Asociación de Amigos del Instituto Arqueológico Alemán de Madrid Am 12. März wurde in der deutschen Botschaft Madrid unter der Schirm- herrschaft von Herrn Botschafter Wolf-Ruthard Born die Vereinigung der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Madrid gegrün- det (Abb. 59–62). Präsident der Vereinigung ist Frank Abegg, Vizepräsidenten 59

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Abb. 59 Logo der Vereinigung der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Madrid/Asociación de Amigos del Instituto Arqueológico Alemán de Madrid

Abb. 60 Botschafter Wolf-Ruthard Born als Schirmherr des Freundeskreises bei der Unterschrift zur Gründungsurkunde

Abb. 61 Abendessen aus Anlass der Gründung des Freundeskreises

Abb. 62 Gründungsversammlung des Freundeskreises 62

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sind Stephan Öller und Jorge Maier. Der Sitz der Vereinigung, die in keiner Konkurrenz zur Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts/Theodor Wiegand Gesellschaft steht, ist in Madrid angesiedelt. Die Vereinigung hat das Ziel, über die staatliche Förderung hinaus die Arbeit der Abteilung Madrid vielfältig zu unterstützen. Hierzu gehören die Förderung der Öffentlichkeitswirksamkeit ihrer Arbeit und des Verständnisses für Archäo- logie über die Fachwelt hinaus sowie die Bereitstellung von finanziellen Mit- teln für Sondervorhaben. Bereits in der Gründungsphase gehören der Vereini- gung zahlreiche prominente Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Wirtschaft an. Bis Jahresende stieg die Zahl der Mitglieder auf 100. Auf der Homepage des Instituts sind weitere Informationen über den Freundeskreis und auch die Inskriptionsformulare zu finden. Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Madrid (Abb. 59–62).

Winckelmannfeier 10. Dezember Hans Joachim Gehrke (Präsident des DAI), Antike Raumvor- stellungen und Römischer Imperialismus (Abb. 63). Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Madrid (Abb. 63).

Abb. 63 Der Präsident des DAI, Hans- Joachim Gehrke, mit der Ersten Direktorin Veröffentlichungen der Abteilung Madrid, Dirce Marzoli, bei der Winckelmannfeier 2008 Madrider Mitteilungen 49, 2008 Madrider Beiträge 29: M. Griepentrog, Mulva V. Die vormunizipale Besiedlung Madrider Beiträge 30: F. Arnold, Der islamische Palast auf der Alcazaba von Almería J. Maier – Th. G. Schattner (Hrsg. der spanischen Übersetzung), E. Hübner, Las Colecciones de Arte Antiguo en Madrid Anejos de Archivo Espanol de Arqueología 49 (veröffentlicht gemeinsam mit dem Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Madrid): L. Arias Pára- mo, Geometría y Proporción en la arquitectura prerománica Asturiana Studia Lusitana 3 (veröffentlicht gemeinsam mit dem Museo Nacional de Arte Romano, Mérida): F. Teichner, Zwischen Land und Meer. Architektur und Wirtschaftsweise ländlicher Siedlungsplätze im Süden der römischen Pro- vinz Lusitanien (Portugal)

Sonstiges

Im Laufe des Jahres wurden Kooperationsverträge mit dem Museo Arqueo- logico de Alicante und dem Institut d’Arqueologia Clássica de Catalunya geschlossen.

AA-2009/1 Beiheft Mitglieder der Kommission der AEK

Die Direktoren der AEK Palme, Bernhard, Prof. Dr. Der Präsident Universität Wien Kobler Martin, MD Institut für Alte Geschichte und Alter- Auswärtiges Amt, Leiter der Kultur- tumskunde, Papyrologie und Epigraphik und Kommunikationsabteilung Dr. Karl-Lueger-Ring 1 Werderscher Markt 1 A-1010 Wien D-10117 Berlin Rebenich, Stefan, Prof. Dr. Dietz, Karlheinz, Prof. Dr. Universität Bern Julius-Maximilians-Universität Historisches Institut, Unitobler Lehrstuhl für Alte Geschichte Länggassstrasse 49 Residenzplatz 2, Tor A CH-3000 Bern 9 D-97070 Würzburg Schmitz, Winfried, Prof. Dr. Eck, Werner, Prof. Dr. Rheinische-Friedrich-Wilhelms- Universität zu Köln Universität Institut für Altertumskunde, Philosophische Fakultät, Seminar für Alte Geschichte Alte Geschichte Albertus-Magnus-Platz Am Hof 1e D-50923 Köln D-53113 Bonn Funke, Peter, Prof. Dr. Weiß, Peter, Prof. Dr. Westfälische Wilhelms-Universität Christian-Albrechts-Universität Seminar für Alte Geschichte, FB 7 Abteilung Alte Geschichte, Institut für Domplatz 20–22 Klassische Altertumskunde D-48143 Münster Leibnizstr. 8 Jehne, Martin, Prof. Dr. D-24118 Kiel Technische Universität Dresden Zimmermann, Martin, Prof. Dr. Lehrstuhl für Alte Geschichte Ludwig-Maximilians-Universität Mommsenstr. 13 Abteilung Alte Geschichte, D-01069 Dresden Historisches Seminar Leppin, Hartmut, Prof. Dr. Geschwister-Scholl-Platz 1 Johann-Wolfgang Goethe-Universität D-80539 München Abteilung für Alte Geschichte, Histori- Buchner, Edmund, Prof. Dr. sches Seminar, FB 08 Präsident i. R. Grüneburgplatz 1 Nadistr. 14 D-60323 Frankfurt a. M. D-80809 München (ohne Votum) Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik

Kommission für Alte Geschichte und Direktoren Epigraphik PD Dr. Christof Schuler, Erster Direktor Prof. Dr. Rudolf Haensch, Wissenschaftlicher Direktor Amalienstr. 73b D-80799 München Wissenschaftliche Mitarbeiter Tel.: +49-(0)89-28 67 67-60 PD Dr. Helmut Müller, Prof. Dr. Johannes Nollé, Dr. Peter Rothenhöfer, Fax: +49-(0)89-28 67 67-80 Dr. Jérémie Chameroy (ab 1. 5.) E-Mail: [email protected] Wissenschaftliche Hilfskräfte Mag. phil. Roland Färber, Simone Killen M. A., Sandra Scheuble M. A., Stefanie Schmidt M. A. (14. 4. bis 30. 9.)

Aus Drittmitteln finanzierte Stelle Dr. Andreas Victor Walser (DFG)

Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik

Forschungen

Corpus der Urkunden der Römischen Herrschaft In diesem Jahr erfolgte die Drucklegung der umfangreichen Akten einer Kon- ferenz über Gründe und Charakteristika der für die Antike so typischen Prä- sentation römischer Staatsurkunden auf Stein oder Bronze. Neben Beiträgen, die diese Fragen erstmals systematisch erörtern, enthält der Band auch Erstedi- tionen einschlägiger Urkunden, darunter ein Edikt zum öffentli- chen Transportwesen des Römischen Reiches. Die Gemeinden des Reiches waren nämlich verpflichtet, Reisenden, die in staatlichem Auftrag unterwegs waren und dies durch eine Urkunde belegen konnten, Verkehrsmittel, Ver- pflegung und Unterkunft zum Teil unentgeltlich, zum Teil gegen eine festge- setzte Bezahlung zu gewähren. Das System war für die römische Herrschaft unentbehrlich, um eine schnelle Nachrichtenübermittlung zu gewährleisten und frühzeitig auf militärische Gefahren reagieren zu können, gab aber auch ständigen Anlass zu Streitigkeiten und Beschwerden. Einerseits versuchten die in offiziellem Auftrag reisenden Funktionsträger häufig, mehr einzufordern, als ihnen zustand. Da es sich um Soldaten oder um Autoritäten wie Statthalter und höhere Offiziere handelte, verfügten sie dabei über Machtmittel, denen sich die Bevölkerung nicht leicht widersetzen konnte. Andererseits neigten die Provin- zialen dazu, die auferlegten Leistungen möglichst nur mit minimalem Aufwand zu erbringen, also z. B. nur Reittiere minderer Qualität bereitzustellen. In diesem Zusammenhang bietet das Edikt Hadrians wichtige neue Infor- mationen über Probleme und Lösungsversuche (Abb. 1). Das Dokument stammt aus dem Friedensjahr 129 n. Chr. und reagierte auf Klagen, die Hadrian bei seiner Reise durch die Provinz Asia in diesem Jahr hören musste. Wenn es schon in solchen verhältnismäßig ruhigen Umständen immer wieder zu Rei- bereien kam, müssen in Krisenzeiten, die von permanenter Kriegführung und Truppenverlegung geprägt waren, weit häufigere und gravierendere Probleme

Abb. 1 Urkunden der Römischen Herrschaft, Edikt Hadrians gegen den Missbrauch des öffentlichen Transport- systems (129 n. Chr.). Oberer Teil eines sog. Abklatsches, eines Papierabdrucks der Inschrift

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aufgetreten sein. Das Edikt belegt einerseits bekannte Phänomene: Soldaten forderten häufig Führer an, um Orte zu erreichen, die nicht an den großen Straßen lagen und in denen man eine bessere Versorgung erwartete als an den üblichen Stationen. Hadrian unterband diesen Missbrauch entschieden und erlaubte einen Führer nur noch, sofern die Wege durch starken Schneefall nicht mehr zu erkennen waren. Weniger überzeugend ist die Aufforderung des Kaisers an die Provinzialen, unrechtmäßige Forderungen schlicht abzu- lehnen, da sie allzusehr an den tatsächlichen Machtverhältnissen vorbeiging. Wenn Hadrian zudem anordnete, die Namen von Übeltätern über die römi- schen Autoritäten der jeweiligen Provinz an ihn selbst weiterzuleiten, so ist dies zwar verständlich, weil die Durchreisenden häufig Missionen in anderen Provinzen zu erledigen hatten und dem lokalen Statthalter nicht unterstan- den. Dieses Verfahren dürfte aber die praktische Konsequenz gehabt haben, dass Übergriffe nur mit erheblichem Aufwand verfolgt werden konnten und Beschwerden oft im Sande verliefen. Das neue Edikt offenbart aber nicht nur in dieser Hinsicht Schwächen des Systems. Es bezeugt auch erstmals für die Hohe Kaiserzeit den Transport größerer Geldmengen zwischen verschiede- nen römischen Kassen. Die Notwendigkeit derartiger Transporte im Rahmen eines Finanzwesens ohne größeres Überweisungssystem mag noch einleuch- ten. Aber war es nötig, diese Transportorganisation auch für die Expedierung seltener Tiere zu benutzen, wie das Edikt ebenfalls erstmals für die Hohe Kaiserzeit belegt? Dabei bleibt offen, ob diese Tiere für Spiele in Rom oder Jagden des Kaisers bestimmt waren. Hier scheint der Kaiser selbst der Gefahr erlegen zu sein, eine aus Gründen des Machterhalts notwendige Organisation mit zusätzlichen Aufgaben zu belasten, die der ursprünglichen Intention fremd waren und in ihrer Anhäufung die ohnehin strukturell angelegten Probleme noch verschärfen mussten. Ansprechpartner: R. Haensch, S. Scheuble • Abbildungsnachweis: T. Hau- ken (Abb. 1).

Forschungen zur lokalen Münzprägung Kleinasiens und der Nachbarräume Mit dem Namen Edirnes werden heute vor allem die Moscheen des Architek- ten Sinan und die Rolle der Stadt als erste europäische Kapitale der Osmanen verbunden. Weniger bekannt ist, dass die am Zusammenfluss dreier Flüsse ver- kehrsgünstig gelegene thrakische Metropole im europäischen Teil der Türkei schon in der Antike eine große Bedeutung besaß (Abb. 2). Allerdings ist recht wenig über die antike Frühgeschichte der Stadt bekannt. Ihre Neugründung verdankt sie dem römischen Kaiser Hadrian, der sie im Jahre 123/124 n. Chr. bei einem Feldzug gegen die Skythen mit einer Ringmauer umgab. Die Stadt hieß seitdem ; aus der Kurzform Adrianu hat sich ihr heutiger Name entwickelt. Bisher nicht ernst genommen wurde die nur in späten und unzuverlässigen Quellen überlieferte Tradition, dass Hadrianopolis eine Vor- läuferin namens Orestias gehabt habe. Eine genaue Untersuchung der in der römischen Kaiserzeit von Hadrianopolis geprägten Münzen ergibt aber, dass die Stadt sich damals tatsächlich als Gründung des griechischen Heroen Orest stilisierte. Bronzemünzen, die dies bezeugen, sind schon seit langem bekannt, aber bisher nicht richtig gedeutet worden: Unter Kaiser Gordian III. (238–244 n. Chr.) emittierte Hadrianopolis ein Geldstück, auf dem drei Personen dar- gestellt sind, zwei Männer in heroischer Nacktheit und in ihrer Mitte eine verschleierte Frau. Umgeben ist diese Dreiergruppe von drei Flussgöttern. Der vordere Mann hält eine Opferschale in seiner Rechten (Abb. 3). Bislang waren alle Numismatiker davon ausgegangen, dass es sich bei den Dargestell- ten um Orpheus und Eurydike handele und der dritte Mann Hermes sei, der

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Abb. 2 Lokale Münzprägung Kleinasiens, Hadrianopolis und Umgebung. Die Stadt liegt am Zusammenfluss dreier Flüsse und am Kreuzungspunkt mehrerer wichtiger Straßen

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Lokale Münzprägung Kleinasiens die Gattin des Orpheus wieder in die Unterwelt zurückbringen musste. In der Antike ist jedoch die Darstellung des Orpheus in heroischer Nacktheit Abb. 3 Bronzemünze von Hadrianopolis ganz und gar unüblich, und die Bedeutung der drei Flüsse in dieser Szenerie aus der Zeit Gordians III. (238–244 n. Chr.). Vorderseite: Drapierte Büste des Kaisers bliebe in Zusammenhang mit diesem Mythos unerklärlich. Vollends gegen mit Strahlenkrone n. r. Rückseite: Die die bisherige Deutung spricht aber, dass die weibliche Gestalt zwischen den Dreiergruppe von Orest, Iphigenie mit der beiden Heroen eine Statuette im Arm trägt. Bei den abgebildeten Personen Statuette der Artemis Tauropolos handelt es sich demnach um Orest, seine Schwester Iphigenie mit der aus Tau- und Pylades ris entwendeten Statue der Artemis Tauropolos und um Pylades, den treuen Abb. 4 Bronzemünze von Philadelpheia Vetter und Freund des Orestes. Mehrere Dutzend Städte der griechischen in Lydien aus der Zeit des Kaisers Decius Welt behaupteten, dass die drei Heroen auf ihrer Flucht aus dem Land der (249–251 n. Chr.). Vorderseite: Drapierte Taurer bzw. Skythen zu ihnen gekommen seien und das hochheilige Bildnis Büste des Kaisers mit Lorbeerkranz n. r. Rückseite: Iphigenie mit der Statuette der der taurischen Artemis bei ihnen zurückgelassen hätten. Einige von diesen Artemis Tauropolos, Orest und Pylades, im Städten prägten zur Erinnerung daran wie Hadrianopolis Münzen mit einer Hintergrund Tempel vergleichbaren Szenerie (Abb. 4). Das thrakische Hadrianopolis gehörte aber nicht nur zu jenen Städten, die behaupteten, dass ihr bedeutender Artemiskult Abb. 5 Bronzemünze von Hadrianopolis aus der Zeit des Kaisers Caracalla (211–217 auf Orest und Iphigenie zurückgehe (Abb. 5), sondern war überdies stolz dar- n. Chr.). Rückseite: Artemis Tauropolos auf auf, dass die drei Heroen beim Zusammenfluss der auf der Münze evozierten einem Stier reitend drei Flüsse (Hebros/Meriç/Maritza; Artakes/Arda; Tonzos/Tunca) die nach Orest benannte Stadt Orestias gegründet hatten. Deshalb sind die drei Fluss-

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götter auf der Münze dargestellt, deshalb hält Orest, der das Gründungsopfer darbringt, eine Opferschale in seiner Hand. Die Münze bestätigt also, dass der Mythos von einer Gründung der Stadt durch Orest in der Kaiserzeit tatsäch- lich kursierte. Über die historische Entwicklung der Vorgängersiedlung von Hadrianopolis lässt sich mangels zuverlässiger Nachrichten nur spekulieren. Es ist gut möglich, dass bei den Balkanfeldzügen Philipps von Makedonien eine Gruppe von Makedonen aus der Landschaft Orestias dort angesiedelt wurde und die Stadt nach ihrer Heimat benannte, während später zur Erklärung des Stadtnamens der Mythos von der Gründung durch Orest aufkam. Ansprechpartner: J. Nollé • Abbildungsnachweis: J. Nollé (Abb. 2); Auktion Lanz 97 (München 2000) Nr. 855 (Abb. 3); P. R. Franke – M. K. Nollé, Die Homonoia-Münzen Kleinasiens und der thrakischen Randgebiete I. Katalog (Saarbrücken 1997) 175 Nr. 1729 (Abb. 4); J. Jurukova, Монетосеченето на градовете в долна Мизия и Тракия II-III в. Хардианопол (Sofija 1987) Nr. 370 auf Taf. 35 (Abb. 5).

Pergamon (Türkei) Zu den bedeutendsten inschriftlichen Zeugnissen des kaiserzeitlichen Per- gamon zählt eine 1885 gefundene und zuerst durch Theodor Mommsen im Corpus Inscriptionum Latinarum (III Suppl. Nr. 7086), dann durch Max Fränkel in den Altertümern von Pergamon (VIII 2 Nr. 269, Abb. 6) publi- zierte, oben und unten gebrochene Marmorplatte. Sie enthält neben einem lateinisch abgefassten Beschluss des römischen Senats einen Auszug aus den Dienstanweisungen (mandata) des Kaisers Trajan an den Statthalter der Provinz Asia sowie einen Brief desselben Herrschers an die Pergamener. Gemeinsa- mes Thema dieser Schriftstücke sind die Privilegien des neuen Agons, der auf Initiative und Kosten des C. Antius Aulus Iulius Quadratus, eines pergameni- schen Bürgers, zweimaligen römischen Konsuls, ehemaligen Prokonsuls von Asia und engen Freundes des Kaisers, anlässlich der Gewährung eines zweiten von der gesamten Provinz getragenen Kaisertempels an Pergamon, den des Trajan und des Zeus Philios, eingerichtet wurde. Unter den Fundstücken aus der Freilegung der monumentalen Substruk- tionen, die der partiellen Anastylose dieses Tempels (des sog. Trajaneums) durch das DAI vorausgingen, konnten drei Fragmente als Teile einer zwei- ten inschriftlichen Kopie dieser Dokumentensammlung identifiziert werden. Vier weitere, unerkannt schon in den Altertümern von Pergamon veröffent- lichte Bruchstücke ließen sich ebenfalls dieser Aufzeichnung zuordnen. Daraus ergibt sich, dass in der fragmentarisch zu Beginn der altbekannten Inschrift er- haltenen Urkunde nicht, wie seit Mommsen stets angenommen, ein Begleit- schreiben des amtierenden Prokonsuls von Asia zu erkennen ist, sondern ein weiterer Brief Trajans (Abb. 7). Dessen Datierung in das Jahr 115 n. Chr. zeigt, dass der pergamenische Gesandte Catilius Cassianus – ein, wie jetzt ebenfalls klar wird, in späteren Jahren im heimischen Asklepieion für seine tadellosen Manieren gepriesener Mann – dem Kaiser auf seinem Feldzug gegen die Parther bis ins nordmesopotamische und kurdische Kriegsgebiet folgte. Cas- sianus dürfte zur Familie des L. Catilius Severus gehört haben, eines weiteren Vertrauten Trajans (und später Hadrians), der eben zu dieser Zeit als kaiserli- cher Statthalter eines aus Kappadokien und dem gerade eroberten Armenien zusammengefügten Provinzkonglomerats fungierte. Die Pergamener wie auch der Gesandte selbst werden sich von dem mächtigen und einflussreichen Ver- wandten nicht nur eine besonders warme Empfehlung beim Kaiser, sondern auch fürsorgliche logistische Unterstützung bei der gefahrvollen Reise durch noch keineswegs endgültig befriedetes Gebiet versprochen haben. Mindes-

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Pergamon (Türkei) tens zwei weitere Gesandtschaften zu dem Krieg führenden Trajan müssen im gleichen und im nächsten Jahr noch gefolgt sein. Die hektische Intensität Abb. 6 Faksimilezeichnung eines Urkun- dieser Bemühungen unter schwierigsten Bedingungen verdeutlicht, für wie dendossiers mit einem Brief des Kaisers Trajan, einem römischen Senatsbeschluss dringlich die Pergamener die aus der Gewährung des neuen Agons resultie- sowie einem Auszug aus den Dienstanwei- renden Probleme erachteten; seine Privilegien müssen von den in der Provinz sungen für den Statthalter der Provinz Asia um Rang und Ansehen konkurrierenden Städten stets aufs Neue angefochten und einem weiteren Schreiben des Kaisers worden sein. Dass Trajan sich auch im Feldlager wieder und wieder auf diese an die Pergamener Fragen einließ, erhellt schlaglichtartig und exemplarisch die diplomatischen Abb. 7 Fragmente einer weiteren Auf- Kommunikationsmechanismen der Epoche ebenso wie die Regierungspraxis zeichnung dieses Urkundendossiers mit eines römischen Kaisers. dem ersten Brief Trajans an die Pergamener Kooperationspartner: DAI, Abteilung Istanbul, Pergamongrabung (F. Pir- und dem Beginn des Senatsbeschlusses son) • Ansprechpartner: H. Müller • Abbildungsnachweis: AvP VIII 2, S. 204 (Abb. 6); DAI, Abteilung Istanbul, Pergamon-Grabung 87/124–4, E. Steiner (Abb. 7).

Lykien (Türkei) Die Kommission ist seit Jahrzehnten an Feldforschungen in der antiken Land- schaft Lykien im Südwesten der Türkei beteiligt und liefert kontinuierlich Beiträge für das von der Kleinasiatischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien herausgegebene Corpus Tituli Asiae Minoris. In Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München wurden von 1999 bis 2002 die Inschriften von Tyberissos und Timiussa aufge- nommen. Die beiden benachbarten Siedlungen liegen am östlichen Rand des Territoriums von , einer der bedeutendsten Poleis Lykiens, und waren geographisch und politisch eng miteinander verbunden. Beide Orte werden in der antiken Literatur nicht erwähnt, so dass ihre Geschichte ausschließlich

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Lykien (Türkei)

Abb. 8 Sarkophag in Tyberissos auf dem Territorium der Polis Myra

Abb. 9 Tyberissos, kaiserzeitliche Sarko- phaginschrift (ca. 2. Jh. n. Chr.)

aus dem archäologischen Befund und den Inschriften rekonstruiert werden kann. Im Rahmen der Feldforschungen wurden von einem Team von Alt- historikern, Archäologen, Architekten und Vermessern alle an der Oberfläche sichtbaren Überreste aufgenommen, darunter auch rund 90 Inschriften, die in ihrer großen Mehrheit von den hellenistischen und kaiserzeitlichen Sarko- phagen stammen, die sich in beiden Siedlungen in großer Zahl erhalten haben (Abb. 8. 9). Im Jahr 2008 wurde die Lesung und Kommentierung der meist umfangreichen Sarkophaginschriften vorangetrieben. Diese dienten nicht der Kommemoration der in einem Grab bestatteten Personen, sondern waren

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juristische Texte, die über Eigentums- und Nutzungsrechte Auskunft gaben. Um widerrechtliche Bestattungen zu verhindern, drohten die Eigentümer der Gräber Geldstrafen an, die meist an die Polis zu zahlen waren und von jeder- mann eingeklagt werden konnten. Wer eine solche Anzeige vorbrachte, erhielt einen Teil der fälligen Buße als Belohnung. Zwei späthellenistische Sarko- phaginschriften aus Tyberissos und Timiussa bieten nun erstmals ein Formu- larelement, das ein neues Licht auf die Eintreibung solcher Grabbußen wirft. Danach sollte die Vollstreckung (praxis) »in ganz Lykien und nach jedem belie- bigen Gesetz oder Verfahren« erfolgen. Mit »ganz Lykien« kann nur der geo- graphische Raum der Bundesorganisation gemeint sein, in dem die lykischen Poleis zusammengeschlossen waren. Die Klausel setzt voraus, dass jeder Lykier in allen Mitgliedsstädten des Bundes Zugang zum Gerichtswesen hatte und die Vollstreckung von Strafen erwirken konnte, die anderswo verfügt worden waren. Dies war keine Selbstverständlichkeit im Rechtsverkehr zwischen den Poleis und weist auf einen erheblichen Integrationsgrad innerhalb des lyki- schen Bundes hin, der auch im Vergleich mit anderen Bundesorganisationen bemerkenswert ist. Obwohl aus Lykien bereits Hunderte von Grabinschriften dieses Typus vorliegen, können Neufunde jederzeit solche Einblicke in vorher unbekannte Aspekte des Verfahrensrechts liefern. Die Inschriften zeigen näm- lich nur kleine Ausschnitte eines komplexen Verfahrens, das den Zeitgenossen selbstverständlich bekannt war und nicht im Detail beschrieben zu werden brauchte. Ausführlicher formulierte Texte beschreiben deshalb immer wieder Verfahrensschritte, die sonst in der Regel nicht angegeben wurden. Darüber hinaus liefern die Sarkophaginschriften von Tyberissos und Timiussa auch besonders reichhaltige Informationen zur Onomastik, zur Sozialstruktur und zur kommunalen Organisation der lokalen Gemeinden. Kooperationspartner: Kleinasiatische Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; M. Zimmermann (Ludwig-Maximilians-Uni- versität München) • Ansprechpartner: Ch. Schuler • Abbildungsnachweis: Projekt »Hafen und Hinterland« der Ludwig-Maximilians-Universität Mün- chen, M. Zimmermann (Abb. 8); Ch. Schuler (Abb. 9).

Die Katökenreiter und ihre Vorläufer im ptolemäischen Ägypten Das zentrale Machtinstrument des ptolemäischen Königshauses war das Heer. Denn als nach dem Tod Alexander des Großen 323 v. Chr. einer seiner Gene- räle, der Makedone Ptolemaios, Ägypten während der Nachfolgekämpfe für sich gesichert und die ptolemäische Dynastie (323–30 v. Chr.) begründet hat- te, musste er sich, um den Fortbestand seines Reiches zu sichern, gegenüber den anderen Diadochen in einer Serie von Kriegen behaupten. Gleichzeitig stellte aber auch sein Stammland Ägypten einen potentiellen Gefahrenherd dar, denn es war und blieb eine Eroberung, die gesichert werden musste. Da der Unterhalt eines Söldnerheeres allein auf finanzieller Basis auf Dauer den Staat ruiniert hätte, stattete Ptolemaios griechisch-makedonische Einwande- rer mit einem Landlos (griech. kleros) als wichtigster Versorgungsleistung aus. Dementsprechend wurden diese Soldaten Kleruchen genannt. Die kleroi wa- ren ursprünglich nur eine Leihgabe, da sie nach dem Tode des Soldaten an die Krone zurückgingen. Aber bereits Ende des 3. Jhs. v. Chr. setzte eine Entwick- lung hin zum Eigentum ein. Zuerst konnte der kleros nur an den ältesten Sohn vererbt werden, der den Platz des Vaters im Militär einnahm, aber am Ende der Ptolemäerzeit waren sogar Frauen kleros-Besitzer. Durch die Übertragung von kleroi waren die Kleruchen nicht mehr nur Soldaten, sondern wurden zu Landesbewohnern und den mitunter größten Landbesitzern im ptolemäischen Ägypten. Denn Reiter wurden mit kleroi von bis zu 100 Aruren (ca. 27,60 ha)

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angesiedelt und stellten somit einen wichtigen wirtschaftlichen Faktor inner- halb des Ptolemäerreiches dar. Die Einwanderer pflegten ihren griechischen Lebensstil auch weiterhin, indem sie zentrale Institutionen ihrer Heimat wie das Gymnasion mit in das Land am Nil brachten. Es ist selbstverständlich, dass das Zusammenleben einer privilegierten Min- derheit von Zuwanderern mit einer unterdrückten Mehrheit von Einheimi- schen zu Spannungen führt. Die alltäglichen Probleme, die sich aus einem solchen Miteinander ergaben, fassen wir in zahlreichen Beschwerdebriefen vor allem an den König (Abb. 10). Andererseits konnten und wollten sich die Ethnien aber auch nicht völlig gegeneinander abschließen. So beobachten wir bereits gegen Ende des 3. Jhs. v. Chr. Ehen zwischen Griechen und Ägypterinnen und umgekehrt ebenso wie Weihungen griechischer Militärs an ägyptische Gottheiten, als deren Pries- ter die Soldaten teilweise sogar agierten. Derartige Tendenzen mussten sich noch einmal entschieden verstärken, als seit 217 v. Chr. auch vermehrt Ägypter in die militärische Kleruchie aufgenommen wurden. Diese mussten, wenn sie in Militär oder Administration Karriere machen wollten, nicht nur die griechische Sprache erlernen, sondern auch griechische Namen und eine rein fiktive Her- kunft annehmen: So konnte etwa aus einem Ägypter namens Nektsaphthis, Sohn des Petosiris, als er unter die Katökenreiter befördert wurde, der Make- done Maron, Sohn des Dionysios, werden. Mit dieser Namensänderung ging auch eine steuerliche Privilegierung als sog. Steuergrieche einher. Über die Analyse der militärischen Strukturen soll die Bedeutung dieser Kavallerieeinheiten für die ptolemäische Wirtschaft und die kulturelle Inter- aktion zwischen Einwanderern und Einheimischen eruiert werden. Derartige Fragen sind nicht nur für die Geschichte des ptolemäischen Ägypten von Interesse, sondern auch für die der übrigen hellenistischen Reiche, bei denen wir uns mit einer weitaus geringeren Quellenmenge bescheiden müssen. Ver- gleiche mit den spärlichen Nachrichten zu den Heeren der übrigen Diado- chen können zumindest vereinzelt Aufschluss über Unterschiede oder paralle- le Erscheinungen in Heeres- und womöglich auch Landesverwaltung geben. Derart detaillierte Untersuchungen sind nur möglich, da wir für Ägypten über ein exzeptionell reiches Quellenmaterial verfügen, vornehmlich Papyri und Ostraka (beschriebene Tonscherben), und zwar in griechischer wie auch ägyp- tischer Sprache. Dank des Wüstenklimas sind mehr als 6500 griechische Papyri Abb. 10 Die Katökenreiter und ihre und mehr als 1000 Ostraka allein aus ptolemäischer Zeit erhalten, die einen Vorläufer im ptolemäischen Ägypten, einmaligen Einblick in Verwaltung und Alltagsleben auf dem Land bieten. P. Köln III 140 (244–242 v. Chr. oder 219–217 v. Chr.). Anzeige des 70-Aruren-Kleruchen Ansprechpartnerin: S. Scheuble • Abbildungsnachweis: P. Köln III 140 Ptolemaios gegen den Ägypter Harchebis. (), mit freundlicher Genehmigung der Kölner Papyrus- erbsenfeld des Ptolemaios weiden lassen Sammlung, R. Daniel (Abb. 10). und dessen Hirten verprügelt

Wissenschaftliche Veranstaltungen

Vorträge 11. Januar Péter Kóvács (Piliscsaba), Das Regenwunder Marc Aurelsxxx1. Fe- bruar Pierre Fröhlich (Paris), Les notables et le prêt aux particuliers dans les cités hellénistiques. La face cachée de l’évèrgétismexxx18. April Paul Schubert (Genf), Comment prédire le destin des hommes par la position des planètes? Réflexions sur l’histoire des mentalités à partir d’un papyrus de Genèvexxx30. Mai Oliver Stoll (Passau), Tirones Asiani. Zur Praxis der Aushebung und zur Kom- mandierung von Rekruten in der Römischen Armee der Kaiserzeitxxx6. Ju-

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ni Claude Eilers (Hamilton), Hasmonean Diplomacy in the Late Second Cen- tury. The Decree of Pergamum (Josephus, AJ 14. 247–55)xxx27. Juni Patrick Le Roux (Paris), Le pagus dans la péninsule Ibérique: à propos de la lex rivi Hiberiensisxxx18. Juli Anne Kolb (Zürich), Der römische Kaiser und der Tod. Überlegungen zur Todesdarstellung und ihrer Bedeutungxxx31. Okto- ber Willy Clarysse (Leuven), Incestuous Marriages between Full Brother and Sister in Roman Egypt?xxx14. November Ulrike Ehmig (Mainz), Alles im grünen Bereich. Grüne Oliven, Grünspan und weitere 200 Pinselaufschriften aus der Kölner U-Bahn-Grabungxxx21. November Festvortrag anlässlich des 85. Geburtstages von Edmund Buchner (Präsident des DAI i. R.): Ulrike Wulf-Rheidt (Berlin), Das Zentrum der Macht. Neue Forschungen zu den Kaiserpalästen auf dem Palatin in Rom.

Fachwissenschaftlicher Kurs 23./24. Oktober Walter Scheidel (Stanford), Antike Demographie.

Veröffentlichungen

Chiron 38, 2008 Sylloge Nummorum Graecorum, Deutschland: Universitätsbibliothek Leipzig, 2. Band Vestigia 58: S. Schmidt-Hofner, Reagieren und Gestalten Vestigia 59: A. V. Walser, Bauern und Zinsnehmer Vestigia 60: A.-C. Harders, Suavissima Soror. Untersuchungen zu den Bruder- Schwester-Beziehungen in der römischen Republik

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Orient-Abteilung

Orient-Abteilung Direktor und Direktorin Prof. Dr. Ricardo Eichmann, Erster Direktor Podbielskiallee 69–71 Dr. Margarete van Ess, Wissenschaftliche Direktorin D-14195 Berlin Tel.: +49-(0)3018 7711-0 Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Fax: +49-(0)3018 7711-189 Dr. Claudia Bührig, Julia Nador M. A. (1. 10. bis 31. 12.), Prof. Dr. Klaus Schmidt, E-Mail: [email protected] Frank Voigt M. A.

Wissenschaftliche Hilfskräfte Sandra Feix M. A., Miriam Kühn M. A. (bis 15. 7.), Susanne Kuprella M. A. (ab 1. 10.), Kristina Pfeiffer M. A.

Aus Drittmitteln finanzierte Stellen Dr. Claudia Beuger (DFG), Dipl.-Ing. Dorothea Bodenmüller (DFG, bis 30. 4.), Dr. Bettina Fischer-Genz (DFG), Dr. Thomas Götzelt (DFG), Dr. Rüdiger Gogräfe (Fritz Thyssen Stiftung), Hanna Hamel M. A. (DFG, ab 1. 4.), Dr. Arnulf Hausleiter (DFG), Dr. Andrea Intilia (DFG), Florian Klimscha M. A. (DFG), Dipl.-Ing. Jan Krumnow (DFG), Dipl.-Ing. Ulrike Siegel (DFG), Judith Thomalsky M. A. (DFG), Holger Wienholz M. A. (DFG)

Außenstellen der Orient-Abteilung

Außenstelle Baghdad Außenstelle Baghdad zurzeit nicht besetzt, daher vorübergehende Podbielskiallee 69–71 Postadresse und Kontaktdaten über die Orient-Abteilung in Berlin D-14195 Berlin wie nebenstehend. Tel.: +49-(0)3018 7711-0 Fax: +49-(0)3018 7711-189 E-Mail: [email protected]

Außenstelle Damaskus Leiterin 8, Malki Street PD Dr. Karin Bartl POB 11870 Damaskus/Syrien Wissenschaftliche Mitarbeiterin Tel.: +963-(0)11-374 98 12-0, 374 98 13-0 Dr. Franziska Bloch Fax: +963-(0)11-374 98 12-9, 374 98 13-9 E-Mail: [email protected] Wissenschaftliche Hilfskräfte Alexander Ahrens M. A. (ab 1. 10.), Marko Dörfling M. A. (bis 30. 6.), Dörte Rokitta-Krumnow M. A.

Außenstelle Sana’a Leiterin c/o Embassy of the Federal Republic of Dr. Iris Gerlach Germany POB 2562 Aus Drittmitteln finanzierte Stellen Sana’a/Republik Jemen Dr. Sarah Japp, Dipl.-Ing. Mike Schnelle Tel.: +967-(0)1-287 175/177-0 Fax: +967-(0)1-485 213 E-Mail: [email protected]

Orient-Abteilung

Ausgrabungen und Forschungen

Baalbek (Libanon) In Baalbek, in der nördlichen Beqaa-Ebene zwischen den Gebirgen Libanon und Antilibanon gelegen, wurde in der hellenistischen und insbesondere der römischen Zeit ein Siedlungsort zum monumentalen Heiligtum ausgebaut, der in das 8. Jt. v. Chr. zurückgeht. Die seit 2001 in verschiedenen Bereichen der antiken und modernen Stadt durchgeführten archäologischen und bau- historischen Untersuchungen konnten in diesem Jahr trotz nach wie vor in- stabiler politischer Situation fortgesetzt werden. Im Jupiter-Heiligtum erbrachten intensive Reinigungsarbeiten an der mo- numentalen Treppe vom Altarhof zum Jupiter-Tempel den Nachweis einer Umgestaltung der Treppe in der römischen Kaiserzeit, die mit der im letzten Jahr nachgewiesenen Zweiphasigkeit des älteren kaiserzeitlichen Heiligtums- bereiches korreliert werden kann. Im Ostbereich des Altarhofes wurde die Ab- folge prärömischer Fundamentmauern und Treppenreste, die den älteren Sied- lungshügel versiegeln, abschließend dokumentiert. Auch die Gestaltung und konstruktive Anbindung des Hexagonalhofes an den älteren Altarhof wurde detailliert untersucht sowie der Versuch unternommen, alle in situ-Befunde von jüngeren Umbauten und Rekonstruktionen zu trennen (Abb. 1). Im sog. Venus-Gebiet wurde mit einer weiteren Sondage durch den Peri- -Bereich sowie mit der weiteren Dokumentation des von den Bauwer- ken stammenden, jedoch nicht mehr in situ verbauten Bauschmucks die Bau- aufnahme abgeschlossen. Trotz massiver Veränderungen, insbesondere aus dem arabischen Mittelalter, aber auch der ausgehenden osmanischen Zeit, ist die Bauabfolge des Peribolos nun weitgehend rekonstruierbar. Im Bereich des »Bustan el Khan«, am südöstlichen Stadtrand von Baalbek gelegen, waren in den letzten Jahren ein Podiensaal – in Form eines lang gestreckten Peristylgebäudes – und eine Therme identifiziert und in Plänen Abb. 1 Baalbek (Libanon), Südseite des Jupiter-Tempels. Dokumentation des in situ dokumentiert worden. Die Dokumentation von Hunderten von antik ver- befindlichen Baubestandes brannten Baufragmenten wurde inzwischen weitgehend abgeschlossen und

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damit – trotz extrem schlechten Zustandes – eine viel versprechende Basis für Abb. 2 Baalbek (Libanon), Bustan Nassif. die Rekonstruktion der ersten Hauptbauphase des Podiensaales gelegt. Eine Über die photogrammetrische 3D-Auswer- Analyse des Geländes durch Geoelektrik-Profile ergab Hinweise, dass der tung historischer Aufnahmen kann der Bestand der osmanischen Bebauung Grundriss der Therme in der Antike wesentlich verändert wurde. Mehrere der Stadt rekonstruiert werden archäologische Sondagen sowie umfassende Reinigungsarbeiten der Außen- und Eckbereiche der Therme ergaben den Nachweis, dass diese – wohl in der Spätantike – nicht nur verkleinert, sondern auch in ihrem repräsentati- ven Eingangsbereich völlig umgestaltet wurde. Nordöstlich des Bustan el Khans liegt, auf das Gelände des sog. Venus-Ge- bietes zuführend, der Bereich »Bustan Nassif«. Hier sind großflächig mamlu- kische und osmanische Wohnviertel, ein mamlukisches Bad sowie Reste der mittelalterlichen Stadtmauer erhalten. Das Viertel befindet sich über einer – wohl spätantiken – Kolonnadenstraße, die auf das Jupiter-Heiligtum zuführt. Sowohl zur detaillierteren Funktionsbestimmung dieser Viertel als auch zur Definition mamlukischer und osmanischer architektonischer Konstruktions- details wird dieser Bereich gereinigt und dokumentiert. Forschungsziel ist, das Weiterwirken antiker und spätantiker Stadtstrukturen bis in die osmanische Zeit nachzuvollziehen (Abb. 2). Anhand von sechs zwischen 94 m und 470 m langen Geoelektrikprofilen konnten die Eigenschaften des Grundgesteins im Bereich des Jupiter-Heilig- tums, des sog. Venus-Gebietes, des Bustan Nassifs und des Bustan el Khans ana- lysiert und dargestellt werden (Abb. 3). Die Täler der von Ras el Ain bzw. Ain Juj kommenden Quellbäche hatten lange vor menschlicher Besiedlung des Ortes tiefe Schluchten gebildet, die zwar aufsedimentiert, wahrscheinlich aber noch in frührömischer Zeit deutlicher als Schlucht sichtbar waren als heute. Weite Teile des Geländes weisen offensichtlich sehr karstige Bereiche auf; die Tempel nutzen bestimmte Felsformationen als Fundamente bzw. im Fall des sog. Musen-Tempels als Altarbereich. In höheren Lagen konnten Widerstands-

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Abb. 3 Baalbek (Libanon), Geoelektrik- änderungen als Hinweise auf unausgegrabenes, massives Mauerwerk gedeutet profil durch das sog. Venus-Gebiet werden, so dass beispielsweise im Bereich der Therme im Bustan el Khan er- folgreich gezielte Sondagen zur Untersuchung weiterer Fundamentmauern durchgeführt werden konnten. Im Rahmen eines Umlandsurveys standen in diesem Jahr die topographi- sche Aufnahme, die geologischen Eigenschaften und die Datierung der zahl- reichen ober- und unterirdischen Steinbrüche Baalbeks im Vordergrund. Neben der Aufarbeitung aller Funde aus den Untersuchungsbereichen wurden speziell die Metallfunde restauratorisch behandelt und Materialien aus den Depots und den neuen Sondagen – insbesondere Münzen (Abb. 4) – dokumentiert. Kooperationspartner: Brandenburgische Technische Universität Cottbus; Direction Générale des Antiquités du Liban • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: M. van Ess, K. Rheidt • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: Abb. 4 Baalbek (Libanon), Bustan el Khan. H. Akra, J. Binaszkiewicz, H. Hamel, K. Hitzl, T. Kabs, D. Rokitta-Krum- Bronzemünze, Kaiser Valens mit Perlen- now, M. Stoller, H. Wienholz (Durchsicht der Funddepots), C. Brünenberg, diadem bekrönt H. Burwitz, T. Czopek, I. Dudzinski, F. Hoebel, H. Lehmann, D. Lohmann, C. Schreiber, A. Wilczewski (Baugeschichte), S. Feix, M. Kolbe, N. Mathy- schok, M. Münzner, J. Nador, S. Schäfer (Archäologie), J. Abdel-Massih, H. Ehrig, B. Genz (Umlandsurvey), F. Henze, B. Ritter, K. Töfge (Geodäsie und Photogrammetrie), R. Baatz, B. Brauns, R. Herd (Geophysik), A. Alten- burg, I. Wagner (Photographie) • Abbildungsnachweis: D. Lohmann (Abb. 1); BTU Cottbus (Abb. 2); B. Brauns (Abb. 3); DAI, Orient-Abteilung, I. Wagner (Abb. 4).

Gadara/Umm Qais (Jordanien) Seit 2004 werden in Umm Qais, dem im Nordwesten des heutigen Jordanien gelegenen antiken Gadara, archäologische und bauhistorische Untersuchun- gen im östlichen Stadtgebiet, dem Theater-Tempel-Areal, durchgeführt sowie die Arbeiten im Südwesten der Kuppensiedlung fortgesetzt. Die antike Stadt Gadara war im 2. Jh. v. Chr. als Grenzfeste zwischen dem Ptolemäerreich im Süden und dem Seleukidenreich im Norden angelegt wor- den. Die Stadt behielt auch unter wechselnden Herrschern, wie Römern und Juden, sowie sich wandelnden Bevölkerungsstrukturen über die frühe christ-

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liche Zeit hinaus ihre Bedeutung. Erst ein Erdbeben in der Mitte des 8. Jhs. Abb. 5 Gadara/Umm Qais (Jordanien), n. Chr. unterbrach die Siedlungskontinuität in Gadara. Blick von Osten auf das Theater-Tempel- Die archäologischen und bauforscherischen Untersuchungen im Theater- Areal am östlichen Stadteingang und den Siedlungshügel Tempel-Areal an dem östlichen Stadteingang wurden in diesem Jahr im Zuge einer Aufarbeitungskampagne fortgesetzt (Abb. 5), mit Schwerpunkt auf der Fundbearbeitung und Vermessung. Die Axialität sowie großräumige Planierung und Terrassierung des Thea- ter-Tempel-Areals deuten auf ein übergreifendes Planungskonzept hin. Das betrifft insbesondere die Konzepte der urbanen Raumgestaltung, die sich von der hellenistischen bis in die byzantinische Zeit kontinuierlich nachweisen lassen. Diese waren nicht nur abhängig von den topographischen Gegeben- heiten, sondern auch von den beabsichtigten Nutzungsoptionen des Areals als Sakral- und Multifunktionsraum. Im Fokus der diesjährigen Kampagne stand außerdem der Aspekt der to- pographischen Verortung des Areals. In Gadara scheint das Heiligtum – trotz seiner Ummauerung – ein baulich klar definierter und seine Wirkung auch nach außen entfaltender Bezirk gewesen zu sein. Terrassiert und in vorge- schobener Position dominierte es nicht nur den Steilhang zum Yarmuktal, sondern insbesondere die Stadtsilhouette: Aufgrund seiner exponierten Lage charakterisiert das Heiligtum die Silhouette des antiken Gadara auf besondere Weise (Abb. 5), denn durch die Verteilung von Siedlung und Heiligtum auf unterschiedlichen Ebenen entstand eine effektvolle Staffelung in Terrassen, die die Abgrenzung beider urbaner Binnenräume voneinander betont. Sowohl für den sich von Osten als auch für den sich von Westen der Stadt nähernden Besucher war das Heiligtum weithin sichtbar. Zudem besteht eine Sichtbe- ziehung zwischen dem städtischen Heiligtum zu dem an der Überlandstraße in Richtung Bostra extra muros gelegenen Höhenheiligtum Al Kabu (Abb. 6). Die terrassierte Anlage des vermutlich in spätaugusteische Zeit zu datierenden Al Kabu befindet sich gleichfalls in exponierter Lage, hoch über dem Wadi al-‘Arab thronend. Auf der Grundlage einiger Indizien ist davon auszugehen, dass beide Heiligtümer durch eine Prozessionsstraße miteinander verbunden waren.

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Abb. 6 Gadara/Umm Qais (Jordanien), Festzuhalten ist vorerst ein deutlicher Raum- und Landschaftsbezug unter Blick von Westen von dem Theater-Tempel- optimaler Ausnutzung der örtlichen topographischen Gegebenheiten. Areal, in Richtung des extra muros gelege- Bei den Ausgrabungen im Areal am östlichen Stadteingang wurden in den nen Heiligtums Al Kabu zurückliegenden Jahren Schichtenfolgen hellenistischer bis byzantinischer Zeit mit umfangreichem und gut datierbarem Fundgut angetroffen. Die in diesem Jahr vorbereiteten naturwissenschaftlichen Analysen an diesem Material die- nen im Wesentlichen zur Herkunftsbestimmung der beiden wirtschafts- und sozialgeschichtlich besonders aussagestarken Objektgattungen Keramik und Marmor. Gadara liegt an einer Ost-West orientierten, überregionalen Verkehrsach- se, die die Mittelmeerhäfen an die Fernhandelsrouten nach Nordosten (Sei- denstraße) und nach Südosten (Weihrauchstraße) anbindet. Die Bearbeitung des archäologischen Fundguts aus Gadara bietet daher ausgezeichnete Ansatz- punkte zur Erhellung des Handelsgeschehens im Ostjordanland. Der Sied- lungsraum erlangte gerade wegen dieser verkehrsgeographischen Sonderstel- lung gegenüber anderen Regionen des Vorderen Orients eine herausragende wirtschaftliche Bedeutung. Die Klärung der Herkunft anhand einer repräsentativen Stichprobe aus dem Bestand an Keramik und Marmor soll die Basis für den Nachweis bestimmter Handelsverbindungen und deren zeitlichen Wandel bilden. Kooperationspartner: Generaldirektion, Staatliche Museen zu Berlin Stif- tung Preußischer Kulturbesitz Berlin (SMB SPK) • Leitung des Projekts: C. Bührig, G. Schauerte • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: B. Liesen (Fund- bearbeitung), Chr. Hartl-Reiter (Geodäsie), H.-Chr. Noeske (Fundmünzen), N. Benecke (Archäozoologie), K. Freitag (Epigraphik), G. Jöhrens (Amphoren- stempel), H. H. Hirth, A. Prust, A. Brauchle, B. Jansen • Abbildungsnach- weis: DAI, Orient-Abteilung, C. Bührig (Abb. 5. 6).

Aqaba (Jordanien) In der nördlichen Peripherie der modernen Stadt Aqaba erforscht das DAI den prähistorischen Siedlungsplatz Tall HujayrŒt al-GhuzlŒn (Abb. 7) und dessen Umland. Der Ort gehört in die späte Kupferzeit (4100–3600 v. Chr.)

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Abb. 7 Tall Hujayrāt al-Ghuzlān (Jorda- nien), Blick über den Fundplatz nach Nor- den. Die im Hintergrund sichtbare Gebirgs- kette ist nur durch das Wadi Arabah zu durchqueren, das auch für die moderne Asphaltstraße genutzt wurde

und war auf die Herstellung von Fertigprodukten und Barren aus Kupfer so- wie Schmuckgegenständen aus Molluskengehäusen spezialisiert. Verschiedene Fundstücke belegen, dass die Bewohner von Tall HujayrŒt al-GhuzlŒn mit dem prädynastischen Ägypten Kupfer und Muscheln verhandelten. Ein Fund aus der diesjährigen Kampagne beleuchtet diesen Kontakt näher und zeigt, dass auch kulturelle Eigenheiten übernommen wurden. Bei der Rei- nigung der Südwand eines Raumes im Norden des Talls wurde eine kleine Fi- gurine aus Ton gefunden (Abb. 8). Nur der Unterkörper ist erhalten und pri- märe Geschlechtsmerkmale fehlen. Vergleichbare Stücke sind sowohl aus dem östlichen Mittelmeerraum als auch aus dem prädynastischen Ägypten, nicht aber in der südlichen Levante bekannt. Stilistische Vergleiche sprechen dafür, dass es sich bei der Figurine um einen Import aus Ägypten handelt. Die Ausgrabungsarbeiten 2008 hatten die Klärung der Schichtenabfolge im Norden, Westen und im zentralen Bereich des Siedlungshügels zur Aufgabe. Darüber hinaus wurde die baugeschichtliche Untersuchung der teilweise bis zu 4 m hoch erhaltenen Architektur weitergeführt, außerdem wurden die Abb. 8 Tall Hujayrāt al-Ghuzlān (Jorda- bis zu 50 kg schweren Großgeräte aus Felsgestein wissenschaftlich bearbeitet nien), Figurine. Der obere Teil dieser Klein- (Abb. 9). Diese dienten zum Mahlen von Getreide, wurden aber auch für an- plastik (H 5,10 cm) aus gebranntem Ton ist nicht erhalten. Sie findet ihre besten dere Tätigkeiten im alltäglichen Leben der Menschen verwendet und waren Vergleiche im prädynastischen Ägypten teilweise nach ihrer Nutzung in Wände eingebaut. An einigen Stücken sind noch grüne Farbspuren erhalten, die belegen, dass auf den Mahlsteinen auch Kupferbrocken zerkleinert wurden. In den obersten Schichten finden sich häufig sehr große, vollständig erhal- tene Vorratsgefäße (Abb. 10), in denen Bestattungen, aber auch Tierknochen vorkommen. Die Knochen können mittels der Radiokarbonmethode datiert werden und zeigen, dass die Besiedlung des Talls um 3600 v. Chr. endete. Nachdem 2006 bereits eine große, runde Stütze im Norden der Anlage freigelegt werden konnte, gelang es in diesem Jahr, nachzuweisen, dass mehre- re solcher Pfeiler in regelmäßigen Abständen in dem nördlichen Teil des Talls standen und einer früheren Bauperiode angehörten als die an sie anstoßenden Wände. Sie trugen eine nicht mehr erhaltene Dachkonstruktion von erstaun- lich großen, fast schon monumental zu nennenden Raumeinheiten. Damit unterscheidet sich diese Bauphase deutlich von der labyrintharti- gen, sehr kleinräumigen Baustruktur, die in den bisherigen Ausgrabungen an- getroffen wurde.

