Thomas Benedikter

Mehr Autonomie wagen Südtirols Autonomie heute und morgen

1 Thomas Benedikter Mehr Autonomie wagen Südtirols Autonomie heute und morgen Vorausgeschickt: Zeit für eine Generalüberholung

POLITiS 7 Aktualisierte Neubearbeitung, Januar 2021 1 Die Geschichte der Südtirol-Autonomie im Zeitraffer Zeittafel Copyright © Thomas Benedikter 15 Alle Rechte vorbehalten 2 Warum eine Reform des Statuts? Gespräch mit Senator DDr. Karl Zeller Herausgeber: Studienkreis POLITiS - Politische Bildung und Studien in Südtirol 3 Zuständigkeiten: die Palette vervollständigen 27 Weinstr. 60, 39057 Frangart (Eppan), Tel. +39 324 5810427 Gespräch mit Senator a.D. Prof. Oskar Peterlini [email protected] www.politis.it 4 Reformbedürftige Paritätische Kommissionen 42 Gespräch mit L.Abg. Andreas Pöder Konzept, Texte und Interviews: Thomas Benedikter Lektorat: Prisca Prugger Gleichstellung der Sprachen: Grundsäule des Minderheitenschutzes 50 Beratung: Alberto Bistarelli, Peter Fulterer 5 Gastautor: Simon Constantini Gespräch mit Prof. DDr. Günther Pallaver Layout, Grafiken und Covergestaltung: Hanna Battisti 63 Fotos: POLITiS, Hanna Battisti, WIKIMEDIA Commons 6 Welche Alternativen zum Proporz? Landespresseamt, Institut Ladin Micurá de Rü Gespräch mit Simon Constantini Druck: ESPERIA Lavis (TN) 7 Steuerhoheit oder Landesfinanzen am staatlichen Tropf? 74 Eine „Sportautonomie“ für Südtirol? 8 Braucht Südtirol eine zweisprachige Schule? 82 Gespräch mit L.Abg. Brigitte Foppa Gastbeitrag - Simon Constantini: Zweisprachige Schule – Individuum und Gesellschaft 96 9 Demokratische Spielräume erweitern 98 Eine autonome Gerichtsverwaltung? Die von POLITiS genutzte Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 legt fest, dass die Vervielfältigung und Ver- 10 Eine neue „ethnische Konkordanzregel“ für die Politik? 106 breitung nur dann erlaubt wird, wenn der Name der Autorin bzw. des Autors genannt wird, wenn Gespräch mit L.Abg. Alessandro Urzì die Verbreitung nicht für kommerzielle Zwecke erfolgt und wenn keine Bearbeitung, Abwandlung oder Veränderung erfolgt. 11 Wie autonom ist Südtirol in der Wirtschafts- und Sozialpolitik? 117 Gespräch mit Tila Mair 12 Autonomie wahren gegenüber Brüssel 129 Danksagung Das Regierungskommissariat: braucht ein autonomes Land einen Wachhund? Ein besonderer Dank geht an alle Experten und Expertinnen, Politiker und Politikerinnen, die uns im Rahmen dieser 137 Arbeit Interviews gewährt haben, sowie an Simon Constantini für seinen speziellen Beitrag. 13 Die Region Trentino-Südtirol: Unseren Dank sprechen wir aus der Autonomen Region Trentino-Südtirol für den Druckkostenzuschuss sowie der Stif- Plattform der Zusammenarbeit oder entbehrliches Relikt? tung Südtirol Sparkasse für die finanzielle Unterstützung. Außerdem geht ein ganz herzlicher Dank an Prisca Prugger fürs Gespräch mit Senator a.D. Marco Boato Lektorat, an Alberto Bistarelli und Peter Fulterer für die Beratung sowie an Hanna Battisti fürs Layout und die Gesamt- gestaltung. Die in dieser POLITiS-Publikation vertretenen Positionen decken sich nicht unbedingt mit jenen des Studien- 14 Mehr Rechte für die Ladiner im Statut 145 kreises als solchem. Gespräch mit DDr. Christoph Perathoner (1. Teil) Hinweise 15 Die Autonomie demokratisch abändern und absichern 154 Wir legen größten Wert auf geschlechtsspezifische Gleichbehandlung. Nur zur besseren Lesbarkeit wurde auf die durch- Gespräch mit DDr. Christoph Perathoner (2. Teil) gehende Nennung beider Geschlechter verzichtet. Die wesentlichen unter das Gendering fallenden Ausdrücke werden abwechselnd nach Geschlecht verwendet. In den Interviews ist der Kürze und Lesbarkeit wegen das Gendern unterblie- 16 Autonomie-Konvent und Verfassungsreform – Und dann? 162 ben. Ausblick auf die Zukunft der Autonomie Die Quellenverweise im Text beziehen sich auf die „Vertiefende Literatur“ am jeweiligen Kapitelende.

Die Drucklegung dieser Publikation wurde ermöglicht durch einen Beitrag der Stiftung Südtiroler Sparkasse und der Verwendete und vertiefende Literatur Autonomen Region Trentino-Südtirol. 170 Publikationen von POLITiS - Der Autor - Der Herausgeber 174

2 3 Verzeichnis der Tabellen dieser Kompromiss dem Parlament vorgelegt wer- Tab.1 - Der Rechtsstreit Staat - Autonome Provinz Bozen Tab.2 - Südtirol: die beste Autonomie Europas? den konnte. Dann gingen gut 20 Jahre zäher Ver- Tab.3 - Die Entwicklung der Zuständigkeiten der Autonomen Provinz Bozen - Südtirol handlungen zwischen Bozen und Rom ins Land, bis Tab.4 - Genehmigte Gesuche zur Wohnbauförderung - 2012 das Statut in durchführbares Recht umgesetzt war. Tab.5 - Stimmenanteile der regierungsbildenden Parteien im Südtiroler Landtag Tab.6 - Vorschläge von Luis Durnwalder zur Reform der Autonomie Mitte 1992 konnten Italien und Österreich den Streit Tab.7 - Das Autonomiestatut morgen - Übersicht über die Reformvorschläge um Südtirol für beendet erklären. Tab.8 - 35 Vorschläge zur Autonomiereform Die soziale, wirtschaftliche, und kulturelle Entwick- Verzeichnis der Grafiken lung ist seitdem nicht stehen geblieben. Im Gegen- Grafik 1 - „Gute“ und „sehr gute“ Zweitsprachkenntnisse in Südtirol Grafik 2 - Öffentlich Bedienstete nach Sprachgruppe 2014 teil: der Gesamtkontext hat sich zugunsten Südtirols Grafik 3 - Sicherungspakt für die Landesfinanzen 2014 verändert. Österreich trat der EU bei, die Grenzbal- Grafik 4 - Zweitsprachkenntnisse der OberschülerInnen in Südtirol Grafik 5 - Die ladinischen Gemeinden ken am Brenner, am Reschen und in Winnebach fie- len dank des Schengen-Abkommens und 2001 führte Abkürzungsverzeichnis ASt. Autonomiestatut eine Kerngruppe der EU die Gemeinschaftswährung ASTAT Landesinstitut für Statistik ein. Ebenfalls 2001 erweiterte Italien die Autonomie BIP Brutto-Inlandsprodukt der Regionen mit Sonderstatut mit einer Verfas- CLIL Content and Language Integrated Learning DFB Durchführungsbestimmung sungsreform. Eine Anpassung oder gar Runderneu- EVTZ Europäischer Verbund Territorialer Zusammenarbeit erung des Statuts der Autonomen Region Trentino- GIS Gemeindeimmobiliensteuer GVD Gesetzesvertretendes Dekret Südtirol von 1972 blieb allerdings bis heute aus. IGH Internationaler Gerichtshof LH Landeshauptmann Dabei wandelte sich die Autonomie andauernd, denn LD Legislativdekret es gelang den Südtiroler Vertretern in Rom und Bo- LVA Landesvermögensabgabe R.G. Regionalgesetz zen kontinuierlich, dem Staat neue Zuständigkeiten PD Partito Democratico abzuringen. Auch mussten vielfach aktuelle Fragen PV Pariser Vertrag SVP Südtiroler Volkspartei in den Paritätischen Kommissionen gelöst werden, VerfGH Verfassungsgerichtshof musste auf Verfassungsgerichtsurteile und Unions- VerfG Verfassungsgesetz Verf Verfassung recht mit Änderungen am geltenden Recht reagiert VerfGE Verfassungsgesetzentwurf Voraus geschickt oder gegen Eingriffe des Staats geklagt werden. Die politische Eigenständigkeit ist so zum Teil erweitert Verzeichnis der Abbildungen Abb.1 Feuernacht, Kundgebung Sigmundskron 1957, Magnago worden, zum Teil mussten – wie letzthin bei den Fi- Abb.2 Matteo Renzi und Karl Zeller im Senat, Rom (Pressedienst) nanzen und im Zuge von zahklreichen Verfassungs- Abb.3 Silvius-Magnago-Platz, Bozen Abb.4 Einstige 6er-Kommission. Heutige 12er-Kommission Zeit für eine Generalüberholung gerichtsurteilen seit 2001 – auch Rückschläge in Kauf Abb.5 Toponomastik im Überetsch genommen werden. Abb.6 Peperoni-Proporz Abb.7 LH Kompatscher, Minister Padoan, LH Rossi (LPA) Das 2. Autonomiestatut ist in die Jahre gekommen, 49 Abb.8 Schüler und Schülerinnen genau gesagt. Es bildet seit 1972 die Grundlage der Während die Autonomie seit 1992 scheibchenweise Abb.9 Demonstration gegen den Flughafen Bozen, Mai 2016 Abb.10 Alpin-mediterrane Gastro-Harmonie Südtiroler Autonomie, immer noch eingefügt in den weiterentwickelt wurde, reicht diese Vorgangswei- Abb.11 Gewerbezone Bozen Süd ungeliebten Überbau der Region Trentino-Südtirol. se jetzt nicht mehr. Eine Generalüberholung steht Abb.12 Gipfeltreffen des EVTZ in Riva, Mai 2016 (LPA) Abb.13 Regionalrat in Trient Das Statut ist eine Art „Landesverfassung“, die nicht an, die manche Beobachter schon als das „3. Auto- Abb.14 Ladinisches Kulturinstitut Micurá de Rü nur die Reichweite der politischen Eigenständigkeit nomie-Statut“ bezeichnen. Den Hintergrund dafür Abb.15 Bahnhof Bozen des Landes in der Gesetzgebung und Verwaltung re- bildet die Verfassungsreform der seit Februar 2014 Abb.16 Workshop des Autonomiekonvents im Palais Widmann gelt, sondern auch zahlreiche Bürgerrechte, die Finan- amtierenden Regierung Renzi, die statt der -erhoff zen, das Funktionieren der politischen Organe und die ten Föderalisierung eine Schubumkehr in Richtung Organisation des Zusammenlebens. Jahrelang hatte Re-Zentralisierung angeordnet hat. Die Regionen man zwischen Wien, Rom und Bozen gefeilscht, bis mit Sonderstatut sollten, laut Zusagen und Schutz-

4 5 links: nach der klauseln, zunächst davon verschont bleiben, müssen Feuernacht 1961 Mitte: Kundgebung sich aber in den nächsten Jahren anpassen. Tatsäch- auf Sigmundskron 1957 lich ist die Mehrheit der Artikel des Statuts von 1972 rechts: Silvius revisionsbedürftig. Wie weit wird diese „Revision“ Magnago und Peter Brugger bei der SVP reichen? Landesversamm- 2015 setzte der Südtiroler Landtag mit seinem Lan- 1 lung 1969 desgesetz zum Autonomie-Konvent einen neuen Ak- zent. Die Reform des Autonomiestatuts sollte erst- mals nicht mehr nur auf höchster Ebene in kleinsten Die Geschichte der Expertenkreisen verhandelt werden, sondern die Bürger und Bürgerinnen sollten in einem partizipa- Südtirol-Autonomie tiven Prozess mitreden können. Von „Konvent“ zu reden, was an verfassunggebende Versammlungen im Zeitraffer erinnert, ist zwar übertrieben, doch die Botschaft Eigentlich hätte Südtirol bereits 1948 eine eigenständige Region Italiens mit einer echten Territorialautonomie bleibt: auch beim Verfahren zur Weiterentwicklung werden sollen. Dies hätte dem Geist des Pariser Vertrags entsprochen. Lange Auseinandersetzungen – diploma- der Autonomie sollen neue Wege beschritten wer- tisch, politisch und gewaltsam ausgetragen – gingen dem 2. Autonomiestatut von 1972 voraus, ein Kompromiss den, um dem Reformvorschlag mehr demokratische zwischen dem Staat und der deutschen und ladinischen Minderheit folgte. Weitere 20 Jahre gingen ins Land Legitimation zu verschaffen. bis zur Umsetzung der „Paketautonomie“ und nach 44 Jahren scheint die Zeit reif für einen weiteren Qualitäts- Diese neue Form der Bürgerbeteiligung an der Au- sprung. „Gut Ding braucht gut Weil“ scheint auch für das Erwachsen-Werden einer Autonomie zu gelten. tonomiereform gab POLITiS den Anlass, Reformvor- schläge etwas systematischer einzubringen als es in Südtirol war Jahrhunderte lang integraler Teil Tirols, in allen Bereichen des sozialen, politischen und kultu- einer Debatte am Podium oder etwa im „Forum der das seinerseits von 1363 bis 1919 mit Unterbrechung rellen Lebens unterdrückt. Deutsche Schulen, Parteien 100“ des Autonomiekonvents erfolgen kann. der bayrischen (1806-1809) und napoleonischen Be- und Gewerkschaften wurden verboten und sogar Eigen- Das Statut ist ein komplexes Regelwerk mit Stärken, satzungszeit (1810-1814) zum Habsburgerreich gehör- namen zwangsweise italienisiert. Dieser Versuch, beide aber auch Schwächen und zahlreichen Schranken. te. Italien unterzeichnete 1915 einen Geheimpakt mit nationalen Minderheiten zu assimilieren, rief nicht nur Schon 1972 war es aus der Sicht der deutsch- und der Entente, der zu seinem Kriegseintritt an der Seite Widerstand im Untergrund hervor, sondern erzeugte ladinischsprachigen Südtiroler eine Kompromiss- Großbritanniens, Frankreichs und Russlands führte. Ei- auch ein lang anhaltendes Misstrauen gegenüber dem lösung. Welche Anpassungen sind heute überfällig nes der Gebiete, die Italien als Lohn dafür in Aussicht italienischen Staat als solchem. und warum? Welche neuen Lösungen für umstritte- gestellt wurden, war Südtirol. ne Fragen gibt es? Wo kann der Umfang der Auto- Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutsch- nomie zum Wohl des ganzen Landes erweitert wer- Südtirol wurde mit dem Abkommen von Germain- land 1938 vereinbarten Hitler und Mussolini, „das Ka- den? Welche demokratischen Spielräume sollten im en-Laye bei Paris 1919 offiziell Teil Italiens. Laut der pitel Deutsch-Südtirol endgültig zu schließen“. Allen Statut besser verankert werden? Auf diese und viele letzten von Österreich durchgeführten Volkszählung deutschsprachigen Einwohnern des Landes wurde die andere Fragen geht diese Publikation ein, die sich als bestand seine Bevölkerung 1910 zu 93% aus Deut- Option geboten, ins Deutsche Reich umgesiedelt zu Beitrag zum partizipativen Prozess der Autonomiere- schen, 4% Ladinern und 3% Italienern. Obwohl Italien werden oder in Italien zu verbleiben mit der Perspek- form versteht. versprach, die Identität der neuen Minderheiten zu tive der vollständigen Assimilation. Bis Ende 1939 ent- An dieser Stelle einen Dank allen Interviewpartnern schützen, wurden dafür keine praktischen Maßnahmen schieden 86% der Südtiroler, ins Deutsche Reich auszu- und Interviewpartnerinnen, allen Förderern, Bera- gesetzt. 1922 ergriffen in Rom die Faschisten die Macht wandern, doch infolge des Ausbruchs des 2. Weltkriegs tern und Mitwirkenden an dieser Publikation und und setzten den Hoffnungen der Südtiroler auf - Aner verließ nur ein Drittel der Südtiroler tatsächlich ihre Ihnen eine fruchtbare Lektüre. kennung und Schutz ein jähes Ende. In den folgenden Heimat. Zahlreiche „Optanten“ konnten nach dem Krieg 21 Jahren wurde der deutsche Charakter des Landes wieder zurückkehren. Thomas Benedikter Frangart, Jänner 2021

6 7 Ringen um Autonomie nome Gebiet verbindlich festgelegt wurde, was wie- aber ihr Schlagwort „Los von Trient“ verhallte zunächst Die Umsetzung nach dem 2. Weltkrieg derum in der Strategie Degasperis begründet lag. „Die ergebnislos. 1959 verließ die SVP, die Sammelpartei der Paketautonomie einzige Garantie, die die Südtiroler mit dem Autonomie- der beiden ethnischen Minderheiten, die Regionalre- 1945 versuchten die Südtiroler, unter Führung der abkommen Gruber-Degasperi am 5.9.1946 zunächst gierung. Im September 1959 wurde die Südtirol-Frage Das neue Autonomiestatut bildet einen integralen Teil neu gegründeten Südtiroler Volkspartei (SVP) das hatten, war der ‚gute Wille‘, der sich beide Signatarstaa- vor die Vereinten Nationen gebracht. Während Südti- der italienischen Verfassung. Das Paket bestand aus 137 Recht auf Selbstbestimmung zu erhalten. 1946 - wur ten gegenseitig versicherten“ (Gehler 2012, 328). roler Attentäter beginnend mit der Feuernacht 1961 Einzelmaßnahmen: 97 erforderten die Abänderung des den in wenigen Monaten 163.777 Unterschriften für mehrere Bombenanschläge verübten, antwortete der bisherigen Autonomiestatuts durch ein Verfassungsge- Italien versuchte, diese Verpflichtungen durch das 1. eine entsprechende Volksabstimmung gesammelt. italienische Staat mit harter Repression. Manche His- setz, acht Durchführungsbestimmungen zu diesem Sta- Autonomiestatut zu erfüllen, das noch am 31. Janu- Innsbruck, die Hauptstadt des nördlichen Teils Tirols, toriker bestreiten noch heute die Wirkung der politisch tut, 15 ordentliche Staatsgesetze, neun Verwaltungs- ar 1948 durch die Verfassunggebende Versammlung erlebte am 5. Mai 1946 eine gewaltige Demonstrati- motivierten Gewalt. Doch „mit einer früher gewährten dekrete und der Rest andere Verwaltungsmaßnahmen. verabschiedet wurde. „Die Hauptlast für die Verwirkli- on für die Selbstbestimmung Südtirols. Doch hatten eigenen und substanziellen Provinz-Autonomie für Bo- Nach 20 Jahren intensiver Verhandlungen waren alle chung der Vereinbarungen (Pariser Vertrag) lag auf den die Siegermächte des 2. Weltkriegs diese Forderung zen hätten die bereits in der zweiten Hälfte der 1950er wichtigen Bestimmungen des Pakets umgesetzt. Am 22. Schultern der Minderheit und vornehmlich auf jenen bereits im Herbst 1945 abgelehnt. Somit blieb Öster- Jahre autochthon organisierten Anschläge keine politi- April 1992 übermittelte Italien der Regierung in Wien der Sammelpartei SVP, der keine andere Wahl blieb als reich keine andere Wahl, als mit Italien zumindest eine sche, geschweige denn moralische Grundlage gehabt. eine entsprechende Note, worauf diese am 11.6.1992 die Reihen zu schließen und alle Kräfte ‚zu sammeln‘, möglichst weit reichende Autonomie auszuhandeln. Mit Autonomie keine Bomben und mit Demokratie kei- vor den Vereinten Nationen offiziell erklärte, dass der was Uniformitätsdruck bedeutete, die Diversifizierung Eine Vereinbarung in diesem Sinne wurde im Rahmen ne Attentate.“ (Gehler 2012, 330). Streit beigelegt worden war. eines pluralistischen Parteiensystems verhinderte und der Pariser Friedensverhandlungen erzielt. Am 5. Sep- Mit dem 2. Autonomiestatut (115 Artikel in 12 Kapiteln) damit insgesamt einer Demokratisierung Südtirols mit Eine aus Südtirolern und Italienern zusammengesetzte tember 1946 unterzeichneten der italienische Premi- wurden die Befugnisse der Region und der Provinzen einer wirksamen Opposition entgegenwirkte“ (Gehler Kommission („19er-Kommission“) wurde gebildet, um erminister Degasperi und der österreichische Außen- neu definiert, wobei die Macht der beiden Provinzen im 2012, 328). Trotz starker Opposition der Südtiroler Ver- einen Kompromiss zu finden. Schritt für Schritt- wur minister Gruber diesen „Pariser Vertrag“, der als Teil Vergleich zum 1. Statut erheblich ausgeweitet wurde. treter wurde diese Autonomie, die eigentlich gemäß de ein neues Maßnahmenpaket, genannt „das Paket“, des offiziellen österreichisch-italienischen Friedens- Die Region Trentino-Südtirol blieb zwar aufrecht (Art. 1 Pariser Vertrag nur für Südtirol gelten sollte, auf die ita- geschnürt, das Südtirol echte Autonomie verschaffen vertrags vom Februar 1947 der Südtiroler Autonomie ASt.), doch erhielten die beiden Provinzen viel weiter- lienischsprachige Nachbarprovinz Trentino ausgedehnt sollte. Es umfasste 137 Maßnahmen zur Änderung eine völkerrechtliche Absicherung verlieh. Der deut- gehende Zuständigkeiten und durch den Verfassungs- und eine neue Region „Trentino-Tiroler Etschland“ des 1. Autonomiestatuts. Eine knappe Mehrheit von schen Volksgruppe wurde „substanzielle Autonomie“ rang eine erhöhte Bestandsgarantie. Die Autonomiebe- geschaffen. Diese Region hatte eine klare italienische 52,8% der Delegierten nahm dieses Paket auf der SVP- zugestanden, Österreich als Schutzmacht anerkannt stimmungen gelten für beide Provinzen gleichermaßen, Mehrheit und erhielt weit mehr Macht als die Provinz Landesversammlung am 23. November 1969 an: „Das und „völlige Gleichheit der Rechte mit den italienisch- doch für Südtirol brachte das Statut von 1972 eine gan- Bozen, das eigentliche Minderheitengebiet Südtirol. Die Argument der Gegner war, dass die Annahme des Pa- sprachigen Einwohnern innerhalb des Rahmens von ze Reihe von Sonder- und Zusatzbestimmungen, z.B. zur geringen autonomen Kompetenzen Südtirols konnten kets dem endgültigen Verzicht auf eine Rückkehr zu Sondergesetzen zugesichert, die den ethnischen Cha- Zweisprachigkeit, zum Bildungswesen, zum ethnischen so kaum Wirkungen zeigen, auch weil die entsprechen- Österreich gleichkam. Magnago war hingegen der Mei- rakter und die kulturelle und wirtschaftliche Entwick- Proporz im öffentlichen Dienst, zur Toponomastik und den Durchführungsbestimmungen zum Autonomiesta- nung, dass eine solche unrealistisch sei und man mit lung des deutschsprachigen Elements gewährleisten zu Entscheidungsverfahren im politischen Bereich. tut nicht erlassen wurden. Die Enttäuschung und Unge- der Paketlösung ‚zu 80% von Trient losgekommen‘ sei“ sollen“. Unter anderem sieht dieser Vertrag vor: Ausgehend vom Pariser Vertrag zielt dieses Autono- duld der Südtiroler wuchsen rasch. (Lantschner 2005, 35). Anschließend stimmten auch miestatut auf die Erhaltung und kulturelle Entfaltung das österreichische und das italienische Parlament zu. • ein Schulsystem in der Muttersprache; „Eine explosive regionalpolitische Stimmung entstand der deutschen und ladinischen Volksgruppe innerhalb Ein „9er-Komitee“ schrieb das Statut Ende 1969 in 45 • gleicher Status der italienischen und deutschen schon 1955-57: die demokratiepolitisch problemati- des italienischen Staats. Doch gleichzeitig ist seine Au- Tagen, sodass dem Parlament schon am 19.1.1970 der Sprache im gesamten öffentlichen Dienst und glei- sche und kompromisslose Position von Trient war mit- tonomie eine Territorialautonomie, d.h. die erweiterten Entwurf vorgelegt werden konnte. Das italienische Par- ches Recht auf Zugang zum öffentlichen Dienst entscheidend für die Eskalation des Konflikts und die Befugnisse der Provinz kommen allen Angehörigen der lament beschloss das neue Autonomiestatut für die und zu den öffentlichen Leistungen für alle Sprach- Entladung aufgestauter Frustrationspotenziale in den offiziell anerkannten Sprachgruppen und in Südtirol an- Region und die Provinzen Bozen und Trient, das als Ver- gruppen; 1960er Jahren“ (Gehler 2012, 329). Die Stimmung in sässigen Personen zugute. fassungsgesetz Nr. 1 am 20.1.1972 in Kraft trat. 1972 • autonome legislative und exekutive Kompetenzen Südtirol war Anfang der 1960er Jahre auch deshalb Ganze 20 Jahre vergingen, bis das neue Autonomiesta- erhielt nicht nur Südtirol eine verbesserte Autonomie, für die Provinz Bozen (Südtirol). explosiv, weil eine substanzielle Autonomie versagt tut von 1972 und die übrigen Paketmaßnahmen um- sondern auch Österreich – wohl nicht ganz zufällig – ein Der Pariser Vertrag ist kein Glanzstück an Klarheit und geblieben war. Die Großkundgebung von Sigmunds- gesetzt waren. Nahezu wöchentlich tagten in Rom die Freihandelsabkommen mit der EWG. Vollständigkeit, zumal nicht einmal das künftige auto- kron 1957 bedeutete das Ende der Kompromisspolitik, 12er- und die 6er-Kommission, um alle notwendigen

8 9 Durchführungsbestimmungen auszuarbeiten, die im men der Weiterentwicklung des italienischen Regio- • Neue Zuständigkeit für große Wasserableitungen für den auch für die autonomen Regionen aufgewertet Anschluss von der Regierung abgesegnet werden muss- nalstaats stockte vor allem unter den von Berlusconi die Stromerzeugung (z.B. Handel, Industrie). ten. Die Südtiroler Delegation erwies sich 17 Jahre lang geführten Regierungen ab 1994 bis 2010. Die mit 2008 • Zuständigkeit beim Hochschulwesen • Die Schranken für die konkurrierenden Zuständigkei- (1972-1989) als zäher Verhandlungspartner. Vor allem einsetzende Krise der italienischen Staatsfinanzen führ- • Ausbau der regionalen Verwaltungsgerichtsbarkeit ten der autonomen Regionen und Provinzen werden Alfons Benedikter, bekannt als die „rechte Hand Magna- te zu einem harten Sparkurs unter den Regierungen • Die Region Trentino-Südtirol wird aus den Provinzen geringer. So entfällt die Schranke der Grundsätze gos“, brachte die Regierungsvertreter immer wieder ins Monti und Letta, die auch stark in die Finanzierung der Bozen und Trient gebildet, die zu den eigentlichen wirtschaftlicher und sozialer Reformen bei den pri- Schwitzen (Benedikter 2012). Mit den Durchführungs- Regionen eingriffen. Seit Matteo Renzi 2014 das Ruder Trägern der Region werden. Vorher war die Region mären Zuständigkeiten. bestimmungen wurde die Anwendung der einzelnen übernahm, schlug Italien einen neuen zentralistischen die originäre Körperschaft gewesen. Um diese Fortschritte in der Autonomie abzusichern, Statutsartikel im Detail geregelt, wobei oft über den Kurs ein, zu Lasten der Regionen mit Normalstatut, aber • Der Regionalrat setzt sich aus den Abgeordneten der hätten diese durch eine Abänderung des Autono- Wortlaut hinausgegangen wurde. Das Tempo der Ver- auch zum Nachteil der autonomen Regionen. beiden Landtage Südtirols und des Trentino zusam- miestatuts festgeschrieben werden müssen. Die SVP abschiedung der DFB verlangsamte sich in den 1980er men. Vorher waren diese primär als Regionalratsab- setzte jedoch weiterhin auf die Strategie der kleinen Jahren zusehends, auch weil sich das politische Klima Die Verfassungsreform geordnete gewählt worden. Schritte und nutzte die von der Verfassungsreform (Art. in Südtirol mit einem deutlichen Anstieg der Unterstüt- von 2001 • Die Regierungsform (Wahlgesetz, direkte Demokra- 10, VerfG Nr.3/2001) gebotene Möglichkeit nicht, das zung für die italienischen Rechtsparteien verschlechtert tie, Direktwahl des Landeshauptmanns) kann von Autonomiestatut anzupassen und die neuen Zustän- hatte. Erst am 30. Jänner 1992 genehmigte die Regie- Ende der 1990er Jahre wurde im Parlament in „bikame- den Ländern selbst geregelt werden. digkeiten dort definitiv zu verankern. Damit wurde eine rung unter Giulio Andreotti die letzten vier DFB. ralen Kommissionen“ über eine bundesstaatliche Neu- • Die Landesgesetze müssen nicht mehr vom Regie- wichtige Chance vergeben, von der Verfassungsreform ordnung Italiens debattiert. Diese Diskussion mündete rungskommissar mit einem Sichtvermerk versehen 2001 gewährte Autonomieerweiterungen im Statut Der Autonomieprozess war 1992 jedoch noch nicht in zwei Verfassungsänderungen. Jene des Jahrs 1999 werden. festzuschreiben. beendet. Die SVP war, mit Unterstützung einiger au- brachte den Regionen mit Normalstatut zusätzliche Be- • Wenn das Parlament das Autonomiestatut ändern tonomiefreundlicher italienischer Parteien, bestrebt, fugnisse, die andere (VerfG Nr. 2 vom 31. Jänner 2001) will, ist es verpflichtet, zunächst die nicht bindende Vollautonomie die Autonomie weiter auszubauen, was als „dynami- brachte Neuerungen für die Regionen mit Sonderstatut. Stellungnahme der beiden Landtage einzuholen. sches Konzept der Autonomie“ bezeichnet wird. Südti- als neues Leitbild Das Verfassungsgesetz vom 31.1.2001, Nr. 3 reformierte • Landesräte können von außen mit Zweidrittelmehr- rol konnte in den 1990er Jahren seine Autonomie mit die Autonomiestatute aller Regionen mit Sonderstatut. heit des Landtags berufen werden. Im September 2011 stellte SVP-Obmann Richard Thei- weiteren Zuständigkeiten teils mit DFB, teils über die In einer Klausel wurde verfügt, dass für die autonomen • Die Vertretung der Ladiner im Landtag und im Re- ner das neue Konzept der SVP zur „Vollautonomie“ vor. Delegierung durch den Staat erweitern (Grundlage: Ge- Regionen nur Bestimmungen zur Verbesserung des da- gionalrat wird wesentlich gestärkt. Mindestens zwei Die Paketautonomie sollte in einer Gesamtreform ver- setz Nr.549/1995 i.V. mit Art. 16 und 17 ASt.). So wur- maligen status quo Geltung erlangen. Diese Reform, die Ladiner sind im Regionalrat vertreten, den Ladinern vollständigt werden, wobei dem Staat nur mehr die Zu- den die Großableitungen für Wasserkraftwerke, die umfassendste Abänderung des Statuts seit 1972 (VerfG wird ein Sitz in der Regionalregierung garantiert. ständigkeit für die klassischen Zentralstaatsfunktionen Verwaltung des Schulpersonals, die Staatsstraßen und Nr. 2 vom 31.1.2001 und Nr. 3 vom 18.10.2001) stärk- überlassen bleiben sollten: Justiz, Verteidigung, Au- das Transportwesen dem Land übertragen. Im Oktober te die beiden Provinzen Bozen und Trient zu Lasten der Mit einem weiteren Verfassungsgesetz (Nr. 3 vom ßenpolitik, Geldpolitik, die makroökonomische Politik 1997 wurde die Freie Universität Bozen gegründet, die übergreifenden Region, die immer mehr zur leeren Hül- 18.10.2001) kam es zu einer Änderung der Beziehun- und das Zivil- und Strafrecht. Südtirol sollte auch eine am 10. November 1998 mit dem ersten akademischen le wurde. gen zwischen Staat und Regionen, Provinzen und Ge- Landespolizei, die primäre Zuständigkeit fürs Gesund- Jahr begann. Seitdem ist in Trentino-Südtirol nicht mehr die Region meinden: heitswesen und die Schulpolitik sowie die Steuerhoheit • Der Name „Südtirol“ wird offiziell in der Verfassung erhalten. Während italienische Rechtsparteien in Süd- Drei bedeutende Schritte der europäischen Integration die übergeordnete Körperschaft, sondern die beiden verankert. tirol warnten, dass eine solche Autonomieregelung die verbesserten gleich darauf die Rahmenbedingungen Autonomen Provinzen bilden die Region. Diese Reform • Eine Besserstellungsklausel: all jene Bestimmungen, Vorstufe zur Sezession sei, sprach sich der lokale Koa- für die Autonomie: der Beitritt Österreichs zur EU am führte zu einer Abänderung von fast einem Drittel der die für die autonomen Provinzen günstiger sind, fin- litionspartner Partito Democratico (PD) grundsätzlich 1.1.1995 und das Schengen-Abkommen vom 1.4.1998, Statutsartikel von 1972 mit folgenden wichtigsten Neu- den auch vor der Überarbeitung des Autonomiesta- für eine Erweiterung der Autonomie aus. Einen solchen das die internen Grenzkontrollen zwischen den Ver- erungen: tuts Anwendung. Qualitätssprung in der Autonomieentwicklung hatten tragspartnern abschaffte. Damit waren die Schlagbäu- • Übertragung der Verwaltung des Schulpersonals mit • Die Regierung kann nur bereits geltende Landesge- schon 1991 die Abgeordneten Oskar Peterlini und Franz me am Brenner, Reschen und in Winnebach Geschich- der Möglichkeit eigener Tarifverträge setze vor dem Verfassungsgericht anfechten. Pahl verlangt. Dass das Autonomiestatut von 1972 nicht te. Schließlich waren Italien und Österreich gleich am • Übernahme der Arbeitsämter • Jene Zuständigkeiten, die den Normalregionen als das Ende der Geschichte sein konnte, war auch den Vä- 1.1.2001 bei der Währungsunion dabei. • Abtretung der Staatsstraßen primäre Zuständigkeiten übertragen werden, wer- tern des Pakets bewusst. Sie schrieben am 22.11.1969 Der weitere Ausbau der Autonomie Südtirols im Rah- • Übernahme des Amts für Motorisierung

10 11 in die Resolution zur Annahme des Pakets bei der SVP- „Südtirol erlebte ab 1970 einen Infrastrukturausbau, April 1946 Große Südtirol-Kundgebung in Innsbruck. 158.000 Unterschriften von Südtirolern für die Landesversammlung, dass man sich aufgrund der ge- Wirtschaftsaufschwung und Modernisierungsboom un- Rückgliederung an Österreich werden dem Bundeskanzler Figl überreicht. schichtlichen Umstände mit einer Teilautonomie zufrie- geheuren Ausmaßes, die allesamt allerdings auch die 5. Sept. 1946 Gruber und Degasperi unterzeichnen den „Pariser Vertrag“. den geben müsse. vorhandenen Demokratiedefizite überdeckten. Trotz 29. Jänner 1948 Die Verfassunggebende Versammlung genehmigt ein Autonomiestatut für die Region Trentino-Alto Adige. Die Rahmenbedingungen für einen „Fahrplan zur Voll- nur schwach ausgeprägtem Pluralismus entwickelte 17. November 1957 35.000 Südtiroler fordern auf Schloss Sigmundskron „Los von Trient“. autonomie“ haben sich allerdings seit dem neuen zent- sich die Autonome Provinz Bozen zu einer der prospe- Oktober 1960 Außenminister Kreisky bringt die Südtirol-Frage vor die UNO. ralistischen Kurs in Rom (Regierungen Monti, Letta und rierendsten Regionen Europas. (…) Die günstigen Zeit- 11. Juni 1961 Feuernacht, zahlreiche Anschläge auf staatliche Einrichtungen. Renzi) verschlechtert. Die Steuerhoheit ist unter dem umstände der Politik der ‚Entspannung‘ in Europa der November 1961 Einsetzung der 19er Kommission. Zwang zur Sanierung der Staatsfinanzen in weite Ferne 1970er Jahre und der forcierten Integration EG-Europas 1964-1969 Weitere Verhandlungen zwischen Wien, Bozen und Rom zur friedlichen Beilegung des Konflikts. gerückt, der politische Druck auf mehr Regionalismus, in den 1980er Jahren, waren hilfreiche Begleitumstän- 22. November 1969 Annahme des „Pakets“ und Operationskalenders durch die Landesversammlung der SVP in Meran. ganz zu schweigen von der Forderung nach einem Fö- de und förderliche Rahmenbedingungen“ (Gehler 2012, 20. Jänner 1972 Das 2. Autonomiestatut tritt in Kraft. deralsystem, hat in Italien stark nachgelassen. Zudem 331). 1972-1992 Die Regierung erlässt zahlreiche Durchführungsbestimmungen, die von den Paritätischen hat sich der Schwerpunkt in der Forderung nach mehr Wirtschaftlich ist Südtirol zur reichsten Region Italiens Kommissionen ausgehandelt worden sind. Autonomie auf den Ausbau der Selbstregierung mit aufgestiegen, zumindest gemessen am Bruttoinlands- Mai 1991 Die Landtage Südtirols, des Trentino und der Bundesländer Tirol und Vorarlberg treten mehr Demokratie verlagert. Nicht mehr der Minder- produkt BIP, ein durchaus fragwürdiges Maß gesell- erstmals in gemeinsamer Sitzung zusammen, dann im 2-Jahres-Rhythmus. heitenschutz steht im Vordergrund, weil die diesbezüg- schaftlichen Wohlstands. Der Staat wird nicht mehr als Zeittafel 11. Juni 1992 Österreich und Italien erklären den Streit über die Durchführung des Pariser Vertrags für beendet. lichen Postulate des Pariser Vertrags und des 2. Auto- Feind betrachtet, obschon man die neue zentralistische 1993-2015 Die Regierung erlässt weitere Durchführungsbestimmungen und delegiert weitere Befugnisse an Südtirol. nomiestatuts als im Wesentlichen erfüllt angesehen Ausrichtung mit Sorge beobachtet. Schließlich wird die Oktober 1995 Gründung eines gemeinsamen Büros der Länder Trentino, Tirol und Südtirol in Brüssel. werden. Autonomie auch von der Mehrheit der italienischen 1. Jänner 1996 Das Schengen-Abkommen tritt in Kraft. War das Autonomiestatut von 1972, aufbauend auf Sprachgruppe begrüßt, was vor 44 Jahren noch nicht 2001 Die italienische Verfassungsreform erweitert auch die autonomen Befugnisse der autonomen dem „Paket“, Ergebnis eines zähen Ringens zwischen der Fall war. Für die Südtiroler bedeutet sie das Mindest- Regionen und Provinzen. der SVP als Vertretung der deutschen und ladinischen maß an autonomer Selbstregierung, für die italienische 1.Jänner 2001 Der Euro wird als gemeinsame Währung der EU auch von Österreich und Italien eingeführt. Volksgruppe, und dem italienischen Staat gewesen, so Sprachgruppe den unvermeidlichen Kompromiss mit 14. Juni 2011 Offizielle Gründung des EVTZ „Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino“. geht es heute weniger um den Minderheitenschutz als der deutschen und ladinischen Sprachgruppe, der den 16. Jänner 2016 Eröffnung des Südtirol-Konvents in Bozen zur Reform des 2. Autonomiestatuts.

um die Vervollständigung der politischen Eigenständig- Verzicht auf eine Reihe von Vorteilen erforderte. Heute keit als autonomes Land. Werden das gute Zusammen- steht auch die Mehrheit der italienischen Sprachgruppe beim Schulsystem), schafft Verteilungsregeln für- öf innere Demokratie. Das Ringen um Autonomie hatte leben der Sprachgruppen und die wirtschaftlichen Rah- der Autonomie positiv gegenüber, wenn sie auch ein- fentliche Ressourcen und sichert allen Gruppen Vertre- der „Sammelpartei“ eine überragende Rolle als ge- menbedingungen die Grundlage dafür bilden, dass sich zelne Instrumente wie den Proporz skeptisch beurteilt tungs- und Mitentscheidungsrechte auf allen Ebenen meinsame Interessenvertretung der deutschen und in allen drei Sprachgruppen Mehrheiten zugunsten von (ASTAT 2015, 173). In den ladinischen Gemeinden sind zu. Die Autonomie bildet einen Rechtsrahmen, der für ladinischen Sprachgruppe gegenüber Rom verschafft. mehr Autonomie bilden? es 56%. Natürlich schätzen viele deutsch- und italie- den Ausgleich zwischen den Sprachgruppen, für wirt- Inzwischen ist die Parteienlandschaft viel breiter -auf nischsprachige Südtiroler die Autonomie weniger hoch schaftlichen Wohlstand, ein gut ausgebautes soziales gefächert, die Medienlandschaft pluralistischer und Die Paketautonomie: ein, was naturgemäß auf zwischen den Sprachgruppen Sicherungssystem und ausreichende Finanzeinnahmen die Bevölkerung selbst will mehr direkt mitbestimmen. eine Erfolgsstory? unterschiedliche Motive zurückzuführen ist. der Autonomen Provinz sorgt. Nachdem die kulturelle Allerdings sind die neuen Zuständigkeiten zur Regelung Das heutige Autonomiesystem fußt auf zwei kom- Identität der Gruppen nicht mehr bedroht ist, könn- der Regierungsform und Bürgerbeteiligung (vor allem Die 1972 im Statut verankerte Autonomie war zwar plementären Prinzipien: zum einen individuelle und te sich der Schwerpunkt jetzt auf neue, allen Sprach- beim Wahlrecht und den Volksabstimmungsrechten) eine nur knapp akzeptierte Kompromisslösung, hat sich kollektive Rechte und Pflichten als Angehörige dreier gruppen gemeinsame Anliegen verlagern: etwa in der noch nicht im Sinne einer bürgerfreundlichen Regelung aber unbestreitbar als Erfolg erwiesen. Die kulturellen offizieller Sprachgruppen. Zum anderen die Territorial- Wirtschafts- und Sozialpolitik, bei der höheren Bildung, genutzt worden. und sozialen Rechte der deutschen und ladinischen autonomie für die gesamte Bevölkerung in Form der Wissenschaft und Forschung, in der grenzüberschrei- Südtirol ist trotz dieses Autonomiesystems keine mul- Sprachgruppe sind anerkannt und abgesichert worden. autonomen Gesetzgebung, Verwaltung und Recht- tenden Zusammenarbeit (EUREGIO), in der Verwaltung, tikulturelle Gesellschaft geworden, wie es in verschie- Der Bestand der deutsch- und ladinischsprachigen Süd- sprechung (nur beim Verwaltungsgericht). Die Paket- der Justiz und Steuereinhebung, in der Förderung der denen größeren Städten Europas der Fall ist. Südtirol tirolerinnen als eigenständige Kulturgemeinschaften autonomie will die Identität dieser drei Kulturgemein- Mehrsprachigkeit. gleicht – nach Jahrzehnten autonomer Gestaltung der innerhalb Italiens scheint nicht mehr gefährdet zu sein. schaften stärken, sie betont die Eigenständigkeit (etwa Mehr Spielraum erhielt in den letzten Jahren auch die kulturellen und sozialen Entwicklung – eher Belgien

12 13 oder der Schweiz im Kleinen (allerdings ohne Territori- Sprachgemeinschaft, in Südtirol durch Geschichtsbe- alprinzip), als etwa einer Gesellschaft, in der sich kultu- wusstsein und den ausgeprägten Dialekt zusätzlich ver- relle Identitäten auf allen Ebenen beliebig überlagern stärkt. Mehrsprachigkeit und kulturelle Verschiedenheit und vermengen. Die drei Sprachgruppen sind institu- werden als Reichtum betrachtet, die Autonomie wird tionell und kulturell eigenständig geblieben. Sie haben als Voraussetzung für lokale Steuerung von Entwicklung zudem zunehmend auch siedlungsgeografisch deut- und Sicherung des Wohlstands begriffen. All dies aber lich unterschiedliche Schwerpunkte. Es ist kein neuer nicht als Ergebnis einer spontanen Entwicklung hin zu „homo sudtirolensis“ entstanden, von Geburt an zwei- ethnisch-sozialer Harmonie, sondern als Ergebnis ei- oder mehrsprachig, denn weder das Aostatal noch das nes rechtlich ausdifferenzierten Regelwerks und einer Elsass bilden ein Leitbild für die bestimmende politische jahrzehntelangen Erfahrung des Umgangs miteinander. Elite. Familien mit mehr als einer Familiensprache neh- Auf dieser geschichtlichen Erfahrung lässt sich für die men laut ASTAT-Sprachbarometer 2014 nur 5,6% der nächsten Schritte aufbauen. Bevölkerung ein (deutsch-italienische Paare: 3,8%). Die Zur Vertiefung kulturellen Gruppenidentitäten konstruieren sich viel- mehr nebeneinander, beeinflusst vom andern und von Gottfried Solderer (2000), Südtirol im 20. Jahrhundert, 2 außen: mit immer mehr Austausch und Weltoffenheit, RAETIA, Bozen Alcide Berloffa (2004), Gli anni del Pacchetto. Ricordi aber doch auf Eigenständigkeit bedacht. raccolti da Giuseppe Ferrandi, RAETIA, Bozen Der Großteil der italienischen Sprachgruppe lebt in den Stephan Lechner/Silvia Spada/Martha Verdorfer/Gi- Warum eine vier größten Städten (Bozen, Meran, Brixen, Leifers) und orgio Mezzalira (2013), Übergänge und Perspektiven – Südtirol seit 1919, Landesgeschichte Band 3. Athesia, pflegt ein kulturelles Eigenleben. Die Landgemeinden Bozen haben allesamt eine deutschsprachige oder ladinische ASTAT (2015), Südtiroler Sprachbarometer 2014, Bozen Reform der Autonomie? Bevölkerungsmehrheit, mit Ausnahme von Pfatten, Hans-Karl Peterlini (2003), Wir Kinder der Südtirol-Auto- nomie, FOLIO, Wien-Bozen Branzoll und Salurn. Die Sprachlandschaft zwischen Di- Hans-Karl Peterlini (2012), 100 Jahre Südtirol. Geschich- Wird die Südtirol-Autonomie nicht immer wieder als eine der weltweit besten Territorialautonomien weltweit alekt und Hochsprache wird durch eine feine Aufteilung te eines jungen Landes, HAYMON, Innsbruck dargestellt? Kommen nicht regelmäßig Delegationen ethnischer Minderheiten und kleinerer Völker von den Ti- nach Domänen geprägt. Oskar Peterlini (2000), Autonomie und Minderheiten- betern bis zu den ungarischen Szeklern Rumäniens nach Südtirol, um ihren Regierungen diese Autonomie als schutz in Trentino-Südtirol, Autonome Region Trentino- So ähnelt Südtirol eher einem Kondominium von Südtirol, 2. überarbeitete Ausgabe, Trient Beispiel vorzuhalten? Wird bei österreichischen-italienischen Ministertreffen der Vorbildcharakter der Südtirol- Sprachgruppen: man lebt unter demselben Dach, aber Gehler (2012), Von der halben Autonomie zur Autonomie nicht gerade ritualhaft beschworen? LH Kompatscher bezeichnete einmal Südtirols Autonomie als nicht in derselben Wohnung. Man lebt in guter Nach- inneren Selbstbestimmung, in: Hannes Obermair/Ste- die beste Europas, dennoch „ächzt und knarzt es an allen Stellen“ (Kompatscher am 18.4.2016 in Bozen). Eine phanie Risse/Carlo Romeo, Regionale Zivilgesellschaft barschaft, aber nicht in einer Wohngemeinschaft, re- in Bewegung, FOLIO, Wien/Bozen, 325-342 Generalüberholung des Statuts scheint unaufschiebbar. spektiert sich, ohne sich um den Hals zu fallen. Man Thomas Benedikter (2017), Introduzione poco riverente gie auf wechselnde Regierungsmehrheiten eingestellt arbeitet im selben Betrieb, Behörde oder Organisation nel mondo dei Sudtirolesi, ARCA Lavis Das 2. Autonomiestatut: Emma Lantschner (2005), Eine kurze Geschichte Süd- werden musste und die Regierungsspitzen aus Bozen, zusammen und teilt im Alltag die verschiedensten Le- tirols ein Kompromiss, , in: Marko/Ortino/Palermo/Voltmer/ Woelk Trient und Rom über die Finanzen verhandelten, gab es bensbereiche. (Hrsg.), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie, Die keine Optimallösung Sonderrechtsordnung der Autonomen Provinz Bozen/ in der Südtirol-Autonomie permanent Anlass für Rechts- Stand früher verkrampfte Trennung im Vordergrund, Südtirol, EURAC, Nomos, Bozen 2005 In mancher Hinsicht ist die Ausgestaltung der Südtirol- streit vor dem Verfassungsgericht. Obwohl die Südtirol- Mit Südtirol am Scheideweg, Friedl Volgger (2014), 2. Autonomie rechtlich sehr detailliert geregelt ist, hat sie geht es in der neuen Phase der Autonomie um Öffnung überarbeitete Auflage, RAETIA, Bozen Autonomie weit gediehen, doch bei vielen Sachfragen zur anderen Kultur, zur Welt allgemein, ohne die eigen- Thomas Benedikter (Hg.), Den Grundsätzen treu geblie- treffen die Südtiroler Gesetzgeber und Verwalter auf im Vergleich mit anderen autonomen Regionen Italiens ständige Entwicklung aus der Hand zu geben. Die „kom- ben. Alfons Benedikters Wirken für Südtirol im Spiegel eng gesteckte Grenzen. Zudem waren diese vier Jahr- zu den weitaus meisten Verfassungsgerichtsurteilen der Erinnerung, Prokopp&Hechensteiner 2012. geführt. Die neue, zentralistisch ausgerichtete Verfas- plexe Identität“ rückt in den Vordergrund, die Einflüsse Thomas Benedikter (2012), Moderne Autonomiesyste- zehnte des 2. Autonomiestatuts auch Jahrzehnte des von vielen Seiten in einer weithin offenen Kultur- und me - Eine Einführung in die Territorialautonomien der Rechtskonflikts. Während auf der politischen Ebene in sungsreform droht solche Reibungen zu verstärken. Medienwelt und einer gebildeteren Gesellschaft auf- Welt, EURAC, Bozen 2012, 2. überarbeitete Ausgabe den Paritätischen Kommissionen um neue Durchfüh- Es gibt noch keine wissenschaftlich begründeten Das Autonomiestatut von 1972 findet sich mit weiteren „rankings“ von Autonomiesystemen, noch gibt es einen nimmt. Doch die kulturelle Heimat bleibt die eigene Rechtsquellen auf: http://www.provinz.bz.it/lpa/pule rungsbestimmungen (DFB) gerungen wurde, die Strate-

14 15 empirisch ausgestalteten Kriterienkatalog für die Quali- ken blieben aufrecht, der Staat nahm sogar Reformen men Regionen, d.h. alle über ihren bestehenden Kom- Die neue Verfassungsreform tät einer Autonomie. In der Literatur werden oft einzel- zugunsten der Regionen zurück. Auch das Unionsrecht petenzenumfang hinausgehenden Zuständigkeiten, die 2016: Der Wind dreht sich ne Autonomiesysteme miteinander verglichen, wobei wurde als Grenze der eigenständigen Politikgestaltung den Normalregionen übertragen worden waren, sollten die Autoren zum Schluss gelangen, dass jede Territori- im Land immer spürbarer. auch die autonomen Regionen erhalten. Dies musste Ist der italienische Weg zu einem Regionalstaat geschei- alautonomie aufgrund ihrer besonderen Entstehung, Bestimmend bleibt in Italien das „Prinzip des Paktes“, allerdings auch explizit in die jeweiligen Autonomiesta- tert? Die Reform von 2001 war noch nicht umgesetzt, des speziellen politischen Hintergrunds und zugrunde- nämlich der in Verhandlungen zwischen Staat und au- tute eingefügt werden. und schon blies der Wind mit dem Amtsantritt der Re- liegenden Konflikts ein Sonderfall sei. Tatsächlich gibt es tonomen Regionen auszuhandelnden Grundregeln und Friaul Julisch Venetien nutzte diese Möglichkeit und leg- gierung Renzi in die gegenteilige Richtung. Die Regionen unter den 58 heute funktionierenden demokratischen Anwendungsbestimmungen. Totalrevisionen von Regi- te dem Parlament am 1.2.2005 nach einem sechsmo- müssen im Zuge der im März 2014 vorgelegten Verfas- Autonomiesystemen in 19 Staaten kein einziges iden- onsverfassungen oder Autonomiestatuten werden in natigen, partizipativen Konventsverfahren einen neuen sungsreform über 20 Zuständigkeiten wieder abgeben tisches Autonomiestatut (einige Statuten von Autono- autonomen Regionen anderer Länder (Katalonien 2006, Statutsvorschlag vor, drang aber genausowenig wie (Art. 117 Verf.). Bei den Finanzen sollen die Regionen men Gemeinschaften Spaniens gleichen sich allerdings Åland Inseln 1991, Grönland 2009, Schottland gerade Sizilien damit durch. Auch die Region Aostatal hatte es wieder streng von der Zentralregierung überwacht wer- stark, vgl. Benedikter 2012). im Gang) immer wieder nach solchen Verhandlungen 2005-06 mit einem partizipativen Verfahren versucht, den. So wird es dem Parlament ermöglicht, im Interesse vorgenommen und sind Ergebnis politischer Kompro- doch wurde die Autonomiereform aus eigenem Ent- Natürlich kann Südtirol in seinem Anspruch auf einen der wirtschaftlichen und politischen Einheit in die regio- misse zwischen Staat und Regionen. schluss nicht weiterbetrieben. Südtirol und das Trenti- Ausbau der geltenden Autonomie darauf verweisen, nalen Zuständigkeiten einzugreifen. no versäumten es, die ihnen zustehende Statutsiniti- dass die Autonomie der Åland-Inseln, Grönlands, der Als besonders gefährlich wird dabei die sog. „Suprema- ative zu ergreifen, setzten vielmehr auf die gewohnte Färöer und vor allem Kataloniens eindeutig umfassen- Die verpasste Chance tie-Klausel“ (Art. 117, Abs. 4 des neuen Verfassungstex- Strategie der kleinen Verbesserungsschritte, sowohl bei der ist. In Spanien, Portugal, Großbritannien, Dänemark, des Autonomieausbaus tes gemäß Renzi-Boschi-Reform) eingestuft, die es dem der Übertragung von neuen Zuständigkeiten durch den Finnland und anderen Ländern Europas hat man mit Staat erlauben wird, generell per Gesetz oder Dekret in nach 2001 Staat auf dem Weg der Delegierung als auch auf dem Territorialautonomie schon viele Erfahrungen gesam- alle regionalen Zuständigkeiten einzugreifen, wenn es Weg von DFB. Allerdings wurde nach 2001 die Chance melt, die auch für Südtirol interessant sind. Doch bleibt Um die Jahrtausendwende sah es so aus, als wollte die rechtliche und wirtschaftliche Einheitlichkeit der Re- vertan, all die Neuerungen der Verfassungsreform von die Autonomie Südtirols eine Besonderheit im Rahmen sich Italien einen stärker föderalistisch ausgerichteten publik oder das nationale Interesse erfordern (Peterlini, 2001 und weitere, zusätzliche Zuständigkeiten verbind- einer besonderen Verfassungsordnung. Ein Recht einer Staatsaufbau geben. Mit den Verfassungsreformgeset- 2016, 4). Ein typischer Gummiparagraph, der dem Staat lich in den Sonderstatuten festzuschreiben. Volksgruppe oder einer regionalen Gemeinschaft auf zen von 1999 und 2001 unternahm Italien einen mu- eine Art „Ersatzvornahme“, also einen Eingriff erlaubt, Zudem eröffnete die 2001 reformierte Verfassung (Art. eine Autonomie mit einer bestimmten Qualität ist im tigen Schritt in Richtung Föderalismus. Die regionalen nicht nur um internationale oder EU-Normen umzuset- 116, Abs. 3) allen Regionen die Möglichkeit, den Um- heutigen Völkerrecht und Minderheitenschutz nicht Zuständigkeiten wurden ausgeweitet, die staatlichen zen, sondern wenn es die rechtliche und wirtschaftliche fang ihrer Zuständigkeiten zu erweitern. Das betrieben vorgesehen. Es gibt auch kein theoretisches Referenz- Gesetzgebungskompetenzen beschränkt. Alles, was Einheitlichkeit des Staats erfordert. Mit dieser Suprema- vor allem die Regionen Venetien und Lombardei, konn- modell für eine optimale Autonomie. nicht taxativ dem Staat zugeordnet war, hätte nun in tieklausel kann auch in bisher primäre Zuständigkeiten die Zuständigkeit der Regionen fallen sollen (Residual- ten sich jedoch in Rom nicht durchsetzen. Andere Re- der Regionen eingegriffen werden, also das Gegenteil Nun hat Südtirol aus seiner Geschichte heraus einen An- kompetenz), so z.B. die Zuständigkeiten für Zivilflughä- gionen mit Normalstatut wussten mit der Reform von von Autonomie im Sinn von eigenständiger politischer spruch auf Autonomie, gar ein international verbrieftes fen, große Transportnetze, Produktion und Verteilung 1999 und 2001 nichts Rechtes anzufangen und lieferten Gestaltung eines besonderen Gebiets. Damit ist wieder Recht darauf. Das 2. Autonomiestatut von 1972 war auf von Energie im Landesinteresse, Außenhandel, wissen- sich durch Finanzskandale und Misswirtschaft breiter die alte, von Südtirol oft beklagte Ausrichtungs- und diesem Weg ein Kompromiss. Zahlreiche Forderungen schaftliche Forschung, Unterstützung innovativer Pro- Kritik in den Medien aus. Weder die Verfassungsreform Koordinierungsbefugnis des Staats auf dem Tisch. Wie sind damals nicht erfüllt worden (vgl. Benedikter A./ duktionsmethoden sowie internationale Beziehungen noch der Fiskalföderalismus wurden so umgesetzt wie weit dieses Gebot der Einheitlichkeit reicht, wird die Brugger P./Dalsass J., 1969). Die Vorstellungen zu einer (beschränkt auf Fragen in Regions- oder Landeszustän- ursprünglich geplant. Zudem wurde verabsäumt, leis- Regierung nach Gutdünken entscheiden und – nach zu besseren Lösung lagen damals bereits auf dem Tisch, digkeit). tungsfähige Kompetenzen in den Regionen mit Nor- erwartenden Klagen der Regionen – das Verfassungsge- konnten aber aufgrund des politischen Kräfteverhält- Auch mehr Steuerföderalismus wollte man einführen, malstatut aufzubauen und sie gleichzeitig in Rom abzu- richt immer wieder zu beurteilen haben. Dieses hatte nisses nicht durchgesetzt werden. In der Folge wurde indem die Regionen für die Regelung und Einhebung bauen. Das führte zu Doppelungen, die Kosten stiegen schon die Verfassungsreform von 2001 im Zweifelsfall diese Autonomie, auch über DFB und im Weg der De- eines Teils der Staatssteuern mitverantwortlich werden mit negativer Rückwirkung auf den Staatshaushalt, immer wieder zugunsten des Staats ausgelegt (vgl. Pe- legierung von Zuständigkeiten, wesentlich nachgebes- sollten. Diese Reformen galten aufgrund einer Besser- Skandale um Politikergehälter und Korruption taten ihr terlini, Anhörung im Parlament zur Verfassungsreform sert, ohne das Gesamtpotenzial von Territorialautono- stellungsklausel (clausola di autonomia più ampia per Übriges. Die Reform von 2001 funktionierte nicht, nicht und Regionen mit Sonderstatut vom 26.6.2014). Doch mie im Rahmen der italienischen Verfassungsordnung i miglioramenti spettanti alle Regioni speciali, Verf.Ge- zuletzt deshalb, weil es in Italien keine föderalismus- erstmals wird durch eine Schutzklausel (Art. 120 Verf.) auszuschöpfen. Manche Lücken und zahlreiche Schran- setz Nr. 3 vom 18.10.2001, Art. 10) auch für die autono- freundliche Grundhaltung und Tradition gibt. ausdrücklich in der Verfassung verankert, dass die

16 17 Statuten der autonomen Regionen nur im Einverneh- Jagd eingreife oder in die Bauordnung oder in den Land- Kategorie der primären Zuständigkeiten der Region ge- gewandt wird. Die betroffene autonome Region muss men mit diesen Regionen abgeändert werden können. schaftsschutz, weil der Umweltschutz ein transversales, ben, die den Vorgaben der Verfassung und den interna- ihr Statut selbst erstellen (Statutshoheit) und nach Ver- Durch diese Schutzklausel wird die Geltung eines Teils übergeordnetes Interesse darstelle. Damit schränkte tionalen Verpflichtungen einschließlich EU-Recht, nicht handlung mit dem Staat im Parlament als Verfassungs- der neuen Verfassung für die autonomen Regionen bis der Staat die legislativen Zuständigkeiten aller Regionen aber den Vorgaben einfacher Staatsgesetze unterliegt. gesetz zur Verabschiedung bringen können. zur Revision ihrer Statuten ausgesetzt wird. Die Anpas- durch die Hintertür stark ein (Peterlini 2016, 5). Grundsätzlich steht es jeder Region mit Sonderstatut Eine Besonderheit Südtirols liegt dabei im Sprach- sung der Statuten muss im Einvernehmen zwischen dem frei, dem Staat eine Neuverteilung der Zuständigkeiten gruppenprinzip: „Die Südtiroler Autonomie ist eine Staat und den betroffenen Regionen erfolgen. Es liegt Worum geht es bei der vorzuschlagen. In der Vergangenheit hat der Staat dem Rechtsordnung, in der zwei verfassungsrechtliche Rege- auf der Hand, dass Südtirol nicht nur eine permanente anstehenden Autonomiereform? Land zahlreiche Einzelbefugnisse auf dem Weg der De- lungsbereiche zusammenfließen, und zwar die territo- Schutzklausel benötigt, sondern auch eine Ausnahme- legierung (Art. 17) über das Statut hinaus übertragen, riale Selbstverwaltung und der Schutz der Vielfalt der bestimmung in Art. 117 Verf. zur Suprematieklausel. Die Auseinandersetzung zwischen Staat und Regionen ohne dies im Statut festzuschreiben. Heute geht es Sprachgruppen (…) Dies ist in Italien so einzigartig, dass Ansonsten wird es nach der Revision seines Autono- um die Bandbreite und Regelungsfreiheit autonomer darum, sowohl bereits übertragene Bereiche definitiv man es mit gutem Grund als ‚specialità nella specialità“ miestatuts mit Sicherheit zu vermehrtem Rechtsstreit Zuständigkeiten ist ein Grundkonflikt jeder Territori- den autonomen Provinzen zu überantworten, als auch bezeichnen kann“ (Toniatti 2005, 74). Eine weitere Be- vor dem Verfassungsgericht kommen. alautonomie: Die Region strebt nach größtmöglicher eine systematische Neuordnung der Zuständigkeiten im sonderheit der autonomen Rechtsordnung Südtirol liegt Auch für die autonomen Regionen hat die Verfassungs- Freiheit, der Zentralstaat will die Kontrolle bewahren, Statut zu verankern. Dabei können sich alle autonomen in der „…strukturellen rechtlichen Gestaltung der eige- reform der Regierung Renzi größte Tragweite: es erlö- die manchmal auch mit „Einheitlichkeit der Rechtsord- Regionen Italiens auf folgende verfassungsrechtliche nen gesellschaftlichen Ordnung, nicht nur bezüglich der schen damit nämlich all jene Zuständigkeiten, die ih- nung“ umschrieben wird. Autonomie ist jedoch per de- nEckpunkte berufen (Ferrara 2007): eigenen individuellen Bürgerschaft, sondern auch der nen mit der Verfassungsreform von 2001 dank der sog. finitionem der Gegenpol von Einheitlichkeit. Sie über- 1. Das „Paktprinzip“ (Verhandlungsprinzip): Änderung Sprachgruppen“ (Toniatti 2005, 77). Die Sprachgruppen Besserstellungsklausel automatisch zuerkannt worden lässt die Regelungskompetenz aus guten Gründen in der Statuten nur im Einvernehmen zwischen Staat sind in Südtirol als Träger kollektiver Rechte anerkannt waren. Besonders betroffen waren dabei eine Reihe speziellen Fällen einzelnen Regionen und deren gewähl- und Region. worden. konkurrierender Zuständigkeiten, die nun an den Staat ten demokratischen Organen. Die Kontrolle bewahrt 2. Das Prinzip des Ausbaus: die bestehende Autonomie In der Region Trentino Südtirol ist Mitte Dezember zurückfallen, z.B. Energie, Berufsordnungen, Außen- der Zentralstaat dadurch, dass er einige wesentliche darf nur ausgebaut, nicht eingeschränkt werden. 2014 eine eigene Expertenkommission mit zehn Mit- handel, Gesundheitswesen, ergänzende Rentenvorsor- Bereiche selbst behält: die Außen- und Verteidigungs- 3. Das Prinzip der Besonderheit: Jede Sonderautono- gliedern eingesetzt worden, die die Neuaufteilung der ge, Verfahrensrecht bei öffentlichen Dienstverhältnis- politik, die Geld- und makroökonomische Politik, das mie ist nach ihrem Bedarf weiterzuentwickeln. Zuständigkeiten zwischen Staat, Region und Provinzen sen, allgemeine Bestimmungen zur Raumordnung und Steuer- und Arbeitsrecht, das Zivil- und Strafrecht. Das 4. Das individuelle Vertretungsrecht: Jede Region mit analysiert hat. Es galt auszuloten, wie der Katalog der zum Zivilschutz, Lebensmittelsicherheit, Unterricht, Ar- Verfassungsgericht wacht über die Einhaltung überge- Sonderstatut hat ein Recht, ausschließlich für sich zu Gesetzgebungsbefugnisse (Art. 4-10 ASt.) im Zuge der beitssicherheit, strategische Infrastrukturen. So kam es ordneter Schranken bei der Ausübung der Autonomie. verhandeln. fälligen Anpassungen abgeändert bzw. ergänzt werden zu Eingriffen des Staats in Bereiche, in welchen das Land Die „Einheitlichkeit“ der Rechtsordnung ergibt sich 5. Lokalkörperschaften: Die autonomen Regionen und muss, unabhängig davon, ob diese Anpassungen infol- schon seit Jahrzehnten seine eigene Gesetzgebung und auch aus der Unterordnung unter das EU-Recht, zu des- ihre Lokalkörperschaften bilden ein einheitliches ge der Reform 2016 oder der Reform 2001 zu machen Verwaltung ausgeübt hatte, wie z.B. beim Vergaberecht, sen Umsetzung Staat und Regionen gleichermaßen ver- Ganzes. sind. Dabei galt es vornehmlich, Zuständigkeiten, die in der Urbanistik, bei der Jagd und beim Umweltschutz. pflichtet sind. 6. Das Prinzip der Differenzierung der Finanzierungs- durch die Judikatur des Verfassungsgerichts ausgehöhlt Auch die Macht, Konzessionen für Großkraftwerke zu Staat-Regionen-Konflikte können bei der Gestaltung systeme, die der Besonderheit der jeweiligen Region worden sind, wieder herzustellen (Antwort des LH auf vergeben, ist wieder an den Staat gefallen. eines Autonomiestatuts durch zwei Vorkehrungen Rechnung tragen müssen. Anfrage Nr. 23.4.15 vom 19.3.2015). Das Ergebnis wur- Doch schon vor der Verfassungsreform der Regierung minimiert werden. Zum einen können die jeweiligen Das Pakt- oder Verhandlungsprinzip (principo pattizio) de im Februar 2015 den Landesregierungen überreicht, Renzi sind die Zuständigkeiten der beiden autonomen Zuständigkeiten möglichst genau definiert werden ist ein wesentliches Element der Südtiroler Autonomie jedoch noch nicht veröffentlicht. Es ist aber schon in Provinzen beschnitten worden. Das Verfassungsgericht sowie eine Restkategorie (Residualkompetenzen, die wie aller fünf Sonderautonomien Italiens: „Das Ver- einen neuen VerfGE (Nr. 2220/2016) der Autonomie- hat dem Staat nämlich sog. „transversale Zuständigkei- zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Statuts nicht handlungsprinzip bedeutet, dass die Sonderautonomie Gruppe im Senat eingeflossen, der im Februar 2016 ten“ zugesprochen: der Katalog der staatlichen Zustän- bekannt waren) der jeweiligen Region zugesprochen in Verfahren und Institutionen eingebunden ist, durch eingebracht worden ist. Dieser zielt darauf ab, nicht digkeiten (laut Art. 117, Abs. 2 Verf.) sei nicht erschöp- werden. Zum anderen kann die Art der Zuständigkeit die sie die Ausgestaltung und Weiterentwicklung ihrer nur die konkurrierenden Zuständigkeiten des Landes fend, weil diese nicht abgegrenzte Bereiche beträfen, – und damit die Art ihrer Beschränkung durch überge- Autonomie mitbestimmen kann.“ (Happacher 2013, in primäre zu verwandeln, sondern einige wesentliche sondern „nationale Interessen“ darstellten. So müsse ordnete Rechtsquellen – auf möglichst eine reduziert 180). Dieses Verhandlungsprinzip kann allerdings in der Zuständigkeiten der Region den Ländern zu übertragen, der Staat, der für den Umweltschutz zuständig ist, die- werden. In diesem Sinne sollte es – wie in weiter ent- italienischen Rechtsordnung noch vervollständigt wer- wie vor allem die Gemeindeordnung. ses „Interesse“ auch damit schützen, indem er in die wickelten Autonomiesystemen der Fall – nur mehr die den, indem es auch auf die Autonomiestatute selbst an- LH Arno Kompatscher geht davon aus, dass auch die

18 19 große Mehrheit der italienischen Sprachgruppe (und und Wahlrecht). Es fehlt auch das bestätigende Re- • Selbst eine Präambel, charakteristisch für Landesver- Auf diese und weitere Aspekte wird in den folgenden auch der Trentiner) für mehr autonome Kompetenzen ferendum bei Statutsänderungen und die Statutsho- fassungen, fehlt beim heutigen Statut. Im Sinne der Kapiteln etwas näher eingegangen, wobei nur Fragen in eintreten: „Je mehr wir hier selbst erledigen können, heit als solche. Bürgerfreundlichkeit sollte eine „Landesverfassung“ Zusammenhang mit der Reform des Autonomiestatuts desto besser für uns alle.“ (Rede auf der Tagung des • Reformbedarf kann aus der Erfahrung von über vier auch größeren Wert auf Einfachheit, Klarheit und angesprochen werden, nicht jedoch Fragen, die einer SGB/CISL vom 18.4.2016 in Bozen). Dieses Motto hat Jahrzehnten Autonomie auch in der Bildungspolitik Verständlichkeit legen. Davon kann z.B. beim Kapitel landesgesetzlichen Regelung bedürfen. auch die Reformen anderer Regionalautonomien ge- geortet werden: Warum hat Südtirol für diesen für Finanzen keine Rede sein. prägt. Vor Ort, im überschaubaren Rahmen eines Lan- die kulturelle Entwicklung zentralen Bereich keine • Zur Absicherung der Autonomie ist eine Schutzklau- Zur Vertiefung des mit einer halben Million Einwohner und mit einer primäre Zuständigkeit? Warum haben die Sprach- sel Teil der aktuellen Verfassungsreform. Doch wie Francesco Palermo (2012), Il futuro alla luce del passa- to, ALTO ADIGE, Bozen bewährten Tradition der Selbstverwaltung, können die gruppen bei der Schulpolitik nur begrenzte Gruppen- werden Schutz und Abänderung des Statuts künftig Autonome Provinz Trient (2013), Prof. Massimo Carli, besten politischen Lösungen gefunden werden, kann autonomie? geregelt? Muss der Schutz vor einseitigen Eingriffen dott. Gianfranco Postal, Prof. Roberto Toniatti, Proposte am besten demokratischer Konsens, aber auch Kont- • Der ethnische Proporz ist ein Grundelement der des Staats auch durch Ausnahmebestimmungen in per l‘approfondimento di possibili linee guida per il terzo Statuto di Autonomia, Trient rolle bewerkstelligt werden, können Bürgerbeteiligung Südtirol-Autonomie, könnte aber einen seiner Zwe- der Verfassung selbst hergestellt werden (z.B. Aus- Roberto Toniatti (2005), Die Evolution der Südtiroler und lebendige Demokratie funktionieren. Südtirol hat cke, die Wiedergutmachung von Diskriminierung der nahme für Südtirol von der sog. Suprematieklausel Sonderautonomie von konkordanzdemokratischen Ga- bewiesen, dass es seine Autonomie gut nutzt. Was Minderheiten in der Vergangenheit, erreicht haben des Art. 117, Abs. 4 Verf.)? rantien zur territorialen Selbstbestimmung, in: Marko/ Ortino/Palermo/Woelk/Voltmer, Die Verfassung der könnten das restliche Staatsgebiet und der Zentralstaat und deshalb überflüssig sein. Kann der Proporz und • Kann und soll der Europäische Verbund Territorialer Südtiroler Autonomie, Nomos, 69-96 dagegen haben, dass ein kleines Teilgebiet sich eigen- wodurch soll er ersetzt werden? Zusammenarbeit „Europaregion Tirol“ in das Statut Alfons Benedikter/Peter Brugger/Joachim Dalsass ständig gut verwaltet und die politischen Probleme zur • Bei Verabschiedung des 2. Autonomiestatuts stell- aufgenommen werden? Welche anderen Rechte zur (1969), Südtirol vor der Entscheidung. Fragen und Ant- worten zu Paket und Operationskalender, Bozen, Bro- Zufriedenheit seiner Bürgerschaft löst? te sich die Frage der Umsetzung des EU-Rechts auf Regelung auswärtiger Angelegenheiten gehören ins schüre regionaler Ebene noch nicht im heutigen Ausmaß: Statut? Oskar Peterlini (2014), Autonomie differenziate per un Wie soll eine autonome Region an der Bildung von • Welche Lücken der Autonomie sind bei der Jus- Paese variegato. Audizione del Prof. O. Peterlini nella Neue Herausforderungen Commissione parlamentare per le questioni regionali, ans Regelwerk „Autonomie“ EU-Recht und an seiner Umsetzung beteiligt sein, da- tiz abzubauen? Warum kann Südtirol kein eigenes Parlament, Rom, 26.6.2014 mit seine autonome Regelungskompetenz nicht von Oberlandesgericht erhalten? Warum erfolgt die Ver- Francesco Palermo (2005), Südtirol und die italienische Eine Reform der Südtirol-Autonomie erschöpft sich Brüssel her ausgehöhlt wird? Wie kann Südtirols Son- waltung der Gerichtsbarkeit nicht durch das Land? Föderalismusreform, in: Marko/Ortino/Palermo/Wo- elk/Voltmer, Die Verfassung der Südtiroler Autonomie, nicht in der bloßen Erweiterung der legislativen und ex- derstellung auch im Unionsrecht gegenüber Brüssel Warum werden Verwaltungsrichter durch den Land- Nomos, 415-434 ekutiven Zuständigkeiten des Landes. Wesentliche Teile und Rom gewahrt werden? tag ernannt? Antonio Ferrara (2007), Le autonomie speciali, in: IS- des Autonomiestatuts sind der Regelung der Rechte der • Bei den Finanzen ist seit 1972 viel Erfahrung ge- • Welche institutionellen Regeln müssen in Südtirols SiRFA, 4° Rapporto sullo stato del regionalismo in Italia, Milano, Giuffré Sprachgruppen – kollektiv oder individuell – und des in- sammelt worden, interessanterweise wurde genau Regierungsform überdacht werden? Kann die ver- Gianfranco Cerea (2014), Le autonomie speciali. Le vi- stitutionellen Aufbaus der Region und der beiden auto- dieser wesentliche Bereich bisher vom Statut aus- pflichtende Vertretung der Sprachgruppen in der cende e i possibili sviluppi dell’altro regionalismo. Fran- nomen Provinzen gewidmet. 44 Jahre der Anwendung geklammert. Er wird vielmehr durch ein einfaches Landesregierung (derzeit nur der deutschen und ita- co Angeli, Mailand Esther Happacher (2013), Modelle zur Weiterentwick- des 2. Autonomiestatuts haben auch hier Anpassungs- Staatsgesetz geregelt. Kann die Finanzierung der au- lienischen) im Sinne der „ethnischen Konkordanz“ lung der Autonomie, in: Happacher/Obwexer (Hg.), 40 bedarf aufgezeigt. Hier einige wesentliche Aspekte, die tonomen Provinzen besser abgesichert werden? ausgedehnt werden? Jahre Autonomiestatut, Südtirols Sonderautonomie im überdacht und eventuell neu geregelt werden müssen: • Als große Belastung wird allgemein das italienische • Braucht Südtirol eine zwei- oder mehrsprachige Kontext der europäischen Integration, FACULTAS, Wien Thomas Benedikter (2014, Hg.), Mit mehr Demokratie • Bei der Gleichstellung der ladinischen Sprachgruppe Steuersystem betrachtet. Kann das Land mehr fi- Schule und muss der Art. 19 in diesem Sinne abge- zu mehr Autonomie, POLITiS-SBZ, Bozen sind schon mit VerfG Nr. 3/2001 einige Lücken besei- nanzpolitische Verantwortung übernehmen? Kann ändert werden? Senato della Repubblica, XVII Legislatura, Disegno di tigt worden. Weitere Ergänzungen können mit dem es zumindest die Steuereinhebung autonom verwal- • Wie muss die Zusammensetzung und Arbeitsweise Legge costituzionale N.32, d‘iniziativa dei senatori Zeller e Berger, „Modifiche allo statuto speciale per il Trentino- nächsten Reformschritt erfolgen. ten? der Paritätischen Kommissionen geregelt werden, Alto Adige/Südtirol per L‘attribuzione dell‘autonomia • Was geschieht mit der überholten Institution „Regi- • Außerdem besteht beim heutigen Statut ein „Ent- um demokratischer Kontrolle und Transparenz bes- integrale alle province autonome di Trento e Bolzano, on Trentino-Südtirol“? rümpelungsbedarf“: Zahlreiche Formulierungen und ser zu entsprechen? 15-3-2013 Senato della Repubblica, XVII Legislatura, DDL Senato n. • Unzureichend geregelt ist die Übertragung der Lan- Einzelregeln sind schlichtweg überholt und müssen • Gibt es Änderungsbedarf am Statut, um die Autono- 2220, „Modifiche allo statuto speciale per il Trentino- deszuständigkeit in Sachen direkter Demokratie. Hier im Wortlaut angepasst oder ersetzt werden, wie mie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu vervoll- Alto Adige/Südtirol in materia di competenza legislativa fehlt die klare Ermöglichung der Volksinitiative bei es auch aus dem VerfGE Zeller/Berger Nr. 32 vom ständigen? della regione e prov. aut. di Trento e Bolzano, 18.2.2016, d‘iniziativa di Zeller, Berger, Palermo, Fravezzi, Panizza, sog. Regierungsformgesetzen (Direkte Demokratie 15.3.2013 hervorgeht. Laniece, Tonini, Battista.

20 21 Tab. 1 - Der Rechtsstreit zwischen Staat und Autonomer Provinz Bozen: Oktober 2014 Das Land vereinbart mit dem Staat ein neues Finanzierungsabkommen, weil das vor- der Zeitraum 2010-2016 als Beispiel hergehende „Mailänder Abkommen“ (2009) ständig verletzt worden war. Mit dem neu- en “Sicherungsabkommen” muss das Land auf mehrere Milliarden an ihm zustehenden Zeit Ereignis Mitteln verzichten. Februar 2010 Der VerfGH demontiert die Landeszuständigkeiten bei den öff. Ausschreibungen (Urteil Dezember 2014 Die Regierung Renzi ficht das Landesgesetz zum Handel an. Schon im September 2014 Nr.45/2010). Weitere Restriktionen erfolgen 2012 (Urteil Nr.74/2012) und 2012 (Urteil hatte die Regierung die Anwendbarkeit der Liberalisierungen im Handel auf die Regio- Nr.187/2013). nen mit Sonderstatut bestätigt. Januar 2011 Die Regierung ficht das Landesgesetz zur Regelung der Glücksspiele an, das u.a. ihren- Januar 2015 Das Land wendet sich ans VerfGH, weil der Staat in die autonomen Zuständigkeiten Betrieb in der Nähe von Schulen verbietet. beim Tourismus eingegriffen hatte, indem Hotels in Gemeinschaftseigentum erlaubt wurden. Mai 2011 Die Regierung verbietet dem Land Südtirol Die Aufstellung von Erklärungstafeln in der Nähe der faschistischen „Beinhäuser“ an den Grenzen. Mai 2015 Die Präfektur ordnet an, dass die offiziellen Fahnen zur Erinnerung an den Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 ausgehängt werden müssen. Der Großteil der Gemeinden und das 2011 Minister E. Vito lehnt den Antrag des Senators Peterlini auf Gleichstellung der deut- Land Südtirol beugen sich diesem Befehl nicht. schen Sprache mit dem Italienischen in der Integration der Migranten. Oktober 2015 Die Landesregierung ficht zwei Wettbewerbe für Posten in der Polizei an, weil sie die Dezember 2011 Die Regierung ficht das Landesgesetz zur Einwanderung an, das mit Stimmen von SVP, Pflicht zur Zweisprachigkeit verletzten. PD und Grünen verabschiedet worden ist. November 2015 Das Land muss auf die von der Regierung verfügte Rücknahme einiger Pflichten der März 2012 Der VerfGH erklärt einen Abschnitt des Landesgesetzes zur Raumordnung für nicht ge- Notare zur Zweisprachigkeit reagieren. rechtfertigt, weil in diesem speziellen Bereich die Staatsgesetze Vorrang haben. November 2015 Eine zentralistische Reform der Arbeitsvermittlung bedroht sowohl die Zuständigkeit Juni 2012 Der Landeshaushalt wird der Kontrolle eines staatlichen Sonderkommissars unterstellt. der Landesregierung als auch die Zweisprachigkeitspflichten. Februar 2016 Die Regierung ficht die Neuordnung der Haushaltsregeln der Gemeinden vor dem November 2012 Das Kassationsgericht begrenzt das Recht auf Verwendung der deutschen oder italie- VerfGH an. nischen Sprache vor Gericht in Südtirol auf jene Personen, die im Land ansässig sind. Februar Die Landesregierung wendet sich an den VerfGH, weil die Zollämter systematisch die Italien wird daraufhin vom EuGH verurteilt. Verpflichtung zu Proporz und Zweisprachigkeit missachten. 2016 Oktober 2012 Das Landesgesetz zur Toponomastik wird vom VerfGH angefochten auf Initiative einer März 2016 Gruppe von Landtagsabgeordneten, obwohl es von einer breiten Mehrheit vom Land- Das Land beschließt die Anfechtung des Staatsgesetzes zur Stabilität, weil es die Lan- tag verabschiedet worden war. deszuständigkeit verletzt. Juli 2016 Januar 2013 Die Regierung Letta ficht einen wichtigen Abschnitt des Landesgesetzes zum Handel an. Die Regierung Renzi lehnt es ab, die Zuständigkeit für die Sanktionierung der Verletzung der Zweisprachigkeitspflichten ans Land abzutreten. Oktober 2016 Nach Anfechtung der Landesgesetze zur Rechnungsführung der Gemeinden, novelliert Juli 2013 Auch die Regierung Letta bleibt beim Beschluss zur Schließung aller Bezirksgerichte, das Land die Materie. Von den ursprünglich 70 Artikeln bleiben nur mehr 40 übrig. gegen den Willen der Autonomen Provinz Bozen. Quelle: Simon Costantini, Blog Brennerbasisdemokratie. September Die Regierung gibt den Pächtern von Schutzhütten keine Freiheit beim Aushängen von 2013 Fahnen. November 2013 Das VerfGH entscheidet, dass die Genehmigung von neuen Apotheken nicht der Auto- nomen Provinz, sondern dem Staat zusteht. Februar 2014 Die Landesregierung ficht das Stabilitätsgesetz der Regierung Letta an, weil es die auto- nomen Zuständigkeiten verletzt. Mai 2014 Das VerfGH greift von neuem in das Landesraumordnungsgesetz ein. August 2014 Die Autonome Provinz ficht ein Dekret des Innenministeriums an, das das Land ver- pflichtet, Ausgleichszahlungen zur GIS an den Staat zu zahlen. November 2014 Die Regierung versucht, die Autonome Provinz zu verpflichten, Abfall aus anderen Regi- onen Italiens zu importieren. Oktober 2014 Die Ärztegewerkschaft VSK/BSK verklagt Italien vor dem EuGH, weil das sich das For- schungsministerium weigert, die in Österreich erworbenen Facharzttitel anzuerkennen.