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Tall Hujayrāt al-Ghuzlān (Jordanien) Aufgrund der Erosion durch Springfluten aus dem nördlich gelegenen Wadi sind nördlich des Talls keinerlei Baustrukturen erhalten. Eine im Sü- Abb. 9 Großgeräte aus Felsgestein. den noch obertägig sichtbare Mauer konnte durch Ausgrabungen jedoch im Solche Geräte dienten einer Vielzahl von Tätigkeiten und werden wegen ihres Südosten und Osten nachgewiesen werden. Dies bestätigt die Vermutung, dass hohen Gewichts direkt am Ausgrabungs- die Mauer ursprünglich auch nördlich des Talls verlief und somit als Fortifi- platz bearbeitet kation zu werten ist. Eine besondere Wandgestaltung kennzeichnet einen Gebäudekomplex im Abb. 10 Bergung eines Großgefäßes. In den obersten Schichten des Talls werden Westen der Siedlung. An vier Wänden tauchen Handabdrücke sowie Tier- häufig sehr große, vollständige Gefäße und Menschendarstellungen auf, die mit den Fingerkuppen in den feuchten samt Inhalt gefunden Wandverputz gedrückt wurden. Steinböcke sind das am häufigsten dargestell- te Motiv. Am Fuß einer dekorierten Lehmziegelwand wurden in diesem Jahr fünf Miniaturgefäße entdeckt. Der ungebrannte Zustand der Objekte macht eine profane Verwendung ebenso unwahrscheinlich, wie die Tatsache, dass sie nur von einer Seite verziert wurden. Unweit der Gefäße direkt unter einer der Wanddekorationen konnten zudem zahlreiche Schädel und Geweihreste von Steinböcken geborgen werden, deren Bezug zu den dargestellten Steinböcken wahrscheinlich ist. Die Häufung dieser außergewöhnlichen Funde hebt die- sen Teil der Siedlung deutlich hervor. Eine Fortsetzung der Ausgrabungen in diesem Bereich wird zur Klärung der Funktion beitragen. Kooperationspartner: University of Jordan, Amman (L. Khalil); Deut- sches Bergbaumuseum Bochum (A. Hauptmann); Fachhochschule Lübeck (M. Grottker, B. Heemeier); Institute of Seismology at the Academy of Sci- ence at Bishkek, Kirgistan (A. Korjenkov); DAI, Zentrale, Naturwissenschaft- liches Referat (N. Benecke, R. Neef) • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: R. Eichmann, K. Schmidt • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: F. Klimscha, U. Siegel, J. Notroff • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Ab- teilung, N. Becker (Abb. 7–10).

Archäometallurgie des Sinai/Sinai, Kupferversorgung des prädynastischen Ägypten Das im Rahmen des Forschungsclusters 2 »Innovationen: technisch, sozial« des DAI durchgeführte interdisziplinäre Kooperationsprojekt befasst sich mit der Funktion der Sinai-Halbinsel als geographisches Bindeglied zwischen den während des 4. Jts. v. Chr. Kupferhandel betreibenden Regionen Unterägyp- ten und Südlevante. Im Zentrum der diesjährigen Forschungen standen ins- besondere der Technologietransfer sowie innovative Entwicklungen in der Metallurgie des Sinai. In diesem Jahr fand eine Exkursion in die ägyptische Ostwüste und anschließend in den westlichen und südlichen Sinai statt. Im Sinai wurden

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neben der Erkundung von Erzlagerstätten auch ausgewählte Schmelzplätze der Frühbronzezeit – bereits zwischen 1971 und 1982 durch I. Beit-Arieh begangen – mit dem Ziel aufgesucht, sie auf ihre Datierung und ihre Funk- tion hin zu überprüfen. Dabei gelangen sowohl chronologische Korrekturen als auch die Erfassung von einigen, bisher unentdeckten archäometallurgischen Installationen (Windöfen in Watiya North und Wadi Infuh), die Innovationen der metallurgischen Technologie im Sinai belegen (Abb. 11). Zudem konnten während der Exkursion zahlreiche Erz-, Schlacke- und Metallproben gesam- melt werden (Abb. 12). Für insgesamt 33 Proben erfolgten chemische und mineralogische Untersuchungen, ebenso wurden Messungen der Bleiisoto- penverhältnisse durchgeführt. Mit diesen Analysen liegen erstmals von nahezu dem gesamten Sinai Messergebnisse von historischen Erzen und Schlacken sowie dem dort in verschiedenen Epochen produzierten Kupfer vor.

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Der erhaltene ›geochemische Fingerabdruck‹ des sinaitischen Probenma- Archäometallurgie des Sinai (Ägypten) terials wurde mit Probenserien von Fundkomplexen anderer Regionen ver- glichen. Diese Provenienzstudien zeigen im Hinblick auf Fragen des Güter- Abb. 11 Hang bei Watiya North mit Stand- orten von Windöfen austausches interessante Ergebnisse. Zum einen wird erkennbar, dass in der südsinaitischen Metallökonomie der Frühbronzezeit ein vorwiegend inter- Abb. 12 Schlackestreuung am Schmelz- nes Netzwerk bestand, das wenig Kontakt zu den Nachbarregionen aufweist. platz in Wadi Infuh Die lokalen Lagerstätten wurden bergmännisch abgebaut und die gewonne- nen Erze wurden in den lokalen Siedlungen verhüttet und weiterverarbeitet. Zum anderen scheint sich jedoch ein bilateraler Rohstoffaustausch mit der Südlevante abzuzeichnen, da vermutlich Erze aus dem Feinan in den Südsinai gelangten. Darüber hinaus wurden Erze aus dem Südsinai auf der über den nördlichen Sinai verlaufenden Handelsroute erfasst. Die Intensität dieses Aus- tausches bleibt zunächst unklar, ist aber im Gegensatz zum lokalen Austausch innerhalb der Halbinsel wahrscheinlich nur marginal. Dennoch konnten auf diese Weise bereits Einblicke in die Austauschsysteme, die Innovations- wege und die Ressourcenbeschaffung zwischen den benachbarten Regionen gewonnen werden.

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Die hohen Urangehalte der Erze im Sinai verursachen eine starke Streuung der Isotopendaten, weshalb der Probenkorpus noch erweitert werden soll. Au- ßerdem bedarf es der Beprobung dreier weiterer Lagerstätten im Südostsinai (Wadi Samra, Wadi Kid, Wadi Tar) sowie von weiteren frühbronzezeitlichen Plätzen mit archäometallurgischem Fundmaterial (zu den Arbeiten der Ab- teilung Kairo s. auch S. 182–184). Bei einem Forschungsaufenthalt in Jerusalem erfolgten Treffen mit Kol- legen vom Israel Geological Survey zum Austausch weiterer Schlacke- und Erzproben. Eine zukünftige Zusammenarbeit zwischen der Orient-Abteilung und dem Israel Geological Survey wurde dabei konkreter ins Auge gefasst. Die Sichtung von Fundmaterial aus früheren Surveys unter der Leitung von B. Rothenberg wurde nach den entsprechenden Archivarbeiten bei der Israel Antiquities Authority im Museum Kairo beantragt. Für das kommende Jahr ist die Fortführung der archäologischen Untermau- erung von naturwissenschaftlichen Daten geplant. Zudem sollen die Bepro- bungen für die Bleiisotopenanalysen und die damit komplette geochemische Erfassung der sinaitischen Lagerstätten abgeschlossen werden. Kooperationspartner: DAI, Abteilung Kairo; Deutsches Bergbaumuseum Bochum; University of Cairo, Faculty of Science, Department of Geology • Leitung des Projekts: R. Eichmann, U. Hartung, K. Pfeiffer • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: A. Hauptmann (Bleiisotopie, Deutsches Bergbaumuseum Bochum), M. Bode (Bleiisotopie, Westfälische Wilhelms-Universität Müns- ter), R. Hartmann (Keramik), M. el-Aref, A. Abdel-Motelib, A. H. El-Manawi (Geologie) • Abbildungsnachweis: DAI, Abteilung Kairo, U. Hartung (Abb. 11); DAI, Orient-Abteilung, K. Pfeiffer (Abb. 12).

Tayma (Saudi-Arabien) Die nordwestarabische Oase Tayma lag einst an einem Ausläufer der Weih- rauchstraße, deren Hauptroute Südarabien mit der Levante verband, doch auch mit den anderen benachbarten Gebieten wie Ägypten, Syro-Mesopotamien und dem Golf Kontakt herstellte. Während die archäologischen Ausgrabungen sich auf Reste konzentrieren, die vom späten 2. Jt. v. Chr. (Besiedlungsperiode 4, etwa 12.–9. Jh. v. Chr.) bis in die frühislamische Zeit (Besiedlungsperiode 2) datiert werden können, deuten naturwissenschaftlich erzielte Datierungen an, dass die Oase bereits am Ende des 3. Jts./beginnenden 2. Jts. v. Chr. von der äußeren großen Stadtmauer aus Lehmziegeln umschlossen war. Im nordöstlichen Teil des Siedlungszentrums erbrachten feinstratigraphi- sche Untersuchungen im Tempel E-b1 (Besiedlungsperiode 3, Abb. 13) ein weiteres Fußbodenniveau aus Steinplatten, welches sich mit dem unmittel- bar darunter liegenden der Periode von der lihyanischen Dynastie bis zur Nabatäerzeit zuweisen lässt (etwa 4. Jh. v. Chr. bis frühes 2. Jh. n. Chr.). In der Nordostecke des Gebäudes wurde der Felsboden erreicht, auf dem die Au- ßenmauer des ältesten Bauzustandes gründet. Der Tempel war an allen Seiten mit Ausnahme der südwestlichen Zugangs- front von einer Temenosmauer umgeben, die nach Keramikbefund und Stra- tigraphie erst nach der Nabatäerzeit entstanden sein dürfte. Davor könnte der Tempel frei gestanden haben. Eine zerstörte, etwa lebensgroße Gewandstatue mit Affinitäten zur bisher in Tayma und Dedan (modern Khuraybah) bezeug- ten Skulptur der Dynastie von Lihyan (ca. 4.–2. Jh. v. Chr.) fand sich unter dem Gründungsniveau dieser Temenosmauer. Zum frühesten Bauzustand des Tempels gehört indes ein vom Treppenhaus des Tempels nach Südosten ver- laufender unterirdischer Tunnel, der bisher auf einer Länge von 14 m festge- stellt wurde, jedoch erheblich länger sein dürfte (Abb. 14). Auf einer Decken-

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platte befand sich eine aramäische Inschrift des babylonischen Namens Nabû- Abb. 13 Tayma (Saudi-Arabien), Plan des nadin-ahi (Lesung P. Stein, Universität Jena), die einen terminus post quem für Tempels E-b1 (Besiedlungsperiode 3); die Errichtung des Tunnels angibt, doch könnte dieser Stein hier sekundär M. 1 : 500 verwendet worden sein.

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Tayma (Saudi-Arabien), Tempel E-b1

Abb. 14 Blick in den Tunnel des Tempels

Abb. 15 Sandsteinstatuette aus dem Schutt des Tempels (M. 1 : 5) 14 15

Im Schutt des Gebäudes fanden sich erneut mehrere beschriftete Objekte (aramäisch, taymanitisch), darunter die Pranke einer weiteren (dritten) Sphinx aus Sandstein. Eine Statuette mit Gürtel und Armreif entspricht ziemlich ge- nau den überlebensgroßen Figuren der Dynastie von Lihyan (Abb. 15). Der Fund einer Triglyphe ergänzt Architekturbestandteile der Nabatäerzeit, mit denen die Rekonstruktion einer Tempelfassade möglich wird. Südwestlich des späteisenzeitlichen Siedlungszentrums liegt ein öffentliches Gebäude der Besiedlungsperiode 4 (12.–9. Jh. v. Chr.), das etwa 12 m × 21 m misst und mit einer Reihe von gemauerten Pfeilern umgeben ist (Abb. 16). An der nordöstlichen Schmalseite, wahrscheinlich dem Eingang, wurde eine dop- pelte Reihung festgestellt. Im Gebäudeinneren sind drei räumliche Einheiten zu erkennen. Weder in der griechischen noch der ägyptischen Tempelarchi- Abb. 16 Tayma (Saudi-Arabien), öffentli- tektur sind bisher Parallelen nachzuweisen. Die Bedeutung der Anlage wird ches Gebäude der Besiedlungsperiode 4 (12.–9. Jh. v. Chr., Areal O), Schrägaufnah- durch eine ca. 2 m dicke Umfassungsmauer unterstrichen. Die Bergung des me von Nordwesten größtenteils verbrannten Inventars aus Holz, Elfenbein, Knochen und anderen

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wertvollen Materialien wurde durch Restauratoren weitergeführt. Die hier bisher gefundenen Aegyptiaca (s. AA 2008/1 Beiheft, 254 Abb. 16) können um einen Menschenkopfskarabäus des 10. Jhs. v. Chr. ergänzt werden (Abb. 17). Ausgrabungen im nordwestlichen Bereich von Qraya (Areal Z) legten min- destens zwei Bauschichten eines größeren Baukomplexes frei, von denen die jüngere aufgrund konstruktiver Merkmale und der vergesellschafteten Kera- mik in die frühislamische Zeit (Besiedlungsperiode 2) datiert wird. Von der bis- her in Qraya erfassten frühislamischen Bebauung (Areal C) ist dieser Komplex durch ein Wadi getrennt. Ein kleines Gehöft der zuletzt genannten Baureste wurde konservatorisch gesichert, indem die Mauerkrone und die Fugen mit modifiziertem Lehm ohne chemische Zusätze verschlossen wurden. Die bereits im Jahr 2005 geoarchäologisch untersuchten, an der Außenseite Abb. 17 Tayma (Saudi-Arabien), ägypti- der äußeren Stadtmauer angelagerten Sedimente aus angewehtem Sand wur- scher Menschenkopfskarabäus aus dem den einer Kontrollmessung mittels optisch stimulierter Lumineszenz (OSL) 10. Jh. v. Chr. (Areal O); M. 2 : 1 unterzogen. Sie scheint die bisher erzielte und durch 14C-Daten ergänzte Da- tierung der Sandsedimente spätestens an das beginnende 2. Jt. v. Chr. zu be- stätigen. Trifft dies zu, so müsste Tayma bereits während des ausgehenden 3. Jts. v. Chr. eine bedeutende Siedlung von beträchtlicher Ausdehnung und mit den zeitgleichen Zentren der Region verbunden gewesen sein. Geoelektrische Widerstandsmessungen im Rahmen der Untersuchungen zur Siedlungswasserwirtschaft von Tayma führten zur erstmaligen Identifizierung ei- ner Wasserstelle innerhalb des inneren Mauerrings, bei der es sich um eine Quel- le mit dazugehörigem Teich gehandelt haben könnte. Damit befanden sich innerhalb des ummauerten Siedlungsgebietes mindestens drei Wasserquellen. Kooperationspartner: General Commission for Tourism and Antiquities, Riad • Leitung des Projekts: R. Eichmann • Mitarbeiter: A. Hausleiter (Aus- grabungsleitung), Th. Götzelt (Dokumentation, GIS), M. al-Najem (Vertreter der General Commission for Tourism and Antiquities), M. al-Anizy, A. al-Dayel, K. Eskoubi, H. Hanisch-Gräfe, A. Intilia, M. Heller, A. Kose, S. Lora, F. Tourtet, F. Weigel (Archäologie), E. Petiti (Physische Anthropologie), R. Neef (Paläo- botanik), J. Bosch, M. Engel, A. Ginau (Geoarchäologie, Philipps-Universität Marburg), J. Krumnow (tachymetrische Bauaufnahme, Photogrammetrie), J. Breitenfeldt, M. Fielauf, C. Henselmann, G. Lindlar (Restaurierung), A. Dis- telrath (Site Management), J. Kramer (Photographie), H. Wirsing (Zeichnung), P. I. Schneider, N. Basler, R. Hahn, A. Pfützner (Bauforschung Stadtmauer, DAI, Zentrale, Architekturreferat, Brandenburgische Technische Universität Cottbus), H. Jantzen, G. Sperveslage (Archäologie Stadtmauer), U. Kapp (Ver- messung), M. Grottker, A. Bussas, P. Keilholz, A. Patzelt, K. Wellbrock (Hydro- logie, Fachhochschule Lübeck) • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abtei- lung, J. Krumnow (Abb. 13); DAI, Orient-Abteilung, J. Kramer (Abb. 14–17).

Regionale Untersuchungen zu Oasensiedlungen in Nordwestarabien Seit 2007 führt die Orient-Abteilung im Rahmen des Forschungsclusters 2 »Innovationen: technisch, sozial« und Forschungscluster 3 »Politische Räume« des DAI multidisziplinäre Untersuchungen der Umweltbedingungen und der archäologischen Hinterlassenschaften in Oasensiedlungen Nord- und Nord- westarabiens durch. Auf dieser Grundlage werden Hypothesen für die weit- gehend unbekannte regionale Siedlungsgeschichte formuliert. Bekannt durch Erwähnungen in altorientalischen, biblischen und antiken Quellen spielt die Region für den Transfer von Waren, Gütern und Ideen spätestens seit dem ausgehenden 2. Jt. v. Chr. eine bedeutende Rolle. Archäologisch sind bislang nur wenig Anhaltspunkte bekannt. So sind die Ursachen für das Vorkommen der sog. bemalten Qurayyah-Keramik (13./12. Jh.

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Abb. 18 Regionale Untersuchungen zu Oasensiedlungen in Nordwestarabien, Dumat al-Jandal (Saudi-Arabien). Prämo- derne Siedlungsreste, heutige Palmoase, im Hintergrund die sebkha

v. Chr.), deren Verbreitungsgebiet von Nordwestarabien bis in die südliche Le- vante und nach Jordanien reicht, nicht klar beantwortet. Ab dem frühen 1. Jt. v. Chr. ist dieser Teil Arabiens in den epigraphischen Zeugnissen der Region zu fassen und aus den externen assyrischen und babylonischen Quellen sind einige Toponyme zu gewinnen. In der Folgezeit sind zudem Hinweise auf die Organisation politischer Räume sichtbar. Nach den erfolglosen Versuchen der Einflussnahme des assyrischen Reiches und der nur zehnjährigen Kontrolle Nordwestarabiens durch den letzten babylonischen König Nabonid (556–539 v. Chr.) von Tayma aus sind spätestens ab der Mitte des 1. Jts. v. Chr. Konflikte zwischen lokalen Dynastien um den Zugriff auf den ökonomischen Ertrag der Handelswege bezeugt. Nordwestarabien geriet in der Folge unter den Einfluss des nabatäischen Reiches. Die darauffolgende unmittelbar präislamische Peri- ode ist an einigen Fundorten erfasst worden, die Kennzeichen dieses Zeitab- schnitts in der materiellen Kultur sind jedoch bisher nicht differenziert genug. In Dumat al-Jandal (Abb. 18), möglicherweise mit dem antiken Adumatu gleichzusetzen, sind zunächst ähnliche Siedlungsbedingungen wie in der Oase von Tayma gegeben. Jedoch wurde in der hiesigen sebkha (abflussloser, teils ausgetrockneter See) mittels Rammkernbohrungen ein salzloses Milieu fest- gestellt und auch in der heutigen Palmoase sind keine hinreichenden Spuren organischer Ablagerungen nachzuweisen, die auf antike Besiedlung in diesem Bereich hindeuten. Die Verteilung der Siedel- und Nutzflächen könnte daher in etwa der heutigen entsprechen. Das markant ausgeformte Oberflächenre- lief führte im Nordwesten der Siedlung zur Errichtung umfangreicher Was- serschutzeinrichtungen. Außerhalb der Siedlung wurde eine große Zahl von Brunnen festgestellt, die nahe am Berghang Wasser aufnahmen. Archäologi- sche Beobachtungen zeigen noch keine eindeutigen Tendenzen der Verteilung chronologisch relevanter Artefaktgruppen. Hydrologische Untersuchungen (Survey, Geoelektrik) in der nordwest- arabischen Siedlung Qurayyah (Abb. 19) konzentrierten sich auf Wassernut- zung und Hochwasserschutz. Im Unterschied zu Tayma und Dumat al-Jandal liegt dieser Ort an einem ausgedehnten saisonalen Flusssystem. Die Bewässe- rung des landwirtschaftlichen Anbaugebietes erfolgte mit einer Kombination aus Brunnen-, Oberflächen- und Regenwasser, was eine differenzierte Orga- nisation und den Einsatz qualifizierten Personals voraussetzt. Die Wasserver- sorgung der Siedlung erfolgte vermutlich aus Brunnen. Dämme schützten

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die Anbauflächen vor Hochwasser. Ein Teil der Siedlung befand sich wohl auf Abb. 19 Regionale Untersuchungen zu einem Felsmassiv, während eine begrenzte, von Mauern umschlossene Sied- Oasensiedlungen in Nordwestarabien, lungsfläche (»Residential Area«) auf Höhe der Anbauflächen angelegt war. Qurayyah (Saudi-Arabien). Blick vom Fels- massiv auf das ummauerte Siedlungsge- Der archäologische Survey bestätigte die postulierte interne Siedlungsor- biet (»Residential Area«) und eingefasste ganisation: räumlich konzentrierte, begrenzte und gegen Umwelteinflüsse und Anbauflächen Angriffe abgesicherte Bebauung sowie ausgedehnte, von Mauern gesicherte Bewässerungsflächen von der frühen Eisenzeit bis zur nabatäischen Periode. Es liegen damit trotz jeweils unterschiedlicher lokaler Bedingungen und Anfor- derungen an technische und soziale Innovationen strukturelle Ähnlichkeiten zu den Oasen in Nord- und Nordwest-Arabien (Dumat al-Jandal, Tayma) vor, wenngleich der Schwerpunkt durch die Auswahl der Siedlungsplätze überwie- gend auf der Rekonstruktion der Lebensweise sesshafter Gruppen liegt. Kooperationspartner: General Commission for Tourism and Antiquities, Riad • Leitung des Projekts: R. Eichmann, A. Hausleiter • Mitarbeiter: S. al- Ghali, Th. Götzelt, A. Intilia, H. Hanisch-Gräfe, A. Kose, M. al-Najem, Ch. Pur- schwitz (Archäologie), J. Bosch, H. Brückner, M. Engel, A. Ginau (Universität Marburg, Geoarchäologie), A. Bussas, M. Grottker, M. Hamann, B. Heemeier, P. Keilholz, A. Patzelt, K. Wellbrock (Fachhochschule Lübeck, Hydrologie), P. I. Schneider (Bauforschung Stadtmauer, DAI, Zentrale, Architekturreferat) • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, A. Hausleiter (Abb. 18. 19).

Uruk (Irak) Im Rahmen der Aufarbeitung der seit 2003 unterbrochenen Feldforschungen sowie des Forschungsclusters 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung« des DAI hat das Projekt »Visualisierung der antiken Stadt Uruk« das Ziel, die in einer Vielzahl von Plänen dokumentierten und vielen historischen Bauschichten zuweisbaren Architekturbefunde digital zu erfassen, in wesentlichen Teilen in Vektordaten umzuwandeln und für mehrere, histo- risch besonders bedeutsame Bauschichten 3D-Rekonstruktionen anzufertigen (Abb. 20. 21). Die 3D-Rekonstruktionen sollen sowohl die Bausubstanz in ihrem ausgegrabenen Bestand visualisieren als auch Gebäuderekonstruktionen bieten. Sie werden in das existierende digitale Geländemodell eingebunden

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Uruk (Irak)

Abb. 20 3D-Rekonstruktion des seleukidenzeitlichen Bit Resh, der Anu-Zikkurrat und des Irigal. Basierend auf Rekonstruktions- zeichnungen von A. von Haller und A. Kose

Abb. 21 3D-Rekonstruktion eines Tordetails im seleukiden- zeitlichen Bit Resh 21

und können so einen Eindruck der damaligen Stadtstruktur vermitteln. Durch die Einbeziehung der dritten Dimension ergeben sich nicht nur innovative Ansätze zur Präsentation der Stadt, sondern auch eine erneute und weiter- führende wissenschaftliche Beschäftigung mit der Rekonstruktion von Bau- werken, der Wechselbeziehung von Gebäuden zueinander, der Verortung von Gebäuden im Stadtbild, den topographischen Gegebenheiten der einzelnen Stadtviertel, ihrer Charakterisierung im Vergleich untereinander sowie hin- sichtlich der Beziehung der Stadt zu ihrem Umland. Auf Basis der im Vorjahr digitalisierten Pläne erfolgten in diesem Jahr die systematische Vektorisierung der Scans sowie die digitale Aufbereitung der Pläne für die Visualisierung. Neben einer strukturierten Layerverwaltung, die auch in Zukunft für alle Pläne aus Uruk verbindlich sein wird, wurden alle vektorisierten Pläne wissenschaftlich nachgearbeitet, indem beispielsweise durch alte Blattschnitte bedingte Segmentierungen aufgehoben, unnötige Informationen entfernt und Grundrisslinien zur Vorbereitung der Visualisie- rung ergänzt und geschlossen wurden. Darüber hinaus wurde der ebenfalls segmentiert vorliegende digitale topographische Plan zur Visualisierung auf- bereitet und es konnten die vorhandenen Daten aus historischen Luftphotos, Satellitenbildern und geophysikalischen Messungen eingebunden werden. In wissenschaftlichen Diskussionen wurden die Detaillierungsgrade be- stimmt, in denen die verschiedenen Bereiche der Stadt, ihres Umlandes und

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ergrabene Architekturen visualisiert werden sollen. Ebenso wurden diejenigen ausgegrabenen Schichten und Bauwerke festgelegt, aufgelistet und beschrie- ben, die sich wegen ihres Erhaltungszustandes für eine detaillierte dreidimen- sionale Rekonstruktion eignen. Um die Dateigrößen technisch verwaltbar zu halten, wurde der Arbeitsbereich Visualisierung geteilt: Die wissenschaftliche Auswertung von 3D-Modellen wird in AutoCAD 3D erfolgen, die Visualisie- rung zu Präsentationszwecken mit dem spezialisierten Programm CINEMA 4D, für das allerdings die Zahl der zu visualisierenden Befunddetails begrenzt werden muss. Die Visualisierung der jüngsten der zur 3D-Rekonstruktion vor- gesehenen Befundschichten, die der seleukidischen Tempelbauten aus Uruk, wurde weitgehend abgeschlossen (Abb. 20. 21). Leitung des Projekts: M. van Ess • Mitarbeiter: S. Bator (Archiv), F. Voigt, Fa. Artefacts (Digitalisierung) • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, Fa. Artefacts (Abb. 20. 21).

Transformationsprozesse in Oasensiedlungen () Im Mittelpunkt der Aktivitäten des multidisziplinären Projekts »Transfor- mationsprozesse in Oasensiedlungen in Oman« stand die Aufarbeitung des Materials, d. h. vor allem der Keramik. So wurde die mittelalterliche Import- keramik aus Tiwi (Abb. 22), einem bedeutenden Hafenort an der omanischen Küste (Abb. 23), untersucht. Dabei konnten verschiedene Herkunftsregionen wie Südostasien, Indien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Irak und Ostafrika festgestellt und eine vorläufige Datierung in die Zeit vom 11.–17. Jh. n. Chr. angegeben werden. Die im Vorjahr durchgeführten naturwissenschaftlichen Keramikanalysen wurden in Form eines Posters auf dem »6th International Congress on the Abb. 22 Transformationsprozesse in Archaeology of the Ancient Near East« in Rom präsentiert. Dort wurde auch Oasensiedlungen (Oman), Tiwi. Ostasia- eine neue These über die Klimaentwicklung im Vorderen Orient und deren tische Importkeramik aus der Küsten- siedlung Tiwi 15 Auswirkungen auf die Besiedlungsgeschichte auf der Omanischen Halbinsel, die in Zusammenarbeit mit den Agrarwissenschaftlern der Universität Kassel entwickelt worden war, vorgetragen. Im Rahmen des internationalen Kongresses »Eastern Arabia in the First Millennium BC« in Pisa wurde ein Überblick über die Siedlungsentwicklung auf der Omanischen Halbinsel von der Bronzezeit bis in die islamische Zeit entwickelt, wie er sich aus den archäologischen Feldforschungen des Oman-

Abb. 23 Transformationsprozesse in Oasensiedlungen (Oman), der Hafenort Tiwi an der omanischen Küste. Turm aus spätislamischer Zeit oberhalb der Siedlung

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Projekts ergibt. Außerdem wurde in diesem Zusammenhang der kulturelle Übergang von der Eisenzeit I zur Eisenzeit II auf der Omanischen Halbinsel beleuchtet und für die Veröffentlichung ausgearbeitet. Die Homepage des Gesamtprojekts wurde um alle Publikationen des Projekts in Form von PDF-Dateien ausge- baut, für die die Urheberrechte dies zulassen. Das Projekt wurde durch einen gemeinschaftlichen Abschlussbericht für die DFG von den Projektpartnern beendet und die Auswertungen für eine Endpublikation des archäologischen Projekts wurden vorangetrieben. Kooperationspartner: Institute of Crop Sciences der Universität Kassel; Institut für Städtebau der Universität Stuttgart; Orientalisches Seminar der Eberhard-Karls-Universität Tübingen; Sultan-Qaboos-University, Muscat; Department of Antiquities, Muscat; Freie Universität Berlin • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: J. Häser • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: A. Dreiser (mittelalterliche Keramik), J. Schreiber (Archäologie), N. Schreiber (Keramikzeichnungen) • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung (Abb. 22. 23).

Wuqro (Äthiopien) Ein neues Forschungsprojekt der Orient-Abteilung beschäftigt sich mit der Besiedlung des äthiopischen Hochlandes im 1. Jt. v. Chr. durch die Sabäer sowie mit deren kulturellen Beziehungen zur indigenen Bevölkerung. Aus- gangspunkt für diese Forschungen waren Notgrabungen, die von der Tigrai Tourism and Culture Commission im vergangenen Jahr nahe dem Ort Wuqro (Abb. 24) durchgeführt wurden. Hierbei waren mehrere Artefakte südarabi- schen Gepräges aufgefallen, darunter der obere Teil eines sehr gut erhaltenen und beschrifteten Libationsaltars, eine Sitzstatue, die in Größe, Ikonographie und Stil einer im Nationalmuseum Addis Abeba ausgestellten Frauenfigur aus der Region gleicht, sowie mehrere beschriftete Kalksteinblöcke und Räu- cheraltarfragmente. Die aus der 1. Hälfte des 1. Jts. v. Chr. stammenden äthio- sabäischen Weihinschriften dieser Objekte erwähnen u. a. die Inthronisation eines bislang nicht bekannten Königs im Tempel von Yeha, dem noch über 10 m hoch erhaltenen Zentralheiligtum der Sabäer im Norden Äthiopiens. In einer Sondierungskampagne konnte im Rahmen einer deutsch-äthiopi- schen Kooperation der Grundriss des Tempels von Wuqro teilweise freigelegt

Abb. 24 Wuqro (Äthiopien), Blick über das Grabungsgelände mit Schutzbau über dem Zentralbau des Almaqah- Heiligtums

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25 b 25 a

werden. Weihinschriften bezeugen, dass der Tempel dem sabäischen Mond- Wuqro (Äthiopien) gott Almaqah geweiht war. Im Zentrum des einräumigen Sanktuars (Innen- maße ca. 8,50 m 6,90 m) befand sich ein Libationsaltar mit rechteckigem Abb. 25 a Libationsaltar aus dem Inneren × des Almaqah-Heiligtums mit Opferbecken Opferbecken, stierkopfgestaltigen Ausflüssen und einer mehrere Meter langen und Ausfluss in Stierkopfgestalt Ablaufrinne, die in einem in den Boden eingelassenen, flachen schalenförmi- gen Becken von etwa 40 cm Durchmesser endet (Abb. 25 a. b). Dies ist ein Abb. 25 b Blick auf den Libationsaltar mit bisher einmaliger Befund. Der Altar ist nach südarabischen Vorbildern gestal- Ablaufrinne von oben tet und vollständig erhalten. Dem Tempel ist im Westen ein großräumiger Kult- hof (ca. 30 m × 20 m) mit Seitenräumen auf seiner Nordseite vorgelagert. Im Umkreis von wenigen Kilometern befinden sich weitere archäologische Fundstellen, darunter vermutlich zusätzliche Heiligtümer sowie Siedlungen aus dem 1. Jt. v. Chr., die in den kommenden Kampagnen untersucht werden sollen. Kooperationspartner: Tigrai Tourism and Culture Commission, Mekelle (Kebede Amare); Friedrich-Schiller-Universität Jena (N. Nebes) • Leitung des Projekts: R. Eichmann • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: P. Wolf (Gra- bungsleitung vor Ort), B. Gebretsadik, R. Tesfay, U. Nowotnick, M. Böhme • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, P. Wolf (Abb. 24; 25 a. b).

Wissenschaftliche Veranstaltungen

Vorträge 11. Dezember Pawel Wolf (Berlin), Tempel der frühsabäischen Zeit im äthio- pischen Hochland. Neue Ausgrabungen der Orient-Abteilung in Kooperation mit der Universität Jena.

Vortragsreihe »Aktuelle deutsche Forschungsprojekte im Libanon« Die von der Orient-Abteilung veranstaltete Vortragsreihe »Aktuelle deutsche Forschungsprojekte im Libanon« fand in den Monaten März bis September im Besucherzentrum des Auswärtigen Amts statt (Abb. 26). Die Vorträge behan- delten archäologische und bauhistorische Projekte im Libanon und wandten sich an ein allgemein interessiertes Publikum. Angesichts der häufigen Krisen- nachrichten aus dem Libanon hatten es sich die Veranstalter zum Ziel gesetzt, das reiche Kulturerbe, die lebendige Forschungstätigkeit und das kulturelle Poten- tial, das der Libanon zu bieten hat, in das Blickfeld zu rücken. 5. März Stephan Westphalen (Göttingen), Das Wadi Qadisha und die Wand- malereien in libanesischen und syrischen Kirchenxxx9. April Stefan Weber (London), Denkmalpflege und Forschung in einer ›islamischen‹ Altstadt. Das

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Tripoli Projekt des Orient-Instituts Beirutxxx14. Mai Margarete van Ess (Berlin), Baalbek – Vom Heiligen Ort zur Stadt. Die Geschichte des Ortes vom Neolithikum bis heutexxx11. Juni Marlies Heinz (Freiburg), Kamid el-Loz: Lokaler Ressourcenreichtum und die internationale Politik vor 3000 Jahrenxxx9. Juli Barbara Finster (Bamberg), Die Ruinen von Anjar – Eine frühislamische Stadtgründung des 8. Jhs.xxx13. August Uwe Finkbeiner (Obersteinbach), Sommerresidenz und Festung am Meer. Der Tell Burak bei Sidonxxx10. September Ralf Bodenstein (Kairo), Zokak el-Blat in Beirut – Raum, Geschichte und Konflikte eines Wohnviertels. Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, A. Altenburg (Abb. 26).

Kolloquien 22./23. Februar Konferenz der Regionalgruppe »RG 11: Southern Mesopo- tamia« des von der European Science Foundation geförderten Internationalen Projekts »ARCANE: Associated Regional Chronologies for the Ancient Near East and the Eastern Mediterranean« in Berlin (Organisation: Margarete van Ess [Berlin], Sandra Feix [Berlin]). – Es sprachen: Margarete van Ess (Berlin), Harriet Martin (Birmingham), Augusta McMahon (Cambridge), Jean Evans (New York). 7./8. Juli Forschungskolloquium »Neue Forschungen in Tayma – Pro- jektgespräch 2008«. – Es sprachen: Max Engel (Marburg) – Helmut Brückner (Marburg) – Michèle Dinies (Marburg) – Nicole Klasen (Marburg), Tayma aus landschaftshistorischer und geoarchäologischer Sicht – Ein Zwischenbericht; Matthias Grottker (Lübeck), Wasserwirtschaftliche Anlagen in der historischen Abb. 26 Einladungsflyer zur Vortragsreihe Oasenstadt Tayma; Friedrich Weigel (Berlin), Ausgrabungen in Areal H: Eine »Aktuelle deutsche Forschungsprojekte im wasserwirtschaftliche Anlage?; Holger Hanisch-Gräfe (Berlin), Archäologische Libanon« Beobachtungen in Qurayyah im Kontext von Oasensiedlungen in Nordwest- Arabien; Sebastiano Lora (Pisa) – Emmanuele Petiti (Pisa), The Iron Age Necro- polis of Tal’a (Tayma, Saudi-Arabia). First Results of Physical Anthropological Analysis; Said al-Said (Riad), Epigraphische Forschungen zu Tayma; Gunnar Sperveslage (Berlin), Ägypten in Riad; Ricardo Eichmann (Berlin), Neues zur Stratigraphie in Tayma; Arnulf Hausleiter (Berlin) – Arno Kose (Berlin) – Sebastiano Lora (Pisa), Ausgrabungen in Areal E/Excavations in Area E; Hol- ger Hanisch-Gräfe (Berlin) – Markus Heller (Berlin), Ausgrabungen in Areal D und F 2008; Andrea Intilia (Berlin), Areal O; Peter I. Schneider (Berlin), Stadtmauern in Tayma; Francelin Tourtet (Berlin) – Friedrich Weigel (Berlin), Areal Z; Heinz Jantzen (Berlin), Kamelterrakotten aus Tayma: Zum Stand der Bearbeitung; Norbert Nebes (Jena), Gerrhäer in Marib. Ein neues Fragment zu einer datierten Inschrift; Thomas Götzelt (Berlin), 14C contextualized: Time Horizons and Settlement Evolution in Tayma; Gereon Lindlar (Bonn), Konservierung von Bauwerken und Objekten in Tayma – Vorstufen zu einem integrierten Konzept. 9. bis 14. September 6. Symposium der »International Study Group on Music Archaeology« mit dem Thema »Musical Perceptions – Past and Present. On Ethnographic Analogy and Experimental Archaeology in Music Archae- ological Research« (Abb. 27), veranstaltet von der Orient-Abteilung des DAI (Ricardo Eichmann) in Kooperation mit dem Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Lars-Chris- tian Koch). An dem von der DFG geförderten Symposium nahmen 45 Wis- senschaftler (Abb. 28) aus 17 Nationen teil. – Es sprachen: Lars-Christian Koch (Berlin), Perception and Concepts of Sounds: An Introduction; Alexander Herrera (Bogotá), Pottery Shell Trumpets: New Data from the Andes; Graeme Lawson (Cambridge), Ethnomusicological and Ethnoarchaeological Implica-

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tions in Music Archaeology: Approaches; Angela Bellia (Ravenna), Music and Rite: Musical Instruments in the Sanctuary of the Chtonic Divinities in Akragas (6th century B. C.); Gjermund Kolltveit (Oslo), The Problem of Ethnocentric- ity in Music Archaeology; Sam Mirelman (London), The Definition of ›Music‹ in Music Archaeology: The Contribution of Historical Ethnomusicology; Ale- xandra von Lieven (Berlin), Musicethnoarchaeology or The Fine Art of Select- ing Fitting Analogies and Correctly Pinpointing Survivals; Elias (Colima), Double Flute Organology from West Mexiko; Francisca Gili (San- tiago de Chile), Digital Documentation for Archaeological Music Instruments; Ellen van Keer (Brüssel), Integrating Sources and Approaches in the Study of the Ancient Greek Aulos; Graeme Lawson (Cambridge), Traces of Ancient Musical Practice; Emiliano Li Castro (Civitella d’Agliano), The Secret Beat of Etruria; Cristina Majnero (Rom), A Casual Finding of a Tibiae’s Reed from Pompeii; María Isabel Rodríguez López (Madrid), Music and Funerary Rites in the Classic World: Archaeological Remains; Susanna Rühling (Schwerin), Pugnate – Ancient Sounds of the Arena; Friedemann Schmidt (Berlin), Whis- tling Vessel – Trumpet – Shell Horn; Eleonora Rocconi (Cremona), Sounds of War, Sounds of Peace: For an Ethnographic Survey of Ancient Greek Music in Abb. 27 Poster des 6. Symposiums der Platonic Writings; Daniela Castaldo (Bologna), The Music of ›Peoples without »International Study Group on Music Notes‹: Evidence of Musical Archaeology from Magna Graecia; Dahlia Shehata Archaeology« (Wien), Music in Ancient Near Eastern Magic-Rituals; Simon Wyatt (Bristol), Psychopomp and Circumstances or Shamanism in Context: An Interpretation of the Drums of the Southern TRB (Trichterbecher Kultur); José Pérez de Arce (Santiago de Chile) – Claudio Mercado (Santiago de Chile), Prehispanic Music Workshop: The ›Baile‹ Flute Music of the Andes; Stefan Hagel (Wien) – Andy Lowings (Peterborough), The Gold Lyre of Ur: Music, Dance and Poetry; Graeme Lawson (Cambridge), Traces of Ancient Musical Practice: The Silver Lyre of Ur; Stefan Hagel (Wien), Aulos and Cithara; Cristina Majnero (Rom) – Roberto Stanco (Rom), Tibiae Pares and Impares, Hypotheses of Roman Music; Sepideh Khaksar (Halle), Analysis of an Archaeological Musical Instru- ment in Elam; Andy Lowings (Peterborough), The Legacy of the Sumerian Lyre in Africa Today; Chie Arayama (Sapporo), Continuity and Discontinuity of Musical Instruments or Sound Producing Devices in Japan: Based on Music Archaeology and Historical Ethnomusicology; Fang Jianjun (Tianjin), Scale, Tuning, and Spectrum of Early Han Dynasty (ca. 187–180 B.C.): Chime Stones and Bells Excavated at Luozhuang, China; Dai Wei (Shanghai), The Development and Evolution of Early Qin – Taking Cultural Relics in the Research of the Qin History before the Tang Dynasty as the Angle of View; Khairy El-Malt (Kairo) – joined paper with Mohamed Maged Ahmed (Kairo), Reem Farouk Shakweer (Kairo), Abdul Basset Hatab (Kairo), The Tambourine ›Dof‹ Instrument in Ancient Egypt: Study Comparing the Past with the Present; Mohamed Maged Ahmed (Kairo), Frequency Analysis of Reconstructed An- cient Pharaonic Musical Instruments Tones; Khairy El-Malt (Kairo), Postgradu- ate Studies of Ancient Egyptian Music; Adrián Velázquez Castro (Colonia Cen- tro) – Arnd Adje Both (Mannheim), The Sound of the Earth; Carrie L. Dennett (Calgary), A Musical Nature: Pre-Columbian Ocarinas of Northeast Honduras; Mark Howell (Greenville, USA), A Hermeneutic Re-examination of Select- ed Sixteenth Century Commentaries on Aztec Music; Carlos Mansilla (Lima), Waylla Kepa Project: Musical Experimentation with Pre-Hispanic Sounds; Anna GruszczynÏska-Ziółkowska (Warschau), How to Make a Ceramic Panpipe. New Archaeomusicological Discovery in Nasca (Peru); Christof Berends (Münster), Bronze Axes – Used as Musical Instruments?; Peter Holmes (London), Repro- ducing the Carnyx; Graeme Lawson (Cambridge), Science and Imagination:

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Abb. 28 Die Teilnehmenden des 6. Sym- posiums der »International Study Group on Music Archaeology«

Music Archaeology and the Media; Emiliano Li Castro (Civitella d’Agliano), Layers of Sound-Productions. 12. September Konzert/Demonstrationen (veranstaltet im Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin Stiftung Preußischer Kulturbesitz) mit einer Einführung von Lars Koch (Berlin), The Norwegian Krogharpe – An Attempt at the Reconstruction of a Lost Playing Technique; Nancy Thym (Klosterhäseler) – Thilo Vierig (Klosterhäseler), 16th Century Harp and Violin From the Burial Chapel of the Freiberg Cathedral; Dai Wei (Shanghai), The Qin; Khairy El-Malt (Kairo) – Mohamed Maged Ahmed (Kairo) – Reem Farouk Shakweer (Kairo) – Abdul Basset Hatab (Kairo), The Tambourine ›Dof‹ Instru- ments and Some Other Nubian Percussion Instruments; José Pérez de Arce (San- tiago de Chile) – Claudio Mercato (Santiago de Chile) – Francisca Gili (Santi- ago de Chile), La Chimuchina goes to Berlin (weitere Informationen unter ). Abbildungsnachweis: S. Eichmann (Abb. 27. 28).

Veranstaltungen zu den Forschungsclustern des DAI

12. Januar Workshop des Forschungsfeldes 3 »Gestalteter Raum« im For- schungscluster 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Verände- rung« des DAI (Organisation: Nils Hellner [Athen], Margarete van Ess [Berlin], Sandra Feix [Berlin]). – Es sprachen: Klaus Schmidt (Berlin), Die räumliche Gestaltung der monumentalen steinzeitlichen Heiligtümer des Göbekli Tepe (Türkei); Ute Rummel (Kairo), Vom Grab zum Tempel: Eine königliche Dop- pelgrabanlage der frühen 18. Dynastie und ihre Wiederbenutzung am Ende

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des Neuen Reiches Dra‘ Abu el-Naga, Theben-West (Ägypten); Mike Schnelle (Berlin/Sana’a), Sabäische Heiligtümer im heutigen Jemen; Nils Hellner (Athen), Neubewertung der dorischen Architektur am Beispiel des Heiligtums von Kalapodi (Griechenland); Stefan Franz (München), Die Umgestaltung al- ter Heiligtümer während der Wende vom 2. zum 1. Jh. v. Chr. am Beispiel des Heiligtums auf dem Monte S. Angelo und anderer extraurbaner Kultstätten bei Terracina (Italien); Claudia Bührig (Berlin), Gadara – Umm Qais. Heilig- tum im östlichen Stadteingang; Ute Verstegen (Nürnberg/Erlangen), Heiliger Ort – Sakraler Raum. Grundlegendes zum Sakralitäts-Diskurs aus Sicht der Christlichen Archäologie; Axel Schultes (Berlin), Das Krematorium in Berlin- Baumschulenweg; Horst Schwebel (Marburg), Raum – Ritus – Religion. 28./29. Oktober Workshop des Forschungsfeldes 3 »Gestalteter Raum« im Forschungscluster 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung« des DAI (Organisation: Nils Hellner [Athen], Margarete van Ess [Berlin], Sandra Feix [Berlin]). – Es sprachen zu den Diskussionsthemen »Funktionalität und Semantik«, »Topographische Verortung und Kulttopogra- phie«, »Abgrenzung und Übergang«: Klaus Schmidt (Berlin), Göbekli Tepe; Margarete van Ess (Berlin), Uruk; Ute Rummel (Kairo/Heidelberg), Theben West; Nicole Alexanian (Berlin), Dahschur; Mike Schnelle (Berlin/Sana’a), Marib und Sirwah; Nils Hellner (Athen), Kalapodi; Detlev Wannagat (Ros- tock), ; Sophie Helas (Köln), Selinunt; Christina Leypold (Würzburg), Olympia; Claudia Bührig (Berlin), Gadara; Stefan Franz (München), Terracina; Rüdiger Gogräfe (Mainz), Isriye.

Öffentlichkeitsarbeit

Im Rahmen der Deutsch- Saudi-Arabischen Kulturtage berichtete Herr Eich- mann am 16. April in der Residenz des Deutschen Generalkonsuls in über die Ergebnisse der Arbeiten in Tayma. Am 19. April hielt Herr Hausleiter im King Faisal Center, Riad, einen öffentlichen Vortrag über die Forschungen in Tayma. Auf der Internetseite der Botschaft in Riad und in einer Beilage der größten fremdsprachigen saudi-arabischen Zeitung »Arab News« über die Kul- turtage wurde über Forschungen des Kooperationsprojekts in Tayma berich- tet. Die Posterausstellung über das Projekt wurde in Tayma, Riad und Jeddah gezeigt, in Jeddah mit Unterstützung örtlicher Sponsoren. Auch in diesem Jahr beteiligte sich die Orient-Abteilung des DAI mit dem Thema »Orientalische Düfte« wieder an den vielfältigen Angeboten an der »Langen Nacht der Wissenschaften« in Berlin am 14. Juni (s. auch S. 60). Auf dem Gelände der Orient-Abteilung konnten sich Besucher über Weihrauch informieren, orientalischen Tee und Kaffee trinken oder eine Wasserpfeife rauchen. Besonders großen Anklang fanden die Angebote für Kinder, wie die Herstellung von Halbedelstein-Masken nach alten Vorbildern, das Ausmalen und Schmücken orientalischer Malvorlagen mit Gewürzen und die Lesungen altorientalischer Fabeln. Für Aufnahmen, Interviews und wissenschaftliche Betreuung im Rahmen von Filmprojekten standen folgende Mitarbeiter der Abteilung zur Verfügung: Ricardo Eichmann gab der Presse Auskünfte über archäologische Forschungen in Äthiopien und Jemen, beriet ein geplantes Filmprojekt zum Thema Musik- archäologie, beantwortete Anfragen für ein Filmprojekt und gab der Zeitschrift »Zenith« ein Interview. Margarete van Ess informierte in Vorbereitung einer von den Staatlichen Museen zu Berlin präsentierten Ausstellung über Babylon in zahlreichen Radio-, TV- und Printmedienbeiträgen die Öffentlichkeit über

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den derzeitigen Zustand des archäologischen Ortes Babylon und beriet ein ge- plantes Filmprojekt zum Einsatz von Satellitenbildanalysen in der Feldarchäo- logie. Klaus Schmidt gab zahlreiche Hörfunk- und Presseinterviews über die Forschungen am Göbekli Tepe. Am 9. März wurde der Film »Flucht aus Babylon« in der Reihe »Schlie- manns Erben« im ZDF ausgestrahlt, der das DFG-Projekt Tayma der Orient- Abteilung porträtiert. Herr Hausleiter führte am 18. April Prinz Sultan bin Salman, Präsident der »General Commission for Tourism and Antiquities« (GCTA), und Prinz Feisal bin Abdallah, Tabuk, zusammen mit einer Delegation der Antikenab- teilung der GCTA unter Leitung von Ali Ghabban durch die Ausgrabungen in Tayma und das dortige Museum für Archäologie und Ethnographie. Herr Eichmann und Herr Hausleiter führten drei größere Touristen- gruppen durch die Ausgrabungen in Tayma und zu anderen Sehenswürdig- keiten der Oase. Besuche deutscher Reiseveranstalter und Journalisten sowie von Pressevertretern aus Saudi-Arabien hatten zum Ziel, einen Eindruck über die Eignung des Fundorts als eine touristische Sehenswürdigkeit zu gewin- nen. Frau van Ess führte am 20. April die Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Hans-Jörg Haber (Beirut) und Volkmar Wenzel (Damaskus), sowie den Kanzler der polnischen Botschaft, Slawomir Kowalski (Beirut), durch die Ruinen von Baalbek.

Veröffentlichungen

M. van Ess – E. Weber-Nöldeke, A. Nöldeke, Briefe aus Uruk-Warka 1931– 1939 Orient-Archäologie 21: C. Bührig, Das Bogenmonument extra muros von Gadara, Gadara I Orient-Archäologie 22: A. Both – R. Eichmann – E. Hickmann – L.-C. Koch (Hrsg.), Studien zur Musikarchäologie 6 Informationsbroschüre der Orient-Abteilung

Außenstelle Baghdad Die Außenstelle Baghdad blieb aufgrund der politisch unsicheren Lage im Irak auch in diesem Jahr unbesetzt. Wie in den Vorjahren wurde die Aufar- beitung der Funde und Befunde von Uruk/Warka fortgesetzt. Margarete van Ess, kommissarische Leiterin der Außenstelle, übernahm wiederum in enger Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt die deutsche Koordination von Kri- senmaßnahmen für den Bereich der archäologischen Kulturarbeit. Sie war an der Strukturierung verschiedener Projekte zum Kulturerhalt im Irak beteiligt und unterstützte irakische Kollegen bei der Aufarbeitung älterer Ausgrabungs- projekte. Hierzu hielten sich erneut mehrere irakische Wissenschaftler über Sti- pendien des DAI in Berlin auf. Im Rahmen des International Coordination Committee for the Safeguarding of the Cultural Heritage of der UNESCO übernahm Frau van Ess weiterhin die Aufgabe der Rapporteurin und vertrat darüber hinaus das Institut in internationalen Veranstaltungen zum Kulturerhalt. In Unterstützung der irakischen Antikenverwaltung wurde in Zusammenar- beit mit internationalen Kollegen die Observierung des irakischen Kulturerbes über Fernerkundungsdaten fortgesetzt. Die Spendenwerbung für die Beschaf-

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fung von archäologisch-wissenschaftlicher Literatur zugunsten mehrerer Wis- Abb. 1 Uruk (Irak), Das Zentrum der Stadt senschaftsinstitutionen im Irak wird nach wie vor fortgesetzt. und das Grabungsgehöft. Helikopterauf- In der Zeit vom 1. bis 10. Juni bereiste Frau van Ess zusammen mit Kol- nahme Juni 2008 legen vom British Museum und der Stony Brook University New York auf Einladung des britischen General Officer Commanding the Multi-National Division South-East archäologische Stätten im Südirak (Abb. 1). Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, M. van Ess (Abb. 1).