22 23 im Gefolge der Verfassungsreform von 2004 ist es uns völkerrechtlich verankert ist, noch auf dem Minderhei- Zeller: Art. 26 sieht lediglich vor, dass Präsident und Vi- gelungen, das Einvernehmen bei Änderungen des Au- tenschutz beruht, in Frage gestellt wird. zepräsident der jeweils anderen Sprachgruppe angehö- tonomiestatuts einzubauen, was Schutz vor einseitigen ren müssen. Eingriffen des Parlaments bietet. Leider ist die letzte Ihr Reformvorschlag nimmt naturgemäß Bezug auf Verfassungsreform 2006 mittels Referendum abgelehnt das Abkommen von Mailand von 2009, das im Statut Der Wortlaut des Art. 47 Autonomiestatut hat bezüg- worden. 2006 bis 2008, unter der Regierung Prodi, war mit einigen Neuerungen verankert werden soll. Dieses lich der Umsetzung der Rechte auf direkte Demokratie die Zeit zu kurz, um Verfassungsänderungen auf den Abkommen wurde zum Teil mit dem Sicherungspakt für Unmut gesorgt. Die Zulässigkeit von Volksinitiati- Weg zu bringen. Ab 2008 waren bis 2013 wieder zentra- von 2014 ersetzt. Sehen Sie, nach den Erfahrungen mit ven zu Regierungsformgesetzen des Landes ist unklar, listisch ausgerichtete Regierungen (Berlusconi – Monti) der Regierung 2011-2013, die Notwendigkeit, auch die auch die Zulässigkeit der Einführung des bestätigen- am Ruder und die SVP war in der Opposition, was Ände- Finanzbestimmungen – sofern für Südtirol akzeptabel den Referendums auf Landesgesetze. Ihr Entwurf rungen des Autonomiestatuts wohl zu einem Harakiri- – zum Kernbereich des Statuts zu erheben, also Verfas- ändert weder etwas an diesem Artikel, noch führt er Die Vollautonomie Unternehmen gemacht hätte. sungsrang zu verleihen, um einseitigen Änderungen zusätzliche Mitbestimmungsrechte ein (z.B. Statuts- kommt nach der durch den Staat einen Riegel vorzuschieben? initiativrecht der Bürger und des Landtags). Warum Verfassungsreform Als Hauptbegründung für die dezidierte Erweiterung Zeller: Die Finanzregelung hat bereits Verfassungsrang nicht? der Kompetenzen der Länder wird die gute Verwal- und kann nicht einseitig vom Staat abgeändert werden. Zeller: Es steht dem Landtag selbst bereits heute zu, die Gespräch mit Senator DDr. Karl Zeller tung durch die Autonomen Provinzen angeführt. Kann Mit dem Sicherungspakt von 2009 ist es gelungen, wei- verschiedenen Arten des Referendums zu regeln. Es be- dieser Grund allein für einen derart weitgehenden Au- tere Schlupflöcher zu schließen, die die Zentralregie- steht daher aus meiner Sicht auf verfassungsrechtlicher Zusammen mit Senator Berger haben Sie im März tonomieausbau reichen? rung zur Umgehung der autonomen Rechte ausgenutzt Ebene kein weiterer Handlungsbedarf. 2013 einen Verfassungsgesetzentwurf für die Gewäh- Zeller: Die Autonomie muss sich weiter entwickeln und hatte. rung der Vollautonomie eingebracht. Welches Ergeb- darf nicht stehen bleiben. Südtirol muss eine Modell- Ein mit partizipativer Konventsmethode erstellter Ent- nis, welche Reaktion gab es darauf innerhalb der Ver- und Musterautonomie sein, da wir sonst Gefahr lau- Im Vorschlag von Toniatti/Postal/Carli für ein 3. Statut wurf eines neuen Regionalstatuts ist von der Region fassungskommission bzw. des Koalitionspartners? fen, die vielen Sonderregeln, die von vielen als „Privi- wird die Kategorie der konkurrierenden Gesetzgebung Friaul Julisch Venetien 2005 dem Parlament als Regi- Zeller: Dieser Gesetzentwurf wurde vom Parlament legien“ angesehen werden, nicht mehr rechtfertigen zu kurzerhand abgeschafft. Für die primären Zuständig- noch nicht diskutiert, da die Reform der italienischen onsinitiative vorgelegt worden, seitdem aber unbe- können. Mit 90% des Steueraufkommens, das im Land keiten der Länder gelten als Schranken nur mehr Ver- handelt geblieben. Welche Chance besteht, dass der Verfassung im Vordergrund stand. Erst danach, wenn bleibt, sollte Südtirol alle öffentlichen Dienstleistungen fassung, das EU-Recht und internationale Verpflich- also der Rahmen nach der Volksabstimmung im Okto- mit Bürgerbeteiligung erstellte Revisionsvorschlag für und Dienste übernehmen und finanzieren, auch jenen tungen (Verträge). Eine solche Norm fehlt in Ihrem unser Autonomiestatut im Parlament ernsthaft be- ber 2016 klar ist, werden die Änderungen der fünf Au- Rest, den heute noch der Staat verwaltet. Entwurf. Warum? tonomiestatute diskutiert werden, darunter auch unser handelt wird? Zeller: Auch in meinem Entwurf gibt es nur mehr primä- Zeller: Das hängt von den politischen Rahmenbedin- Projekt der Vollautonomie. Die Region wird in Ihrem Entwurf zu einem „Organ der re Zuständigkeiten und keine konkurrierenden Bereiche gungen und der Stärke der Vertretung der Autonomie- Beratung, Planung und Koordination“ bei gemeinsa- mehr, wobei die Gesetzgebungstätigkeit nur mehr den Dieser VerfGE Nr. 32 bringt eine umfassende Erneue- parteien in Rom ab. men Interessenfeldern der beiden Provinzen. Sie ver- Schranken der Verfassung sowie der europäischen und rung des Autonomiestatuts in der Mehrheit seiner 115 liert alle legislativen Kompetenzen. Interessanterwei- internationalen Verpflichtungen unterworfen ist (siehe Artikel. Er wäre eigentlich schon ausgehend vom Ver- se bringt auch der von der Trentiner Landesregierung Art. 6 und 7). fassungsgesetz Nr. 3/2001 mit der „clausola di maggi- in Auftrag gegebene Entwurf eines 3. Autonomiesta- or favore“ zugunsten der Regionen mit Sonderstatut tuts (Carli, Postal, Toniatti) diese Art von Entkernung Art. 26 Ihres VerfGE Nr. 32 bringt eine weitere interes- möglich gewesen. Warum erfolgte er erst 2013? der Region. Sehen Sie deshalb eine Chance der Eini- sante Neuerung. In den Leitungsgremien der lokalen Zeller: Nach 2001 waren bis 2006 Mitte-Rechts-Regie- gung mit den Trentinern zu diesem heiklen Punkt? Körperschaften und der Körperschaften von landes- rungen in Rom am Ruder, deren erklärtes Ziel es war, die Zeller: Ich hoffe es, denn Trient ist über das gemeinsa- weiter Bedeutung soll die Vertretung aller Sprachgrup- Südtiroler Autonomiebestimmungen zu kippen (siehe me Autonomiestatut und die Verzahnung der beiden pen gewährleistet werden. Um welche Körperschaften Ankündigung der Minister Frattini, La Loggia und Fini). autonomen Provinzen abgesichert. Das Klammern an geht es dabei? Auf welches Kriterium des Sprachgrup- Es wäre also ein Himmelfahrtskommando und wohl überholte Einrichtungen erachte ich als wenig zielfüh- penverhältnisses würde diese Vertretung dabei Bezug auch ein Eigentor gewesen, im Parlament offensiv die rend. Auch bringt ein Konflikt mit Bozen für Trient das nehmen? Änderung des Autonomiestatuts voranzutreiben. Erst Risiko, dass die Autonomie des Trentino, die weder

24 25 Tab. 2 - Südtirol: die beste Autonomie Europas? Am 5. November 2014 stellte LH Arno Kompatscher im Landtag fest, dass Südtirol über die am weitesten reichende Territorialautonomie Europas verfüge. Hier ein nicht erschöpfender Überblick zur Begründung, warum diese These nicht haltbar ist.

Politischer Sachbereich Südtirol Katalonien Åland Inseln Landespolizei Nein Ja Ja Strafvollzug Nein Ja Nein Steuereinhebung Nein Ja Nein Konsumentenschutz einschließlich Sprachengleichstellung bei Nein Ja Nein den Etiketten der Produkte Recht auf eigene Auslandsvertretungen Nein Ja 3 Silvius-Magnago-Platz in Bozen Primäre Kompetenz für das Lehrlingswesen Nein Ja Ja Primäre Kompetenz für das Bildungssystem Nein Ja Ja Primäre Kompetenz für Toponomastik ohne Einschränkungen Nein Ja Ja Zuständigkeiten: Zuständigkeit für Notare, Anwälte, Berufskammern, Regelung Nein Ja freier Berufe Statutshoheit (Recht, Autonomiestatut selbst zu erstellen) Nein Ja Ja die Palette vervollständigen Mitspracherecht bei Regelung der Migration Nein Ja Ja Zuständigkeiten bei Banken und Versicherungen einschl. Nein Ja Ja deren Besteuerung Die Zuständigkeitsbereiche autonomer Gesetzgebung und Verwaltung sind das Herzstück einer Territorialau- Regionale Bürgerschaft mit einigen den Regionsbürgern Nein Nein Ja tonomie. Hier entscheidet sich die Frage: wie weit reicht die Selbstregierung eines Teilgebiets eines Staats und vorbehaltenen Rechten welche Grenzen setzt dieser der autonomen Region in der Ausübung ihrer Befugnisse? Die Qualität einer Auto- Möglichkeit, sich aus der Anwendung internationaler Verträge Nein Nein Ja nomie aus der Sicht der betroffenen Bevölkerung bemisst sich vor allem daran: „Wieviel dürfen wir bzw. unse- auszuklammern re demokratischen Institutionen vor Ort selbst regeln? Was hingegen behält sich der Staat vor?“ Und weiters: Teil-Zuständigkeit im Zivilrecht Nein Ja Nein „Welche Grenzen und Auflagen setzt uns der Zentralstaat in der Ausübung der Autonomie?“ Blickt man auf Verwaltung der Gerichtsbarkeit Nein Ja Nein die heute funktionierenden Territorialautonomien, lässt sich ein Kontinuum beobachten ausgehend von einem Eigener Rechnungshof Nein Ja Nein Mindestmaß an Zuständigkeiten bis hin zu einer umfassenden Autonomie, die dem Zentralstaat nur mehr seine Autonomie-Garantierat Nein Ja Nein klassischen Funktionen belässt. Wie weit ist Südtirol davon entfernt? Eigener Oberster Gerichtshof Nein Ja Nein Ausschließliche Zuständigkeit für öffentlich- rechtliche Nein Ja Ja Medien Zeit für mehr Klarheit 115). In der italienischen Rechtsordnung ist dies – wie Ausschließliche Zuständigkeit Gemeindeordnung Nein Ja Ja manch anderer Aspekt – nicht so klar: es gibt in Südtirol Geteilte Zuständigkeit Sozialversicherungswesen Nein Ja Ja In Bundesstaaten wird die „vertikale Aufteilung der vier Gesetzgebungsebenen (EU, Staat, Region und Au- Beteiligung an Verhandlungen des Staats mit EU Nein Ja Ja Macht“ zwischen Bund und Ländern bzw. Kantonen tonome Provinz), drei Kategorien von Zuständigkeiten Recht auf Einbeziehung in internationale Vertragstätigkeit des Nein Ja Ja oder Gliedstaaten meist sehr klar vorgenommen. Der (primär, sekundär, tertiär), es gibt nach Rechtsquelle Staats, wenn damit in Zuständigkeiten der Autonomen Region Liste der Bundesaufgaben steht in der Verfassung eine verschiedene Arten von Rechtsnormen (Staatsgesetze, eingegriffen wird zweite Liste der Länderaufgaben gegenüber, ergänzt Dekrete, DFB, EU-Normen usw.) und neuerdings „trans- Geteilte Kompetenz für die Sparkassen Nein Ja Nein durch eine etwas kürzere Liste von konkurrierenden, versale Kompetenzen“ des Staats. Schließlich gab es in Ausschließliche Zuständigkeit im Gesundheitswesen Nein Ja Ja also gemeinsam von Bund und Ländern wahrgenom- der Entwicklung der Südtiroler Autonomie zahlreiche Postwesen Nein Nein Ja menen Zuständigkeiten. Auch in fortgeschrittenen Regi- Zuständigkeiten, die der Staat ans Land delegiert hat. Einschränkungen beim Grunderwerb für Nichtansässige ohne Nein Nein Ja Regionalbürgerschaft onalstaaten wie Spanien wird diese Aufteilung zwischen Andere fielen den Autonomen Provinzen durch die Ver- Madrid und den Autonomen Gemeinschaften sehr fein fassungsreform von 2001 zu, um dann durch die Reform Quellen: Simon Constantini, Der Autonomievergleich, URL:www.brennerbasisdemokratie.eu vom 6.11.2014; jeweilige Autonomiestatute; Thomas Benedikter (2012), Moderne Autonomiesysteme, EURAC Bozen definiert (vgl. das Statut von Katalonien 2006, Art. 110- der Regierung Renzi wieder zu verschwinden, ohne im

26 27 Autonomiestatut formell festgeschrieben worden zu nen Klarheit zu schaffen sowie Verantwortungsbereiche gericht zur Interpretation des zustehenden, legislativen Neue Schranken tun sich mit der Verfassungsreform der sein. Dies macht das Gesamtbild reichlich verwirrend. eindeutig zuzuordnen. Dadurch können zeitraubende Spielraums. Die ergänzenden Befugnisse stellen eigent- Regierung Renzi auf. Zwar bleibt der Bestand der Au- Nach Art der Übertragung könnte man zwischen vier und kostenträchtige Konflikte um Zuständigkeiten vor lich gar keine Autonomie mehr dar, denn hier kann der tonomie der Regionen mit Sonderstatut bis zur Anpas- Kategorien von Zuständigkeiten unterscheiden: dem Verfassungsgerichtshof verringert werden. Landtag nur mehr kleine Details der Anwendung eines sung ihrer Statuten durch eine eigene Klausel geschützt, 1. Zuständigkeiten, die per Autonomiestatut ans Land Die neuen, von der Verfassungsänderung 2001 an die Gesetzes regeln. Die Limitierung dieser Schranken war doch werden sich neue Grundregeln (Suprematie-Klau- übertragen wurden (Art. 8, 9, 10 ASt.); Regionen gefallenen Zuständigkeiten sind einer zusätz- in der Verfassungsreform von 2001 (Art. 117, Abs.1) sel, transversale Materien) auch auf die autonomen Re- 2. Zuständigkeiten, die gemäß Art. 17 ASt. vom Staat lichen Schranke seitens des Zentralstaat unterworfen: schon vorgesehen, ist aber nicht umgesetzt worden. gionen auswirken, sofern nicht in der Verfassung selbst ans Land delegiert und per DFB geregelt worden sind die transversalen Befugnisse des Staats z.B. beim Um- Die Aufteilung der Regelungsmacht zwischen Bozen Vorkehrungen getroffen werden. Als „autonomia spe- (wie primäre Zuständigkeiten); weltschutz, beim Handel und im Wettbewerbsrecht (öf- und Rom ist allerdings noch komplizierter, denn einen cialissima“ könnte Südtirol – am besten losgelöst von 3. Zuständigkeiten, die aufgrund des Gesetzes Nr. 549 fentliches Vergabewesen). „Durch die Neuordnung der Teil der heute ausgeübten Befugnisse hat der Staat der überholten Region Trentino-Südtirol – seinen eige- vom 28.12.1995, Art.1, Abs. 56, „Maßnahmen zur Zuständigkeitsaufteilung zwischen Staat und Regionen an Südtirol nur delegiert, d.h. in einem gewissen Sinn nen Weg gehen. Wie in anderen autonomen Regionen Rationalisierung der öffentlichen Finanzen“ vom der Verfassungsreform 2001 (Art. 117 Verf) ist die regio- nur auf Widerruf überlassen. Laut Art. 117 Verf. kann Europas genügt es, die Verfassung, das Unionsrecht Staat übertragen worden sind, und vom Staat wieder nale Kompetenzsphäre keinesfalls klar abgegrenzt: eine der Staat zwecks Kosteneinsparung oder funktionaler und die internationalen Verpflichtungen eines Staats rückgängig gemacht werden können; Reihe von staatlichen Gesetzgebungszuständigkeiten Zweckmäßigkeit Gesetzgebungs- und Verwaltungskom- als Grenzen für die autonome Gesetzgebung zu setzen. 4. Zuständigkeiten, die den autonomen Regionen durch ‚transversalen‘ Charakters ermöglichen dem staatlichen petenzen sozusagen freihand an Regionen übertragen. Es bildet geradezu den Grundcharakter einer Territorial- das Verfassungsgesetz Nr. 3/2001, Art. 10 (Besser- Gesetzgeber Regelungen zur Wahrnehmung einheitli- Mit diesem schon im Autonomiestatut (Art. 17 ASt) vor- autonomie, dass die autonome Gemeinschaft in ihrem stellungsklausel) übertragen worden sind. cher Interessen in allen Sachbereichen staatlicher Zu- gesehenen und mit Staatsgesetz Nr. 549/1995 bekräf- Zuständigkeitsbereich ganz eigenständig Lösungen für ständigkeit.“ (Happacher 2013, 176). Um die Südtiroler tigten Instrument ist die Südtirol-Autonomie nach der politische Sachfragen finden kann, die vom restlichen Gemäß der zu beachtenden Grenzen sieht das Autono- Autonomie zu erweitern, geht es nicht nur um die Ver- Streitbeilegung 1992 wesentlich ausgebaut worden, Staatsgebiet abweichen (sofern sie mit der Verfassung miestatut drei Arten von Zuständigkeiten vor: längerung der Liste primärer Zuständigkeiten, sondern ohne das Autonomiestatut formell zu verändern. Den- vereinbar sind). 1. Primäre Zuständigkeiten mit den Grenzen: Verfas- vor allem auch darum, die Schranken für die Gesetz- noch gehören diese Zuständigkeiten nicht definitiv zum sung, internationale Verpflichtungen, Grundsätze gebung des Landes zu reduzieren und zu minimieren, Kern der Gesetzgebungsautonomie, weil ein Teil davon Ein neuer Anlauf der Rechtsordnung, nationale Interessen und Grund- statt noch weiter zu verstärken. vom Staat einseitig wieder rückgängig gemacht werden für Vollautonomie bestimmungen der wirtschaftlich-sozialen Reformen; kann (z.B. die Zivilmotorisierung, die Arbeitsvermitt- 2. Sekundäre Zuständigkeiten mit den Grenzen wie für Zu viele Schranken lung, die Staatsstraßen usw.). Deshalb hat Südtirol, wo Der unvollständige Umfang autonomer Zuständigkei- primäre Zuständigkeiten plus Grundsätze einschlägi- für die Autonomie immer möglich, zwecks Ausbau seiner Zuständigkeiten ten, zu viele Schranken und Unklarheiten in der Ab- ger staatlicher Gesetze; den Weg der DFB gewählt, um vor einseitigen Änderun- grenzung der Zuständigkeiten, zugeteilte und dann 3. Tertiäre Zuständigkeiten: das Land darf Ergänzungen Die Südtiroler Autonomie ist – wie jene des Trentino – gen geschützt zu sein. vom Staat wieder zurückgenommene Zuständigkeiten zu den jeweiligen staatlichen Bestimmungen erlas- nicht nur wegen zahlreicher fehlender, also beim Staat Damit noch nicht genug der Einschränkungen der und neue Eingriffsrechte des Zentralstaats: das ist keine sen. verbliebener Zuständigkeiten eine „Teilautonomie“, Reichweite der Autonomie des Landesgesetzgebers. gute Grundlage für eine klare Aufteilung von Aufgaben Die Tragweite gewisser im Statut verankerter Zuständig- sondern auch deshalb, weil die legislativen und exekuti- Die autonomen Zuständigkeiten werden zum einen im- und Verantwortung, im Gegenteil: diese Art, Autono- keiten wurde oft erst mit DFB geklärt. Außerdem sind ven Zuständigkeiten mit unterschiedlich engen Grenzen mer mehr durch die ausufernde Normensetzung der EU mie zu organisieren, sorgt für permanente Unsicher- 15 Maßnahmen des Pakets mit einfachem Staatsgesetz ausgeübt werden können: man kann von „geteilten Zu- beschränkt, auf die in Abschnitt 12 eingegangen wird. heit und Rechtsstreit vor dem Verfassungsgerichtshof. durchgeführt worden. Nach 1992 hat der Staat mit ein- ständigkeiten“ sprechen, weil der Staat die allgemeinen Zum anderen durch die bei der Region Trentino-Südtirol Heute stehen Staat, Regionen und autonome Provinzen fachem Gesetz im Sinne des dynamischen Ausbaus der Prinzipien eines Sachbereichs festlegt, und die auto- verbliebenen Zuständigkeiten. So kann Südtirol etwa vor der Herausforderung, die Zuständigkeiten zu klären, Autonomie weitere Zuständigkeiten ans Land delegiert, nomen Länder die Details. Diese Prinzipien werden in seine Gemeindeordnung nicht eigenständig regeln, zu erweitern, deren Schranken zu vereinfachen und zu z.B. die enorm wichtige Regelung der Großableitungen der Verfassung mit „Grundlegende Bestimmungen der sondern muss sich in diesem Bereich mühsam mit der senken. Die SVP-Senatoren Karl Zeller und Hans Berger für Wasserkraftwerke. Schließlich wurde der Zuständig- wirtschaftlich-sozialen Reformen“ und „Grundsätzen Provinz Trient zusammenraufen. Bei der Ausübung der haben in ihrem Verfassungsgesetzentwurf Nr. 32 vom keitsbereich der Autonomen Provinz durch das Verfas- der staatlichen Rechtsordnung“ bezeichnet und eröff- Gesetzgebungskompetenzen der Region wirkt Südti- 15. März 2013 diesen Ansatz gewählt, um die Zustän- sungsgesetz Nr.2/2001 erweitert, doch nicht formell ins nen einen breiten Ermessensspielraum. Entsprechend rol zwar paritätisch mit, doch können Regionalgesetze digkeiten neu zu ordnen. Statut übernommen. Die Autonomie bietet bald das oft kommt es auch zum Rechtsstreit zwischen Regie- auch gegen die politische Mehrheit im Land durchge- Südtirol hat in den 44 Jahren der Anwendung des2. Bild eines Flickwerks. So drängt sich eine Statutsreform rung und Autonomen Provinzen vor dem Verfassungs- setzt werden. Autonomiestatuts den Nachweis dafür erbracht, dass allein schon deshalb auf, um für Politiker und Bürgerin-

28 29 es seine Zuständigkeiten gut zu nutzen weiß. Die Bevöl- • Staatliches Wahl- und Volksabstimmungsrecht, Wahl näre Kompetenz übertragen. Zudem würden in diesen Übergang einiger Verwaltungsbereiche vom Staat ans kerung hat auch bei vielen Sachbereichen den Vorher- der Europaparlamentarier Italiens Zuständigkeitskatalog auch alle bisherigen Regionalbe- Land geregelt worden, doch unter Berlusconi und Mon- Nachher-Vergleich gut vor Augen etwa in der Instand- • Ordnung der öffentlichen Körperschaften des Zent- fugnisse einfließen, sollte diese Institution als solche ti jahrelang nicht umgesetzt worden, wie z.B. der Über- haltung und Ausbau der früheren Staatsstraßen, bei ralstaats bestehen bleiben (Art. 4 ASt.). Der Region verblieben in gang der staatlichen Agenturen für Einnahmen ans Land. der Arbeitsvermittlung, bei der Verwaltung des Schul- • Familienrecht, Zivilrecht, Strafrecht, Wirtschaftsrecht diesem Fall nur mehr die Aufgabe, die Zusammenarbeit So hat der Staat vor allem bei den in Art. 117, Abs.2 personals und bei der Energieversorgung. Südtirol hat • Patentrecht, Schutz geistigen Eigentums der beiden autonomen Länder zu regeln. Verf., vorgesehenen „transversalen Materien“ (z.B. mit konkreten Erfolgen bei den öffentlichen Aufgaben • Zollwesen, Grenzschutz, staatliche Entwicklungszu- Interessanterweise wird dieser Ansatz, nämlich die Vergaberecht, Umwelt-, Ökosystem- und Kulturgüter- nachgewiesen, dass es öffentliche Mittel effizient ein- sammenarbeit Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Autonomen schutz, Raumentwicklung) in die Gesetzgebungskom- setzt, einen höheren Standard an Sozialleistungen si- • Prozessrecht und die Justiz (ohne Verwaltung) Provinzen und Staat zu klären und zu vereinfachen, petenz der Autonomen Provinzen eingegriffen. Die chert, relativ wenig Korruption im System zulässt. auch vom Trentiner Expertentrio Toniatti/Postal/Car- Provinzen konnten sich dagegen vor dem Verfassungs- Es ist nicht alles Gold, was hier glänzt, und Südtirol hat Dabei muss festgehalten werden, dass das Straf- und li in ihrem Entwurf für ein 3. Autonomiestatut geteilt. gericht nur zum Teil zur Wehr setzen. Einige Beispiele: so manche Skandale erlebt. Doch weisen die amtlichen Zivilrecht in weiter fortgeschrittenen Autonomiesys- Sie schaffen die konkurrierende (sekundäre) Gesetz- im März 2013 wurde die neue Südtiroler Handelsord- Statistiken bei vielen Indikatoren der wirtschaftlichen temen (z.B. in Schottland und Katalonien) durchaus gebungskategorie ab und behalten vier Arten von Zu- nung außer Kraft gesetzt, im Mai 2012 wurden Teile der und sozialen Entwicklung Südtirol und das Trentino re- zumindest teilweise auf regionaler Ebene geregelt ständigkeiten bei, darunter auch die Satzungsgesetze Raumordnung außer Kraft gesetzt, 2012 ist das neue gelmäßig einen Spitzenplatz zu. Davon leitet sich die werden. Da diese Rechtsbereiche andererseits in Bun- der Provinzen (z.B. Wahlrecht und Direkte Demokratie- Toponomastikgesetz des Landes angefochten worden. Forderung von Zeller und Berger ab, sämtliche „dezen- desländern meist in der Hand des Bundes liegen (z.B. Gesetz und dergleichen). Halten wir fest: beim Umfang Besonders pikant das Beispiel der Gebäudeabstände, tralisierbare“ Staatsfunktionen den beiden autonomen in Österreich und Deutschland), kann davon abgeleitet der autonomen Zuständigkeiten kann man für Trentino- geregelt im Landes-Raumordnungsgesetz. Eine An- Provinzen zu überlassen. In einem eigenen Artikel ihres werden, dass es auch für Südtirol keiner Regelungskom- Südtirol grundsätzlich zur Verfassungsreform von 2001 fechtung aus Rom erschwert die energetische Sanie- VerfGE (Art. 5) werden in diesem Sinn neun Zustän- petenz auf Landesebene bedarf. zurückkehren, also die Zuständigkeiten Roms auf dem rung alter Gebäudesubstanz in Südtirol. Kurz: wie weit digkeiten des Zentralstaats aufgelistet, um für größt- Im Folgenden definieren Zeller und Berger die Grenzen geringstmöglichen Maß festschreiben, den Autonomen entfernt ist das Projekt Vollautonomie, wenn der Staat mögliche Klarheit zu sorgen. Dieses System ist auch der autonomen Gesetzgebung. Dabei sollte der Grund- Provinzen die Generalkompetenz für alle andere Be- Südtirol immer noch vorschreibt, wieviel Zentimeter bei der Reform des Autonomiestatuts der Autonomen satz des Verfassungsgesetzes Nr.3/2001 wieder aufge- reiche zuteilen (dies allerdings zur Sicherheit im Detail der Mindestgebäudeabstand zu betragen hat? Gemeinschaft Katalonien angewandt worden, um den griffen werden und zwar speziell für Südtirol und das noch auflisten) und die konkurrierende Gesetzgebung Graubereich unklarer Zuständigkeiten zu minimieren Trentino. Die Autonomen Provinzen sollen im Rahmen als Kategorie abschaffen. Die vom Staat neu delegierte Mit der Renzi-Boschi-Verfassungsreform wird dieser und dadurch Konflikten vor dem Verfassungsgericht der Verfassung, der EU-Normen und völkerrechtlicher Gesetzgebung würde daneben nur mehr sehr geringe leidige Konflikt um die Auslegung autonomer Zustän- vorzubeugen. Eine sehr präzise Auflistung, welche Zu- Verpflichtungen Italiens legislativ tätig werden. Abgese- Bedeutung haben, während die schon delegierten Be- digkeiten nur noch schlimmer. Zwar ist die Autonomie ständigkeiten in einer modernen Territorialautonomie hen würde sowohl von den Grundsätzen sozialer und fugnisse in den Korpus autonomer Zuständigkeit Südtirols und des Trentino in ihrem (unzureichenden) dem Staat überlassen bleiben können, findet sich im wirtschaftlicher Reformen, dem nationalen Interesse eingingen. Bestand durch die sog. Schutzklausel (Art. 39, Abs. 13 Statut der Åland Inseln (Art. 27). Hier die exklusiven Zu- und den Prinzipien der Rechtsordnung als auch von der der im April 2016 im Senat verabschiedeten Verfas- ständigkeiten, die laut VerfGE Zeller/Berger beim Staat mit der Verfassungsreform Renzi eingeführten Supre- Neue Zuständigkeiten contra sungsreform) geschützt, doch gibt es jetzt eine neue verbleiben können: matie-Klausel. Form des Vorrangs staatlicher Interessen gegenüber Der umfangreichste und bedeutendste Artikel des „Suprematie“ des Zentralstaats der regionalen Gesetzgebung, die Suprematie-Klausel • Außenpolitik und auswärtige Angelegenheiten des VerfGE von Zeller und Berger (Art. 8) listet dann sämt- Die Crux liegt nun darin, dass sowohl bei der Aufteilung („clausola di supremazia“; neuer Art. 117, Abs. 4 Verf.). Staats liche 57 Landeszuständigkeiten explizit auf, wobei auch der autonomen Zuständigkeiten als auch bei der Rege- Das Parlament, aber auch die Regierung kann im Inter- • Staatsbürgerschaft, Asylrecht, Flüchtlingspolitik, Auf- die Residualkompetenzen (Restkategorie) dem Land zu- lungstiefe (primär-sekundär-tertiär) Rom derzeit das esse der wirtschaftlichen und politischen Einheit in die enthaltsrecht geordnet werden. Dies dient der Klärung und Abgren- Rad der Zeit massiv zurückdreht, eine Art „dynamische regionalen Zuständigkeiten eingreifen, und zwar auch • Die Beziehungen zwischen Staat und Religionsge- zung des Kompetenzbereichs, um Zuständigkeitskon- Autonomie nach rückwärts“ einleitet. In den letzten Jah- in die primären Regionsbefugnisse. Die neozentralisti- meinschaft flikte möglichst zu vermeiden. Dabei sollten nicht nur ren ist zwischen Rom und Bozen ein Dauerkonflikt über schen Verfassungsgeber werden auch bei der jetzt an- • Verteidigung, Waffenrecht die bisher sekundären Kompetenzen zu primären wer- die Auslegung autonomer Zuständigkeiten entstanden, stehenden Revision der Statuten der fünf autonomen • Geld- und Währungspolitik, Bankenrecht und Kredit- den – die ergänzende Zuständigkeit ist ohnehin obso- nicht nur bei den Finanzen, sondern bei verschiedenen Regionen darauf pochen, dass dieser „Suprematie“ fragen let – sondern auch die bisher nur vom Staat delegierten vermeintlich schon längst autonomen Kompetenzen. stattgegeben wird. • Die beim Staat verbleibenden Steuern und Abgaben Zuständigkeiten würden definitiv den Ländern als origi- Zudem sind auch mit dem Mailänder Abkommen der

30 31 Tab. 3 – Die Entwicklung der Zuständigkeiten der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol

Zuständigkeit Autonomie- Autonomie- Verfassungs- Neues 31 Grund- und Sekundarschulen ◀▷ ◀▷ ◀▷ ◀▶ primäre Kompetenz ◀▶ statut 1948 statut 1972 reform 2001 Autonomie- (ab 2017: Bildungswesen) primäre Kompetenz nur in Teilbereichen ▶ mit Statuts- statut 32 Handel ◀▷ ◀▶ ◀▶ sekundäre Kompetenz ◀▷ änderungen Potenzielle Reform 2017 33 Lehrlingswesen ◀▷ ◀▷ ◀▶ 1 Ordnung der Landesämter und des Landespersonals ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ 34 Öffentliche Betriebe (Gastgewerbe) ◀▷ ◀▶ ◀▶ 2 Ortsnamengebung (mit Verpflichtung zur Zweispra- ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ 35 Industrie (vor 2001: Förderung der Industrieproduk- ◀▷ ◀▶ ◀▶ chigkeit), ab 2017 ohne Pflicht zur Zweisprachigkeit tion) 3 Schutz und Pflege des tradierten Kulturguts ◀▶ ◀▶ ◀▶ 36 Nutzung der öff. Gewässer (einschließlich Großablei- ◀▷ ◀▶ ◀▶ tungen für Wasserkraftwerke), 1972 Großableitun- 4 Örtliche Sitten und Bräuche, kulturelle Einrichtungen ▶ ◀▶ ◀▶ gen noch ausgeschlossen (ausgenommen Befugnis zur Errichtung von Hörfunk und TV-Stationen) 37 Ordnung der sanitären Körperschaften, Krankenhäu- ◀▶(Region) ◀▶(Region) ◀▶ ser (ab 2017: Gesundheitswesen) 5 Raumordnung und Bauleitpläne ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ 38 Gemeindeordnung- und Gemeindegrenzen ◀▶ (Region) ◀▶ (Region) ◀▶ 6 Landschaftsschutz ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ 39 Grundbuch und Kataster ◀▶ (Region) ◀▶ (Region) ◀▶ 7 Gemeinnutzungsrechte ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ 40 Feuerwehr (kann mit Zivilschutz zusammengefügt ◀▶ (Region) ◀▶ (Region) ◀▶ 8 Ordnung der Mindestkultureinheiten (Art. 847 BGB, ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ werden) Geschlossener Hof) 41 Handelskammern ◀▶ (Region) ◀▶ (Region) ◀▶ 9 Handwerk ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ 42 Genossenschaftswesen ◀▶ (Region) ◀▶ (Region) ◀▶ 10 Geförderter Wohnbau ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ 43 Öff. Fürsorge und Wohlfahrtseinrichtungen (kann ◀▷ (Region) ◀▷ (Region) ◀▶ 11 Binnenhäfen ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ mit Punkt 25 zusammengefügt werden) 12 Messen und Märkte ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ 44 Ordnung der Körperschaften für Boden- und Agrar- ◀▷ (Region) ◀▷ (Region) ◀▷ 13 Maßnahmen zur Katastrophenprävention, Zivilschutz ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ kredit, Sparkassen und Regionalbanken 14 Bergbau einschl. Mineral- und Thermalwässer ◀▶ ◀▶ ◀▶ 45 Sozialvorsorge und Sozialversicherung (Einrichtungen ◀▷ (Region) ◀▷ (Region) ◀▷ des Landes in Ergänzung der staatlichen Institute) 15 Jagd und Fischerei ◀▶ ◀▶ ◀▶ 46 Öffentliche Veranstaltungen (öff. Sicherheit bei ◀▷ ◀▷ ◀▶ 16 Almwirtschaft, Pflanzen- und Tierschutzparks ◀▶ ◀▶ ◀▶ Veranstaltungen) 17 Straßen, Wasserleitungen, öff. Arbeiten in Landesin- ◀▶ ◀▶ ◀▶ 47 Sport- und Freizeitgestaltung teresse ◀▷ ◀▷ ◀▶ 48 Internationale Beziehungen und mit der EU, be- 18 Kommunikations- und Transportwesen ◀▶ ◀▶ ◀▶ ◀▷ ◀▶ schränkt auf Südtirol, Entwicklungszusammenarbeit 19 Öffentliche Dienste: Eigenverwaltung und ◀▶ ◀▶ ◀▶ Sonderbetriebe zu diesem Zweck 49 Außenhandel (einschließlich Vertretungen im Aus- ◀▷ ◀▶ 20 Fremdenverkehr und Gastgewerbe ◀▶ ◀▶ ◀▶ land) 21 Land- und Forstwirtschaft ◀▶ ◀▶ ◀▶ 50 Arbeitssicherheit ◀▶ 22 Enteignung zu gemeinnützigen Zwecken in allen Be- ◀▶ ◀▶ ◀▶ 51 Berufsordnungen ◀▶ reichen von Landeszuständigkeiten 52 Wissenschaftliche und technologische Forschung, ◀▶ 23 Arbeitsvermittlung (Gemeinde- und Landeskommissi- ◀▶ ◀▶ ◀▶ Innovation onen, ab 2017 Gesamtzust. „Arbeitsvermittlung“)1 53 Ernährung, Konsumentenschutz ◀▶ 24 Wasserbauten der 3.,4.,5. Kategorie (ab 2017 keine ◀▶ ◀▶ ◀▶ 54 Zivilflughäfen ◀▶ Einschränkung auf Kategorien) 55 Große Transport- und Schifffahrtsnetze ◀▶ 25 Öffentliche Fürsorge und Wohlfahrt ◀▶ ◀▶ ◀▶ 56 Kommunikationswesen ◀▶ 26 Kindergärten ◀▷ ◀▶ ◀▶ ◀▶ 57 Erzeugung und Verteilung von Energie auf Landes- ◀▷ ◀▶ 27 Schulfürsorge (an 2017 einschl. Hochschulfürsorge) ◀▷ ◀▶ ◀▶ ◀▶ ebene 28 Schulbau ◀▶ ◀▶ ◀▶ 58 Alle künftigen primären Zuständigkeiten, die nicht ◀▶ 29 Berufsertüchtigung und Berufsausbildung ▶ ◀▶ ◀▶ ◀▶ dem Staat zugeordnet werden („Residualkompeten- zen“) an die Regionen und Aut. Provinzen; zu regeln 30 Ortspolizei in Stadt und Land ◀▷ ◀▷ ◀▶ ◀▶ gemäß Art. 117, Abs.4 Verf. nach Reform von 2001.