Veranstaltungen

Am 5. Mai besuchten im Rahmen eines vom Auswärtigen Amt und dem Insti- tut für Auslandsbeziehungen organisierten Weiterbildungsprogramms »Deutsch- land – Demokratischer Bundesstaat, Foederale Demokratie« acht irakische Jour- nalisten Berlin und informierten sich über die Arbeit der Außenstelle Baghdad sowie aktuelle Projekte zum Erhalt des irakischen Kulturerbes.

Tagung 26. bis 28. Juni Wissenschaftliche Tagung »Babylon – Wissenskultur in Orient und Okzident« (Organisation: Institut für Altorientalistik der Freien Univer- sität Berlin, Außenstelle Baghdad der Orient-Abteilung des DAI, Vorderasiati- sches Museum der Staatlichen Museen zu Berlin Stiftung Preußischer Kultur- besitz im Rahmen des Exzellenzclusters »Topoi«). – Es sprachen: John Curtis (London), The Condition of Babylon in December 2004; Elizabeth Stone (New York), The View from Above: Damage to Babylon and Other Iraqi Sites as Seen from Space; Mariam Umran Musa al-Adi (Baghdad), Damages Sustained in the Ancient City of Babylon; Michael Erler (Würzburg), Chaldäer im Platonismus; Willem Smelik (London), Babylon and the Babylonian Talmud; Dan Potts (Sydney), The Politai & the Bit Tammartu: The Seleucid & Parthian Theatres

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of the Greek Citizens; Paul-Alain Beaulieu (Toronto), Logistics in the Build- ing of the North Palace of Nebuchadnezzar at Babylon; Dina Katz (Leiden), Reconstructing Babylon: Recycling Old Traditions in the Service of a New Technology; Wilfred G. Lambert (Birmingham), The Background of Babylon and Its Rise to Eminence; Stefan M. Maul (Heidelberg), Zukunftswissen und die Wissenschaft von der Zukunft; Marc J. Geller (London), Where is ›Theory‹ in Babylonian Medicine; Hans Neumann (Münster), Babylonisches Rechts- denken im Spannungsfeld von Theorie und Praxis; Olof Pedersén (Uppsala), Excavated and Unexcavated Libraries in Babylon; Nils P. Heeßel (Heidelberg), Sieben Tafeln aus sieben Städten: Babylons Rolle als Zentrum der Wissenschaft; Wilfred van Soldt (Leiden), Wissensexporte: Babylon und die Curricula der Peripherie; Mathieu Ossendrijver (Tübingen), Exzellente Netzwerke in der babylonischen Astronomie; Dominique Charpin (Paris), Babylone à l’époche paléo-babylonienne: une capitale parmi des autres … qui est restée la seule; Christoph Markschies (Berlin), Babylon bei den Kirchenvätern; Cornelia Wunsch (Jena/Leipzig), Das babylonische Recht und seine Rezeption durch exilierte Judäer; Irving Finkel (London), The Cyrus-Cylinder; Francis Joannès (Paris), L’écriture publique du pouvoir dans la Babylonie du Ier millénaire; Reinhard Kratz (Göttingen), Nabonid in Qumran; Gotthard Strohmaier (Ber- lin), – die Stadt des Sîn in arabischer Zeit; Andrzej Reiche (Warschau), Altvorderasiatische Sammlungen und die Rezeption Babylons in Polen; Jean- Jacques Glassner (Paris), Noch einmal: Der Turm zu Babel und die vielen Sprachen.

Öffentlichkeitsarbeit

Am 24./25. Juni fand auf Vorschlag der Republik Irak und im Auftrag der UNESCO und des Sub-Committee Babylon des »International Coordination Committee for the Safeguarding of the Cultural Heritage of Iraq« im Orient- haus eine Konferenz (Abb. 2) statt, die dem Abschluss eines internationalen Schadensberichts über den antiken Ort Babylon diente, (Organisation: Mar- garete van Ess [Berlin], Sandra Feix [Berlin]). – Es nahmen teil: Hans-Joachim Gehrke (Präsident des DAI), Begrüßung; John Curtis (British Museum, Lon- don), John Russell (Massachusetts College of Arts, Boston), Ken Matsumoto

Abb. 2 Konferenzteilnehmer und Mitglieder des UNESCO »Sub-Committee Babylon«

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(Institute for Cultural Studies of Ancient Iraq, Kokushikan University Tokyo), Roberto Parapetti (Italian-Iraqi Centre for the Restoration of Monuments – Baghdad, Turin), Margarete van Ess (Wissenschaftliche Direktorin der Orient- Abteilung des DAI), Piotr Bielinski (Warschau), René Teygeler (Culture in Development, Utrecht), Elizabeth Stone (Stony Brook University, New York), Gaetano Palumbo (World Monuments Fund, New York), Muhyi K. Al-Khateeb (Botschafter, Permanent Delegate of Iraq to UNESCO, Paris), Mufid al-Jazairi (Chairperson of the Culture and Media Commission at the Iraqi Parliament), Kamel Abdullah Shia (Chairperson of the National Coordination Committee for the Safeguarding of the Iraqi Cultural Heritage [Ministry of Culture], Mariam Umran Musa al-Adi (Director of Antiquities, State Board of Antiqui- ties and Heritage, Babylon Province), Michelle L. Berenfeld (World Monu- ments Fund, New York), Stefan Simon (Rathgen-Forschungslabor der Staatli- chen Museen zu Berlin), Mohammed Djelid (Director UNESCO Iraq Office, Amman), Tamar Teneishvili (UNESCO Iraq Office, Amman), Nayab T. al- Dabbagh (UNESCO Iraq Office, Amman). Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung (Abb. 2). Vom 21. bis 29. Juni lud die Außenstelle, mit finanzieller Unterstützung im Rahmen des Kulturerhalt-Programms des Auswärtigen Amts, mehrere irakische Wissenschaftler und Mitarbeiter der irakischen Antikenverwaltung nach Berlin ein, um die Fortsetzung und Neuausrichtung wissenschaftlicher Gemeinschaftsprojekte, die Unterstützung des Irak im Bereich der Weiter- bildung von Archäologen und Restauratoren sowie die stärkere Einbindung in internationale Projekte, u. a. zum Erhalt von Babylon, zu strukturieren (Organisation: Margarete van Ess [Berlin], Sandra Feix [Berlin]). – Es nahmen teil: Mariam Umran Musa al-Adi (Director of Antiquities, State Board of Antiquities and Heritage, Babylon Province), Fleih Karim Khutheir al-Rikabi (Dean of the College of Arts, University of Baghdad), Sabah Shukri (Director of the Department of Archaeology, College of Arts, University of Baghdad), Abdulillah Fadhil Nouri (Professor of Assyriology, Department of Archaeolo- gy, College of Arts, University of Baghdad), Munthir Ali Abdul-Malik (Profes- sor of Assyriology, Department of Archaeology, College of Arts, University of Baghdad), Anmar Fadhil (Heidelberg), Zuhair Rijab al-Samarraee (Baghdad). Am 7. November besuchten 12 irakische Diplomaten das DAI im Rahmen des »2nd Executive Seminar for Diplomats from Iraq« (durchgeführt vom Auswärtigen Amt). Der Präsident des DAI Hans-Joachim Gehrke sowie Margarete van Ess infor- mierten über die Arbeit des Instituts und die Projekte der Außenstelle Baghdad sowie über die Aktivitäten des DAI zum Erhalt des Kulturerbes – sowohl im speziellen Fall des Irak als auch weltweit.

Ausgrabungen und Forschungen Außenstelle Damaskus

Shir Die spätneolithische Siedlung Shir bei der Provinzhauptstadt in Westsyrien bildet einen der Schlüsselfundorte zum Verständnis ökonomischer und tech- nologischer Entwicklungen des 7. Jts. v. Chr. in der nördlichen Levante. Nach einer kontinuierlichen Nutzung zwischen 7000 und ca. 6300/6200 v. Chr. wird der Platz offensichtlich aufgelassen und zu keinem späteren Zeitpunkt wieder besiedelt – eine Situation, die eine großflächige Freilegung zentraler

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Siedlungsbereiche und damit die Untersuchung von Siedlungslayout und funktionalen Einheiten erlaubt. Diese Daten bilden darüber hinaus die Basis für Überlegungen zur sozio-ökonomischen Struktur dieses Ortes. Die diesjährigen Arbeiten widmeten sich zwei Siedlungsbereichen: dem südlichen Areal L–M 7–8 und dem nordöstlich des zentralen Siedlungsge- bietes gelegenen Bereich L–O 20–21. In dem erstgenannten Areal wurde mit Stratum IV der älteste Abschnitt des oberen Schichtenpakets IV–VI erreicht, das etwa in den Zeitraum zwischen 6500–6400 v. Chr. datiert (kalibrierte Da- ten). Zahlreiche Gruben und Aschebereiche kennzeichnen dieses Gebiet. Im westlichen Teil des Areals finden sich jedoch verschiedene Mauer- und Fuß- Abb. 1 Shir, neolithischer Siedlungsplatz. bodenstrukturen und Installationen, die durch zahlreiche Umbau- und Erneu- Kleine Kalksteinpalette mit schwarzen erungsphasen charakterisiert sind. Eine Vielzahl sehr qualitätvoller Knochen- Farbresten (M. 1 : 3) und Steinobjekte, unter denen eine Kalksteinpalette mit schwarzen Farbspu- ren hervorzuheben ist (Abb. 1), stammt aus diesem Bereich. Eine besondere Befundsituation in diesem Bereich bildete eine Mehrfachbestattung in zwei flachen, durch Reihen kleiner Steine markierten Grabgruben, die unterhalb eines Fußbodens aus Kalkmörtel platziert waren. Bei den drei beigesetzten Individuen handelt es sich um zwei Erwachsene und ein Kind (Abb. 2). Intra- murale Bestattungen unter den Fußböden sind typische Erscheinungsformen des Neolithikums der Levante, die in verschiedenen Fundorten nachgewiesen wurden. Zu diesem Bestattungstypus gehören auch die in Shir zahlreich gefun-

Abb. 2 Shir, neolithischer Siedlungsplatz. Hockerbestattungen unter dem Fußboden in Areal L8

denen Skelette von Säuglingen, Neugeborenen oder Föten, die zumeist ohne erkennbare Grabgruben entweder ebenfalls unter den Fußböden oder auch unter den Mauern niedergelegt sind. Bei diesen konnte in zwei Fällen jeweils eine einzelne Türkisperle als Beigabe festgestellt werden. In dem nördlichen Siedlungsbereich wurde ein aus mehreren Einheiten bestehender Gebäudekomplex untersucht, dessen Räume aufgrund ihrer für Wohnzwecke zu geringen Größe von jeweils 2–2,20 m Länge und Breite wohl mit der Lagerung und Zubereitung von Nahrungsmitteln in Verbindung zu bringen sind (Abb. 3). Für eine solche Funktionszuweisung sprechen sowohl die zahlreichen, aus großen Gefäßen, Reibsteinen und Mörsern bestehenden Inventare als auch verschiedene Installationen, die als Speicheranlagen für

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Getreide zu deuten sind. Wie die zahlreichen, offensichtlich von einem Ober- Abb. 3 Shir, neolithischer Siedlungsplatz. geschoss herabgestürzten Fragmente von Kalkmörtelfußböden in den Raum- Magazinbau im nördlichen Grabungsareal füllungen nahe legen, dürften die ergrabenen Befunde das Untergeschoss ei- L–O 20–21 von Süden (Montage) ner ursprünglich zweistöckigen Anlage gebildet haben. Die Räume des Ober- geschosses waren wahrscheinlich aus Lehmziegeln errichtet, von denen sich keinerlei Spuren erhalten haben. Die zeitliche Einordnung der Keramiktypen (Abb. 4) deutet darauf hin, dass der Gebäudekomplex in den Zeitraum um 6300/6200 v. Chr. datiert und damit in die letzte Phase der Siedlung vor dem Auflassen gehört. Die durch den Magazinbau anzunehmende forcierte Vorrats- haltung in diesem Zeitraum könnte ein Hinweis auf veränderte Subsistenzbe- dingungen infolge negativer Klimaveränderungen sein und zudem auch mit einer anderen Sozialstruktur zusammenhängen, in der beispielsweise kollekti- ve Produktions- und Konsumformen bedeutsam wurden. Künftige Arbeiten in Shir sollen der Beantwortung dieser Fragen nachgehen. Kooperationspartner: Direction Générale des Antiquités et des Musées de la Syrie (DGAM) • Leitung des Projekts: K. Bartl, J. Ramadan (DGAM), W. al-Hafian (DGAM) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: M. Albrecht, A. Bassal, M. Dörfling, A. Gubisch, F. Geitel, G. Heindl, A. Hindawi, J. Krum- now, O. Nieuwenhuyse, K. Pfeiffer, J. Rogasch, D. Rokitta-Krumnow, G. Schnei- Abb. 4 Shir, neolithischer Siedlungsplatz. der, J. Uqla, Th. Urban, M. Youssef • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Ab- Großes Keramikgefäß aus dem Bereich des teilung, Th. Urban (Abb. 1–3); DAI, Orient-Abteilung, G. Heindl (Abb. 4). Magazingebäudes

Die lithische Industrie in Shir Die Entwicklung der lithischen Industrie des keramischen Neolithikums bildet eine der wichtigen Fragestellungen des Fundplatzes Shir. Aufgrund der kom- plexen stratigraphischen Abfolge für das 7. Jt. v. Chr. bietet die Siedlung her- vorragende Möglichkeiten der Analyse dieses zentralen Fundkomplexes, denn obgleich einige keramisch neolithische Fundplätze der Nordlevante bekannt sind, weisen diese jeweils nur kleine Ausschnitte lithischer Industrien auf.

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Abb. 5 Shir, lithische Industrie. Dunkle Die Steingeräteindustrie in Shir ist fast ausschließlich von Silex geprägt, der Silexbänder in den Kalksteinfelsen der lokal, d. h. direkt unterhalb der Siedlung im Kalksteinplateau ansteht und auch Umgebung des Fundortes in der näheren Umgebung in guter Qualität verfügbar ist (Abb. 5). Darüber hi- naus ist Obsidian in geringer Quantität vertreten, der einem Vorkommen in Mittelanatolien, dem Nenezi Dağı, zuzuschreiben ist. Zu den technologischen Aspekten konnten bereits verschiedene Charakteristika festgestellt werden. So ist die Kerntechnologie vor allem durch amorphe Abschlag-/Klingenkerne charakterisiert, während spezialisierter Kernabbau in Form von naviformen, d. h. bootsförmigen Kernen nur in geringem Maße vertreten ist (Abb. 6 a. b). Daneben findet sich bipolarer sowie unipolarer Klingenabbau. Viele Kerne sind derart ausgebeutet, dass eine eindeutige Zuschreibung einer bestimmten Abbautechnik nicht mehr möglich ist. Ein großer Teil der Restkerne ist zudem als Schwergerät benutzt worden und weist Schlagspuren auf. Spezialisierter Klingenabbau lässt sich anhand der aufgefundenen Klingendepots sehr gut nachvollziehen. So finden sich Klingen mit einer Länge von bis zu 16 cm, die

Abb. 6 a. b Shir, lithische Industrie. Boots- oder naviformer Silexkern zur Fertigung von Klingen (ca. M. 1 : 3; Zeichnung o. M.) 6 a 6 b

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Abb. 7 Shir, lithische Industrie. Verschie- dene Geschossspitzen aus Silex

von jeweils einem Kern abgetrennt worden sind. Die Abbautechnik ist bipo- lar, möglicherweise naviform, die Kerne fehlen allerdings. Es ist anzunehmen, dass die Klingen der Depots ursprünglich in einem vergänglichen Material eingewickelt waren, das heute nicht mehr vorliegt. Befunde dieser Art sind auch aus dem zeitgleichen Fundplatz Tell el-Kerkh 2, ca. 100 km nördlich von Shir gelegen, bekannt. Allgemein ist festzustellen, dass die Geräte von einer Klingenindustrie geprägt sind, was sowohl für die retuschierten Grundformen als auch für die Bohrer und Stichel gilt. Geschossspitzen sind in geringer Zahl in allen Bereichen und Schichten des Fundortes vertreten. Die überwiegen- de Zahl von Geschossspitzen bilden solche des Typus Amuq. Daneben treten Byblos- und Ugarit-Spitzen auf (Abb. 7). Ziel der weiteren Untersuchungen wird die feinstratigraphische Zuordnung und deren Auswertung sein, die die Entwicklung der lithischen Industrie während der Besiedlungsphasen aufzei- gen soll. Weitere Untersuchungsaspekte bilden Fragen des Obsidianhandels, der Bedeutung von Depotfunden (hier vor allem die Klingendepots) sowie der Grundformenherstellung vor Ort mittels spezialisierter Technik, insbe- sondere der naviformen Kerntechnologie. Zu den übergeordneten Aspekten der Untersuchung gehören außerdem Fragen der Gerätefunktion. Kooperationspartner: Direction Générale des Antiquités et des Musées de la Syrie (DGAM) • Beteiligte Institution: Eberhard-Karls-Universität Tü- bingen/Curt-Engelhorn-Zentrum der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim (E. Pernicka) • Leitung des Projekts: K. Bartl, D. Rokitta-Krumnow • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, K. Bartl (Abb. 5); DAI, Orient- Abteilung, D. Rokitta-Krumnow (Abb. 6); DAI, Orient-Abteilung, I. Wagner (Abb. 7).

Raphaneae Nachdem es im Vorjahr mit Hilfe erster großflächiger Georadaruntersuchun- gen gelungen war, Teile des aus historischen Quellen bekannten Legionsla- gers zu erfassen, wurden in diesem Jahr die geophysikalischen Untersuchun- gen in Raphaneae in Mittelsyrien fortgesetzt (Abb. 8). Ziel der Kampagne war es, weitere Hinweise auf die genaue Ausdehnung des Legionslagers sowie die Struktur seiner Innenbebauung zu erhalten. Da die Stationierung einer Legion den Ausgangspunkt der urbanistischen Entwicklung in Raphaneae bildete, ist hiervon zudem ein besseres Verständnis der römisch-byzantini- schen Stadt zu erwarten. In diesem Jahr konnten erstmals die Grenzen der Innenbebauung im Norden und Süden des Legionslagers erfasst werden. Die Ausdehnung nach Westen wurde weiter abgesichert. Im Süden des Lagerzentrums wurden

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Raphaneae

Abb. 8 Georadarmessungen südlich des Legionslagers im Bereich der frühkaiser- zeitlichen Zivilsiedlung

Abb. 9 Georadarmessungen 2008, Fläche TUV. Visualisierung der Messdaten (Tiefenbereich 0,60–1,40 m): römisch- byzantinische Steinbebauung im Osten des Legionslagerbereiches (M. 1 : 1500)

Abb. 10 Fragment einer frühkaiser- zeitlichen Weinamphore aus Pompeji mit Stempel des L. Eumachius auf der Oberseite des Henkels (M. 1 : 2) 8

Mannschaftsbaracken nachgewiesen, die anders orientiert sind als die im ver- gangenen Jahr erfassten, weiter westlich gelegenen Baracken. Darüber hinaus wurde erstmals eine Fläche geophysikalisch untersucht, die vermutlich ganz im Osten des Legionslagerareals liegt. In diesem Bereich durchzog eine wichtige Fernstraße die Stadt und das Lager, die von Antiochia kommend an die Küste nach Tripolis führte. Oberflächenfunde weisen darauf hin, dass das Areal bis in frühbyzantinische Zeit genutzt wurde. Zudem ließen oberflächig sichtbare Orthostaten massive Steinbauten erwarten. Zwei dieser Bauten sind nach den diesjährigen Georadarprospektionen im Plan zu fassen (Abb. 9, unten). Mes- sungen im nördlich anschließenden Olivenhain zeigen zusammen mit ande- ren Befunden, dass im Zuge der landwirtschaftlichen Nutzung die antike Bau- substanz in einzelnen Parzellen tief greifend zerstört wurde (Abb. 9, oben). Überraschend ist der Befund der Georadaruntersuchungen im Süden des Legionslagers. Die Lagerbebauung endet viel weiter nördlich, als angesichts des Oberflächenbefundes zu erwarten war. Südlich schließt eine etwa 75 m breite, bebauungsfreie Zone an. Südlich dieser bebauungsfreien Zone ist in der Visualisierung der Georadarmessdaten eine Straße zu erkennen, die zu beiden Seiten von streifenförmigen Parzellen gesäumt wird. Die Form dieser Parzellen und die Art ihrer Bebauung erinnern stark an die Streifenhäuser der Zivilsiedlungen römischer Militärlager in den Nordwestprovinzen. Das Oberflächenmaterial aus diesem Bereich wird – soweit dies beim derzeitigen Bearbeitungsstand zu beurteilen ist – von frühkaiserzeitlichen Sigillaten do- miniert. Fragmente schliffverzierter Buntgläser stützen die Datierung. Dem- nach deutet alles darauf hin, dass es sich bei den Befunden südlich des Legi- 9 onslagers um Teile der canabae handelt. Damit wäre im Vorderen Orient erst- mals die Zivilsiedlung eines frühkaiserzeitlichen Legionslagers zu fassen. Unter den Funden, die im Zuge der geophysikalischen Prospektionen auf- gesammelt wurden, ist das Fragment einer frühkaiserzeitlichen Weinamphore Dressel 2–4 mit lateinischem Herstellerstempel zu erwähnen (Abb. 10). Der Stempel des L. Eumachius weist die Amphore als Produkt einer Werkstatt aus, die in Pompeji zu lokalisieren ist und von einer der wohlhabenden Familien der Stadt betrieben wurde. Das Legionslager Raphaneae wurde demnach in der Zeit unmittelbar nach seiner Gründung aus Italien mit Wein beliefert. 10

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Kooperationspartner: Direction Générale des Antiquités et des Musées de la Syrie (DGAM) • Beteiligte Institution: Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) Wien • Leitung des Projekts: M. Gschwind, J. Ra- madan (DGAM) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: S. S. Seren, E. Bayırlı, M. Stephani • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, M. Gschwind (Abb. 8. 10); ZAMG, S. S. Seren, A. Eder-Hinterleitner unter Verwendung ei- ner Plangrundlage von N. Koch und Th. Kerraschk (Abb. 9).

Shayzar/Larissa Im Vorjahr wurde im modernen Ort Shayzar, 20 km nordwestlich von Hama am Orontes gelegen, ein Surveyprojekt durchgeführt, um Näheres über die zeitliche und räumliche Ausdehnung der an diesem Ort lokalisierten antiken Stadt Larissa in Erfahrung zu bringen. Nachdem im Stadtgebiet von Shayzar eine intensive Vermessungs- und Prospektionskampagne durchgeführt wer- den konnte (Abb. 11), war das Ziel der diesjährigen Arbeiten die Vervollstän- digung der zeichnerischen Dokumentation der gefundenen Oberflächenke- ramik. Parallel dazu wurden die geodätischen Pläne fertiggestellt.

Abb. 11 Shayzar/Larissa, Plan der moder- nen Siedlung. Gestrichelt eingetragen ist die Fläche, auf der die Keramikprospektion durchgeführt wurde (M. 1 : 7500)

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Das zeitliche Spektrum der Keramik umfasst die Spanne zwischen osma- nischer Zeit (Abb. 12) und später Frühbronzezeit (Abb. 13) und belegt damit die Existenz der Ansiedlung bereits mindestens 700 Jahre vor der erstmaligen schriftlichen Erwähnung des Ortes unter dem Namen Zizara in der späten Bronzezeit. Es ist damit wahrscheinlich, dass die Stadt in der Frühbronzezeit unter einem anderen – bisher unbekannten – Namen verzeichnet wurde. Das Gros der antiken feinkeramischen Funde stammt aus der hellenistischen Neu- 12 gründung Larissa bzw. aus dem 4. Jh. v. Chr. bis 2. Jh. n. Chr.; demgegenüber spärlich sind spätantike Importwaren. Ein zweiter deutlicher Schwerpunkt kann im 11.–15. Jh. n. Chr. ausgemacht werden, als die Stadt Sitz eines loka- len Fürstengeschlechts war. Da sich die Keramikprospektion auf die unbebau- ten Flächen im östlichen, niedrigeren Teil des Siedlungshügels beschränken musste, ist für die schlecht bezeugten Zeiträume möglicherweise mit einem Rückzug des Wohngebietes auf die höher am Hang gelegenen Bereiche der Stadt zu rechnen. In geringerem Maß deutet auch die Konzentration der islamischen Keramik im östlichen Teil der Surveyfläche auf eine gegenüber der antiken Siedlung geringere Ausdehnung der islamischen Stadt hin. Ein schärferes Bild der Siedlungsentwicklung ist zu erwarten, wenn auch das grob- keramische Material detailliert ausgewertet sein wird. Neben den archäologischen Auswertungsarbeiten konnten in diesem Jahr auch Archivstudien zur Entwicklung von Shayzar in osmanischer Zeit durch- geführt werden. Bis in das 17. Jh. war der Ort ein lokales Zentrum, von dem aus verschiedene umliegende Dörfer verwaltet wurden. Aufgrund unsicherer 13 Straßen verminderte sich seine wirtschaftliche Bedeutung zusehends und im 18. Jh. wurde schließlich ebenso die noch verbliebene Garnison abgezogen. Shayzar/Larissa, Keramikfunde Auch nach dem allgemeinen Aufschwung am Ende der osmanischen Herr- schaft, an dem Shayzar gleichfalls partizipierte, konnte der Ort seine frühere Abb. 12 Osmanischer Pfeifenkopf (M. 1 : 1) Bedeutung nicht wiedererlangen. Abb. 13 Scherbe der späten Frühbronze- Kooperationspartner: Direction Générale des Antiquités et des Musées de zeit (M. 1 : 2) la Syrie (DGAM) • Leitung des Projekts: M. Grawehr, J. Ramadan (DGAM) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: A. Bucher, C. Rüdiger, J. Reilly • Abbil- dungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, C. Rüdiger (Abb. 11); DAI, Orient- Abteilung, M. Grawehr (Abb. 12. 13).

Resafa Resafa liegt im nördlichen Syrien, etwa 50 km südwestlich von Raqqa und 25 km vom Euphrat entfernt. Der um das Jahr 300 n. Chr. erlittene Märtyrer- tod des römischen Offiziers Sergius, seine zunehmende Verehrung als Heili- ger und die bald darauf einsetzende Pilgerbewegung zu seinem Grab führten im 5. und 6. Jh. n. Chr. zur Entwicklung und dem Ausbau der Stadt sowie zu ihrer Umbenennung in Resafa-Sergiupolis. Resafa blieb bis zur Aufgabe der Stadt in Folge eines Mongoleneinfalls im 13. Jh. auch nach der islamischen Eroberung eine bedeutende Pilgerstadt. In diesem Jahr wurden in Resafa zwei Kampagnen durchgeführt, in denen alle fünf Teilprojekte bearbeitet werden konnten. Im Teilprojekt 1 »Archäolo- gische Karte« wurde für die Basilika B und D der jeweilige Forschungsstand aufbereitet. Zusätzlich wurde begonnen, die Plangrundlagen und Messnetze intra und extra muros abzugleichen. Im Teilprojekt 2 »Archäologie und Prospektionen« wurden die in den Jah- ren 2006 und 2007 aufgefundenen Stücke sowie Fundkomplexe der Keramik aufgearbeitet. Darüber hinaus wurde im östlichen Bereich des Umlandes von Resafa eine Nachbegehung der früheren Surveys unternommen, um zu prü- fen, ob eine feinere zeitliche Differenzierung der Lesefunde möglich ist und

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14 15

weitere Aussagen zur Siedlungsgeschichte von Resafa zulässt. Durch die In- Resafa, Basilika A. Südschiff, Apsisneben- tegration des Resafa-Projekts in das Exzellenzcluster »Topoi« konnte das Teil- raum (2008) projekt 2 zusätzlich um ein Tandemprojekt zwischen Archäologie und Geo- Abb. 14 Blick von Westen graphie erweitert werden, in dem die Rekonstruktion der historischen Um- weltbedingungen sowie Fragen der Wasserwirtschaft ein besonderes Gewicht Abb. 15 Isometrie der Stützkonstruktion haben. Erste Begehungen innerhalb der archäologischen Schutzzone und Er- kundungen zum weiteren Wassereinzugssystem wurden durchgeführt. Für das Teilprojekt 3 »Untersuchung der Stadtmauer von Resafa« konnte die Neuaufnahme der Stadtmauer mit dem Abschluss der Grundrissvermes- sung einen ersten Zwischenstand erreichen. Gleichzeitig wurde das Gelände zwischen der Stadtmauer und der modernen Umgehungsstraße neu aufge- nommen und ein digitales Geländemodell erstellt. In dem Teilprojekt 4 »Konsolidierungs- und Restaurierungsmaßnahmen« wurden Unterhaltungsmaßnahmen im Depot in Turm 49 der Stadtmauer vor- genommen. Auf der Grundlage der 2002 und 2006 durchgeführten Präzisi- onsmessungen und des bereits vorliegenden statischen Gutachtens zur Stand- sicherheit der Basilika A konnte ein Konzept für temporäre Konstruktionen als Bockgerüste aus Nadelholz zur Sicherung für drei besonders gefährdete Bereiche erarbeitet und umgesetzt werden (Abb. 14. 15). Die dabei ausgeführ- ten Konstruktionen wurden so gewählt, dass sie mit einheimischen Arbeitern und mit vor Ort verfügbaren Materialien zu realisieren waren. Bei einem in Resafa durchgeführten Workshop mit verschiedenen Fachleuten wurde das Konzept der temporären Konstruktionen diskutiert und erste Überlegungen

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Resafa, Zentralbau (Blick von Westen)

Abb. 16 Terrestrisches Laserscanning (2008)

Abb. 17 Luftbild (1999)

für eine umfassende Sicherung der Basilika A wurden vorgestellt. Die Arbei- ten im Teilprojekt 4 konnten zudem auf den Zentralbau ausgeweitet werden. Hier wurde zur Vorbereitung der partiellen Anastilosis eine präzise dreidimen- sionale Gebäudedokumentation mittels terrestrischem Laserscanning durch- geführt, zudem wurden die bauarchäologischen Untersuchungen fortgesetzt (Abb. 16. 17). Nach der im letzten Jahr begonnenen Bauforschung und Scha- denskartierung am Nordostturm des Zentralbaus, standen in diesem Jahr die Überprüfung der Bauaufnahme aus den 1950er Jahren und eine steingerechte Dokumentation der bisher nicht in den Plänen verzeichneten Bauteile im Vordergrund der Betrachtung.

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Für das Teilprojekt 5 »Touristische Erschließung – site management« wurde der Recherchebericht fertiggestellt. Weiterhin konnten die Planung des Be- sucherweges abgeschlossen, erste Informationstafeln erstellt und daneben die Vorbereitungen für ein Informationsfaltblatt für die Besucher der Ruine ab- geschlossen werden. Die Arbeiten in Resafa waren in diesem Jahr hauptsächlich von Konsoli- dierungsmaßnahmen an der Basilika A bestimmt. Die archäologischen Feld- forschungen sollen im kommenden Jahr fortgesetzt werden. Kooperationspartner: Direction Générale des Antiquités et des Musées de la Syrie (DGAM) • Beteiligte Institutionen: Fachgebiet Historische Baufor- schung, Masterstudium Denkmalpflege (MSD) der Technischen Universität Berlin; Institut für Geomatik der Hochschule für Wirtschaft und Technik Karlsruhe; Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Abteilung für Asi- atische und Islamische Kunstgeschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Geodätisches Labor der Universität der Bundeswehr München-Neu- biberg; Fachrichtung Physische Geographie der Freien Universität Berlin • Leitung des Projekts: D. Sack (Technische Universität Berlin), M. Sarhan (DGAM) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: F. Berger, Chr. Abendschein, K. Dierks, I. Frase, M. Gussone, Ch. Hamzé, H. Heister, G. Hell, D. Hempel, C. Hof, Th. Horn, M. Issa, Y. Khoury, M. Klessing, Ch. Konrad, D. Kurapkat, W. Liebl, A. Mollenhauer, M. Müller-Wiener, I. Salman, A. Schumann, U. Sie- gel, M. Stephani, A. Sternberg, J. Uhl • Abbildungsnachweis: DAI, Orient- Abteilung, I. Frase (Abb. 14. 15); DAI, Orient-Abteilung, M. Gussone (Abb. 16); DAI, Orient-Abteilung, M. Stephani (Abb. 17).

Palmyra Während wir über Geschichte und Kultur der Oasenstadt Palmyra in der römischen Kaiserzeit durch schriftliche und archäologische Quellen gut in- formiert sind, war das ›hellenistische‹ vorrömische Palmyra bisher nur aus literischen Quellen zu erschließen. Ein deutsch/österreichisch-syrisches Kooperationsprojekt hat deshalb zum Ziel, dieses vorrömische Palmyra zu lokalisieren und zu erforschen. Die in diesem Jahr durchgeführten Arbeiten dienten der Aufarbeitung des Fundmaterials aus dem Karawanenbau (›Khan‹) im Areal der hellenistischen Stadt. Neben der Restaurierung einzelner Fun- de (Abb. 18 a. b) waren die Arbeiten auf drei Bereiche konzentriert. (1.) Die Sichtung der Wandmalereifragmente mit dem Ziel, Dekorati- onssysteme einzelner Räume zu ermitteln. So lässt sich z. B. für einen der Abb. 18 a. b Palmyra, Pferdetrense Räume ein System hexagonaler Felder und Rundmedaillons mit figürlichen vor und nach der Restaurierung Darstellungen (imagines clipeatae) rekonstruieren (Abb. 19), wie sie ähnlich im (2. Jh. n. Chr.); M. 1 : 2

18 a 18 b

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Palmyra

Abb. 19 Wanddekoration aus dem ›Khan‹. Rundmedaillon mit figürlicher Darstellung (2. Jh. n. Chr.)

Abb. 20 Wanddekoration im ›Grab der Drei Brüder‹ (2./3. Jh. n. Chr.)

›Grab der Drei Brüder‹ erhalten sind (Abb. 20). Außerdem wurde eine Mach- barkeitsstudie zur Konservierung, möglichen musealen Präsentation sowie Endlagerung des Materials erstellt. (2.) Die Glas-, Metall- und Keramikfunde wurden weiter bearbeitet und nach drei Kriterien bzw. Kategorien geschieden: mögliche museale Präsenta- tion, Lagerung im Depot des Museums, endgültige Lagerung außerhalb des Museums. (3.) Alle ›Kleinfunde‹ wurden erneut gesichtet und in eine Datenbank eingegeben, die es ermöglicht, die Funde nach Gattungen im Kontext der Befunde aufzuzeigen. Ziel ist eine Funktionsanalyse einzelner Räume. Die Fundkonzentration bzw. -verteilung einzelner Fundgattungen und Keramik- typen im Bau lassen verschiedene funktionale Bereiche innerhalb des Baus unterscheiden: Tätigkeiten im Zusammenhang mit »Religion und Kult«, mit »Fernhandel und Wirtschaft«, mit »Waschen und Reinigen«, mit »Spiel und Unterhaltung« sowie herrschaftliche Bankette und Speisezubereitung. Der Architekturbefund des ›Khan‹ wurde außerdem als Monument N209 in den topographischen Gesamtplan von Palmyra (Atlas de Palmyre I: Topo- graphia Palmyrena) eingebracht.

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Kooperationspartner: Direction Générale des Antiquités et des Musées de la Syrie (DGAM), Universität Wien • Förderung: Österreichischer Wissen- schaftsfonds (FWF) • Leitung des Projekts: A. Schmidt-Colinet, W. al-As’ad (DGAM) • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: L. As’ad, S. Bortenschlager, U. Egger, H. Jom‘a, R. Ployer, Ch. Römer-Strehl, P. Schwinghammer, B. To- ber • Abbildungsnachweis: Universität Wien, Institut für Klassische Archä- ologie, E. Hütter (Abb. 18 a. b); Universität Wien, Institut für Klassische Ar- chäologie, B. Tober (Abb. 19); Universität Wien, Institut für Klassische Archä- ologie, R. Ployer (Abb. 20).

Isriye/Seriana Das antike Seriana oder Seriane, heute Isriye, liegt in der mittelsyrischen Steppe, nördlich der antiken Palmyrene und recht genau auf der Nahtstelle zwischen noch ackerbaufähigem Land und reiner Steppe. Im Rahmen eines früher durchgeführten Surveys sowie der Grabungsarbeiten der Jahre 1991– 1995 waren Siedlungsaktivitäten seit der frühen römischen Kaiserzeit bis in mamlukische Zeit nachweisbar. Die Befunde werden nun zur Publikation vorbereitet.

Abb. 21 Isriye, Blick aus der antiken Siedlung von Osten auf den Tempel. Im Vordergrund ein islamischer Friedhof

Seriana erlangte im frühen 3. Jh. n. Chr. größere Bedeutung, als der Ort als Posten zweier Straßen im Itinerarium Antonini Erwähnung fand und der Tempel gemäß der Analyse seiner Bauornamentik errichtet wurde (Abb. 21). Dieser besaß eine Cella mit korinthischen Wandpilastern und war vermutlich ein viersäuliger Prostylos. Der archäologische Befund deutet auf eine Ora- kelstätte hin. Dies zeigen die Wahl der Stelle über einer Felsspalte, der Bau einer überwölbten Krypta im Podium des Tempels und über dem chasma, die unmittelbare Zugehörigkeit eines Brunnens zum Tempel sowie der Fund einer kaiserzeitlichen Bronzefigur des Apollon-Kitharoidos (Abb. 22). Dabei war bereits das kaiserzeitliche Bildnis ursprünglich nicht als Kitharoidos konzi- piert, sondern mit Pfeil und Bogen. Elemente des griechischen Orakelwesens,

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namentlich Delphi und Klaros, spielten dem Befund nach eine entscheiden- de Rolle als Vorbilder. Mit seiner auf das Dach führenden Treppe für Opfer- handlungen des Priesters zeigt sich die Anlage jedoch als typischer orientali- scher Tempel der römischen Kaiserzeit. Somit ist es auch hier am wahrschein- lichsten, dass der Tempel einer einheimischen Himmelsgottheit geweiht war. Demgegenüber ist die Apollonfigur eher als Manifestation der Orakeleigen- schaft des Gottes oder einer Hypostase von ihm zu verstehen. Den kosmischen Charakter der Gottheit des Tempels unterstreicht das Tympanonrelief einer Mondgottheit am rückwärtigen Tympanon, dem auf der Vorderseite ehemals die Darstellung einer Sonnengottheit entsprochen haben wird. Als Zeugnis- se des hier geübten Kultes erhielten sich Reste von Auloi und einfachen klei- nen Räucheraltärchen. Ob dem heute sichtbaren Tempel ein Vorgängerbau voranging, bleibt dagegen einstweilen ungewiss. Gegen Mitte des 3. Jhs. n. Chr. wurde der Tempel in die Stadtmauer der Siedlung integriert. Die Mauer hatte ein Fundament aus grob zugeschlagenen Kalksteinen, über dem Lehmziegelmauerwerk folgte. Unmittelbar am Tem- pel entwickelten sich im Schutze der Mauer kleine Lehmziegelhäuschen, die durch die Grabung freigelegt bzw. angeschnitten wurden. Sie waren nicht eigentlicher Bestandteil des Heiligtums. Aus ihnen stammen auffälligerweise römische Militaria, hauptsächlich von Schuppenpanzern. Sie fanden sich in einem Zerstörungshorizont, in dem auch der sorgfältig niedergelegte Apollon zusammen mit einer nur kurze Zeit umgelaufenen Münze des Galerius der Abb. 22 Isriye, Bronzefigur des Apollon. Jahre 304/305 n. Chr. lag. Das Heiligtum fand offensichtlich vergleichsweise Die Linke griff in Sturzlage noch an die früh ein gewaltsames Ende. Unklar bleibt, welcher Einheit die Funde römi- Kithara, die Fingerhaltung deutet aber scher Militaria zuzurechnen sind. Immerhin scheint diese im späten 3. und frü- auf Pfeile als ursprüngliches Attribut hen 4. Jh. n. Chr. nicht in einem Lager garnisoniert gewesen zu sein, sondern in einem Viertel der Siedlung; ein Konzept, das auch sonst aus dem Orient bekannt ist. Erst etwa ein Jahrhundert später wird in der Notitia Dignitatum or. XXXIII 16 die Einheit der equites scutarii Illyriciani in Seriana erwähnt. Ein eine auffällig hohe Konzentration von Sigillaten des 6. und frühen 7. Jhs. n. Chr. aufweisendes, ca. 185 m × 145 m messendes Mauergeviert sehr mas- siver Bauweise nördlich vom Tempel könnte das zugehörige Lager sein. Der ehemalige Tempel erhielt durch den Abbau seiner Vorhalle den Cha- rakter eines Turmes in der Stadtmauer. In eventuell frühbyzantinischer Zeit wurde an die Stelle der ehemaligen Vorhalle eine unterkellerte Terrasse gebaut, die zu einem Wohncharakter aufweisenden Anwesen gehört. Der dabei ange- fallene Schutt wurde in die nun zerstörten und von oben zugänglichen Keller verfüllt. Die dicken Ascheschichten stellen einen einheitlichen Fundkomplex dar, der zusammen mit den restlichen Kleinfunden in der Endveröffentlichung vorgelegt werden wird. Das Anwesen wurde in einer Brandkatastrophe zer- stört, die in das 11. bis frühe 12. Jh. n. Chr. datiert und nach Ausweis der Kera- mik auch das Ende der Blütezeit der Siedlung markiert. In gewissem zeitlichen Abstand zu dieser Katastrophe wurde der Tempel ein letztes Mal umgebaut: An die Stelle des zerstörten Daches trat eine auf halber Höhe eingesetzte, leicht geneigte Flachdecke, über die man Regenwasser in die nun als Zisterne genutzte Krypta leiten konnte. Mit dieser Maßnahme lassen sich Fragmente einer arabischen Bauinschrift aus der Zeit des mamlukischen Gouverneurs Tankiz (1312–1340 n. Chr.) verbinden. Kooperationspartner: Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz; Direction Générale des Antiquités et des Musées de la Syrie (DGAM) • För- derung: Fritz Thyssen Stiftung • Leitung des Projekts: R. Eichmann, R. Go- gräfe • Mitarbeiter: R. Baldus, St. Heidemann, K. Toueir • Abbildungsnach- weis: DAI (Abb. 21); Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz (Abb. 22).

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Wissenschaftliche Veranstaltungen

Vorträge 19. März Clemens Reichel (Chicago), Welt im Umbruch: Tell Hamoukar (Nord- ost-Syrien) – Stadtentstehung und Konflikte im 4. Jahrtausend v. Chr.xxx16. Ap- ril Lutz Martin (Berlin), Tell Halaf/Guzana – Eine Residenzstadt im 1. Jahrtau- send v. Chr. in Nordost-Syrien. Erste Ergebnisse der neuen syrisch-deutschen Ausgrabungenxxx24. April Klaus S. Freyberger (Rom), Die Heiligtümer in Kanatha und Seeia. Zeugnisse einer religiösen Sanktionierung der Verfügungs- gewalt über das Wasserxxx19. November Franziska Bloch (Damaskus), Die Ruinen Usays am Gabal Says: Zeugnisse spätantiker und frühislamischer Sied- lungsaktivitäten im südsyrischen Steppengürtelxxx24. November Karin Pütt (Berlin), Traditionelle Wohnhäuser in Syrien (Veranstaltung zusammen mit dem Goethe-Institut Damaskus).

Öffentlichkeitsarbeit

Ausstellung 4. bis 27. November Photoausstellung »Architektur und Identität – Traditi- onelle Wohnhäuser in Syrien« (in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Damaskus; Idee und Konzeption der Ausstellung: Karin Pütt [Berlin]; Ver- anstaltung und Förderung: DAI, Orient-Abteilung, Außenstelle Damaskus; Goethe-Institut Damaskus).

Ausgrabungen und Forschungen Außenstelle Sana’a

Sirwah, archäologisch-baugeschichtliche Forschungen in der sabäischen Stadtanlage Flächenmäßig zählt die Stadtanlage von Sirwah, 40 km westlich der antiken Hauptstadt Marib gelegen, mit nur 3 ha zu den kleinen Städten Sabas, den- noch werden hier von den sabäischen Herrschern zu Beginn des 1. Jts. v. Chr. aufwendige Bauprogramme umgesetzt. Die archäologischen Forschungen in Sirwah konzentrierten sich in diesem Jahr vor allem auf die weitere Freilegung des Fünfpfeilerbaus und den zweiten Bankettbereich im Almaqah-Heiligtum, auf verschiedene Abschnitte der Stadtbefestigung sowie die Fortsetzung der Arbeiten am Verwaltungsbau. Bei dem Fünfpfeilerbau im nördlichen Stadtgebiet (Abb. 1–3) handelt es sich um den bisher ältesten sabäischen Pfeilerbau vermutlich sakraler Funk- tion, der in späterer Zeit keine Überbauung erfuhr und dessen Architektur somit komplett freigelegt werden kann (Abb. 1). Bislang einzigartig für Süd- arabien ist, dass sich der Maueraufbau an einigen Stellen von der Fundamen- tierung des Podiums bis zu den originalen hölzernen Deckenbalken des Erd- geschosses bei einer erhaltenen Gebäudehöhe von über 10 m bewahrt hat. Darüber hinaus repräsentiert das Gebäude die bisher älteste Holz-Stein-Fach- werkarchitektur Südarabiens. Bei dem verwendeten Holz handelt es sich um Akazie, ein in der Region weit verbreitetes Baumaterial. Über mehrere 14C- Proben, die durchgängig um 900 v. Chr. datieren, fällt die Errichtung des Fünfpfeilerbaus in die sabäische Frühzeit. Viele der Hölzer haben die Brand- zerstörung des Gebäudes überstanden, an anderen Stellen geben lediglich die Wandvertiefungen die Lage der ehemaligen Balken an. Die Laibungen der

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Sirwah, Fünfpfeilerbau (um 900 v. Chr.)

Abb. 1 Blick von Osten auf den Eingang mit monumentaler Treppenanlage und steinernem Portal

Abb. 2 Reste der erhaltenen Holzrahmung einer Tür aus Akazienholz

Abb. 3 Grundrissplan des Holz-Stein-Fachwerkgebäudes (M. 1 : 400)

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3 330 Jahresbericht 2008 des DAI

Abb. 4 Sirwah, Stadtmauer beim Almaqah-Heiligtum. Ansicht der mit Lapiliebrekkzie-Platten gepflasterten Straße sowie links der Reste der älteren Stadtmauer (9./8. Jh. v. Chr.)

Türen bestanden aus sorgfältig verzapften Holzbalken, deren Erhaltungszu- stand außergewöhnlich gut ist (Abb. 2). Die architektonische Gestaltung der Fassade mit monumentalen Eck- und Mittelrisaliten findet in der sabäischen Kulturlandschaft bislang keine Paral- lelen (Abb. 3). So weisen alle bisher ausgegrabenen Sakral- wie Profanbauten Sabas andere Grundrissschemata auf. Lediglich das als Palast oder Tempel ge- deutete, »TT1« genannte Gebäude in der qatabanischen Hauptstadt Timna (4. Jh. v. Chr.) besitzt beim Podium eine vergleichbare Nischenarchitektur. Die symmetrische Aufteilung der Räume rechts und links eines zentralen Korridors mit einer an dessen Ende liegenden, zum Obergeschoss führen- den Treppe, ist ebenfalls vergleichbar, doch ist das aufgehende Mauerwerk in Timna im Gegensatz zu Sirwah nicht erhalten. Von dem Inventar des Fünfpfeilerbaus hat sich kaum noch etwas bewahrt. Fragmente von Opferplatten und Weihrauchaltären, Bruchstücke von Wid- mungsinschriften sowie viele möglicherweise für Opferhandlungen dienen- de Mulden in den monolithischen Steinplatten des Bodens lassen, kombiniert mit der Pfeilerarchitektur, eine Deutung als Sakralbau zu. Mit der Anlage der frühesten Sakralbauten in Sirwah erfolgte auch die Er- richtung einer mächtigen Stadtmauer, die mehrere Umbauphasen aufweist. Im Zuge der Stadtmauerforschung ließ sich ein weiterer Mauerabschnitt der Frühphase im Süden der Stadt nachweisen. Auch beim nördlichen Eingang zum Almaqah-Tempel konnte der Verlauf der ältesten Stadtbefestigung weiter verfolgt werden. Erstreckt sich die Stadtmauer hier zunächst parallel zur Tem- pelmauer des 7. Jhs. v. Chr., so ändert sie – der Ausrichtung der Bronzewerkstatt und den anschließenden Kulträumen folgend – ihre Richtung nach Nordosten. Zwischen der innerstädtischen Architektur und der Stadtbefestigung war hier eine breite gepflasterte Straße angelegt (Abb. 4), die auf einem Platz mit einer noch in situ stehenden frühsabäischen Inschriftenstele zu enden scheint. Bei dem Verwaltungsbau konnte die vom Straßenniveau auf die den Hof umfassenden Bauten führende zentralaxial angelegte Treppe freigelegt werden, von der sich aufgrund von Steinraub bis auf eine Kalksteinstufe lediglich die Unterfütterung der Treppenanlage erhalten hat. Diese ist eingebunden in ei- ne mächtige Mauer aus Travertinblöcken, die die beiden Eckrisalite der Hof-

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umfassung verbindet und möglicherweise als Fundamentierung für mehrere Pfeiler diente, durch die der Besucher schritt, bevor er über einen nicht mehr existierenden zweiten Treppenabschnitt auf die Hofumfassung gelangte. Weite Teile der bereits freigelegten innerstädtischen Architektur wurden mit einem 3D-Scanner aufgenommen und ein neu entwickeltes 3D-Scanner- gestütztes Handaufmaßverfahren perfektioniert. Kooperationspartner: Lehrstuhl für Semitische Philologie und Islamwis- senschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients (N. Nebes); Geographisches Institut, Physische Geographie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (P. Kühn, D. Pietsch, Th. Scholten); Paläontologisches Institut der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (R. Koch, Ch. Weiß); Department Geomatik, Labor für Instrumentenkunde der HafenCity Universität Hamburg (Th. Kersten, K. Me- chelke); General Organization for Antiquities and Museums (A. Bawazir) • Leitung des Projekts: I. Gerlach • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: J. Bosch, W. Brettschneider, U. Brunner, H. Ferdinand, W. Fischer-Ohl, S. Japp, J. Kra- mer, P. Kühn, K. Mechelke, J. Malsch, M. Manda, N. Nebes, D. Pietsch, A. Rentmeister, K. Schenk, M. Schmitz, I. Wagner, C. Weiß, J. Zech • Abbil- dungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, I. Wagner (Abb. 1. 2. 4); DAI, Außen- stelle Sana’a (Abb. 3).

Sabäische Sakralarchitektur, Gestalt, Ausstattung und Rekonstruktionsversuch der Kultpraktiken Ziel ist es, mittels einer systematischen Erforschung der Kultpraktiken, Ritu- ale und Votive anhand archäologischer Funde und Befunde in Abhängigkeit zur architektonischen Gestalt der Heiligtümer, typisch südarabische Phänome- ne zu benennen und eine vergleichende Gegenüberstellung zu anderen anti- ken Kulturen wie z. B. des ägyptischen Raumes vorzunehmen. Zentrale Frage- stellungen des Projekts sind wie und in welchem Ausmaß die soziale Ordnung der sabäischen Gesellschaft mit ihren sich wandelnden religiösen Vorstellungen die Gestaltung des sakralen Raumes prägte. Der Übergang vom Polytheismus zum Monotheismus im 4. Jh. n. Chr. und die Auswirkungen auf die Sakralar- chitektur und den Kult spielen dabei eine besonders wichtige Rolle. Im Rahmen des Forschungsclusters 4 »Heiligtümer: Gestalt und Ritual. Kontinuität und Veränderung« des DAI wurde die Untersuchung der Sakral- bauten Sirwahs sowie ihrer Kultinstallationen fortgesetzt. Besonderes Augen- merk lag dabei auf den Bankettbereichen für Ritualmahlzeiten im Almaqah- Heiligtum. Die Vielzahl der nebeneinander existierenden, zu Beginn des 1. Jts. v. Chr. in der Stadtanlage von Sirwah gegründeten Sakralbauten zeugen davon, dass der Kultbetrieb eine entscheidende Rolle im städtischen Leben spielte (Abb. 5). So scheint die gesamte Infrastruktur der Stadt auf die Aufrechterhaltung des Kultbetriebes ausgerichtet gewesen zu sein. Große Bereiche intra muros werden von Sakralbauten eingenommen. Die Tempel waren einer vor Ort ansässigen Priesterschaft zugeordnet und spielten sicherlich als Wirtschaftsfak- toren sowie für die juristische Organisation des Gemeinwesens der Stadt und des Umlandes eine wichtige Rolle. Wohn- und Handwerksbereiche sind in Sirwah nach jetzigem Forschungsstand grundsätzlich in die Stadtmauer integ- riert. Große Wohnviertel privaten Charakters, wie sie etwa für die Metropole Marib nachgewiesen werden können, scheinen sich frühestens ab dem 1. Jh. v. Chr. außerhalb der ummauerten Stadtgrenzen Sirwahs zu etablieren. Sirwah wird vor allem die Funktion eines religiösen Zentrums der sabäischen Herr- scher zugekommen sein.

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Sirwah, Almaqah-Heiligtum

Abb. 5 Blick von Westen auf die Tempelanlage mit den zur Restaurierung niedergelegten Eingangspfeilern

Abb. 6 Reste der Tische und Bänke des Bankettbereiches im Tempelinneren mit Brandaltar im Vordergrund 6

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Abb. 7 Sirwah, Almaqah-Heiligtum. Stark zerstörter zweiter Bankettbereich südlich des Tempels mit ursprünglich 14 Tischen für etwa 230 Personen

Die aufwendigsten Kultinstallationen des Almaqah-Tempels von Sirwah, die spätestens in der Regierungszeit Yada’il Darihs im 7. Jh. v. Chr. errichtet wurden, bilden die Bankettbereiche für rituelle Mahlzeiten. Bereits Anfang der 1990er Jahre wurden an der westlichen Tempelmauer im Inneren des Almaqah-Hei- ligtums Reste von acht steinernen Tischen mit Sitzbänken ausgegraben (Abb. 6). Dieser Bereich war ursprünglich überdacht, wie Einlassspuren in den Bän- ken zeigen. Nach der Länge der Sitzbänke zu urteilen, konnten hier bei einer durchschnittlichen Sitzbreite von 50 cm ca. 130 Personen Platz nehmen. Ein weiterer Speisetrakt, der in diesem Jahr freigelegt wurde, befand sich in einem südlich an den Tempel angebauten Raum (Abb. 7). Dieser war vom In- neren des Tempels über eine Tür betretbar. Erhalten haben sich Reste weiterer 14 Tische sowie Spuren auf den Kalksteinplatten, auf denen sich ursprünglich die beidseitigen Bänke erhoben. Die Erschließung der Sitzplätze erfolgte über einen mittig angeordneten, mit Kalksteinplatten gepflasterten Gang. Sowohl das Baumaterial Kalkstein und die Art der Steinbearbeitung als auch die Maße und Ausrichtung der Bänke wie Tische entsprechen der Bankettzone des Tempel- inneren. Man kann daher annehmen, dass dieser Essplatz gleichzeitig mit dem inneren errichtet und genutzt wurde. Nochmals mindestens 230 Personen ver- mochten hier bewirtet zu werden, insgesamt also ca. 360. Die räumliche Tren- nung der Bankettbereiche lassen die Nutzung durch unterschiedliche Bevöl- kerungsgruppen vermuten, doch ist dies bisher nicht zweifelsfrei zu belegen. Wer die Teilnehmer derartiger Kultmahlzeiten waren, wird in den Schrift- quellen des 8./7. Jhs. v. Chr., die das Ausrichten eines rituellen Mahls nennen, nicht explizit erwähnt. Sicherlich zählten Vertreter der Oberschicht wie Stam- mesfürsten und Priester dazu. Die Inschriften vermerken, dass die Ausrichtung eines rituellen Mahls im Tempel durch die Gottheit selbst oder den Herrscher erfolgte bzw. seltener durch eine andere hochgestellte Person. Das Abhalten derartiger Mahlzeiten von Seiten eines Herrschers steht dabei in fast allen inschriftlichen Belegen der frühsabäischen Zeit im Zusammenhang mit einer wohl parallel abgehaltenen Feuerzeremonie. An anderen Kulthandlungen in Verbindung mit der rituellen Mahlzeit werden die ›heilige Hochzeit‹ des Herrschers mit der Priesterin der Göttin Hawbas sowie die ›Bundesschlie- ßungsformel‹ – eine Formel, die den Hegemonialanspruch der sabäischen Mukarribe über Südarabien ausdrückt, – genannt. Die Durchführung eines rituellen Banketts in diesem Kontext besitzt folglich eine ganz außergewöhn- liche politische Bedeutung: Von Seiten der Gottheit bzw. des Herrschers wer-

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den nicht nur Pilger verpflegt, sondern das rituelle Mahl konnte wie die ande- ren vom Mukarrib durchgeführten Kulthandlungen vor allem der politischen Legitimation des Herrschers dienen. Kooperationspartner: Lehrstuhl für Semitische Philologie und Islamwis- senschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients (N. Nebes); Geographisches Institut, Physische Geographie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (P. Kühn, D. Pietsch, Th. Scholten); Paläontologisches Institut der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (R. Koch, Ch. Weiß); Department Geomatik, Labor für Instrumentenkunde der HafenCity Universität Hamburg (Th. Kersten, K. Me- chelke); General Organization for Antiquities and Museums (A. Bawazir) • Leitung des Projekts: I. Gerlach • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: H. Ferdi- nand, S. Japp, M. Kinzel, J. Kramer, K. Mechelke, J. Malsch, M. Manda, N. Ne- bes, M. Schnelle, M. Schmitz, I. Wagner, Ch. Weiß • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, I. Wagner (Abb. 5–7).

Oasen von Marib und Sirwah, Bewässerungsstrategien und gesellschaftspolitische Organisationsprinzipien als Voraussetzung für die Entstehung und Entwicklung der sabäischen Kultur An den Austritten der Wadis im östlichen Vorland des jemenitischen Hochge- birges entstehen am Ende des 2. Jts. v. Chr. große Oasen, die die Zentren der sog. südarabischen Karawanenreiche bilden – jener Reiche, deren Politik sehr stark von der Sicherung der Handelsrouten für den Transport vor allem von Weihrauch und Myrrhe bestimmt und deren sozioökonomische Erscheinung durch den lukrativen Handel mit diesen Duftstoffen geprägt wurde. Das wirtschaftlich und politisch bedeutendste Karawanenreich war Saba mit den beiden Zentren Marib und Sirwah. Die im Rahmen des Forschungs- clusters 2 »Innovationen: technisch, sozial« des DAI in den Oasen von Marib und Sirwah durchgeführten archäologischen, geologischen sowie geomor- phologisch-bodenkundlichen Untersuchungen haben ergeben, dass es bereits vor Errichtung der großen Wasserwirtschaftsbauten des 1. Jts. v. Chr. in dieser Region natürliche Ressourcen gegeben hat, die die Ernährung der wachsen- den Bevölkerung zu sichern vermochten. Weil der arabische Raum ab 1500 v. Chr. sukzessive trockener wurde, benötigten die Menschen neben Wander- viehwirtschaft und Jagd alternative Nahrungsquellen. Demzufolge war man spätestens gegen Ende der Bronzezeit (um 1200 v. Chr.), bei stetig abnehmen- den Niederschlägen und somit ausdünnender natürlicher Vegetationsdecke, auf

Abb. 8 Marib, Oase. Die sehr hoch anste- henden antiken Sedimente lassen sich an verschiedenen Stellen der Oase noch heute nachweisen

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9 a 9 b

Abb. 9 a. b Marib, Oase. Paläoböden im Nahrungsmittelergänzung – beispielsweise aus dem Feldbau – angewiesen. Oasengebiet von Marib Dies führte zur Entwicklung innovativer Bewässerungsbauten (Abb. 8). Einen wesentlichen Schwerpunkt der Forschungen zur Paläoumweltre- konstruktion und Nutzungsgeschichte bildete in diesem Jahr die Aufnahme fossiler bronzezeitlicher und sabäischer Sedimente und Böden sowohl unter- halb der Bewässerungssedimente als auch außerhalb der ehemals bewässerten Oasenflächen (Abb. 9 a. b). Ein Teil der untersuchten Böden konnte anhand des 14C-Alters von Schneckengehäusen und Huminstoffen datiert werden. Um den Ablagerungszeitraum der Sedimente zeitlich zu fassen, wurden Lumines- zenzdatierungen (OSL = optisch stimulierte Lumineszenz) an Quarzen durch- geführt. Zwischen 8000 und 4000 v. Chr. kamen verschiedene Feuchtphasen und geomorphodynamische Stabilitätsphasen vor, die sich durch höhere Nie- derschlagsmengen als heute auszeichnen. Diese hatten eine dichtere Vegetati- onsbedeckung und intensivere Bodenbildung zur Folge. Architekturstrukturen wie Turmgräber oder Mauern von Tierfallen (Abb. Abb. 10 a. b Marib, Oase. Datierungen der 10 a. b) im Raum Marib konnten aufgrund fehlender, eindeutig datierbarer Sedimente unterhalb von Grabanlagen für die Bestimmung von Maximalaltern dieser Artefakte bisher nur ungenau eingeordnet werden. Über Datierungen der un- Strukturen ter der Basis der Steinsetzungen liegenden Böden und Sedimente lassen sich

10 a 10 b

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Abb. 11 Sirwah, Oase. Karte mit der Gesamtausdehnung des im 10. Jt. v. Chr. existierenden Sees in der Ebene um die sabäische Stadtanlage

neben dem Sedimentationszeitpunkt gleichzeitig Höchstalter für die jewei- ligen Architekturen ermitteln. Die bisher an Landschneckengehäusen und or- ganischer Substanz ermittelten 14C-Alter von 7500 bis 4500 v. Chr. aus Sedi- menten unterhalb der Architekturbefunde zeigen, dass mit der beschriebenen Vorgehensweise das ungefähre Maximalalter dieser Strukturen eingegrenzt werden kann. Die geologischen Untersuchungen in der Oase von Sirwah ergaben, dass das flache Becken um die sabäische Stadtanlage (Abb. 11) ursprünglich ein ausgedehnter See mit einer maximalen Größe von 50 km2 war. Nach den bisherigen Datierungen entstand dieser zunächst ganzjährig stehende Was- serkörper in einer Feuchtphase des Frühholozäns, spätestens im 10. Jt. v. Chr. Der See verwandelte sich nach ca. 500–700 Jahren in eine mit Papyrus und Schilf bestandene Sumpflandschaft mit mehreren kleineren Gewässern. Um 2000 v. Chr. trocknete der See fast vollständig aus. Reste menschlicher Hin- terlassenschaften vor dieser Zeit wurden während der archäologischen Sur- veys in der Ebene von Sirwah folgerichtig nicht entdeckt (Abb. 12), sondern nur in den angrenzenden Bergregionen bzw. auf den aus der ursprünglichen Sumpflandschaft herausragenden Felskuppen. In der Stadtanlage von Sirwah lässt sich eine Besiedlung über 14C-Daten bislang ab der Mitte des 2. Jts. v. Chr. nachweisen, also ab der Zeit, in der der See bereits nicht mehr existierte und die Bevölkerung wegen des ariden Klimas wie in Marib auf Bewässerungs- technologien angewiesen war. Wasserwirtschaftsbauten Sirwahs sind zwar we- sentlich kleiner als die in Marib, ließen aber dennoch die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Nutzflächen von knapp 1000 ha zu. Kooperationspartner: Lehrstuhl für Semitische Philologie und Islamwissen- schaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Sprachen und Kultu- ren des Vorderen Orients (N. Nebes); Geographisches Institut, Physische Geogra- phie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (P. Kühn, D. Pietsch,Th. Schol- ten); Paläontologisches Institut der Friedrich-Alexander-Universität-Nürnberg

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Abb. 12 Sirwah, Oase. Blick von Norden (R. Koch, Ch. Weiß); Department Geomatik, Labor für Instrumentenkunde auf die Ebene von Sirwah der HafenCity Universität Hamburg (Th. Kersten, K. Mechelke); General Or- ganization for Antiquities and Museums (A. Bawazir) • Leitung des Projekts: I. Gerlach • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: J. Bosch, U. Brunner, S. Japp, J. Kramer, P. Kühn, M. Manda, D. Pietsch, K. Schenk, I. Wagner, Ch. Weiß, J. Zech • Abbildungsnachweis: DAI, Außenstelle Sana’a, Holger Hitgen (Abb. 8); DAI, Orient-Abteilung, I. Wagner (Abb. 9 a. b; 12); Eberhard-Karls-Univer- sität Tübingen, D. Pietsch (Abb. 10 a. b); DAI, U. Brunner, C. Weiß (Abb. 11).

Sirwah, Heiligtum des Almaqah Neben der wissenschaftlichen Erforschung der Oase und Stadtanlage von Sirwah waren Konsolidierungs- und Restaurierungsmaßnahmen an den wich- tigsten Monumenten des Fundplatzes ein weiteres Anliegen der diesjährigen Arbeiten. Im Almaqah-Heiligtum wurden in diesem Jahr die Pfeiler des ersten zur Stadt hin ausgerichteten Propylons wieder aufgerichtet (Abb. 13), das zur Zeit des sabäischen Herrschers Yada’il Darih in der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. erbaut und während der Zeit des Naša’karib Yuha’min am Ende des 1. Jhs. n. Chr. mit sechs überlebensgroßen Bronzestatuen dekoriert wurde. Diese weihte der Herrscher dem Gott Almaqah, dem »Herrn der Steinböcke«, für dessen Heil und das Wohl des königlichen Palastes Salhin in Marib. Drei der ursprünglich sechs Pfeiler wurden mit Hilfe eines 50 Tonnen-Krans nach ihrer Restaurie- rung wieder aufgerichtet sowie sieben weitere des zweiten Hauptpropylons für die zukünftige Restaurierung niedergelegt. Risse in den Pfeilern wurden mit Edelstahldübeln fixiert und mit Epoxydharz verklebt. Eine Verankerung

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der freistehenden Monolithe erfolgte mit jeweils vier Edelstahlstangen, die in Sirwah, Almaqah-Heiligtum die Pfeilerbasen eingelassen sind. Der stark verwitterte Plattenboden des Tempelinneren wurde mit Kalkmör- Abb. 13 Erstes Propylon zum Vorhof des Almaqah-Tempels tel verputzt (Abb. 14) und die Oberkanten von Mauern des Vorhofes sowie der Bronzewerkstatt wurden mit dem wasserundurchlässigen Mörtel Qadad ver- Abb. 14 Mörtelarbeiten am Kalkstein- siegelt (Abb. 15). plattenboden im Innenhof Kooperationspartner: Paläontologisches Institut der Friedrich-Alexander- Abb. 15 Produktion von dem Kalkmörtel Universität Erlangen-Nürnberg (R. Koch, Ch. Weiß); Department Geomatik, Qadad für die Versiegelung der Mauerober- Labor für Instrumentenkunde der HafenCity Universität Hamburg (Th. Kers- kanten im Rahmen der Restaurierungs- ten, K. Mechelke); Dombauhütte Xanten (J. Schubert); General Organization arbeiten for Antiquities and Museums (A. Bawazir) • Förderung: Jemenitischer Social Fund of Development (SFD) • Leitung des Projekts: I. Gerlach • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: W. Brettschneider, W. Fischer-Ohl, J. Kramer, J. Malsch, A. Rentmeister, M. Schnelle, I. Wagner, Ch. Weiss • Abbildungsnachweis: DAI, Orient-Abteilung, I. Wagner (Abb. 13–15).

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Marib, Planung eines Provinzmuseums Für die Planung des Provinzmuseums in Marib wurden die Ausstellungskon- zepte für die Bereiche der Ethnographie, Islamischen Kunst, Geographie und antiken Bewässerungstechnologie sowie der Schrift und Sprache Sabas abge- schlossen. Darüber hinaus wurde eine Museumshomepage entworfen, welche die bisherigen Ziele und Projektschritte präsentiert und als Kommunikations- plattform für die Projektmitarbeiter dienen soll. Am 8. Mai fand in Berlin ein Workshop über den Planungsstand des Muse- ums statt, auf dem alle Mitarbeiter die verschiedenen Konzeptionen der Teil- bereiche des Museums vorstellten. Am 6. und 7. August erfolgte gemeinsam mit S. Kamel (Staatliche Museen zu Berlin, Institut für Museumsforschung), R. Timmerman und H.-J. Harras (Staatliche Museen zu Berlin, Abteilung Technik und Sicherheit), W.-D. Thonhofer (Architekturbüro Frankfurt a. M.) sowie Frau Gerlach die Wettbewerbsprüfung eines Architekturentwurfs für das Museum. Das Ergebnis wurde am 17. September in Sana’a dem jemenitischen Social Fund of Development (SFD) vorgestellt. Alle Parteien stimmten über- ein, dass der einzige Enwurf, der von den vier im Rahmen einer Ausschrei- bung aufgeforderten Architekturfirmen einging, die aufgestellten Kriterien nicht erfüllt. Der SFD bat daraufhin die Außenstelle, einen Entwurf in Auf- trag zu geben, der in Absprache mit der Außenstelle und ihren Projektpart- nern sowie der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) erstellt wird. Ein entsprechender Vorschlag wird derzeit von der Außenstel- le (2nd Phase Marib Museum: »Realization of the Exhibition and Museum Design«) ausgearbeitet. Kooperationspartner: Lehrstuhl für Semitische Philologie und Islamwis- senschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients (N. Nebes); Geographisches Institut, Physische Geographie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (P. Kühn, D. Pietsch, Th. Scholten); Paläontologisches Institut der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (R. Koch, Ch. Weiß); General Organization for Antiqui- ties and Museums (A. Bawazir); Staatliche Museen zu Berlin Stiftung Preußi- scher Kulturbesitz (Vorderasiatisches Museum, Museum für Islamische Kunst, Institut für Museumsforschung) • Förderung: Jemenitischer Social Fund of Development (SFD); USAID • Leitung des Projekts: I. Gerlach • Mitar- beiter und Mitarbeiterinnen: R. Arndt, U. Brunner, R. Crassard, Ch. Gerbich, D. Heiden, S. Japp, S. Kamel, N. Nebes, M. al-Qubati, M. Schnelle, W.-D. Thon- hofer, M. Wachowski, Ch. Weiß.

Öffentlichkeitsarbeit

Gemeinsam mit der Deutschen Botschaft Sana’a, dem Präsidenten des DAI, Hermann Parzinger, und dem Ersten Direktor der Orient-Abteilung, Ricardo Eichmann, veranstaltete die Leiterin der Außenstelle, Iris Gerlach, am 21. Ja- nuar eine Pressekonferenz, in der sie über die nunmehr 30jährigen deutsch- jemenitischen Forschungen der Außenstelle informierten. Frau Gerlach be- treute das vom 18. bis 21. Januar mit Herrn Parzinger angereiste Team der Deutschen Welle und gab mehrere Filminterviews. Am 20. November richtete die Deutsche Botschaft Sana’a, unterstützt von der Außenstelle Sana’a des DAI, während der Grabungs- und Restaurie- rungsaktivitäten in Sirwah ein Festessen für etwa 200 Personen aus, an dem der Gouverneur von Marib, S. E. Nagi al-Zaidi, Vertreter der Lokalregierung und Stämme sowie die jemenitischen und deutschen Mitarbeiter des Sirwah-

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Abb. 16 Festessen der Deutschen Botschaft Sana’a im Projekthaus der Außenstelle in Sirwah

Projekts teilnahmen (Abb. 16). Anlässlich dieses Treffens wurden die Entwick- lungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland in der Provinz Marib sowie die Arbeiten der Außenstelle und deren kulturpolitische Aspekte für die Region diskutiert. Der Gouverneur und der Militärchef der Provinz Marib sowie der Antikendirektor von Sirwah sicherten ihre volle Unterstützung der deutschen Arbeiten in Sirwah zu und betonten die langen freundschaftlichen Beziehungen Deutschlands zum Jemen. Die nun bereits seit 2001 kontinu- ierlich durchgeführten archäologischen und restauratorischen Tätigkeiten des Deutschen Archäologischen Instituts in Sirwah wurden gewürdigt und auch die von der Außenstelle Sana’a vor Ort betreuten Trainingsprogramme der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) als äußerst erfolgreich und nachhaltig beschrieben. Generell wurden die Hoffnung auf die Weiterführung und Intensivierung dieser Maßnahmen und der Wunsch nach einer Erschließung der Ruinen für den Tourismus zum Ausdruck gebracht.

Ausstellung »Preserving the Past while Building the Future – An Exhibition of Archaeological Discoveries from the LNG Project« Nachdem die Außenstelle Sana’a gemeinsam mit dem Centre Français d’Ar- chéologie et de Sciences Sociales de Sana’a (CEFAS Sana’a) und der jemeniti- schen Antikenbehörde General Organization for Antiquities and Museums in den letzten Jahren im Vorfeld des Baus einer 320 km langen Gaspipeline deren geplante Strecke prospektiert und mehrere Notgrabungen durchgeführt hatte, wurden die Ergebnisse zum Abschluss der Arbeiten in einer Ausstellung im Na- tional Museum Sana’a der Öffentlichkeit vorgestellt (Abb. 17). Drei Grabungs- projekte wurden herausgestellt: Eine bronzezeitliche Siedlungs- und Nekropo- lenanlage in BalhŒf, ein bronzezeitlicher Friedhof auf dem westlichen Jol (2. Jt. bis frühes 1. Jt. v. Chr.) sowie eine Oasen- und Siedlungsanlage aus der altsüd- arabischen Zeit im Wadi JirdŒn (1. Jt. v. Chr.). Die Ergebnisse der letztgenann- ten Grabung führten zu einer Verlegung der Pipelinetrasse, so dass der Erhalt dieses Fundplatzes möglich war. Gleichzeitig vermittelte die Ausstellung, wie der Erhalt des jemenitischen Kulturerbes sowie die wirtschaftliche Entwick- lung im Einklang und ohne Behinderung der einzelnen Interessen verwirk- licht werden können. Das abgeschlossene Projekt mag als Pilotprojekt mit Vorbildcharakter für weitere Infrastrukturprojekte im Lande dienen, um den

AA-2009/1 Beiheft Orient-Abteilung, Außenstelle Sana’a 341

Abb. 17 Katalog der Ausstellung »Preserving the Past while Building the Future – An Exhibition of Archaeological Discoveries from the Yemen LNG Project« im Nationalmuseum von Sana’a

anhaltenden Prozess der Zerstörung von archäologischen und historischen Stätten im Jemen aufzuhalten. Zur Eröffnung der von der Außenstelle konzipierten Sonderausstellung am 29. April wurde neben dem Ausstellungskatalog eine weitere Publikation vor- gelegt, in der die Ergebnisse der Ausgrabungen in Darbas und auf dem westli- chen Jawl einer breiten Öffentlichkeit allgemeinverständlich vorgestellt werden. Leitung des Projekts: I. Gerlach • Mitarbeiter: H. Hitgen, R. Crassard, M. Sinnah, M. Jerichow (MEDIA DESIGN), V. Mantel (MEDIA DESIGN).

Veröffentlichungen

H. Hitgen – R. Crassard – I. Gerlach, Rescue Excavations along the Yemen LNG Pipeline from Marib to BŒlhŒf. With contributions of U. Brunner, H. Guy, S. Japp, J. Schiettecatte and M. Schnelle H. Hitgen – R. Crassard – I. Gerlach, Preserving the Past while Building the Future – An Exhibition of Archaeological Discoveries from the Yemen LNG Project. Catalogue of the Exhibition in the National Museum Sana’a 29th April to 22nd May 2008

Sonstiges

Im Vergleich zum Vorjahr haben sich die Rahmenbedingungen für archäolo- gische Arbeiten im Lande aufgrund der angespannteren Sicherheitslage ver- ändert. Seit Herbst 2007 wurden mehrere Al-Qaida zugerechnete Terroran- schläge auf Regierungseinrichtungen und Touristengruppen sowie in diesem Jahr innerhalb von sechs Monaten zwei Anschläge auf die US-Botschaft in Sana’a verübt. Der bewaffnete Konflikt in der Nordprovinz Sa’ada griff zudem zeitweise auch auf andere Landesteile über und reichte im Mai/Juni 2008 bis in die Umgebung von Sana’a. Letzteres hatte die zeitweilige Sperrung der Straße nach Marib zur Folge. Die Außenstelle sah wegen dieser unklaren Situation davon ab, im Berichtszeitraum Forschungen in der Oase von Marib vorzunehmen und konzentrierte ihre Aktivitäten auf Sirwah.

AA-2009/1 Beiheft Mitglieder der Kommission der KAAK

Die Direktoren der KAAK Kaulicke, Peter, Dr. Der Präsident Pontifícia Universidad Católica del Peru Kobler Martin, MD Departamento de Humanidades Auswärtiges Amt, Leiter der Kultur- Apartado 1761 und Kommunikationsabteilung PE-100 Lima Werderscher Markt 1 Mielsch, Harald, Prof. Dr. D-10117 Berlin Rheinische Friedrich-Wilhelms- Bemmann, Jan, Prof. Dr. Universität Rheinische Friedrich-Wilhelms- Archäologisches Institut Universität Am Hofgarten 21 Institut für Vor- und Frühgeschichtliche D-53113 Bonn Archäologie Reisch, Ludwig, Prof. Dr. Regina-Pacis-Weg 7 Friedrich-Alexander-Universität Erlan- D-53113 Bonn gen-Nürnberg Breunig, Peter, Prof. Dr. Institut für Ur- und Frühgeschichte Johann Wolfgang Goethe-Universität Kochstr. 4 (18) Seminar für Vor- und Frühgeschichte, D-91054 Erlangen Archäologie Afrikas Sack, Dorothée, Prof. Dr.-Ing. Postfach 11 19 32 Technische Universität Berlin D-60054 Frankfurt a. M. Fakultät VII – Architektur. Umwelt. Daim, Falko, Prof. Dr. Gesellschaft, Fachgebiet Historische Generaldirektor, Römisch-Germani- Bauforschung sches Zentralmuseum Straße des 17. Juni 152 Ernst-Ludwig-Platz 2 D-10623 Berlin D-55116 Mainz Schier, Wolfram, Prof. Dr. Dr. h. c. Fischer, Eberhard, Dr. Freie Universität Berlin Generalsekretär, Schweizerisch-Liech- Institut für Prähistorische Archäologie tensteinische Stiftung für Archäologi- (Ur- und Frühgeschichte) sche Forschungen im Ausland Altensteinstr. 15 Museum Rietberg D-14195 Berlin Gablerstr. 15 Stöllner, Thomas Robert, Prof. Dr. CH-8002 Zürich Deutsches Bergbau-Museum Grube, Nikolai, Prof. Dr. Fachbereich Montanarchäologie Rheinische Friedrich-Wilhelms- Herner Str. 45 Universität D-44787 Bochum Institut für Altamerikanistik und Wagner, Günther, Prof. Dr. Ethnologie Ruprecht-Karls-Universität Römerstr. 164 Geographisches Institut D-53117 Bonn Im Neuenheimer Feld 348 Höllmann, Thomas O., Prof. Dr. D-69120 Heidelberg Ludwig-Maximilians-Universität Müller-Karpe, Hermann, Prof. Dr. Institut für Sinologie Erster Direktor i. R. Kaulbachstr. 51 A Am Limperichsberg 30 D-80539 München D-53639 Königswinter (ohne Votum) Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen

Kommission für Archäologie Direktoren Außereuropäischer Kulturen Dr. Burkhard Vogt, Erster Direktor Dr. Josef Eiwanger, Wissenschaftlicher Direktor Dürenstr. 35–37 D-53173 Bonn Wissenschaftliche Mitarbeiter Tel.: +49-(0)228 99 7712-0 Prof. Dr. Hans-Georg Hüttel, Dr. Heiko Prümers, Dr. Markus Reindel, Fax: +49-(0)228 99 7712-49 Dr. Andreas Reinecke, Dr. Hans Joachim Weißhaar E-Mail: [email protected] Wissenschaftliche Hilfskräfte Carolina Hohmann M. A. (bis 14. 6.), Denise Kupferschmidt M. A. (bis 31. 7.), Volker Soßna M. A. (ab 2. 5.)

Aus Drittmitteln finanzierte Stellen Christina Franken M. A. (DFG, bis 31. 5.), Carolina Hohmann M. A. (BMBF, ab 15. 6.), Susanne Schlegel M. A. (BMBF, ab 1. 5.)

Forschungsstelle der KAAK

Forschungsstelle Ulaanbaatar, Ansprechpartner: Prof. Dr. Hans-Georg Hüttel Mongolei Dürenstr. 35–37 Postadresse und Kontaktdaten über die Kommission für Archäologie Außereuropäischer D-53173 Bonn Kulturen in Bonn wie nebenstehend Tel.: +49-(0)228 99 7712-0 Fax: +49-(0)228 99 7712-49 E-Mail: [email protected]

Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen

Ausgrabungen und Forschungen

Osterinsel (Isla de Pascua/Rapa Nui), Chile Auf der völlig isoliert im Südpazifik gelegenen Osterinsel entwickelte sich spätestens ab 1000 n. Chr. die kulturgeschichtlich als neolithisch einzustufen- de Rapa Nui-Kultur, die vor allem für ihre Ritualplattformen (Ahu) und die monumentalen Tuffstatuen (Moai) berühmt ist. Das Forschungsprojekt der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen widmet sich nicht nur der Dokumentation des obertägig sichtbaren Denkmalbestandes, sondern auch und vor allem der Untersuchung der Wirtschaftsweise und der räumli- chen und sozialen Organisation ausgewählter Siedlungen. Zur Feststellung der Erosionsrate und anderer Oberflächenveränderungen wurden der Moai von Vaihu und die Ahu von Akivi, Ko Te Riku und Huri A Urenga erneut mit dem Laserscanner dokumentiert. Die dabei gewonnenen Daten werden Steinrestauratoren zur Verfügung gestellt, um zukünftige Kon- servierungsmaßnahmen zu unterstützen. Darüber hinaus wurden zahlreiche Plattformen gescannt, die teils wieder errichtet, wenngleich bislang aber un- dokumentiert, teils noch unausgegraben sind. Über GPS-Messungen wurden sämtliche Scandaten und die damit erfassten Monumente sowie Fundorte in das lokale Koordinatensystem der Insel eingebunden. Parallel dazu erfolgten geophysikalische Prospektionen vor allem an jenen Plätzen, die für Ausgra- bungen vorgesehen sind. In der Regel belegen die dabei generierten Graustu- fenbilder diverse unterirdische Strukturen, deren Größe und Funktion durch zukünftige Flächengrabungen untersucht werden sollen. Abb. 1 Osterinsel (Chile), der Fundplatz Ava Ranga Uka A Toroke Hau auf dem Erste Grabungen erfolgten am Fundplatz Ava Ranga Uka A Toroke Hau Südhang des Terevaka-Vulkans (Abb. 1), wo sich im Bett eines kleinen Canyons zahlreiche Steinstrukturen

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finden, darunter die Reste von zwei kleinen Dammanlagen. Hier und da Abb. 2 Osterinsel (Chile), Ava Ranga Uka verlaufen Mauern entlang der Hänge. Drei oder vier kleine Höhlen säumen A Toroke Hau. Das Wasserbecken während die gestufte Felswand, vereinzelt liegen Basaltquader herum, Reste einer Pflas- der Freilegung. Im Hintergrund rechts Reste der Ritualplattform Ahu Hanua Nua terung mögen einst zu einem Pfad gehört haben, der die Dämme mit dem Mea mit umgestürztem Moai unmittelbar benachbarten Ahu Hanua Nua Mea und einem oberhalb gelege- nen Siedlungsareal verband. Dieser Geländeabschnitt einschließlich der höher gelegenen Uferbereiche wurde gescannt, der Vorplatz des Ahu Hanua Nua Mea geophysikalisch prospektiert. Im Bachbett wurde eine rechteckige Megalithstruktur freigelegt, die eine Länge von 5 m und Breite von 2,75 m aufweist (Abb. 2). Sie ist bis ca. 1,50 m in den Boden eingetieft und besteht aus sehr großen, sauber bearbeiteten und sorgfältig verbauten Basaltquadern und -platten. Die Position der Struktur mitten im Bachbett jedoch lässt wenig Zweifel, dass sie als Wasserbecken dien- te. Dies wird auch durch die Schichtenfolge in der Beckenfüllung belegt. Sie setzte sich zu einem erheblichen Teil aus Material zusammen, das vom Hang des Bachufers hineingespült worden war. Lediglich ein 20–30 cm starker Bodensatz bestand aus einer tiefschwarzen Ablagerung, die einen sehr hohen Anteil kompostierten organischen Materials enthielt, und darüber liegend ei- ne Schicht aus rötlichem, offensichtlich stark eisenoxidhaltigem Lehm. Den eigentlichen Beckenboden bildete gewachsener Fels und partiell ein die Gelän- deunebenheiten ausgleichendes Geröllpflaster (Abb. 3). Beim Herausnehmen von zwei dieser Bodenplatten kam erneut eine tiefschwarze Schicht zu Tage, die mehrere Basaltgeräte und Fragmente von Obsidianwerkzeugen enthielt. Abb. 3 Osterinsel (Chile), Ava Ranga Uka Damit vergesellschaftet waren zahlreiche Schalen von Kokosnüssen, von denen A Toroke Hau. Das Wasserbecken nach Abschluss der Ausgrabung. Das gesamte 14 viele Nagespuren von Ratten zeigten. Die C-Datierung dieser Reste steht Baumaterial ist an dieser Stelle sekundär noch aus, es wird aber mit einem korrigierten Datum um 1500 gerechnet. verwendet

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Abb. 4 Osterinsel (Chile), Ava Ranga Uka A Toroke Hau. Der Westhang oberhalb des Beckens mit Resten einer Terrassen- mauer, oberhalb davon erstreckt sich ein Siedlungsareal

Oberhalb des Beckens war das westliche Bachufer durch eine mehrlagige Bruchsteinmauer gefasst. Anscheinend diente sie als Uferbefestigung und ver- hinderte somit die Erosion. Westlich des Beckens verläuft längs zum Hang eine dicke Mauer, die aus zwei Mauerschalen aus mittelgroßen Bruchsteinen besteht und eine Füllung aus Erde und Kies aufweist (Abb. 4). Offenkundig diente sie der Terrassierung des westlichen Uferabschnittes. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Ergebnisse der Grabungen dahin- gehend zusammenzufassen, dass der Fundplatz wohl mehr als lediglich eine Anhäufung von Wasserwirtschaftsbauten war. Der Aufwand, der bei der Errich- tung des Beckens betrieben wurde, lässt eine besondere Funktion der Installa- tion vermuten, die gleichermaßen eine rituelle Komponente beinhaltete. Die auf dem Felsboden des Beckens entdeckte Petroglyphe eines Fisches oder Del- fins, der nahe gelegene Ahu Hanua Nua Mea und Spuren von Hangpflasterung und -terrassierung auf beiden Ufern mögen dafür zusätzliche Indizien sein. Kooperationspartner: Museo Antropológico Padre Sebastian Englert, Hanga Roa/Isla de Pascua; Department Geomatik der HafenCity Universität Hamburg; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege München • Leitung des Projekts: B. Vogt, F. Torres Hochstetter • Mitarbeiter und Mitarbeiterin- nen: M. Cuadros Hucke, J. Fassbinder, Chr. Hartl-Reiter, W. Herberg, P. Im- Obersteg, Th. Kersten, M. López Atam, K. Mechelke, J. Moser, O. Pakarati Avéralo, N. Schlüter, A. Sedov, M. Vogt, K. Zabel • Abbildungsnachweis: B. Vogt (Abb. 1. 3); W. Herberg (Abb. 2. 4).

Anden-Transekt 1 (Peru) Das interdisziplinäre Verbundprojekt »Anden-Transekt: Klimasensitivität prä- kolumbischer Mensch-Umwelt-Systeme« wird seit Anfang 2008 vom Bun- desministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Förderschwerpunkt »Wechselwirkungen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften« gefördert. Im Teilprojekt Archäologie wird in einem repräsentativen Querschnitt durch die Westseite der peruanischen Anden die Siedlungsentwicklung von der Ein- wanderung menschlicher Gemeinschaften in Südamerika um 10 000 v. Chr. bis zum Beginn der Kolonialzeit im frühen 16. Jh. n. Chr. untersucht. Das Forschungsgebiet liegt im Süden Perus und umfasst das Einzugsgebiet des Río Grande de Nasca, dessen Zuflüsse ihr Quellgebiet an der Westkordil- lere der Anden auf über 5000 m Höhe haben und nach Durchqueren der Küs-

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tenwüste in den Pazifik entwässern. Die Menschen haben sich über die Jahr- Abb. 5 Anden-Transekt 1 (Peru), Pernil tausende in unterschiedlichster Weise an die spezifischen Bedingungen dieser Alto. Der Grabungsplatz liegt am Übergang ökologisch höchst vielfältigen Region angepasst. In Zusammenarbeit mit Geo- zwischen trockener Küstenwüste und fruchtbarem Talboden des Río Grande. Bei wissenschaftlern liegt ein besonderes Augenmerk des Forschungsprojekts auf ersten Flächengrabungen wurden mehrere dem Einfluss klimatischer Veränderungen auf die Siedlungsdynamik zwischen Grubenhäuser aus dem Archaikum (4. Jt. Küstenwüste und Hochgebirge der Anden. In der diesjährigen Forschungs- v. Chr.) freigelegt, sie dokumentieren die kampagne konzentrierten sich die Arbeiten auf die Ausgrabungen einer Sied- frühesten Formen sesshafter Lebensweise in Südamerika. Unter den Böden der lung am Andenfuß, an der früheste Formen der Sesshaftwerdung erstmals im Häuser fanden sich bisher 19 Bestattungen Detail untersucht werden konnten, sowie auf die archäologische Erkundung der bisher vollkommen unerforschten Hochgebirgsregion des Transektes. Abb. 6 Anden-Transekt 1 (Peru), Pernil Der Fundplatz Pernil Alto liegt auf etwa 350 m Höhe, nahe dem Übergang Alto. Schilfmatten-Umhüllung einer Bestat- des Gebirges in die Küstenwüste, am rechten Rand des Río Grande (Abb. 5). tung des Archaikums (4. Jt. v. Chr.). Grabbei- Bei früheren Grabungen waren Bestattungen entdeckt worden, die in das 4. Jt. gaben sind ein Futteral mit einfachem Kno- chengerät und ein Netz aus Pflanzenfasern. v. Chr. datierten. Diese Zeit des ›Archaikums‹, welche der Entwicklung kom- Die Erhaltung organischen Materials ist in plexer Gesellschaften im Andenraum unmittelbar vorausgeht, ist noch kaum der extrem ariden Wüstenregion sehr gut erforscht. In Pernil Alto konnte in dieser Grabungskampagne eine Siedlung mit Grubenhäusern teilweise freigelegt werden. Es handelt sich um ein Beispiel frühester Formen sesshafter Lebensweise, das hier im Detail untersucht werden kann. Einfache Gerätschaften aus Stein, Knochen und Muscheln deuten auf noch wenig differenzierte Wirtschaftsformen hin. Teile von Speerschleudern und Geschossspitzen und Fragmente von Hirschgeweihen zeigen, dass die Jagd noch eine bedeutende Rolle spielte. Eine große Anzahl an intensiv genutzten Reibsteinen und Mörsern lässt jedoch vermuten, dass die Siedlung permanent genutzt wurde. Auch die 19 bisher geborgenen Bestattungen deuten darauf hin, dass die Bewohner von Pernil Alto schon sesshaft waren. Die Umhüllun- gen der Toten aus Schilfmatten sowie das Skelettmaterial sind zum Teil noch fast vollständig erhalten (Abb. 6). Die exzellenten Erhaltungsbedingungen der extrem ariden Küstenwüste bieten beste Voraussetzungen für die Analyse der zahlreichen Pflanzen- und Knochenfunde. Diese werden Aufschluss über die Ernährungs- und Lebensweise der Bevölkerung geben, die gerade den Über- gang von der wildbeuterischen zur sesshaften Lebensweise vollzog.

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Abb. 7 Anden-Transekt 1 (Peru), Cutamalla. Topographischer Plan des Fundplatzes aus der Paracas-Zeit (400–200 v. Chr.). Der Fundplatz liegt auf 3200 m Höhe, der idealen Höhenstufe für den An- bau von Getreide, wie z. B. Mais. Innerhalb ausgedehnter Terrassenanlagen befinden sich Rundstrukturen mit vertieften Höfen, die als Speicheranlagen dienten. Isoliert stehende Gebäude waren wahrscheinlich Wohngebäude

Paläoklimatische Untersuchungen am Wüstenrand haben ergeben, dass das Klima in den letzten 10 000 Jahren bedeutenden Schwankungen unterworfen war. Diese hatten ständige Veränderungen in der Bevölkerungsdynamik und Migrationsbewegungen zwischen Hochland und Küste zur Folge. Die weit reichenden Kontakte der Bevölkerung werden auch durch Handelsprodukte wie Obsidian deutlich, der nur im Hochland vorkommt, jedoch seit frühesten Zeiten auch an Siedlungsplätzen der Küste auftritt. Die diesjährigen Forschun- gen in den Bergregionen zwischen 2800 m und 5000 m Höhe haben diesen Eindruck bestätigt. Inzwischen konnten mehr als 200 Siedlungen nahezu aller Siedlungsepochen in den Bergen festgestellt werden. Heute ist diese Region nur dünn besiedelt. Ausgedehnte Terrassen in Höhen um 3000 m und unzäh- lige Viehgehege zur Haltung von Lamas und Alpacas in Höhen über 3800 m bezeugen jedoch eine rege Wirtschaftstätigkeit in vorspanischer Zeit. Beispiel- haft wurde der Fundort Cutamalla untersucht (Abb. 7). Er datiert in die späte Paracas-Zeit (400–200 v. Chr.). Umgeben von großen Terrassenanlagen war er wohl ein landwirtschaftliches Produktionszentrum, von dem aus Agrar-

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Abb. 8 Anden-Transekt 1 (Peru), Lindero. Im Untersuchungsgebiet finden sich unzählige Petroglyphen. In diesen Fels ist ein Abbild der umgebenden Agrarland- schaft mit Terrassierungen, Feldern und Bewässerungskanälen gearbeitet. Die agrarische Nutzung ist typisch für diese Höhenstufe zwischen 2800 m und 3500 m in den Anden

produkte in andere Regionen exportiert wurden. Agrarlandschaften werden auch in skulptierten Felsen dargestellt, die in der Region zahlreich zu finden sind (Abb. 8). Bauten einer bisher unbekannten Architekturform, nämlich in einem Kranz angelegte D-förmige Gebäude um einen runden, vertieften Platz, erwiesen sich als Speicheranlagen. Durch botanische Untersuchungen wird zu klären sein, welche Produkte in Cutamalla angebaut wurden. Kooperationspartner: Instituto Andino de Estudios Arqueológicos (Lima); Geographisches Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; Institut für Historische Anthropologie und Humanökologie der Georg-August-Uni- versität Göttingen; Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geolo- gie München; Seminar für Geographie und ihre Didaktik der Universität zu Köln; Deutsches Bergbau-Museum Bochum; Forschungsstelle Radiometrie der Heidelberger Akademie für Wissenschaften • Förderung: Bundesminis- terium für Bildung und Forschung • Leitung des Projekts: M. Reindel • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: C. Hohmann, V. Soßna, S. Schlegel, H. Gor- bahn, J. Isla, Y. Llimpe, A. Bautista • Abbildungsnachweis: J. Isla, J. Palomi- no (Abb. 5); J. Isla (Abb. 6); M. Reindel, S. Schlegel (Abb. 7); J. Isla (Abb. 8).

Llanos de Moxos (Bolivien) Bei den Llanos de Moxos handelt es sich um eine im nördlichen Tiefland Bo- liviens liegende, etwa 110 000 km2 große Überschwemmungssavanne, deren Name auf eine im 17. Jh. n. Chr. dort siedelnde indianische Gruppe – die Moxo – zurückgeht. Eine Ringgrabenanlage nördlich des Ortes Bella Vista (Provinz Iténez) war das Ziel der diesjährigen Untersuchungen in Bolivien (Abb. 9). Solche Anlagen sind im bolivianischen Tiefland auf die Region von Baures sowie den äußersten Norden des Departements Beni beschränkt. Ihr Verbreitungs- gebiet endet jedoch nicht an den Landesgrenzen. Im Süden des brasiliani- schen Bundesstaates Acre sind in den letzten Jahren durch die dort extrem schnell voranschreitende Abholzung sehr viele Ringgrabenanlagen bekannt geworden. In einigen Fällen finden sich dort runde Anlagen im Zentrum

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von viereckigen Anlagen – oder umgekehrt. Da solche Konfigurationen kei- nen Sinn zu ergeben scheinen, hat man sie bereits mit den Scharrbildern von Nasca (Peru) verglichen und sie als »Geoglyphen« bezeichnet. Die Existenz von Grabenanlagen in der Region von Baures ist seit über 30 Jahren bekannt. Sie waren jedoch nur unsystematisch archäologisch erforscht und Grabungen waren bislang in keiner von ihnen durchgeführt worden. Ein Kataster der Anlagen, deren Zahl allein in der Region von Baures in die Hun- derte gehen dürfte, liegt nicht vor. Die Kreisgrabenanlage von Bella Vista bot sich für erste Grabungen an, da sie sich unmittelbar nördlich des Ortes auf dem Gebiet der estancia des Pfar- rers, der »Granja del Padre«, befindet. Vor Beginn der Grabungen wurde ein detaillierter Vermessungsplan der Anlage erstellt, die einen Durchmesser von rund 140 m aufweist. Dabei zeigte sich, dass das Gelände relativ stark von Nordosten nach Südwesten hin geneigt war. Im Bereich der Ringgrabenanlage war ein Gefälle von 2 m zu verzeich- nen. Die Annahme, dass der Graben früher Wasser geführt hatte, wurde hier- durch sogleich widerlegt. Gegen die ›Wasserhypothese‹ sprach auch, dass der Aushub des Ringgrabens einen im Süden mit der Kreisgrabenanlage verbun- denen, West-Ost verlaufenden Kanal verschloss.

Abb. 9 Llanos de Moxos (Bolivien), Bella Vista. Luftbild des Fundortes Granja del Padre während der Ausgrabungsarbeiten

Um die ursprüngliche Gestalt des Ringgrabens zu ermitteln, wurde durch dessen nördlichen Scheitelpunkt ein Nord-Süd-Schnitt gelegt, der 20 m lang und 3 m breit war. Die Füllung des Grabens erwies sich als erstaunlich homo- gen. Die Grabenwände verliefen bis in 1 m Höhe relativ steil und flachten dann zu den Seiten hin ab. Die Grabensohle lag rund 2 m unter der heutigen Oberfläche. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die sich beiderseits des Gra- bens deutlich abhebenden, wallartigen Erhöhungen nicht aus dem Grabenaus- hub aufgeworfen worden waren. Sie bestanden vielmehr aus Lehmziegelbruch, über dessen Herkunft nur Vermutungen angestellt werden können. Dass er von einer vor Ort vergangenen Lehmziegelwand herrührt, ist nach dem Grabungs- befund eher unwahrscheinlich.

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Im Inneren der Kreisgrabenanlage wurde eine rund 400 m2 große Fläche Llanos de Moxos (Bolivien), Bella Vista untersucht (Abb. 10). Eine bis zu 50 cm starke Siedlungsschicht, die einer einzigen Belegungsphase zuzuordnen ist, erbrachte relativ dichte Streufunde Abb. 10 Die Grabungsfläche im Inneren der Ringgrabenanlage des Fundortes (Keramik). Unterhalb der Siedlungsschicht stand als steriler Boden ein rötli- Granja del Padre. Im Vordergrund mehrere ches Sediment an, in dem sich zahlreiche Gruben sehr deutlich abzeichne- Gefäßbestattungen des 14. Jhs. n. Chr. ten. Umso erstaunlicher ist es, dass sich im Grabungsareal weder Feuerstellen noch Pfostenlöcher fanden. Lauf- oder Nutzungshorizonte konnten nur par- Abb. 11 Gefäßbestattung des 14. Jhs. n. Chr., zusammengesetzt aus einem tiell dort nachgewiesen werden, wo große, schlecht gebrannte Keramikgefä- umgestülpten bauchigen Gefäß mit ße auseinander gebrochen waren und die Fragmente als Scherbenpflaster auf aufgeschlagenem Boden und größeren einer begrenzten Fläche den Nutzungshorizont fassbar machten. Scherben von vier weiteren Gefäßen In einem quer durch die Grabungsfläche verlaufenden Streifen kamen 15 Gräber zu Tage. Sie lagen zum Teil sehr dicht beieinander, was darauf hin- deutet, dass sie obertägig gekennzeichnet waren. Es handelte sich durchweg

Abb. 12 Llanos de Moxos (Bolivien), Bella Vista. Satellitenbild der Umgebung von Bella Vista. Rot hervorgehoben die bislang bekannten Grabenanlagen

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um Gefäßbestattungen, wobei der Körper des Verstorbenen fast immer in einem großen, bauchigen Gefäß niedergelegt worden war. Die Gefäße waren kopfüber deponiert und ihr Boden war sorgfältig entfernt worden (Abb. 11). In einigen Fällen befanden sich in der Gefäßöffnung ›Keramik-Abschläge‹, die beim Bearbeiten der Kante des aufgeschlagenen Bodens entstanden waren. Dies belegt, dass die Gefäße vor Ort kopfüber in der Grabgrube stehend für die Bestattung hergerichtet wurden. In allen Gräbern waren die Skelette stark abgebaut, einige Male wurden überhaupt keine Knochenreste mehr festge- stellt. Lediglich in einem Fall fanden sich Beigaben: Drei kleine Keramikge- fäße waren vor den Füßen des Verstorbenen auf dem Boden des Grabgefäßes platziert. Parallel zu den Grabungen vorgenommene Prospektionen haben gezeigt, dass der Fundort in ein großräumiges Netz von Grabenanlagen eingebettet ist, die sich oft über mehrere Kilometer hinweg erstrecken (Abb. 12). Eine Kartierung jener Anlagen, die aufgrund des dichten Bewuchses äußerst zeit- aufwendig ist, wird den Schwerpunkt der Arbeiten der Kampagne des kom- menden Jahres bilden. Kooperationspartner: Dirección Nacional de Arqueología (La Paz) • Lei- tung des Projekts: H. Prümers • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: M. Bru- no, C. Jaimes Betancourt, E. Machicado, M. Quiroga T., N. Seefeld, R. Torrico, A. Zander • Abbildungsnachweis: H. Prümers (Abb. 9–12).