32 33 Anmerkungen zur Tabelle 3 Mit ihrer Vision der „Vollautonomie“ ging die SVP 2011 werden, die das Land permanent vor dem Durchgriffs- 1. Art.10 ASt. soll in folgender Weise abgeändert werden: „Die in der Provinz Bozen ansässigen Bürger haben das von der Vorstellung aus, Südtirol alle legislativen Zu- recht des Zentralstaats im Zuge der Suprematieklausel Recht auf Vorrang bei der Arbeitsvermittlung innerhalb der Provinz. Unter Berücksichtigung der EU-Prinzipien ist jede auf Sprachgruppenzugehörigkeit oder Ansässigkeitsdauer beruhende Unterscheidung ausgeschlossen.“ ständigkeiten zu übertragen, die nicht zum klassischen bewahrt. Ansonsten ist der Wert neuer Zuständigkei- Daraufhin kann der Art. 9 sowie Art. 10 (Abs 1 und 2) abgeschafft werden (vgl. VerfGE Zeller/Berger) Kernbereich der Aufgaben eines Zentralstaats gehören. ten von vornherein relativiert. Dies erfordert allerdings 2. Mit Art. 12 wird die primäre Zuständigkeit für die Großableitungen für Wasserkraftwerke dem Land übertragen. Dazu werden in der klassischen Staatstheorie die Au- auch eine Verfassungsordnung im Interesse der auto- Art. 13 zur unentgeltlichen Lieferung von Strom an die Provinzen kann entfallen. 3. Art 14: Nur nationale und internationale Kommunikations- und Transportlinien sollen in Zukunft vom Staat- ver ßen- und Verteidigungspolitik, die Justiz, das Straf- und nomen Regionen oder zumindest der „besonders au- waltet werden mit dem Recht auf Mitbestimmung des Landes. Zivilrecht und die Geld- und Währungspolitik und die tonomen Regionen“. Für einen Ausbau der Autonomie 4. Art. 15: Alle Einschränkungen in der Industrieförderung sollen fallen, wobei ohnehin EU-Wettbewerbsbestim- makroökonomische Wirtschaftspolitik gezählt. Doch im Rahmen der bestehenden Verfassungsordnung der mungen gelten. Quellen: Lukas Bonell/Ivo Winkler (2010), Südtirols Autonomie, Aut. Provinz Bozen; Senato della Repubblica (2013), schon beim Arbeits- und Sozialversicherungsrecht ge- richtige Weg. Disegno di legge costituzionale d’iniziativa dei senatori Berger e Zeller, 15 marzo 2013, n. 32; Weiterentwicklung hen die Meinungen in der Wissenschaft auseinander, Zur Vertiefung durch den Autor. und die Regelung der wichtigsten Steuern wird auch Die Numerierung folgt dem geltenden Autonomiestatut sowie dem Verf.GE Nr. 32/2013, Art. 8. in Bundesstaaten gemeinsam von Bund und Ländern Roland Riz/Esther Happacher (2004), Grundzüge des vorgenommen. Im Mehrebenensystem von EU, Staat italienischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung Nach der Verfassungsreform von 2001 war den Re- Warum sollte ein echt autonomes Land für sein Bildungs- der verfassungsrechtlichen Aspekte der Südtiroler Auto- gionen mit Normalstatut, doch explizit auch den Re- wesen, die Gastbetriebe, den Sport, aber auch das Ge- und Regionen sind die Regulierungskompetenzen noch nomie, Innsbruck Studia komplexer verteilt. Kann man Vollautonomie in diesem gionen mit Sonderstatut (clausola di maggior favore) sundheitswesen nur sekundär zuständig sein, also im Rah- Esther Happacher (2013), Modelle zur Weiterentwick- Kontext überhaupt genau definieren? eine Reihe neuer Zuständigkeiten zugeteilt worden. men der einschlägigen Staatsgesetze? Warum werden die lung der Autonomie, in: Happacher/Obwexer (Hg.), 40 Diese hätten gleich im Anschluss in die Statuten der seit 20 Jahren vom Staat nur delegierten Zuständigkeiten Jahre Autonomiestatut, Südtirols Sonderautonomie im Im VerfGE von Zeller/Berger Nr.32/2013 kommt man Kontext der europäischen Integration, FACULTAS, Wien autonomen Regionen formell eingebaut werden müs- nicht endlich im Autonomiestatut als echt autonome Be- dieser Vorstellung sehr nahe, korrigiert die Lücken des sen, was nicht erfolgt ist. Mit der Verfassungsreform fugnisse festgeschrieben? Warum gibt es überhaupt noch Oskar Peterlini (2014), Aufbruch in eine neue Zeit – Autonomiestatuts von 1972 in zweifacher Hinsicht: zum Renzi-Boschi werden den Regionen zahlreiche Zustän- die überholte Kategorie der „ergänzenden Zuständigkeit“, Überlegungen zur Reform und zu den Grundlagen für einen wird die Liste der Zuständigkeiten, die Südtirol ein drittes Südtiroler Autonomiestatut, in: Thomas Be- digkeiten genommen und damit entfallen sie auch für die fast keine Autonomie zulässt? wahrnehmen kann, mit wenigen Ausnahmen vervoll- nedikter (Hg., 2014), Mit mehr Demokratie zu mehr Au- die autonomen Regionen. Das Zeitfenster für einen Bei manchen Politikbereichen spielt die legislative Kom- tonomie, POLITiS-SBZ, Bozen ständigt. Zum anderen wird die konkurrierende Zustän- Ausbau der Südtirol-Autonomie gemäß der Verfas- petenz in geringerem Maß herein, als die autonome Füh- digkeit abgebaut und damit der gesetzliche Spielraum Oskar Peterlini (2012): Südtirols Autonomie und die Ver- sungsreform von 2001 hat sich wieder geschlossen. rung und Verwaltung von öffentlichen Diensten, wie etwa des Landes erweitert. Zum dritten gehen alle Zustän- fassungsreformen Italiens, Vom Zentralstaat zu födera- Schlimmer: Südtirol hat einige bereits übertragene der Post, des öffentlichen TV-Rundfunks und der überre- len Ansätzen: die Auswirkungen und ungeschriebenen digkeiten, die obwohl vom Land verwaltet noch bei der Änderungen im Südtiroler Autonomiestatut, New Aca- Zuständigkeiten eingebüßt und riskiert aufgrund der gionalen Verkehrsverbindungen wie z.B. die Autobahn. Region als Gesetzgebungsinstanz verblieben sind, auf demic Press (ex Braumüller) Wien, S. 357-363 neuen staatlichen „Suprematieklausel“ verstärktes Befugnisse, die nur aufgrund staatlicher Traditionen oder die Autonomen Provinzen über. Das gereicht auch der Eingreifen des Staates in die autonome Gesetzge- unhinterfragter Machtverhältnisse beim Staat verblieben Lukas Bonell/Ivo Winkler (2010), Südtirols Autonomie, Autonomie des Trentino zum Vorteil. In einer Klausel Autonome Provinz Bozen bung. sind, sind in Italien die Polizei und die Verwaltung der Jus- wird verfügt, dass nicht geregelte Residualzuständig- tiz, genauso wie die bisher fast ausschließlich vom Staat Regionale Expertenkommission zur Überarbeitung des keiten dem Land zufallen, wenn nicht im Einvernehmen Autonomiestatuts (2015), Gutachten zur Überarbeitung geregelten Steuern und Abgaben. In verschiedenen wei- Fazit: die Reichweite mit dem Staat anders verfügt. Damit wären die durch des Statuts. Bericht an die Landesregierungen, Autono- ter entwickelten Autonomiesystemen Europas (Spanien, die Verfassungsreform Renzis vollzogenen Rückschritte me Region-Trentino-Südtirol (noch nicht veröffentlicht) der Autonomie abrunden Dänemark, Finnland, Großbritannien) ist die Landespo- für die Regionen gegenüber der Reform von 2001 zu- Karl Zeller/Hans Berger, Verfassungsgesetzentwurf lizei ein öffentlicher Dienst von autonomen Regionen Zurückkehrend zur Ausgangsfrage „Wie weit ist Süd- mindest für Südtirol und das Trentino rückgängig ge- Nr.32 vom 15.3.2013 „Modifiche allo statuto specia- (Katalonien, Baskenland, Åland-Inseln, Färöer und Grön- le per il Trentino-Alto Adige/Südtirol per l’attribuzione tirol von umfassender Autonomie entfernt?“ liegt die macht. Durch die Abschaffung der Kategorie „sekundä- land), während dies in keiner der Regionen mit Sonder- dell’autonomia integrale alle Province autonome di Antwort auf der Hand: zu weit. Die Zuständigkeiten re“ und „tertiäre Zuständigkeit“ wäre das Verhältnis in Trento e Bolzano“, Verfassungskommission des Senats statut Italiens der Fall ist. Zwischen Zentralstaaten und des Landes in Gesetzgebung und Verwaltung sind der Rechtssetzung zwischen Bozen und Rom wesentlich Regionen stark umstritten ist die Frage, ob Regionen – im Roberto Toniatti/Gianfranco Postal/Massimo Carli zwar auch nach Umsetzung der „Paketautonomie“ klarer, die Konflikte vor dem Verfassungsgericht vermin- (2013), Proposte per l’approfondimento di possibili li- Unterschied zu Gliedstaaten von Bundesstaaten, wo dies 1992 erweitert worden, doch fehlen noch wichtige dert. Zusätzlich kann sowohl in der Verfassung als auch nee guida per il terzo Statuto di Autonomia, Autonome längst der Fall ist – eine teilweise Steuerhoheit im Sinn Provinz Trient, Juni 2103 Regulierungskompetenzen, die zu einer vollständigen im Statut eine Ausnahmeregelung für Trentino-Südtirol der Regulierungskompetenz wichtiger Steuern erhalten – sofern diese Einheit eine Region bleibt - getroffen Autonomie gehören. sollen.

34 35 im Einvernehmen. Die jetzige Schutzklausel ist nur eine unter Bürgerbeteiligung diskutieren und beschließen die Benennung umdrehen, nämlich die heutige Region Übergangslösung. Änderungen müssen auf Grund von will. Aber dafür braucht es Zeit. Mit der Regierung hätte „Autonome Gemeinschaft“ nennen und die autono- Übereinkommen mit den betroffenen autonomen Re- man einen Zwei-Stufen-Plan vereinbaren sollen: Schnell men Provinzen jeweils als „autonome Region“ bezeich- gionen erfolgen. Doch wie stark ist dieses Übereinkom- die technischen Anpassungen an die Reform von 2001. nen, was sie tatsächlich auch sind. In der italienischen men? Ist das Parlament daran gebunden oder hat es Das hätte keine politische Diskussion und kaum Schwie- Verf.assungsordnung sind Provinzen (die übrigens ab- weitgehende Gestaltungsfreiheit? Das entscheidet der rigkeiten gebracht, da die Maßnahmen ja in Kraft sind. geschafft werden) nur Verwaltungseinheiten, während Verfassungsgerichtshof (VerfGH), und dieser hat bisher Das Heu hätte man dringend in die Scheune einbrin- nur die Regionen Gesetzgebungskraft haben. leider immer zentralistisch für den Staat entschieden. gen sollen, bevor das Unwetter der Verfassungsreform ausbricht. Dann mit Bürgerbeteiligung und Österreich Man könnte aber auch beide Provinzen in Regionen Die Verfassungsreform von 2001 hat den Autonomen gründlich diskutieren und den großen Schritt wagen. So umwandeln und diesen beiden neuen Regionen das Regionen die Möglichkeit gegeben, die Autonomie hingegen riskieren wir, auf den Stand von 1972 zurück- Recht verleihen, freiwillig eine institutionelle Zusam- weiter zu entwickeln. Warum ist diese Chance von zufallen und in einen zentralistischen Staat eingezwängt menarbeit ohne verfassungsrechtlichen Zwang zu be- Trentino-Südtirol nicht genutzt worden? zu werden. Und über all die Auslegungsprobleme muss gründen. Zwischen neuem Zentralismus Peterlini: Die Verfassungsreform von 2001 hat die Auto- der VerfGH entscheiden, mit allen damit verbundenen Peterlini: Ja, aber Freiwilligkeit ist juridisch schwach. und optimaler Autonomie nomie der Normal-Regionen erweitert. Diese Erweite- Risiken. Gegen den VerfGH gibt es keine Rekursmöglich- Das Trentino und Nordtirol waren Teil des historischen rungen gelten aufgrund der s.g. Besserstellungsklausel Tirols, in welchem es auch sprachlich-kulturelle Vielfalt Gespräch mit Senator a.D. Prof. Oskar Peterlini keit. Und dieser Reform haben die Südtiroler Parlamen- (Art. 10 VerfG Nr.3/2001) auch für die Sonderregionen. tarier auch noch zugestimmt. gab. In der Geschichte gab es nie ein abgekapseltes Die in der Verfassungsreform für die autonomen Re- Sie leuchten wie mit einem Projektor in unser Autono- Südtirol. Auch würden wir uns im großen europäischen gionen vorgesehene Schutzklausel bietet einen Be- miestatut, wurden dort aber nicht verankert. Man hätte Wie geht es weiter mit der Region? Im Entwurf des Raum nicht behaupten können. Nachdem die Region standschutz für die geltende Autonomie. Doch gilt sie sie aber im Statut festschreiben müssen. Aufgrund der Trentiner Expertentrios Toniatti/Carli/Postal „Verso il uns schon längst nicht mehr stört, halte ich die Abschaf- nur bis zur Revision des geltenden Statuts. Reicht die- aufgezeigten Befürchtungen konnte das nicht unter den 3° Statuto“ wird die Region auch ihrer legislativen Zu- fung eines gemeinsamen Daches für einen geschichts- ser Schutz? Warum wird nicht ein permanenter Schutz Rechts-Regierungen erfolgen. Die Chance hätte man in ständigkeiten entkleidet. Sie bliebe dann nur mehr für widrigen Kraftakt, der sich nicht lohnt, weil man viel des Autonomiestatuts festgeschrieben? der jetzigen Legislaturperiode 2013 sofort nützen müs- die Regelung der Zusammenarbeit der beiden Provin- mehr aufs Spiel setzt, als man gewinnt. Peterlini: Der endgültige Schutz des Statutes vor einsei- sen, um zunächst alle Verbesserungen im Statut tech- zen zuständig. tigen Änderungen war schon in der Vergangenheit das nisch zu verankern, die bereits allen Regionen mit der Peterlini: Zu diesem Punkt muss man sich Trient und Die neue, in die Verfassung eingefügte Suprematie- Ziel Nummer Eins. Die mangelnde Sicherheit war aber Verfassungsreform von 2001 gewährt worden waren. Bozen einigen, ansonsten wird der Vorschlag für die Klausel ermöglicht es der Regierung, im Namen der auch der Grund, warum man das Statut – nach der Re- Die große Reform des Statutes hätte man dann in Ruhe Revision des Statuts nicht vom Regionalrat ans Parla- wirtschaftlichen und politischen Einheit in die regio- form der Verfassung von 2001 - nicht angerührt hat. Es mit den gewünschten Formen einer breiten Diskussi- ment übermittelt und hat in Rom kaum Chancen. Die nalen Zuständigkeiten einzugreifen. Wohin führt das? bestand während der Rechts-Regierungen die Sorge, on und Beteiligung später angehen können. Der Staat Trentiner werden nie damit einverstanden sein, wenn Peterlini: Zur Rechtfertigung beruft man sich in Italien dass es das Parlament bei einer Öffnung verschlech- holt sich nun mit seiner Verfassungsreform rund 20 sie von der Autonomie Südtirols ganz abgekoppelt wer- gerne auf Deutschland, wo es eine ähnliche Klausel tern könnte. Bei der Verfassungsreform von Berlusconi- Zuständigkeiten der Regionen zurück, macht viele Ver- den, denn das ist ihr Überlebensanker. Sie laufen Ge- gibt, allerdings mit komplett anderer Funktion. Laut Calderoli gelang es uns zu verankern, dass Änderungen besserungen rückgängig, der Projektor erlischt und sie fahr, eine Region mit Normalstatut zu werden. Der Vor- deutschem Grundgesetz (GG) kann der Staat nämlich des Statutes nur im Einvernehmen zwischen Staat und verschwinden, so automatisch wie sie gekommen sind, schlag der Trentiner Experten scheint deshalb im Ansatz immer in die konkurrierenden (sekundären) Zustän- Autonomien erfolgen dürfen, allerdings war die Reform auch für uns. Das war ein Versäumnis. eine vernünftige Lösung anzupeilen. Auch die jetzige digkeiten der Länder eingreifen. Die Klausel schränkt zentralistisch und wurde im Referendum 2006 versenkt. Der 2013 im Parlament von den SVP-Senatoren vorge- Realpolitik, ein gemeinsames Dach für eine gute Zu- aber diese Möglichkeit ein und verlangt in gewissen Eine konkrete Chance erzielten wir bei Romano Prodi. legte Verfassungsgesetzentwurf zur Vollautonomie be- sammenarbeit zwischen den Provinzen zu belassen, hat Bereichen, dass dies die „Herstellung gleichwertiger Der Antrag war von allen Fraktionsführern der Mitte- inhaltet einen weitreichenden Reformansatz. Warum sich bewährt. Ich würde dieses Dach auch über Nordti- Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung Links-Mehrheit mitunterzeichnet. Die Regierung Prodi macht die SVP diesen Entwurf nicht zur Grundlage ihrer rol spannen, also für die Europaregion einsetzen. Eine der Rechts- oder Wirtschaftseinheit“ (Art. 72 GG) nötig fiel leider vorzeitig, schon nach zwei Jahren. Dann folgte Koalitionsverhandlungen mit den Regierungsparteien? Übervorteilung der Südtiroler durch Trient gibt es seit macht. Sie bremst also den Staat, und der Eingriff ist nur wieder eine Berlusconi-Regierung. Ein weiterer Anlauf Peterlini: Der Entwurf sieht eben nicht nur die tech- dem neuen Statut längst nicht mehr, ganz im Gegenteil. im konkurrierenden Bereich möglich. zur Verankerung dieses Prinzips verlief im Sand. nischen Anpassungen vor, sondern eine umfassende Man kann zusammen einen starken Damm gegen die Die konkurrierenden Zuständigkeiten wird es in Itali- Das Ziel bleibt: das Autonomiestatut ändert man nur Reform, die man aber in Südtirol erst beim Konvent römische Zentralisierung bilden. Ich würde allerdings en nach der Verfassungsreform nicht mehr geben. Sie

36 37 werden, mit der Ausrede Konflikte zu vermeiden, den nicht besonders gut aufgestellt ist. Andere autonome autonomen Ländern zu verankern. Das Parlament soll- Peterlini: Der Art. 104 des Statuts hält, ist verfassungs- Regionen genommen und zum Großteil dem Staat Regionen haben als Beschränkung tatsächlich nur die te die vereinbarte Vorlage nur mehr ratifizieren können rechtlich eingebettet und sichert die Bereiche durch das übertragen. Der Eingriff mit der Suprematie-Klausel -er Verfassung und internationalrechtliche Verpflichtungen. (und nicht abändern können), wie die internationalen Einvernehmen besser, als es für die anderen Teile des folgt in alle verbliebenen, primären (exklusiven) Zustän- Peterlini: Die Südtirol-Autonomie ist in den 1970er Jah- Verträge. Die derzeitige Schutzklausel spricht von Ände- Statutes ein Verfassungsgesetz tut, das einseitig geän- digkeiten der Regionen. ren gestärkt worden, als der Staat noch zentralistischer rungen „auf Grund von Übereinkommen“, ist laut Dokt- dert werden kann. Inhaltlich ist aber das neue Finanz- war als jetzt und jeder Beistrich eine Konzession dar- rin interpretationsbedürftig und gilt zeitlich beschränkt. Abkommen von 2014 äußerst belastend und bedeutet Die Suprematie-Klausel erlaubt es dem Parlament, mit stellte. Wir haben aber einen entscheidenden Vorteil Eine gute Formulierung gibt es auch im Statut für die für Südtirol einen jährlichen Verlust von etwa 800 Mio. Staatsgesetz auf Vorschlag der Regierung in die primä- gegenüber anderen Autonomien, nämlich die interna- Finanzautonomie und die Wasserkraft-Konzessionen, Euro. Obwohl im Statut 90% des Steueraufkommens ren Zuständigkeiten der Regionen einzugreifen, „um tionale Absicherung. Gleich, ob das Übereinkommen wo es ausdrücklich (im Art. 104 ASt.) heißt, dass Ände- dem Land zugesichert sind, bleiben damit de facto nur die Einheitlichkeit der Rechts- und Wirtschaftsordnung (intesa) mit dem Zentralstaat für die Abänderung des rungen „auf einvernehmlichen Antrag der Regierung etwa 75%. Man hätte so ehrlich sein und sagen müssen: und der nationalen Interessen“ zu gewährleisten. Damit Statutes auf starken oder schwachen Füßen steht, auf und, je nach Zuständigkeit, der Region oder der beiden Wir befinden uns unter starkem Druck, weil wir von an- wird das „nationale Interesse“ wieder eingeführt und jeden Fall steht das Statut auf der Grundlage des Pariser Provinzen“ erfolgen. Dann hätte das Parlament nur deren Regionen angegriffen werden und wir einen Bei- mit einer weiteren Gummi-Formulierung verstärkt. Was Vertrages und des Paketes. Mit dieser Karte muss man mehr die Möglichkeit, diesen Text zu übernehmen, wie trag zur Sanierung des Staatshaushalts leisten müssen. heißt schon nationales Interesse, Einheitlichkeit der im entscheidenden Moment stechen. Österreich liefer- bei den Finanzabkommen. Dies sind wertvolle Präze- Man kann dieses Abkommen aber nicht als Erfolg prä- Rechts- und Wirtschaftsordnung? Heißt das, dass man te 1992 die Streitbeilegung vor der UNO ab, nachdem denzfälle, die sogar vom VerfGH bestätigt wurden. Die sentieren und behaupten, unsere Finanzen wären da- von Brenner bis Catania alles einheitlich regeln muss? ihm Italien das neue Statut samt Durchführungsbe- Finanzabkommen von 2009 und 2014 sind vollinhaltlich mit sicherer. Auch das Mailänder Abkommen von 2009 In Deutschland ist dieses Instrument eine Bremse des stimmungen übermittelt hatte. Wenn das Statut einsei- ins Haushaltsgesetz und ins Autonomiestatut übernom- war Teil des Statuts. Man hätte darauf beharren müs- Staates bei der konkurrierenden Gesetzgebung, in Ita- tig abgeändert würde, ohne Einvernehmen mit Wien, men worden. sen. Der VerfGH hat den Autonomien bei Verletzungen lien hingegen ein Skalpell, das tief in die primären, also dann wäre das eine Verletzung des Pariser Vertrages, immer Recht gegeben. Der Schriftwechsel zwischen exklusiven Zuständigkeiten der Regionen eindringt. der die Paketautonomie einschließt. Die Stärke der Schutzklausel misst man daran, wie sehr den Regierungschefs ist bei weitem kein Abkommen, sie das Parlament bindet. Was passiert, wenn der aus und abgesichert wurde ja nur, dass wir zahlen müssen. Macht es jetzt für Südtirol noch Sinn, möglichst viele Die Normalregionen Italiens haben Statutshoheit, Trient und Bozen einlangende Entwurf vom Parlament Am Druck des Neides seitens der anderen Regionen der sogenannten sekundären Zuständigkeiten in den nicht aber die autonomen Regionen, deren Statut Teil eigenmächtig abgeändert wird, ohne Rückkopplung zeigt sich auch, wie negativ sich diese Verfassungsre- Rang von primären zu heben? der Verfassung ist. Ist eine Statutshoheit auch für die mit Südtirol? Die Formulierung des Übereinkommens form, auch auf Südtirol, auswirken wird. Wenn nämlich Peterlini: Es wäre wichtig und gut begründbar. Der Staat autonomen Regionen erstrebenswert? der jetzigen Schutzklausel entspricht wortwörtlich dem alle Regionen zurückrudern müssen und ihrer Zustän- hat, wie gesagt, die konkurrierenden Zuständigkeiten Peterlini: Die Statutshoheit der normalen Regionen zur Art. 8 Verf. für das Einvernehmen zwischen dem Staat digkeiten beraubt werden, wird die Kluft zwischen den (zumindest formal) abgeschafft, da sie Reibungspunkte Regelung der internen Regierungsform haben auch die und den Religionsgemeinschaften. Die Rechtslehre Sonderautonomien und den Normalregionen noch grö- sind, die Klarheit in der Gesetzgebung verhindern und Sonderregionen. Ein Staat wäre aber grundsätzlich gut fragt sich, ob es eine starke oder schwache „intesa“ ist. ßer. Und damit auch die Anfeindungen. ständige Konfliktherde bilden. Somit hätten wir jetzt beraten, seinen Minderheiten eine möglichst großzügi- Es wurde bisher nicht ausjudiziert, was bei einseitigen einen starken Aufhänger, um die bestehenden sekun- ge Autonomie zu gewähren, weil damit seine eigene Sta- Änderungen geschieht. Der VerfGH hat sich damit am Der Rechnungshof ist eine staatliche Behörde. Wäre dären Zuständigkeiten auf die Ebene der primären zu bilität sicherer wird, statt sie zu beschränken. In der Ge- Rande befasst (Urteile Nr. 346/2002, Nr. 195/1993) und es denkbar, auch einen Landesrechnungshof einzu- heben. Es bleibt allerdings fraglich, ob uns die Schutz- schichte hat sich das immer wieder gezeigt. Eine ideale unterstrichen, dass das Parlament aufgrund der Über- führen, der unabhängig von der Landesregierung die klausel vor Eingriffen des Staates mit dem Skalpell der Autonomie wäre gegeben, wenn sich die Bevölkerung einkommen das Gesetz macht. Eine Diskussion oder lokale Verwaltung kontrolliert? Suprematie schützen kann. Der VerfGH könnte auch selbst ihr eigenes Statut bzw. ihre Landesverfassung ge- ein Streitpunkt darüber, ob es sich um ein starkes oder Peterlini: Der VerfGH hat entschieden, dass der Rech- heute schon die Suprematie-Klausel zu einem überge- ben könnte. Das ist sicher erstrebenswert. Wenn diese schwaches Übereinkommen handelt und ob das Parla- nungshof auch für die autonomen Körperschaften zu- ordneten Prinzip der Verfassung erklären, aus welcher allerdings auch einen Schutzwall gegen staatliche Ein- ment Abänderungen bei der Behandlung vornehmen ständig ist. Aber abgesehen davon müssen alle richter- sich die Sonderautonomien trotz zeitweiser Schutzklau- griffe bilden soll, braucht sie ein starkes Gesetz auch der kann, ist bisher nicht erfolgt. Aber das entscheidet letzt- lichen Organe total unabhängig sein. Ich halte nichts sel nicht ausnehmen können. Er hat auch schon früher anderen Seite, also ein staatliches Verf.assungsgesetz, endlich wieder das Verfassungsgericht. von einem Ableger des Landes, der direkt oder indirekt immer wieder das „nationale Interesse“ bemüht, auch das vom Parlament mit erschwertem Verfahren erlas- beeinflusst wird. Seine Unabhängigkeit muss zu 100 nachdem es mit der Reform von 2001 als Grenze der sen wird, und das garantiert. Wie kann man die beiden Wie kann man den Sicherungspakt hinsichtlich der Prozent gewährleistet sein. Dasselbe gilt für das Verwal- Gesetzgebung aufgehoben wurde. Jetzt wird es wieder Träger vereinbaren? Ein wesentliches Element wäre es, Finanzen vom Oktober 2014 noch sicherer machen? tungsgericht ebenso wie für die öffentlich-rechtlichen ausdrücklich eingeführt. verfassungsrechtlich für jegliche Abänderungen des Sollte nicht auch die Finanzierungsregelung in den Medien. Man gewinnt den Eindruck, dass unsere Autonomie Statutes ein starkes Einvernehmen zwischen Staat und Korpus des Autonomiestatuts integriert werden? Sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk und Fern-

38 39 sehen als echte Zuständigkeit ans Land übergehen? dass diese Zusatz-Abkommen keine Verschlechterung wicht. Der Landtag muss nicht nur seine Rechtsämter Regierung und Landtag einzuführen, wobei das aller- Peterlini: Seit das Land die deutsche und ladinische RAI der Bedingungen darstellen dürfen, aber sehr wohl stärker ausstatten, es bräuchte auch spezialisierte Fach- dings auch eine Stärkung mit Mandataren der Mehrheit finanziert, besteht die Gefahr eines politischen Einflus- Verbesserungen (also in melius und nicht in peius für leute als Berater in den verschiedenen Sachbereichen. zur Folge hätte, die bei diesen geringen Zahlen das Ge- ses. Die eigenständige und kritische Rolle eines Medi- die Arbeitnehmer). Das ist die derzeitige Rechtspre- Wenn z.B. ein Gesetz zur Urbanistik ansteht, fordert der genteil erzielen würde. Also wäre es wohl besser, die ums ist aber erst garantiert, wenn größtmögliche Un- chung. Dann haben die lokalen Unternehmerverbände Landesrat das bei seiner Abteilungsdirektion an. Der Mitentscheidungsrechte des Landtages zu erweitern. abhängigkeit von der Politik und den Parteien herrscht. zugestimmt, aber unter der Bedingung, nicht mehr zu Abgeordnete hingegen muss es selbst schreiben. Dabei Derzeit entscheidet immer nur die Regierung, wenn das Nach Übertragung der Kompetenz für den öffentlich- zahlen als Unternehmen auf Staatsebene. Ansonsten geht es hier nicht um irgendwelche Machtverteilungen, Statut oder ein Staatsgesetz beispielsweise von Einbe- rechtlichen Rundfunk muss, möglichst aus der Kultur würden sie einen Wettbewerbsnachteil erleiden. Mit sondern um die Gewaltenteilung in der Demokratie. zug der „Provinz“ spricht. und Medienwelt, ein pluralistisch besetzter Beirat als diesem Kompromiss konnte die Tarifautonomie auf der Der Landtag ist Legislative und die Landesregierung oberste Instanz eingesetzt werden. Jeder Einfluss von regionalen Verhandlungsebene ausgeschöpft werden, hat die Aufgabe, die Gesetze umzusetzen. Doch ist das Wie kann in Südtirol dafür gesorgt werden, dass alle der Politik auf Nachrichtenauswahl, Gestaltung und um eigene Renten-Fonds zu gründen. Allerdings musste Selbstbewusstsein der Abgeordneten letzthin schon ge- Spitzenpositionen per Wettbewerb besetzt werden? Programm muss vermieden werden, sonst entsteht Ge- auf Druck der lokalen Wirtschaftsverbände verankert stiegen. Peterlini: In jedem Rechtsstaat gilt das Prinzip, dass alle fälligkeitsjournalismus, eine uferlose Vetternwirtschaft werden, dass die Beiträge dieselben bleiben wie jene öffentlichen Posten mit Wettbewerb zu besetzen sind. und Manipulation. Es geht um die Wahrung der Grund- der gesamtstaatlichen Kollektivverträge. Deshalb sind Könnte man die Legislative gegenüber der Exekutive So sieht es auch der Art. 97 Verf. vor. Jeder sollte die prinzipien der Menschenrechte, der Meinungsfreiheit Zusatzabkommen so schwierig. Zusatzverträge bringen durch die Direktwahl des Landeshauptmanns stärken Chance haben, in die höchsten Ämter aufzurücken. Bei und der Demokratie. Mehrbelastungen für Unternehmen gegenüber ande- wie im Trentino? der direkten Nominierung durch die Landes-Regierung ren Regionen. Man könnte höhere Lohnkosten in Süd- Peterlini: Nein. Je stärker die demokratische Legitimati- wird den Besten der Weg zu den Spitzenämtern ver- Die Tarifhoheit der Sozialpartner in Südtirol ist be- tirol aber mit Anreizen des Landes und den Vorteilen on eines Organs ist, desto stärker ist auch seine Durch- sperrt, entscheidend ist dann nur die Nähe zu den Re- schränkt. Lokale Zusatzverträge sind derzeit nicht ver- ausgleichen, die Unternehmen hier genießen: die För- setzungskraft. Ein direkt gewählter Präsident ist stärker, gierungsparteien, auch wenn die Bewerber mittelmä- pflichtend, entsprechend wenige werden abgeschlos- derungen, die Lebensqualität, die Sicherheit, die Qua- als ein vom Landtag in indirekter Wahl gewählter. Bei ei- ßig sind. Das geht auf Kosten der Qualität und fördert sen zum Schaden der Arbeitnehmer in einem Land mit lität der öffentlichen Infrastrukturen und Dienstleistun- ner Direktwahl muss der Landtag umso stärkere Rechte die Vetternwirtschaft. Wenn man in Südtirol wünscht, hohen Lebenshaltungskosten. Muss das Tarifvertrags- gen, Steuererleichterungen usw. erhalten, um ein demokratisches Gegengewicht zu bil- dass in allen Bereichen die Qualifiziertesten die Spitzen- recht mit Rechten und Pflichten so angepasst werden, den. Bei der Direktwahl der Bürgermeister hat sich das positionen besetzen, dann muss man das Wettbewerb- dass in Südtirol beispielsweise andere Mindestlöhne Demokratie: was lässt sich in der Stellung des Landtags klar gezeigt. In der Beschlussfassung geht jetzt manches sprinzip stärker verankern. Natürlich wünschen sich die festgelegt werden können als im restlichen Italien? im Institutionengefüge des Landes verbessern? Wie zügiger, aber der Gemeinderat ist nicht mehr interes- politisch Verantwortlichen Leute ihrer Wahl, die ihnen Peterlini: Das ist kaum eine Frage des Statutes als viel- kann das Landesparlament gestärkt werden? sant, weil er nicht mehr viel zu entscheiden hat. gefügiger sind. Das ist nicht zum Besten des Landes. mehr eine Herausforderung für die Sozialpartner. Die Peterlini: Die Gewaltenteilung ist eine Grundvorausset- Dabei hat die staatliche Regierung noch weitere Instru- Deshalb muss man diese Berufungen statutarisch ein- Vereinbarungen zu Lohn- und Arbeits-Bedingungen zung für die Demokratie, wird aber immer verschwom- mente, die auf Landesebene nicht vorhanden sind: Zum grenzen und gerade auch für die Spitzenpositionen ein werden in Italien grundsätzlich den Sozialpartnern mener, weil die Regierungen zunehmend ein Überge- einen die sog. Notverordnungen (Gesetzesdekrete), die seriöses Ausleseverfahren verankern. überlassen. Die Verfassung legt nur Grundsätze fest. wicht bei der Gesetzgebung haben, in Rom genauso 45% aller Gesetze bilden. Dazu kommen noch zahlreiche Die Tarifautonomie gilt voll und ganz auch für Südtirol. wie in Bozen. Zahlenmäßig stammen zwar mehr Geset- Umsetzungsdekrete von EU-Normen, sodass nur mehr Bei der Gründung von PensPlan haben wir deren Trag- zesvorschläge von Parlamentariern, die meisten blei- wenige echte Gesetze übrig bleiben. Dann gibt es auch weite ausgelotet. Die Sozialpartner auf römische Ebene ben aber in der Schublade liegen. Die Regierung hat die das Instrument, Gesetze mit dem Vertrauensvotum zu (konföderierte Gewerkschaften und besonders Confin- Macht, ihre Vorlagen durchzubringen. Die Mehrheit der verbinden. Damit werden die Debatte und die Möglich- dustria) vertraten den Standpunkt, dass lokale Verträ- verabschiedeten Gesetzte sind Vorlagen der Regierung. keit von Abänderungen im Parlament abgewürgt. ge für den regionalen Zusatzrentenfonds nicht möglich Wenn wir Südtiroler Parlamentarier trotzdem Gesetze Aber das Parlament ist vielfältiger und zahlenmäßig seien, weil auf lokaler Ebene keine Zusatzabkommen und Änderungen in Rom durchgebracht haben, können viel größer als der Landtag, die Mehrheiten sind nicht ausgehandelt werden könnten. Auf der Grundlage wir zu Recht darauf stolz sein. immer vorgegeben. Beim kleinen Südtiroler Landtag, entsprechender Gutachten haben wir uns aber durch- Die Südtiroler Landesregierung hat einen Apparat von von dem zudem noch ein Teil in der Regierung sitzt, gesetzt. Die Tarifautonomie ist sehr wohl gegeben, sei etwa 4.500 Beamten, der Landtag hat nur 60 Mitarbei- fehlt einfach das Gegengewicht, zumal eine Alternanz es auf lokaler als auch auf regionaler Ebene, wie übri- ter. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren es sogar nur zwischen Mehrheit und Opposition nicht gegeben ist. gens auch im Betrieb. Die Beschränkung liegt nur darin, ein Dutzend. Schon darin spiegelt sich das Ungleichge- Eine Möglichkeit wäre, eine Unvereinbarkeit zwischen

40 41 mit internationalen Abkommen oder den Übereinkom- zeigen sich der Umgang und die wirklichen Schwierig- men des Staats mit Religionsgemeinschaften - bilateral keiten mit diesen speziellen Organen und Verfahren. ausgehandelt und im Einvernehmen erlassen werden. Recht bezweckt jedoch gerade, politisches Gutdünken In ihrer Rechtsnatur stehen sie über einem Landes- einzuschränken und seine Schranken zu definieren. gesetz und einem normalen Staatsgesetz. In der 6er- Daher müssen nun die Grenzen abgesteckt werde, in- Kommission wird nicht nur über die Anwendung und nerhalb derer das Statut sich entwickeln darf.“ (Palermo Interpretation des Statuts bezüglich Südtirol entschie- 2005, 401). 4 den, sondern auch über neue Zuständigkeiten, über die Die Besonderheit der DFB als Rechtsquelle wird auch Links: Sechserkommission in den 1970er Jahren (Riz, Benedikter, Marosu), rechts: Zwölferkommission 2014 Abänderungen bestehender DFB und über die Weiter- dadurch unterstrichen, dass sie vom Verfassungsgericht entwicklung der Autonomie im Allgemeinen. – im Unterschied zu Regional- und Landesgesetzen – Fast alle bedeutenden Regelungen zur Autonomie, etwa höchst selten beanstandet worden sind. Noch nie wur- der Proporz, der Sprachgebrauch, der Volkszählungs- de die Verfassungswidrigkeit einer DFB festgestellt (Pa- Reformbedürftige modus und unzählige einzelne autonome Zuständigkei- lermo 2005, 399). Sofern sie nicht Grundsätze der ital. ten wurden kleinweise mit DFB in der 6er-Kommission Rechtsordnung verletzen, sollen die DFB anscheinend Paritätische Kommissionen geregelt. „Die eigentliche Bedeutung der paritätischen nicht angetastet werden. Kommissionen“, schrieb einmal Francesco Palermo, Die Schlüsselrolle in der Umsetzung der Autonomie spielen schon seit 1972 die sog. Paritätischen Kommissionen, „liegt in der Konkretisierung des Verhandlungsprinzips Die Paritätischen Kommissionen nämlich die 6er- und die 12er-Kommission. Ihre Hauptprodukte, die famosen Durchführungsbestimmungen, ge- als Leitprinzip des Autonomiestatuts.“ (Palermo, 2005, in der politischen Praxis stalten das Statut in anwendbares Recht aus. Obwohl von Staat und Land zum Teil aus den Reihen gewählter 401). Dieses Prinzip stellt autonome Provinzen und den Abgeordneter nominiert, entspricht ihre Zusammensetzung und Arbeitsweise nicht einer typisch parlamentari- Staat auf dieselbe Ebene und die Zusammensetzung Die in den 44 Jahren Zweites Autonomiestatut erlasse- schen Kommissionsarbeit, sondern eher dem Erfordernis einer bilateralen Kommission zweier Regierungen. Das dieser bilateralen Kommissionen spiegelt auch die eth- nen, mindestens 250 DFB waren das ideale Rechtsinst- mag zwar effizienter sein, ist aber unter demokratischem Gesichtspunkt höchst bedenklich. nisch pluralistische Natur von Staat und Provinz wider. rument, um das Statut rasch und unter Ausschluss der Die 6er-Kommission ist immer mehr aus ihrer beraten- Öffentlichkeit in anwendbares Recht umzusetzen. Nach Die Paritätischen Kommissionen: Ihr Mandat zur Rechtsnormenerstellung und zur Aus- den Funktion herausgewachsen und zu einem zentralen 1992 dienten sie auch als bevorzugtes Instrument zur Konkretisierung des handlung von DFB behielten die Paritätischen Kommis- Organ für die Zusammenarbeit zwischen der Autono- Ausweitung der Autonomie, denn der Anwendungs- Verhandlungsprinzips sionen auch nach der Streitbeilegung von 1992 bei und men Provinz und der Regierung geworden. Neben den bereich der DFB war völlig unbestimmt. Diese Fortfüh- wurden damit zum permanenten Organ der Abstim- Direktverhandlungen zwischen dem Landeshauptmann rung war politisch motiviert, nicht rechtlich. Die DFB mung und Verhandlung zwischen Regierung, Region und Regierungsvertretern und der Zusammenarbeit der wenden nicht nur Statutsbestimmungen an, sondern Die 6er- und die 12er-Kommission haben eine für das und den Provinzen. Die für die Region zuständige 12er- Parlamentarier, ist die 6er-Kommission die Schlüssel- in der Praxis lösen sie oft neue politische Probleme, re- Funktionieren der Südtirol-Autonomie überaus wichti- Kommission hat entsprechend der stark geschrumpf- stelle der Verhandlungen zwischen Bozen und Rom. De- agieren auf Urteile des Verfassungsgerichts, weiten die ge Rolle. Ursprünglich war ihnen vom Autonomiestatut ten Bedeutung der Region weit weniger Gewicht. Die facto haben die Paritätischen Kommissionen auch die Autonomie aus. Die DFB stehen über einem normalen, (Art. 107) eine beratende Rolle zugedacht gewesen. Paritätischen Kommissionen sind in der regionalen sog. 137-er Kommission ersetzt, der eigentlich nach Ab- vom Parlament verabschiedeten Staatsgesetz und kön- Schon bald wurde klar, dass sie eigentlich rechtsetzen- Rechtsordnung Italiens zwar auch bei anderen autono- schluss der Paketdurchführung die Vermittlerrolle zwi- nen auch nur durch eine neue DFB abgeändert werden. de Organe sind. Zwar ergehen die Durchführungsbe- men Regionen vorgesehen, ihre konkrete Rolle ist im schen Provinzen und Staat zugedacht war. Wegen der Allerdings geschieht dies ohne ausreichende demokra- stimmungen (DFB) der Paritätischen Kommissionen als Fall Südtirols besonders stark ausgeprägt. Formell be- regionalen Sonderstellung Südtirols und des Trentino tische Rückbindung: „Bei den Paritätischen Kommissi- Dekrete der Regierung (gesetzesvertretende Dekrete). trachtet muss die Regierung sie nur anhören, doch in hat auch das Verfassungsgericht anerkannt, dass die onen besteht ein Demokratiedefizit, das zwar bei den Doch in der Praxis werden die Dekretstexte von den der Praxis arbeiten sie die Vorlagen für die DFB aus und Paritätischen Kommissionen mehr als nur beratenden Verhandlungen zwischen Staat und Region nützlich war, Kommissionen verabschiedet, von Regierungsmen- stimmen darüber ab: „Die Bedeutung der Paritätischen Charakter haben dürfen, vielmehr das Statut ausgestal- und zu leichterer Einigung und Entscheidungsfindung schen gegengelesen und von der Regierung durchge- Kommissionen (und der von ihnen erarbeiteten Durch- ten: „…Die Paritätischen Kommissionen, ihre konkrete geführt hat, heute jedoch keine politische Legitimation wunken. Auch weil man den Inhalt der Dekrete dieser führungsbestimmungen) geht weit über die normati- Arbeitsweise und einige von ihnen verabschiedete DFB mehr hat“ (Palermo 2005, 403). „Geheimkommissionen“ vorab gar nicht kennt, kann ven Grundlagen hinaus“ (Palermo 2005, 396). Diese sind gelebtes Statut, das sich häufig der Einordnung in Wie kann die rechtsetzende Funktion dieser Kommissi- kein anderes, demokratisch besser legitimiertes Organ DFB sind „atypische Rechtsnormen“, die - vergleichbar starre rechtliche Kategorien entzieht. Erst in der Praxis onen mit dem Demokratieprinzip vereinbart werden? dagegen Einspruch erheben.