Forschungen im östlichen Rifgebirge (Marokko) Wichtige Erkenntnisse zu Zeitstellung und Bedeutung der altsteinzeitlichen Fundstelle Ifri n’Ammar standen im Mittelpunkt der Feldkampagne im öst- lichen Rif. Schwerpunkte der Arbeit in diesem Jahr waren die Datierung so- wie Neubewertung der stratigraphischen Sequenz von Ifri n’Ammar und Feldarbeiten zum Projekt »Marokkanisches Küsten-Neolithikum« im Rah- men des Forschungsclusters 1 »Von der Sesshaftigkeit zur komplexen Gesell- schaft: Siedlung, Wirtschaft, Umwelt« des DAI. Im Ammar-Abri fanden von 1997 bis 2003 Ausgrabungen statt, bei denen auf einem vergleichsweise kleinen Teil der Innenfläche eine fast 7 m tiefe Schichtabfolge aufgedeckt werden konnte. Erste Datierungen mit Hilfe der Beschleuniger-Massenspektrometrie an Kohlenstoff erreichten bereits im obe- ren Drittel der Stratigraphie die methodische Grenze von zehn Halbwerts- zeiten, d. h. etwa 55 000 Jahren vor heute. 2004 wurden zahlreiche Dosimeter in die Profile der Grabung eingesetzt und 2005 wurde mit einer aufwendigen Serie von Thermolumineszenz-Datierungen an verbranntem Feuerstein am Max-Planck-Institut Leipzig damit begonnen, den mittleren und unteren Teil der Schichtabfolge chronologisch zu fassen. Die seit Anfang 2008 vorliegenden Ergebnisse dieser Datierung führen zu einer völligen Neubewertung der im Ammar-Abri gefundenen archäo- logischen Funde. Das Alter der untersten Schicht, der mittleren Altsteinzeit zugehörig, hat sich gegenüber einem konventionellen Ansatz nahezu verdop- pelt und liegt nun bei fast 200 000 Jahren (Abb. 13). Darüber liegende Funde der mittelpaläolithischen Kultur, des sog. Atérien, haben ihr Alter gegenüber dem ›Lehrbuch‹-Ansatz von 40 000 Jahren fast vervierfacht auf etwa 150 000 Jahre. Dieses für sich genommen recht abstrakte Gerüst gewinnt Kontur und Bedeutung, wenn man sich vor Augen führt, dass mit der mittleren Altsteinzeit, besonders aber mit dem Atérien, das Auftreten des ›modernen‹ Afrikaners – unseres direkten Vorfahrens – in Nordafrika zu verbinden ist. Nirgendwo sonst auf dem Kontinent, der ja unbestritten als die Wiege der Menschheit und des anatomisch modernen Menschen gilt, ist dieser Vorgang

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Abb. 13 Forschungen im östlichen Rif- gebirge (Marokko), Ammar-Abri. Grabung im untersten Horizont, Alter: 180 000 bis 200 000 Jahre

vergleichbar alt datiert. In einer höher liegenden Atérien-Schicht des Ammar- Abris, um 80 000 datiert, fanden wir durchbohrte Meeresschnecken mit Spu- ren von Rötel. Dabei traten Feuerstein-Lanzenspitzen mit Schäftungsdorn zu Tage, aber auch Bleiglanz, eine weitere Mineralfarbe. Daraus zu erschließende Fernwaffen, Gebrauch von Farben und Herstellung von Schmuck bezeugen die kulturelle ›Modernität‹ dieses Menschentypus. Jenseits des somatischen Aspekts spielen hier zunehmend Betrachtungen auf geisteswissenschaftlicher Ebene eine Rolle. Ebenso wie in Südafrika in einem vergleichbaren Biotop hat der moderne Afrikaner hier, vor der Kulisse des Mittelmeeres, über einen Zeitraum von mindestens 100 000 Jahren gelebt, bevor er, vielleicht vor 40 000 Jahren, den Sprung auf den europäischen Kontinent gewagt hat und – nach dem Aussterben des Neandertalers – zu unserem unmittelbaren Vorfahren wurde (Abb. 14). Dieses, nach einem ersten – von Homo Erectus vor fast zwei Millionen Jahren – zweite »Out of Africa« ist ein zentrales und sehr aktu- elles Forschungsfeld mehrerer Wissenschaften – und die Fundstelle von Ifri n’Ammar trägt in entscheidender Weise zu dieser Diskussion bei. Bereits vor einigen Jahren fanden sich erste Menschenreste in der Ammar. Diesem sehr wichtigen Umstand wird in den Grabungen der kommenden

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Forschungen im östlichen Rifgebirge Jahre, die sich vor allem auf Bereiche der Fundstelle mit einer gesteigerten Aus- (Marokko) sicht auf Menschenfunde konzentrieren werden, Rechnung zu tragen sein. Ifri n’Ammar wird gegenwärtig als »Monument historique« unter Schutz gestellt. Abb. 14 Fundorte von Nassarius- Schneckenschmuck des ›modernen‹ Kürzlich haben trotz der Vergitterung im Abri Raubgrabungen stattgefunden, Afrikaners in gesamtafrikanischer Sicht, die jedoch nicht dem archäologischen Bestand galten, sondern auf vermutete Alter: um 80 000 Jahre Goldschätze abzielten. Das Projekt »Marokkanisches Küsten-Neolithikum« im Rahmen des For- Abb. 15 Hassi Ouenzga, jungsteinzeitli- cher Abri mit der diesjährigen Sondage schungsclusters 1 »Von der Sesshaftigkeit zur komplexen Gesellschaft: Siedlung, Wirtschaft, Umwelt« des DAI wurde in diesem Jahr mit einer Nachgrabung im Abri von Hassi Ouenzga fortgesetzt. Im Zusammenhang des Projekts »Rif Oriental« wurde in dieser sehr kleinen, aber umso bedeutenderen Fundstelle Mitte der 1990er Jahre eine Stratigraphie des Neolithikums ergraben. Zuun- terst fanden sich geringe Schichtreste mit unverzierter Keramik, die technolo- gisch von der darüber liegenden abweicht. Ein einziges 14C-Datum aus dem frühen 7. Jt. v. Chr. gehört hierzu und bewegte uns nun, diesen Schichtrest auf größerer Fläche zu sichern und Klarheit in dieses offenbar sehr frühe, vorneo- lithische Milieu zu bringen. Die Grabungen in der sehr beengten Fundstelle werden im kommenden Jahr fortgesetzt (Abb. 15). Unterhalb des Abris liegt die große epipaläolithi- sche Escargotière von Hassi Ouenzga, ein Schneckenhaufen des 13. bis 10. Jts. v. Chr. Am Hangfuß, zwischen beiden Ensembles, wurde ein kleiner Schnitt angelegt, um eine mögliche stratigraphische Verzahnung zu erreichen. Dies ge- lang leider nicht, die neolithische Belegung des Platzes ist hier nur in Streufun- den nachweisbar. Die systematische Erforschung der neolithischen Kulturen zwischen der Küste und dem Präsahararaum wird hier und in einer weiter südlich liegenden, in diesem Jahr entdeckten Höhle, Ifri Lajwaj, konsequent fortgesetzt.

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Kooperationspartner: Institut National des Sciences de l’Archéologie et du Patrimoine (INSAP), Rabat; DAI, Abteilung Madrid (s. auch S. 237–241) • Leitung des Gesamtprojekts: D. Marzoli, A. El Khayari • Leitung des Teilpro- jekts: J. Eiwanger • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: A. Mikdad, J. Moser • Abbildungsnachweis: H. -P. Wittersheim (Abb. 13. 14); A. Mikdad (Abb. 15).

Tissamaharama (Sri Lanka) Im Rahmen des »Ancient Ruhuna Project« wurden die Untersuchungen in der frühhistorischen Zitadelle des antiken Königreiches Ruhuna fortgesetzt. Die Grabung dieses Jahres deckte mehrere parallel ausgerichtete Hausgrund- risse mit Terrassenmauern und gepflasterten Hofarealen auf. Es handelt sich wohl um die früheste geplante städtische Besiedlung des Ortes um 400 v. Chr. mit Bauten aus Ziegelsteinen (Abb. 16). Schon in der nächsten Bauphase (3.–2. Jh. v. Chr.) fehlen die sorgfältig ge- pflasterten Höfe und zusätzlich wurden erste große Pfostenbauten mit Mauern aus Stampflehm und ohne Ziegelfundamente errichtet.

Abb. 16 Tissamaharama (Sri Lanka), private Wohnhäuser in der Zitadelle mit Ziegelfundamenten, gepflasterten Höfen und Terrassen (4. Jh. v. Chr.)

Der Umfassungswall der frühen Siedlung konnte – soweit erhalten – in ganzer Breite untersucht werden. Er gehört zur ältesten Stadtanlage und wurde wohl um 400 v. Chr. aufgeschüttet. Die Keramik zeigt Parallelen zu Funden der frühen Arbeitersiedlung im Süden der Zitadelle. Die Landwirtschaft in Südasien wird von Reis beherrscht. Jedoch liegt Tissamaharama, wie die meisten antiken Städte des Landes, in der Trocken- zone der Insel. Die Gesellschaft der frühhistorischen Periode der sog. second urbanisation benötigte deswegen eine Wasserbewirtschaftung, die sich auf die Anlage von zahlreichen großen Stauseen stützte. Eines dieser Reservoirs ist der Tissawewa, an dessen Ufer die Grabungsschnitte liegen. Er soll im 2. Jh. v. Chr. angelegt worden sein. Verbunden war er mit benachbarten Seen durch Kanäle und Schleusen. Die Bedeutung des Stausees für die Siedlung und besonders für die Land- wirtschaft wurde in diesem Jahr durch einen besonderen Fund illustriert. Ein gut verschlossener Vorratstopf, der um 300 v. Chr. in die Erde gelangte, war Abb. 17 Tissamaharama (Sri Lanka), Vor- mit Reis gefüllt, von dem sich die Spelzen sehr gut erhalten hatten. Es ist der ratsgefäß aus der Zitadelle mit dem wohl wohl älteste Reis Südasiens (Abb. 17). Reis lässt sich sonst nur als Abdruck ältesten Reis Südasiens (um 300 v. Chr.)

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Abb. 18 Tissamaharama (Sri Lanka), kleiner Abwasserkanal, der aus einem Sickerschacht überschüssiges Wasser in die Gassen leitet (3. Jh. v. Chr.)

oder verbrannt in Hüttenlehm nachweisen. Die landwirtschaftliche Fakultät der Universität Peradeniya untersucht die Proben und hofft durch DNA-Be- stimmungen auch etwas zur Herkunft ermitteln zu können. Frischwasser erhielt die Siedlung durch Brunnen, von denen sich in der aktuellen Grabungsfläche aber nur der Schacht eines Ringbrunnens nachwei- sen ließ. Eine Versorgung bot keine Schwierigkeiten, da durch den nahen See der Grundwasserspiegel sehr hoch war. Schwerer war das Problem der Entsorgung zu bewältigen. Hierbei mach- te sich die Nähe zum See und zum Grundwasser negativ bemerkbar. Wasser konnte in der Monsunzeit nicht schnell genug versickern, weichte den Boden auf und Mauern verloren den Halt. Die Bewohner versuchten, Wasser in kleinen, gedeckten Kanälen in die schmalen Gassen zu leiten (Abb. 18). Mehrmals sind solche Kanäle im Laufe der Zeit neu angelegt worden. Sie liegen dann übereinander, da sich das Niveau der Höfe gehoben hatte. Das Wasser lief nur recht langsam ab, was zur zusätz- lichen Anlage zahlreicher Sickerschächte führte. In höheren Schichten späterer Jahrhunderte versickerte das Wasser schneller, die Schächte waren nicht mehr so zahlreich und auch die kleinen Kanäle wurden seltener nachgewiesen. Letztendlich verloren die Bewohner der ältesten Siedlung den Kampf mit dem Wasser. So gaben sie ihre Häuser im 1. Jh. v. Chr. auf. Das Areal wurde planiert und aufgeschüttet und man errichtete im 1. Jh. n. Chr. ein Hospital. Die archäologischen Untersuchungen auf der Zitadelle der vergangenen Jahre und besonders der letzten Kampagne decken sich nicht mit den schrift- lichen Überlieferungen. Dem Mahavamsa, der großen Chronik Sri Lankas, nach (aufgeschrieben von Mönchen um 400 n. Chr.) erfolgte um 500 v. Chr. eine Besiedlung der Insel von Nordindien aus. Eine erste Stadtanlage entstand in Anuradhapura, der Hauptstadt des singhalesischen Königreiches. Im 3. Jh. v. Chr. brachten Missionare den Buddhismus auf die Insel. Etwa zur gleichen Zeit, um 270 v. Chr., soll Mahagama, das antike Tissamaharama, gegründet worden sein. Die Grabung hat nun gezeigt, dass die Stadtgründung früher geschah und schon vorher eine bäuerliche Siedlung existierte. In einem tieferen Grabungs- schnitt wurden Spuren von Holzpfosten einer Vorgängersiedlung gefunden. Die Gründung der Stadt erfolgte – soweit wir das heute fassen können – um

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400 v. Chr. Möglicherweise ist sie aber auch älter, die letzten Radiokarbon- daten stehen noch aus. Bei den ältesten Strukturen der geplanten Anlage handelt es sich um Zie- gelbauten. Ein Baumaterial, das eigentlich Klöstern und Tempeln vorbehal- ten sein sollte. Um ein Kloster kann es sich bei der Anlage auf der Zitadelle aber nicht gehandelt haben. Die Funde sprechen eindeutig für den profanen Wohnbereich einer wohlhabenden Bevölkerungsschicht. Gefunden wurden zahlreiches Kochgeschirr und Küchenutensilien, viele Werkzeuge, Schmuck und Toilettengegenstände. Hingegen fehlen weitgehend die Bettelschalen und es gab nur wenige Öllampen. Zudem soll auch der Buddhismus erst über ein Jahrhundert später auf der Insel Fuß gefasst haben. Kooperationspartner: Archaeological Department of Sri Lanka • Leitung des Projekts: H.-J. Weißhaar, S. Dissanayake • Mitarbeiter und Mitarbeiterin- nen auf deutscher Seite: T. Kahnis (Berlin), B. Krause-Kyora (Kiel), H. Schenk (Bonn), M. Schimmer (Kiel), N. Scholpp (Bonn), H.-P. Wittersheim (Bonn) • Abbildungsnachweis: H.-P. Wittersheim (Abb. 16–18).

Godavaya (Sri Lanka) Reis war ohne Zweifel eines der Hauptnahrungsmittel für die Bewohner der frühen Städte auf der Insel (s. auch den Bericht zu Tissamaharama, S. 356 f.). Die häufigsten Wirtschaftshaustiere in der Zitadelle von Tissamaharama waren Zebu, Schwein und Wasserbüffel. Die buddhistische Bevölkerung lebte aber auch in großem Umfang von Jagdwild. Besonders zahlreich sind Knochen des Axishirsches. Die Einwohner durften diese Tiere jedoch nicht selbst erlegen, da dies den religiösen Sitten widersprochen hätte. Das Fundmaterial wurde 2004 von naturwissenschaftlicher Seite untersucht (s. AA 2005/2, 138. 272 Abb. 12). Aus der Arbeitersiedlung des 1. Jhs. v. Chr. stammte eine Hirschrippe, in der noch der Rest einer Quarzspitze steckte. Mi- krolithen sind jedoch im umfangreichen Fundmaterial des Ortes nicht vor- handen. Das Fleisch gelangte wohl in die städtischen Siedlungen durch Han- del mit den nicht sesshaften Weddas, die keine Buddhisten waren. Sie durften jagen. Auch andere Güter des Dschungels, wie Honig und Gewürze, wurden durch die umherstreifenden Ureinwohner der Insel geliefert. Seit der Antike, etwa durch den arabischen Geographen Alberuni, der um 1000 n. Chr. die Insel besuchte, bis in die Neuzeit, durch Reisende im frühen 19. Jh., wird von diesem Tauschhandel berichtet. Im Rahmen des Forschungsclusters 3 »Politische Räume« des DAI konnte diesem Problem nachgegangen werden. Den antiken Weddas galt daher ein Unternehmen, das parallel zu den Arbeiten in der Zitadelle verlief. Durch ei- ne kleine Grabung wurde der Wohnplatz einer solchen nicht sesshaften Be- völkerungsgruppe untersucht. Er liegt nicht weit entfernt von Tissamaharama nahe dem buddhistischen Kloster von Godavaya. Im vergangenen Jahr war das Kloster abschließend untersucht worden (s. AA 2007/2, 354). Dabei war auch der bereits länger bekannte Freilandfund- platz begangen, Material gesammelt und ein geeignetes Areal für eine etwa- ige spätere Grabung ausgewählt worden. Die dort aufgelesenen Funde ähneln dem lithischen Typenspektrum des 4.–6. Jhs. n. Chr., das bei einer Unterneh- mung in Pidurangala, nahe Sigiriya, geborgen worden war. Die kleine Freilandsiedlung von Godavaya liegt auf der Schulter einer Fels- rippe, die in den Indischen Ozean hinausragt. Ein moderner Steinbruch hat jedoch einen beträchtlichen Teil der Fundstelle zerstört (Abb. 19). In der Siedlungsstelle liegen nur wenige Meter voneinander entfernt ein Werkplatz mit Quarzabschlägen, ein Platz an dem ein größeres Tier (wahr-

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Abb. 19 Godavaya (Sri Lanka), Freiland- fundplatz nach dem Roden eines Kakteen- feldes. Im Aufschluss durch den modernen Steinbruch sieht man eine schräg verlau- fende Lage größerer Steine im Profil. Die braune Erde darüber ist die Fundschicht, die rotbraune Erde darunter ist fundleer

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Godavaya (Sri Lanka) scheinlich ein Büffel) zerlegt wurde und eine flache Grube, in der ein komplet- tes und ein teilweise erhaltenes Skelett angetroffen wurden. Ein drittes Skelett Abb. 20 Die Muschelschicht des 3./2. Jhs. war durch den Steinbruch zerstört worden. Mehrere menschliche Knochen v. Chr. über der Siedlungsgrube lagen am Fuße der Abbruchkante. Abb. 21 Rechtsseitiger Hocker als Bestat- Fundschicht sowie Grube sind teilweise überlagert von einer etwa 30 cm tung in der Freilandsiedlung (Olli 2) dicken Muschelschicht; darüber lag lockerer Sandboden. Im oberen Teil der Fundschicht und auch in der Muschelschicht fand sich Keramik des 3./2. Jhs. v. Chr. (Abb. 20). Dies entspricht den Phasen b–c in der Zitadelle von Tissamaharama und dem Abschnitt im Handwerkerzentrum, in dem die nämliche Hirschrippe mit Pfeilspitze gefunden wurde. Bei dem vollständig erhaltenen Skelett handelt es sich um einen rechtssei- tigen Hocker. Diese Art der Bestattung war bisher nur aus Höhlen und aus mesolithischem Zusammenhang bekannt. Bei den Olli 1–3 benannten Ske- letten handelt es sich also um die ersten aus einer Freilandsiedlung (Abb. 21). Nötig sind Radiokarbondatierungen, um das Alter zweifelsfrei zu bestimmen, und DNA-Untersuchungen, die entsprechenden Bestimmungen menschli- cher Knochen aus der Zitadelle gegenübergestellt werden können.

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Die Untersuchung einer Freilandsiedlung der nicht sesshaften Weddas ist ein wesentlicher Beitrag zur Geschichte der Urbevölkerung, die heute nur noch in einem Reservat im zentralen Hochland lebt. In der nachfolgenden Kampagne soll der Rest des kleinen Siedlungspla- teaus untersucht werden, wenn möglich außerdem noch ein weiterer Muschel- haufen, der wenige Meter entfernt von einer Straße angeschnitten wurde. Kooperationspartner: Archaeological Department of Sri Lanka • Leitung des Projekts: H.-J. Weißhaar, S. Dissanayake • Ortsgrabungsleiter: B. Krause- Kyora • Abbildungsnachweis: H.-J. Weißhaar (Abb. 19); B. Krause-Kyora (Abb. 20); H.-P. Wittersheim (Abb. 21).

Mekong-Delta, Prohear (Kambodscha) und Go O Chua (Vietnam) In diesem Jahr wurde eine erste Ausgrabungskampagne auf dem eisenzeitli- chen Gräberfeld Prohear (Provinz Prey Veng) durchgeführt (Abb. 22). Schon im vergangenen Jahr, unmittelbar nach einem ersten Survey in Kambodscha, erhielten wir Informationen über die Plünderung dieses reich ausgestatteten Bestattungsplatzes. Die umgehend angebotene DAI-Soforthilfe für eine ge- meinsame Ausgrabung konnte wegen ausbleibender Grabungsgenehmigung erst Ende des Jahres 2007 eingeleitet werden. Zu diesem Zeitpunkt war das ca. 150 m × 130 m große Gräberfeldareal mit vermutlich weit über tausend

Abb. 22 Karte von Kambodscha und Südvietnam, Ausgrabungen des DAI der letzten Jahre in Lai Nghi (7), Con Rang (8), Go O Chua (6) und Prohear (10) sowie weitere bedeutende eisenzeitliche Fundplätze der Zeit um Christi Geburt in Vietnam, so Giong Lon (1), Giong Ca Vo (2), Giong Phet (3), Oc Eo (4), Go Xoai (5), und in Kambodscha, so Bit Meas (9), Krek 10.8 (11), Angkor Borei (12), Phum Snay (13), Prei Khmeng (14)

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Prohear (Kambodscha)

Abb. 23 Ausgrabung auf dem eisenzeit- lichen Gräberfeld. Die Raubgräberlöcher (Bildvordergrund) vor der deutsch-kam- bodschanischen Notbergung im Frühjahr 2008 direkt auf dem Dorfweg. Dahinter kündet ein neu errichtetes Wohnhaus vom neuen Wohlstand der Bewohner und Grabräuber des Bestattungsplatzes

Abb. 24 Der deutsche Botschafter Frank M. Mann mit Gattin beim Besuch der Ausgrabung und Besichtigung der frei- gelegten Gräber

Bestattungen durch Grabräuber bereits nahezu vollkommen zerstört und die Fundobjekte waren verkauft. Die einzige noch erhaltene Gräberfeldfläche be- fand sich unter dem 4 m breiten Hauptweg des Dorfes. Bei den gemeinsamen Untersuchungen in diesem Jahr wurden drei Sek- toren mit insgesamt 62,50 m2 freigelegt und 24 Gräber geborgen. Etwa die Hälfte aller Gräber war durch bis zu 2,50 m lange stollenartige Raubschäch- te von beiden Seiten des Dorfweges in einer Tiefe von 0,7–1,20 m zerstört. So war die oberste Fundschicht der Gräber in den ersten Ausgrabungsplana zwar erhalten, die Keramikbeigaben auf und um den Toten noch intakt, doch darunter waren viele Bestattungen regelrecht ausgehöhlt (Abb. 23. 24). Trotz dieser Zerstörungen wurden einmalige Funde und Befunde vom Gräberfeld Prohear gesichert. Nach Beigaben, Tiefenlage und ersten Radio- karbondaten zeichnen sich mehrere Bestattungsphasen voneinander ab. Of- fenbar gehören Gefäßbestattungen von Kindern zu den ältesten Gräbern und die Belegung könnte damit bereits im 5. Jh. v. Chr. begonnen haben. In den bislang entdeckten zwei Gefäßgräbern fand sich neben Keramik jeweils ein

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Armring, in einem Grab aus Bronze, im anderen aus Eisen. Die Ausstattung ähnelt jener der etwa gleich datierten Gefäßgräber vom Bestattungsplatz Go O Chua, der 65 km südlich liegt und gegenwärtig in Auswertung ist. Auf bei- den Gräberfeldern könnten die Gefäßbestattungen von Kindern etwa in die Mitte des letzten Jts. v. Chr. datieren. Die ältesten Körperbestattungen in Erdgruben gehören wahrscheinlich in das 3./2. Jh. v. Chr. Proben für Radiokarbondaten für diese Belegungsphase sind gegenwärtig im Radiokarbon-Labor in Heidelberg in Messung. Die Gräber unterscheiden sich von den vermutlich um 100–200 Jahre jüngeren Bestattungen dadurch, dass zur Ausstattung noch keine Goldbeigaben gehö- ren, sondern Bronzeschmuck, Eisengerät, Glasschmuck oder Granatperlen. Ei- ne bisher für Südostasien ungewöhnliche Ausstattung enthielt ein Grab dieser Phase mit beiderseits je 20 Glasohrringen, die offenbar auf einen Faden aus organischem Material aufgefädelt waren (Abb. 25). Dem Toten waren außer- dem an beiden Armen je zwei Bronzearmringe und dazu einige Eisenobjekte und Granatperlen beigegeben worden. Die Bestattungen dieser ›Periode ohne Goldbeigaben‹ fanden sich mehr- fach tiefer in einem lehmigeren Bodenhorizont eingegraben und das Skelett Abb. 25 Prohear (Kambodscha), die war dadurch auch etwas besser erhalten als in den jüngeren Gräbern. Gräber der älteren Bestattungsphase Das bisher älteste Grab mit Gold- und Silberbeigaben datiert in das 2. Jh. weisen keinen Goldschmuck auf, dafür ziert ein prachtvoller Ohrschmuck mit v. Chr. An beiden Seiten des Kopfes der bestatteten Person – wegen der Spinn- beiderseits jeweils 20 Glasohrringen wirtelbeigaben eventuell eine Frau – lagen Tonschalen und darin rechtsseitig den Toten, der außerdem Granatperlen, des Schädels Silberohrringe, linksseitig Goldohrringe. Die Ausstattung wurde bronzene Armringe und eiserne Gerät- von mehreren Tongefäßen und vielen Glasperlen komplettiert. schaften mit in das Grab erhalten hatte Zur Spätphase der Belegung gehören unter anderem Gräber mit Bronze- trommeln vom Heger-I-Typus. Insgesamt drei Gräber bargen eine Trommel oder Teile davon. Ein erstes Radiokarbondatum weist auf eine Einordnung dieser Bestattungen in den Zeitraum von 50 v. Chr. bis 20 n. Chr. (Abb. 26). Obwohl die Hälfte aller Gräber zumindest teilgeplündert war, blieben in 13 Gräbern noch immer Gold- und Silberbeigaben bewahrt, meist Finger- ringe, Ohrringe, aber auch ein drahtförmiger Armring (Abb. 27). Erwähnens- wert sind zudem einige ungewöhnlich große Armringe mit ›Geweihenden‹ von bis zu 15 cm Länge aus Bronze oder Eisen. Männerbestattungen waren offenbar durch komplette oder halb zerbrochene Steinstößel zwischen den Oberschenkeln gekennzeichnet. Vorsichtige Hochrechnungen lassen erahnen, dass in den geplünderten Gräbern sicher weit über 100 Bronzetrommeln so- wie Hunderte von Goldobjekten entdeckt und an Zwischenhändler verkauft worden sind. Schon mit diesem kleinen geborgenen Ausschnitt avanciert das Gräberfeld zu einem der reichsten Fundkomplexe Südostasiens. Von den rund 50 Gold-Silber-Objekten konnten bisher neun analysiert werden. Schon aufgrund der unterschiedlichen Patina- und Oberflächenfar- ben waren ganz verschiedene Legierungen zu vermuten, von reinem Silber bis zu Gold-Silber-Mischungen mit hohem Goldanteil. Bei den mikroskopischen und spektralanalytischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass von neun Objekten insgesamt sieben mehr Silber als Gold enthielten. Verunreinigungen wurden nur wenige nachgewiesen, so dass bis auf eine Ausnahme von natürli- chen Legierungen ausgegangen werden kann und eine bewusste Mischung nur im Fall eines silbernen Fingerringes mit Kupferbeimengung in Frage kommt. Bei allen bislang untersuchten Proben handelt es sich also um Elektrum oder um goldhaltiges Silber, mit stark voneinander abweichender Zusammenset- zung, die gegen eine Herkunft aus gleicher Lagerstätte spricht. Anhand der Haupt- und Nebenbestandteile können bisher drei verwandte ›Legierungs- gruppen‹ erkannt werden. Die unterschiedlichen Legierungen sprechen dafür,

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Prohear (Kambodscha) dass sie von verschiedenen Vorkommen stammen, wobei aufgrund der hohen Silberanteile nur epithermale Goldvererzungen in Frage kommen. Abb. 26 Sektor A, Freilegung einer Umfangreiche Gold-, Silber- und Elektrumvorkommen in Südchina, be- Bronzetrommel, unter der Trommel der Kopf einer Frauenbestattung mit reichem sonders in Yunnan und Guizhuo, legen einen Import des Edelmetalls oder der Goldschmuck fertigen Gold-Silber-Objekte über den Flussweg des Mekong oder entlang der Küsten des südchinesischen Meeres nahe. Von den Handelsplätzen in der Abb. 27 Auswahl einiger Gold-Silber- Bucht von Vung Tau führt ein Flussweg nur wenige Kilometer nah an Prohear Schmuckobjekte aus verschiedenen Gräbern des 2./1. Jhs. v. Chr. heran. Auf einem dieser beiden Wege sind sicherlich auch die Bronzetrom- meln aus dem heutigen nordvietnamesisch-südchinesischen Grenzraum nach Prohear geraten. Tatsächlich sind Goldgewinnung und Goldobjekte schon seit der Shang-Periode in China bezeugt. Frühe Quellen erwähnen einerseits für China Export von Gold und Seide, andererseits für Kambodscha den Import von Gold und Silber aus China. Erst spätere Überlieferungen ab dem Beginn des 17. Jhs. belegen für Kambodscha lokale Goldgewinnung. Der Herkunftsfrage der bestatteten Individuen wurde anhand von Stron- tiumanalysen der Zähne nachgegangen. Die Analyse stabiler Strontium- und Sauerstoffisotope aus Zahnschmelz zur Bestimmung ortsfremder Individuen führte bereits für das Gräberfeld Go O Chua in Südvietnam zu interessanten Ergebnissen. So hatten in Go O Chua einige ›Ortsfremde‹ eine Beigabenaus- stattung, die Jäger bzw. Wanderhandwerker vermuten lässt. Die Fortsetzung der Notbergung des Gräberfeldes Prohear wird im kom- menden Frühjahr in Angriff genommen werden. Kooperationspartner: Memot-Centre Phnom Penh (Vin Laychour, Seng Sonetra, Ausgrabung Prohear) • Leitung des Projekts: A. Reinecke • Mit- arbeiter und Mitarbeiterinnen: S. Schlosser (Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie Mannheim, Bearbeitung der Proben von Gold-Silber-Objek- ten), M. Schweissing (Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie der Ludwig-Maximilians-Universität München, Strontiumanalysen der Zahn- proben) • Abbildungsnachweis: A. Reinecke (Abb. 22. 23. 25. 27); Nguyen Thi Thanh Luyen (Abb. 24); Memot-Centre Phnom Penh (Abb. 26).

Karakorum (Mongolei) Schwerpunkt der diesjährigen Kampagne in der Mongolei bildete die End- dokumentation und Katalogisierung der Kleinfunde von Karakorum, sonders der buddhistischen Figuralplastik. Die 2006 sowie 2007 durchgeführten topographischen Aufnahmen von Karabal\assun und Karakorum konnten durch kleinere Surveys und Vermes-

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Abb. 28 Karakorum (Mongolei), digitales Geländemodell der Stadtanlage

sungsarbeiten ergänzt und präzisiert, außerdem alle Karten wie beispielswei- se das digitale Geländemodell von der altmongolischen Hauptstadt Karakorum durch Mitarbeiter der Hochschule für Technik, Karlsruhe, fertiggestellt werden (Abb. 28). Ausgrabungen im Rahmen der Mongolisch-Deutschen Karakorum-Ex- pedition beschränkten sich in diesem Jahr auf eine lang gestreckte wallartige Anlage auf der rechten Uferterrasse des Orchon (Abb. 29). Ein Künstler aus dem östlich angrenzenden Harhorin hatte hier 2005 einige Fragmente von Tonfiguren von der Oberfläche geborgen, darunter die Plastik einer Kinnari (Abb. 30), einer harpyenähnlichen Vogelfrau. Die zahlreichen Bruchstücke ge- brannter Tonfiguren datieren höchstwahrscheinlich in das 13./14. Jh. n. Chr. Sie ließen vermuten, dass sich unter dem Wall möglicherweise karakorumzeit- liche Werkstätten oder Brennöfen verbargen.

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Karakorum (Mongolei) Diese Vermutung konnte durch drei kleinere Suchschnitte in vollem Um- fang bestätigt werden (Abb. 29). Entdeckt wurden mehrere liegende Öfen da- Abb. 29 Harhorin, rechte Uferterrasse des runter solche vom chinesischen Mantou-Typus mit runder sorgfältig gemau- Orchon. Suchschnitte A–C 2008 (Ansicht von Osten) erter Feuergrube und Schürkanal (Abb. 33). In einem der kleineren Öfen (Abb. 34) mit kaminartigen Lochabzügen fanden sich neben vereinzelten Abb. 30 Harhorin, rechte Uferterrasse des Flügelbruchstücken noch etliche Tonstützen und Abstandshalter. Auch wei- Orchon. Kinnari, gebrannter Ton tere Bruchstücke von Kinnari (Abb. 31) konnten geborgen werden. Viele In- (13./14. Jh. n. Chr.) dizien sprechen dafür, dass in diesen Öfen für die altmongolische Hauptstadt Abb. 31 Harhorin, rechte Uferterrasse des Karakorum produziert worden ist. So stammen Bruchstücke von Kinnari (Abb. Orchon, Schnitt A. Kinnari, gebrannter Ton 32) aus der Nordstadtgrabung im vergangenen Jahr 2007 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus der gleichen Werkstatt und wurden mut- Abb. 32 Nordstadt, Osthaus. Kinnari, gebrannter Ton maßlich ebenfalls in den Öfen am Orchon gebrannt. Von der ummauerten Stadt des 13./14. Jhs. n. Chr. aber liegen diese Öfen etwa drei Kilometer ent- Abb. 33 Harhorin, rechte Uferterrasse des fernt. Das bedeutet, dass jede künftige Analyse der Stadt Karakorum sich nicht Orchon, Schnitt C. Batterie gemauerter länger nur auf die ummauerte Stadtanlage nördlich des Klosters Erdene joo Brennöfen vom Mantou-Typus (Ansicht von Süden) beschränken kann. Vielmehr werden künftige Untersuchungen zur Archäo- logie und Stadtgeschichte Karakorums wie zuvor schon von V. N. Tkačev, Abb. 34 Harhorin, rechte Uferterrasse des K. Sagaster und H.-G. Hüttel angedeutet, einen größeren Abschnitt des Orchon, Schnitt B. Aufsicht Brennofen mit Orchon-Tales (etwa zwischen Karakorum und Karabal\assun) als Ganzes in Tonstützen den Blick nehmen müssen und so den Stadtorganismus Karakorum mithin auch Karakorum als Manufakturzentrum des Yuan-Khanats weit über die engeren Grenzen der Stadtmauern hinaus vorzustellen haben. Die Ausgrabungen an den Öfen sollen ebenso wie die Nordstadtgrabung Karakorum im kommenden Jahr fortgesetzt werden.

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Kooperationspartner: Archäologisches Institut der Mongolischen Akade- mie der Wissenschaften • Leitung des Projekts: H.-G. Hüttel, U. Erdenebat • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: E. Chandler (Bonn/Ottawa), F. Hüt- tel (St. Augustin), H.-O. Kramer (Hannover) sowie T. Batbayar, Dawasuren, Ochirpurev und Studierende der Mongolischen Staatsuniversität (alle Ulaan- baatar) • Abbildungsnachweis: Institut für Geomatik der Hochschule für Wirtschaft und Technik Karlsruhe (Abb. 28); MDKE/DAI (Abb. 29. 33. 34); U. Erdenebat (Abb. 30); DAI, KAAK (Abb. 31. 32).

Wissenschaftliche Veranstaltungen

Vorträge anlässlich der Eröffnung der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen in neuem Gebäude 7. Juni Markus Reindel (Bonn), Mit Hightech in die Wüste: Neue Techno- logien zur Erforschung der Nasca-Kultur, Peru; Heiko Prümers (Bonn), Fi- schen mit Feuer. Archäologische Forschung im bolivianischen Tiefland; Josef Eiwanger (Bonn), Woher kommen wir – wohin gehen wir? Die Ankunft des anatomisch modernen Menschen am Mittelmeer und das zweite »Out of Africa«; Burkhard Vogt (Bonn), Jemen: Von Dammbrüchen und anderen Kata- strophen; Hans Joachim Weißhaar (Bonn), Sri Lanka: Auf der Seidenstraße des Meeres; Hans-Georg Hüttel (Bonn), Mongolei – Karakorum: Die Stadt des Dschingis Khan; Andreas Reinecke (Bonn), Von Perlenschätzen, Salzsiedern und Goldgräbern. DAI-Ausgrabungen in Südostasien; Burkhard Vogt (Bonn), Die Osterinsel. Archäologische Spurensuche am Nabel der Welt.

Veranstaltung zu den Forschungsclustern des DAI 15./16. Dezember Jahresabschlusskonferenz von Forschungscluster 3 »Poli- tische Räume« des DAI (Veranstaltungsort: Bonn/Bad Godesberg; Organi- sation: Ortwin Dally [Berlin], Mitorganisation: Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen, Bonn in Zusammenarbeit mit der Humboldt- Stiftung s. auch S. 58).

Workshops 23. Mai Workshop »Anden-Transekt«. – Es sprachen: Markus Reindel (Bonn), Das BMBF-Projekt »Anden-Transekt«; Iken Paap (Bonn), Literaturdatenbank zum Archaikum Südamerikas; Volker Soßna (Bonn), Modellstudie zu Nasca- Siedlungsstrukturen; Denise Kupferschmidt (Bonn), Siedlungsstrukturen der Späten Zwischenperiode; Carolina Hohmann (Bonn), Siedlungsprospektion im Hochland; Burkhard Vogt (Bonn), Das Projekt Proyecto Arqueológico Bajo Rio Grande; Johannes Moser (Bonn), Projekt PABRIG: Lithische Fund- plätze und Ausgrabungen im Abris; Peter Kaulicke (Bonn), Projekt PABRIG: Paracas-zeitliche Gräber. 22. bis 24. August Workshop zu Coastal Yemen and Red Sea Egypt in the 3rd and 2nd mill. BC (Leitung: Burkhard Vogt [Berlin]). – Es nahmen teil: Burkhard Vogt (Berlin), Alexander V. Sedov (Moskau), Vittoria Buffa (Rom), Gespräche über die laufenden Publikationsarbeiten zur deutsch-russischen Altgrabung in Sabir (Jemen). 4./5. Dezember Workshop »Rif Oriental«. 5. Dezember Statusworkshop Verbundprojekt »Anden-Transekt« – 2008. – Es sprachen: Bertil Mächtle (Heidelberg) – Stefan Hecht (Heidelberg), Das Moor von Atocata – Schlüsselarchiv präkolumbischer Mensch-Umwelt-Sys- teme; (Karsten Schittek (Trier), Hochandine Moore als Klimaarchive; Stefan

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Hölzl (München) – Christian Dekant, (München), Flechten als Proxy für Strontiumisotopie im Anden-Transekt; Peter Horn (München), δD, δ18O und D-Exzess in Oberflächen- und Grundwasser – von der Küste zu den Anden; Lars Fehren-Schmitz (Göttingen), Genetische Daten zur Struktur und Dyna- mik präkolumbischer Bevölkerungsentwicklung; Markus Reindel (Bonn), Überblick über die archäologischen Arbeiten der Feldkampagne 2008; Herr- mann Gorbahn (Bonn), Ausgrabungen zur archaischen Besiedlung von Pernil Alto; Carolina Hohmann (Bonn), Archäologische Prospektion im Hochland – Vorläufige Ergebnisse der Feldkampagne 2008; Volker Soßna (Bonn), GIS- Analysen zur vorspanischen Siedlungsverteilung und Landnutzung; Martin Sauerbier (Zürich) – Henri Eisenbeiß (Zürich), Hochauflösende Satelliten-, Luft- und MiniUAV-Bilder als Basis für zeitliche und räumliche GIS-Analysen im Andenraum; Karsten Lambers (Konstanz), Methodologische Untersuchun- gen zur Verwendung von hochaufgelösten Satellitenbildern in der archäolo- gischen Prospektion.

Öffentlichkeitsarbeit

Eröffnungsfeier der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen in neuem Gebäude Zu Beginn des Jahres 2008 konnte die Kommission für Archäologie Außer- europäischer Kulturen dank der gemeinsamen Bemühungen der Zentrale des DAI in Berlin, des Auswärtigen Amts, der Bundesimmobilienverwaltung und des Rates der Stadt Bonn in ein Dienstgebäude in der Bad Godesberger Dürenstraße 35–37 umziehen (Abb. 35). Die bundeseigene Immobilie diente bis kurz nach der Wende als Botschaft und Residenz Albaniens. Im Anschluss an umfangreichen Baumaßnahmen, die unter anderem den Einbau einer Kompaktanlage für die Bibliothek umfassten, die von der Theodor Wiegand Gesellschaft e. V. mitfinanziert wurde, konnte das Gebäude Anfang Juni ein- Abb. 35 Das neue Gebäude der Kommis- geweiht werden. sion für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des DAI in Bad Godesberg Am 6. Juni eröffneten der Präsident des DAI Hans-Joachim Gehrke, der Erste Direktor der Kommission Burkhard Vogt, der Bürgermeister Horst Naaß Abb. 36 Ansprache des Präsidenten und der Prorektor der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Wolfgang Hess des DAI Hans-Joachim Gehrke während das Haus in einem Festakt mit 100 geladenen Gästen (Abb. 36). Neben Reden der Eröffnungsfeier im Garten des neuen Gebäudes der Kommission für Archäologie und Grußworten konnten die Gäste eine eigens für die Eröffnung konzipierte Außereuropäischer Kulturen des DAI Poster-Ausstellung zu den laufenden Projekten der Kommission besichtigen.

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Tags darauf hielten die Wissenschaftler der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen für eine breite Öffentlichkeit Vorträge zu ihren Projekten. Zahlreiche Besucher, Mitglieder der Theodor Wiegand Gesellschaft e. V., der DFG, der benachbarten Humboldt-Stiftung und der Bonner und Kölner Universitäten und Museen, aber auch viele Nachbarn nutzten die Ge- legenheit für einem Rundgang durch das restaurierte Gebäude.

Auf Einladung der Deutschen Botschaft berichtete Herr Hüttel am 4. März vor hochrangigen Gästen aus Politik und Wissenschaft über die neuesten Er- gebnisse der gemeinsamen deutsch-mongolischen Forschungen. Bei dieser Ge- legenheit wurden erstmals auch zwei mongolische Archäologen – Dovdoin Bayar und Damdinsuren Ceveendorž (Ulaanbaatar) – als neue Korrespondie- rende Mitglieder des Deutschen Archäologischen Instituts willkommen gehei- ßen und ihnen die Ernennungsurkunden durch den Botschafter Pius Fischer und Herrn Hüttel überreicht. Zwei Fernsehteams begleiteten das Projekt Anden-Transekt (Peru) wäh- rend der Feldkampagne im August und September für Produktionen in ARTE und ZDF (Terra X). Während der Feldkampagne des Projekts Rif Oriental im April drehte ein Fernsehteam des zweiten marokkanischen Fernsehens für eine Dokumentation. In zahlreichen Artikeln berichteten die Zeitungen Lankadeepah (»Licht Sri Lankas«), Lanka, Lakbima (»Land Sri Lanka«), der Daily Mirror und The Island über die mesolithischen Skelettfunde in Godavaya und über die Grabung in Tissamaharama, insbesondere über das älteste Hospital des Landes und den ältesten Reistopf der Insel. Das Fernsehen Sri Lankas berichtete mehrfach über die Arbeiten in den Nachrichten und der TV-Sender Derana brachte in seinem Kulturmagazin »Extra Special« einen Beitrag zu den Grabungen in Tissamaharama und Goda- vaya. Herr Vogt hielt Vorträge in Erlangen (30. Januar) und Rom (11. Mai). Herr Reinecke hielt Vorträge in Phnom Penh (Kambodscha, 19. und 21. Mai), Nanning (China, 2. Juni), Erlangen (2. Juli), Gotha (18. Oktober), Bochum (18. Dezember). Ferner gab er ein Interview für das chinesische Fernsehen (4. Juni). Herr Weißhaar hielt einen Vortrag im Goethe-Institut in Dhaka (Bangladesch). Herr Reindel führte vom 6. bis 25. April eine Reisegruppe von Bild der Wissenschaft zu archäologischen Fundplätzen in Peru und Bolivien. Fer- ner hielt er Vorträge über das Forschungsprojekt Anden-Transekt (Peru) in Schaffhausen (14. Februar), Vancouver (27. März), Ascona (12. Mai), Ham- burg (28. Juni), Köln (11. Juli), Río Grande (22. September), Washington (18., 19., 24. November) und Erlangen (17. Dezember).

Veröffentlichungen

Forschungen zur Archäologie Außereuropäischer Kulturen 5: R. Walburg, Coins and Tokens from Ancient Ceylon Forschungen zur Archäologie Außereuropäischer Kulturen 6: R. Hecken- dorf, Bubalin und Boviden in Südmarokko. Kontext, Klassifikation und Chronologie der Felsbilder im mittleren Draa-Tal Zeitschrift für Archäologie Außereuropäischer Kulturen, Band 2, 2007

AA-2009/1 Beiheft Eurasien-Abteilung

Eurasien-Abteilung Direktor und Direktorin Prof. Dr. Svend Hansen, Erster Direktor Im Dol 2–6 PD Dr. Mayke Wagner, Wissenschaftliche Direktorin D-14195 Berlin Tel.: +49-(0)3018 7711-311 Wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Fax: +49-(0)3018 7711-313 PD Dr. Ute Franke (bis 14. 12.), Dr. Ingo Motzenbäcker, Dr. Anatoli Nagler (ab 1. 2.), E-Mail: [email protected] Dr. Udo Schlotzhauer, Dr. Erdmute Schultze

Wissenschaftliche Hilfskräfte Katrin Bastert-Lamprichs M. A., Kirsten Hellström M. A.

Aus Drittmitteln finanzierte Stellen Blagoje Govedarica (DFG, ab 1. 1.), Dr. Raiko Krauß (DFG, bis 30. 9.), Stephanie Langer M. A. (DFG, bis 15. 10.), Dr. Gunvor Lindström (DFG, bis 29. 2.), Dr. Agathe Reingruber (DFG), Dr. Sabine Reinhold (DFG)

Freier Mitarbeiter Dr. Nikolaus Boroffka (bis 30. 9.)

Außenstelle der Eurasien-Abteilung

Außenstelle Teheran Leiterin 9, Khiaban-e Shahid Akbari PD Dr. Barbara Helwing (Lehrstuhlvertretung an der Eberhard-Karls-Universität POB 3894 Tübingen vom 30. 4. bis 30. 9.) Teheran-Elahiyeh/Iran Dr. Nikolaus Boroffka (30. 4. bis 30. 9., Vertretung der Leiterin)

Eurasien-Abteilung

Ausgrabungen und Forschungen

Pietrele (Rumänien) Der Siedlungshügel M‡gura Gorgana bei Pietrele an der Unteren Donau (Abb. 1) war in der 2. Hälfte des 5. Jts. v. Chr. eine imposante Erscheinung. Auf dem 9 m hohen Hügel standen mehrere Reihen großer, teilweise zweigeschossiger Häuser und auch zu Füßen des Hügels dürfte – den Ergebnissen der geomag- netischen Prospektion zufolge – eine Vielzahl von Häusern existiert haben. Nach diesem Bild war die Siedlung etwa dreimal so groß wie ursprünglich angenommen und bestand aus etwa 120 Gebäuden. Somit ist auch eine deut- lich größere Einwohnerzahl vorauszusetzen, was angesichts der umfangreichen handwerklichen Produktion von Keramik, Stein-, Metall- und Knochengerä-

Abb. 1 Pietrele (Rumänien), der Sied- lungshügel liegt weithin sichtbar über der ausgedehnten, bis zu 8 km breiten Aue

ten in Pietrele durchaus plausibel ist. Die Existenz einer weiteren Siedlung am Fuß des Wohnhügels bedeutet für die Interpretation eine Herausforderung. Denn nun steht die Frage im Raum, welche spezifische Funktion der Tell hatte. Man kann daran denken, dass hier die soziale Führungsschicht wohnte oder dass es sich um kommunale Gebäude, Speicher, Wirtschaftsgebäude u. ä. handelte. Die diesjährigen Grabungen auf dem Siedlungshügel haben wichtige Er- gebnisse zu der Struktur des Hügels erbracht. In Fläche B konnten im nörd- lichen Bereich quadratische Strukturen aufgedeckt werden, die vorläufig als planmäßige Vergrößerung des Hügels zur Schaffung von größerem Baugrund gedeutet werden (Abb. 2). Es handelt sich um nahezu quadratische Pfosten- konstruktionen (ca. 2,50 m × 2,50 m), in die große Mengen von Sediment eingefüllt wurden. In diesem Bereich fand sich vergleichsweise wenig Kera- mik. Auch der Anteil der sonst sehr zahlreichen Kleinfunde ist gering. Um- so auffallender ist in diesem Areal das Vorkommen von einzelnen menschli- chen Knochen. In Fläche F fand sich unter dem verbrannten zweigeschossigen Haus, das 2006 und 2007 ausgegraben wurde, eine Reihe von Planierschichten. In dieser

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Pietrele (Rumänien)

Abb. 2 Quadratische Struktur

Abb. 3 Gebäudekomplex, in und neben der Westwand finden sich mehrere 20 cm große, hohl erhaltene Pfostenlöcher (weiß markiert) 3

Fläche wurde am Ende dieser Kampagne ein Gebäudekomplex aufgedeckt, dessen Lehmmauern eine bisher einmalige Erhaltung aufweisen (Abb. 3). Der am besten sichtbare Raum misst 4 m × 8 m, an ihn schließt sich ein weiterer 2 m breiter Raum an. Die Wände sind zwischen 60 und 80 cm dick. Geoelek- trischen Messungen zufolge ist dieser Gebäudekomplex noch bis zu 1,20 m erhalten. Es besteht die Vermutung, dass er absichtlich verfüllt wurde, was in einem Siedlungshügel der Stabilität späterer Bauten dienlich ist, weil die Bil- dung von Hohlräumen vermieden wird. Den Bohrungen nach zu urteilen, repräsentiert das Gebäude in diesem Bereich die älteste Besiedlungsphase. Zu den besonderen Funden aus diesem Jahr gehört ein anthropomorpher Gefäßständer (Abb. 4). Spezielle Erwähnung verdienen auch unerwartet viele 4 Fragmente von sehr qualitätvoll gearbeiteten Spondylusarmringen. Die 2008 erstmals durchgeführten Gebrauchsspurenanalysen an Silexartefakten brach- ten auch einen überraschenden Detailfund ans Licht. Auf einer der Klingen war eine angesinterte Fischschuppe erhalten (Abb. 5). Durch Bohrungen bis 17 m Tiefe unter Geländeoberfläche konnte der li- thologische Aufbau der bis an den Tellfuß reichenden Überschwemmungsebe- 5 ne der Donau sowie des nördlich angrenzenden Talhangs erfasst werden. Sedi- mente, die unterschiedliche Ablagerungsbedingungen repräsentieren, wurden Pietrele (Rumänien) differenziert und konnten durch geoelektrische Messungen in ihrer räumli- chen Verbreitung abgebildet werden (Abb. 6. 7). Feinkörnige Hochflutsedi- Abb. 4 Anthropomorpher Gefäßständer. Das bislang größte Exemplar dieser in der mente, die durch ein verzweigtes Flusssystem abgelagert wurden, überlagern Gumelniţakultur Südrumäniens seltenen in einer Tiefe von etwa 10 m unter der heutigen Oberfläche Sande und Kie- Fundgruppe se unbestimmten Alters. Der Beginn der Sedimentation der Hochflutsedimen- te, die bis zur Trockenlegung der Aue in den 1950er Jahren andauerte, kann Abb. 5 Klinge mit angesinterter Fisch- schuppe durch mehrere 14C-Altersbestimmungen auf etwa 4000 v. Chr. festgelegt werden. Das bedeutet, dass der Talboden zur Zeit der Besiedlung von M‡gura Gorgana auf einem deutlich tieferen Niveau lag als heute. Der durch den Se- dimentwechsel markierte Umbruch im Abfluss- und Sedimentationsverhal- ten der Donau könnte auf eine veränderte Sedimentanlieferung durch zuneh-

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Pietrele (Rumänien)

Abb. 6 Bohrungen am Tellfuß. Die Sedimente repräsentieren unterschied- liche Ablagerungsbedingungen

Abb. 7 Geoelektrische Messungen zu den Bohrungen

mende landwirtschaftliche Nutzung und Rodungen im Donau-Einzugsgebiet hindeuten. Möglicherweise markiert er aber auch einen Hiatus, der noch wäh- rend der kupferzeitlichen Besiedlung andauerte. Dies würde bedeuten, dass die Überflutungen der Donau die tellnahen Bereiche des Talbodens erst ab dem 4. Jt. v. Chr. erreichten, was erheblichen Einfluss auf die Nutzungsmöglichkei- ten der Überflutungsebene gehabt hätte. Durch die laufenden Untersuchun- gen soll eine Antwort auf diese Fragen gefunden werden. Kooperationspartner: Archäologisches Institut der Rumänischen Akade- mie der Wissenschaften (A. Vulpe, M. Toderaş) • Förderung: DFG • Lei- tung des Projekts: S. Hansen • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: N. Be- necke (Archäozoologie), I. Gatsov (Silexgeräte), J. Görsdorf (14C-Altersbestim- mungen), M. Kay (Gebrauchsspurenanalysen), F. Klimscha (Beile und Äxte),

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U. Koprivc (Mahlsteine), P. Nedelcheva (Silexgeräte), R. Neef (Archäobota- nik), D. Spânu (Architekturmodelle), M. Toderaş, M. Prange (Kupfergeräte), T. D. Price (Isotopie), A. Reingruber (DFG, Keramik), J. Wahl (Anthropolo- gie), J. Wunderlich (Holozäne Landschaftsrekonstruktion), P. Zidarov (Kno- chengeräte) • Abbildungsnachweis: S. Hansen (Abb. 1–4); M. Kay (Abb. 5); J. Wunderlich (Abb. 6–7).

P‡nade, Kreis Alba (Rumänien) In der ersten Frühjahrskampagne sollte die Fundstelle eines spätbronzezeit- lichen Bronzehortes untersucht werden, der 2002 dem Muzeul Na¸tional al Unirii, Alba Iulia, gemeldet worden war. Der Fundort liegt unweit der Mün- dung des Pârâul P‡n‡zii, der auch die Grenze zum Nachbarort Biia markiert, in die Târnava (Abb. 8). Der Bach ist von besonderem Interesse, da eine seiner Quellen stark salzig ist. Aus P‡nade selbst waren vor allem neolithische (Criş- Kultur), eisenzeitliche (›kimmerischer‹ Dolch, latènezeitlicher Münzschatz) und römische (ländliche Siedlung) Funde bekannt, während das Nachbardorf Biia die bekannten hallstattzeitlichen Goldfunde lieferte. 2006 war bei ersten Prospektionen spätbronzezeitliche und jüngere Keramik in der Nähe der Hortfundstelle gefunden worden, so dass eine dazugehörige Siedlung vermu- tet wurde. Östlich des Baches konnte außerdem eine mittelbronzezeitliche Siedlung der Wietenberg-Kultur identifiziert werden.

Abb. 8 Pănade (Rumänien), Blick aus dem Pârâul Pănăzii Richtung Süden. Rechts im Bild ist das Grabungsareal (Pfeil) auf der unteren Terrasse zu erkennen

Auf der untersten Terrasse, wo nach Angaben der Finder der Hortfund zu Tage kam, wurde zunächst durch Kollegen der Universität Kiel eine geoma- gnetische Prospektion durchgeführt, die mehrere Anomalien erkennen ließ (Abb. 9). Zusätzlich wurden Bohrsonden durchgeführt, die eine Schichtmäch- tigkeit von ca. 1,50 m wahrscheinlich machten. Eine der Anomalien in der Nähe der vermuteten Hortlage wurde sodann teilweise in einem 5 m × 5 m großen Schnitt untersucht. Die Grabungen ergaben in 0,40–0,60 m Tiefe un- ter der Oberfläche eine Besiedlung der nachrömischen Zeit (3./4. Jh. n. Chr.) mit ebenerdigen Häusern (verbrannte Lehmplattform mit Ruten- und Bret- terabdrücken), was insofern ungewöhnlich ist, als bisher dort vorwiegend Gru- benhäuser für diese Periode bekannt waren. Unter dieser späten Siedlung, die wohl für die meisten geomagnetischen Anomalien verantwortlich sein dürfte, liegt eine 1,30 m mächtige anthropogene Schicht mit vereinzelten kleinen

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Abb. 9 Pănade (Rumänien), geophysi- kalische Untersuchung des Geländes. Rot dargestellt sind Besiedlungsspuren, wahrscheinlich des 3.–4. Jhs. n. Chr.

Brandlehmpigmenten, wenigen spätbronzezeitlichen Scherben sowie unge- wöhnlich seltenen Tierknochen. Insgesamt erscheint die Konsistenz nicht be- sonders typisch für Siedlungsablagerungen, für eine alternative Interpretation ist die ergrabene Fläche jedoch noch zu klein. Innerhalb der spätbronzezeitli- chen Schicht konnten dicht beieinander eine bronzene Nadel (Abb. 10) und ein Ringfragment geborgen werden; ein Bronzeknopf aus demselben Bereich wurde erst bei der Durchsicht des Abraumes entdeckt. Die Nadel erlaubt ei- ne genauere Datierung in die Periode Bronzezeit D (nach P. Reinecke). Die drei kleinen Bronzen – im Verhältnis zu der sehr kleinen Grabungsfläche eine außergewöhnlich hohe Anzahl – könnten als Kleindeponierung angesprochen werden, wogegen der Haupthort von derzeit ca. 40 Objekten weiter westlich zu lokalisieren ist. Der sterile Boden wurde in 1,80–2 m Tiefe erreicht. Zusätzlich wurden bei Begehungen des P‡nade-Tales eine prähistorische (vermutlich neolithische) Siedlung an einem Bergsee (T‡ul P‡n‡zii), wenige prähistorische Scherben auf einem Bergsporn ca. 10 km nördlich der Gra- bungsstelle und eine intensive mittelalterliche Besiedlung (11./12. Jh. n. Chr.) an der Salzquelle bei Ocnişoara etwa 10 km nordwestlich der Grabung iden- Abb. 10 Pănade (Rumänien), Bronze- tifiziert. Die Solquelle selbst ergibt beim Auskochen von 1 l Wasser ca. 315 g nadel der Stufe Bronzezeit D Salz, es handelt sich also praktisch um eine gesättigte Salzlösung. Kooperationspartner: Muzeul National¸ al Unirii Alba • Leitung des Pro- jekts: N. Boroffka, H. Ciugudean • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: E. Apai (Cluj-Napoca), B. Nessel, J. Wagner (Freie Universität Berlin), A. Windler, M. Mennenga (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), B. Govedarica • Abbildungsnachweis: DAI, Eurasien-Abteilung, N. Boroffka (Abb. 8–10).

Ovčarovo-gorata (Bulgarien) Im Zentrum des Forschungsprojekts steht die Auswertung der Altgrabung ei- ner frühneolithischen Siedlung in Nordostbulgarien (Abb. 11–13). Ovčarovo- gorata ist bislang für den gesamten Großraum am Unterlauf der Donau der einzige auf großer Fläche freigelegte Fundplatz am Beginn von Ackerbau und Viehzucht in Europa. Durchgeführt wurden die Grabungen von 1974 bis 1979 vom Historischen Regionalmuseum der Stadt T‡rgovište unter der Leitung von I. Angelova. Sie begannen zunächst als Rettungsgrabungen im Zuge von

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Abb. 11 Ovčarovo-gorata (Bulgarien), Schüler im Ferieneinsatz (1977)

Bauarbeiten, ab 1976 erfolgten dann planmäßige Ausgrabungen, die beinahe die gesamte Siedlungsfläche aufdecken konnten. Zeitweilig arbeiteten neben wenigen Arbeitern aus der Umgebung über 80 Schüler im Ferieneinsatz auf der Fläche (Abb. 11). Ihnen oblag unter kursorischer Anleitung durch die Gra- bungsleiterin auch die Freilegung sowie Dokumentation der ausgesprochen komplexen Befunde. Erst in den letzten Grabungsjahren waren Archäologie- studenten an den Feldarbeiten mit beteiligt, was sich deutlich an der dann sehr viel besser geführten Grabungsdokumentation abzeichnet. Ungeachtet der Abb. 12 Ovčarovo-gorata (Bulgarien), aufscheinenden Probleme mit den auf diese Weise gewonnenen Erkenntnis- seltenes Hohlidol. Wahrscheinlich handelt sen wurde in verschiedenen kürzeren Vorberichten ein künstlich aus der Gra- es sich um eine stark stilisierte anthropo- morphe Darstellung bungsdokumentation geschaffenes Bild der Grabung entworfen, das bis heute Bestand hat und einen falschen Eindruck von der frühneolithischen Besied- lung dieses kulturgeschichtlich bedeutenden Raumes bietet. Durch die neue Auswertung konnte jetzt gezeigt werden, dass die von der Ausgräberin vorge- stellten Pläne aus rechteckigen Pfostenbauten nicht zutreffen, sondern es sich stattdessen um leicht in den Boden eingetiefte Häuser handelt, wie sie mittler- weile auch von anderen Plätzen etwa in Nordwestanatolien bekannt geworden sind. Des Weiteren konnte die postulierte Unterteilung der Siedlung in vier Horizonte nicht nachvollzogen werden. Im Gegenteil ergeben sich aus der vorliegenden Dokumentation sogar schwerwiegende stratigraphische Unge- reimtheiten und vielfach lässt sich die Zuweisung von zusammengehörigen Befunden zu ganz unterschiedlichen stratigraphischen Einheiten feststellen. Der Fundstoff selbst bietet seinerseits keinerlei Anzeichen für eine typolo- gische Trennung, weshalb er nur noch als Einheit betrachtet werden kann. Es handelt sich um Funde des entwickelten balkanischen Frühneolithikums, das nach Auskunft neuerer, von uns vorgenommener AMS-Datierungen in die 1. Hälfte des 6. Jts. v. Chr. datiert werden kann. Die Aufarbeitung der Altgra- bung bei Ovčarovo-gorata ist vor allem forschungsgeschichtlich von großer Bedeutung, da sich hier erstmals anhand der Felddokumentation die Mani- pulation von Grabungsbefunden nachweisen lässt. Die Vorlage des Fundstoffes erlaubt es nun, 30 Jahre nach dem Ende der Grabungen, einen umfassenden Eindruck von einem noch immer weitgehend unbekannten Keramikspektrum zu erlangen, das am Beginn der Keramikproduktion in ganz Europa steht. Mit der Bearbeitung der zahlreichen Geräte aus Felsgestein (Abb. 13) konnte jetzt Abb. 13 Ovčarovo-gorata (Bulgarien), auch die letzte Materialgattung abgeschlossen werden. Auswahl an Felssteingeräten der Siedlung

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Kooperationspartner: Historisches Museum T‡rgovište (I. Angelova, M. Že- čeva); Neue Bulgarische Universität Sofia (I. Gatsov, P. Zidarov); Arbeitsgrup- pe Archäometrie der Freien Universität Berlin (G. Schneider) • Förderung: DFG • Leitung des Projekts: R. Krauß • Mitarbeiter und Mitarbeite- rinnen: N. Benecke (Archäozoologie), N. Van Binh (Silexgeräte), F. Klim- scha (Felsgeräte), P. Zidarov (Knochengeräte), G. Schneider, M. Daszkiewicz, E. Bobryk (Keramikuntersuchungen), Ch. Rütze, A. Scheu (Molekulargene- tik) • Abbildungsnachweis: Archiv Museum T‡rgovište (Abb. 11); R. Krauß (Abb. 12. 13).

Nordwestliches Schwarzmeergebiet während des 4. Jts. v. Chr. (Ukraine/Republik Moldau) Die Forschungsarbeiten innerhalb des Projekts konzentrierten sich auf die Ge- ländeprospektionen, archäologischen Ausgrabungen und die Erstellung eines ausführlichen Fundkataloges für das Material aus alten und neuen Grabungen. Insgesamt wurden in diesem Rahmen bisher 28 Fundorte bearbeitet (Abb. 14).

Abb. 14 Nordwestliches Schwarzmeer- gebiet während des 4. Jts. v. Chr. (Ukraine/ Republik Moldau), bisher bearbeitete Fundorte: 1 Orlovka; 2 Gavanoasa; 3 Kamenka; 4 Taraklija; 5 Kazaklija; 6 Svetli; 7 Želtij Jar; 8 Sarata; 9 Sarateni; 10 Tokile Radukanu; 11 Danku; 12 Grigoriopol; 13 Speja; 14 Bursuceni; 15 Grigoriovka; 16 Roškani; 17 Nikolskoe; 18 Novokotovsk; 19 Purkari; 20 Talmaz; 21 Koržova; 22 Krasnoe; 23 Raskaeci; 24 Olonešti; 25 Palanka; 26 Majaki; 27 Usatovo; 28 Košary und Tiligulskij Liman

Einen zentralen Forschungspunkt stellten weiterhin die Untersuchungen in Orlovka bei Reni dar. Am Fuß des großen Steinbergs konnte im östlichen Bereich eine Vorburgsiedlung der Cernavod‡-I-Kultur mit Verteidigungsgra- ben freigelegt werden. Die ältere Phase der Siedlung umfasst eine durch den Verteidigungsgraben geschützte Wohnfläche zu Füßen des oberen Siedlungs- plateaus und eine Wirtschaftzone, die außerhalb dieses geschützten Areals lag (Ofen 1–8; Gruben 42, 44, 53 und 55; Abb. 15). Den späteren Horizont prä- gen vor allem einige über dem bereits aufgeschütteten Schutzgraben gebaute Häuser und ihre Einrichtungen. Dieser Horizont ist, neben der Cernavod‡-I- Ware, auch durch das Vorkommen von bemalter Usatovo-Keramik gekenn- zeichnet. Der Schutzgraben selbst wurde in einer Gesamtlänge von 22 m freigelegt. Er wies ein trapezförmiges Profil und eine Tiefe von 3,50 m von der ehema- ligen Oberfläche auf. Die Breite reichte von 0,60 m am Boden bis zu 3 m an der Oberkante (Abb. 16). Die Grabenfüllung bestand aus mehreren Schich- ten von unterschiedlicher Konsistenz, die Keramik, Werkzeuge, Tierknochen

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Abb. 15 Nordwestliches Schwarzmeer- gebiet während des 4. Jts. v. Chr. (Ukraine/ Republik Moldau), Orlovka-Kartal (Ukraine). Grabungsfläche der Cernavodă-I-Siedlung

und andere Kulturreste enthielten. Durch diesen Graben wurde in der frü- hen Cernavod‡-I-Phase das Siedlungsgebiet vom offenen Feld abgeteilt und geschützt. In der weiteren Entwicklung verlor der Graben dann seine Ver- teidigungsfunktion und wurde zugeschüttet. In der Spätphase breitete sich das Wohnareal darüber hinaus weiter aus, wie die über dem aufgeschütteten Schutzgraben erbauten Häuser beweisen (Haus 1, 2; Abb. 15). Dieser Phase konnten noch einige runde Gruben von unterschiedlicher Größe und Tiefe westlich und östlich des Grabens zugeordnet werden (Gruben 26, 29, 51, 56 und 60; Abb. 15). Mit den Probegrabungen in Košary bei Odessa wurden Überreste einer spätkupferzeitlichen Siedlung freigelegt. Die Scherben weisen Elemente der Cernavod‡-I-Kultur auf, vor allem hinsichtlich der gestempelten Verzierung. Außerdem sind auch einige eigenständige und bisher nicht bekannte Verzie- rungselemente vorhanden, so dass es sich hier um eine neue Kulturerscheinung handeln kann. Eine präzise chronologische und kulturelle Zuordnung dieses Fundortes ist allerdings anhand gesammelten Materials noch nicht möglich. Dafür sind weitere archäologische Untersuchungen innerhalb der Siedlungs- terrasse notwendig. Parallel zu den Feldarbeiten wurde in archäologischen Institutionen von Abb. 16 Nordwestliches Schwarzmeer- gebiet während des 4. Jts. v. Chr. (Ukraine/ Odessa, Kiev und Kišinev ein Fundkatalog der alten Ausgrabungen erarbeitet, Republik Moldau), Orlovka-Kartal (Ukraine). wobei das vorhandene archäologische Material aus 25 Nekropolen und aus Profil des Schutzgrabens

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zwei Siedlungen dokumentiert werden konnte (Abb. 14. 17). Die drei bisher vorgenommenen Radiokarbondatierungen ergaben für die jüngere Phase der Cernavod‡-I-Siedlung in Orlovka eine Zeitspanne von 3491–3749 BC. Die fünf Proben aus der Siedlung der frühen Usatovo-Kultur in Majaki datieren in die Spanne 3249–3520 BC, während die vier Proben aus den Usatovo- Gräbern in Grigoriovka und Bursuceni (Republik Moldau) eine Datierung von 3030–3360 BC für die klassische Usatovo-Kultur ergeben haben. Bei Prospektionen im Berezanskij Liman bei Odessa konnten Spuren der holozänen Meerestransgressionen festgestellt werden (Abb. 18), die weiterer geomorphologischer Untersuchungen bedürfen. Mit der geplanten Bohrung innerhalb der alten Terrassen des Gebietes können diese Transgressionsphasen chronologisch präzisiert und dadurch die Klima- und Umweltbedingungen Abb. 17 Nordwestliches Schwarzmeer- im mittleren Holozän erfasst werden, um eine Grundlage für die angestrebten gebiet während des 4. Jts. v. Chr. (Ukraine/ archäogeographischen Rekonstruktionen zu schaffen. Damit haben sich bereits Republik Moldau), Obileni (Republik Mol- im bisherigen Förderzeitraum wichtige Impulse für die Siedlungsarchäologie dau). Grab 2, Gefäß der Usatovo-Kultur der Region sowohl im methodologischen als auch inhaltlichen Sinn ergeben.

Abb. 18 Nordwestliches Schwarzmeer- gebiet während des 4. Jts. v. Chr. (Ukraine/ Republik Moldau), Transgressionsterrassen an der Landenge des Berezanskij Liman (Ukraine)

Kooperationspartner: Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin (B. Hänsel); Higher Anthropological School Chişin‡u, Republik Moldau (I. V. Manzura); Archäologisches Museum der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine in Odessa (I. V. Brujako); Archäo- logisches Institut der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine in Kiev • Leitung des Projekts: B. Hänsel, S. Hansen • Mitarbeiter: B. Gove- darica • Abbildungsnachweis: B. Govedarica (Abb. 14); D. Topal (Abb. 15. 16); B. Govedarica (Abb. 17); E. Konikov (Abb. 18).

Fibeln und Fibeltracht im Nordschwarzmeerraum (Ukraine) Der Nordschwarzmeerraum, der westliche Ausläufer des eurasischen Steppen- gürtels, gilt seit jeher als Schmelztiegel europäischer und asiatischer Kulturen und folglich als Korridor für Migration sowie Kulturtransfer zwischen Ost

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Abb. 19 Fibeln und Fibeltracht im Nord- schwarzmeerraum (Ukraine), goldene Fibelbrosche mit Granat (2./1. Jh. v. Chr.), Dm 4,1 cm x 3,5 cm

und West. Während der jüngeren vorrömischen Eisenzeit und der römischen Kaiserzeit wird die Steppe von sesshaften und auch nomadisierenden Völkern bewohnt. Die archäologische Forschung übernahm aus historischen Quellen die Bezeichnungen »Späte Skythen« für die Einheimischen im Gebiet der Dneprmündung und auf der Halbinsel Krim sowie »Sarmaten« für die Be- wohner des Festlandes, deren Verbreitungsgebiet sich nach Osten bis zum Ural weiterverfolgen lässt. Archäologische Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass diese übergreifend benutzten Kulturbegriffe nicht der Lebens-, Wirt- schafts- und Glaubensvielfalt dieser Steppenbewohner gerecht werden. Starken Einfluss auf die Entwicklung beider indigener Kulturen hatte der intensive Kontakt zu den griechischen Handelsstädten am Rande des Pontos Euxeinos. Diese Stadtstaaten fielen im 1. Jh. n. Chr. großteils unter römische Vorherrschaft, was sich durch zahlreiche römische Importgüter archäologisch fassen lässt. Insgesamt ist das materielle Gut der skytho-sarmatischen Kultur- gemeinschaft nicht nur geprägt vom kulturellen Austausch mit Griechen und Römern, sondern auch vom unterschiedlich intensiven Kontakt zu nahezu al- len räumlich angrenzenden Kulturen, wie den westpontischen Thrakern, den Geto-Dakern, den Trägern der latènisierten Kulturen Poineşti-Lukašhevka und Zarubinec sowie den Maioten im östlichen Schwarzmeerraum. Die Vielfalt dieser Einflüsse und deren Adaption sind archäologisch besonders gut anhand von Trachtelementen nachvollziehbar. Das Forschungsvorhaben beschäftigt sich daher mit dem Auftreten und der eigenständigen Weiterentwicklung der Fibeln und der Fibeltracht in der Nordschwarzmeersteppe zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 3. Jh. n. Chr. Nach einer ersten Durchsicht publizierter und unpublizierter Grabinven- tare mit Fibeln sowie Siedlungs- und Lesefunden kann davon ausgegangen werden, dass die Fibel im 2./1. Jh. v. Chr. bei den Bewohnern der Nord- schwarzmeersteppe allmählich in Mode kam. Neben mittellatènezeitlichen Einzelstücken, die wohl aus der Peripherie des Latènekreises oder aus Klein- asien stammen, finden sich zunehmend Exemplare klassischer Drahtfibeln vom Mittellatèneschema auch in einfach ausgestatteten Gräbern, die verstärk- te Kontakte zum Latène- bzw. Jastorfkreis verdeutlichen. Wohl als zeitgleich können prestigeträchtige Broschen, die besonders auf dem Gebiet des Bos- poranischen Reiches gefunden wurden, angesprochen werden (Abb. 19). Sie wurden vermutlich auch dort hergestellt. Der Auslöser für eine lokale, sich schnell etablierende Fibelproduktion mit eigener Prägung waren allerdings die einfachen Drahtfibeln vom Mittellatène-

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Abb. 20 Fibeln und Fibeltracht im Nord- schwarzmeerraum (Ukraine), Schema der Entwicklungsabfolge der Drahtfibel vom Mittellatèneschema zur Fibel mit umgeschlagenem Fuß

schema (Abb. 20). Sie fanden schnell weite Verbreitung über das Arbeitsgebiet hinaus. Um die Zeitenwende und besonders seit dem 1. Jh. n. Chr. intensiviert sich der Zustrom von Gewandspangen und anderer Importgüter aus den rö- mischen bzw. provinzialrömischen Gebieten spürbar (Abb. 21). Wiederum werden bestimmte Typen, wie z. B. die kräftig profilierte Fibel rezipiert, von einheimischen Handwerkern nachgeahmt und mit eigener Note versehen. Die Analyse der nordpontischen Fibeln und ihrer Fundkontexte verfolgt das Ziel, das Typenspektrum in geordneter Form vorzustellen, die Fibel in ihrer Funktion als chronologischer Anzeiger zu aktualisieren und ihre bedeutende Rolle als Indikator für die weit reichenden und wechselnden kulturellen Kon- takte der Nordschwarzmeerbewohner mit verschiedenen zirkumpontischen Abb. 21 Fibeln und Fibeltracht im Nord- und nördlich bzw. nordwestlich angrenzenden Kulturen darzulegen. schwarzmeerraum (Ukraine), bronzene Leitung des Projekts: K. Hellström • Abbildungsnachweis: G. Weber nach Fibelbrosche mit Emailleeinlagen (1./2. Jh. Platar. Kolekcija predmetiv starovyny rodyn Platonovič i Tarut (Kiev 2004) n. Chr.), L 3,5 cm (Abb. 19. 21); K. Hellström (Abb. 20).

Drehscheibenkeramik der Černjachov-Kultur in Vojtenki (Ukraine) Der umfangreiche Fundplatz des 3./4. Jhs. n. Chr. liegt im Osten der Ukra- ine und umfasst eine ausgedehnte Siedlung sowie ein Gräberfeld von über 90 Bestattungen. Dort gräbt seit mehreren Jahren die germanisch-slawische Expedition der Universität Charkov unter der Leitung von M. Ljubičev (Abb. 22). Die während der Grabungskampagnen 2004–2007 geborgene Keramik ist Thema eines deutsch-ukrainischen Gemeinschaftsprojekts. In einem Teil der Siedlung gibt es einen Vorčernjachov-Horizont aus der 2. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. mit freihandgeformter Keramik und nur wenigen Fragmenten importierter Drehscheibenkeramik. Der Hauptsiedlungshorizont aus dem 4. Jh. n. Chr. und auch das dazugehörende Gräberfeld erbrachten da-

Abb. 22 Vojtenki (Ukraine), Blick auf das Siedlungsgelände von Nordosten. Im Hintergrund die Grabung auf dem dazugehörigen Gräberfeld

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Abb. 23 Vojtenki (Ukraine), Keramikspek- trum des Gräberfeldes

gegen fast ausschließlich die typische grautonige Drehscheibenkeramik der Černjachov-Kultur. In die Auswertung wurden außerdem Reste importierter Gefäße, vor allem von römischen Amphoren, sowie die aus Ton gefertigten Spinnwirtel und Webgewichte einbezogen. Das Spektrum der Drehscheibenkeramik umfasst Küchen- und Tischge- schirr sowie Vorratsgefäße. Zur Küchenkeramik gehören vor allem Töpfe, die meist eine raue Oberfläche und eine stärkere, oft auch gröbere Magerung des Tons aufweisen. Die zweite große Gruppe bilden Schalen. Sie sind nach der geglätteten oder sogar polierten Oberfläche sowie der sorgfältigen Verarbei- tung überwiegend der Tischkeramik zuzurechnen. Auch Kannen, Krüge und Becher zählen zur Tischkeramik. Den ehemals großen Vorratsgefäßen lassen sich meist nur dickwandige Randfragmente sicher zuweisen. Nach der Auswertung der Funde aus den beiden Siedlungsbereichen A und C wurde die Keramik der Siedlung mit der des Gräberfeldes verglichen. Dabei zeigte sich, dass auf der Nekropole ein ganz ähnliches Gefäßspektrum auftritt wie in den Siedlungsbereichen (Abb. 23). Es fehlen in den Gräbern nur die Frag- mente von Vorratsgefäßen und Amphoren. Die zahlreichen Töpfe zeigen, dass die Gefäße für die Speisebeigaben nach funktionalen Gesichtspunkten ausge- wählt wurden. Neben reich verzierten Bechern oder fein gearbeiteten Schalen gibt es in den Gräbern auch Gefäße, die im Brand verzogen waren oder andere Fehler aufweisen. Demnach wählte man nicht bloß besonders schönes Geschirr für die Gräber aus. Das zeigt auch die Abnutzung einiger Gefäße. Hinweise auf eine speziell für die Gräber hergestellte Keramik fehlen in Vojtenki. Ergänzt wurde die archäologische Auswertung durch naturwissenschaftli- che Untersuchungen der Keramik. Tonproben von 224 Gefäßen und Gefäß- fragmenten wurden mittels MGR-Analysen (Matrix Group by Refiring) untersucht, eine Auswahl davon außerdem durch chemische Analysen und Dünnschliffe. Nach dem unterschiedlichen Eisengehalt und nach dem Brenn- verhalten des Materials lassen sich die Proben verschiedenen Materialgruppen zuweisen. Zum Vergleich konnten einige wenige Keramikproben aus anderen Černjachov-Siedlungen der Region einbezogen werden. Die Ergebnisse der Analysen zeigen bei einigen Proben von Vojtenki und denen aus anderen Fundplätzen so starke Übereinstimmungen, dass das Tonmaterial aus der glei- chen Rohstoffquelle stammt und in wenigen Fällen die Keramik vermutlich sogar in derselben Werkstatt hergestellt wurde (Abb. 24). Dies belegt, dass im Rahmen der Kontakte zwischen den Bewohnern dieser Siedlungen, die 5 bis etwa 15 km voneinander entfernt lagen, Tongefäße ausgetauscht wurden, die vielleicht in Vojtenki hergestellt und in dem dort gefundenen Ofen gebrannt

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Abb. 24 Vojtenki (Ukraine), Dünnschliffe wurden. Darüber hinaus können die Gefäße aber auch als Behältnis für andere und MGR-Analysen. Bei diesem Beispiel Güter gedient haben und dadurch in Umlauf gekommen sein. ist das Tonmaterial von Scherben aus Kooperationspartner: Historische Fakultät der V. N. Karazin-Universität Vojtenki und von anderen Siedlungen nach der Zusammensetzung so ähnlich, dass Charkov (M. Ljubičev); Institut für Anorganische und Analytische Chemie, die Gefäße vermutlich in einer Werkstatt Arbeitsgruppe Archäometrie der Freien Universität Berlin (G. Schneider); hergestellt wurden ARCHEA (Archeometric Analysis and Research) Warszawa (M. Daszkiewicz) • Leitung des Projekts: M. Ljubičev, E. Schultze • Mitarbeiter und Mitar- beiterinnen: K. Myzgin, K. Varačeva • Abbildungsnachweis: DAI, Eurasien- Abteilung, E. Schultze (Abb. 22. 23); G. Schneider, M. Daszkiewicz (Abb. 24).

Taman-Halbinsel (Russische Föderation) Zwischen der Krim und der Taman-Halbinsel ermöglicht die Meerenge von Kertsch (Kimmerischer Bosporus) seit Alters her eine Schiffsroute vom Schwarzen ins Asovsche Meer und weiter östlich in den Don. Ein weiterer Fluss direkt am Bosporus, der Kuban, erschließt die an natürlichen Ressourcen reiche Kaukasusregion. Daher verwundert es kaum, dass seit dem frühen 6. Jh. v. Chr. hier griechische Kolonisten Städte gründeten. Im 5. Jh. v. Chr. schlos- sen sich diese zum Bosporanischen Reich zusammen, das in der Folge um das Abb. 25 Taman-Halbinsel (Russische Asovsche Meer ausgriff und zahlreiche lokale Völkerschaften integrierte. Föderation), Plan der nördlichen Halbinsel. Ein interdisziplinäres, russisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt betreibt un- Die roten Kreise markieren die in der ter landschafts- und siedlungsarchäologischen Fragestellungen im Herzen des Regionalstudie untersuchten Fundplätze; Ortsnamen in Rot geben die vermuteten Bosporanischen Reiches eine Regionalstudie auf der nördlichen Taman-Halb- antiken Namen von Fundplätzen wieder insel (Abb. 25). Ein inzwischen abgeschlossenes Teilprojekt zur Rekonstruktion

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Taman-Halbinsel (Russische Föderation)

Abb. 26 3D-Modell des rekonstruierten Küstenverlaufs im Untersuchungsgebiet. Die strategische Situation der Siedlungen Achtanisovskaja 4 und Golubickaja 2 an der Einfahrt aus dem Asovschen Meer in die Bucht mit dem Heiligtum Boris-i-Gleb und der Weiterfahrt in den östlichen Bosporus

Abb. 27 Golubickaja 2, griechische Siedlung aus dem 6. Jh. v. Chr. Topographi- scher Plan mit magnetisch prospektierter Fläche, den Grabungsflächen der Kampa- gnen 2007–2008 und dem Verlauf der landseitigen Wall-Grabenanlage (in grau)

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der Küstenverläufe hat für die Antike einen Archipelago an Stelle der heutigen Halbinsel mit einem zweiten, östlichen Bosporus nachgewiesen. Auf dieser Grundlage wird nun ein größeres, strategisch ausgerichtetes Siedlungskonzept auf den Inseln deutlich. Exemplarisch wird eine dieser befestigten Siedlungen näher untersucht: Golubickaja 2 wurde bereits in der Frühphase des Koloni- sationsprozesses am Westufer einer ehemaligen Insel angelegt. Zusammen mit der befestigten Siedlung Achtanisovskaja 4 konnte so die Schiffseinfahrt in eine Bucht mit weiteren Siedlungen, Heiligtümern sowie zum zweiten Bosporus kontrolliert werden (Abb. 26). In Golubickaja 2 wurde eine mächtige landsei- tige Verteidigungsanlage aufgedeckt, die von der ersten Siedlungsphase an ihre Grenze festlegte (Abb. 27). Denn die angetroffene Wall-Grabenanlage wurde trotz mehrerer Umbauphasen nie verlegt. Es ist die erste derartige und zudem mit die früheste Defensivanlage in einer griechischen Siedlung im Nord- pontos. Frühe, aber steinerne Verteidigungsmauern sind auch auf der Krim bekannt. Da in weiteren Siedlungen, auch auf der Taman-Halbinsel, ähnlich Abb. 28 Taman-Halbinsel (Russische frühe Verteidigungsanlagen zu erwarten sind, gerät die These, die vor allem Föderation), Golubickaja 2. Lesbische von unbefestigten Siedlungen ausging, der sog. friedlichen ionischen Koloni- Amphora (2. Hälfte des 6. Jhs. v. Chr.); sation des Nordpontos ins Wanken. M. 1 : 10. Die fast vollständige Amphora aus der Verfüllung der ersten Phase des Der Verteidigungsgraben in Golubickaja 2 lieferte außerdem auch einen Verteidigungsgrabens datiert zusammen ersten Ausblick auf die Siedlungsgeschichte. Münzen, Amphoren (Abb. 28) mit attischer Feinkeramik die Aufgabe der und Amphorenstempel unterschiedlicher Herkunft weisen auf rege Handels- ersten Phase vor 600 v. Chr. tätigkeit, Terrakottenfragmente auf Heiligtümer, während Dachziegel Gebäu- de anzeigen, Schmuck auf einen gewissen Wohlstand deutet. Darüber hinaus wurde in dem bislang aufgedeckten 10 m breiten Bereich des Grabens eine reiche archäozoologische Fundvielfalt geborgen. Unter diesen ragen 100 Pfer- deknochen aus dem 5./4. Jh. v. Chr. heraus, die auf fünf Individuen schließen lassen. Sie könnten wie die gleichfalls im Verteidigungsgraben eingelagerten Schaf-, Rinder- oder Schweineknochen zum Küchenabfall zählen, anderer- seits aber ebenso Relikt einer kriegerischen Auseinandersetzung sein, denn Pferdehaltung ist auf der kleinen Insel nicht unbedingt zu erwarten (Abb. 29). Auch überliefern antike Quellen, dass der Bosporus monatelang zugefroren war und Skythenvölkern den Übergang von Europa nach Asien erlaubte. Ein solches Szenario durchziehender Reiternomaden könnte durchaus die starke landseitige Verteidigungsanlage auf der Golubickaja-Insel, vielleicht auch die dichte Anzahl an Pferdeknochen im Grabungsabschnitt erklären. Unterstüt- zung erfährt diese Hypothese von einem unerwarteten Einzelfund, der als indirekter materieller Nachweis für lange, harte Winter zwischen dem 6. und

Abb. 29 Taman-Halbinsel (Russische Föderation), Golubickaja 2. In der Antike eine Insel, Blick von Osten nach Westen auf den Schlammvulkan Sopka, hinter dem die einstige Inselspitze mit der Siedlung Golubickaja 2 lag. Ein bis heute intensiv landwirtschaftlich genutzter Bereich

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3. Jh. v. Chr. zu werten ist. Denn aus dem Verteidigungsgraben stammen zu- dem sog. Schlittknochen (Abb. 30) – die antike Variante des Schlittschuhs, auch für den Lastentransport. Sie stützen auf überraschende und anschauliche Weise die Schilderung Herodots (Herodot 4, 28) aus dem 5. Jh. v. Chr. sowie späterer antiker Autoren vom zugefrorenen Bosporus. Kooperationspartner: Staatliches Historisches Museum Moskau (D. Žurav- Abb. 30 Taman-Halbinsel (Russische lev); Fachbereich Geographie der Philipps-Universität Marburg (H. Brück- Föderation), Golubickaja 2. Schlittknochen ner, D. Kelterbaum); Institut für Geowissenschaften, Abteilung Geophysik der aus der Verteidigungsanlage. Schlittkno- chen wurden von der Bronzezeit bis in Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (H. Stümpel, Ch. Klein); Studiengang die Neuzeit hinein als ›Schlittschuh‹ für Restaurierung und Grabungstechnik der Fachhochschule für Technik und Personen oder Lastentransport auf dem Wirtschaft Berlin (K. Kohlmeyer, M. Block, A. Buhlke, J. Neumann, J. Orrin) Eis benutzt • Förderung: BMBF • Leitung des Projekts: U. Schlotzhauer, D. Žuravlev • Abbildungsnachweis: A. Buhlke (Abb. 25); D. Kelterbaum (Abb. 26); J. Neu- mann, J. Orrin, H. Stümpel (Abb. 27); D. Žuravlev (Abb. 28); I. Seden’kov (Abb. 29); M. Sablin (Abb. 30).

Kislovodsk (Russische Föderation), Siedlungen mit symmetrischem Grundriss – als Phänomen einer komplexen Landschaftsnutzung während der Spätbronze- und Früheisenzeit im Nordkaukasus Das archäologische Bild der seit 2006 untersuchten spätbronzezeitlichen Kul- turlandschaft südlich des nordkaukasischen Mineralbades Kislovodsk (Russi- sche Föderation) wird mit den Untersuchungen in diesem Jahr zunehmend vervollständigt. Die Analyse der Luftbilder ist weitgehend abgeschlossen und mit der diesjährigen Geländeprospektion sind nunmehr fast alle 220 Fundor- te im Gelände verifiziert. Ähnlich wie im Vorjahr wurden einige ausgewählte Fundorte systematischer untersucht. Die Wahl fiel auf die Siedlungskammer oberhalb des Dorfes Kiči Balyk (Abb. 31. 32). Dort liegen fünf Siedlungen mit symmetrischem Grundriss sowie eine neu entdeckte Fundstelle mit lini- enförmigem Grundriss dicht beieinander. Die Fundstellen in einem kleinen Talkessel werden von einer Kette von Grabhügeln umgeben. Es ist die Sied- lungskammer mit der bislang höchsten Dichte und gleichzeitig eine in sich geschlossene, konzeptionelle Einheit aus Siedlungsplätzen, ihrem unmittelba- ren Territorium, umgeben von potentiellen Grabstätten. Diese Orte waren bereits 2004/2005 entdeckt worden, doch verhinderte die hohe Vegetation damals die genaue Dokumentation. In diesem Jahr wurde hier nun ein übergreifender topographischer Plan aufgenommen und in zwei Fundstellen wurden das Mikrorelief der Mauerruinen sowie sichtbare Stein- strukturen dokumentiert. Die Fundstelle Kiči Balyk 1 besteht aus einer sym- metrisch angelegten, großen Siedlung, einer direkt am Steilhang des Plateaus gelegenen Einfriedung, einem seitlichen Einzelgebäude und einem im Zen- trum der Gesamtanlage stehenden Menhir (Abb. 31). Ohne Ausgrabungen ist die Interpretation dieser Anlagen problematisch, doch wird hier schlagartig klar, dass die untersuchten spätbronzezeitlichen Siedlungen in einen räumli- chen Kontext eingebettet waren, der vermutlich eine ganze Spanne funktional unterschiedlicher Komplexe umfasste. Zumal sich, ähnlich wie bei den Fund- stellen Kabardinka 2–5, offenbar eine Müllzone um die Siedlung erstreckte. Ein dort angelegter Testschnitt ergab sehr viel Keramik und überraschenderweise direkt auf dem Fels die Reste kleiner, einfach gebauter Gebäude. Sie müssen in die Anfangsphase der Siedlung datieren. Dieser Befund wiederholte sich in der benachbarten Siedlung Kiči Balyk 2, daher ist davon auszugehen, dass während der Frühphase dieser Siedlungen leichte Gebäude an ihrer Peripherie standen, die später durch Müllablagerungen überdeckt wurden. Die Einfrie- dung am Südrand der Kiči Balyk Schlucht – Komplex 1B – scheint, anders als

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Abb. 31 Kislovodsk (Russische Föderation), topgraphischer Plan der Siedlungskammer oberhalb des Dorfes Kiči Balyk (M. 1 : 15 000)

Abb. 32 Kislovodsk (Russische Föderation), Lage der Siedlungen im dreidimensionalen Raum. Überblendung von Luftbild und topographischem Plan 388 Jahresbericht 2008 des DAI

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die symmetrische Anlage, keine Wohnfunktion gehabt zu haben. Lange Stein- Kislovodsk (Russische Föderation), mauern aus vertikal gesetzten, großen Steinplatten umgrenzen hier ein Areal Kabardinka 2. Gebäude am Nordrand der in dessen Zentrum eine altarähnliche Konstruktion respektive eine massive Siedlung Verankerung für einen Holzpfahl festgestellt werden konnte. Sie besitzt einen Abb. 33 Orthophotoplan des Gebäudes klar markierten Zugang im Osten und liegt an der Steilkante in einer topogra- phisch dramatischen Lage. Ein Testschnitt im Eingangsbereich erbrachte keine Abb. 34 Anthropomorphe Stele aus dem Hinweise auf eine häusliche Nutzung. Eine sakrale Funktion der Anlage liegt Gebäude aufgrund ihrer Lage und der Qualität der Bebauung nahe, aber auch eine profane Nutzung, etwa als Viehkral, ist nicht auszuschließen. Wir hoffen, hier im kommenden Jahr mit Magnetometermessungen und bodenkundlichen Prospektionen Indizien für eine funktionale Ansprache erhalten zu können. Im Umfeld wurde eine weitere Siedlung mit symmetrischem Grundriss im Mikrorelief dokumentiert, die übrigen Anlagen wurden grob eingemessen. Die Siedlungsdichte an dieser Stelle ist bemerkenswert und es bleibt die Auf- gabe weiterer Testgrabungen, die chronologische Position der verschiedenen Fundstellen zueinander zu klären. Auch die Integration der Grabhügel in den topographischen Plan sowie die Frage ihrer Datierung bleibt eine zukünftige Aufgabe. Mit dieser Siedlungskammer ist jedoch nun der überwiegende Teil der Fundstellen am Nord- und Südrand des Kabardinka-Plateaus untersucht. In Kabardinka 2, wo seit 2005 gegraben wird, fanden in diesem Jahr Test- grabungen in Strukturen statt, die nach Magnetometriemessungen potenti- elle archäologische Befunde darstellten. Ein Längsschnitt wurde östlich der Siedlung durch das Müllareal gezogen, in dem bereits im vergangenen Jahr bodenkundliche Analysen die Existenz von unterschiedlichen Deponierungs- zonen angezeigt hatten. Die Ausgrabungen lieferten nun die archäologischen Belege für die Ablagerung von Müll in Form von unzähligen zerscherbten Keramikgefäßen, zerschlagenen Knochen, zerbrochenen Kleinfunden sowie Ascheschichten. Jedoch war der prozentuale Anteil an Knochen geringer als bei einem Testschnitt von 2004 im Müllareal westlich der Siedlung. Offenbar wurde der Müll nicht gleichmäßig, sondern separiert entsorgt. Ein weiterer Testschnitt wurde durch eine zweite Anomalie und eine kreis- förmige Struktur an der Peripherie nördlich der Siedlung gezogen. Letztere erwies sich als kleines Gebäude mit abgerundeten Ecken und einer Archi- tektur, die der des Gebäudes 14 aus dem Jahr 2006/2007 ähnelt (Abb. 33). Allerdings ist das Haus kleiner, seine Mauern sind weniger gut gebaut und an

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einigen Seiten offenbar auch nicht doppelschalig. An der Südwand stand eine anthropomorphe Stele (Abb. 34). Mehrere Mauern zeigen zudem Umbaupha- sen. Das Fundmaterial scheint etwas ›archaischer‹ zu sein als das aus Haus 14. Möglicherweise ist hier eine ältere Phase der Siedlung erfasst. Darüber können jedoch nur Radiokarbondaten Auskunft geben. Kooperationspartner: Archäologisches Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau (D. S. Korobov); Denkmalpflegeorganisation »Nasledie«, Stavropol’ (A. B. Belinskij) • Förderung: DFG; Russische Stiftung für Geisteswissenschaften • Leitung des Projekts: S. Reinhold, D. S. Korobov • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: A. V. Borisov, S. Peters (Bodenkunde), E. Antipina (Archäozoologie), E. Lebedeva (Archäobotanik), J. Fassbinder (Magnetik), S. V. Merkulov (Georadar) • Abbildungsnachweis: S. Reinhold (Abb. 31–33); A. Borisov (Abb. 34).

Das Kurgangräberfeld Ergeninskij, Teilrepublik Kalmykien (Russische Föderation) Die Teilrepublik Kalmykien liegt in der Steppenzone Südosteuropas mit dem Kaspischen Meer im Osten als natürliche Grenze. Die geringe Besiedlungs- und Nutzungsdichte Kalmykiens bildeten hervorragende Erhaltungsbedin- gungen für Grabhügel (Kurgane). Kurgane ziehen sich auf Bergrücken oft

Abb. 35 Ergeninskij (Russische Födera- tion), Kurgan 13 während der Untersu- chung

als kilometerlange Ketten hin. Das Gräberfeld Ergeninskij erstreckt sich auf einem der Abhänge der Ergenigebirges, etwa 80 km nördlich der Hauptstadt E˙ lista. Die Untersuchungen von Kurgan 13 (Abb. 35) konnten in diesem Jahr abgeschlossen werden. Er enthielt insgesamt neun Gräber von denen sieben, darunter auch das Primärgrab, der Katakombengrabkultur (2. Hälfte des 3. Jts. v. Chr.) zuzurechnen sind. Im rechteckigen Eingangsschacht von Grab 1, dessen obere Verfüllung aus einer massiven mit Holzkohlestückchen durchsetzten Ascheschicht bestand, wurden auf dem Schachtboden Holzreste dokumentiert. Die Holzreste beste- hen aus länglichen Brettern, die sowohl in Nord-Süd- wie auch Ost-West- Richtung und hauptsächlich entlang der Ost- und Westwand verlaufen. Im Bereich dazwischen lagen nur vereinzelt kleine Holzstücke. Vor dem Eingangs- schacht, insbesondere in der Nordwestecke, wurden diese auf unterschiedli- chen Niveaus massiv angetroffen und legen daher eine Deutung als Radreste nahe. In der durch eine Stufe zu betretenden ovalen Grabkammer haben sich

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an den Wänden auf vorzügliche Weise Arbeitsspuren (Abb. 36) und Reste Ergeninskij (Russische Föderation), einer organischen Wandbekleidung samt Befestigungsspuren erhalten. In der Kurgan 13. Grab 1 Kammer lagen in linker Hocklage zwei Individuen. Das Skelett 1 befand sich Abb. 36 Arbeitsspuren in der Grab- direkt an der Nordwand und war massiv von Stoff eingehüllt, dessen rotbrau- kammer ne Reste sich in größeren Fragmenten – teilweise mit sechs Lagen übereinan- der – relativ gut erhalten haben (Abb. 37). Das Skelett 2 in der Mitte der Kam- Abb. 37 Stoffreste um das Skelett 1 mer war ebenfalls von Stoffresten umhüllt. Im Beckenbereich wurde eine lange Abb. 38 Bronzedolch Doppelreihe aus Glaspasteperlen beobachtet. Zum Inventar dieser Bestattung gehörten unter anderem zwei kürbisförmige Gefäße und auch ein bronzener Dolch (Abb. 38) sowie ein Pfriem mit erhaltener hölzerner Handhabe. Der Pfriem befand sich zusammen mit einem Knochengerät in einem organischen Behältnis aus mit rotem Faden zusammengenähten (Kuh-?)Fellstücken. Die Konturen des Eingangsschachtes von Grab 10 zeichneten sich kreisför- mig ab und waren an den Innenseiten mit einer gelblichweißen, sich stumpf anfühlenden Schicht umgeben. Diese ließ sich an den Wänden hinab verfol- gen. Auf der Höhe des Kammereingangs im Osten nahm der Eingangsschacht die Form eines Kleeblattes an. In den jeweiligen Ecken zeichneten sich Holz- reste ab, von denen zwei aufgrund ihrer Form eine Interpretation als Wagen- räder erlauben. In der relativ kleinen ovalen Kammer lag ein Skelett in linker Hocklage (Abb. 39). Ein kleines kürbisförmiges Gefäß sowie ein Pfeilglätter waren ihm beigegeben. Das Kammerniveau bildete nicht gleichzeitig das Bodenniveau des Eingangsschachtes. Die gelblichweiße Schicht ging deutlich

Abb. 39 Ergeninskij (Russische Födera- tion), Kurgan 13. Grab 10

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tiefer. Unter ihr wurden massive, gut erhaltene Holzbretter angetroffen, die entweder von einer Abdeckung oder von einem Wagenkasten stammen. Da- runter befand sich die Bestattung eines Kindes wieder in linksgehockter Posi- tion. Zu den Beigaben gehörten unter anderem ein großes kürbisförmiges Ge- fäß, bronzene Geräte, Astragale und Knochenringe (Abb. 40). Mit dem unge- wöhnlichen Befund von zwei gleichzeitigen Bestattungen, von denen sich die reicher ausgestattete im Eingangsschacht befand, enthält der Kurgan Nr. 13 in jedem seiner katakombengrabzeitlichen Gräber Kinder bzw. Jugendliche. Kooperationspartner: Kalmykisches Institut für Geisteswissenschaften der Abb. 40 Ergeninskij (Russische Födera- Russischen Akademie der Wissenschaften in E˙ lista (M. A. Očir-Gorjaeva) • tion), Kurgan 13. Grab 10, Bronzegerät Förderung: BMBF • Leitung des Projekts: K. B. Malek, S. Hansen • Ab- bildungsnachweis: K. B. Malek (Abb. 35–40).

Aruchlo (Georgien) Aufgrund des georgisch-russischen Krieges musste die diesjährige Grabung im neolithischen Siedlungshügel von Aruchlo (etwa 50 km südwestlich von Tblisi) in diesem Jahr entfallen. Soweit es möglich war, wurden die Fundbear- beitung und die Auswertung der Grabung in Berlin fortgesetzt. So zeigt sich in der Auswertung die Existenz von mehreren Laufhorizonten, die einem Haus zugeordnet werden können. Der im vergangenen Jahr freigelegte Mauerring K020 wurde mindestens dreimal repariert (Abb. 41). Am ältesten Mauerring kam eine kleine Feuerstelle zum Vorschein, auf der Ziegelversturz lag. Zur ersten Reparatur der Wand gehört ein Laufhorizont, auf dem eine Reihe von

Abb. 41 Aruchlo (Georgien), Mauerring mit erkennbaren Reparaturen

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Abb. 42. 43 Aruchlo (Georgien), Teile von Handmühlen 42 43

größeren Steinen lag. Zur jüngsten Reparaturphase (K020) gehört ein weiterer Laufhorizont mit einer Reihe von Handmühlen (Unterleger und Läufer; Abb. 42. 43). Die großen Exemplare wurden auf der Arbeitsseite liegend angetroffen. Im kommenden Jahr sollen die Grabungen wieder aufgenommen werden. Kooperationspartner: »Otar-Lordkipanidze-Institut für Archäologische Forschung« des Staatlichen Historischen Museums von Georgien, Tbilisi (G. Mirzchulava) • Leitung des Projekts: S. Hansen • Mitarbeiter und Mit- arbeiterinnen: K. Bastert (Keramik), N. Benecke (Archäozoologie), I. Gatsov, P. Nedelcheva (Steingeräte), R. Neef (Archäobotanik) • Abbildungsnachweis: M. Ullrich (Abb. 41); S. Hansen (Abb. 42. 43).

Tachti Perda (Georgien) Aufgrund verschiedener Umstände, insbesondere aber wegen des georgisch- russischen Krieges konnte die diesjährige Grabung in der mehrschichtigen bronze-eisenzeitlichen Siedlung Tachti Perda in Kachetien, dem östlichsten Landesteil Georgiens, nicht wie geplant abgeschlossen werden (Abb. 44). So- weit es möglich war, wurden die Fundbearbeitung und die Auswertung der bisherigen Grabungsergebnisse in Berlin fortgesetzt. Insbesondere wurde die Datenbank vervollständigt und ausgeweitet. Außerdem wurden die eisenzeit- lichen und die bronzezeitlichen Keramikkollektionen mit denjenigen aus den Fundstellen der Tübinger Grabungen in Kachetien – Tqisbolo-Gora, Didi- Gora und Naomari-Gora (Udabno) – verglichen. Dabei zeigte sich, dass sowohl die Bronzezeit als auch die Eisenzeit in Tachti durch einen reicheren Schatz an Typen und Verzierungsmustern vertreten ist (Abb. 45. 46). Daher Abb. 44 Tachti Perda (Georgien), Blick auf sollen im kommenden Jahr neben dem Abschluss der Feldarbeiten ergänzen- die Nordflanke

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Tachti Perda (Georgien) de Studien an den Originalfunden und hier besonders an der Grabkeramik vorgenommen werden. Abb. 45 Beispiel für eisenzeitliche Kooperationspartner: »Otar-Lordkipanidze-Institut für Archäologische For- polierte und gestempelte Ware schung« des Staatlichen Historischen Museums von Georgien (K. P’ic’xelauri) Abb. 46 Beispiel charakteristischer • Leitung des Projekts: I. Motzenbäcker • Mitarbeiter: M. Ullrich (DAI, bronzezeitlicher Keramik Eurasien-Abteilung), M. Hochmuth (DAI, Zentrale, Naturwissenschaftliches Referat) • Abbildungsnachweis: DAI, Eurasien-Abteilung, I. Motzenbäcker (Abb. 44–46).

Vorbereitung eines Forschungsprojekts in Azerbaidjan Das Ziel einer Reise in die Republik Azerbaidjan waren Vorerkundungen zur Planung eines Forschungsprojekts, das ab dem kommenden Jahr in Zusam- menarbeit mit dem Institut für Archäologie und Ethnographie der Nationa- len Akademie der Wissenschaften Baku durchgeführt werden soll (Abb. 47). Die zukünftigen Untersuchungen werden sich geographisch auf den Mittel- lauf des Kür Flusses (georgisch: Kura) mit den Verwaltungsbezirken Towuz und Aghstafa konzentrieren, wo Wissenschaftler der Akademie, teils in Asso- ziation mit einer Mission des Centre national de la recherche scientifique (CNRS) Paris, seit einiger Zeit archäologische Untersuchungen durchführen.