42 43 Was diesem Verfahren fehlt, ist die Zustimmung der rechte der sie legitimierenden Organe (Landtag, Wirtschaftspolitik betreffend die Interessen und zwischen Staat und Land nicht einbezogen, sondern nur Volksvertretung. Auf die Erarbeitung der Vorlagen für Regionalrat) als auch hinsichtlich der allgemeinen Zuständigkeiten Südtirols. hinterher informiert. Bei Autonomiestatutsänderungen die DFB in den Kommissionen folgt nämlich keine Debat- Öffentlichkeit (mit Berichtspflicht); • Die Information des Landes seitens des Staats über hat der Landtag kein Recht, ein Veto einzulegen, son- te oder Beratung im Landtag (z.B. in der Sonderkommis- 3. eine Ratifizierungsphase nachschalten. Wenn auf die Europapolitik und Beteiligung des Landes am dern muss nur gehört werden und darf eine nicht bin- sion für Autonomiefragen). Sie werden vielmehr direkt Staatsseite die Regierung mit dem Vertrauen des EU-Recht. dende Stellungnahme abgeben. Beim Einvernehmen von der Regierung verabschiedet und treten als Dekrete Parlaments handeln kann, weil es nur um den Son- • Die Einbeziehung des Landes bei auswärtigen An- zwischen Staat und Autonomer Provinz ist in der Regel sofort in Kraft. Weder die Zusammensetzung noch die derfall kleiner Provinzen geht, gilt dies für Südtirol gelegenheiten sofern sie Südtirol betreffen. nur das Plazet der Landesregierung gefragt, nicht jenes Entscheidungsverfahren entsprechen dem Demokra- nicht. Auf Südtiroler Seite können die neuen DFB- • Weitere Themen von gemeinsamem Interesse, die des Landesparlaments. Im heutigen demokratischen tieprinzip. Weder der Landtag noch die Bürgerschaft Vorlagen zunächst auch dem Landtag als Vertretung einer Regelung in Zusammenarbeit zwischen Staat System Südtirols spielt der Südtiroler Landtag somit haben ein formales Initiativrecht oder Vorschlagsrecht der Gesamtheit der Betroffenen zugeleitet werden, und Land bedürfen. nicht jene zentrale Rolle, die dem Landesparlament in gegenüber den Paritätischen Kommissionen. der gegebenenfalls mit Zwei-Drittel-Mehrheit ein Dieser Staat-Land-Ausschuss sollte zum selben Anteil einem autonomen Land mit breiter Gesetzgebungs- Grundsätzlich müssen in einem demokratischen Ver- Veto bei neuen DFB einlegen können muss. Erfolgt aus Staats- und Landesvertreterinnen zusammenge- zuständigkeit eigentlich zukommt. Seine Aufwertung fassungsstaat Legislativakte durch demokratisch direkt ein solches Veto, muss nachverhandelt werden. setzt sein, allerdings einschließlich Vertreterinnen der tut not. legitimierte Organe verabschiedet werden. Erst recht politischen Minderheiten sowohl des Landtags als auch müssen Normen mit Verfassungsrang mit Beteiligung In der 6er-Kommission muss außerdem ein Ladiner des Parlaments. Der Ausschuss könnte für spezielle Auf- Zur Vertiefung und Zustimmung direkt gewählter Organe (Landtag, Re- vertreten sein. Sowohl in der Besetzung wie beim Ent- gaben Unterausschüsse bilden und unter rotierendem Palermo, Francesco (2005), Rolle und Wesen der pari- gionalrat, Parlament) zustande kommen. Im besten Fall scheidungsverfahren kann für mehr demokratische Re- Vorsitz mit ständigem Sekretariat tagen. Er wäre dem tätischen Kommissionen und ihrer Durchführungsbe- sollten die betroffenen Bürgerinnen oder zumindest präsentativität und Legitimation gesorgt werden, ohne Landtag und dem Parlament jährlich berichtspflichtig. stimmungen, in: Marko, /Ortino, Sergio/Paler- der Landtag über ein Initiativ- bzw. Vetorecht verfügen, die Effizienz dieser Kommissionen wesentlich zu beein- Landtags- und Parlamentsabgeordnete müssten ein mo, Francesco/Voltmer, Leonhard/Woelk Jens (2005), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie. Die Sonder- die politischen Kräfte sollten über DFB vorab informiert trächtigen. Damit wird dafür gesorgt, dass die wichtigen Initiativrecht gegenüber dieser neuen und erweiterten rechtsordnung der Autonomen Provinz Bozen/Südtirol, werden, mehr Transparenz und Öffentlichkeit geschaf- Entscheidungen bzw. Vorlagen dieser Kommissionen bilateralen Staat-Land-Kommission erhalten. EURAC, Nomos, 395-405 fen werden. „Die Einschränkung des Demokratieprin- stärker an den Volkswillen und die politische Vertretung Eigentlich besteht schon heute eine von der Paketmaß- Baroncelli, Stefania (2015), Profili costituzionali del zips ist wohl weniger in der Zusammensetzung der der Südtiroler Bevölkerung gebunden werden. Es gibt nahme Nr. 137 vorgesehene „Ständige Kommission für Trentino-Alto Adige/Südtirol. Lezioni e materiali, Giap- Kommissionen oder dem Rang der DFB, als vielmehr in keinen Zweifel, dass ein solches Organ für die bilateralen die Probleme der Provinz Bozen“, die allerdings nie ak- pichelli Editore, Torino der fehlenden Transparenz und Publizität der Kommis- Verhandlungen zwischen Staat und Autonomen Provin- tiviert worden ist. Ihr Aufgabenbereich ist zu eng defi- Happacher, Esther/Riz, Roland (2013), Grundzüge des sionen sowie fehlenden Beteiligungsmöglichkeiten zu zen und für die Umsetzung der Autonomie immer be- niert, ihre Gutachten nicht bindend. Diese Kommission italienischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung sehen. Hier besteht Änderungsbedarf“ (Palermo 2005, nötigt wird, doch mit einer klaren Aufgabenzuteilung, hat bei Weitem nicht die Macht der 6er-Kommission der verfassungsrechtlichen Aspekte der Südtiroler Auto- nomie, studia Universitätsverlag, Innsbruck 403). mit mehr Transparenz und mit mehr demokratischer und steht unter dem Vorsitz eines Unterstaatssekretärs. Legitimation durch die Parlamente auf Staats- und vor Würden die Paritätischen Kommissionen durch den Den Landtag durch eine Reform allem Landesebene. Erhält die 6er-Kommission mehr vorgeschlagenen Staat-Land-Ausschuss demokratischer der Kommissionen stärken demokratische Legitimation, könnte sie auch im Statut geregelt, könnte die vom Paket vorgesehene 137er- mit einem anderen Rang als bilateraler „Staat-Land- Kommission ruhig definitiv entfallen. Demokratische Legitimation ist für ein rechtsetzendes Ausschuss“ verankert werden und einen erweiterten Dadurch würde auch der Landtag in seiner legislativen Organ unverzichtbar. Um durch eine Volksvertretung Aufgabengabenbereich erhalten, etwa: Funktion aufgewertet. Das eigentliche Gesetzgebungs- besser legitimiert zu werden, müssen die Paritätischen organ hat nämlich in den letzten Amtsperioden diese • Die Einbeziehung des Landes bei Gesetzentwürfen, Kommissionen im Rahmen der Reform: seine wesentliche Rolle an die Landesregierung verlo- die auf die Kompetenzverteilung zwischen Staat ren. So stammten in der Legislatur 2008-2013 zwar die 1. durch ein gewähltes Organ pluralistisch besetzt und Land besondere Auswirkung haben. meisten Gesetzentwürfe von Landtagsabgeordneten, werden, wobei – wie bei Landtagskommissionen • Die Beteiligung des Landes an der Ausübung der die die meisten zur Verabschiedung gelangten Gesetzent- und im Autonomiekonvent üblich – auch die politi- Landesautonomie betreffenden Zuständigkeiten. würfe brachte allerdings die Landesregierung ein, weil sche Minderheit vertreten sein muss; • Die Lösung eventuell auftretender oder drohender die Gesetzentwürfe der Opposition üblicherweise abge- 2. demokratischen Spielregeln unterworfen werden, Zuständigkeitskonflikte. lehnt werden. Der Landtag wird beim Finanzabkommen und zwar vor allem hinsichtlich der Informations- • Die Mitwirkung des Landes bei der italienischen

44 45 kann er dem Parlament vorgelegt werden. Natürlich Südtirol-Konvent gar nicht besprochen. re ausgelegte Pflicht zur Rückzahlung einhalten wird. würde bei einem solchen Antrag die Frage der Verfas- An welchen Verhandlungstischen wird heute über Re- Schon seit der Regierung Monti haben wir gesehen, sungsmäßigkeit aufgeworfen, vor allem mit Art. 5 Verf., formen des Statuts verhandelt? dass geltende Abkommen gebrochen werden und der aber sogar im Autonomiestatut selbst, Art. 1, wird die Pöder: Eine Schiene ist jene der sofort machbaren Ver- Verfassungsgerichtshof in Krisensituationen zu unseren „Einheit und Unteilbarkeit der Republik“ eigens betont. fassungsreformen. Eine zweite Schiene sind die visionä- Ungunsten entscheidet. Der Sicherungspakt von 2014 ren Aspekte, die im Südtirol-Konvent diskutiert werden hat uns weniger schlecht aussteigen lassen als andere Steht dieses Initiativrecht zur Statutsänderung ex Art. können. Die konkreten Änderungen, die im Zusam- Regionen, doch wenn der Staat will, setzt er uns unter 103, Abs. 2 Autonomiestatut dem Landtag oder dem menhang mit der Verfassungsreform erfolgen müssen, Druck und hält zustehende Zahlungen einfach zurück. Regionalrat zu? werden von einer regionalen Expertenkommission vor- Man hätte den Weg weitergehen sollen, bei jedem Fi- Pöder: Die Vorschläge können von den beiden Landta- bereitet. Der Konvent kann schon zusätzliche Zustän- nanzabkommen zusätzliche Zuständigkeiten zu verlan- gen ausgehen, allerdings muss der Regionalrat zustim- digkeiten fordern, doch scheint dies kaum durchsetzbar gen. Finanzabkommen können nämlich offensichtlich men. Somit haben die einzelnen Abgeordneten ein Initi- zu sein. Man sollte z.B. beim Gesundheitswesen statt gebrochen werden, aber einmal übertragene Zustän- „Nur eine Schutzklausel ativrecht, am Ende entscheidet aber der Regionalrat, ob der sekundären die primäre Zuständigkeit für das Land digkeiten bleiben beim Land. Der Staat ist auch froh, ist zu wenig.“ die Initiative ans Parlament weitergeleitet wird. Es geht verlangen. Landtage und Regionalrat können eine sol- diese Kompetenzen mit den verbundenen Ausgaben- also um eine Initiative eines Landtags, der der Regional- che Vorlage durchaus beschließen. Da die jetzige Ver- verpflichtungen los zu sein. Für uns hingegen bedeutet Gespräch mit L.Abg. Andreas Pöder rat zustimmen muss. fassungsreform aber die Zuständigkeiten der Regionen dies einen Ausbau der Autonomie. (BürgerUnion) einschränkt, wird es auch für die autonomen Regionen Gibt es ein Vetorecht des Landtags gegen einseitige immer schwierig, zusätzliche Zuständigkeiten durchzu- Soll man die Finanzierung des Landes innerhalb des Die BürgerUnion hat den Südtirol-Konvent kritisiert, Änderungen des Autonomiestatuts? setzen. Statuts, die mit Staatsgesetz abgeändert werden kann, weil er einen möglichen souveränen Status Südtirols Pöder: Bei Abänderungen des Statuts durch das Parla- zu einer Bestimmung mit Verfassungsrang erheben, ausklammern wird. Warum nimmt die BürgerUnion ment muss die Stellungnahme der Landtage eingeholt Wird der Südtirol-Konvent durch diese parallele Ver- um sie besser abzusichern? nicht teil? werden, doch über ein explizites Vetorecht verfügen handlungsschiene nicht entwertet? Pöder: Die bisherige Flexibilität bei den Finanzabkom- Andreas Pöder: Der Konvent ist thematisch begrenzt auf wir als Südtiroler Landtag nicht. Dieses Recht hätte die Pöder: Durchaus. Eigentlich müsste man bei einer men hat sich immer zugunsten des Staats ausgewirkt. einen Vorschlag zum Autonomiestatut und lässt keine Verfassungsreform der Berlusconi-Regierung 2006 ein- grundlegenden Reform des Statuts nur auf einer Schie- Somit wäre eine Einbeziehung der Statutsbestimmun- Vorschläge über die Autonomie hinaus zu. Seine Arbeit geführt. Demgemäß hätte der Landtag mit Zweidrittel- ne fahren und zunächst alle Fragen dem Konvent zur gen zu den Finanzen in den verfassungsrechtlich gesi- gipfelt laut Landesgesetz in einer Vorlage an den Land- Mehrheit sein Veto einlegen können. Diskussion übertragen. Konkret wird aber so vorge- cherten Korpus des Status zu unserem Vorteil. Nun ar- tag zur Änderung des Statuts, ist also sachlich ziemlich gangen, dass das sofort Machbare im Parlament und gumentieren die Zentralisten: Wenn wir euch Finanzen begrenzt. Deshalb haben zuletzt nur die SVP und PD für Die jetzige Verfassungsreform sieht eine Schutzklausel zwischen den Regierungen verhandelt wird, während streichen, bedeutet dies keine Abstriche beim Minder- dieses Landesgesetz gestimmt. vor, mit einer Art Bestandsschutz für die geltende Au- andere Fragen dem Konvent überlassen werden. An- heitenschutz. Es geht nur um Geld, nicht um Sprache, tonomie. Welcher Schutz wird aber für die Zeit nach ders gesagt: die regionale Expertenkommission und die Proporz und Schule. Das Recht auf Selbstbestimmung könnte auch im Au- der Revision des Statuts vorgesehen? tonomiestatut selbst verankert werden. Hat die Bürge- Parlamentarier befassen sich mit der Realpolitik, der Pöder: Das im Art. 40 des Verfassungsgesetzentwurfs Die BürgerUnion hat die Abschaffung der Region ver- rUnion einen solchen Vorstoß schon unternommen? Südtirol-Konvent mit den Visionen. Boschi vorgesehene Einvernehmen wird von verschie- langt, doch ist diese durch den Übergang der Justizver- Pöder: Ich habe bisher als einziger Landtagsabgeord- denen SVP-Vertretern so interpretiert: Wenn die Revi- Beim Finanzabkommen (genannt „Sicherheitspakt“) waltung sogar noch gestärkt worden. neter einige Male das Initiativrecht zur Änderung des sion des Statuts abgeschlossen ist, gibt es keine Pflicht kritisiert die BürgerUnion, dass Südtirol dem Staat zu Pöder: Die Region ist jetzt für die Verwaltung des Ge- Autonomiestatuts wahrgenommen, das dem Landtag zum Einvernehmen mehr, die Schutzklausel ist dann als hohe Zugeständnisse gemacht hat. Insgesamt scheint richtspersonals zuständig und hat 2015 schon die ent- zusteht. Seit 2001 kann jeder Abgeordnete dieses Vor- Übergangsbestimmung obsolet. Doch hat LH Kompat- Südtirol dennoch gut weggekommen zu sein, besser sprechenden Mittel bereitgestellt. Das Personal wird schlagsrecht wahrnehmen. Ich habe vier Anträge einge- scher angekündigt, dass das Einvernehmen nur dann als andere Regionen. aber gemäß den Vorgaben des Justizministerium ver- reicht, darunter einen zur Ausübung des Selbstbestim- erteilt wird, wenn im neuen Statut ein Vetorecht Süd- Pöder: Der Sicherungspakt reduziert den Anteil des waltet und ist vor allem in Trient angesiedelt, wo für mungsrechts. Dieser ist von der Sonderkommission des tirols bei Statutsänderungen verankert wird. Wer stellt Landes am Steueraufkommen von 9/10 auf rund 8/10, 60 Millionen ein neues Gerichtszentrum entsteht. Dies Landtags behandelt, dann aber im Plenum abgelehnt das Einvernehmen her? Das ist noch nicht geklärt. Es nur geringfügig erhöht wird der Mehrwertsteueranteil ist in gewissem Sinn ein Geschenk an die Region. Mein worden. Würde ein solcher Antrag im Landtag gutgehei- könnte der Landtag sein, doch die Landesregierung des Landes gegenüber der Region. Der Pakt reicht bis Änderungsantrag lief darauf hinaus, das Personal nach ßen, müsste er noch durch den Regionalrat. Erst dann beansprucht das für sich. Solche Fragen werden vom 2022 und es ist fraglich, ob der Staat seine auf 50 Jah- Provinzen gerecht aufzuteilen.

46 47 Das ist rundweg abgelehnt worden, weil man damit 800 Euro angereift haben. So wären etwa Bauern ge- treten. Die Paritätischen Kommissionen dürfte es nach in die Stellenhoheit des Justizministeriums eingreifen genüber Teilzeit-Arbeitnehmerinnen im Vorteil. Beim der Streitbeilegung gar nicht mehr geben. Es gäbe al- würde. Südtirol verlangt den Übergang der Gemein- Mindestlohn und Mindestrente sollten auf jeden Fall lerdings die 137er-Kommission, die auch mit Vertre- deordnung von der Region an die Länder. Mit dem mehr autonome Steuerungsmöglichkeiten geschaffen tern der Opposition besetzt ist, also näher an der Le- Gerichtspersonal ist der Region sozusagen vorab eine werden. gislative ist. Diese ist zwar eingesetzt worden, hat aber Gegenleistung gewährt worden. noch nie getagt, weil sie nicht unter klarer Kontrolle Wo ist beim Autonomiestatut anzusetzen, um die der Mehrheitsparteien steht. Die 6er-Kommission Im Südtirol-Konvent wird sicher die Forderung nach direktdemokratischen Beteiligungsrechte der - Süd führt sich wie ein Geheimclub auf. Trentiner Abgeord- einer zweisprachigen Schule artikuliert werden. Auch tiroler auszubauen? Eines ist das Direkte-Demokra- nete mussten schon per Gerichtsverfahren den Zu- die BürgerUnion hat eine Verbesserung des Zweit- tie-Landesgesetz, etwas anderes das Statut. Welche gang zu den Unterlagen dieser Kommission erstreiten. sprachunterrichts gefordert. Dafür scheint sich das neuen Rechte im Statut könnten für die Bürger fest- CLIL-System am besten zu eignen. Soll der Art. 19 geschrieben werden? In der laufenden Verfassungsreform wird das natio- entsprechend abgeändert werden? Pöder: Die Bürger sollen ein Initiativrecht in allen Be- nale Interesse und die Überordnung des Staats ge- Pöder: Der CLIL-Unterricht ab der 2. Klasse Oberschu- reichen der Landeszuständigkeiten erhalten, also auch genüber der regionalen Gesetzgebung (neuer Art. le ist nicht negativ. Das muttersprachliche Prinzip wird bei der Initiative zur Statutsänderung, aber auch bei 117, Abs. 4, Verf.) betont. Diese ermöglicht es dem dadurch nicht gekippt, denn dies kann im Rahmen des den Satzungsgesetzen, also dem Wahlgesetz und dem Parlament, im Interesse der wirtschaftlichen und po- Art. 19 Autonomiestatuts erfolgen. Ich bin aber dage- Direkte-Demokratie-Gesetz. Die Richterkommission litischen Einheit in die regionalen Zuständigkeiten gen, dass CLIL auch auf die Grund- und Mittelschulen hat diesbezüglich Volksinitiativen abgelehnt. Jedes In- einzugreifen. Welche konkrete Gefahr entsteht dar- ausgedehnt wird. Man sollte CLIL auf die Oberschulen itiativrecht, das den Abgeordneten zusteht, soll auch aus für die autonome Gesetzgebung? beschränken. Im Aostatal gibt es das Muttersprachen- dem Volk zustehen. Dies kann im Autonomiestatut ex- Pöder: Bisher war das nationale Interesse in der Ver- prinzip für die Schule nicht, was für die Minderhei- plizit verankert werden. Das Statut muss für die Bür- fassung verankert. Jetzt ist im Art. 117, der direkt die tensprache gravierende Folgen hatte. Wenn eine Aus- gerbeteiligung einen breiteren Rahmen als die Staats- Regionen betrifft, dieses Interesse als „clausola di sup- nahmebestimmung beim Art. 19 eingeführt wird, wird gesetze schaffen. Derzeit wird bei Beschränkungen remazia“ nochmals explizit festgeschrieben, was zeigt: die Ausnahme schnell zur Regel. Mit einer mehrspra- immer auf Staatsgesetze verwiesen, was uns bei der Der Staat wird das also nicht mehr als toten Buchsta- chigen Schule ist der Minderheitenschutz nicht mehr direkten Demokratie einengt. Zum Beispiel muss auch ben betrachten, sondern sehr wohl nutzen. Die Regie- gewährleistet. Im Prinzip ist somit der Art. 19 beizu- die Bürgerbeglaubigung durch ein Landesgesetz er- rung kann per Dekret Regionalregierungen auflösen, behalten. Verbesserungen im Zweitsprachunterricht möglicht werden. Jeder Gemeinderat darf Unterschrif- nicht nur bei strafbaren Handlungen, sondern auch, können wir dann flexibel handhaben, ohne das Prinzip ten beglaubigen, also sollte auch der einfache Bürger wenn vermutet wird, dass sie ineffizient arbeiten der muttersprachlichen Schule aufzugeben. Dies wäre befugt sein, unter Einhaltung der Regeln Unterschrif- oder Gelder veruntreuen. Die clausola di supremazia nämlich kaum mehr rückgängig zu machen. ten zu beglaubigen. ist umso bedenklicher, als es nur mehr eine Kammer gibt. Der Senat hat nur mehr beschränkte Rechte. Die Braucht unser Land aufgrund seiner hohen Lebens- Die Paritätischen Kommissionen sind eine Schalt- Dekretmacht der Regierung wird dagegen nicht einge- haltungskosten nicht mehr Eigenständigkeit, um stelle zur Umsetzung des Autonomiestatuts. Doch schränkt, im Gegenteil. Mindestlöhne und Mindestrenten festzulegen? werden diese nur von den Regierungsparteien be- Pöder: Für einen Mindestlohn haben wir im Augen- setzt und nominiert. Wie können die Parlamente auf blick keine Handhabe, die Zuständigkeit ist nicht vor- Staats- und Landesebene stärker in diese legislative handen. Die Mehrheit hat versprochen, die Renten mit Tätigkeit einbezogen werden? Landesmitteln aufzustocken. Wir können aber auch Pöder: Man könnte dem Landtag mehr Rechte geben, aus anderen Gründen keinen zu hohen Betrag für eine doch besteht die Angst, dass bei einer Entscheidung Mindestrente einführen. Dann bekämen nämlich jene des Parlaments auch die italienische Opposition mit- Versicherten, die sehr wenig eingezahlt haben, gleich entscheidet. Als Vertreter der Italiener wären dann viel wie jene, die einen Rentenanspruch knapp unter auch die Rechtsparteien in diesen Kommissionen ver-

48 49 Ämter, müssen beide Sprachen verwendet werden. Nur Nachweis der Sprachbeherrschung muss durch eine beim Militär blieb es beim Italienischen als einzig zuge- entsprechende Prüfung oder äquivalente Zertifikate -er lassener Sprache. Es gilt der Grundsatz der Freiheit des bracht werden. So gilt seit 2010 für die höhere Laufbahn Bürgers, die Sprache im Umgang mit den Behörden zu als Zweisprachigkeitsnachweis auch, wenn jemand in bestimmen. Allerdings geht es heute nicht mehr nur um einer Landessprache Südtirols die Matura abgelegt und Ämter und Behörden, sondern um öffentliche Dienst- in der anderen Sprache ein Universitätsstudium absol- leistungen im weitesten Sinn. viert hat. Seit 1987 ist der Zweisprachigkeitsnachweis Damit hat man in Südtirol das Territorialprinzip (zwei unbefristet gültig. Es erfolgt keine Überprüfung, ob die bzw. drei Amtssprachen sind im ganzen Gebiet gül- beiden Sprachen im Dienst auch tatsächlich verwendet tig) mit dem Personalprinzip kombiniert: Jeder- Bür werden und ob der Betreffende diese Sprache nach 10, ger kann eine dieser Amtssprachen für den Umgang 20 Jahren noch wirklich beherrscht. mit den Behörden und bei der Nutzung öffentlicher 5 Langen Streit um die Anwendung der Zweisprachig- Dienste frei wählen. Im Kern: Die Gleichberechtigung der Sprachen ist ein landesweit gültiges Grundprin- keit gab es bei den privaten Konzessionsbetrieben wie zip und die Verwendung der Muttersprache (sofern etwa beim öffentlichen Nahverkehr. Es besteht zwar Gleichstellung der Sprachen: Landessprache) im öffentlichen Bereich ein subjekti- die Pflicht zur Zweisprachigkeit, doch wird es den Un- ves Recht aller Bürgerinnen. Somit müssen öffentlich ternehmen überlassen, wie sie dieser Pflicht nachkom- Grundsäule des Minderheitenschutzes Bedienstete und Dienstnehmer in allen öffentlichen men. Diese Unternehmen fordern den Zweisprachig- Körperschaften und Konzessionsbetrieben mit Publi- keitsnachweis in der Regel bei der Einstellung, doch in kumskontakt jene Sprache verwenden, die der jewei- der Praxis herrscht eine abgeschwächte Zweisprachig- Zuerst die gute Nachricht. Die reale Beherrschung der zweiten Landessprache hat von 2004 bis 2014, wie der lige Nutzer wählt. Wird der Schriftverkehr von Amts keit vor. Bei Konzessionsbetrieben, die immer schon Pri- ASTAT-Sprachbarometer 2014 berichtet, deutlich zugenommen. Knapp 70% der Deutschsprachigen können in wegen eröffnet, wird er in der mutmaßlichen Sprache vatbetriebe waren, ist der Zweisprachigkeitsnachweis der Zweitsprache Italienisch schriftliche Texte verstehen und verfassen. 75% können sich fließend auf Italienisch des Adressaten geführt. Selbstverständlich müssen bei der Einstellung nicht Pflicht. Zu Unklarheiten kam unterhalten. Von den Italienischsprachigen fühlen sich knapp 40% imstande, sich auf Deutsch auszudrücken, auch alle Gesetze und Verordnungen in zweisprachi- es immer wieder in jenen Fällen, in denen öffentliche 53,5% verstehen gut oder sehr gut Deutsch. In beiden größeren Sprachgruppen haben die Zweitsprachkenntnisse ger Fassung verlautbart werden. Betriebe nach Inkrafttreten der Sprachenregelung in gegenüber 2004 zugenommen, so die ASTAT-Forscher. Es ist als ein außerordentlicher Erfolg der Autonomie und Ein Meilenstein in der Umsetzung dieser Sprachen- Gesellschaften privaten Rechts umgewandelt wurden der Regelungen zur Gleichberechtigung der Sprachen zu werten, dass rund 40% der italienischen Sprachgruppe rechte war die DFB Nr. 574/1988, die auch eine (Volgger 2008, 97-106). Deutsch, also die Sprache einer ethnischen Minderheit in Italien, gut oder sehr gut beherrschen. wirksame Sanktion gegen die Nichtbeachtung der Zweisprachigkeit Gleichberechtigung Das 2. Autonomiestatut hat Deutsch in der ganzen Re- Sprachbestimmungen vorsah: Der betreffende Akt der Verwaltung ist in diesem Fall nichtig, also von Beginn im öffentlichen Dienst der Sprachen: Grundnorm gion dem Italienischen als Amtssprache gleichgestellt (Art. 99 ASt). Die öffentliche Sphäre wird dabei weiter an ohne Rechtskraft. immer noch unvollständig des Statuts gefasst als bloß die Verwaltungsämter: „Die deutsch- Das Recht auf den Gebrauch der Muttersprache kann Die gesetzliche Gleichstellung des Deutschen, Italieni- sprachigen Bürger der Provinz Bozen haben das Recht, Die Gleichberechtigung der deutschen und italienischen freilich nur in Anspruch genommen werden, wenn die schen und in geringerem Ausmaß des Ladinischen (in im Verkehr mit den Gerichtsämtern und mit den Or- Sprache in den öffentlichen Ämtern und öffentlichen Bediensteten diese Sprachen auch beherrschen. Die den ladinischen Tälern) in der konkreten Alltagsrealität ganen und Ämtern der öffentlichen Verwaltung, ...so- Dokumenten ist ein Kernpunkt der Autonomie, der im Beherrschung beider Amtssprachen als Voraussetzung der Politik, Verwaltung und des öffentlichen Dienstes wie mit den Konzessionsunternehmen, die öffentliche Pariser Vertrag (Art.1) festgeschrieben worden ist. Die für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst in Südtirol umzusetzen, war eine ganz besondere Bewährungspro- Dienste versehen, ihre Sprache zu gebrauchen“ (Art. Autonomie hatte u.a. den Zweck, die „volle Gleichbe- war schon vorher geregelt worden, und zwar in Zusam- be für die Südtirol-Autonomie. In vielen Minderheiten- 100 ASt.). Öffentliche Körperschaften sind dabei all rechtigung mit den italienischsprachigen Einwohnern menhang mit der Umsetzung des Proporzes im öffent- gebieten Europas gibt es Regeln für die Verwendung der jene, die durch Gesetz errichtet werden. Innerhalb der herzustellen“ (Art. 1 PV) und „die Gleichberechtigung lichen Dienst (DFB Nr. 752/1976). Je nach angestrebter Minderheitensprachen im öffentlichen Bereich. Doch öffentlichen Ämter können die beiden Sprachen auch der deutschen und italienischen Sprache in öffentlichen beruflicher Laufbahn wurden vier Stufen unterschiedli- scheitern sie oft an der Dominanz der Staatssprache. getrennt verwendet werden, doch bei allen Akten, Ämtern und amtlichen Urkunden zu gewährleisten“ cher Sprachbeherrschung A, B, C, und D eingeführt. Der Dies drückte sich z.B. in der mangelhaften oder nicht (Art. 1, lit b, PV). die sich an die Öffentlichkeit richten oder an mehrere

50 51 vorhandenen Bereitschaft eines Teils der italienisch- dass sie schon einmal in einer öffentlichen Einrichtung mutlich eingesehen, dass angesichts des in Italien tief nach erfolgter Einstellung in den öffentlichen Dienst; sprachigen Beamtenschaft aus, die lokalen Amtsspra- ihre Muttersprache nicht verwenden konnten, dagegen verwurzelten Zentralismus keine Landespolizei für eine • Abwicklung der Zweisprachigkeitsprüfungen; chen zu lernen und tatsächlich zu verwenden. fast 60% der deutschen Sprachgruppe (ASTAT Sprachba- einzige Provinz geschaffen werden kann. Die allgemei- • Förderungen der aktiven Zweisprachigkeit bei den In Südtirol hatte zwar schon das 1. Autonomiestatut von rometer 2014, 186). ne Regionalisierung der Polizei stand in Italien nie zur öffentlich Bediensteten aller Bereiche (einschließlich 1948 Deutsch als gleichberechtigte Amtssprache in Süd- Vor allem fünf Bereiche des öffentlichen Dienstes schei- Diskussion, seit Amtsantritt von Renzi noch weniger. Die der Konzessionsbetriebe öffentlicher Dienste). tirol eingeführt, doch haperte es bei der Umsetzung. So nen noch erhebliche Probleme bei der Umsetzung der Polizei unterliegt hingegen einer militärisch organisier- machten auch die Kinder der Generation der unter dem Zweisprachigkeit zu haben: das Krankenhaus Bozen, die ten Ordnung, die intern nur auf Italienisch funktioniert. Der Geltungsbereich der Zweisprachigkeitspflicht ist Faschismus aufgewachsenen Südtiroler die Erfahrung, Polizei und Carabinieri, die Staatsbahn, die Finanzämter Im Umgang mit den Bürgern ist auch für die Polizei die bereits seit 1976 auf alle für die Gesellschaft wichtigen dass man sich zumindest bei allen staatlichen Verwal- (Agenturen für Einnahmen), das NISF/INPS. Als unzurei- Pflicht zur Zweisprachigkeit vorgesehen. Deshalb ist per öffentlichen Dienste ausgedehnt worden. „Öffentlicher tungen und Diensten in der Regel in der Staatssprache chend zweisprachig im Umgang mit der Bürgerschaft DFB vorgesehen worden, dass ein gewisser Anteil der Dienst“ bezieht sich, allgemein gesprochen, nicht auf auszudrücken hat. Völlig verinnerlicht wurde diese Hal- werden oft auch das Landesgericht, einige Dienste der Stellen zweisprachigen Kandidaten vorbehalten blei- die Körperschaft, welche den Dienst erbringt, sondern tung gegenüber Polizeibehörden, obwohl inzwischen Gemeinde Bozen, einige Nahverkehrskonzessionäre, ben muss bzw. angemessene Deutschkenntnisse haben auf den Nutzerkreis, der die Dienstleistungen bezieht. immer mehr Südtiroler deutscher Muttersprache dort TELECOM und alle übrigen Telefonanbieter (POLITiS müssen (DFB Nr. 752/1976). Zwar hat die Polizei in Süd- Somit muss in Südtirol das Recht auf zweisprachige ihren Dienst tun. Für Zehntausende von Südtiroler Re- 2014, 125) genannt. Bei den Landes- und Gemeinde- tirol Anstrengungen zum Ausbau der Zweisprachigkeit Dienstleistungen öffentlichen Charakters immer dann kruten wurde früher auch der streng einsprachige Mi- diensten, also den Lokalkörperschaften mit Ausnahme unternommen, doch ist die Verwendung der deutschen beachtet werden, wenn (vgl. Volgger 2014, 59) litärdienst zu einem unausweichlichen Italienisch-Drill. der Gemeinde Bozen, werden kaum Beschwerden we- Sprache gegenüber der Polizei immer noch nicht so • die öffentliche Verwaltung selbst die Dienstleistung Die in der Autonomie enthaltenen Sprachbestimmun- gen mangelnder Zweisprachigkeit verzeichnet. selbstverständlich wie es bei öffentlichen Diensten sein betreibt; gen gehören zu den komplexesten und wichtigsten Be- Insgesamt hat das ASTAT-Sprachbarometer 2014 seit müsste. Dies könnte durch die allgemeine Einführung • sie als Teilhaberin in privaten Gesellschaften auftritt; reichen dieses Regelwerks. Wenn heute ausländische 2004 eine deutliche Verschlechterung der Wahrung des des Zweisprachigkeitsnachweises bei der Bewerbung • im Auftragsweg mittels öffentlicher Ausschreibung Delegationen Südtirol als Autonomiemodell studieren, Rechts zum Gebrauch der Muttersprache im öffentli- für die Aufnahme in den Polizeidienst behoben werden eine öffentliche Dienstleistung betreibt; sind sie gut beraten, diese Errungenschaft mit ihren chen Dienst festgestellt (ASTAT-Sprachbarometer 2014, (Bonell/Winkler 2010, 317-321). • sie eine öffentliche Dienstleistung nach den vorgese- Anwendungsmodalitäten besonders zu beachten, noch 184). henen Rechtsformen überträgt. Bei der Gleichberechtigung der Landessprachen geht es mehr als das Proporzsystem. Nicht zufällig erforderte Jener Bereich des öffentlichen Dienstes, in dem das Diese Definition umfasst auch Unternehmen privaten heute vor allem darum, die Zweisprachigkeit im öffent- die Umsetzung der DFB vom 15.7.1988, Nr. 574, gan- Recht auf Gebrauch der Muttersprache deutlich aus- Rechts (einschließlich privatisierter Staatsunterneh- lichen Bereich zu vervollständigen, Mängel zu beheben ze vier Jahre. Fünf Verfassungsgerichtsentscheidungen, baufähig ist, sind die Polizeibehörden. So wird etwa bei men), die wichtige öffentliche Dienstleistungen- er und Lücken zu schließen. Die Kontrolle der Zweispra- eine Entscheidung des EuGH und weitere Entschei- Ausschreibungen für Polizeistellen in Südtirol die Zwei- bringen, wie z.B. die Telefongesellschaften, denn „… chigkeitsbestimmungen und Förderung der Zweispra- dungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit ergingen. Die sprachigkeit der Bewerber nicht ausreichend honoriert. die Auswirkungen der Privatisierung von öffentlichen chigkeit gemäß Autonomiestatut ist ein ureigenes An- staatlichen Behörden leisteten auf verschiedenen Ebe- Wettbewerbsteilnehmer mit passendem Zweisprachig- Diensten berühren die Zweisprachigkeitspflicht in Süd- liegen des Landes, wofür das Land Südtirol die zentrale nen Widerstand. Seitens der Vertreter der ethnischen keitsnachweis wurden diskriminiert, reichten Klage ein tirol nicht“ (Volgger 2014, 53). In dieser Hinsicht wurde Verantwortung übernehmen sollte. Es war kein guter Minderheiten bedurfte es dagegen viel Zähigkeit, um und konnten in zweiter Instanz vor dem Staatsrat Recht immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die Beschäf- Griff, diese Aufgabe dem Regierungskommissariat an- die Sprachengleichstellung konsequent durchzusetzen, behalten. Der Verzicht auf die Einrichtung einer Landes- tigten solcher Konzessionsträgern nachweisen müssen, zuvertrauen, vielmehr kann ein dem Landeshauptmann was bis heute nicht ganz gelungen ist. polizei mit den für lokale Körperschaften vorgesehenen Deutsch und Italienisch zu beherrschen, also schon bei zugeordnetes eigenes Landesamt folgende Aufgaben in Proporz und Zweisprachigkeit mit entsprechend prakti- der Einstellung den Zweisprachigkeitsnachweis erbrin- Obwohl die Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst in weit bürgernäherer und umfassender Form ausüben: scher Umsetzung, hat dazu geführt, dass in einem sehr gen müssen. Durch die Auslagerung und Privatisierung Südtirol seit 28 Jahren Pflicht ist, heißt dies nicht, dass bürgernahen Dienst die zweite Landessprache einen zu • Kontrolle der Einhaltung der Bestimmungen zum von öffentlichen Diensten war dieses Recht in der Praxis es in der Praxis keine Mängel gibt, meist zu Lasten der geringen Stellenwert hat. Recht auf Verwendung der Amtssprachen im Um- beeinträchtigt worden. Die DFB Nr.574/1988 sieht aber Deutsch- und Ladinischsprachigen. Bei einer nicht re- gang mit den Behörden; vor, dass auch bei Konzessionsunternehmen der Dienst präsentativen Umfrage von POLITiS im Jänner 2014 Die Schaffung einer Landespolizei, anfangs im SVP- • Entgegennahme und Bearbeitung von Bürgerbe- so organisiert sein muss, dass der Gebrauch des Deut- gaben 81% der deutschsprachigen Teilnehmenden und Konzept zur Vollautonomie enthalten, ist kein vor- schwerden; schen und Italienischen gewährleistet sein muss. Diese 73% aller Teilnehmenden insgesamt an, dass die Zwei- dringliches Anliegen der SVP (vgl. VerfGE Nr. 32/2013 • Sanktionierung von Verstößen gegen das Recht auf Zweisprachigkeitspflichten sind bereits geregelt, bedür- sprachigkeitspflicht nicht ausreichend gewahrt wird. von Zeller/Berger), anscheinend genauso wenig wie Verwendung der Muttersprache; fen keiner Änderung des Autonomiestatuts, sondern Nur 14% der italienischsprachigen Südtiroler geben an, der Übergang der Postämter zum Land. Man hat ver- • Überprüfung der Zweitsprachenkenntnisse auch müssen vor allem umgesetzt werden. Allerdings kann

52 53 im Statut präziser festgelegt werden, was „öffentliche dass deutsche Etiketten oft überklebt werden (und Regionalgesetz anerkannt worden sind. „Salonetto“ politik emotional höchst aufgeladen. Der faschistische Dienstleistung“ bedeutet und welche Dienste mindes- umgekehrt ebenso). Die Südtiroler, aber auch die eu- (Schlaneid) und „Spelonca“ (Spiluck) bleiben uns somit Ursprung, der Tatbestand der Fälschung von Kulturgut, tens darunter fallen. ropäische Mehrsprachigkeit insgesamt, wird somit erhalten. der Umstand, dass große Teile der Mikrotoponomastik aufgrund der nationalen staatlichen Einsprachigkeit Dieses Landesgesetz wurde von der Regierung in Rom (Flur- und Hofnamen) weder jemals von italienischspra- Die Pflicht zur Zweisprachigkeit unterdrückt. Laut EU-Verordnung muss die Konsumen- wegen Verletzung der im Autonomiestatut vorgesehe- chigen Bewohnern geschaffen wurden, noch wirklich bei der Produktetikettierung tin auf den Lebensmitteln verständliche Informationen nen Pflicht zur Zweisprachigkeit der Ortsnamen (Art. öffentlich benutzt werden, werden verdrängt. Jeder Ita- vorfinden. Eine allgemeine Pflicht, sämtliche Produkte 8, Abs.1, lit.2, ASt.) angefochten und behängt seitdem liener, der auf einer rationalen Bewertung dieser Ent- Im Unterschied zu anderen zwei- oder mehrsprachigen zweisprachig zu etikettieren, sei aber aus praktischen beim Verfassungsgericht. Vorausgegangen war diesem wicklung anhand wissenschaftlicher Kriterien beharrt, Regionen Europas ist in Südtirol die Pflicht zur Zwei- Gründen nicht möglich, heißt es oft. Eigene Etiketten, Gesetz eine lange Polemik, die sich daran entzündet riskiert, als Verzichtspolitiker abgestempelt zu werden. sprachigkeit auf den öffentlichen Bereich beschränkt, nur für Südtirol, seien für die Großunternehmen nicht hatte, dass italienische Kreise die gesetzlich vorgeschrie- Tolomei‘s „Prontuario“ wird in der italienischen Öffent- mit einer Ausnahme: den Apotheken und den Arznei- zu schaffen. Doch beweisen viele in der Schweiz tätige bene Zweisprachigkeit auf sämtliche Hinweisschilder lichkeit Südtirols oft nicht mehr als Teil faschistischer mitteln. Die zweisprachigen Packungsbeilagen sind der Unternehmen das Gegenteil: Dort werden die meisten der Wanderwege erweitern wollten, die bis dahin zum Assimilationsstrategie wahrgenommen, sondern sozu- einzige Bereich, in dem die Zweisprachigkeit in Südti- Produkte außer auf Deutsch auch auf Französisch und Großteil von den tolomeischen Namenskreationen sagen als erworbenes Kulturgut. So kann die flächen- rol auch auf die private Wirtschaft ausgedehnt wurde. Italienisch etikettiert (Brennerbasisdemokratie 2015). verschont geblieben waren. Südtirol hat laut Autono- deckende Aufrechterhaltung der Tolomei-Namen zur Diese Pflicht der Apotheken, den Medikamenten Pa- miestatut immerhin primäre Gesetzgebungsbefugnis Frage der Gleichberechtigung aufgebauscht werden. ckungsbeilagen in beiden Sprachen bzw. in der Sprache Den Abschied von für die Ortsnamen, allerdings mit der Auflage der Zwei- In diesem Sinne war der mit dem Landesgesetz vom der Kunden beizulegen, wird aber unzureichend ein- den tolomeischen Ortsnamen sprachigkeit. 25.9.2012 erzielte Kompromiss tatsächlich ein bemer- gehalten. 2014 wurde erhoben, dass sämtliche Phar- erleichtern Darin liegt auch ein wesentlicher Grund für diese noch kenswerter Schritt nach vorne. mafirmen, die Südtirols Apotheken beliefern, für die ungelöste Problematik. Im Unterschied zur Region Ao- Da die Regierung ihre Klage an der Pflicht zur Zwei- Missachtung dieser Vorschrift seit 1988 (Inkrafttreten Obwohl sich das Thema seit Verabschiedung des Lan- statal, deren Ortsnamen im Faschismus zwangsweise sprachigkeit festmacht, könnte argumentiert werden, der Sprachenregelung) insgesamt Strafen von 210.000 desgesetzes zur Ortsnamengebung vom 25.9.2012 italianisiert und 1946 wieder in die korrekte Form ge- dass „Zweisprachigkeit“ nicht mit der Verpflichtung zur Euro begleichen mussten, somit jährlich 8.400 Euro (Be- in der Warteschleife vor dem Verfassungsgerichtshof bracht worden waren, hat man in Südtirol diesen Akt Zweinamigkeit gleichzusetzen sei. „Zweisprachigkeit“ antwortung einer Landtagsanfrage von W. Blaas durch befindet, gehört es ansonsten zu den Dauerbrennern der Fälschung von Kulturgut nicht gleich nach Kriegs- müsste nicht im Sinn der Führung von zwei amtlichen LR Stocker, 2015). Die 24 betroffenen Pharmafirmen ha- der Südtiroler Politik. Dieses Landesgesetz, Frucht ei- ende rückgängig gemacht, sondern sogar im ersten Ortsnamen verstanden werden (also Namen in zwei ben also eine durchschnittliche Strafe von 350 Euro pro nes mühsam erzielten Kompromisses zwischen den und zweiten Autonomiestatut festgeschrieben. Dies ist Sprachen), sondern als Pflicht, die jeweilige geografi- Jahr bezahlt, ein Bußgeld, das für Großkonzerne meist Regierungsparteien SVP und PD, delegierte die Ent- auf den unerklärlichen Umstand zurückzuführen, dass sche-technische Bezeichnung (Berg, Fluss, Alm, See, keine ernstzunehmende Belastung darstellt (Volgger scheidungsbefugnis über einen größeren Teil des Orts- schon Außenminister Gruber im Pariser Vertrag einen Bach, Tal usw.) zweisprachig anzuführen. Zweinamig- 2014, 113-122). „Gerade die Beipackzettel und Etiket- namengutes an die Bezirksgemeinschaften. Der zustän- derartigen Passus unterschrieben hat. Der 1923 und keit hingegen müsste nur für den wissenschaftlich fun- ten von Medikamenten und die Dienstleistungen der dige Rat der Bezirksgemeinschaften sollte dem neu zu 1940 gesetzlich verankerte „Prontuario dei nomi italiani dierten Namen gelten, wie dies in anderen Regionen Fernmeldedienste lassen in der Realität erkennen, dass schaffenden Landesbeirat für Kartographie Vorschläge dell’Alto Adige“ mit gut 8.350 Namen ist Werk eines ein- Italiens mit ethnischen Minderheiten gehandhabt wird. von einer vollständigen Umsetzung des Rechts auf die für die Ortsnamen vorlegen, der sie nach wissenschaft- zigen faschistischen Fanatikers, Ettore Tolomei. Diese Deshalb kann - wie Christian Kollmann vorschlägt - eine deutsche Sprache bei den Dienstleistungen in Südtirol lichen Kriterien zu beurteilen und genehmigen hat. Fälschung kam dem Regime von Mussolini zurecht, um zweifache Unterscheidung eingeführt werden: nicht gesprochen werden kann“ (Volgger 2014, 57). Bezug genommen wird in diesem Landesgesetz sowohl Südtirol nach außen hin als eigentlich alt-italienische 1. Die Unterscheidung zwischen Namen und techni- Keinen Fortschritt gibt es bei der Gleichstellung der auf die in den jeweiligen Sprachen geläufigen Nennun- Provinz darzustellen und damit die Annexion zusätzlich schen Hilfsbezeichnungen. deutschen und italienischen Sprache bei der Produkt- gen als auch auf die ursprüngliche Fassung der histori- international zu legitimieren. 2. Die Unterscheidung zwischen historisch fundierten beschriftung in anderen wichtigen Bereichen, voral- schen Namen: „Jeder Ortsname wird in deutscher, itali- In über 90 Jahren Geltung haben sich diese Erfindungen und nicht-fundierten Namen. lem bei den Lebensmitteln. Da nur ein geringer Teil enischer und ladinischer Fassung eingetragen, sofern in im Bewusstsein der italienischen Sprachgruppe soweit Zweisprachigkeit wäre somit im Autonomiestatut der in Südtirol vermarkteten Lebensmittel aus Südtirol jeder dieser Sprachen in der jeweiligen Bezirksgemein- sedimentiert, dass auch die teilweise Rückgängigma- bei den technischen Hilfsbezeichnungen, nicht aber stammt und zweisprachig etikettiert wird, ist der über- schaft geläufig und vom Beirat gemäß Art.3 genehmigt“ chung dieses historischen Unrechts nicht nur als Angriff bei den Namen verpflichtend festzuschreiben. Eine wiegende Teil einsprachig italienisch. Die EU-Konsu- (L.G. 25.9.2012 ,Art. 1, Abs. 4 und 5). Dabei darf dieser auf die „italianità“ Südtirols empfunden wird, sondern solche im Statut festgehaltene Unterscheidung würde mentenschutzrichtlinie vom Dezember 2014 schreibt Beirat keine der tolomeischen Gemeinde- und Frak- auch auf die Gleichberechtigung der Sprachgruppen. es dem Landesgesetzgeber ermöglichen, sich zumin- eine Mindestgröße der Etiketten vor, was dazu führt, tionsbezeichnungen löschen, da sie bereits durch ein Die Toponomastik ist in Südtirol als Teil der Symbol- dest in der Mikrotoponomastik vom Erbe Tolomeis zu

54 55 verabschieden, und würde auch dem Verfassungsge- Sprachgruppen ständig zu, und das ist auch ein Erfolg Grafik 1 – „Gute“ und „sehr gute“ Zweitsprachkenntnisse in Südtirol richt die Entscheidung erleichtern. der Autonomieregelungen. Deutschsprachige 2014 Italienischsprachige 2014 Die klare Lösung wäre allerdings die Abschaffung der In Südtirols Arbeitswelt ist auch außerhalb des öffent- Deutschsprachige 2004 Italienischsprachige 2004 Pflicht zur Zweisprachigkeit in der Südtiroler Ortsna- lichen Dienstes bereits eine beträchtliche Zweispra- 70,7 % mensgebung im Autonomiestatut. Damit hätte das Ver- chigkeit eingezogen. 31,2% der Italienischsprachigen 63,4 % lesen 29,8 % fassungsgericht keine Grundlage mehr, einen in Südtirol sprechen am Arbeitsplatz auch Deutsch, 61,2% der 30,9 % getroffenen Kompromiss zur Regelung der Ortsnamen- Deutschsprachigen sprechen bei der Arbeit auch Itali- 71,6 % gebung zu vereiteln. In diesem Punkt würde über den enisch. 80% der Beschäftigten geben an, keine Proble- schreiben 61,9 % 39,3 % Buchstaben des Pariser Vertrags hinausgegangen, was me der Verständigung am Arbeitsplatz zu haben. 19,2% 26,4 % auch in zahlreichen anderen Politikfeldern geschehen haben Schwierigkeiten, wobei allerdings auch die neue 74,2 % sprechen 58,8 % ist. Der Verzicht auf einen guten Teil des tolomeischen Migration eine Rolle spielt (ASTAT Sprachbarometer, 39,6 % „Prontuarios“ käme spät, aber wohl begründet. Die 2014, 92). Nicht nur Proporz und Zweisprachigkeits- 27,2 % Überwindung dieser Hinterlassenschaft des menschen- pflicht im öffentlichen Dienst, sondern auch die allge- 83,9 % hören 78,1% und kulturverachtenden Mussolini-Regimes würde in meine Entwicklung in den Unternehmen bildet somit 53,5 % 47,7 % demokratischem Konsens überwunden und zur gegen- einen dauerhaften Anreiz für mehr solide Zweitsprach- Quelle: ASTAT – Sprachbarometer 2004 und 2014 seitigen Wertschätzung der Sprachgruppen beitragen. beherrschung. Die Beherrschung der zweiten – oder für die Ladiner der Regierungskommissariat) auch Deutsch als Zusatzfach mensgebung – kein dringender Handlungsbedarf. Südtirol – beiden anderen – Landessprachen ist in Südtirol längst einzuführen. Die italienische Sprachgruppe hat bei den Zur Vertiefung ein zweisprachiges Land? ein hoher Wert und ein entsprechend wichtiges Bil- Zweitsprachkenntnissen in diesen 40 Jahren seit Inkraft- dungsziel: „Drei Viertel der Südtiroler sehen die Beherr- treten von Proporz und Zweisprachigkeitsnachweis im Siegfried Baur (2000), Die Tücken der Nähe, Alpha&Beta Oft geht die Rede von Südtirol als einem zweisprachi- schung der Zweitsprache als eine persönliche Bereiche- öffentlichen Dienst stark aufgeholt. Fast 40% der Italie- Verlag, Meran Siegfried Baur/Giorgio Mezzalira/Walter Pichler (2008), gen oder mehrsprachigen Land. Zwar hat Südtirol drei rung, knapp die Hälfte auch als einen konkreten Vorteil. ner können sich laut Selbsteinschätzung auf Deutsch gut La lingua degli altri. Aspetti della politica linguistica in Amtssprachen, ist aber nicht zweisprachig in dem Sin- Nur 18,5% der Bevölkerung sehen sie ausschließlich als oder sehr verständigen, 30% haben die Zweisprachig- Alto Adige/Südtirol dal 1945 ad oggi, Franco Angeli, ne, dass jeder Bewohner beide oder drei Sprachen eine Notwendigkeit“ (ASTAT Sprachbarometer 2014, 182). keitsprüfung abgelegt (ASTAT Sprachbarometer 2014, Mailand Rita Franceschini (2013), Die Potentialität von Mehr- perfekt beherrscht. Vielmehr beherrscht die Mehrheit Je höher das Bildungsniveau, desto selbstverständli- 102). Die italienische Schul- und Kulturpolitik hat eine sprachigkeit: Vier Szenarien für ein dreisprachiges Ge- der Bevölkerung eine bzw. zwei der anderen Landes- cher wird die zweite Landessprache: 60% stufen sie als Fülle von Initiativen zum besseren Erwerb der -Zweit biet wie Südtirol, in: Hans-Bianchi/Miglio/Pizzarini/ sprachen mehr oder weniger gut. Man spricht ja auch sehr wichtig ein, 36,7% als ziemlich wichtig. Auch das sprache getroffen, die noch ausgebaut werden können. Vogt/Zenobi (Hg.), Fremdes wahrnehmen, aufnehmen, annehmen, Bonner Romanistische Arbeiten, Peter Lang nicht von einem dreisprachigen Schweizer Volk, obwohl Ausmaß der absoluten Einsprachigkeit ist mit knapp Wenn die italienische Sprachgruppe in der Schulpolitik Edition, Frankfurt viele Schweizer auch andere Landessprachen sprechen 7% der Bevölkerung nicht besorgniserregend. Die deut- mehr Freiheit zur Verstärkung des Zweitsprachunter- Ruth Margit Volgger (2014), Über den Gebrauch der und die Schweiz vier offizielle Sprachen hat. Zweispra- sche Sprache nimmt durch Bevölkerungszuwachs und richts erhält, kann sich dies nur positiv auswirken. deutschen Sprache bei den öffentlichen Dienstleistun- gen in Südtirol. Theorie und praktische Anwendung. chigkeit in dem Sinn, dass die Bevölkerung im ganzen Zuwanderung aus dem deutschsprachigen Raum zu. Als nachhaltige Motivation fürs Deutschlernen wirkt Studienverlag Innsbruck Land beide Sprachen in gleichem Maß und Qualität be- Italienisch erhält Zufluss durch nicht-deutschsprachige auch die konsequente Umsetzung der Zweisprachig- Klaus Dubis (2008), Das Recht auf den Gebrauch der herrscht, trifft für Südtirols Sprachlandschaft nicht zu. Ausländer, die sich nach und nach einbürgern. Auch das keit im öffentlichen Dienst, die Gleichstellung der Lan- Sprachen im Umgang mit der öffentlichen Verwaltung, Südtiroler Bildungszentrum – Arbeitskreis Sprachen, Gut drei Viertel der Deutschsprachigen können sich auf Ladinische wächst weiterhin (ASTAT Sprachbarometer dessprachen im öffentlichen Leben, die Mehrsprachig- EDK editore, Torriana Italienisch gut oder sehr gut verständigen (Sprechen 2014, 35). In diesem Kontext könnte mittelfristig ein keit bei weiterführenden Bildungswegen (Hochschule, Michael-Gaismair-Gesellschaft/APOLLIS (2016), Eth- und Lesen, vgl. ASTAT Sprachbarometer 2014), was Problem daraus entstehen, dass Zuwanderer vorzugs- Claudiana usw.) und die zunehmende Bedeutung der nische Differenzierung und soziale Schichtung in der Südtiroler Gesellschaft, Nomos Verlag, Baden-Baden, nicht bedeutet, dass alle zu Dolmetschern geworden weise nur die Staatssprache als prioritär betrachten und deutschen Sprache auf dem privaten Arbeitsmarkt. erscheint im Herbst 2016. sind. Auch die Tatsache, dass 38% der Bevölkerung über nicht ausreichend zur Kenntnis nehmen, dass Deutsch Diesen Prozess möglichst zu unterstützen, ist weiterhin Südtirol 2019: ein Manifest – Themen für den Südtirol- einen Zweisprachigkeitsnachweis verfügen, lässt sich für die soziale Integration wie für die beruflichen Per- eine zentrale Aufgabe der Landespolitik, für das Auto- Konvent; URL: https://manifesto2019.wordpress.com/ ASTAT (2006), Südtiroler Sprachbarometer 2004, Bozen nicht so interpretieren, dass all diese Personen zwei- spektiven in Südtirol mindestens gleiches Gewicht wie nomiestatut hingegen ergibt sich – mit Ausnahme der ASTAT (2015), Südtiroler Sprachbarometer 2014, Bozen sprachig sind. Jedenfalls nimmt die Kenntnis der zwei- die Staatssprache hat. Es macht somit Sinn, beim Ein- Präzisierung des Geltungsbereichs der Zweisprachigkeit Blog Brennerbasisdemokratie, URL: www.brennerbasis- ten Landessprache und einer weiteren Sprache in allen bürgerungsverfahren (Sprachtest auf Italienisch beim in allen öffentlichen Dienstleistungen und der Ortsna- demokratie.eu

56 57 Die Vertretung der Verbände ist stark eingeschränkt, führungsbestimmungen und der Landesgesetzgebung auf das Territorium der Autonomie Auswirkungen. Die denn außer den Unternehmern und Gewerkschaften überlassen. Funktion einer externen Schutzmacht darf nicht unter- sind alle anderen großen Verbände ausgeschlossen. Ich schätzt werden. gebe zu, die Quadratur des Kreises ist kaum zu schaffen, In der Verfassung ist durch die Renzi-Boschi-Reform doch sind die Bürger und Bürgerinnen im Konvent ein- eine „Suprematie-Klausel“ (clausola di supremazia) Sollte es eine klarere Aufteilung der Befugnisse zwi- deutig zu schwach vertreten. Der Landtag nominiert die festgeschrieben worden, mit welcher der Zentralstaat schen Staat und Land geben, um ständige Konflikte vor meisten Mitglieder und am Ende entscheidet er auch auch in die primären Zuständigkeiten der Regionen dem Verfassungsgericht zu vermeiden? über die Reformvorschläge. Das Zepter hält somit der eingreifen kann. Welche Gefahr bringt diese Klausel Pallaver: In allen Föderalstaaten stellt man immer wie- Landtag in der Hand, damit wird natürlich auch eine ge- für die Autonomie der Region und des Landes? der fest, dass es nicht möglich ist, Zuständigkeiten klar wisse Kontrolle über die Inhalte ausgeübt. Pallaver: Die Suprematieklausel gilt für die Autonomie zu trennen, weil sich viele Politikfelder überschneiden. der Region Trentino-Südtirol nicht, solange die Schutz- Auch das EU-Recht muss auf mehreren Ebenen um- Für einen freiwilligen Proporz Hinsichtlich der Autonomiereform scheint die Südti- klausel in Kraft ist. Grundsätzlich muss man von der gesetzt werden. In Deutschland und Österreich gibt in der Landesregierung roler Gesellschaft von zentrifugalen Kräften getrieben Vorstellung abrücken, dass man einen totalen Schutz es laufend Bund-Länder-Konflikte. Eine klare Auftei- zu sein: Selbstbestimmung, Status quo mit mehr Ein- hochziehen kann. Wer an dieser Vorstellung hängt, lung von Kompetenzen zwischen Staat und Land ist in Gespräch mit Prof. DDr. Günther Pallaver, griffsrechten des Staats, Vollautonomie. Wie kann die- geht von einem statischen Konzept der Autonomie aus. bestimmten Bereichen möglich, in anderen nicht. Bei Universität Innsbruck se Spannung zwischen gegensätzlichen Vorschlägen Wie bei allen Institutionen sieht sich auch die Autono- Konflikten kommt es auch immer auf die Ausrichtung Der Autonomiekonvent ist ein Versuch, einen Reform- für eine produktive Weiterentwicklung der Autono- mie mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert, des Verfassungsgerichts an, das ausgehend von der vorschlag fürs Statut mit etwas mehr Bürgerbeteili- mie eingefangen werden? weil sich die Rahmenbedingungen ändern. Autonomie jeweils geltenden Verfassung seinen interpretativen gung zu erstellen. Welche Wirkung wird der Konvent Pallaver: Dieses Spannungsverhältnis in Sachen Auto- ist kein Zustand, sondern ein Prozess, ein Prozess und Ermessensspielraum ausschöpft. In Italien entscheidet politisch haben? Wo liegen die Schwachpunkte eines nomie ist durchaus positiv. Wo es Wettbewerb gibt, kein Ergebnis, keine Reise mit einem vorbestimmten, der Verfassungsgerichtshof eher zentralistisch. Das wird solchen Verfahrens? gibt es Fortschritt. Wettbewerb ist in der Politik wich- ultimativen Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck, um den sich noch eher verschärfen, zumal das Verfassungsge- Pallaver: Der Konvent wird jenseits von den Ergebnis- tig. Bei allen Unterschieden über die Vorstellungen zur ehemaligen britischen Minister für Wales, Ron Davies richt nach der Reform der jetzigen Regierung auch von sen sicherlich politische Wirkungen haben. Dies lässt Entwicklung der Autonomie ist aber der Grundkonsens zu zitieren. Insofern können Klauseln morgen schon einer zentralistischen orientierten Verfassung ausgehen sich auch an anderen politischen Konventen in Europa wichtig, zumal die Autonomie unsere Landesverfassung überholt sein. Dann muss man eben neue Wege be- muss. ablesen. Auch wenn die Ergebnisse nicht immer um- ist. Deshalb braucht es sicherlich einen längeren Pro- schreiten. Die zweisprachige Schule wird eines der zentralen The- gesetzt worden sind, zeigten diese Beteiligungspro- zess zur Konsensfindung. Extreme Forderungen werden Doch geht es den autonomen Regionen verständli- men des Konvents sein. Es gibt eine gewisse Öffnung zesse langfristig Wirkung, weil bei späteren Reformen keine Chancen haben, weil ein kleinster gemeinsamer cherweise darum, das gegen den Zentralstaat an Au- seitens der SVP mit der Erweiterung des CLIL-Unter- immer wieder auf Ergebnisse des Konvents zurückge- Nenner gefordert ist. Im Sinne von Habermas hat hier tonomierechten Erreichte rechtlich abzusichern. richts in der deutschen Oberschule. Steht eine zwei- griffen wurde. Wichtig ist der Prozess, vor allem für die der Diskurs eine entscheidende Funktion. Deshalb ist es Pallaver: Zwischen Zentrum und Peripherie wird es im- sprachige Schule in Gegensatz zum Recht auf mutter- Identifikation der Bevölkerung mit der Autonomie. Die auch besser, etwas länger zu diskutieren. mer ein Spannungsverhältnis geben. Die Peripherie ist sprachlichen Unterricht? Schwachpunkte dieses Konvents liegen vor allem in der Ein Problem besteht zusätzlich darin, dass thematisch, immer bestrebt, das Erreichte auszubauen, aber nicht Pallaver: Meine These lautet: Das Recht einer Minder- Wahrnehmung. Es herrscht vielfach die Erwartung, dass bei aller notwendigen Breite und Offenheit, keine alles kann von der autonomen Einheit verwaltet wer- heit auf die Schule in ihrer Sprache ist sakrosankt, und die jetzt eingebrachten Vorschläge der Bürger und Bür- Rahmenbedingungen gesetzt worden sind. Eigentlich den. Im Sinne von governance braucht es die kommu- deshalb soll die deutsche Sprachgruppe eine deutsch- gerinnen und das, was der Konvent letztlich erarbeitet, müsste sich alles um die Autonomie drehen. Einerseits nale und regionale Ebene, die nationale und die euro- sprachige Schule haben. Es gibt andere Minderheiten auch umgesetzt werden. Doch ist es typisch für die de- wird gesagt, der Diskussionsprozess sei ergebnisoffen, päische Ebene. Governance bedeutet, dass alle Ebenen wie z.B. die Kärntner Slowenen, die die zweisprachige liberative Demokratie, dass nicht alles, was diskutiert andererseits werden von politischer Seite auch schon in ein Verfahren zur Politikgestaltung einbezogen wer- Schule als beste Lösung betrachten. Also, die Minder- wird, auch umgesetzt wird. Insofern besteht eine über- Eckpfeiler als unantastbar gesetzt, wie z.B. der Art. 19 den. Deshalb nochmals: Wir sind derzeit von der Supre- heit soll selbst entscheiden, welche Schule sie für op- zogene Erwartungshaltung. des Autonomiestatuts über die Schule. Es werden auch matieklausel nicht betroffen, das ist eine starke Garan- timal hält. Bei der Frage, wer die Mehrheit innerhalb Ein zweiter wunder Punkt ist die Zusammensetzung des viele Vorschläge kommen, die man im Autonomiesta- tie für die Selbstverwaltung. Man darf in dieser Hinsicht der Minderheit ist, ist man bislang von der politischen Konvents. Z.B. ist es ärgerlich, dass laut Gesetz zum Kon- tut aus rechtlichen Gründen nicht verankern kann. aber nicht vergessen: die deutsch- und ladinischspra- Vertretung der Minderheit ausgegangen. Komplizierter vent nur Verfassungsjuristen im Konvent sitzen, aber Eine Verfassung soll Grundprinzipien enthalten, nicht chige Minderheit ist neben der slowenischen durch ei- wird es, wenn die Minderheit politisch gespalten ist. keine anderen Wissenschaftler. Warum nur Juristen? die spezifische Ausgestaltung. Das bleibt den Durch- nen internationalen Vertrag abgesichert, das hat auch Aber heute kann man sich ein Meinungsbild der

58 59 Bevölkerung über Umfragen machen. Was für die deut- Koalitionen hängen aber von der politischen Nähe der in der Landesregierung überstimmt worden sind, dann dass die RAI-Redaktionen mehr gemeinsame Produktio- sche, gilt natürlich auch für die italienische und ladini- Parteien untereinander ab. Das kann dazu führen, dass immer in Sachfragen unterschiedlicher Politikfelder, nen herstellen. Natürlich braucht es dafür organisatori- sche Sprachgruppe. Parteien in der Landesregierung sitzen, die nur eine nicht in Fragen, welche die Identität der Minderheit be- sche Rahmenbedingungen. In diesem Sinne ist es sicher Wenn es in dieser Hinsicht unterschiedliche Bedürfnisse Minderheit der jeweiligen Sprachgruppe vertreten, treffen. Das Einstimmigkeitsprinzip würde die Landes- nicht ideal, wenn italienischsprachige RAI-Journalisten und Interessen gibt, dann soll das Angebot plural sein. wie dies derzeit für den PD der Fall ist. Das heißt in der regierung nicht lahm legen, weil sich dieses Prinzip nur nur relativ kurz in Südtirol bleiben, wie dies derzeit der Das heißt, wenn eine konsistente Gruppe innerhalb Praxis, der ethnische Proporz in der Landesregierung auf die Bereiche Bildung und Kultur beziehen würde. Fall ist. Wenn das Bedürfnis innerhalb der Bevölkerung der Sprachgruppen eine zweisprachige Schule haben stimmt, aber die Zivilgesellschaft fühlt sich in derRe- Die betroffene Sprachgruppe entscheidet für sich, die vorhanden ist, soll man ein zusätzliches zweisprachiges möchte oder ein drittes Modell, dann soll das Angebot gierung mehrheitlich nicht vertreten, weil sie anderen anderen Sprachgruppen in der Landesregierung neh- Angebot schaffen. Private Medienunternehmer schau- in diesem Sinn erweitert werden. Niemand muss die Parteien ihre Stimme gegeben hat. Aus diesem Dilem- men dies zur Kenntnis. en auf die Rentabilität und produzieren auch ein fünf- zweisprachige Schule besuchen, aber das Angebot soll ma kann man zumindest ansatzweise herauskommen, sprachiges Magazin, wenn der Markt danach ruft. gegeben sein. Dadurch wird das Recht auf Bildung in wenn man der zivilgesellschaftlich unterrepräsentier- Die Region hat eine hohe Überlebenschance, weil die der Muttersprache nicht angegriffen. Jeder kann seine ten Sprachgruppe ein zusätzliches Assessorat zuspricht. Trentiner Parteien sich weigern, diese überholte Insti- Die paritätischen Kommissionen werden zurzeit von Kinder in die Schule seiner Wahl schicken. In dem Sinn Mit einem solchen, wohl extern zu berufenden Landes- tution aufzugeben. Welche Lösung? den Mehrheitsparteien im Landtag und der Regierung also eine Öffnung, ohne das Grundrecht auf Schulbil- rat (oder Landesrätin) sollte sich zumindest ein Teil des Pallaver: Wir können eine Reform des Autonomiesta- nominiert. Andererseits ist die vom Statut vorgese- dung in der Muttersprache zu verletzen. ausgeschlossenen Lagers mit der Landesregierung iden- tuts nur zusammen mit der Region Trentino-Südtirol hene 137er-Kommission zwar pluralistischer besetzt, tifizieren können. durchführen und für die Provinz Trient ist die Regi- aber nie in Gang gesetzt worden. Welcher Reformbe- Bei der Landesregierung gibt es eine ethnische und po- on die Nabelschnur zur Autonomie. Deshalb werden darf bei diesen Kommissionen? litische Konkordanz-Regelung, die nicht vollständig er- Im Autonomiestatut ist ein politischer Konstruktions- die Trentiner die Region nie aufgeben. Wenn nun die Pallaver: Die paritätischen Kommissionen sind viel zu scheint. Die italienische Sprachgruppe muss vertreten fehler eingebaut bezüglich der politischen Exekutive Mehrheit in Südtirol den Anspruch auf Abschaffung der wenig demokratisch legitimiert. Es gibt viele Institutio- sein, nicht jedoch die ladinische. Bei der italienischen in Land und Gemeinden, schreiben Sie in der POLITI- Region erhebt, soll sie das tun können. Aber Politik ist nen, deren Führung von oben ernannt wird. Nur sind Sprachgruppe genügt eine Vertretung nach Stärke der KA 2012. Die Entscheidungen in der Landesregierung immer auch die Kunst, das kleinere Übel zu wählen, die 6er- und 12er-Kommission rechtsetzende Organe Sprachgruppe im Landtag, nicht der politischen Mehr- werden nach dem Mehrheitsprinzip getroffen. Doch realistisch zu sein. Die Trentiner haben seit eh und je und als solche brauchen sie eine demokratische Legi- heit der Italiener. Muss die ethnische Konkordanz im erfahrungsgemäß ist in nur wenigen Fällen ethnisch ein Identitätsproblem. Heute werden in Italien auch die timation. Die Mitglieder dieser Kommissionen werden Sinne der Vertretung der größten politischen Kräfte sensibler Fragen keine Einigung gefunden worden (z.B. Regionen mit Sonderstatut in Frage gestellt, umso mehr zum einen vom Landtag, zum andern von der italieni- der italienischen Sprachgruppe erweitert werden? Immersion), manchmal werden auch SVP-Landesräte müssen die Trentiner verhindern, ihre Kopplung an Süd- schen Regierung ernannt, nicht vom Parlament. Die Le- Pallaver: Gehen wir vom Prinzip der Inklusion aus. Dem- in der Landesregierung überstimmt. Würde die An- tirol aufzugeben. Wie könnten sie sonst ihre Autonomie gitimation ist hier also noch schwächer. Darüber hinaus nach sollten möglichst alle Sprachgruppen an der Ent- wendung einer Einstimmigkeitsregel nicht die Landes- rechtfertigen? Insofern ist nicht anzunehmen, dass man bedeutet Demokratie auch Transparenz und Öffentlich- scheidungsfindung beteiligt sein. Ein Ladiner sollte auch regierung lahmlegen? bei diesem Anliegen weiterkommt. Die Verschiebung keit, was bei den Kommissionen zurzeit nicht gegeben verpflichtend in der Landesregierung sitzen. Natürlich Pallaver: Wenn wir von der These ausgehen, dass die einiger Kompetenzen von der Region zu den Provinzen ist. kann man nicht alles gesetzlich regeln, wie etwa die einzelnen Gruppen in ihren zentralen Angelegenheiten macht den Braten auch nicht fetter. Die Region tut mitt- Die Gruppe MANIFEST/O schlägt die Aufgabe proportionale Vertretung der Sprachgruppen nach ih- autonom entscheiden sollen, dann muss die jeweilige lerweile niemandem mehr weh. der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung vor. rer parteipolitischen Zusammensetzung im Landtag. So Sprachgruppe autonom über Fragen der eigenen Bil- Die sprachlich getrennten Medienwelten scheinen MANIFEST/O will die Sprachkenntnisse für die Auf- weit soll es wahrlich nicht gehen. In anderen Ländern dung und Kultur entscheiden dürfen. Das bedeutet, eine strukturelle Entwicklung zu sein. Oder kann die nahme in den öffentlichen Dienst in den Mittelpunkt orientiert man sich an der politischen Praxis, nicht an dass die Mehrheit der Landesregierung über solche echte primäre Zuständigkeit des Landes für den öffent- stellen. Kann die Zweisprachigkeitsprüfung allein den gesetzlichen Vorgaben. In der Schweiz etwa basiert die Fragen nicht entscheiden kann. Wir wissen, dass die lich-rechtlichen Rundfunk (eine autonome RAI) dieser heutigen Proporz ersetzen? sog. „Zauberformel“ auf der freiwilligen Praxis der Par- SVP jahrelang das von der italienischen Sprachgruppe Entwicklung entgegenwirken? Pallaver: Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung teien. Ohne gesetzliche Regelung sind in der Schweizer gewünschte Immersionsmodell mit folgender Begrün- Pallaver: Die deutschsprachige Minderheit hat das kann zugunsten der nachgewiesenen Zweisprachigkeit Regierung die relevantesten Parteien vertreten. Mein dung abgelehnt hat: Wenn die Italiener dieses Modell Recht auf eigene Sendungen öffentlich-rechtlicher Me- aufgegeben werden. Der Proporz hätte ja nach 30 Jah- Vorschlag für Südtirol: es sollte ein freiwilliger Proporz einführen, müssen auch wir es mittelfristig überneh- dien in der Muttersprache, aber es sollte auch ein zu- ren, also 2002, im Lot sein und beendet werden sollen. gelten. Das Minimum sollte gewahrt werden, nämlich men. In Fragen der Kulturautonomie der Gruppen soll- sätzliches Angebot produziert werden. Zum einen gibt es In etwa ist er auch erreicht worden, doch hält man die Vertretung der Sprachgruppen in der Landesregie- ten die Landesregierungsmitglieder einer Gruppe nicht Möglichkeiten zur stärkeren Kooperation zwischen den am Proporz nach wie vor fest, und als Voraussetzung rung auf Grund ihrer numerischen Stärke im Landtag. überstimmt werden dürfen. Wenn deutsche Landesräte drei Redaktionen, zum andern auch die Möglichkeit, dafür an der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung.

60 61 Nun ist davon auszugehen, dass der Faktor Zeit in der Minderheitenpolitik relevant ist, weil es Zeit braucht, um unter ehemaligen Konfliktparteien Vertrauen zu schaffen. Minderheitenkonflikte können gelöst werden, wenn man Vertrauen schafft. In Südtirol ist in den letz- ten Jahren das Vertrauen unter den Sprachgruppen ge- stiegen, weniger jenes in die römische Regierung (aber das betrifft nicht nur Südtirol). Noch sind wir aber nicht soweit, dass sich die Sprachgruppen gegenseitig auch einen Vertrauensvorschuss geben. Um zu verhindern, dass soziale in ethnische Konflik- te transformiert werden, hat das Proporzsystem den 6 Wettbewerb ent-ethnisiert. Die Sprachgruppen sind übereingekommen, den Wettbewerb in die jeweiligen Sprachgruppen zu verlegen, und nicht mehr zwischen den Sprachgruppen walten zu lassen. Dabei gilt das Leistungsprinzip nur innerhalb der Sprachgruppe, nicht Welche Alternativen zum Proporz? zwischen den Sprachgruppen. Davon ausgehend könn- te man die These vertreten: Der Proporz ist heute im Wesentlichen erreicht. Setzen wir deshalb den Proporz Quotenregelungen zur Positivdiskriminierung – so nennt man im Wissenschaftsjargon eine Maßnahme, wie sie fünf, sieben oder zehn Jahre lang aus und beobachten der ethnische Proporz in Südtirol darstellt. Bestimmten sozialen, kulturellen und ethnischen Gruppen werden die Entwicklung, lassen wir den freien Wettbewerb un- aufgrund ihrer Diskriminierung in der Vergangenheit oder einer strukturellen Benachteiligung vorab amtlich fest- abhängig von den Sprachgruppen nach dem Leistungs- gelegte Anteile an einem öffentlichen Gut (Posten, Arbeitsplätze, Wohnungen, Studienplätze usw.) zugesichert. prinzip zu. Wenn das System funktioniert und im Lot So wird der freie Wettbewerb um diese knappen öffentlichen Ressourcen korrigiert, zugunsten der Betroffenen bleibt, kann es beibehalten werden. Wenn eine Schief- wird „positiv diskriminiert“, was soviel heißt wie gefördert. Dies geschieht in Indien seit langem zugunsten der lage auftritt, kann man zeitweise zum Proporz zurück- untersten Kasten und in den USA für Schwarze und andere Minderheiten, es wird in Nordirland auf dem freien kehren. Arbeitsmarkt praktiziert und als Quotenregelung zugunsten von Frauen in vielen Lebensbereichen angewandt. In Südtirol gibt es eine Quotenregelung für die Sprachgruppen. Über kaum einen Bereich der Südtirol-Autonomie Bei den Kollegialorganen der öffentlichen Körperschaf- wurde in den letzten 40 Jahren so stark und so kontrovers diskutiert wie über den ethnischen Proporz und die ten bleibt die Quotenregelung gemäß Sprachgruppe damit zusammenhängende individuelle Zugehörigkeitserklärung zu einer der drei offiziellen Sprachgruppen. aufrecht. Wie soll die Sprachgruppenzugehörigkeit in diesem Fall erfasst werden? auch direkt im Pariser Vertrag festgeschrieben, gera- Pallaver: Durch eine Ad-hoc-Erklärung. Das ist keine ide- Wie steht es heute um den Proporz? de weil das faschistische Regime die Südtiroler bei -öf ale Lösung, außer wir werden auch in Südtirol einmal fentlichem Dienst und Sozialwohnungen ausgehebelt soweit „laisiert“, dass eine solche Erklärung nicht mehr Der Proporz hat als Quotenregelung den Zweck, die hatte. Mit der DFB Nr. 354/1997 wurde die flexiblere relevant ist. Heute ist es in den meisten Demokratien der Sprachgruppenstärke entsprechende Zuteilung Anwendung des Proporzes eingeführt und die Einhal- nicht mehr relevant, welcher Religion man sich zuge- einiger öffentlicher Ressourcen (Arbeitsplätze, Haus- tung des Proporzes bei privatisierten Körperschaften hörig fühlt. Vielleicht geht’s mit der Ethnizität einmal haltsmittel für soziale und kulturelle Zwecke) - zuge geregelt. Damit sollte die unter dem Faschismus er- so wie mit der Religion. Aber leider schlägt das Pendel währleisten Die konkrete Proporzregelung in Form folgte Diskriminierung der deutsch- und ladinischspra- gerade in letzter Zeit auch bei den Konfessionen immer der Durchführungsbestimmung Nr. 752/1976, die den chigen Südtirolerinnen ausgeglichen werden, die noch wieder aus. Vor Überraschungen sind wir nie gefeit. Artikel 89 des Autonomiestatuts umsetzt, ist heute im demokratischen Italien jahrzehntelang fortgesetzt genau 40 Jahre alt. Eine ethnische Quotenregelung ist worden war.

62 63 Für die Anwendung des Proporzes muss das zahlen- Erklärungen mit den anonymen Erklärungen zwecks Fest- worüber der Staat offensichtlich keinen weiteren Auf- Anm. 4, 118-123). Das Problem der Privatisierung stell- mäßige Verhältnis der Sprachgruppen und die indivi- stellung der zahlenmäßigen Stärke der Sprachgruppen schluss geben will. Fazit: ohne Proporz wäre die noch te sich aber auch beim Land. Die vom Land kontrollier- duelle Zuordnung ermittelt werden, also eine freie, übereinstimmen (siehe unten Grafik 2, Öffentlich Be- 1976 bestehende Schieflage nicht einmal in diesem be- ten Gesellschaften privaten Rechts sind nicht dem Pro- aber rechtlich verbindliche Zugehörigkeitserklärung dienstete nach Sprachgruppe). grenzten Ausmaß ausgeglichen worden. porz unterworfen und weisen einen geringeren Anteil erfolgen. Bei den Staatsverwaltungen ist der Proporz in 40 Jah- Bei der Anwendung des Proporzes müssen außerdem italienischsprachiger Beschäftigter auf. Somit wird der Im Folgenden sollen der heutige Stand und die Akzep- ren Anwendung in geringerem Maß erreicht worden. die Folgen der Privatisierung von öffentlichen Unter- Proporz auch als Garantie betrachtet, dass Italienisch- tanz des Proporzes kurz beleuchtet werden, um in der Hunderte von Stellen, die der deutschen Sprachgruppe nehmen bedacht werden. Als in den 1980er Jahren eine sprachige in angemessener Zahl bei Wettbewerben für Folge Möglichkeiten seiner Reform zu überlegen. vorbehalten sind, scheinen derzeit als nicht besetzt auf Reihe staatlicher Körperschaften wie die Staatsbahnen Lokalkörperschaften und öffentlich kontrollierte Unter- Beim heutigen Stand der Anwendung des Proporzes (Quelle: Abt. Arbeit der Aut. Provinz Bozen). Im Staats- und Post in Kapitalgesellschaften umgewandelt -wur nehmen mit Sitz in Südtirol aufgenommen werden. im öffentlichen Dienst lässt sich feststellen: der Pro- dienst ohne Polizei, Carabinieri und Heer sind 58,3% der den, ist der Proporz in mehreren Verfassungsgerichts- Bei der Verteilung von Sozialleistungen gemäß Proporz porz funktioniert zumindest bei den Lokalverwaltun- Mitarbeiterinnen Deutsche, 39,3% Italiener und 2,4% La- urteilen auch für diese Körperschaften für rechtmäßig findet man beim ASTAT weniger klare Daten, zumal er gen. Von den 49.300 öffentlich Bediensteten (26,5% diner (ASTAT-Info Nr. 3/2016). Gut 6.000 der 8.860 Staats- erachtet worden. Bei voll privatisierten ehemaligen eine immer geringere Rolle spielt. Die Verteilung der ge- der abhängig Beschäftigten Südtirols, rund 20% aller bediensteten in Südtirol arbeiten bei der Polizei, den Ca- Staatsdiensten wie der TELECOM war der Proporz hin- nehmigten Gesuche für Wohnbauförderung stellte sich Erwerbstätigen) waren Ende 2014 70,5% Deutsche, rabinieri und dem Heer, die den Proporzbestimmungen gegen nicht mehr anzuwenden (Bonell/Winkler 2010, 2012 nach Sprachgruppen so dar (vgl. Tab 3). 26% Italiener und 3,5% Ladiner. Die Volkszählung 2011 zur Stellenbesetzung nicht unterworfen sind. Auch die hatte bei den Erklärungen ergeben: 69,4% Deutsche, Ministerien sind noch relativ „proporzresistent“, während Tab. 4 – Genehmigte Gesuche zur Wohnbauförderung - 2012 26,1% Italiener und 4,5% Ladiner. In keinem der fünf Bahn und Post zwar sprachgruppenmäßig ausgeglichener großen Bereiche der Lokalverwaltungen erreichen sind, aber in letzter Zeit besorgniserregend viel Personal Deutsch Italienisch Ladinisch Andere Insgesamt die Ladiner ihre Quote von 4,5%, wohl aus Mangel an abgebaut haben. Aus welchen Gründen auch immer: Neubau 549 24 35 - 608 Bewerbern (ASTAT-Info Nr. 3/2016). Dabei stellt sich der gesamte Bereich der inneren und äußeren Sicher- Kauf 570 353 9 32 964 die Frage, ob die rechtlich verbindlichen persönlichen heit bleibt eine Domäne der italienischen Sprachgruppe, Kauf u. Wiederge- 25 56 1 4 86 winnung Grafik 2 Wiedergewinnung 188 66 14 4 272 Insgesamt 1.332 499 59 40 1.930 Insgesamt in % 69,1% 25,7% 3,1% 2,1 100

Quelle: Landtagsanfrage Nr.5/7-2014 der Fraktion der GRÜNEN im Südtiroler Landtag. Die Kategorie „Andere“ umfasst ausländische Staatsbürger, die nicht zur Zugehörigkeitserklärung verpflichtet waren.