Abb. 47 Vorbereitung eines Forschungs- projekts in Azerbaidjan, Lage der bereisten Gebiete. 1: Westazerbaidjan; 2: Mughan- steppe

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In der prähistorischen Siedlungslandschaft am Mittellauf des Flusses Kür in Westazerbaidjan sind durch I. Narimanov bei Oberflächenuntersuchungen in den 1960er Jahren eine Anzahl von Siedlungshügeln dokumentiert wor- den. Anschließende Ausgrabungen in einigen dieser Fundplätze (Šomutepe, Gargarlar Tepesi) ergaben Aufschlüsse über eine umfangreiche Siedlungstä- tigkeit im Einzugsbereich des Flusses während des jüngeren Neolithikums (Äneolithikum, ca. 6.–5. Jt. v. Chr.). Eine genauere Einordnung der Befunde ist angesichts des Fehlens stratifizierter und absolut datierter Funde derzeit nicht möglich. Das anschließende Chalkolithikum ist im Vergleich mit den deutlich sichtbaren neolithischen Fundplätzen nur wenig nachgewiesen. Die Gründe für diese Fundlücke liegen vermutlich nicht in einem tatsächlichen Fehlen der Siedlungen, sondern sind in einer möglicherweise klimatisch indu- zierten Verlagerung der Siedlungsgebiete in höhere Lagen (oberhalb 500 m) zu suchen. Die wenigen bekannten Fundorte dieser Zeitstellung liegen über- wiegend weiter im Südosten, in Nakhicevan und Berg-Karabakh, sowie in der an Iran angrenzenden Mughansteppe. Das Inventar dieser Plätze deutet zu- dem Beziehungen zu den chalkolithischen Kulturen Nordmesopotamiens an. Aufgrund von langlebigen Traditionen der Keramiktechnologie nimmt man außerdem an, dass es eine Verbindung zu den im 4. Jt. v. Chr. sich neu formie- renden stratifizierten Gesellschaften gibt, deren Eliten sich zwischen Majkop im Nordkaukasus und Se Girdan in Nordwestiran in der Anlage aufwendiger Grabanlagen manifestieren. Angesichts des unzureichenden Forschungsstan- des ist der Anteil, welchen die prähistorischen Kulturen Azerbaidjans an die- ser Entwicklung hatten, jedoch noch weitgehend unbekannt. Ausgehend von der Basis der azerbaidjanischen und französischen Archäo- logen in Towuz wurden auf der Reise bereits bekannte, oberirdisch sichtbare Fundstätten besucht, die sich für eine Untersuchung im Rahmen des geplan- ten Forschungsprojekts anbieten. Zu Beginn wurden die bekannten und durch I. Narimanov untersuchten neolithischen Siedlungshügel Gargarlar Tepe und Šomutepe besucht. Dabei zeigte sich, dass diese Fundstellen, trotz ihrer deut- lichen Sichtbarkeit, durch Siedlungstätigkeit und Erdentnahme stark bedroht sind. Šomutepe ist infolge der Vergrößerung des Dorfes vollständig zerstört und eingeebnet, Gargarlar Tepe ist von allen Seiten angegraben. Nördlich des Dorfes Aghstafa liegen zwei Siedlungshügel, ca. 800 m von- einander entfernt, am rechten und am linken Ufer eines Kür-Nebenflusses. Der mit etwa 150 m Durchmesser und 6 m Höhe größere Kurban Tepe am linken Flussufer enthält Gräber der Kura-Araxes-Zeit sowie mittel- und spät- bronzezeitliche Schichten; der kleinere Qanli Töyra mit ca. 100 m Durch- messer und etwa 4 m Höhe scheint dazu die Vorgängersiedlung darzustellen, nach Ausweis der Oberflächenfunde enthält er neolithische/chalkolithische Schichten (Abb. 48. 49). In der geplanten Zusammenarbeit zwischen dem DAI und der Akademie sollen zunächst diese beiden komplementären Fundplätze, im Kontext ihrer natürlichen Umwelt, untersucht werden. Dies bietet die Chance, eine diachrone Sequenz zu erarbeiten und daran anschließend eine landschaftsbezogene Kulturentwicklung zu verfolgen, deren Ergebnisse dann zu extrapolieren wären. Im weiteren Verlauf der Reise besuchten wir anschließend die Mughan- steppe im äußersten Südosten des Landes. Aus dieser Region sind durch die Forschungen I. Narimanovs neolithische/chalkolithische Siedlungshügel bekannt, deren Fundmaterial Beziehungen zu den besser bekannten Fundor- ten der Ubaid- und Urukzeit in Iran und Nordsyrien erkennen lässt. Unter Führung von T. Akhundov von der Akademie der Wissenschaften besuchten wir den von ihm selbst derzeit untersuchten Poylutepe, am Ufer eines klei-

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Abb. 48 Vorbereitung eines Forschungs- projekts in Azerbaidjan, Kurban Tepe

Abb. 49 Vorbereitung eines Forschungs- projekts in Azerbaidjan, Qanli Töyra

Abb. 50 Vorbereitung eines Forschungs- projekts in Azerbaidjan, Mišarcaytepe. Eine bronzezeitliche Fundstelle liegt unter dem Wasserturm, die chalkolithische Fundstelle liegt unter dem modernen Riesenrad

nen Flusses in direkter Nachbarschaft zu dem aus der Literatur bekannten Alikemektepe. Von besonderem Interesse war der bisher nicht untersuchte Ort Alkhantepe, eine flache Fundstelle inmitten eines aktuell bepflanzten Getreidefeldes. Das Fundmaterial umfasst feintonige, sehr hart gebrannte helle Keramik, die in Form und Machart an das nordsyrische Spätchalkolithikum anzuschließen ist. Weiterhin besuchten wir einen chalkolithischen/bronzezeit- lichen Hügel Pashatepe, inmitten eines modernen Dorfes, und beendeten die Reise in Mišarcaytepe: Dies ist ein moderner Ort am Ufer des Mišarcay; auf den oberen Flussterrassen hatte bereits I. Narimanov mehrere prähistorische Fundstellen lokalisiert, darunter eine mit ›Uruk-Keramik‹. Diese ist heute nicht mehr auffindbar und ist vermutlich, wie auch der größte Teil der übri- gen Fundstellen, von der rapide fortschreitenden Bebauung in diesem Bereich zerstört (Abb. 50).

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Kooperationspartner: Institut für Archäologie und Ethnographie der Nationalen Akademie der Wissenschaften Baku (M. Ragimowa, F. Guliyev, T. Akhundov); Centre national de la recherche scientifique (B. Lyonnet) • Leitung des Projekts: B. Helwing • Abbildungsnachweis: B. Helwing (Abb. 47–50).

Kurganzol, Provinz Surchandar’ja (Uzbekistan) Das Nordwestviertel der Festung von Kurganzol war in den Jahren 2003– 2004 durch L. Sverčkov ausgegraben worden. Erste Datierungen zeigten an, dass die runde, mit Türmen bewehrte Anlage im späten 4. Jh. v. Chr. gegrün- det worden ist und damit zu den wenigen zentralasiatischen Festungen gehört, die aus der Zeit Alexanders des Großen stammen (Abb. 51). Die für das kom- mende Jahr geplante Ausstellung »Alexander der Große und die Öffnung der

Abb. 51 Kurganzol (Uzbekistan), Blick von Südwesten auf die oben auf dem Sporn liegende Festung

Welt. Asiens Kulturen im Wandel« der Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim, in Zusammenarbeit mit der Eurasien-Abteilung war Anlass, die übrigen drei Viertel der Festung zu untersuchen. Dem ursprünglichen Vorgehen folgend, wurden jeweils die Viertel 2–4 der Anlage ausgegraben, wodurch auch durchgehende Nord-Süd- und Ost- West-Profile der gesamten Anlage dokumentiert werden konnten (Abb. 52). Freigelegt wurden das Innere der Festung von ca. 35 m Durchmesser sowie die sechs runden Türme an der Nord- und Ostseite. Da die Anlage auf einem Sporn mit senkrecht abfallenden, mehrere Dutzend Meter hohen Felshängen liegt, waren an der Süd- und Westseite keine Türme angelegt worden. Im nordwestlichen Sektor 1 waren bereits früher fünf Räume freigelegt worden, die innen unmittelbar an die Umfassungsmauer ansetzten. Auch das einzige Tor im Norden, wo auch der Sporn mit der Hochebene verbunden ist, war bereits bei den Grabungen 2003–2004 erkannt worden. Nördlich vor der Festung wurde dabei eine offene, dörfliche Versorgungssiedlung festgestellt und sondiert, sie ist jedoch inzwischen durch landwirtschaftliche Arbeiten weitestgehend zerstört worden. In dem nordöstlichen Sektor 2 setzte sich die Bebauung mit einem wei- teren Raum (6) fort, an den sich im Süden ein eingetiefter Keller anschloss.

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Abb. 52 Kurganzol (Uzbekistan), Panora- Über einen großen offenen Hof, der vollständig mit einer Gipslage verputzt mablick in die Festung des späten 4. Jhs. war und ein zentrales Wasserbecken enthielt, erreichte man im Süden einen v. Chr., etwa von Südosten. Rechts von der weiteren Gebäudekomplex von drei Räumen (7–9). Von dem zentralen Was- Mitte ist das Tor erkennbar. Auf der Ebene im Hintergrund lag die dörfliche Siedlung serbecken führte eine Überlaufrinne nach Südwesten bis zu einem Abfluss- loch kurz vor der Umfassungsmauer. Das untere Ende dieses kleinen Abflusses konnte nicht ermittelt werden und dürfte irgendwo am senkrecht abfallen- den Südwesthang gelegen haben. Während dieses Becken wohl durch Regen oder herantransportiertes Wasser (zahlreiche große tönerne Transportflaschen wurden gefunden) gespeist wurde, bestand außerdem ein Kanal, der durch das Tor in die Festung führte und eventuell an einer wenige Kilometer weiter nördlich gelegenen Quelle beginnt. Alle Mauern waren aus Lehmziegeln errichtet, wobei drei Bauphasen des 4. Jhs. v. Chr. festgestellt werden konnten. Nach einer längeren Unterbrechung ist eine Nutzung des Gebietes, allerdings wohl ohne die bereits verfallene Fes- tungsanlage, nochmals im 2. Jh. v. Chr. nachweisbar. Den Brandschichten un- ter den Mauern zufolge war das Gelände offenbar zunächst durch Brandro- dung gereinigt worden. Als Erstes wurde dann die Umfassungsmauer errichtet (Phase 1), an die später die Innenbebauung ansetzte (Phase 2). In der dritten Bauphase des späten 4. oder frühen 3. Jhs. v. Chr. erfolgten kleinere Umbauten und einige der weniger exponierten Türme (Nr. 1, 5 und 6) sind ebenfalls zu Wohn- und Vorratszwecken genutzt worden, wie eingetiefte Großgefäße nahe legen. Eine Zweckbestimmung ist für Raum 2 möglich, der aufgrund von Feu- erstellen, eingetieften Vorratsgefäßen und einer Art ›Durchreiche‹ zu Raum 3 als Küche angesehen wird. In dieser ›Durchreiche‹ fand sich noch ein Stapel Teller. Raum 3 könnte dementsprechend als Speisesaal interpretiert werden. In dem engen Raum 4, unmittelbar westlich des Tores, stand eine tönerne Badewanne, die auch in der Mannheimer Ausstellung gezeigt werden soll. Raum 7 diente, den zahlreichen dort eingetieften Großgefäßen (bis ca. 1,20 m Höhe) zufolge, vor allem der Vorratshaltung. Die halbrunden Türme waren durch schmale Eingänge von den Innen- räumen bzw. dem Hof aus zugänglich und zunächst mit pfeilförmigen und dreieckigen Schießscharten versehen, die jedoch später zugemauert und ver- putzt wurden. Die Festung hatte mehrfach Kampfhandlungen erlebt, wie die starken Brandschichten, besonders in den Türmen 2–4 erkennen lassen. Dabei wurde auch die Außenmauer im Bereich des Raumes 6 in Mitleidenschaft gezogen und anschließend repariert. Das Fundgut besteht hauptsächlich aus Keramik, die erstmals das Gefäß- spektrum dieser Region für das späte 4. und frühe 3. Jh. v. Chr. umfassend Abb. 53 Kurganzol (Uzbekistan), Keramik- funde. Von oben nach unten: importierte, darstellt (Abb. 53). Darunter befinden sich vorwiegend auf der Drehschei- gefirnisste Schale, Fischteller, Vorratsgefäß be hergestellte typische lokale ›griechische‹ Formen, wie etwa verschiedene

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sog. Fischteller und Schalen, aber auch ein gewisser Anteil an besserer Ware, teils mit Verzierungen oder Firnis, die vermutlich importiert wurde. Außer- dem ist grobe, handgemachte Ware vertreten, die manchmal griechische For- men nachahmt und eventuell einer örtlichen Bevölkerung zugeordnet wer- den kann. Metall ist kaum erhalten, vor allem kleine eiserne Messer, einige Schmiedeschlacken belegen aber eine Metallbearbeitung in der Festung selbst. Gips wurde häufig zur Reparatur von Gefäßen verwendet. Kooperationspartner: O’zbekistan Badiiy Akademiyasi. San’atshunoslik Ilmiy-Tadqiqot Instituti/Academy of Sciences of Uzbekistan, Fine Arts Sci- entific Research Institute, Taškent; Madaniyat va san’atni qo’llab-quvvatlash jamg’armasi »Boysun«/The Culture and Art Support Fund »Boysun«, Taškent • Förderung: Curt-Engelhorn-Stiftung, Mannheim • Leitung des Projekts: N. Boroffka, L. Sverčkov • Mitarbeiter: N. Narzikulov • Abbildungsnach- weis: DAI, Eurasien-Abteilung, N. Boroffka (Abb. 51–53).

Džarkutan (Uzbekistan) Der in der süduzbekischen Surchandar’ja-Ebene gelegene Fundplatz Džarkutan ist bislang der einzige Fundplatz der Region, welcher eine ununterbrochene Sequenz der Spätbronzezeit (1. Hälfte des 2. Jts. v. Chr.) aufweist. Er umfasst einen etwa 50 ha großen Siedlungsbereich und mehrere Nekropolen. Neben Grabungen auf einer der Nekropolen konzentrierten sich die Forschungen bis zu deren Abschluss im Jahre 2003 innerhalb des Siedlungsbereiches vor allem auf einen am südöstlichen Rand (sog. Hügel VI) gelegenen Bau, der in seiner jüngeren Bauphase eine mit Türmen bewehrte Umfassungsmauer aufwies. Da- neben fanden Grabungen in mehreren Wohnkomplexen und auf der sog. Zita- delle statt. Die dabei im Siedlungsbereich geborgenen Keramikfunde (Abb. 54) werden gegenwärtig aufgearbeitet und zur Publikation vorbereitet. Abb. 54 Džarkutan (Uzbekistan), großes Hinsichtlich der Besiedlungsgeschichte des Fundplatzes zeichnet sich da- Vorratsgefäß bei auf der Basis der Keramikanalyse bereits eine Tendenz ab. Demnach kann die ältere Spätbronzezeit (Spätbronzezeit I, 20–18. Jh. v. Chr.) als die Hauptbe- siedlungsperiode angesprochen werden. Am Beginn der jüngeren Spätbronze- zeit (Spätbronzezeit II, 17.–15. Jh. v. Chr.) scheint es zu einem Rückgang der Besiedlung gekommen zu sein, während am Ende der Spätbronzezeit wieder stärkere Siedlungsaktivitäten nachweisbar sind, was möglicherweise mit einer kurzzeitigen Siedlungsverlagerung zu erklären ist. Kooperationspartner: Academy of Sciences of Uzbekistan, Institute of Archaeology • Leitung des Projekts: D. Huff, Š. Šaidullaev (Samarkand) • Mitarbeiter: M. Teufer (Bearbeitung der Siedlungskeramik) • Abbildungs- nachweis: DAI, Eurasien-Abteilung, D. Huff (Abb. 54).

Bronzezeitliche und früheisenzeitliche Fundplätze in der Kuljabregion (Tadžikistan) Südwesttadžikistan wird im Norden und Osten durch den Pamir und seine westlichen Ausläufer, im Süden vom Amudarja/Pandž, der hier die Grenze zu bildet, und im Westen von den Gebirgsketten des Babatag einge- fasst. Die bronze- und eisenzeitliche Kulturentwicklung in dieser Region war eng mit der in der benachbarten süduzbekischen Surchandar’ja-Ebene verbun- den, wo sich am Übergang zum 2. Jt. v. Chr. die bronzezeitliche Sapalli-Kultur entwickelt hatte. Wohl unter maßgeblichem Einfluss dieser Kultur entstand im 2. Drittel des 2. Jts. v. Chr. die Beškent-Vachš-Kultur, die sich über das gesamte Gebiet Südwesttadžikistans ausbreitete (Abb. 55). Über den Ablauf dieses Ak- kulturationsprozesses lagen allerdings bisher kaum verlässliche Daten vor. Ein in der südwesttadžikischen Kuljabregion nahe bei der Ortschaft Gelot entdecktes Gräberfeld, mit dessen Ausgrabung begonnen wurde (Abb. 56), lie-

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Abb. 55 Kuljabregion (Tadžikistan), die Verbreitung der Beškent-Vachš-Kultur

fert nun diesbezüglich erste Hinweise. So wurden auf dieser bronzezeitlichen Nekropole neben Gräbern der Beškent-Vachš-Kultur auch Gräber freigelegt, deren Inventare eine deutliche westliche Provenienz erkennen lassen. In ei- nem dieser Gräber fanden sich zehn Keramikgefäße, mehrere Lapislazuliper- len, eine Goldperle, ein Bronzespiegel, ein Stück eines Steinsiegels und eine steinerne Statuette im Betergestus. Während letztere Analogien in Mesopota- mien, Iran und Turkmenistan findet, lässt sich das übrige Inventar mit Grab- ausstattungen des älteren Abschnittes der Sapalli-Kultur und der Dašli-Kultur in Nordafghanistan verbinden. Das Inventar weist damit nicht nur deutliche Bezüge nach Westen auf, sondern es gehört auch einem der Beškent-Vachš- Kultur unmittelbar vorausgehenden Zeithorizont an, was für die Klärung des Ursprungs der Beškent-Vachš-Kultur von entscheidender Bedeutung ist. Kaum bekannt war bisher auch die anschließende eisenzeitliche Entwick- lung in Südwesttadžikistan. Abgesehen von einigen bemalten Scherben der Jaz-I-Kultur (2. Hälfte des 2. Jts.) aus Kangurttut lieferte bislang nur der nörd- lich von Gelot gelegene Fundplatz Karim Berdy vergleichbares Material, das während kleiner Grabungskampagnen in den Jahren 1979, 1987 und 1988 von N. M. Vinogradova und L. T. P’jankova geborgen wurde. In diesem Jahr wur- den die Untersuchungen in Karim Berdy fortgesetzt und in drei Bereichen des

Abb. 56 Kuljabregion (Tadžikistan), die Nekropole von Gelot

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Hügels Testschnitte angelegt (Abb. 57). Mehrere hier freigelegte Gruben (Abb. 58) machen deutlich, dass dieser Platz über einen sehr langen Zeitraum genutzt wurde. So fand sich Keramik, die den eisenzeitlichen Perioden Jaz-I bis Jaz-III zugewiesen werden kann (Abb. 59). Erstmals ist damit für Südwesttadžikistan eine Abfolge belegt, welche zu der im benachbarten Süduzbekistan analog ist. Bisher fehlen für Karim Berdy allerdings Hinweise auf Lehmarchitektur, wie sie in Süduzbekistan typisch ist. Die zahlreichen dicht beieinander liegenden 59 Gruben erinnern eher an Situationen, wie sie aus dem Bereich der vor allem im Ferganatal verbreiteten früheisenzeitlichen Čust-Kultur bekannt sind. Kuljabregion (Tadžikistan), Karim Berdy Kooperationspartner: Achmadi-Doniš-Institut für Geschichte, Archäologie und Ethnographie der Akademie der Wissenschaften Tadžikistans in Dušanbe Abb. 57 Die Testsondagen sind durch die roten Pfeile markiert (T. Filimonova); Institut Vostokovedenija der Russischen Akademie der Wis- senschaften in Moskau (N. Vinogradova) • Leitung des Projekts: M. Teufer, Abb. 58 Grubenbefunde N. Vinogradova • Abbildungsnachweis: M. Teufer (Abb. 55. 57–59); N. Vino- gradova (Abb. 56). Abb. 59 Bemalte, eisenzeitliche Keramik

Herat (Afghanistan), Nationalmuseum Herat Das Nationalmuseum in Herat beherbergt die derzeit bedeutendste Samm- lung zur islamischen Kunst in Afghanistan. Sie deckt einen Zeitrahmen von der Mitte des 3. Jts. v. Chr. bis in die frühe Neuzeit ab. Die Sammlung ist von besonderer Bedeutung, weil sie neben qualitativ hochwertigen Objekten, wie sie bei Ausgrabungen eher selten zu Tage kommen, vor allem Gebrauchsuten- silien umfasst, die ihrerseits nur selten den Weg in internationale Ausstellun- gen und Sammlungen finden. In diesem Jahr begann die Erfassung der Objek- te im archäologischen Museum und im Handschriftenarchiv. Zunächst wurde eine kursorische Übersicht über die Exponate in der Ausstellung angefertigt. Ihre Bedeutung zeigte sich bereits wenig später, als bei einem Einbruch in das Museum zahlreiche Artefakte entwendet wurden und anhand der erhobenen Daten ein Verlustkatalog erstellt werden konnte. Von den insgesamt knapp 1000 ausgestellten Objekten konnten 590 pho- tographiert und 450 dokumentiert werden, darunter 300 prähistorische und islamische Metallobjekte (Abb. 60), 44 Gefäße (Abb. 61), 58 Fragmente von Baukeramik, 30 Gewehre, 20 prähistorische Steinartefakte und zehn sonstige Exponate (Leder, Schmuck, Elfenbein). Die Erfassung der Metallobjekte und Waffen ist abgeschlossen. Es wurden konservatorische Maßnahmen an 415 Objekten durchgeführt und ein Schadenskatalog erstellt, der als Grundlage für

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Herat (Afghanistan), Nationalmuseum

Abb. 60 Metallgefäß mit Kartuschen, Medaillons und umlaufenden Schrift- bändern in Kufi und Naskhi, die auch den Namen des Handwerkers nennen (12. Jh. n. Chr.)

Abb. 61 ›Slip-painted‹-Keramikschale, aus verschiedenen Gefäßen zusammengesetzt, mit dem Kufi-Schriftzug »baraka« (Segen) im Zentrum (10./11. Jh. n. Chr.)

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die Planung der im kommenden Jahr beginnenden Restaurierungen dient. An diesen Arbeiten waren auch drei Restauratoren aus Kabul beteiligt (Abb. 62). Im Handschriftenarchiv befinden sich 225 Manuskripte sowie 43 Kalligra- phien, einige Gemälde, Zeichnungen und zwei Blätter einer Thorarolle. Die Manuskripte stammen vor allem aus den östlichen Regionen der islamischen Welt – Iran, Afghanistan, Pakistan und Nordindien – und sind in Arabisch, Persisch und Pashto abgefasst. Es handelt sich meist um Schriften theologi- schen Inhalts, vor allem Korane, Gebetbücher und Hadithsammlungen, aber auch Rechtsliteratur (Fiqh), historiographische Werke, Gedichtsammlungen Abb. 62 Herat (Afghanistan), Nationalmu- und Erzählungen aus der Zeit der Timuriden, Mogulen und Safaviden. Viele seum. Weiterbildung der Restauratoren Handschriften weisen ornamentale Ausstattungen auf, einige sind mit figürli- chen Szenen illustriert (Abb. 63). Der Zustand der Exponate ist unterschied- lich, zu den am häufigsten beobachteten Schäden gehören welliges Papier, Wasserflecke, gebrochene Bindungen und durch Handhabung sowie falsche Restaurierung verursachte Schäden. Weil die US-Botschaft in Kabul im Herbst dieses Jahres Gelder für den Umbau der Zitadelle zum Kulturzentrum bereitstellte und die vom Aga Trust for Culture geleiteten Bauarbeiten bereits begannen, erfolgte begleitend zu der Katalogisierung die Planung der künftigen Magazine, Werkstätten und Aus- stellungsräume. Für die Einlagerung der Sammlungen während der Zeit des Umbaus und für die spätere Magazinierung eines Teils der Sammlung wur- den Material und Mobiliar beschafft. Der Aufbau der Restaurierungswerkstatt und der Beginn der Restaurierungen sind ab dem kommenden Jahr vorgese- hen. Im Rahmen dieser Arbeiten werden afghanische Mitarbeiter als Restau- ratoren und Kustoden ausgebildet. Die Wiedereröffnung der Zitadelle und des Museums ist für Sommer 2010 geplant. Abb. 63 Illustration aus dem Ţūţī-nāme, Kooperationspartner: National Museum Kabul, National Archive Kabul, mit Insektenbefall und Wasserschäden Ministerium für Information und Kultur, Kabul; Institut für Orient- und Asi- (18. Jh. n. Chr.) enwissenschaften, Abteilung für Asiatische und Islamische Kunstgeschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (M. Müller-Wiener); Studiengang Restaurierung und Grabungstechnik der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (C. Gütschow) • Förderung: Auswärtiges Amt der Bun- desrepublik Deutschland • Leitung des Projekts: U. Franke • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: C. Gütschow (Restaurierung), A. Lange (Photogra- phie), M. Müller-Wiener, K. Schmidtner • Abbildungsnachweis: HE MUS 02-26-86 metal, A. Lange (Abb. 60); HE MUS 01_35_86b cer, A. Lang (Abb. 61); HE08 Restaur P6186, C. Gütschow (Abb. 62); HE ARCH MS_084 P456, M. Müller-Wiener (Abb. 63).

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Herat (Afghanistan), Areia Antiqua Die Grabungen auf der Zitadelle Qala’ e Ikhtyaruddin, einer Befestigung, die als Gründung Alexanders des Großen gilt und deren erhaltene Bauwerke bis ins 13. Jh. n. Chr. zurückreichen, wurde weiter untersucht. Der Tiefschnitt 1 konnte um weitere 5 m auf insgesamt 13 m abgeteuft werden. Bei -11,50 m wurde das Ende des Plattformmassivs erreicht (Abb. 64). Dieses ruht auf fund- leeren Feinsedimenten auf, die im oberen Bereich horizontal, darunter jedoch diagonal geschichtet sind. Bohrungen zeigten, dass diese Sedimente sich noch 1,50 m fortsetzen und dann von Sandschichten abgelöst werden. Damit wur- de der gewachsene Boden erreicht und die Grabung abgeschlossen. Die Freilegung der 2007 entdeckten historischen Toranlage (Schnitt 3) im Norden der Festung erfolgte auf einer Fläche von ca. 35 m × 15 m, ausgehend von der Festungsmauer und dem alten Eingangsbereich (Abb. 65). Sie zeigten, dass es sich nicht wie vermutet, um eine Hangbebauung handelt: Bis auf drei einzelne Mauern, die erst nach Aufgabe der timuridischen Toranlage auf deren Schutt errichtet wurden, stehen die Mauern nun bis zu 6 m hoch an. Sie kön- nen insgesamt vier Bauphasen zugeordnet werden, davon datieren zwei in die timuridische Zeit. Der größte Teil der freigelegten Strukturen ist dem Neubau der Festung unter Shah Rukh ab 1415/1416 n. Chr. zuzuordnen. In verschie- denen Bauteilen ist aber eine ältere Bauphase feststellbar, darunter ein unter den Ostturm ziehender Fußboden und zwei weitere Mauern. Von besonderer Bedeutung ist, dass die zwei Türme durch Vorräume untereinander und mit der Festungsmauer verbunden waren. Dieser Befund ist nicht nur statisch relevant, er erlaubt darüber hinaus auch die Rekonstruktion eines erhöhten Wehrgangs, der über mindestens eine Treppe erschließbar war. Nördlich des mit einem Spitzbogen versehenen Tores zeichnet sich im Plan ein kreuzförmiger Raum (R 4) mit vier Spitzbogengewölben, einem Zugang von Norden, dem heute noch erhaltenen Spitzbogentor im Süden und zwei seitlichen Durchgängen zu den Türmen ab. Ausgehend von der Kämpferhöhe des Spitzbogenturms können die Gewölbe und die Durchgangshöhen der drei nicht erhaltenen Seiten rekonstruiert werden. Der Zentralraum war wahr- scheinlich mit einer in Ringschichten errichteten Flachkuppel überdacht. Vom Vorraum (R 4) führte der Zugang durch das Spitzbogenportal in das Innere der Festung, in einen weiteren – sehr wahrscheinlich ebenfalls überwölben – quadratischen Raum und von dort nach Westen in einen bei der Errichtung vom Turm im 18. Jh. zugesetzten Gewölbegang.

Abb. 64 Herat (Afghanistan), Areia Antiqua. Qala’ e Ikhtyaruddin, Schnitt 1 am Ende der Grabung, Blick auf das Ostprofil

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Herat (Afghanistan), Areia Antiqua. Qala’ e Ikhtyaruddin, Schnitt 3

Abb. 65 Übersicht über die Grabungen mit Blick auf die Festung nach Süden

Abb. 66 Blick über die Vortürme entlang der Festungsmauer nach Osten

Aus dem Befund ergibt sich eine geschlossene eingeschossige, aber sehr hohe Toranlage, auf die – ziemlich bald nach ihrer Errichtung – die enorme Last der schräg darüber liegenden Festungsmauer und der Türme wirken sollte. Dass diese Architektur bereits in der Vergangenheit mit statischen Problemen zu kämpfen hatte, beweisen die Befunde von Grundbruch in den gepflaster- ten Räumen der südöstlichen Toranlage. An den Außenschalen der Türme vorgefundene Überreste der ornamen- talen Wandverkleidung geben nicht nur Einblick in bauliche Details, sondern erlauben – unter Berücksichtigung des Dekors am Timuridenturm – eine Rekonstruktion der Wandverkleidung mit Sandsteinfriesen, Sägezahnbändern und farbig glasierten Fliesen (›Banna’i‹-Technik). Auf der Grundlage dieser Ergebnisse kann die Toranlage des ältesten Bauwerks Shah Rukhs in Herat rekonstruiert und das historische Erscheinungsbild der Nordfassade wieder hergestellt werden. Diese Arbeiten haben bereits Ende dieses Jahres begonnen und werden im kommenden Jahr abgeschlossen (Abb. 66).

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Eine im unteren Hof der Zitadelle zur Kontrolle der stratigraphischen Ab- folge in Schnitt 2 angelegte Sondage (Schnitt 4) bestätigte die dort beobach- tete Schichtenabfolge. Die Délégation archéologique française en Afghanistan (DAFA) als Kooperationspartner für dieses Teilprojekt führte eine weitere Grabung in dem schon 2005 untersuchten Areal Kohandaz durch. Aus den Grabungen stammen zahlreiche Funde, vor allem Keramik, Glas, Metall und Baudekor (Abb. 67), die neben Importen lokale Varianten umfas- sen und zeitliche Veränderungen widerspiegeln. Kooperationspartner: National Institute of Archaeology in Afghanistan, Abb. 67 Herat (Afghanistan), Areia Ministerium für Information und Kultur, Kabul; Department of Monuments Antiqua. Qala’ e Ikhtyaruddin, Schnitt 3. and Sites Herat, Ministerium für Information und Kultur, Kabul; Délégation Timuridische Schale mit ›sinisierendem‹ Dekor (16. Jh. n. Chr.) archéologique française en Afghanistan (DAFA), Kabul • Förderung: Aus- wärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland • Leitung des Projekts: U. Franke • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: A. Ayomuddin, W. Herberg (Architekt), K. M. Khairzada, St. Langer, N. Mohammad, A. Mohammady, N. Siddiqui, Th. Urban (Schnittleitung, Bauaufnahme), R. Wieland (Zeichnung, Photographie), S. Yuniz • Abbildungsnachweis: Hr01 QI Tr3 HE08_09_13, Th. Urban (Abb. 64); Hr01 QI Tr3 HE08_09_20, Th. Urban (Abb. 65); J. Leslie (Abb. 66); Hr01 QI Tr3_3037 KerHE08_08_25 P036, R. Wieland (Abb. 67).

Sohr Damb/Nal, Balučistan (Pakistan) Der Tell Sohr Damb/Nal liegt im Indo-Iranischen Grenzgebiet, nahe den Grenzen Pakistans zu Iran und Afghanistan, einer seit Jahrzehnten nur schwer zugänglichen Region. Das Hochland war seit der ›Neolithischen Revolution‹ im 7. Jt. v. Chr. besiedelt und gilt als Wiege der ersten urbanen Hochkultur (2600–1900 v. Ch.) im indischen Subkontinent. Sohr Damb/Nal, ein 4,5 ha Abb. 68 Sohr Damb/Nal (Pakistan), großer und 13 m hoher Fundplatz, wird seit 2001 untersucht. Die Grabungen Schnitt 3. Plan des Friedhofs, Periode I. 2 Eurasien-Abteilung 405

haben einen Friedhof und Wohnbebauungen aus der Zeit vom 4. bis späten 3. Jt. v. Chr. zu Tage gebracht. Sie geben Einblicke in verschiedene Facetten des Lebens in einer dörflichen Siedlung, die Ausstattung der Häuser und Grä- ber sowie in Ernährung und Krankheiten der Bewohner. Bald nach Beginn der Grabungen wurde deutlich, dass sich die drei großen Besiedlungsperi- oden (Periode I–III) in verschiedenen Aspekten, darunter Bestattungssitten, ästhetische Konzepte, handwerkliche Techniken und Architektur, voneinander unterscheiden. Da dieses Bild dem gängigen Konzept eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses widerspricht, ist ein weiterer Schwerpunkt der For- schungen daher der Aufbau eines chronologischen sowie typologischen Ge- rüstes, mit dessen Hilfe die lokale Entwicklung aufgezeigt werden kann und das darüber hinaus die Einbindung von Material aus der weiteren Region erlaubt – und dadurch die Rekonstruktion der prähistorischen Kulturland- schaft im weiteren Sinne. 69 In diesem Jahr standen die Auswertungen der Baubefunde und der Kera- mik aus den Perioden I und III im Vordergrund. Die Bearbeitung des Fried- hofes (Periode I), insbesondere die Entwicklung der aufgrund der Bestattungs- form komplexen stratigraphischen Abfolge und die Zuordnung der Beigaben (Abb. 68), ist weit fortgeschritten; die Auswertung des anthropologischen Materials und die Erfassung der Funde sind abgeschlossen. Periode I (Phasen 1–3) ist als älteste Besiedlung in die Zeit von ca. 3800– 3200 v. Chr. zu datieren. Sie gehört in eine Phase intensiver Siedlungsexpan- sion im Hochland und, wenig später, auch in der Tiefebene. Die Grabsitten, multiple sekundäre Teilbestattungen, lassen auf einen komplexen Totenkult 70 schließen und stehen weitgehend isoliert; es ist nur ein Vergleichsbeispiel aus Mundigak I (Südostafghanistan) bekannt, an anderen Orten (z. B. Mehrgarh, Sohr Damb/Nal (Pakistan) Shahi Tump) sind primäre Einzelbestattungen üblich. Die Vergesellschaftung von Togau- und Kechi-Beg-Keramik ist ein sicheres Indiz für die zeitgleiche Abb. 69 Schnitt 3. Grabbeigaben aus Benutzung dieser Typen, die bisher als aufeinander folgende Stufen in der Grab 787, Periode I. 2 stilistischen Abfolge verankert sind. Kleinfunde, vor allem der Schmuck aus Abb. 70 Schnitt VI, l. 1056. Polychrom den Wohnhäusern, zeigen ebenso wie die Keramik hohe technologische Fer- bemalte Nal-Schale mit rotem Überzug tigkeiten (Abb. 69), die steinzeugähnlichen Armreife sind die ältesten Proto- außen, Periode II typen dieses Typus. Abb. 71 Schnitt 3. Grab 769, Periode II Periode II (6 Phasen) schließt sich nach einem kurzen Hiatus an, sie dauert bis ca. 2800/2750 v. Chr. Stilistische und technologische Veränderungen im- plizieren kulturellen Wandel: Die rotgrundige, hoch gebrannte Keramik lösen beige Typen mit geometrischen und figürlichen Motiven, die teilweise poly- chrom ausgeführt sind, ab (Abb. 70). Erste Figurinen tauchen auf, der Bestat- tungsmodus ändert sich zu primären Einzelbestattungen (Abb. 71). Nal ist der Leitfundort für diesen auch überregional weit verbreiteten Kulturhorizont. Auch der Beginn von Periode III ist – trotz der Weiterführung einiger Ele- mente – von Veränderungen des ästhetischen Kanons und stilistischen Reper- toires, technologischen Neuerungen, einer veränderten Ausstattung, Bauweise und Raumordnung gekennzeichnet. Völlig neue Gefäßformen sind nun wie- der mit einfacheren linearen und figürlichen Motiven bemalt, die Zahl der Kleinfunde und ihre typologische Bandbreite steigen deutlich, Metall nimmt einen breiten Raum ein. Die Bestattungssitten dieser Zeit sind unbekannt. Bei einer Datierung dieser Besiedlung in die Zeit von ca. 2700–2400 v. Chr. überlappt sie mit der urbanen Phase der Induskultur und ist daher für Fragen nach der Art der Beziehungen zwischen diesen Regionen und Kulturen und nach dem Zeitpunkt der Aufgabe der Siedlungen im Hochland von Bedeu- tung. Die auf Periode III folgende Besiedlung ist im Hinblick auf diese Da- tierung ein wichtiger terminus post quem. 71

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Periode IV, ist in Sohr Damb nur in oberflächennahen Strukturen und durch Funde von der Oberfläche erfasst. Stilistisch unterscheidet sie sich trotz zahlreicher verbindender Aspekte von Periode III. Neben die bekannten For- men treten nun Elemente des Kulli-Harappa-Komplexes, ein Amalgam der in Südbalučistan ab 2600 v. Chr. weit verbreiteten Kulli- und der Induskultur. Dass der ›klassische‹ Kulli-Komplex nicht in Sohr Damb, wohl aber auf zahl- reichen Fundorten in der Nachbarschaft nachweisbar ist, impliziert entweder einen zeitlichen Unterschied, und somit eine Diskontinuität in der Besiedlung, oder ein Nebeneinander verschiedener Kultur- und Sozialgruppen. Neben den Detailuntersuchungen wird in Zukunft die Erforschung räum- licher und zeitlicher Kontinuität und kultureller Heterogenität in diesem Gebiet im Vordergrund stehen. Sohr Damb und Südostbalučistan zählen hier inzwischen neben der Dasht-Ebene und Mehrgarh/Nausharo zu den wich- tigsten Forschungsgebieten in Balučistan und, unter der Einbeziehung von Mundigak und Shahr-e Sokhta, auch im Indo-Iranischen Grenzgebiet. Kooperationspartner: Department of Archaeology & Museums, Govern- ment of Pakistan; DAI, Zentrale, Naturwissenschaftliches Referat (N. Benecke, Archäozoologie; R. Neef, Archäobotanik); Institut national de recherches archéologiques préventives (INRAP), Paris (C. Buquet-Marcon, Anthropo- logie); State Bank of Pakistan, Karachi (A. Ibrahim, Anthropologie) • Förde- rung: DFG • Leitung des Projekts: U. Franke • Mitarbeiter und Mitarbei- terinnen: S. Hageneuer, St. Langer, K. Schmidtner, Th. Urban • Abbildungs- nachweis: DAI, Eurasien-Abteilung, Projekt Sohr Damb, U. Franke (Abb. 68); SD 0787 Ker P003, U. Franke (Abb. 69); SD 1056_03 Ker P001 (Abb. 70); SD 0769 Gr P004 (Abb. 71).

Großkurgane im Siebenstromland (Kazachstan) Das Siebenstromland im Süden Kazachstans zählt zu den im archäologi- schen Sinne interessantesten Regionen und gilt wegen der großen Anzahl von Kurgannekropolen als ein wichtiges Zentrum der frühen Nomaden. Bisher wurde hier allerdings nur ein großer Kurgan in der Nekropole von Issyk untersucht, der das Grab eines Vertreters der sakischen Elite enthielt – den ›Goldenen Menschen‹. Weitere Versuche, derartige Gräber zu finden, wa- ren bislang erfolglos, da alle Nekropolen der frühen Eisenzeit des Sieben- stromlandes mehrfach beraubt wurden. Das im Rahmen des Exzellenzclusters »Topoi« durchgeführte Projekt widmete sich nun den Untersuchungen der Elitenekropolen. Hierbei wurde festgestellt, dass alle großen Kurgane um ihre Aufschüttungen herum Steinkonstruktionen aufweisen. Diese Peripherie ist bei sämtlichen Nekropolen durch jahrelanges Pflügen zerstört, lediglich bei einem der großen Kurgane des Žoan Tobe-Gräberfeldes (Gebiet Almaty) mit einer Höhe von 11 m und einem Durchmesser von 113 m blieb sie fast voll- ständig erhalten. Die diesjährige Grabungskampagne zeigte, dass es sich bei den Steinkonstruktionen um kleine Kurgane mit Einzelbestattungen handelt, die im direkten Zusammenhang mit dem großen Kurgan stehen. Das ganze Areal ist mit einer gepflasterten Ringstraße umgeben (Abb. 72). Ein solcher Befund konnte noch nie in skythischen Denkmälern nachgewiesen werden – zudem liegt damit der erste dokumentierte Beweis zur Straßenbautechnik in der zen- tralasiatischen Region für die frühe Eisenzeit überhaupt vor (Abb. 73). Die Nekropole besteht aus drei Reihen von Kurganen, in jeder Reihe ist einer der Kurgane pyramidenförmig. Zwei Kurgane, ein runder und eine Pyramide, wurden ausgegraben. Sie waren in der gleichen Technik erbaut. Abb. 72 Großkurgane im Siebenstrom- Um die Unterschiede ihrer Form zu erklären, sind weitere Forschungen not- land (Kazachstan), Žoan Tobe. Kurgan 1, wendig (Abb. 74. 75). geomagnetischer Plan

AA-2009/1 Beiheft Großkurgane im Siebenstromland (Kazach- stan), Žoan Tobe

Abb. 73 Querschnitt der Ringstraße um Kurgan 1

Abb. 74 Kurgan 8

Abb. 75 Kurgan 9 73

74 75

Abb. 76 Großkurgane im Siebenstrom- land (Kazachstan), Azy Zaga. Kurgan, der keinen durch Raubgrabungen entstan- denen Trichter aufweist

Abb. 77 Großkurgane im Siebenstrom- land (Kazachstan), Kegen. Großkurgan

AA-2009/1 Beiheft 408 Jahresbericht 2008 des DAI

Außer der Grabung in der Nekropole von Žoan Tobe wurden archäologi- sche Feldbegehungen im östlichen Teil des Siebenstromlandes durchgeführt. Dabei wurden viele Nekropolen begutachtet, von denen die Elitenekropole von Azy Zaga sehr erfolgversprechend zu sein scheint, denn dort haben sämt- liche Kurgane eine ungestörte Peripherie, die analog derjenigen in Žoan Tobe ist. Einer der Kurgane mit einer Höhe bis 8 m hat keinen sichtbaren Raub- trichter (Abb. 76). Die Untersuchung dieses Kurgans einschließlich seiner Peripherie kann unser Wissen über die Saken beträchtlich ergänzen. Ein weiteres aussichtsreiches Objekt befindet sich weiter südlich im Tjan- Shan-Gebirge: Auf einem großen Plateau in einer Höhe von 1800 m – in der Nähe des Dorfes Kegen – sind zahlreiche früheisenzeitliche und mittelalter- liche Denkmäler konzentriert. Einer der großen Kurgane mit einer Höhe bis 20 m gehört nicht zu den hier entdeckten Gräberfeldern der Saken, sondern steht separat. Es handelt sich um eine Pyramide, die aus Lehmziegeln mit Lehmmörtel gebaut ist (Abb. 77). Vergleichbare Denkmäler wurden in Südkazachstan bisher nicht gefun- den. So wird es sich bei der geplanten Erforschung eines der Großkurgane auf dem Gräberfeld von Azy Zaga sowie des großen Kurgans beim Dorf Kegen um die erste Untersuchung von sakischen Denkmälern eines so hohen sozi- alen Ranges im Siebenstromland handeln. Diese Forschungen können unsere Kenntnisse zur sozialen Struktur, materiellen Kultur und religiösen Weltan- schauung der skythisch-sakischen Bevölkerung in den eurasischen Steppen bedeutend erweitern. Kooperationspartner: Staatliches Museum für Gold der Republik Kazachs- tan (S. Samashev); Staatliche Museen zu Berlin Stiftung Preußischer Kulturbe- sitz Berlin (H. Parzinger, M. Nawroth) • Förderung: Exzellenzcluster »Topoi« • Leitung des Projekts: A. Nagler, S. Samashev, H. Parzinger, M. Nawroth • Mitarbeiter: R. Boroffka • Abbildungsnachweis: J. Fassbinder (Abb. 72); A. Nagler, M. Nawroth (Abb. 73–77).

Paläopathologisch-anthropologische Untersuchung der menschlichen Skelettfunde aus Liushui (VR China) In einer heutigen orthopädischen Praxis gehören Krankheitsbilder, die durch Fehlbelastung oder übermäßig viel Sport bei sonst eher sitzender Tätigkeit verursacht werden, zum Alltag. Zu ihnen zählen Überlastungsschäden der Seh- nen und Bänder, der Knochen sowie der Gelenke. Erstaunlich ist, dass bei der Untersuchung der Knochen aus dem spätbronzezeitlichen Gräberfeld Liushui in der Autonomen Region der Uyghuren Xinjiang in Westchina ebensolche Krankheitsbilder nachgewiesen werden konnten, obwohl hier körperliches Training zum Alltag gehörte. Es stellt sich die Frage, was für Tätigkeiten die Menschen in Liushui ausübten, die zu gravierenden Überlastungssymptomen in allen Bereichen des Skelettes führten und welche Rückschlüsse das auf die Lebensweise dieser Population zulässt. Die Bestattungen von Liushui wurden 2002 am Oberlauf des Keriya-Flus- ses an der nach Norden, also zum Tarim-Becken hin, ausgerichteten Seite des Kunlun-Gebirges auf 2850 m ü. M entdeckt. In drei Grabungskampagnen in den Jahren 2003–2005 wurden 52 Grabgruben mit ausgesprochen gut erhal- tenem Skelettmaterial freigelegt. Die Nutzungsdauer des Bestattungsplatzes Liushui wurde durch Radiokohlenstoffdatierung auf den Zeitbereich zwi- schen 910 und 770 cal BC bestimmt. Eine zugehörige Siedlung der Popula- tion von Liushui wurde bislang nicht gefunden. In den bisher durchgeführten osteologischen Untersuchungskampagnen 2006–2008 wurden insgesamt 199 Individuen nachgewiesen, von denen 141

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Abb. 78 Liushui (VR China), Grab M56. Adulter Mann, Hinteransicht beider Kahnbeine des Fußes: Teilweise verwach- sener Zusatzknochen am rechten (rechts im Bild) und abgebrochener Zusatzkno- chen am linken Kahnbein (links im Bild) durch vermehrte Belastung der Füße

paläopathologisch, forensisch und anthropologisch untersucht werden konn- ten. Außer den direkten Erkrankungen des Knochens (primäre Tumoren, Kno- chenbrüche oder -entzündungen) wurden Sehnen-, Band- und Muskelverän- derungen, wie sie sich am Knochen der Verstorbenen sekundär manifestieren, sowie die Arthroseintensität und -häufigkeit der Extremitätengelenke und der Gelenke der Wirbelsäule untersucht. Es konnte nachgewiesen werden, dass die bisher untersuchten Individuen in einem hohen Ausmaß von Überlastungs- schäden an Muskeln, Sehnen, Bändern, Knochen und Gelenken betroffen sind. Die größte Häufigkeit weisen Veränderungen der unteren Extremität auf (Abb. 78). Dies spricht für eine besonders hohe Belastung durch Laufen – und zwar in felsigem Gebiet mit ruckartigen Belastungen wie Sprüngen, Sprints und abrupten Abbremsbewegungen. Auch stumpfe Traumata wie Schlag oder Pferdetritt lassen sich gut nachweisen (Abb. 79). Komplikationen im Hei- Liushui (VR China) lungsverlauf deuten darauf hin, dass die Menschen aus Liushui nicht viel Zeit Abb. 79 Grab M45, adulter Mann. hatten, ihre Verletzungen ausheilen zu lassen. Das Tragen schwerer Lasten, aber Hinteransicht der unteren Enden beider auch häufige ruckartige Zugbelastung – beispielsweise beim Einreiten von Oberschenkel: Spuren einer Myositis Pferden – führten zu Überbelastung von Armen und Schultergürtel bis hin zu ossificans (›Verknöchern‹ alter Blutergüsse Sehnenrissen der Oberarmmuskulatur. Weitere Gründe für eine übermäßige am Sehnenansatz) des rechten äußeren Oberschenkelstreckers (rechts im Bild) als Belastung im Schulter- und Ellenbogenbereich sind das Bogenschießen von Folge eines Schlages oder Pferdetritts jugendlichem Alter an (Abb. 80) sowie das Mahlen mit einem Reibestein bei Frauen. Des Weiteren deuten die pathologischen Funde auf eine sehr ausge- Abb. 80 Grab M37, adulter Mann. prägte Nutzung des Pferdes als Fortbewegungsmittel hin – ohne Sattel und Vorderansicht beider Schulterblätter: Krankhafte Veränderungen an der rechten Steigbügel – mit den entsprechenden charakteristischen Schäden am Skelett, Schulterhöhe, die auf eine Schädigung vor allem an den Wirbelkörpern. der Rotatorenmanschette zurückzuführen Kooperationspartner: Archäologisches Institut der Chinesischen Akademie sind (rechts im Bild) – oft durch einseitige der Sozialwissenschaften (Wu X. H.); Zentrum Anatomie der Georg-August- Arbeiten wie Bogenschießen, Hämmern, aber auch durch Einreiten von Pferden Universität Göttingen (M. Schultz, J. Gresky, T. Schmidt-Schultz) • Leitung hervorgerufen des Projekts: M. Wagner • Abbildungsnachweis: J. Gresky (Abb. 78–80).

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Wehrdörfer der Qiang in Westsichuan (VR China) Auf Einladung des Instituts für Tibetstudien der Sichuan-Universität nahm die Eurasien-Abteilung in Zusammenarbeit mit dem Naturwissenschaftlichen Referat (Dendrochronologie) der Zentrale des DAI Forschungen zur histo- rischen Bauweise der Qiang auf. Die Qiang bilden heute eine der kleinsten, offiziell anerkannten 56 ethnischen Gruppen in China mit etwa 200 000 An- gehörigen. Sie leben in den Bergen von Nordwestsichuan und sprechen ihre eigene Sprache, allerdings in vielen verschiedenen Dialekten. Sie gehört zum tibetobirmanischen Zweig der sinotibetischen Sprachfamilie. Der Name dieses Volkes ist abgeleitet von der chinesischen Sammelbezeichnung für alle feind- lichen nicht-chinesischen Bewohner an den westlichen Grenzen des chine- sischen Kernreiches, wie er von der Shang-Dynastie (ca. 1600–1046 v. Chr.) an in Gebrauch war. Das Schriftzeichen qiang xx羌 besteht aus den Zeichen für Schaf/Ziege xx羊 und Mensch xx人 oder Sohn xx儿 , bedeutet also ganz allgemein »Hirte« und ist bereits aus Inschriften auf Orakelknochen aus der Zeit um 1300 v. Chr. bekannt. Als »Qiang« bezeichnete Völker waren vom 1. bis 5. Jh. entlang dem Nord- und Ostrand des Tibetplateaus vom Kunlun-Gebirge in Xinjiang über Qinghai, Gansu und Sichuan bis nach Yunnan im Süden verbreitet. Dieser

Abb. 81 Wehrdörfer der Qiang in West- sichuan (VR China), Taoping. Qiang-Wohn- burg, oberer Teil zweier Wachtürme. Von den umlaufenden Holzbalustraden sind nur noch die in die Steinwand eingelas- senen Bodenbalken erhalten

sog. Qiang-Gürtel wurde im 7. bis 9. Jh. n. Chr. zur Kontakt- und Kampf- zone zwischen dem tibetischen Königreich und dem chinesischen Kaiserreich Tang (620–907 n. Chr.). Wegen der starken tibetischen Einflüsse in Kultur und Religion galten die Bewohner dieses Gürtels den Chinesen vom 10. Jh. n. Chr. an nicht mehr generell als Qiang, sondern als Tibeter. Mit Ausnahme Nordwestsichuans – das Gebiet wurde sinisiert und die Bevölkerung als Qiang registriert. Bis in die 1950er Jahre nannte das Volk sich selbst Erma (rma), ent- wickelte danach jedoch eine eigene Identität als »Qiang«. Ihre Siedlungen aus Stein und Holz, die wie Trutzburgen an steilen Hän- gen und Felsspornen kleben, zeichnen sich vor allem durch ihre wohl durch- dachten Verteidigungsanlagen aus. Schon von weitem sind an Talöffnungen die hohen Wachtürme zu sehen, die den Kern eines Gehöftes bilden, wie hier am Beispiel der Qiang-Siedlung Taoping demonstriert werden soll (Abb. 81). Die Wachtürme sind häufig der einzige noch erhaltene Baukörper einer al- ten Anlage. Mehrere dieser Turmgehöfte schließen unmittelbar aneinander an,

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sind durch enge geschlossene Tunnel, zum Himmel offene Durchgänge oder Holzgalerien miteinander verbunden und machen eine kompakte, nach außen geschlossene Wehrsiedlung aus (Abb. 82). Unter der gesamten Siedlung fließt Quellwasser in einem Kanalsystem, das im Notfall gleichzeitig als Fluchttun- nel genutzt werden kann. Durch fortwährende An- und Umbauten auf ver- schiedenen Stockwerkshöhen sind termitenbauartige Wohnburgen entstanden. Die Wehrsiedlungen in einem Tal bilden eine Gemeinschaft, die sich deutlich von denen der Nachbartäler abgrenzt. Hohe Steintürme mit quadratischem oder sternförmigem Grundriss wur- den in der Vergangenheit auch von Tibetern gebaut und stehen größtenteils heute noch (Abb. 83). Einige der von uns besuchten Türme hatten aber keinen erkennbaren Zugang, während andere von einem angebauten Wohnhaus aus betreten und von innen bestiegen werden konnten. In den meisten Fällen gibt es jedoch weder Aufzeichnungen noch mündliche Überlieferungen zu Zeit- punkt und Zweck ihrer Errichtung. Die Verwendung von Holz als Baustoff zumindest in einzelnen Abschnitten der Bauwerke erlaubt aber Altersbestim- mungen mit denen sich klären lässt, ob die Bauten tatsächlich auf frühmit- telalterlichen Wehranlagen gründen, wie allgemein angenommen wird. Eine 82

Wehrdörfer der Qiang in Westsichuan (VR China)

Abb. 82 Taoping, Qiang-Wohnburg. Nach oben geschlossener Durchgang und Zwischengeschoss aus Holz

Abb. 83 Muoluo, tibetisches Gehöft mit Wachtürmen

Abb. 84 Taoping, Qiang-Wohnburg. Holzbeprobung 83

insgesamt sehr gute Holzerhaltung auch in prä- und frühhistorischen Grab- anlagen in Sichuan macht den Aufbau eines Dendrolabors vor Ort mit den Kooperationspartnern in Sichuan sinnvoll. Die ersten Proben sind bereits ein Beitrag dazu (Abb. 84). Sie wurden einen Monat vor dem großen Erdbeben am 12. Mai 2008 genommen, dessen Epizentrum direkt unter dem Studien- gebiet lag. Dieses Naturereignis hat einmal mehr bewusst gemacht, welch gro- ße Bedeutung der sorgfältigen Dokumentation von Kulturdenkmälern mit allen zur Verfügung stehenden technischen Mittel zukommt. Innerhalb we- niger Minuten können sie unwiederbringlich verloren gehen. Kooperationspartner: Institut für Tibetstudien der Sichuan-Univer- sität (Huo W.); Archäologisches Institut und Denkmalschutzamt der Stadt Chengdu (Wang Y.); DAI, Zentrale, Naturwissenschaftliches Referat, Dendro- chronologie (K.-U. Heußner); Institut für Geologische Wissenschaften, Fach- richtung Paläontologie der Freien Universität Berlin (P. Tarasov) • Leitung des Projekts: M. Wagner • Abbildungsnachweis: M. Wagner (Abb. 81–84). 84

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CHIME: Chinese Early Metal: Database – Analyses – Applications (VR China), Chinese Archaeology Database CHARDA-Xplore (VR China) Im Rahmen des in Forschungscluster 2 »Innovationen: technisch, sozial« des DAI angesiedelten Projekts CHIME: Chinese Early Metal: Database – Ana- lyses – Applications wurde die Datenbank Chinese Archaeology Database CHARDA-Xplore zunächst für die Erfassung von Daten zu den chinesischen Metallzeiten entwickelt, in diesem Jahr jedoch zur Aufnahme aller aus Fund- veröffentlichungen erschließbarer Informationen erweitert.