Wie steht nun die Bevölkerung heute zum ethnischen sich mehr und mehr als Instrument, das gerade für die Proporz? Die klare Mehrheit, nämlich 57,3%, beurteilt numerisch kleineren Sprachengruppen gleiche Chan- den Proporz immer noch positiv (ASTAT Sprachbaro- cen gewährleistet. meter 2014, 173-174), während gut ein Drittel den Pro- Fast die Hälfte der Südtirolerinnen sind der Meinung, porz eher negativ beurteilt. Hauptgrund dafür ist die der Proporz sei in einem „Europa ohne Grenzen“ über- Befürchtung, dass der Proporz die Qualität der Dienst- holt (Sprachbarometer 2014, 175), wobei 71% der itali- leistungen beeinträchtigen könne. Bei der Qualität der enischen Sprachgruppe diese Auffassung teilen. öffentlichen Dienstleistungen befinden sich allerdings die Lokalkörperschaften Südtirols im inneritalienischen Auch laut POLITiS-Umfrage zur Autonomiereform (Be- Vergleich immer im Spitzenfeld. 44% sind der Mei- nedikter 2014, 131-134) lehnt eine knappe Mehrheit nung, dass die Anwendung des Proporzes die deutsche der deutschsprachigen Teilnehmenden die Abschaffung Sprachgruppe begünstige. Dies trifft jedoch nur inso- des Proporzes ab, während immerhin 69% der Italie- fern zu, als der Proporz den Deutsch- und Ladinisch- nischsprachigen ihn abschaffen möchten. Was sollte an sprachigen gleiche Chancen beim Zugang zu den Stellen die Stelle des Proporzes treten? Die Hälfte der Befrag- im öffentlichen Dienst einräumt. Zudem entpuppt er ten meint: keine Zusatzanforderung. Die andere tritt

64 65 für eine strengere Zweisprachigkeitsprüfung als Zulas- Wer den Proporz als überholt betrachtet, muss die Wir- „Never change a winning horse“, heißt es bei den Bri- gemeinhin konservativer sind, könnte man auf dieses sungsvoraussetzung im öffentlichen Dienst ein. kungen seiner eventuellen Abschaffung genau bedenken. ten. Anders gesagt: Die Vorteile eines neuen Systems „Recht auf Wechsel“ in Südtirol durchaus verzichten. Nun wird ganz ausgeblendet, dass der Proporz al- Diese könnten genau das Gegenteil dessen bewirken, was müssten die Nachteile einer eventuellen Aufgabe des Somit konzentriert sich die Diskussion um die Reform len Sprachgruppen die gleiche Zugangschance bie- sich Proporzgegner erwarten, z.B. bei der Chancengleich- alten Systems überwiegen. Doch wie könnte man die- des Proporzes im Autonomiestatut auf den Stellenpro- tet, also auch den zahlenmäßigen Minderheiten der heit und beim Zusammenleben. Der Proporz hat seit ses Instrument überhaupt reformieren? porz beim lokalen und staatlichen öffentlichen Dienst. Italiener und Ladiner. Hätte man z.B. 1976 nur die 1976 (und für die Lokalverwaltungen schon früher) ohne In Südtirol ungewöhnlich ist der Umstand, dass die strenge Zweisprachigkeitspflicht für den gesamten Zweifel einen Bereich der öffentlichen Ressourcen – be- Lässt sich der ethnische Proporz Zweisprachigkeit eines Bewerbers für den öffentlichen öffentlichen Dienst ohne Proporz eingeführt, wären gehrte Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst, Mittel für die reformieren? Dienst ganz unabhängig vom jeweils angestrebten Ar- statistisch gesehen aufgrund der weit höheren Zahl Kulturpolitik und Sozialwohnungen - aus dem ethnischen beitsplatz erfolgt. In anderen mehrsprachigen Regionen von Bewerbern der deutschen Sprachgruppe mit Wettbewerb herausgenommen. Durch die Anwendung Anknüpfend an einige Betrachtungen zur aktuellen Ent- erfolgt er arbeitsplatzbezogen. Eine Person kann über „patentino“ weit mehr Angehörige der deutschen einer starren, amtlich ermittelten Quote wurde sowohl wicklung beim öffentlichen Dienst und zur Beurteilung eine allgemeine Kenntnis der zweiten Landessprache Sprachgruppe aufgenommen worden. 66% der Deut- Klientelismus wie parteipolitische Instrumentalisierung des Proporzes seitens der Bevölkerung (ASTAT, Sprach- verfügen, aber keine Ahnung von der Fachsprache in schen sehen den Proporz auch deshalb als Beitrag verhindert, die in Italien ansonsten nicht unüblich sind. barometer 2014) stehen hier denkbare Alternativen seinem Berufsfeld haben. Heute geht man davon aus, zum friedlichen Zusammenleben (ASTAT Sprachbaro- Es gab in diesen 40 Jahren auch kaum Rechtsverfahren zur Diskussion, die den Proporz in naher oder mittlerer dass er diese „on the “ erwerben wird, doch ist es meter 2014, 176), während diese Meinung von nur zum Proporz, auch nicht auf EU-Ebene. Beim Proporz ist Zukunft ersetzen könnten. Dabei sei an die drei wich- in der Praxis im Staatsdienst tatsächlich so? Aus die- 38,1% der Italienischsprachigen geteilt wird und die der Vorrang der Prinzipien des kollektiven Minderheiten- tigsten Anwendungsbereiche des Proporzes erinnert. Er sem Grund erfolgt in vielen mehrsprachigen Ländern Mehrheit ihn abschaffen möchte. schutzes und der materiellen Gleichheit der Angehörigen gilt vor allem als Verteilungsschlüssel der Stellen im öf- der Sprachtest für amtliche Zwecke erst in Verbindung verschiedener Sprachgruppen vor einzelnen individuellen fentlichen Dienst (inkl. Staatsdienst mit Ausnahme der mit Aufnahmetests und Wettbewerb. Die Zweispra- Vergleicht man diese Einstellungen zum Proporz mit Freiheitsrechten anerkannt worden (Art. 3 und Art. 6 der Polizei und Streitkräfte), bei der Vergabe einiger Sozial- chigkeitsprüfung allein ist nicht die ideale Methode den realen Verhältnissen, wie sie die neuen ASTAT- Verfassung). Man könnte auch anfügen: beim Proporz hat leistungen (vor allem im Sozialwohnbau, aber auch bei zur Gewährleistung eines durchgängig zweisprachigen Daten belegen (beim Staatsdienst 58,3% Deutsche sich Alexander Langer klar geirrt. Der Proporz hat faktisch den Kulturbeiträgen) und bei der Besetzung politischer öffentlichen Dienstes, vor allem im Publikumsverkehr. und 39,3% Italiener ohne den Bereich Militär und nicht nur für eine Befriedung ethnischer Spannungen Vertretungsorgane und der Kollegialorgane der öffentli- Zusätzliche, arbeitsplatzbezogene Tests, eben ein zwei- Polizei, insgesamt also deutlich mehr Italienischspra- geführt, sondern hat auch viele tausend Südtirolerinnen chen Körperschaften. Am ehesten kann der Proporz bei sprachiger Wettbewerb, sind zweckgerechter. Dieser chige als Deutschsprachige im Staatsdienst in Südti- verschiedener Sprachgruppen am Arbeitsplatz und im den Sozialleistungen zurückgesetzt werden, wo ohne- Modus wäre anspruchsvoller als der heutige Modus der rol), klaffen Wirklichkeit und Wahrnehmung deutlich Wohnbereich enger zusammengeführt, hat demnach Le- hin schon jetzt der Bedarf das wichtigste Zuteilungskri- öffentlichen Wettbewerbe in Südtirol. Obwohl er die- ef auseinander. Auch das von einem hohen Anteil der benswelten näher gebracht. terium bildet. In diesem Sinn kann Art. 15 ASt. abgeän- fektive Zweisprachigkeit fördern, den Proporz abbauen italienischen Sprachgruppe geteilte Argument „In ei- Der Proporz hat in Südtirol als Schlüssel für die gerechte dert und die Zuteilung öffentlicher Mittel „im direkten und die Bedeutung des Zweisprachigkeitsnachweises nem Europa ohne Grenzen ist der Proporz überholt“ Verteilung zwischen den Sprachgruppen hohe Symbol- Verhältnis zur Stärke der Sprachgruppe und mit Bezug zurücksetzen würde, wäre mit mehr Widerstand in der ist nicht stichhaltig. Wäre nämlich für die Aufnahme kraft. Die Verteilung von Lebenschancen wird allerdings auf den Bedarf“ auf die Mittel für kulturelle Zwecke be- italienischen Sprachgruppe zu rechnen. in den öffentlichen Dienst in Südtirol nur mehr eine in unserer Gesellschaft durch andere Faktoren, z.B. die schränkt werden. Als Alternativen zum heutigen Stellenproporz sind ei- pauschal ermittelte Zweisprachigkeit und Berufsquali- Ungleichheit der Vermögensverteilung, wesentlich stär- Bei der Besetzung der Kollegialorgane und Kommissi- gentlich nur drei zu nennen, wobei auch Kombinatio- fikation für alle EU-Bewerber erforderlich, hätten die ker beeinflusst. Vor dem Hintergrund der realen- wirt onen des öffentlichen Dienstes wird man bei Geltung nen dieser Aufnahmeverfahren denkbar sind: deutschsprachigen Bewerber rein zahlenmäßig mehr schaftlichen Entwicklung bei Arbeitsmarkt, Einkommen des Sprachgruppenprinzips kaum auf ein Quotensys- 1. die ersatzlose Aussetzung des Proporzes, zumindest Chancen als die italienischsprachigen. Dies aus dem und Vermögen muss auch der Stellenwert des Proporzes tem verzichten können. Zu diesem Zweck könnte, bei auf Zeit und beschränkt auf einige Bereiche. Es gilt statistischen Umstand, dass es im Durchschnitt mehr neu betrachtet werden. Der Staat selbst relativiert (vgl. Abschaffung des Proporzes im öffentlichen Dienst und nur mehr die Fachqualifikation und der Zweispra- Deutschsprachige mit Zweisprachigkeitsnachweis ASTAT, Öffentliche Bedienstete 2014) den Wert dieser der damit verbundenen Sprachgruppenzugehörigkeits- chigkeitsnachweis (laut EuGH-Urteilen auch andere gibt als Italienischsprachige, dass es in der EU mehr Regel massiv, wenn er in nur drei Jahren (2011-2013) bei erklärung, eine eigene Form der „Sprachgruppenzu- Zertifikate außer dem Südtiroler „patentino“); Deutsch-Sprechende gibt, die auch Italienisch lernen den in Südtirol tätigen Polizeikräften mehr als 1000 von ordnungserklärung“ eingeführt werden. Im Parlament 2. die Ersetzung des Proporzes durch eine Verstärkung können, als Italienisch-Sprechende. Die Konkurrenz 3000 Stellen streicht, obwohl die angezeigten Straftaten Nordirlands z.B. erklärt sich jeder Abgeordnete bei des Kriteriums der Ansässigkeitsdauer im Land; für Südtirol-Italiener wäre höher, weshalb der Proporz in diesem Zeitraum gestiegen sind. Was sind einige nach Amtsantritt ad hoc als „Nationalist“, „Unionist“ oder 3. die Ersetzung des Proporzes mit einer Verstärkung einen gewissen Schutz für die Italienischsprachigen in Proporz gleichmäßig verteilte Stellen gegen die plötzliche „other“ und darf höchstens einmal pro Legislatur sei- der sprachlichen Qualifikation als Zulassungs- und einem „grenzenlosen Europa“ bildet. Streichung von 1000 Polizistengehältern? ne Zugehörigkeit wechseln. Da die Alpenbewohner Wettbewerbskriterium.

66 67 Die erste Variante, in Form der zeitweisen Aussetzung keitsnachweis verlangt. Mit 2014 haben 38,3% der Süd- beitsbereich nachzuweisen. Den Wettbewerb würden sich Grundlagen- und fachspezifische Kenntnisse auf des Proporzes in verschiedenen Bereichen, wird von tirolerinnen insgesamt angegeben, diesen Nachweis zu jene Bewerberinnen gewinnen, die sich dafür sowohl Deutsch und Italienisch besser erwerben als in Südtirol? den GRÜNEN, von Open Democrat und Senator Pa- besitzen, bei der italienischen Sprachgruppe waren es fachlich wie sprachlich am besten eignen. Vor allem bei Für den Schutz der ethnischen Minderheiten – Kern und lermo vorgeschlagen: für eine bestimmte Zeit soll der 30% (ASTAT, Sprachbarometer 2014, 101). Dabei sind den oberen Laufbahnen der Verwaltung würde diese Auftrag der Südtiroler Autonomie – würde sich dieses Proporz ausgesetzt werden, um die Auswirkungen auf nur rund 20% der Erwerbstätigen Südtirols im öffent- Art Wettbewerb Sinn machen. Der Mehraufwand für Verfahren deshalb rechtfertigen lassen, weil ein in den die Verteilung der Stellenvergabe nach Sprachgruppen lichen Dienst beschäftigt. Nach EuGH-Rechtsprechung einen solchen Wettbewerb ließe sich mit den beson- Landessprachen optimal funktionierender öffentlicher zu beobachten. Auch Tila Mair (vgl. Interview in diesem und entsprechenden DFB kann dieser Nachweis auch deren Erfordernissen eines mehrsprachigen Landes be- Dienst wichtiger ist als die „Reservierung“ von Arbeits- Band) spricht sich dafür aus, bei den gering qualifizier- mit Zertifikaten anderer anerkannter Institutionen au- gründen. Das vorgeschlagene Verfahren ähnelt jenem plätzen für die aus dem Land stammenden Menschen. ten öffentlichen Stellen und im Gesundheitswesen auf ßerhalb des Landes erbracht werden (z.B. Goethe- und der Aufnahme in die oberen Beamtenlaufbahnen bei In diesem Sinn müssen dann sowohl das Statut als auch den Proporz zu verzichten. Besonders die Qualifikation Dante-Institut-Zertifikate). Es handelt sich immer um der EU. Noch verstärkt werden könnte das Sprachkrite- die Durchführungsbestimmungen abgeändert werden. solle entscheiden, wobei die Zweisprachigkeit ohnehin ein allgemeines Sprachenzertifikat, keine auf den spezi- rium durch eine periodisch zu wiederholende Sprach- Denkbar wären auch Kombinationen der hier angeris- nachgewiesen werden müsse. Mit dem Verzicht auf ellen Arbeitsplatz bezogene Sprachprüfung. prüfung, um das „Einrosten“ der Zweitsprache bei senen Reformoptionen, etwa im Sinne: zweisprachiger, eine stärkere Betonung der Zweitsprachbeherrschung In der heutigen Praxis richtet sich die Wettbewerbsspra- Nichtverwendung zu verhindern, also das „patentino“ arbeitsplatzbezogener Wettbewerb und periodische Er- würde man allerdings bei dieser Option eine Chance auf che nicht nach der ausgeschriebenen Stelle, sondern ganz im Stil der regelmäßigen Erneuerung des „Patents“ neuerung des Sprachnachweises. mehr Qualität der Zweisprachigkeit und mehr Motivati- nach dem Bewerber. Dieser kann am Tage der schriftli- (Südtirolerisch für Führerschein). „Never change a winning horse“ heißt es bei den Briten, on beim Zweitspracherwerb vergeben. chen Prüfung entscheiden, ob er oder sie die Prüfungen was auch für das Instrument des Proporzes in Südtirol Eine Variante zu dieser Lösung bietet die von Alberto in italienischer oder in deutscher Sprache absolvieren gelten mag. Die Vorteile jeder neuen Regelung müssen Die zweite Variante würde die Zuteilung von Stellen im Bistarelli in die Diskussion gebrachte Möglichkeit, den möchte. Diese Entscheidung muss nicht im Vorhinein zumindest die Risiken der Aufgabe dieses eigentlich be- öffentlichen Dienst in Südtirol stärker als bisher an die allgemeinen Stellenproporz im öffentlichen Dienst bei- formalisiert werden, sondern wird implizit bei Erhalt währten Verfahrens aufwiegen. Dauer der Ansässigkeit des Bewerbers in Südtirol knüp- zubehalten, die einzelnen Stellen jedoch nach jeweili- des Fragenkatalogs getroffen. Die Sprache der schrift- fen. So gilt etwa für Nicht-EU-Bürger zwecks Zugang gen Sprachen (nicht Sprachgruppen) auszuschreiben. lichen Prüfung entspricht jener der mündlichen Prü- Zur Vertiefung zu Sozialleistungen wie dem Wohngeld eine fünfjähri- Dies bedeutet, dass eine der Quote der deutschen fung. Dies bedeutet, dass die von der Bewerberin ge- ge Anwartschaft mit ununterbrochener Ansässigkeit, Sprachgruppe zuzurechnende Stelle mit einem Wett- Karl Gudauner (2013), Zu Unrecht verteufelt. Eine Zwi- wählte Sprache nicht der Sprachgruppenzugehörigkeit, schenbilanz zum Proporz als Garantieinstrument, in: die bei EU-Bürgerinnen nur sechs Monate beträgt. Für bewerb in deutscher Sprache besetzt würde, eine „ita- der Muttersprache oder der ausgeschriebenen Stelle Günther Pallaver (Hg.), POLITIKA 13 – Jahrbuch für Poli- die Bewerbung für eine Stelle im öffentlichen Dienst in lienische Stelle“ hingegen mit einem Wettbewerb in tik, RAETIA, Bozen. 181-220 entsprechen muss. Man kann bei einem Wettbewerb Südtirol spielt die Ansässigkeit derzeit keine Rolle. Eine italienischer Sprache. Jeder könnte sich für jede Stel- ganz frei entscheiden, ob man die italienische oder die ASTAT (2015), Südtiroler Sprachbarometer 2014, Bozen nur kurze Frist wäre überdies wirkungslos. Andererseits le bewerben. Wiederum würde die Qualifikation und deutsche Sprache bevorzugt, m.a.W. ein deutschspra- ASTAT-Info Nr.3/2016, Öffentlich Bedienstete 2014, Bo- würde die Einführung einer Mindestdauer der Ansäs- Sprachbeherrschung des Bewerbers unabhängig von zen chiger Südtiroler, der sich der italienischen Sprachgrup- sigkeit als Zulassungskriterium für eine Stelle im öf- seiner konkreten Zugehörigkeit bzw. Zugehörigkeits- pe zugeordnet hat, kann sich für eine der italienischen Lukas Bonell/Ivo Winkler (2010), Südtirols Autonomie, fentlichen Dienst unweigerlich gegen die EU-Regeln zur erklärung entscheiden. Die Zweisprachigkeit im Dienst Sprachgruppe vorbehaltene Stelle bewerben und den Autonome Provinz Bozen, 90-146 Arbeitnehmer-Freizügigkeit verstoßen. Der Schutz des wäre gesichert, die individuelle Zweisprachigkeitszuge- Wettbewerb auf Deutsch ablegen. Eigentlich im Wider- lokalen öffentlichen Dienstes vor zu viel Wettbewerb hörigkeitsprüfung könnte entfallen. Allerdings würde Giovanni Poggeschi (2005), Der ethnische Proporz, in: spruch zur Logik der Stellenbesetzung in Südtirol. Marko/Ortino/Palermo/Voltmer/Woelk, Die Verfas- von außen mag verständlich sein, doch die strengen die arbeitsplatzbezogene Sprachqualifikation der Be- Bei der Aufnahme in den öffentlichen Dienst in Südti- sung der Südtiroler Autonomie, EURAC, Nomos, Baden- EU-Regeln für die Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen werberin weniger genau erhoben als beim zweisprachi- Baden, 322-331 rol erfolgt also kein Test, ob der Bewerber auch fach- gelten eben auch für Südtirol. Außerhalb des Landes gen Wettbewerb. spezifisch die Zweit- oder eventuell auch Drittsprache WIKIPEDIA, Zur Geschichte des Proporzes, URL: www. profitieren auch viele Südtiroler von diesem europäi- für die ausgeschriebene Stelle beherrscht. Es genügt Gewinnen würden bei diesen mit Sicherheit EU-kon- wikipedia.de . Zugriff: 5.5.2016 schen Grundrecht. formen Lösungen auf jeden Fall die Bürgerinnen, weil der allgemeine Zweisprachigkeitsnachweis gemäß Thomas Benedikter (2014), Ein Meinungsbild zur Auto- Bleibt noch die dritte Variante, nämlich die Verstärkung entsprechender Laufbahn. Will man das Kriterium der die öffentlichen Dienste in höherem Maß zweisprachig nomiereform, in: Thomas Benedikter, Mit mehr Demo- der sprachlichen Qualifikation als dritte wesentliche Sprachbeherrschung verstärken, kann der Wettbewerb wären. Durch die Fokussierung auf Sprache und Qua- kratie zu mehr Autonomie, POLITiS-SBZ, Bozen, 125-141 Zulassungsvoraussetzung für den öffentlichen Dienst in lifikation würden Südtiroler auch einen Wettbewerbs- durchaus in zwei Landessprachen abgehalten werden. Blog Brennerbasisdemokratie, URL: www.brennerbasis- Südtirol. Heute wird entsprechend der vier Laufbahnen Damit hätte der Bewerber auch seine sprachliche Qua- vorteil gegenüber Mitbewerbern aus anderen Regionen demokratie.eu ein in vier Kategorien A-B-C-D unterteilter Zweisprachig- lifikation bezogen auf den konkreten, angestrebten -Ar und EU-Ländern bewahren: Denn wo in der EU lassen

68 69 braucht. Wünschenswert ist der Konsens. Der ganze Debatte um aktuelle Themen des Zivilrechts ist in Südti- will, sollte er die Möglichkeit erhalten, die entsprechen- Prozess muss so angegangen werden, dass sich keine rol aus dem Grund ausgeschaltet, weil es in der Landes- den Tests auch auf Deutsch abzulegen. Hier spielt auch der drei Sprachgemeinschaften benachteiligt fühlt. Das politik keine Rolle spielt. Für die gesellschaftspolitische die regionale Bürgerschaft herein. Staatsweite Quoten- kann im derzeitigen Konvent nicht festgestellt werden, Diskussion wäre es aber auch für uns erstrebenswert, regelungen pro Region sind notwendig und sinnvoll, sondern allenfalls in einer allgemeinen Erhebung. Bei z.B. über Reformen im Familienrecht (eheähnliche Part- doch sollten die Regionen dabei mitentscheiden. den ASTAT-Befragungen geht es darum, die Zufrieden- nerschaften, Homo-Ehe), im Wirtschafts- und - Steuer heit mit der Staats- und Landesverwaltung zu erhe- recht und im Arbeitsrecht zu diskutieren. Wie soll sich die Institution Region ändern? Abschaf- ben. Die meisten Italiener zeigen sich zufrieden mit der fen, weiter aushöhlen, aufwerten, so wie es die Trenti- Landesverwaltung. Man kann davon ausgehen, dass BBD schlägt eine eigene Vertretung Südtirols bei in- ner gerne hätten? der Autonomieausbau von den meisten Italienern ge- ternationalen Wettbewerben vor. Wie kann man sich Constantini: Die meisten Südtiroler können sich mit wünscht wird. eine solche Eigenständigkeit im Sport vorstellen? der Region nicht identifizieren. Dies geht aus allen „Ein zeitgemäßes Statut Constantini: Es gibt zahlreiche Regionen, die schon Umfragen, aus den Positionen der Parteien und dem Ein wichtiges Thema des Konvents wird das Verhältnis ähnliche Rechte genießen. Katalonien und das Basken- Wahlverhalten hervor. Deshalb sollte die Region über- muss auch die demokratische zum Staat sein: soll die Möglichkeit der Selbstbestim- land haben bei manchen kleineren Sportarten die Mög- wunden werden. Die Trentiner sehen die Region als Möglichkeit der Selbstbestim- mung im Statut verankert werden? lichkeit, sich mit eigenen Teams zu präsentieren. Anfan- Rettungsanker für ihre Autonomie. Sie müssten etwas mung verankern.“ Constantini: Es gibt Möglichkeiten, die Loslösung Süd- gen könnte man bei typischen „Südtiroler“ Sportarten, selbstbewusster sein und ihre eigene Autonomie ver- tirols von Italien im Statut zu verankern, auch wenn deren italienisches Nationalteam fast nur aus Südtiro- teidigen. Dieser Schritt ist nur über Verhandlungen zu Gespräch mit Simon Constantini der Südtirol-Konvent die Selbstbestimmung als solche lern besteht. Dann gibt es ausgeprägtere Modelle wie erreichen. Man könnte auch eine Volksbefragung dazu Simon Constantini, Brixen, leitet seit über 10 Jahren den letztendlich nicht zum Thema hat. Ein zeitgemäßes Au- Schottland, Wales, England, Nordirland und die Färöer, organisieren und dann die Abschaffung immer wieder Blog www.brennerbasisdemokratie.eu, einen der meist- tonomiestatut sollte diese demokratische Möglichkeit die ihre eigenen Fußballteams haben. Man will nach gegenüber Trient und Rom fordern. Die Frage kann nur gelesenen Blogs Südtirols, der sich schwerpunktmäßig bieten. Dies ist zurzeit vielleicht schwer durchsetzbar, außen hin als Sportnation wahrnehmbar sein. Dies hat vom Parlament entschieden werden. Man kann das nur mit Südtirol-Politik befasst. doch jeder Reform gehen entsprechende politische For- aber auch mit nationalen Loyalitäten zu tun. Eine solche durch politischen Druck erreichen. derungen voran. Man sollte diese Forderung gegenüber Vertretung wäre für die Südtiroler eine gemeinsame Die Selbstbestimmung steht nicht auf der Tagesord- Rom erheben und versuchen, sie durchzusetzen. Projektionsfläche für eine besondere regionale Identi- Bei der Region schlagen drei Trentiner Rechtsprofesso- nung. Ist der Ausbau der Autonomie ein unvermeidli- tät. Sport steht in enger Verbindung mit Politik, ob man ren eine Art „Union von zwei autonomen Gemeinschaf- cher Zwischenschritt zur Selbstbestimmung? Wie stark sollen die Zuständigkeiten der Autonomen will oder nicht. Es muss aber keine Verpflichtung für die ten Bozen und Trient“ vor, ohne Gesetzgebungskom- Constantini: Der Autonomieausbau ist ein wichtiger Provinzen erweitert werden? Sportler bestehen, jeder Sportler sollte sich vielmehr petenzen, als bloßes Dachorgan der Zusammenarbeit. und wahrscheinlicher Schritt, aber nicht wirklich ein Constantini: Unser Land sollte möglichst viele Zustän- frei entscheiden können. Dadurch kann die Attraktivität Constantini: Ich sehe nicht den Sinn dieser Konstruk- zwingender Zwischenschritt. Katalonien ist sowohl ein digkeiten erhalten. Bei der Festlegung dieser Zuständig- der Eigenstaatlichkeit sogar gesenkt werden. tion. Eher ein schlecht versteckter Versuch, sich weiter Beispiel für, als auch gegen diese These. Katalonien hat keiten sollte man eher umgekehrt als bisher vorgehen: anzukoppeln. Eigentlich braucht es diesen Überbau den Ausbau seiner Autonomie versucht, ist aber von nämlich festlegen, welche Kernbereiche noch beim Ist die Kontrolle der Migration in autonomen Regio- nicht mehr. Die Region könnte aber auch in die Euro- Madrid abgeblockt worden. Diese Ablehnung hat dann Staat verbleiben. Bei der Verfassungsreform von 2001 nen möglich und wünschenswert? paregion überführt werden, d.h. durch die EUREGIO massiv zur jetzigen Unabhängigkeitsbewegung beige- war dies bereits der Fall. Auch bei der Außenpolitik soll- Constantini: Die Festlegung der Grundregeln für die ersetzt werden. Genauso wenig sinnvoll würde ich z. B. tragen. In Katalonien hat es einen Versuch des Autono- te man zumindest eine konkurrierende Zuständigkeit Migration ist heute auf EU-Ebene anzusiedeln, dann die Bildung einer neuen Klammer zwischen Nord- und mieausbaus gegeben, das ist jedoch nicht gelungen. erhalten. sollte ihre Umsetzung auf regionaler Ebene erfolgen. Südtirol halten, die dann wieder mit eigenen Institutio- Ein autonomes Land sollte die Befugnisse, die derzeit nen mit dem Trentino zusammenarbeitet. Ich sehe nicht Die Mehrheit der italienischen Sprachgruppe muss Ein seltener Aspekt bei Territorialautonomien ist die dem Staat vorbehalten sind, selbst wahrnehmen, nicht den Sinn solch über- und untergeordneter Klammern. hinter einem eventuellen Ausbau der Autonomie ste- Zuständigkeit der Region beim Zivilrecht wie etwa in nur beschränkt auf die soziale Integration der Migran- hen, vor allem auch hinter einem neuen Verhältnis der Katalonien. Inwiefern ist dies für Südtirol sinnvoll? ten, sondern auch konkurrierend bei der Steuerung Braucht es noch den Proporz für den Minderheiten- Provinz zu Staat und Region, aber auch bei internatio- Constantini: Man kann sich das sehr gut für Südtirol vor- der Zuwanderung und den Entscheidungen zu deren schutz? nalen Regelungen. Wird das gelingen? stellen. Alles, was die Gesetzgebung näher an die Men- Kontrolle. Südtirol sollte auch die Kriterien zur Vergabe Constantini: Man könnte den Proporz schon ab- Constantini: Es ist nicht klar, ob es für diesen Ausbau schen bringt, ist wünschenswert. In vielen Bereichen der Staatsbürgerschaft mitbestimmen können: Wenn schaffen. Er ist nicht so sehr wegen der Förderung eine Mehrheit jeder Sprachgruppe notwendigerweise des Zivilrechts könnten wir eigene Akzente setzen. Die jemand z.B. in Südtirol die Staatsbürgerschaft erlangen der Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst eingeführt

70 71 worden, sondern weil die Minderheiten vom öffentli- Augen hält, das eine Gesamt- und Einheitslösung dar- Doch kann sich Südtirol der Pflicht, den Staat und den Beipackzettels durch den Apotheker auf Verlagen des chen Dienst ausgeschlossen waren. Man könnte heu- stellt. Es gibt nur ein Schulmodell in Katalonien. Dar- Finanzausgleich mit den ärmeren Regionen mitzutra- Kunden ist keine gleichwertige Lösung. Der Beipackzet- te sagen: eines ist die Mehrsprachigkeit, dieser Aspekt in ist die katalanische Sprache dominierend, aber alle gen, entziehen? tel müsste eigentlich immer dabei sein. Hier hat man der Qualifikation muss stärker betont werden, und Schulen und Schulstufen müssen ein Mindestmaß an Constantini: Nein, es braucht die interregionale und vor den Pharmakonzernen kapituliert. Doch die Praxis etwas anderes der gleichberechtigte Zugang. Bei der Unterrichtsstunden auf Spanisch anbieten. Auf Südtirol die internationale Solidarität. Man sollte sich nicht aus- in der Schweiz beweist, dass dreisprachige Beipackzet- Zweisprachigkeit müsste periodisch auch der Stand der umgelegt würde das bedeuten, eine Schule zu schaffen, klammern, sondern klare Verhältnisse schaffen. Der tel möglich sind, sogar in Finnland sind alle Beipackzet- Sprachbeherrschung überprüft werden, denn die zwei- in der — beispielsweise — zu 70% der Unterricht auf Zentralstaat sollte nicht mehr in die Finanzautonomie tel zweisprachig. Es gibt auch nicht mehr italienisch- te Sprache wird nach Antritt der Stelle oft vernachläs- Deutsch stattfindet und zu 30% auf Italienisch, also eine eingreifen dürfen, sich nicht einfach willkürlich bei Spar- sprachige Schweizer als deutschsprachige Südtiroler. sigt. Vielleicht könnte man den Bürgern eine erweiterte asymmetrische Aufteilung. Damit hätten die Italiener maßnahmen im Zuge der Haushaltssanierung an den Möglichkeit geben, Beschwerde einzulegen, wenn man bedeutend mehr Deutsch-Unterricht, was sie ja wün- Südtiroler Einnahmen bedienen können. Es sollte eine Wo muss man bei den Mängeln in der Praxis der Zwei- nicht die eigene Muttersprache verwenden kann. Un- schen, und auch die Deutschen hätten mehr Italienisch- gewisse Quote der gesamten Staatsschulden errech- sprachigkeit ansetzen? Beim Statut, bei den Durchfüh- ter solch verbesserten Voraussetzungen im öffentlichen Unterricht, den sie angeblich brauchen, aber nicht im net werden, die den Regionen zuzurechnen ist. Südtirol rungsbestimmungen oder bei der Umsetzung? Dienst hätte ich keine Bedenken, den Proporz zu über- selben Ausmaß. Das alles ohne Segregation der Schüler. sollte dann seine Quote selbstständig abtragen können Constantini: Dies ist ein Beispiel dafür, dass Statut und winden. Es braucht aber wie in Katalonien flankierende Maß- und wäre dann nicht mehr verpflichtet, einen weiteren Durchführungsbestimmungen allein nicht ausreichend nahmen. Wenn wir uns erinnern, wie zögerlich der Beitrag für die Staatschulden des Zentralstaats zu über- sind. Es kommt auf den Willen und die Beharrlichkeit Wäre der Wegfall der individuellen Zugehörigkeitser- Staat die Zweisprachigkeit bisher umgesetzt hat, bin nehmen. Italien scheint seine Pflicht zur Reduzierung an, das umzusetzen. Die Autonomie hat auf diesem klärung ein Nachteil für den Minderheitenschutz? ich nicht so zuversichtlich, dass das reibungslos funkti- der Staatsschulden nicht wirklich wahrzunehmen. Wir Gebiet oft versagt. Im Sprachbarometer 2014 ist eine Constantini: Heute schon ist die Zugehörigkeitserklä- oniert. Doch für eine beliebige Abänderung des Art. 19 müssen aber laufend einen Beitrag dazu leisten, dass erhebliche Verschlechterung der Zweisprachigkeit im rung verzerrend, weil man in der öffentlichen Wahr- trete ich nicht ein. der Staat die hohen Zinsen auf die Staatsschulden be- öffentlichen Dienst im Vergleich zu 2004 festgestellt nehmung viel öfter über die Sprachgruppen spricht als dienen kann. worden. über die tatsächlichen Sprachkenntnisse. Das ASTAT- Wie kann die ethnische Konkordanzdemokratie ge- Sprachbarometer zeigt einen deutlichen Unterschied stärkt werden, also die Vertretungsrechte der stärks- Die Zweisprachigkeit bei den Produktetiketten hat im- Wie geht es bei der Toponomastik weiter? zwischen den erklärten Zugehörigkeiten und den tat- ten politischen Gruppen aller Sprachgruppen im Land- mer wieder Anlass zu Klagen gegeben. BBD hat immer Constantini: Das Toponomastikgesetz ist bekanntlich sächlich beherrschten Sprachen auf. Es wäre zielführen- tag und in der Landesregierung? wieder auf die praktische Machbarkeit solcher Etiket- von der Regierung angefochten worden. Das wirft kein der, als Grundlage für eine gute Sprachpolitik, die reale Constantini: Zweifellos braucht es in Südtirol einen tierung hingewiesen. Ist dies eine Lücke im Autono- gutes Licht auf die Anwendung der Autonomie. Hier Sprachkenntnis genau zu erheben, als eine Erklärung, starken Parlamentarismus, denn wir sind ein vielfältiges miestatut? wurde eine primäre Gesetzgebungskompetenz wahr- bei der sich jeder selbst zuordnen kann. Diese Erklärung Land. Das kann man übers Statut regeln, muss es aber Constantini: Dieser Aspekt wird im Autonomiestatut genommen und ein Landesgesetz im Konsens der Re- sagt für die Politik einfach zu wenig aus. nicht. Wichtig wäre es, die politische Vertretung durch nicht ausdrücklich erwähnt: Andererseits ist der Land- gierungsparteien verabschiedet. Wenn nun Rom trotz ein neues Wahlgesetz zu stärken, z.B. mit Panaschieren tag nicht diesbezüglich tätig geworden, obwohl Art. dieses Konsenses in Bozen ein Landesgesetz anficht, Würde das Sprachgruppenprinzip als Grundlage unse- und Kumulieren. Konkordanz ja, doch auch im Heimat- 99 vorsieht, dass Deutsch und Italienisch gleichgestellt ist dies ein Angriff auf die Autonomie. Wenn das Statut rer Autonomie entfallen, wenn man auf die Zählung land der politischen Konkordanz, der Schweiz, ist das sind. Auch die Handelskammer hat darauf hingewiesen, nicht einmal diese getroffene Kompromisslösung bei verzichtete? nicht gesetzlich geregelt, sondern geschieht seitens der dass Handlungsbedarf besteht und in einem Landesge- den Ortsnamen erlaubt, müsste das Statut in diesem Constantini: Nein, man kann auf jeden Fall den zahlen- Parteien freiwillig. Es sollte vielmehr das Kollegialitäts- setz die Gleichberechtigung auch im Sinne des Konsu- Sinne angepasst werden. mäßigen Umfang der Sprachgruppen statistisch erhe- prinzip verankert werden. Über die verstärkte Kollegia- mentenschutzes geschaffen werden sollte. Geschehen ben. Die Befragten können sich dort anonym zuordnen. lität könnte man zur Konkordanz finden. In der Schweiz ist bisher nichts. Im neuen Autonomiestatut muss das Bei einer anonymen Erhebung gelingt die Erfassung der ist es ausschlaggebend, dass die Bevölkerung das Initi- unbedingt berücksichtigt werden. Für ladinische Etiket- tatsächlichen Sprachkenntnisse besser. ativ- und Vetorecht über Volksabstimmungen ausüben ten könnte man zudem Förderungen vergeben. Darü- kann. ber hinaus sollte man auch Produktgruppen definieren, Soll der Art. 19 ASt. so abgeändert werden, dass eine deren Etiketten zwangsläufig zweisprachig sein müssen. mehrsprachige Schule in Südtirol eingeführt werden Seit 2011 sind die Einnahmen des Landes massiv durch kann? die Regierung in Rom gekürzt worden, z.T. in Verletzung Das ist beispielsweise bei den Pharmaka der Fall, wird Constantini: Grundsätzlich kann ich mir das sehr wohl bestehender Abmachungen bzw. des Autonomiesta- aber auch nicht immer eingehalten. vorstellen, wenn man sich das katalanische Modell vor tuts selbst. Kann die Finanzhoheit eine Lösung sein? Constantini: Die jetzige Lösung mit dem Ausdruck des

72 73 fügten Ausgabenbeschränkungen, doch kann das Land schulden sahen sich die Regierungen in Rom (zuerst im Großen und Ganzen seine Ausgaben frei gestalten, Berlusconi, dann Monti und Letta) gezwungen, auch bei und dies ist in Italien alles andere als selbstverständlich. den Regionen mit Sonderstatus das Skalpell anzusetzen. Diese Finanzierungsregelung hat in den 1990er Jahren Dies geschah zunächst mit dem rechtsstaatlich korrek- umgehend dazu geführt, dass Südtirol zum Netto-Emp- ten, vom Autonomiestatut (Art. 104 ASt.) vorgesehenen fänger bei den öffentlichen Finanzen wurde. Was be- Verfahren eines einvernehmlichen Abkommens, später deutet dies? In der Gegenüberstellung und Verrechnung durch einseitige Kürzungen, die zu Recht vor dem Ver- aller öffentlichen Einnahmen- und Ausgaben aller in fassungsgerichtshof angefochten wurden. Südtirol tätigen Regierungsebenen ergab sich bis 2009 Mit dem am 30. November 2009 besiegelten “Mailän- ein positiver Gesamtsaldo zugunsten Südtirols. Mit der Abkommen” war es den beiden Landeshauptleuten anderen Worten: Alle in Südtirol getätigten Ausgaben Durnwalder und Dellai zunächst gelungen, weiterrei- der öffentlichen Hand (Staat, Region, Land, Gemein- chende Kürzungen durch den Staat abzuwenden und 7 LH Kompatscher, Finanzminister Padoan, LH Rossi nach Unterzeichnung des „Sicherungspakts“ den usw.) zusammengerechnet, aber ohne Doppelzäh- die Substanz der Finanzquellen der autonomen Provin- lungen, übertrafen sämtliche im selben Bezugsjahr in zen zu retten. Zusammen verpflichteten sich Trient und Südtirol generierten öffentlichen Einnahmen an Steu- Bozen zwar zu einer Entlastung des Staatshaushalts von Steuerhoheit oder Landesfinanzen ern und Abgaben. Das kann mit der Situation eines 1500 Mio. Euro (750 Mio. pro Provinz), doch Ausgleichs- Entwicklungslandes verglichen werden, das permanent zahlungen des Staats und Zusatzeinnahmen hielten die aus dem Ausland Finanzhilfen bezieht, mit dem kleinen Einschnitte in engen Grenzen. In der Folge nahm der am staatlichen Tropf? Unterschied: Südtirol ist - gemessen am BIP pro Kopf - Umfang des Landeshaushaltes 2010 erstmals leicht ab, Eine solide, stabile und ausreichende Finanzierung der Autonomen Provinz ist Grundlage für die konkrete Ausübung inzwischen die wohlhabendste „Region“ Italiens. ebenso jener von 2011, stabilisierte sich in der Folge auf der breiten Palette an Zuständigkeiten des Landes. Der Ausgabenautonomie steht der grundsätzliche Anspruch Südtirol (und das Trentino) war mit dieser Regelung zwei etwas niedrigerem Niveau. gegenüber, die Einnahmenseite möglichst eigenständig zu regeln. Da sich der Landeshaushalt im Wesentlichen aus Jahrzehnte lang nicht nur vom interregionalen Finanz- Doch so vorteilhaft dieser Zustand für Südtirol war, so den im Land eingehobenen Steuern speist, könnte eine weitreichende Steuerhoheit Teil eines konsequenten Autono- ausgleich zugunsten Süditaliens ausgeklammert, son- offenkundig war es, dass gerade in einer so angespann- miekonzeptes sein. Südtirol ist allerdings Teil des stark zentralistisch gestalteten Steuersystems Italiens und Teil eines dern trugen auch zu den zentralen, nicht aufteilbaren ten Haushaltssituation wie jener Italiens (Gesamtschul- hochverschuldeten Staats. Mehr Steuerautonomie oder gar Steuerhoheit des Landes sind dadurch engere Grenzen Lasten und Ausgaben des italienischen Staats nichts bei, denstand 2015 bei rund 2.200 Mrd. Euro gleich 133% gesetzt als in einem föderalistisch geprägten Steuersystem wie jenem der Schweiz. Neben der Steuerhoheit gibt es wie etwa zum höchst aufwändigen Schuldendienst. Dies des BIP) auch bei den Regionen mit Sonderstatut einge- aber auch andere Wege zu mehr Autonomie bei den Finanzen. ist eine auch für autonome Regionen außergewöhnliche spart werden mussten, zumal diese im Verdacht stan- Regelung, die sogar in Bundesstaaten wie Deutschland den, Finanzprivilegien zu genießen. Im Rahmen der Ver- Die bisherige Finanzierung Region Trentino-Südtirol, zusammen mit einigen gerin- und Österreich keine Entsprechung findet. Dort müssen fassungsreform der Regierung Renzi wurden nicht nur der Autonomie geren Anteilen des Steueraufkommens. Das vom Staat reichere Bundesländer wie Tirol oder Bayern nicht nur wesentliche Zuständigkeiten der Regionen mit Normal- einbehaltene Zehntel des regionalen Staatssteuerauf- den zentralen Staatsapparat mitfinanzieren, sondern statut wieder zentralisiert. Mit dem neuen Art. 119 Verf. Jahrzehntelang hat Südtirol (und das Trentino) über ein kommens wurde mit zwei Gründen gerechtfertigt: Zum auch in den Finanzausgleich zugunsten ärmerer Bun- kann der Staat sogar mit einfachem Staatsgesetz – das im Vergleich zu anderen Regionen Italiens vorteilhaftes einen zur Deckung der Kosten der Steuereinhebung desländer einzahlen. Dies ist bei der Einschätzung der bedeutet vor allem mit den weiter beschleunigten Re- Finanzsystem verfügt. Seit 1990 bemaßen sich die Ein- selbst, also für Personal und Sachaufwand der Finanz- neuen, seit 2015 geltenden Finanzierungsregelung der gierungsdekreten – einseitig in die Finanz- und Steuer- nahmen des Landes, ausgehend vom Abkommen zwi- ämter in Südtirol und dem Trentino. Zum anderen für autonomen Provinzen Bozen und Trient zu berücksich- politik der Regionen eingreifen. In Art. 120 Verf. behält schen Bozen, Trient und Rom (Staatsgesetz Nr. 386 vom die vom Staat vor Ort im Rahmen seiner verbliebenen tigen. sich der Staat das Recht vor, Regionalregierungen abzu- 30. November 1989), an dem in Südtirol verbuchten Befugnisse getätigten Ausgaben, wie z.B. für die derzeit Obwohl Südtirol finanzpolitisch gesehen kein großes setzen, wenn finanzielle Missstände auftreten. Südtirol Aufkommen der staatlichen Steuern. Davon wurden 8.860 Staatsangestellten. Die autonomen Provinzen Gewicht hat (rund 1% der Steuereinnahmen Italiens), ist wie die anderen Provinzen und Regionen mit Sonder- den beiden Provinzen nicht 100% zugebilligt wie der Re- verfügen zudem – im Unterschied zu den Regionen mit konnte ein solches System bei der extrem hohen Ge- statut gegen solche Eingriffe in die Autonomie bis zur gion Sizilien, aber immerhin gut 90%. Dies galt auch für Normalstatut – über weitgehende Ausgabenautono- samtverschuldung des Staats keinen Bestand haben. Revision der jeweiligen Autonomiestatute durch eine die Region Aostatal. Zwei Zehntel der in der Region ein- mie. Zwar galten bisher auch für Südtirol die Grundsät- Spätestens seit Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 mit Schutzklausel geschützt und hat bei den Finanzen einen gehobenen Mehrwertsteuern flossen an die Autonome ze des Stabilitätspaktes und einige gesamtstaatlich ver- damals bedrohlich steigenden Zinsen auf die Staats- „Sicherungspakt“ mit Rom geschlossen.