Abb. 85 Chinese Archaeology Database CHARDA-Xplore (VR China), Startseite der Datenbank

Zu Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten der Datenbank (Abb. 85): Grundsätzlich dient die Datenbank der Erfassung objektorientierter, standardisierter und georeferenzierter archäologischer Daten, um sie statis- tisch auswertbar und digital kartierbar zu machen. Zum Anlegen eines Da- tensatzes sind lediglich drei Grunddaten notwendig: Fundplatzname, aus dem eine Fundplatz-ID generiert wird, geographische Koordinaten des Platzes und zumindest eine Altersangabe, bezogen auf den Platz insgesamt, eine Fundeinheit oder ein Fundobjekt. Durch einen Link von der Datenbank zu Google Earth können Fundplätze dort in Abhängigkeit von ihrer Datierung auf einer Satellitenbildoberfläche in bestimmten, mit einem verschiebbaren Zeiger auf einer Zeitleiste definierten Zeitpunkten (Jahr) oder Zeitperioden dargestellt werden. Diese Darstellungsweise ist besonders für die Visualisie- rung der Verbreitung von Fundtypen in Zeit und Raum geeignet. So wie Google Earth die gesamte Erdoberfläche abbildet, ist auch das Schema der Datenbank CHARDA-Xplore so angelegt, dass darin prinzipiell archäolo- gische Daten beliebiger Weltregionen erfasst werden können. Entscheidend und differenzierend sind nur die sog. Kataloge, d. h. Begriffslisten mit denen die Eigenschaften von Fundobjekten klassifiziert werden. Die bislang hin- terlegten Kataloge umfassen deutsche Grundtermini zur Beschreibung all- gemeiner archäologischer Sachverhalte sowie neolithischer und metallzeitli- cher Fundobjekte in Ost- und Zentralasien. Die unkomplizierte Einbindung von Bilddateien verleiht der Datenbank gleichzeitig den Charakter eines systematisch und umfassend verschlagworteten Bildarchivs. Eingabe- und Abfragetool arbeiten mit optischen Strukturen, die einem durchschnittlich erfahrenen Computerbenutzer bekannt sind. Zur Navigation in der Daten- bank dient eine Baumstruktur wie im Windows-Explorer am linken Bild- schirmrand und die Abfrage startet mit einem einfachen Suchschlitz wie bei allen bekannten Suchmaschinen. Unser Ziel ist es, CHARDA-Xplore nach einem weiteren Jahr Entwicklungsarbeit auch mit einer zweiten Sprachebene

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in Englisch partiell online zu stellen. Gleichzeitig bieten wir sie anderen For- schungsprojekten zur Kultur- und Technikgeschichte Ost- und Zentralasiens zur kooperativen Nutzung und gemeinsamen Weiterentwicklung an. Leitung des Projekts: M. Wagner • Mitarbeiter: A. Fleck, G. Leube, R. Ehrich • Abbildungsnachweis: DAI, Eurasien-Abteilung, A. Reuter (Abb. 85).

Minamikayabe (Japan) Die Eurasien-Abteilung hat im Januar 2008 mit der Hakodate City Archae- ological Organisation eine Kooperationsvereinbarung über gemeinsame For- schungen zum Neolithikum (Jomon-Kultur) auf der Insel Hokkaido geschlos- sen. Dadurch kann jetzt die nördlichste der japanischen Hauptinseln in Studien zur prähistorischen Besiedlungsentwicklung in Nordostasien (chinesisches und russisches Amur-Gebiet, Primor’e, Sachalin und Korea) einbezogen werden. Denn ab ca. 6000 v. Chr. teilte dieser Großraum einige markante Charakte- ristika in seiner Gefäßkeramik- und Schmuckproduktion sowie der Gestal- tung von Ritualplätzen, die überregionalen multidirektionalen Material- und Wissenstransfer erkennen lassen. Die Keramikherstellung setzt nach unserem heutigen Wissensstand mit ca. 14 000 v. Chr. im südlichen Japan, etwa 12 000 v. Chr. in der Amur-Region sowie ca. 9000 v. Chr. auf Hokkaido insgesamt mehrere Jahrtausende vor den frühesten festen Ansiedlungen und dem Feldbau ein. Die Entwicklungsprozesse von lokalen Wildbeutergruppen mit Speziali- sierung auf küstennahe Meeresfrüchte zu regional vernetzten bäuerlichen Ge- meinschaften zu rekonstruieren, ist der Gegenstand des Forschungsvorhabens. Mininamikayabe ist ein etwa 30 km langer Küstenstreifen am Pazifik, auf dem bislang 91 Fundplätze der Jomon-Kultur in 20 bis 50 m ü. M. gefunden wurden. Der Fundplatz Kakinoshima mit Siedlungs- und Bestattungsspuren aus allen Perioden der Jomon-Zeit lieferte beispielsweise den weltweit ältesten nachgewiesenen Rotlack (Abb. 86 a–c). Dabei handelt es sich um einen drei- schichtigen Lacküberzug auf Textilfasern, für die ein kalibriertes 14C-Alter von 7040 v. Chr. ermittelt wurde. Dieses lackierte Gewebe bedeckte in einer Abb. 86 a–c Minamikayabe (Japan), Kakinoshima. Grabgrube mit Textilfasern, Grabgrube den Körper eines oder einer Verstorbenen, Skelettreste haben sich die einen Rotlacküberzug aufweisen nicht erhalten. Über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde die Region

86 b

86 a 86 c

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jedoch durch die Entdeckung einer außergewöhnlich gut erhaltenen Tonsta- tuette, die mit 41,50 cm Höhe zu den größten jomonzeitlichen Statuetten ge- hört (Abb. 87). Grabungen am Fundort ergaben, dass es sich um einen Ritual- und Begräbnisplatz mit oberirdischen Steinkreisen aus der späten Jomon-Zeit (ca. 2200–1200 v. Chr.) handelt. Die nordjapanischen Kreisanlagen dieser Zeit aus Stein oder Holz in Verbindung mit Bestattungen oder ausschließlich ge- nutzt als Opferplätze, haben Parallelen in Nordostchina. Direkte Bezüge sind bislang nicht belegbar. Der Siedlungsplatz Toyosaki P (Abb. 88. 89) bietet mit zahlreichen alternie- renden Bauphasen und Vulkanaschen die Möglichkeit, eine Landnutzung über einige Jahrtausende hinweg zu verfolgen, die mehrfach durch Vulkaneruptio- nen unterbrochen wurde. Insbesondere archäobotanische, archäozoologische und paläoklimatische Studien liefern detaillierte Informationen zu saisonalen Nahrungsangeboten, Jagd- und Ernährungsgewohnheiten sowie vorherr- schenden Sommer- und Wintertemperaturen und Niederschlagsmengen. Aufgrund der hohen jomonzeitlichen Besiedlungsdichte und dem daraus resultierenden reichen, größtenteils noch unerschlossenen wissenschaftlichen Abb. 87 Minamikayabe (Japan), Potential erbaut die zuständige Stadtregierung Hakodate in Minamikayabe Chobonaino. 1975 entdeckte hohle derzeit ein Ausstellungs- und Forschungszentrum, in dem auch für diese ja- Tonstatuette panisch-deutsche Gemeinschaftsforschung optimale logistische Rahmenbe- dingungen geschaffen werden.

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Kooperationspartner: Hakodate City Archaeological Organisation (K. Sato, Abb. 88. 89 Minamikayabe (Japan), Ch. Abe); Institut für Geologische Wissenschaften, Fachrichtung Paläontologie Toyosaki P. Die Siedlungsgrabung 2008 der Freien Universität Berlin (P. Tarasov) • Leitung des Projekts: M. Wagner • Mitarbeiter: M. Knopf • Abbildungsnachweis: Ch. Abe (Abb. 86 a–c; 87); P. Tarasov (Abb. 88. 89).

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Wissenschaftliche Veranstaltungen

Vorträge 16. Januar Sato Kazuo (Hakodate) – Abe Chiharu (Hakodate), Der neolithische Fundplatz Minamikayabe auf der Insel Hokkaidoxxx7. Februar Andrej Gusev (Salechard), Das Heiligtum Ust’Poluj – Ein Fundplatz der frühen Eisenzeit im Norden Westsibiriensxxx13. Februar Yuriy Zaytsev (Simferopol), Latène- zeitliche Kulturen Europas und das nördliche Schwarzmeergebiet vom 3. bis 1. Jh.v. Chr.xxx20. Februar Daniel Spânu (Bukarest), Das antiquarische Abenteuer einer silbernen spätlatènezeitlichen Fibel aus dem Kunsthistori- schen Museum Wienxxx27. Februar Vladimir R. Erlikh (Moskau), New Investigations in the Trans-Kuban Region (Adygee)xxx12. März Dmitrij S. Korobov (Moskau), Early Medieval Settlement Systems in the Kislovodsk Basin, North Caucasusxxx19. März Eugen Uşurelu (Chişin‡u), Die Entste- hung der frühen Tüllenbeile in den außerkarpatischen Regionenxxx26. März Julia Lunkova (Moskau), The Timber-Grave Culture of the Forest-Steppe Zone Between the Rivers Don and Volgaxxx2. April Ioánnis Aslánis (Athen), Agrosykia (Pella) – Eine diminizeitliche Siedlungxxx16. April Erhard Gode- hardt (Düsseldorf), Rekonstruktion skythischer Bögenxxx23. April Elena Astashenkova (Wladiwostok), Archaeological Investigation of Medieval Sites in the Russian Maritime Regionxxx25. November Alexey Arapov (Taškent), Sacral Cosmography of Decor of the Samanid Architecture: Experience of the Semantic Analysis of the Artifacts of the IXth–Xth Centuryxxx21. Mai (gemeinsam mit dem Institut für Klassische Archäologie der Freien Univer- sität Berlin) Rosemarie Lierke (Schwalbach am Taunus), Das nicht-geblasene Glas der Antike (Von den ersten Gefäßen bis zum berühmten Luxusglas der Römer). Am 6. November wurde die 3. Thomsen-Vorlesung gehalten: Falko Daim (Mainz), Des Kaisers ungeliebte Kinder – Die Awaren und das Byzantinische Reich.

Konferenzen 7. März 5. Schwarzmeer-Workshop »Neue Forschungen zur Archäologie des nördlichen Schwarzmeerraumes. Aktuelle Arbeiten auf der Taman-Halb- insel« (Organisation: Udo Schlotzhauer [Berlin]). – Es sprachen: Ortwin Dally (Berlin), Begrüßung; Udo Schlotzhauer (Berlin) – Denis Zhuravlev (Moskau), Einleitung; Daniel Kelterbaum (Marburg) – Helmut Brückner (Marburg) – Olga Marunchak (Moskau) – Alexey Porotov (Moskau) – An- dreas Vött (Köln), Geoarchaeological Research on Taman-Peninsula (SW Russia) – An Contribution to the Debates on Coastal Evolution and Sea Level Changes of the Black and Azov Seas; Ivonne Ohlerich (Mainz/Ros- tock), Two Votives from the Mud-Volcano as an Example for the Relation- ship between Ritual and Social Communication; Nicolai Sudarev (Moskau), Recent Archaeological Discoveries on the Taman-Peninsula and Gorgippia; Vladimir Kusnetzov (Moskau), Urbanism in Early Phanagoria; Vasiv Gaibov (Moskau), Underwater Excavations in Phanagoria; Georgi Lomtadze (Mos- kau), Recent Investigations in Akhtanisovskaya 4; Udo Schlotzhauer (Berlin) – Denis Zhuravlev (Moskau), A New Field Project in North Taman-Peninsula and the first Results of Excavations in Golubitskaya 2; Georgi Lomtadze (Moskau) – Denis Zhuravlev (Moskau), A Dionysian Terracotta Relief from Taman-Peninsula; Oleg Gabelko (Kazan), The Reconstruction of Pontic Roy- al Era and the Problems of the History and Archaeology of Northern Black Sea Coast.

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28. bis 30. April Tagung »Rituelle Deponierungen in Heiligtümern der hellenistischen Welt« (Veranstaltungsort: Mainz; in Zusammenarbeit mit dem Römisch-Germanischen Museum der Stadt Köln und der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz). – Es sprachen: Gunvor Lindström (Berlin) – Alfred Schäfer (Köln) – Marion Witteyer (Mainz), Begrüßung; Ian Haynes (Newcastle upon Tyne), Ritual Deposition: Some Methodological Consid- erations; Jörg Rüpke (Erfurt), Individuelle Religion; William van Andringa (Lille), Archéologie du rituel: étudier les rites et leur contenu à l’époque ro- maine; Rainer Felsch (Hamburg), Rituelle Befunde im Artemis- und Apollon- heiligtum bei Kalapodi in der antiken Phokis; Astrid Lindenlauf (Washington), Das Deponieren von Votiven in griechischen Heiligtümern zwischen (Müll-) entsorgung und religiöser Praxis; Lorenz E. Baumer (Bern), Deponierte Hei- ligtümer? – Archäologische Beobachtungen zur rituellen Schließung von Thesmophorien; Ivonne Ohlerich (Rostock), Müllhalden statt Marmortempel? Zum Phänomen der Aschehügel auf dem Gebiet des Bosporanischen Reiches; Gunvor Lindström (Berlin), Votivdeponierungen im Osten der hellenistischen Welt – Tradierung griechischer Kultpraxis?; Karin Mansel (München), Hel- lenistische Bauopfer; Marina Piranomonte (Rom), Rome, the Anna Perenna Fountain. Religious and Magical Rituals connected with Water; Emanuele Curti (Rom), Un deposito rituale nell’area del tempio di Venere a Pompei; Günther Schörner (Jena), Stelenfelder und Deponierungen in Saturnheiligtü- mern Nordafrikas; Marleen Martens (Brüssel), Decoding Syntax and Vocab- ulary of Mithraic and other Ritual Depositions in Roman Tienen; Alfred Schäfer (Köln), Rituelle Deponierungen in religiösen Versammlungslokalen der römischen Provinz Dakien. Zwei Kultlokale in Apulum und Porolissum; Constanze Höpken (Köln) – Manuel Fiedler (Köln), Rituelle Deponierun- gen im Domnus- und Domna-Heiligtum in Sarmizegetusa; Stefanie Martin- Kilcher (Bern), Rituelle Niederlegungen in Thun-Allmendingen; François Wiblé (Martigny), Offrandes rituelles de dépôts de consécration en Vallis Poenina (Martigny, Leytron, Grand Saint-Bernard, Massongex); Verena Gass- ner (Wien), Zwei Grubenkomplexe im Heiligtum des Juppiter Heliopolita- nus in den Canabae von Carnuntum; Sabine Deschler-Erb (Basel) – Marie- France Meylan Krause (Avenches) – Daniel Castella (Avenches), Rituelle Deponierungen in Heiligtümern von Aventicum/Avenches; Marion Wittey- er (Mainz), Rituelle Niederlegungen im Heiligtum für Isis und Magna Mater in Mainz; Wolfgang Czysz (Tierhaupten) – Markus Scholz (Mainz), Ein Opferdepot aus der raetischen Villa von Marktoberdorf-Kohlhunden; Clau- Nickel (Schmitten), Rituelle Deponierungen in Germanien – Die Befun- de vom Martberg; Christa Ebnöther (Bern), Kultgruben im Heiligtum von Yvonand; Maike Berchtold-Rettenbeck (Dingolfing), Deponierung christ- licher Votivgaben am Beispiel von Sankt Corona, Altenkirchen und Sankt Leonhard, Ganacker. 29./30. Mai Erstes bundesweites Kolloquium für Doktoranden »What’s New? Aktuelle theoretische Ansätze und Perspektiven in der ur- und früh- geschichtlichen Archäologie« (mit Unterstützung des Präsidenten des DAI und in Zusammenarbeit mit der Theorie-AG der deutschen Altertumsver- bände). – Es sprachen: Susanne Grunwald (Leipzig), Vom Sinn und Unsinn einer Wissenschaftsgeschichte der Archäologie; Karin Reichenbach (Leip- zig), Wissenschaftsgeschichte als Mittel der Methodenkritik – Das Beispiel ethnische Deutung in der Frühgeschichtsforschung; Holger Kähning (Kiel), Neuzeitarchäologie; Philip Stockhammer (Heidelberg), Zum Umgang mit ›Kontinuität‹ und ›Wandel‹; Rouven Schneider (Kiel), Phase, Stufe, Perio- de – Archäologische Zeitkonstrukte und daraus resultierende Probleme bei

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der Chronologieforschung; Katja Rösler (Frankfurt a. M./Leipzig), Klassifi- zieren ist menschlich; Marion Sorg (Freiburg), Fibelausstattung und Lebens- alter in der Merowingerzeit; Sabine Metzler (Berlin), Auf der Suche nach dem gender bias – Methodische Überlegungen zu Geschlecht in Bestattun- gen; Doreen Mölders (Leipzig), Im Angesicht der ›Arbeit‹ – Wirtschaft und Gesellschaft während der späten Eisenzeit; Caroline von Nicolai (Gießen/ Leipzig/Paris), Sichtbare und unsichtbare Grenzen in der keltischen Archi- tektur. Zur Funktion späteisenzeitlicher Befestigungsanlagen; als Diskutan- ten standen Christoph Kümmel (Tübingen) und Stefan Burmeister (Kalkriese) zur Verfügung.

Öffentlichkeitsarbeit

Ein französisches Filmteam wurde in Pietrele (Rumänien, s. auch S. 371-374) unterstützt (Abb. 90). Die rumänische Ausgabe der Zeitschrift National Geo- graphic brachte in ihrer Juliausgabe eine Reportage über die Ausgrabungen in Pietrele. Im Dezember berichteten alle nationalen Printmedien über Pietrele, mehrere Rundfunk- und TV-Interviews wurden von verschiedenen Mitarbei- tern und Mitarbeiterinnen der Grabung gegeben. Während der Grabung in Žoan Tobe gab Herr Nagler dem Kazachischen Fernsehen ein Interview. Abbildungsnachweis: DAI, Eurasien-Abteilung (Abb. 90).

Ausstellung 7. Februar Eröffnung der Ausstellung »Ursprünge der Seidenstraße: Sensati- onelle Neufunde aus Xinjiang, China« (in Zusammenarbeit mit den Reiss- Engelhorn-Museen, Mannheim) in Mannheim. Die Ausstellung wurde von Staatsminister Gernot Erler in Anwesenheit von Bundespräsident a. D. Roman Herzog eröffnet.

Abb. 90 Pietrele (Rumänien), ein Film- team des Senders Arte bei Aufnahmen Veröffentlichungen in Pietrele Eurasia Antiqua 13, 2007 Archäologische Mitteilungen aus Iran und Turan 38, 2006 Archäologie in Eurasien 22: J. Schneeweiß, Die Siedlung Čiča in der west- sibirischen Waldsteppe I. Untersuchungen zur spätbronze- bis früheisen- zeitlichen Keramik, Chronologie und kulturellen Stellung (2007) Archäologie in Eurasien 25: A. Simonenko – I. I. Marčenko – N. Ju. Limberis, Römische Importe in sarmatischen und maiotischen Gräbern zwischen Unterer Donau und Kuban Archäologie in Iran und Turan 7: N. S. Baimatowa, 5000 Jahre Architektur in Mittelasien. Lehmziegelgewölbe vom 4./3. Jt. v. Chr. bis zum Ende des 8. Jhs. n. Chr. U. Franke (Hrsg.), National Museum Herat – Areia Antiqua through Time

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Ausgrabungen und Forschungen Außenstelle Teheran

Reise in das Überflutungsgebiet des Seimareh-Staudamms (Iran) Auf Einladung des Iranian Center for Archaeological Research unternahm der Projektleiter zusammen mit A. Moghaddam eine Reise in das Über- flutungsgebiet des zukünftigen Seimareh-Staudamms. Als Grundlage diente der Bericht »An Archaeological Systematic Survey in Seimareh Dam Lake Zone, from the Sazobon Canyon to the Seimareh Dam« über die Ergebnisse der Reise im vergangenen Jahr (B. Helwing und S. R. S. Boroujeni) und der Begehungen durch S. R. S. Boroujeni. Es sollten weitere Erkundungen zur Planung von Rettungsgrabungen, an denen sich das DAI beteiligen will, unternommen werden. Dabei wurden diesmal gezielt Plätze aufgesucht, die in dem vorangegangenen Bericht genannt wurden. Der Fundplatz in Tappe Dol Kokha (S.6.86.030) konnte aufgrund schlechter Wegverhältnisse nicht besucht werden, die für den Damm zuständigen Behörden sprachen zudem eine Warnung vor kriminellen Banden aus, die sich in diesem Bereich auf- hielten. Bei einigen anderen Orten ergab die Überprüfung, dass infolge star- ker landwirtschaftlicher Nutzung, Raubgrabungen oder moderner Über- bauung die Fundplätze so zerstört sind, dass weitere archäologische Unter- suchungen nicht sinnvoll erscheinen. Zusätzlich wurden aber einige bisher unbekannte Fundplätze in vormals nicht systematisch begangenen Bereichen registriert. Insgesamt ließen sich für mehrere Plätze sowohl die Notwendig- keit wie auch gute Voraussetzungen für Grabungen feststellen.

Seimareh (Iran), Čigā Sabz Ramavand

Abb. 1 Fundstellen

Abb. 2 Oberflächenfunde

AA-2009/1 Beiheft Eurasien-Abteilung, Außenstelle Teheran 419

1. Rechtes Ufer des Seimareh: Einzelne Steingeräte wurden in Čam |ire (N-1) zwischen von oben herabgefallenem Felsgeröll auf der Terrasse etwa 100 m westlich von ARC-1 gefunden, Keramik fehlt. Der Fundplatz stellt möglicherweise ein Camp aus dem akeramischen Neolithikum (bzw. Jung- paläolithikum) dar und sollte deshalb untersucht werden. Drei natürliche Hügel in ČigŒ Sabz West (Fundstellen S.5.86.020 bis S.5.86.022), alle mit Gruben von Raubgrabungen, bilden eine vermutlich zusammenhängende Fundstelle. Rund um die Raubgruben und in den Ver- tiefungen sowie dazwischen wurde Keramik aufgelesen, die wohl in die achä- menidische Zeit zu datieren ist. Trotz der Störungen sollte dieser Platz un- bedingt durch Grabungen untersucht werden. 2. Linkes Ufer des Seimareh: In ČigŒ Sabz Nord (CS-2 und CS 2A, Abb. 1) ist unter einer jüngeren sterilen Erdschicht eine graue Schicht auf dem Terrassenhang sichtbar, die sich über etwa 50 m erstreckt. In der Erosions- kante finden sich Kernsteine und kleine Klingen. Der Fundplatz datiert in das akeramische Neolithikum und sollte daher unbedingt durch Grabun- gen untersucht werden (Abb. 2). Ein islamischer Friedhof wurde auf der Fundstelle GR-1 registriert, dar- unter einige moderne Gräber. Im Osten wird diese Gräbergruppe von einem Berg überragt, auf dem eine moderne Mauer sichtbar ist. Die Fundstelle in Češme Rajab (CRA-1 und CRA-S, S.6.86.037) um- fasst einen flachen Siedlungshügel etwa 500 m nördlich der großen Süd- kurve des Seimareh-Flusses (Abb. 3). Hier lag chalkolithische Keramik an der

Seimareh (Iran), Češme Rajab

Abb. 3 Fundstelle CRA-1

Abb. 4 Oberflächenfunde

AA-2009/1 Beiheft 420 Jahresbericht 2008 des DAI

Seimareh (Iran), Čahar Āro

Abb. 5 Fundstelle C-ARO

Abb. 6 Oberflächenfunde

Oberfläche (Abb. 4). Ein natürlicher Wasserkanal westlich des Hügels hat ein Profil freigelegt, das anthropogene Strukturen aufweist – Aussagen zur Stärke der Kulturschichten sind jedoch bisher nicht möglich. Dieser Hügel sollte unbedingt durch Grabung untersucht werden. In Čahar ro (C-ARO und C-AROT, S.6.86.041) liegt die Fundstelle am Rand einer Hochterrasse östlich von dem Dorf Ramavand (Abb. 5). Sie weist die Reste umfangreicher Raubgrabungen sowie eines Kellerbaus auf. Die Keramik umfasst bemalte chalkolithische Keramik und Material späte- rer Perioden (Abb. 6). Der Ort sollte, trotz der Störungen, unbedingt ausge- graben werden. Nordwestlich des Dorfes Ramavand befindet sich im Tal eines kleinen Ne- benflusses des Seimareh der Fundplatz |al’e Piruz @Ali (G-PIR, S.6.86.045). Auf der höheren Terrasse sind einige Raubgruben zu sehen. Scherben der Uruk-Zeit und jüngeres, vermutlich achämenidisches Material wurden ge- sammelt. Auch dieser Platz sollte durch Grabung weiter untersucht werden. Kooperationspartner: Iranische Behörde für kulturelles Erbe, traditionel- les Handwerk und Tourismus (ICHTTO), Iranisches Zentrum für Archäolo- gische Forschung (ICAR, H. Fazeli Nashli, A. Moghaddam) • Leitung des Projekts: N. Boroffka • Abbildungsnachweis: N. Boroffka (Abb. 1–6).

AA-2009/1 Beiheft Forschungsstellen am Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DEI) in Amman und Jerusalem

Forschungsstelle Amman Leitender Direktor des DEI in Amman und Jerusalem Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Dieter Vieweger c/o Deutsches Evangelisches Institut für Altertumswissenschaft des Direktorin des DEI in Amman Heiligen Landes Dr. Jutta Häser POB 183 11118 Amman/Jordanien Wissenschaftliche Hilfskraft Tel.: +962-(0)6-53 46 924 Matthias Kolbe M. A. Fax: +962-(0)6-53 36 924 E-Mail: [email protected]

Forschungsstelle Jerusalem Leitender Direktor des DEI in Amman und Jerusalem Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Dieter Vieweger c/o Deutsches Evangelisches Institut für Altertumswissenschaft des Wissenschaftliche Hilfskraft Heiligen Landes Constanze Röhl M. A. Auguste-Victoria-Compound POB 184 63 91184 Jerusalem/Israel Tel.: +972-(0)2-62 84 792 Fax: +972-(0)2-62 87 388 E-Mail: [email protected]

Forschungsstellen am Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DEI) in Amman und Jerusalem

Ausgrabungen und Forschungen

Tall ZirŒ‘a (Jordanien) Der Tall ZirŒ‘a befindet sich im äußersten Nordwesten Jordaniens. Auf hal- ber Strecke zwischen dem Jordantal und dem ostjordanischen Hochland im Wadi al-‘Arab gelegen, kontrollierte er in prähistorischer Zeit den von Ägyp- ten über die Straße am Mittelmeer kommenden Handelsweg nach Damas- kus und weiter ins Zweistromland an einer strategischen Schlüsselstelle. Die archäologische Bedeutung des Talls liegt in seiner 5000jährigen ununter- brochenen Siedlungsabfolge, die es nicht nur erlaubt, wichtige Kulturstufen miteinander zu vergleichen, sondern selbst Übergangszeiten nachweisen zu können. Ein wesentlicher Grund dieser durchgängigen Besiedlungsfolge ist die artesische Quelle inmitten des Siedlungshügels, die stets ausreichend Frisch- wasser lieferte. I. Ausgrabungen auf dem Tall ZirŒ‘a: Das 2001 begonnene »Gadara-Region Project« konnte auch im Laufe dieses Jahres durch zwei Ausgrabungskampag- nen auf dem Tall ZirŒ‘a fortgeführt werden. Während der Frühjahrskampagne wurde in den Arealen I und II gearbeitet, während der Sommerkampagne in Areal III. Die Ausgrabungen in Areal I haben generell das Ziel, die stratigraphische Abfolge des Tall ZirŒ‘a zu erfassen und damit eine Referenzstratigraphie für Nordjordanien zu schaffen, die bisher für diese Region nicht vorliegt. In die- sem Sinne wurde das Areal I in seiner gesamten Ausdehnung von 1175 m2 bis auf die jüngste Schicht der späten Bronzezeit (14./13. Jh. v. Chr.) freigelegt, die im Jahr zuvor bereits auf einer Fläche von 1000 m2 erreicht worden war. Zwei Bereiche im nördlichen und im südlichen Teil des Areals wurden dabei näher untersucht. Die im Norden geöffneten vier Quadranten wiesen in den obersten Schichten zahlreiche rezente Gruben auf, deren genaue Datierung infolge fehlender Funde nur annähernd möglich ist. Darunter konnten einige wenige Mauerzüge aus römisch-byzantinischer Zeit freigelegt werden, die den bisherigen Plan der Bebauung aus dieser Periode in Areal I ergänzen. Aber auch während der römisch-byzantinischen Epoche wurden in diesem Bereich zahlreiche Gruben angelegt, die bis tief in die eisenzeitlichen, sogar bronze- zeitlichen Schichten hineinragten. So ist es nicht verwunderlich, dass in diesem Umfeld neben mykenischer und zyprischer Keramik auch drei Siegel zu Tage kamen, die allesamt in die späte Bronzezeit zu datieren sind. Sie ergänzen den Fund von 23 Rollsiegeln, der im Vorjahr in der jüngsten spätbronzezeitlichen Schicht (14./13. Jh. v. Chr.) im unmittelbar südlich angrenzenden Bereich entdeckt wurde. Ein zusätzlich beim Putzen des Profils gefundener Rollsiegel- Rohling besteht aus Quarzfritte, d. h. dem Material, aus dem auch die meisten anderen der 30 spätbronzezeitlichen Rollsiegel des Tall ZirŒ‘a gefertigt sind. Die archäologischen Hinterlassenschaften der hellenistischen Periode sind wie in den letzten Jahren rar. Nur hellenistische Keramik und einige Münzen legen neben wenigen durch die römisch-byzantinische Schicht arg in Mitlei- denschaft gezogenen Fundamentresten Zeugnis von einer Besiedlung in die- ser Zeit auf dem Tall ZirŒ‘a ab.

AA-2009/1 Beiheft 424 Jahresbericht 2008 des DAI

Abb. 1 Tall Zirā‘a (Jordanien), Areal I. Aufsicht auf das jüngste spätbronzezeit- liche Stratum (14./13. Jh. v. Chr.) mit der Interpretation der einzelnen Baueinheiten

Auch in dieser Kampagne wurden keine architektonischen Hinweise dar- auf gefunden, dass der Tell in der persischen Periode besiedelt war. Dagegen konnten trotz der Störungen aus römisch-byzantinischer Zeit Architektur- reste aus der Eisen-II-Zeit (10.–8. Jh. v. Chr.) festgestellt werden, die das Bild der Bebauung in dieser Periode wesentlich ergänzen. Die noch vorhandenen beachtlichen Mauerfundamente der Eisen-I-Zeit (12./11. Jh. v. Chr.) lassen sich im nördlichen Ausgrabungsbereich wahrscheinlich zu einem für diese Zeit typischen palästinischen Vierraumhaus ergänzen. Ebenso eindrücklich und gut erhalten – obwohl auch durch römisch-by- zantinische wie eisenzeitliche Gruben gestört – sind die Fundamente der jüng- sten Phase der spätbronzezeitlichen Bebauung (14./13. Jh. v. Chr.). In dieser Kampagne konnte das schon 2007 angeschnittene große Gebäude im Norden von Areal I weiter freigelegt werden, in dem u. a. 23 Rollsiegel der Mitanni- Glyptik, ein Skarabäus mit der Kartusche Amenophis’ III. und ein Silberan- hänger mit der Darstellung einer nackten weiblichen Gottheit im südwestli- chen Raum zu Tage kamen. Nördlich daran angrenzend wurde in der dies- jährigen Kampagne ein Treppenhaus entdeckt und östlich davon ein Hof. Die Raumstruktur, die vermutete Ausdehnung von über 500 m2 und der außer- ordentliche Fundreichtum in diesem Gebäude lassen auf eine besondere Nut- zung schließen, die aufgrund des unvollständigen Bauplanes noch nicht be- stimmt werden kann. Im südlichen Abschnitt von Areal I wurden während dieser Kampagne die bereits freiliegenden eisenzeitlichen Schichten bis auf die späte Bronze- zeit ausgegraben (Abb. 1). In Eisenzeit II (10.–8. Jh. v. Chr.) konnten dort Wohnbauten entdeckt werden, die eine Zick-Zack-Außenmauer als westli- chen Siedlungsabschluss bilden. In Eisenzeit I (12.–11. Jh. v. Chr.) wurde ein bereits aus den Kampagnen 2006 und 2007 bekanntes, größeres Gebäude in der Tradition spätbronzezeitlicher Hofhäuser weiter ausgegraben und daran südlich angrenzend ein zweites mit ähnlichem Grundriss. In beiden Gebäuden gab es große Silos mit Wänden aus Lehm, die mehr als 1 m hoch anstanden. Hierin wurden Scherben eines ca. 30 cm hohen Götterhauses, das mit einer

AA-2009/1 Beiheft Forschungsstellen am DEI in Amman und Jerusalem 425

Abb. 2 Tall Zirā‘a (Jordanien), Areal II. Aufsicht und Interpretation

Tür und einem Henkel am oberen Ende des Gefäßes versehen war, gefun- den. In solchen Götterhäusern bewahrte man kleine Götterbildnisse auf, die im häuslichen Kult verehrt wurden. In den Höfen der beiden Gebäude fan- den sich große Wasserbehälter, Kochstellen sowie Handmühlen. In einem der Höfe konnte ein außergewöhnlich gut gebauter, mehrfach isolierter Ofen vollständig ausgegraben werden. Die Gebäude der Eisenzeit I benutzen z. T. die Steinfundamente der späten Bronzezeit als Basis. In der darunter liegenden spätbronzezeitlichen Schicht wurden wie im nördlichen Bereich die Fundamente eines ungewöhnlich großen Gebäudes mit mehreren Räumen sowie einem Innenhof freigelegt. Auch hier zeichnet sich der typische Grundriss eines Hofhauses ab – nur mit weitaus besser ge- setzten Mauern und insgesamt in wesentlich größeren Dimensionen als wäh- rend der Eisenzeit I. Während der abschließenden Arbeiten in diesem Sommer wurde im Hof eines kleineren spätbronzezeitlichen Hauses eine Grube entdeckt. Sie wurde aus Feldsteinen in Trockenbauweise errichtet und hat (wie eine baugleiche Grube in demselben Gebäude) vermutlich eine birnenförmige Form. Wäh- rend die bereits 2006 entdeckte Grube damals bis in eine Tiefe von 2,60 m (aber aus Sicherheitsgründen nicht bis auf ihren Boden) erforscht werden konnte, wurde nun in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nur eine Ausgrabungstiefe von ca. 1 m erreicht. Die Grube war mit Sand und erstaun- lich feuchtem Lehm gefüllt, in dem ein steinerner Keulenkopf und eine auf- grund der sie umgebenden Nässe stark angegriffene, bemalte Sandsteinfigu- rine, bei der es sich um einen Import aus Ägypten oder um eine levantinische Nachbildung dieser typisch ägyptischen Bildnisse handelt, gefunden wurden. Die Ausgrabungen in Areal II sind im Jahr 2006 begonnen worden. Das Areal liegt im Norden des Talls an einer erhöhten Stelle der Ortslage direkt oberhalb eines Steilhanges (Abb. 2). Aufgrund der vorangegangenen Gelän- debegehung sowie der besonderen topographischen Situation werden hier größere Bauten mit administrativen und/oder repräsentativen Funktionen er- wartet.

AA-2009/1 Beiheft 426 Jahresbericht 2008 des DAI

Das Ausgrabungsareal wurde in diesem Jahr im Süden und Osten bis auf eine Gesamtfläche von 825 m2 ausgeweitet, um den in den Vorjahren ange- schnittenen Gebäudekomplex vollständig zu erfassen. Dies gelang im Osten des Areals für das oberste byzantinische Stratum. Die darunter liegende Be- bauung ist an dieser Stelle erodiert. Im byzantinischen Stratum lässt sich nun ein Gebäudekomplex erkennen, der aus zwei Seitenflügeln und einem langen Korridor besteht. Der östliche Seitenflügel umfasst vier Räume, der westli- che zwei, die nördlich und südlich eines großen Hofes liegen. Der gesamte südliche Bereich des Gebäudes wurde in römischer oder byzantinischer Zeit zerstört – vielleicht durch eines der großen Erdbeben dieser Epoche – und unter Anbindung an noch vorhandene Mauern neu angelegt. In einem der Räume, dessen Mauern noch bis in eine Höhe von 1,80 m anstehen, konnten im Schutt mehrere vollständige Amphoren freigelegt werden. Es handelte sich vermutlich um einen Lagerraum. Dieser schloss südlich an einen Raum an, in dem mehrere Brotbacköfen und Kochgruben zu Tage kamen und der wohl eine Küche war. In beiden Räumen fanden sich im Schutt auch Reste von Wandmalereien, die darauf hindeuten, dass die angrenzenden Räume oder Räume in einem anzunehmenden oberen Stockwerk ausgemalt waren. Die Architektur unter dem großen byzantinischen Gebäudekomplex ist nur sehr fragmentarisch erhalten. Anders als das byzantinische Gebäude war sie nicht nordsüdlich, sondern nordost-südwestlich ausgerichtet. An mehre- ren Stellen wurden drei Lagen von Mauern entdeckt, die jeweils nur leicht gegeneinander verschoben sind, so dass man in diesem Stratum mit mehre- ren Wiederaufbauphasen rechnen muss. Da die einzelnen Fundamentmauern durch das byzantinische Stratum gestört wurden, bleibt es schwierig, die ein- zelnen Bauphasen zu korrelieren. Nur im Norden des Areals sind Räume er- kennbar, die von zusammengehörenden Mauern eingefasst sind. Dieses Stra- tum kann in die römische oder jüngere byzantinische Zeit datiert werden, was erst nach der abschließenden Keramikbestimmung mit Sicherheit zu sagen ist. Das unterste erreichte Stratum besteht aus einer 17 m langen und ca. 2 m breiten Mauer, die im Osten am Hang abbricht. Sie könnte im Zusammen- hang mit einer augenblicklich nur durch drei Quadersteine erkennbare, par- allele Mauer im Nordwesten des Areals und mit einer senkrecht dazu verlau- fenden Mauer im Süden stehen. Diese Vermutung kann aber erst nach dem Abtragen des großen byzantinischen Gebäudekomplexes untersucht werden. Eine Datierung dieses Befundes ist noch nicht möglich. Areal II wird im kommenden Jahr in Richtung Süden und Westen erwei- tert, um hier den Abschluss des großen byzantinischen Gebäudekomplexes zu erhalten. Die Sommerkampagne 2008 war der erstmaligen Ausgrabung in Areal III im Süden des Tells gewidmet. Hier war in den vorangegangenen Jahren eine intensive Begehung und Vermessung durchgeführt worden, um die an der Oberfläche erkennbaren Baustrukturen zu erfassen. Im Vorjahr wurde das Areal von eindeutig nicht mehr im Kontext befindlichen Steinen geräumt und ein Testschnitt angelegt. Dieser erbrachte 60 cm unter der Oberfläche einen Eingang mit einem kleinen Tosbecken mit Abfluss in Richtung einer bereits bekannten Zisterne und einen Mosaikfußboden. Das untermauerte die Annahme, dass hier dicht unter der Oberfläche ein für die römische Zeit typisches Landhaus liegen könnte. Areal III wurde auf einer Fläche von 600 m2 geöffnet. Dabei kam der mit einfachen Mosaiken versehene Innenhof zu Tage, in dem die Öffnung zu einer ca. 6 m × 12 m großen Zisterne liegt, die bereits 2001 und 2003 dokumentiert wurde. Der Hof öffnet sich mit ei- ner breiten Tür in Richtung Westen, von dem aus man einen schmalen Raum

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3 a 3 b

Abb. 3 a. b Tall Zirā‘a (Jordanien), Krug betritt. Er wird in südlicher und östlicher Richtung von mehreren Räumen aus der späten Bronzezeit. Der Dekor umgeben. zeigt Schlangen, zwei Löwen, einen Stier, Wie sich bereits durch die Geländebegehung und bei der Sammlung der weidende Tiere und einen auf einem Hocker sitzenden Leierspieler Oberflächenkeramik abgezeichnet hatte, wurde das Gebäude auch in späterer Zeit wiederbenutzt. Dabei wurde es mehrfach umgebaut. Am besten erhalten aus dieser Umbauphase ist eine Ölpresse, die im äußersten Osten des Areals aufgedeckt wurde. Die gefundene Keramik deutet auf eine intensive mamlu- kische Nutzung hin. 122 der 480 in Deutschland restaurierten und allesamt nach Jordanien zu- rückgeführten bedeutendsten Funde der Ausgrabungskampagnen 2003–2006 auf dem Tall ZirŒ‘a wurden in diesem Jahr dem neu eingerichteten National- museum in Amman übergeben. Dazu zählen zahlreiche Bronzeobjekte, die in Jordanien in diesem guten Erhaltungszustand selten sind, sowie einige einzig- artige Funde, wie z. B. der mit Tieren und einem Leierspieler bemalte Krug aus der späten Bronzezeit (Abb. 3 a. b). In der Kampagne im kommenden Jahr werden die Ausgrabungen in den Arealen I und II fortgesetzt. Sie soll sich dem lange geplanten Survey südlich von Gadara im Wadi al-‘Arab, in dem der Tall ZirŒ‘a liegt, und im Wadi az- Zahar widmen. II. Dreidimensionale Rekonstruktionen: Ein viel versprechender Weg im Um- gang mit den komplexen archäologischen Datensammlungen ist die dreidi- mensionale Rekonstruktion antiker Architektur am Computer. Dabei wird außerdem das Verständnis der prähistorischen Lebensumwelt für ein weites Publikum ermöglicht. Diese Umsetzung im virtuellen Raum erlaubt multi- perspektivische Einblicke sowie die Darstellung dynamischer Prozesse, die mit herkömmlichen Illustrationstechniken lediglich schwer oder gar nicht erzeugt werden können. In der photorealistischen Visualisierung besteht erst- mals die Möglichkeit, zusätzliche material- und umweltspezifische Aussagen über Oberflächenbeschaffenheit und Farbgebung zu treffen. Der architekto- nischen Darstellung im authentischen Zusammenhang von städtebaulichem und landschaftlichem Umfeld wird durch Ergänzung mit Ausstattungsele- menten und Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfs eine realistische Anmutung gegeben. Obwohl 3D-Rekonstruktionen bislang noch als Ausnahme gelten, sind deren Potentiale für Forschung, Lehre und Öffentlichkeit beträchtlich. Die Sorge um wahrheitsgetreues Abbilden und spekulative Detailgenauigkeit so- wie das Misstrauen gegenüber einer Wirklichkeitsrekonstruktion mit Absolut- heitsanspruch weichen dabei der Erkenntnis, dass auch spärliche Daten und

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Abb. 4 Tall Zirā‘a (Jordanien), Rekonstruk- tion der bronzezeitlichen Stadtanlage (Stand 2008)

lückenhafte Befunde durch die dreidimensionale Aufarbeitung in einen wert- vollen Kontext von Raum, Zeit und kulturellem Alltag versetzt werden kön- nen. Daraus resultierend gewinnt nun auch ein breites Publikum in Museen, im Fernsehfunk oder im Internet eine greifbare Vorstellung und somit ein tieferes Verständnis für die Arbeit der Archäologen. Aber auch den Wissen- schaftlern selbst bietet die Arbeit an einer animierten 3D-Rekonstruktion neue Reflexionsansätze. Eine erste Rekonstruktion bestand aus einem typischen eisenzeitlichen Vierraumhaus, wie es auch auf dem Tall ZirŒ‘a freigelegt wurde. Ein zweites Projekt ist die Rekonstruktion des spätbronzezeitlichen Stratums (14./13. Jh. v. Chr.) in Areal I auf dem Tall ZirŒ‘a. Ausgehend von den Befunden der lau- fenden Grabungsarbeiten sowie photogrammetrischer und geophysikalischer Untersuchungen des Gesamtareals entstand zunächst eine Rekonstruktion des möglichen Stadtplanes, der ein allgemeines Bild von der Besiedlung des Tall ZirŒ‘a zu dieser Zeit zulässt (Abb. 4). Die Herleitung von Stadtmauerring, Wohnbebauung sowie Sonderbau- werken wie Tempel und Palast beruht auf typologischen Rückschlüssen aus gesicherten Referenzen der Region und Epoche. Aufgrund der Konstrukti- onsmaße des ausgegrabenen Abschnittes der Kasemattenmauer und des an- grenzenden Turmes lassen sich die vertikalen Dimensionen dieser Bauwerke realistisch schätzen. Die Zinnenform, Ornamentik sowie weitere formale As- pekte wurden analog zu anderen Anlagen im palästinischen und mesopotami- schen Raum modelliert. Jedoch reichen Überlegungen allein auf der Grund- lage von Quellen nicht aus, um die Lücke zwischen dem vorhandenen Doku- mentationsmaterial und dem angestrebten Rekonstruktionsziel zu schließen. Ein entscheidender Faktor bei der Bewältigung dieser Herausforderung ist der Sachverstand für konstruktive, ökonomische sowie kulturelle Gesichtspunkte im Entstehungsprozess baulicher Anlagen. Eine Symbiose solcher Kompeten- zen und praktischer Erfahrung in Architektur und Bauhistorie einschließlich eines ausgeprägten Bewusstseins für ästhetische Maßstäbe ist für die geleiste- te Arbeit unabdingbar. III. Archäometrische Untersuchungen: Im Rahmen eines archäometrischen Projekts, naturwissenschaftliche Untersuchungen an ausgewählten Artefak- ten des »Gadara-Region Projects«, werden technikgeschichtliche Fragestel- lungen erkundet. Ziel ist es, deren Fertigungsorte, Art und Herkunft der ver- wendeten Materialien sowie die zur Herstellung verwendeten Techniken zu klären. Dabei nehmen die archäometrischen Untersuchungen von Keramiken

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Abb. 5 Tall Zirā‘a (Jordanien), Entwicklung der Kochtopfherstellung auf dem Tall Zirā‘a von der frühen Bronzezeit bis in die byzan- tinische Epoche in Bezug auf Wandstärke und Materialverwendung

eine herausragende Stellung ein. Seit 2003 wurden in elf Grabungskampa- gnen ca. 185 000 Scherben ausgegraben und in 78 Warengruppen unterteilt. Da die Farbbestimmung für die Unterscheidung von Warengruppen eine wichtige Rolle spielt und der visuelle Abgleich mit dem »Munsell Book of Soil Color Charts« nicht immer eindeutig ist (u. a. durch subjektive Wahrnehmung der Farben) wird zurzeit an einem einfachen und kostengünstigen farbmetri- schen (physikalischen) Messverfahren gearbeitet. Bislang konnten 300 Keramiken, die unter repräsentativen Gesichtspunk- ten ausgewählt wurden, auf ihre chemische und mineralogische Zusammen- setzung hin untersucht werden. Um Hinweise auf ihre Herkunft zu erhalten, wurden in diese Untersuchungen Referenzproben von Keramiken umliegen- der Ortslagen sowie von Tonen vom Tall Zira’a und seiner näheren Umge- bung (Provenienzpostulat) und von solchen Tonartefakten einbezogen, die mit Sicherheit aus lokalen Tonmaterialen gefertigt wurden (Tabune, Dach- und Lehmziegel). Danach lassen sich die Keramiken in ca. 30 unterschiedliche ›Provenienz- gruppen‹ einteilen. Die meisten Keramiken bestehen aus kalkreichen Tonen, da der geochemische Fingerprint demjenigen der Referenzproben sehr nahe kommt, kann von einer lokalen Fertigung ausgegangen werden. Diese gab es in allen Zeitepochen, allerdings scheint in der römisch-byzantinischen und umayyadischen Zeit regionale und überregionale Fertigung zu dominieren. Auch wurden importierte Waren identifiziert, von denen die spätbronzezeit- lichen aus Zypern und Mykene die wohl markantesten sind. Die Keramikentwicklung über die einzelnen Zeitepochen hin lässt sich u. a. aus der Art der verwendeten Tone ableiten: Je aufwendiger die Keramik (dünnwandiger, härter gebrannt, funktionaler, ästhetischer etc.), umso grö- ßer ist der plastische Anteil (Al-haltige Tonmineralien) in den verwendeten Tonen. Das Verhältnis plastischer/nicht plastischer Anteil konnte anhand der chemischen und mineralogischen Analyse abgeschätzt werden. Es zeigt sich, dass die Keramiken aus jeweils späteren und/oder ›reicheren‹ Zeitepochen in der Regel einen deutlich höheren plastischen Anteil aufweisen. Kochtöpfe (Abb. 5) nehmen in Bezug auf die Keramikentwicklung eine Sonderstellung ein, da die technischen Anforderungen (thermische/mecha- nische Stabilität und Wärmeleitfähigkeit) an sie besonders hoch waren. Die lokale/regionale Entwicklung dieses Gefäßtypus erreichte in der Eisenzeit II ihren Höhepunkt, was sich in einer typologischen Vielfalt und Optimierung der Wandstärken widerspiegelt. Dies wurde durch Erhöhung des plastischen

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Anteils sowie durch Reduzierung des CaO gegenüber dem SiO2 erreicht, was wiederum zu höheren Brenntemperaturen führte. Die römisch-byzanti- nischen Kochtöpfe stehen nicht mehr in der Kontinuität der lokalen/regio- nalen Entwicklung, da Rezepturen (hoher SiO2- Gehalt, großer plastischer Anteil) und Techniken (hohe Brenntemperaturen, dünnwandig, geringes Ge- wicht) ganz offensichtlich aus Europa importiert wurden. Zum besseren Verständnis der ›Technikentwicklung‹ wurden über Nach- brennversuche die mutmaßlichen Brenntemperaturen der analysierten Kera- miken und über Brennversuche die Brenneigenschaften verschiedener Ton- mischungen ermittelt. Auf den gewonnenen Erkenntnissen aufbauend konnte dann ein für die späte Bronzezeit typischer, ›einzügiger‹ Keramikofen gebaut werden, in dem sich problemlos Temperaturen von 600–700º C erzeugen und halten ließen. Temperaturen von mehr als 900º C, wie sie für die römi- sche Keramik erforderlich waren, konnten nur kurzfristig und unter hohem Brennstoffverbrauch erreicht werden. Das bedeutet, dass in römischer Zeit sowohl eine andere Keramikherstellung stattfand als auch eine andere Brenn- technik verwendet wurde, die trotz des bereits in der Eisenzeit II hohen tech- nischen Standes der Keramikproduktion am Tall ZirŒ‘a in römischer Zeit nicht zum Tragen kam. Kooperationspartner – Ausgrabungen auf dem Tall ZirŒ‘a: Biblisch- Archäologisches Institut Wuppertal • Leitung des Projekts: D. Vieweger, J. Häser • Abbildungsnachweis: BAI/DEI (Abb. 1–3). Kooperationspartner – Dreidimensionale Rekonstruktionen: Biblisch- Archäologisches Institut Wuppertal; Firma archimetrix Weimar/Berlin • Leitung des Projekts: D. Vieweger, J. Häser • Abbildungsnachweis: BAI (Abb. 4). Kooperationspartner – Archäometrische Untersuchungen: Biblisch- Archäologisches Institut Wuppertal; Deutsches Bergbaumuseum Bochum (A. Hauptmann, M. Prange, D. Kirchner, Archäometrie); Institut für Druck- und Medientechnologie der Bergischen Universität Wuppertal (Erarbeitung ei- nes farbmetrischen Messverfahrens) • Leitung des Projekts: W. Auge, D. Vie- weger, J. Häser • Abbildungsnachweis: BAI (Abb. 5).

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