74 75 Die heutige Lage sich Südtirol unter einen Rettungsschirm vor weiteren Grafik 3 – Sicherungspakt für die Landesfinanzen - 2014 - Autonome Provinz Bozen - Südtirol und der „Sicherungspakt“ willkürlichen Kürzungen durch die Regierung geflüchtet. Denn Italien muss bei einem Gesamtschuldenbestand 1600 Finanzieller Beitrag1 Mit dem „Sicherungspakt“ vom Oktober 2014 ist es von über 2200 Mrd. Euro weiter eisern sparen, auch bei dem Trentino und Südtirol gelungen, ihren Beitrag zur den Regionen. Dank Schutzklausel und Sicherungspakt 805 867 867 867 Abführung von Mehreinnahmen 1200 staatlichen Haushaltssanierung in erträglichem Maß ist Südtirol zunächst vor weiteren Zugriffen gefeit und Stabilitätspakt zu halten und ihre Einnahmen zu stabilisieren. Dieses hat mehr Planungssicherheit. Südtirol hat 2016 aber Abkommen mit Rom - für den Normalbürger ein gänz- den 5,4 Mrd. Euro umfassenden Haushalt nicht zur 800 128 lich unverständlicher Text – legt einen Fahrplan für die Gänze zur Verfügung, sondern nur 4,66 Mrd. Euro. Die 128 128 128 128 Beiträge der beiden Länder zur Sanierung des Staats- Zwangsbeiträge an den Staat werden als Durchlaufpos- 400 550 haushalts fest, ohne die Grundregel für ihre Einnahmen ten getarnt, der Haushalt des Landes 2016 liegt real un- 457 476 477 477 477 seitens des Staats außer Kraft zu setzen, die da lautet: ter jenem von 2009, 2010, 2011 und 2015. Für mehr Si- 0 cherheit hatten die beiden Autonomen Provinzen auch neun Zehntel des im Land generierten Aufkommens 2014 2015 2016 2017 2018 2019 - 2022 der staatlichen Steuern gehen an die jeweilige autono- einen Preis zu bezahlen. me Provinz. 2014-17 ist dieser Beitrag im Jahresschnitt Schließlich wird der Mehrwertsteueranteil, der den Quelle: Banca d’Italia Provinzen zusteht, von sieben Zehntel auf acht Zehntel 1 Es werden drei Perioden des finanziellen Beitrags Südtirols zum Staatshaushalt (Zinsen für Staatsschulden) mit 833,15 Mio. Euro relativ hoch, 2018-22 sinkt er vorgesehen (blau): 2014-2017, 2018-2022, ab 2023. Für die Periode ab 2019 wird dieser finanzielle Gesamt- auf jährlich 477 Mio. Euro und ab 2023 wird neu ver- zu Lasten der Region erhöht, die nur mehr ein Zehntel beitrag jährlich festgesetzt, ausgehend von der Entwicklung der Staatsverschuldung. Ab 2018 sind die in der Abbildung gezeigten Werte nur geschätzt. handelt. Mit einer unglaublichen Zahlenakrobatik von erhält. Die Region und die autonomen Provinzen wer- Kürzungen, Sonderbeiträgen, Verzicht auf zustehende den mit diesem Abkommen auch dazu verpflichtet, ihre Ausgaben zu rationalisieren und die landesgesetzlichen Zahlungen, Ausgleichsbeiträgen für Grenzgemeinden heutigen Kontext der Staatsverschuldung Italiens ist Haushaltsregeln den staatlichen Bestimmungen anzu- Finanzautonomie: und Lastenübernahmen für neue Zuständigkeiten wird dies schon viel, denn von weiteren Zugeständnissen in passen. Schließlich ist in diesem Pakt auch die Möglich- Die bestehenden Befugnisse in diesem Pakt ein unvermeidlicher Schritt verschlei- Sachen Steuerhoheit ist zurzeit keine Rede mehr. Da- keit vorgesehen, dass Inkassoprinzip „umzudrehen“. ert: Die autonomen Provinzen waren bisher vom Staat bei hatte die SVP in ihrem Konzept zur Vollautonomie nutzen überfinanziert und werden auf ein mit Italiens aktueller Dies bedeutet, dass die beiden Provinzen die Staats- gerade auf die Notwendigkeit neuer Regelungskom- Bei den Staatssteuern kann das Land zusammen mit Finanzkraft kompatibleres Maß zurückgeschraubt. Mit steuern künftig zuerst kassieren und dann das dem petenzen bei den Steuern gesetzt. Dies könnte bedeu- dem Trentino nur sehr begrenzte Anpassungen vorneh- dem Sicherungspakt von 2014 werden die Provinzen bis Staat zustehende Zehntel sowie andere geschuldete ten, dass der Staat ganze Steuerarten, wie z.B. die IRAP men, wie etwa beim regionalen IRPEF-Zuschlag, bei der 2022 netto per Saldo nur mehr maximal acht Zehntel Ausgleichsbeträge überweisen. (Wertschöpfungssteuer) ans Land überträgt oder die IRAP (Wertschöpfungssteuer) und der Kfz-Umschrei- statt der bisherigen neun Zehntel des im Land erzielten Wichtig ist zudem, dass der Stabilitätspakt zugunsten Bandbreite der regionalen Steuerbefreiungen und Zu- bungssteuer. Südtirol hat diesen geringen Spielraum Aufkommens der Staatssteuern erhalten. Nachdem die der mit Gesetz Nr. 243/2012, Art. 9, eingeführten Pflicht satzsteuern erweitert. Doch im Gesamtkontext der öf- schon für beträchtliche Senkungen genutzt (IRAP, Kfz- autonomen Provinzen gut 20 Jahre lang (1990-2009) zum Bilanzausgleich ersetzt wird. Der Staat verpflichtet fentlichen Finanzen Italiens ist eine stärkere regionale Steuer usw.) und Freibeträge (IRPEF-Zuschlag). Nettoempfänger bei den öffentlichen Finanzen waren, sich außerdem, die von 2014-2017 von den Provinzen Differenzierung der Abgabenquote aus der Sicht Roms ist dies seit 2010 nicht mehr so (Mailänder Abkommen; zu viel gezahlten Beiträge von rund 1 Milliarde Euro in nicht tragbar. Dies würde zu einem Steuerwettbewerb Nicht genutzt hat das Land hingegen die vom Autono- vgl. POLITiS-Dossier 9/2015). Im Vergleich mit den meis- 50 Jahresraten á 20 Millionen zurückzuzahlen. Die Pro- führen, der am Ende zu geringeren öffentlichen Ein- miestatut (Art. 82 ASt.) eingeräumte Möglichkeit, bei ten anderen Regionen kommen Trient und Bozen mit vinzen gewähren dem Staat von 2014-2017 sozusagen nahmen und einer Erhöhung der Verschuldung führen der Feststellung der Einkommenssteuern durch den einem blauen Auge davon. Nicht so ist es mit dem Ao- einen Sofortkredit für die Bewältigung der Haushalts- würde. Noch 2001-2009 war in Italien viel von Fiskalfö- Staat aktiv mitzuwirken. Unlogisch ist dabei die Begren- statal, wohl weil zu klein; auch nicht mit Sizilien, weil krise. Dieses Darlehen wird vom Staat in 50 Jahren deralismus die Rede. Heute kann sich Italien mehr Steu- zung auf die Einkommenssteuer, denn vermutlich liegt zu mächtig. Doch liegt der finanzielle Beitrag Südtirols abgestottert, also bis 2068. Nur in besonderen Notsi- erföderalismus schlicht und einfach nicht mehr leisten. die Steuerhinterziehung bei der Mehrwertsteuer noch zu den allgemeinen, nicht teilbaren Kosten des italieni- tuationen und Bedarfslagen kann der Staat diese Ein- Mit fast 2200 Milliarden Euro Gesamtschulden sieht höher. Südtirol kann diese Zuständigkeit erweitern und schen Staats pro Kopf immer noch deutlich hinter je- sparungen um 10% zusätzlich erhöhen. sich der Staat gezwungen, das Steueraufkommen unter nutzen. Eine solche aktive Mitwirkung kommt direkt nem der Regionen Norditaliens. Dieses Abkommen hat zwar Einbußen bei der Finanzie- zentraler Kontrolle zu halten. Dies bildet den Gesamt- dem Landeshaushalt zugute, indem Steuerhinterzie- Mit dem Sicherungspakt – bei den derzeitigen Umstän- rung des Landes geführt, sorgt aber insgesamt bis 2022 kontext der Diskussion zur potenziellen Erweiterung hung effizienter bekämpft wird und acht Zehntel der den sicher ein Erfolg von Rossi und Kompatscher – hat für mehr Stabilität bei den Einnahmen des Landes. Im der Autonomie bei den Finanzen. zusätzlichen Einnahmen in den Landeshaushalt fließen.

76 77 Die Landesverwaltung verfügt aufgrund ihres feinma- Steuerbehörden, die keinerlei Daten zu diesem Sach- andern kann dieser Dienst bürgernäher, dezentraler miestatuts (Abänderbarkeit der Finanzbestimmungen schigen Netzes an Leistungen und Beiträgen sowohl an verhalt bekanntgeben. und zweisprachiger organisiert werden als bisher. Ob- und des Art. 13 zu den großen Wasserableitungen mit Unternehmen als auch an Einzelpersonen und Organisa- Südtirol hat seine beschränkten Befugnisse, eigene wohl die Zahl der Unternehmer und der Erwerbstäti- bloßem Staatsgesetz) hat nämlich immer nur dem Staat tionen über eine Fülle von Daten, die zwecks Kontrolle Steuern einzuführen, nur für die Tourismusabgabe (Art. gen, somit der Steuerpflichtigen zugenommen hat, hat genutzt. Das neue Finanzierungsabkommen konnte er der Wirtschaftstätigkeit und Erfüllung der Steuerpflich- 72 ASt.) genutzt. Nur rund 8% des Landeshaushalts der Staat bei den Agenturen für Einnahmen gespart nur mit einer rechtsstaatlich äußerst bedenklichen Waf- ten herangezogen werden können. Die staatliche Fi- werden aus Einnahmen aus auf Landesebene gere- und seit 2010 sogar Personal abgebaut (ASTAT-Info fe aufzwingen: Er hat einfach zustehende Zahlungen zu- nanzpolizei deckt jährlich hunderte Fälle von Steuerhin- gelter Steuern gespeist. Aufgrund Art. 73 ASt. können Nr.3/2016). Die Eingliederung der Steuereinhebung rückgehalten und mit langen Rechtsverfahren vor dem terziehung auf, kann aber aufgrund von Personalmangel Region und Provinzen eigene Steuern auf den in ihre in die Landesverwaltung bzw. zumindest die Führung Verfassungsgericht die betroffenen Regionen mürbe diesen Dienst nicht ausweiten. Die Bozner Einnahmen- Zuständigkeit fallenden Sachgebieten einführen „in durch das Land bietet auch die Chance für mehr Trans- gemacht. Mit diesem Missbrauch von Flexibilität könn- agentur ist eines der Schlusslichter bei den Kontrollen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des staatlichen parenz. Die Unabhängigkeit der Steuerverwaltung wäre te Schluss sein, indem das gesamte Statut einschließlich Italien und so steigt die entsprechende „Erfolgschance“ Steuersystems.“ Zwar kann das Land die Gemeinde-Im- in gleichem Maß gewahrt wie für die Eintreibung von der Finanzbestimmungen Verfassungsrang erhält, also der Steuerhinterzieher. Immerhin geht die Finanzpolizei mobiliensteuer eigenständig regeln, deren Aufkommen Landesabgaben. Darüber hinaus können die Rechte der auch nur mit Verfassungsgesetz abgeändert werden laut aktuellen Daten von einem geschätzten Wert von zum Großteil an den Staat abgetreten werden muss. Steuerzahler ausgebaut werden, etwa mithilfe eines kann. 1,5 Milliarden Euro aus, der dem Fiskus in der Region Doch eine durchaus sinnvolle Ergänzung der Vermö- Steuer-Volksanwalts. Trentino-Südtirol nicht erklärt wird, wobei der weit grö- gensbesteuerung ist auf Landesebene bisher nicht vor- Finanzhoheit als Ausweg? ßere Anteil dieser Summe Südtirol betrifft. Würde die- genommen worden (vgl. Vorschlag für eine Landesver- Eine bessere Absicherung ser entgangene Steuerertrag eingehoben, könnte das mögensabgabe in Kap. 11). der Finanzregelung In den letzten Jahren ist in Südtirol der Ruf nach Finanz- durch den Sicherungspakt verlorene Zehntel an Lan- hoheit im Sinne der Steuerhoheit immer lauter gewor- deseinnahmen (per Saldo 8/10, vgl. oben) allein durch Einhebung der Staatssteuern Auf diesem Hintergrund über einen Ausbau der Finanz- den. Dazu hat nicht nur der weit verbreitete Unmut mit mehr Effizienz bei der Einhebung kompensiert werden. ans Land autonomie oder gar Finanzhoheit des Landes nachzu- der komplizierten Steuergesetzgebung und dem relativ Laut AFI zahlen zwar 95,1% der Südtiroler Bevölkerung denken, fällt schwer. Bis 2022 hat das Land Ruhe im hohen Steuerdruck beigetragen, sondern auch das weit ab 15 Jahren Einkommenssteuer, während italienweit Ein konkreter Schritt zu mehr autonomer Verantwor- Finanzkonflikt bzw. wird nur geringe Zusatzbeiträge an verbreitete Gefühl, als eigentlich finanziell gesunde Re- nur 77,8% eine solche Erklärung präsentieren (AFI-IPL tung bei den öffentlichen Finanzen ist der schon be- den Staat leisten müssen, die in einigen Klauseln des Si- gion bzw. Provinz die von Italiens Regierung verschulde- 2016). Doch ist damit noch nicht gesagt, wieviele ihr ge- schlossene Übergang der staatlichen Finanzämter cherungspaktes versteckt sind. Dann wird eine Klärung te Misere bei den öffentlichen Finanzen mit ausbaden samtes Einkommen korrekt versteuern und wie es mit („Einnahmenagenturen“ in Italien) an die autonomen und Vereinfachung der Regelung angesagt sein, sonst zu müssen. Dieser Unmut, den Südtirol mit ganz Italien hinterziehungsanfälligeren Mehrwertsteuer aussieht. Provinzen, der noch mit Durchführungsbestimmung ge- blickt hier mit etwas Glück nur mehr der Chefkämmerer teilt, ist auch von den beiden letzten Finanzabkommen regelt werden muss. Seit 2014 wird über diesen Über- des Landes durch. Mit der 8/10-Beteiligung am Steu- zwischen Südtirol, dem Trentino und dem Staat von Diese Mitwirkungsmöglichkeit ist zwischen den autono- gang der Zuständigkeit der Steuereinhebung (nicht zu eraufkommen innerhalb seines Gebiets wäre Südtirol 2009 und 2014 gefördert worden. Bei beiden Abkom- men Provinzen und Staat nie mit Durchführungsbestim- verwechseln mit der Steuerhoheit) zwischen Rom, Bo- im Vergleich mit deutschen Bundesländern, Schweizer men mussten beide Provinzen einen erheblichen finan- mungen konkretisiert worden. Der Grund ist ein relativ zen und Trient verhandelt. Praktisch soll die Führung Kantonen und Autonomen Gemeinschaften Spaniens ziellen Aderlass hinnehmen. Bevor die vorgeschlagenen banaler. Das finanziell relativ gut ausgestattete Südtirol der Einnahmenagenturen ans Land übergehen. In den immer noch gut bedient. Optionen bewertet werden können, müssen zwei, drei hatte kein Interesse an zusätzlichen Steuerkontrollen. Augen der Bürger wäre das Land damit nicht nur die Sachverhalte geklärt werden, um sich nicht auf dem Bo- Im Gegenteil, in der Ära Durnwalder ist sogar von offizi- Für die Absicherung dieser Regelung reicht nun ein Brief zentrale Instanz für die öffentlichen Ausgaben, son- den von utopischen Forderungen zu bewegen. eller Seite beklagt worden, dass zu viele Steuerkontrol- von Ministerpräsident Renzi an den österreichischen dern auch die wichtigste Behörde für die Einhebung der len durchgeführt würden. Zudem wird oft beklagt, dass Bundeskanzler genauso wenig wie seinerzeit ein Schrei- Zum ersten: Der Steuerdruck ist zwar allgemein in Ita- Steuern. Einhebungs- und Verausgabungsverantwor- der Steuerdruck ohnehin zu hoch sei. Zum einen stimmt ben von Minister Fitto an LH Durnwalder in Sachen To- lien im europäischen Vergleich hoch (44%, vgl. EURO- tung fielen dann zusammen, denn rund 8/10 des pro- das nicht, denn die Abgabenquote liegt in Südtirol mit ponomastik. Die Grundregeln für die Finanzierung der STAT), nicht aber in Südtirol. Aufgrund einiger Beson- vinzialen Aufkommens der staatlichen Steuern fließen rund 39% deutlich unter dem staatsweiten Durchschnitt Autonomie muss vielmehr zum integralen Teil des Au- derheiten, wie seiner Wirtschaftsstruktur und einem den autonomen Provinzen zu. (ASTAT Webportal 2016). Zum anderen geht es nicht um tonomiestatuts werden, die nicht mit normalem Staats- hohen Anteil von Kleinunternehmen und Selbstständi- die Erhöhung von Steuern, sondern um die Einhebung Finanzämter als Teil der Landesverwaltung bringen eine gesetz, sondern nur mit Verfassungsgesetz abgeändert gen, sowie aufgrund der relativ geringen Landesabga- geschuldeter Steuern. Die genauere Berechnung der Reihe von Vorteilen. Einerseits kann die Verwaltungs- werden kann, unter Beachtung eines anzustrebenden ben, liegt die Abgabenquote in Südtirol bei 39,1% (AS- durch Steuerhinterziehung dem Land entgangenen Ein- effizienz des Landes auch in diesem zentralen Teil der Vetorechts des Landtags. Die bis heute vorgesehene TAT 2016 Webportal), also im europäischen Mittelfeld, nahmen scheitert an der Intransparenz der staatlichen öffentlichen Verwaltung zur Geltung kommen; zum Flexibilität beim Abschnitt VI des geltenden Autono- und deutlich unter dem Abgabendruck in Österreich

78 79 und Deutschland. Dass das italienische Steuerrecht in innerhalb einer bestimmten Bandbreite mehr Abwei- Eine „Sportautonomie“ Spitzen- und Leistungssport: „Wir“ sind Weltmeister, vielfacher Hinsicht dennoch überholt, kompliziert und chungen zur gesamtstaatlichen Regelung zugestanden für Südtirol? unser Land hat soundso viele Medaillen, „wir“ können ungerecht ist, ist schwerlich zu bestreiten. werden. uns mit souveränen Staaten messen. Sticht eine Region Südtirol bildet einen integralen Teil Italiens und hat da- Völlig aussichtslos ist bei der heutigen Verfassungsord- Beim Sport hat Südtirol keine primäre, sondern nur in einigen Disziplinen heraus und gewinnt etwas mehr mit laut Verfassung nach seiner wirtschaftlichen und nung schließlich die Vorstellung, sich als Autonome sekundäre Gesetzgebungsbefugnis. Eine DFB sicher- Medaillen als die Nachbarregion, halten sich manche steuerlichen Leistungskraft zur Finanzierung der - öf Provinz von der Verpflichtung zum Beitrag zur Haus- te Südtirol 1975 wichtige Verwaltungsbefugnisse im schon für eine „Sportnation“. Regionales Selbstbe- fentlichen Hand beizutragen. Es ist von der allgemei- haltssanierung Italiens freizukaufen. Verschiedentlich Bereich Sport. Anfang der 1980er Jahre beanspruchte wusstsein kann auch mit anderen Mittel gestärkt, Brei- nen Pflicht zum horizontalen (zwischen den Regionen) ist nämlich vorgeschlagen werden, dass Südtirol seinen das Land in drei Landesgesetzen mehr Autonomie beim tensport mit andern Mitteln im Rahmen der autono- und vertikalen (über den Staat organisierten) Finanz- Anteil am Gesamtschuldenberg Italiens (derzeit über Sport, die aber vom Staat rückverwiesen wurden. Doch men Zuständigkeiten befördert werden. ausgleich nicht ausgenommen, obwohl es als Teil der 2200 Mrd. Euro) übernehmen und selbstverantwortlich konnte auf praktischer Ebene durch die Landesfachver- Spitzensportlerinnen mögen als Vorbilder und Motiva- Region Trentino-Südtirol eine ganz besondere Finan- bedienen und tilgen sollte. Damit wäre das Land von bände der einzelnen Disziplinen in bestimmtem Aus- toren durchaus wichtig sein, und für Südtiroler Spitzen- zordnung aufweist, wie alle fünf Regionen Italiens mit jeder Verpflichtung, zur Haushaltssanierung beizutra- maß konkrete Selbstverwaltung erreicht werden. Sonderstatut. gen, befreit. Dieser Vorschlag ist auch deshalb abwegig sportler mag es auch berechtigt sein, nicht verpflichtet Nun ist Italien weder ein Bundesstaat noch hat es jemals (nicht nur weil das Land diese Schuld nicht tragen kann), „Sportautonomie“ ist nicht nur bei den offenen Veran- zu werden, italienische Fahnen zu schwingen, Trikolore- den oft versprochenen Fiskalföderalismus umgesetzt. weil – außer im Fall einer Sezession eines Teilgebiets – staltungen des Autonomiekonvents vielfach angeregt Trikots zu tragen und in TV-Sportsendungen den „Inno Vielmehr kommt es im Zuge der Haushaltssanierung der Staat als solcher für seine Schulden haftet und sie worden, sondern war auch öfters Thema von Beschlus- di Mameli“ vorsingen zu müssen. Doch ordnen sich und des Sparzwangs zu einer Verfassungsänderung, die nicht unter seine Teilgebiete aufteilen kann. Zum einen santrägen der Freiheitlichen und der Südtiroler Freiheit Spitzensportler mit ihrer Karriereentscheidung von den Regionen Zuständigkeiten nimmt und gerade bei wa r Südtirol für die Aufnahme dieser Schulden nicht STF. Im November 2015 beantragte die STF die Aufnah- vornherein solchen Zwängen unter, die ihnen anderer- den öffentlichen Finanzen die Regionen noch stärker mitverantwortlich, zum anderen ist es als Teil des Re- me Südtirols in die UEFA und FIFA nach dem Beispiel der seits attraktive Möglichkeit eröffnen: an die 100 Südti- ans Gängelband nimmt. Dies sind denkbar ungünstige gionalstaats Italiens sehr wohl verpflichtet, sowohl den autonomen Regionen Wales, Schottland und der Färöer roler Athleten sind derzeit bei den Sportgruppen des Voraussetzungen für mehr Steuerhoheit einer Region, Staatsapparat als auch den Finanzausgleich mit ärme- Inseln. Was beim Fußball theoretisch möglich wäre, ist Staats (Finanzwache, Carabinieri, Heer, Polizei, Forstwa- so berechtigt die Forderung auch sein mag. Aus einer ren Regionen mitzufinanzieren. beim Internationalen Olympischen Komitee IOC aus- che usw.) beschäftigt, schreibt FF (Nr. 8/2016), nutzen Autonomie leitet sich nämlich die Pflicht zur Gewähr- geschlossen, dem nur souveräne Staaten angehören deren Trainingseinrichtungen und werden durch deren leistung ausreichender Einnahmen zur Verwaltung der Zur Vertiefung können. Das nationale olympische Komitee CONI ver- Trainer betreut. Die Spitzensportler müssen sich eben entscheiden. Würde das Land Südtirol diese Aufgabe autonomen Zuständigkeiten ab, nicht jedoch unbedingt SALTO, Südtirol – Paradies für Steuerhinterzieher?, URL: tritt Italien im IOC, ein zweites derartiges Komitee wäre eine autonome Regelung aller Steuern (Steuerhoheit). https://www.salto.bz/article/21042014/suedtirol-ein- nicht zugelassen. Auch Schottland und Katalonien ha- übernehmen, muss es auch die entsprechenden Kosten paradies-fuer-steuerhinterzieher Eine derartige Steuerhoheit wäre auch für Bundes- ben keine eigenständige Olympia-Beteiligung. In der FF tragen und diese Finanzmittel vom Breiten- und Jug- staaten sehr ungewöhnlich. Das heißt, auch autonome Oskar Peterlini (2012), Steuerföderalismus in Italien, (FF Nr. 08/2016, 27) wird der damalige LH Durnwalder endsport abzweigen. Wem wäre damit gedient? Prokopp&Hechensteiner, St. Pauls Regionen sind unter dem Aspekt der Steuerordnung in mit Worten von 1999 zitiert: „Die Möglichkeit, eigene Würden sämtliche autonomen Gesetzgebungszustän- der Regel Teil der allgemeinen staatlichen Ordnung, al- Thomas Benedikter (2015), Südtirol Netto-Empfänger Südtiroler Nationalmannschaften international auftre- bei den öffentlichen Finanzen?, POLITiS-Dossier 9/2015 digkeiten zu primären, wäre die Sportpolitik des Lan- lerdings mit Besonderheiten und Sonderregeln. ten zu lassen, ist von der internationalen Sportordnung Thomas Benedikter (2011), Südtirols Finanzen: Begin- des selbstverständlich geringeren Auflagen seitens des Differenzierte regionale Steuerhoheit ließe den Staat nen jetzt die mageren Jahre?, in POLITIKA 2011, Hg. G. nicht vorgesehen, weshalb Bemühungen in diese Rich- Pallaver, RAETIA, Bozen 2011, S.339-365 Staats unterworfen. Südtirol hat aber schon die heuti- steuerrechtlich gesehen rasch sehr inhomogen wer- tung problematisch erscheinen.“ Durnwalder tritt inzwi- gen Zuständigkeiten für eine vorbildliche Sportförde- den. Damit würde die Gefahr eines Steuerwettbewerbs ASTAT (2016), Öffentliche Bedienstete 2014, ASTAT-Info schen zu Recht für die Übertragung der Aufgaben des Nr.3/2016 rung und den Aufbau einer engmaschigen Sportinfra- nach unten, sogar die Bildung kleinerer „Steuersenken“ CONI in Südtirol an das Land und die konsequente An- ASTAT (2011), Die Konten der öffentlichen Verwaltung in struktur genutzt. Für die Vermittlung politischer und heraufbeschworen. Überdies besteht im Rahmen der Südtirol 2010, Bozen wendung der Zweisprachigkeit innerhalb des CONI ein. ASTAT (2015), Statistisches Jahrbuch 2015, Öffentliche kultureller Eigenständigkeit nach außen braucht es EU eine starke Tendenz zur Steuerharmonisierung, vor Haushalte – Kap. 20, Bozen keine hochbezahlten Berufssportlerinnen im rotweißen allem bei der Unternehmensbesteuerung und der Um- Mit anderen Worten: der Sport ist in der Regel national Alice Valdesalici (2010), Federalismo fiscale e autono- Trikot. Hierfür kann Südtirol auch alpenländische und satzsteuer. Deshalb würde sich eine Übertragung der (also zentralstaatlich) organisiert, abgesehen vom Profi- mie speciali: il nuovo assetto finanziario del landestypische Sportarten vom Goaßlschnöllen übers wesentlichen Zuständigkeiten im Steuerrecht an eine Trentino-Alto Adige/Südtirol, http://www.federalismi.it Berufssport. Mit Sport wird traditionell massiv Natio- Wettmähen, Watten, Ranggeln bis zum Heuballen-Wer- untere Regierungsebene auch von daher verbieten. Süd- nalismus transportiert. Über Mannschaften in den Lan- AFI-IPL (2016), AFI-Zoom Nr.7 vom 3.6.2016 fen pflegen und fördern. tirol kann bestenfalls darauf hoffen, dass den Regionen desfarben vermittelt man die Idee einer „Sportnation“ Blog Brennerbasisdemokratie, URL: www.brennerba- und folgt damit der Logik der nationalen Aufladung von bei einigen Steuerarten (Einkommenssteuer, IRES, IRAP) sisdemokratie.eu 80 81 deutsche Schule laut Art. 19 ASt. denselben Grund- sein könnte. Die ladinische Sprachgruppe ist aber auch prinzipien, doch erfolgt die Schulverwaltung durch die weit stärker auf eine solide Kenntnis der beiden größe- jeweiligen Bildungsassessorate eigenständig, getrennt ren Landessprachen angewiesen. Wohl deshalb haben nach Sprache. sich die Ladiner im Unterschied zu den Rumantsch- Sprechern Graubündens für eine zweisprachige Schule Diese Eigenständigkeit der drei Schulbereiche ent- in den beiden anderen Landesprachen entschieden. spricht dem der Südtirol-Autonomie zugrundeliegen- Die Ladinerinnen erreichen dadurch im Durchschnitt den Sprachgruppenprinzip: Jede Sprachgruppe kann einen höheren Grad an Zweitsprachenkenntnis als die das Schulsystem im Wesentlichen in ihrer Sprache or- anderen beiden Sprachgruppen, was aber zu Lasten der ganisieren, muss aber auch den ausreichenden Erwerb schriftlichen Beherrschung der Muttersprache geht. Im der zweiten Landessprache gewährleisten. Dabei steht Klartext: Zwecks möglichst guter Erlernung der wirt- die freie Schulwahl außer Diskussion. Laut Art. 19, Abs. schaftlich zweifellos wichtigeren anderen Landesspra- 3, haben alle Eltern das Recht, ihre Kinder in eine Schu- chen haben die Ladiner einen geringen Stellenwert der 8 le ihrer Wahl, ganz unabhängig von der Muttersprache eigenen Sprache in der Schule in Kauf genommen. Die- einzuschreiben. Zahlreiche Eltern, vorwiegend aus der ser strukturelle Hintergrund muss gegenwärtig bleiben, italienischen Sprachgruppe, nutzten und nutzen die- wenn man für die Reform der italienisch- und deutsch- ses Recht, damit ihre Kinder die zweite Landesspra- sprachigen Schule auf das angeblich erfolgreiche pa- Braucht Südtirol eine che möglichst gut lernen. Andererseits haben auch die ritätische Schulmodell der Ladiner verweist. Denn die Schulen das – kaum genutzte – Recht, die Einschreibung Ladiner verzichten mit diesem Modell auf eine Schule eine zweisprachige Schule? von Kindern aus Gründen mangelnder Kenntnisse der oder auch nur Teil-Schule in der Muttersprache, was jeweiligen Unterrichtsprache zu verweigern. weder für die deutsche noch für die italienische Sprach- Eines der Grundrechte von ethnisch-sprachlichen Minderheiten ist ein Schulsystem in der eigenen Sprache. Aus- gruppe in Südtirol in Frage kommt. Es kam auch für die gehend von der traumatischen Erfahrung der Abschaffung der deutschsprachigen Schule und des gänzlichen Ver- Das ladinische Schulsystem als Rumantsch-Sprecher Graubündens nicht in Frage. bots der deutschen Sprache im Schulunterricht während des Faschismus ist dieses zum internationalen Minder- Vorbild? heitenschutz gehörende Grundrecht nicht erst im Autonomiestatut von 1972 verankert, sondern schon im Pariser Vorbild Aostatal? Vertrag (Punkt 1a) festgeschrieben worden. Dieses Grundrecht hat 1948 zur Einführung von drei eigenständigen Die ladinische Sprachgruppe hat ein anderes Schulmo- Das dreigliedrige Südtiroler Schulmodell unterscheidet Schulsystemen für die drei anerkannten Sprachgruppen geführt. Oft wurde die Einführung von zweisprachigen dell bekommen (Seberich 2000), nämlich den Unterricht sich wesentlich von jenem anderer autonomer Regio- Schulen diskutiert, auch im Autonomie-Konvent 2016-17. Im Landtag wurden Gesetzentwürfe für die die Einfüh- zu paritätischen Teilen in den beiden größten Landes- nen und anderer Sprachminderheiten Italiens. Das in rung einer zweisprachigen Schule diskutiert, Gesetzentwürfe für die Ermöglichung zweisprachiger Klassen vorge- sprachen, mit Ladinisch in der Rolle einer Hilfssprache der Region Aostatal praktizierte zweisprachige Schulm- legt. Was kann dadurch erreicht werden? Welche Ziele soll die Bildungspolitik in Südtirol überhaupt anstreben? in den ersten Schuljahren und als Sprach-Lehrfach in den oberen Klassen. Das Ladinische befindet sich aller- odell mit Französisch und Italienisch als völlig gleichbe- rechtigten Unterrichtssprachen wurde auch in Südtirol in ihrer Sprache mit Lehrpersonen, deren Muttersprache dings in einer im Vergleich zur deutschen und italieni- Grundrecht Schule als „zweisprachige Schule“ in die Diskussion gebracht. die Hauptunterrichtssprache dieser Schule ist. Jede schen Sprache in Südtirol ganz anderen strukturellen in der Muttersprache Ein Teil der Aostataler spricht als Familiensprache die Sprachgruppe hat auch die Pflicht, in ihrem Schulsys- Ausgangsposition. Im Unterschied zu den großen euro- päischen Sprachen Deutsch (90-100 Millionen Mutter- frankoprovenzalische Variante des Französischen, in ih- Vor 1972 war die deutschsprachige Südtiroler Schule im tem die zweite Landessprache als Pflichtfach zu führen, sprachler) und Italienisch (65 Millionen Muttersprach- rem Verhältnis zur Hochsprache etwa vergleichbar mit Wesentlichen eine „italienische Schule mit deutscher erteilt durch Lehrpersonen, für welche diese Sprache ler weltweit), sprechen in Südtirol nur rund 20.000 den Südtiroler Dialekten zum Standarddeutsch. Doch Unterrichtssprache“. Das neue Autonomiestatut hielt die Muttersprache ist (ASt, Art. 19, Abs. 1). Der Unter- Menschen Ladinisch als Muttersprache (Volkszählung Standard-Französisch beherrscht im Aostatal ein weit an der Dreiteilung der Schule nach Unterrichtssprache richt der Zweitsprache beginnt mit der ersten Grund- 2011). Die Gesamtzahl der Dolomitenladiner wird auf geringerer Anteil der Bevölkrung als Standard-Deutsch fest, schaffte aber mit detaillierten Regelungen ein ei- schulklasse. Die meisten jüngeren Südtiroler erlebten maximal 30.000 geschätzt. Damit bildet das Ladinische in der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols. genständiges Südtiroler System innerhalb der Schulord- oder erfahren hiermit 13 Jahre Unterricht der zweiten eine der kleinsten Sprachgemeinschaften Europas, weit Deutsch als Hochsprache spielt in Südtirol eine weit nung Italiens (Bonell/Winkler 2010, 182). Jede Sprach- Landessprache als eigenes Lehrfach. Anders als die la- gefährdeter als es die deutsche Sprache in Südtirol je wichtigere Rolle als Französisch im Aostatal. gruppe hat demnach das Recht auf ein Bildungssystem dinische Schule unterliegen die italienische und die

82 83 Deshalb war das Aostatal für Südtirols Schulpolitik bis- an deutschsprachigen Schulen. Aus dem ASTAT-Sprach- Grafik 4 – Zweitsprachkenntnisse der Südtiroler OberschülerInnen her kein Modell, genau so wenig wie für die Schweizer barometer 2014 geht hervor geht hervor, dass sich die Italiener im Tessin, und noch weniger für die Deutsch- Kenntnisse der zweiten Landessprache der Südtiroler schweizer und Französischschweizer. In der Schweiz hat aller Sprachgruppen in den letzten 10 Jahren merklich 50 % jede Sprachgruppe gemäß Territorialprinzip in ihrem verbessert haben. Immerhin 75% der Deutschsprachi- 40 % 47 Italienischsprachige Gebiet ihre muttersprachliche Schule und bringt dort gen verstehen und sprechen Italienisch gut oder sehr 44 Deutschsprachige 30 % 40 so viel an Zweit- und Drittsprachenunterricht unter wie gut, über 70% geben an, es auch ausreichend gut zu mehrheitlich von der Bürgerschaft des jeweiligen Ge- schreiben (ASTAT Sprachbarometer 2014, 131). Auch 20 % 28 biets erwünscht. die Deutschkenntnisse der Italienerinnen haben sich ge-

Die Autonomie des Aostatals gründet genausowenig genüber 2004 im Schnitt weiter verbessert: 53,5% ver- 10 % 13 5 wie jene Kataloniens auf dem Sprachgruppenprinzip, stehen Deutsch gut oder sehr gut, 40% können sich gut 0 % 4 11 mit dem davon abgeleiteten Anspruch auf ein Bildungs- auf Deutsch ausdrücken (ASTAT Sprachbarometer 2014, A2 B1 B2 C1 Quelle: EURAC (2012), KOLIPSI. Vgl. Anmerkung 1 system in der jeweiligen Muttersprache. Entsprechend 131). Bei den Ladinern sind es gar 94%, die die beiden dem Sprachgruppenprinzip ist in Südtirol folgendes anderen Sprachen gut beherrschen. Die Kenntnisse der Seit 2013 wird CLIL auch in der deutschsprachigen Prinzip maßgeblich: jede Sprachgemeinschaft sollte zweiten Landessprache mögen insgesamt nicht berau- Eine zweisprachige Schule Oberschule ab der 3. Oberstufenklasse eingesetzt und als Zusatzangebot? eine Schule in ihrer Sprache haben, die gleichzeitig aus- schend sein, doch nehmen sie laufend zu. Zudem haben hat – laut Evaluation – gute Ergebnisse gezeitigt. CLIL reichend Möglichkeiten bietet, die zweite Landesspra- 40% aller Deutschsprachigen und 30% aller Italienisch- soll in der deutschen Oberschule ausgebaut werden, Die Beherrschung von mindestens zwei weiteren Spra- che und weitere Fremdsprachen gut zu erlernen. sprachigen die Zweisprachigkeitsprüfung geschafft. sofern genügend qualifiziertes Lehrpersonal zur Verfü- chen neben der Muttersprache ist ein zentrales Ziel Vermittelt dieses Schulsystem nun zu wenig Zweitspra- Bei den Zweitsprachkenntnissen der Schüler sieht die gung steht. Ab dem 15. Lebensjahr können Klassen ein europäischer Bildungspolitik. So ist das Prinzip - „Mut chenkompetenz, so dass eine Erweiterung Richtung Zwischenbilanz nicht so gut aus: wie aus der KOLIPSI- oder zwei Fächer in einer anderen Fachsprache lernen tersprache+2“ Vorgabe der EU-Staats- und Regierungs- zweisprachige Schule und eine entsprechende Anpas- Studie hervorgeht, erreichen 47% der italienischspra- als auf Deutsch. In der zweiten Jahreshälfte wird wie- chefs von Barcelona 2002: „Die Vielsprachigkeit des sung des Autonomiestatuts gefordert ist? chigen Oberschülerinnen der 4. Klasse nur B1 (Schwel- der Deutsch zur Fachsprache, um den Fachwortschatz geeinten Europas, unseres gemeinsamen Kultur- und lenniveau), 28% nur A2 (elementares Niveau) bei ihren in beiden Sprachen zu vermitteln. Die Schüler erreichen Wirtschaftsraums, erfordert die Mehrsprachigkeit ihrer Deutschkenntnissen.1) 75% dieser Sprachgruppe er- dadurch anscheinend ein höheres fachspezifisches Bürger und Bürgerinnen“. Doch wohlgemerkt: damit Vermittelt das Südtiroler reicht nach 12 Jahren Deutschunterricht (bis zur 4. Sprachniveau. CLIL findet in Südtirols Oberstufe auch hat die EU nicht etwa alle Mitgliedstaaten aufgefordert, Bildungssystem zu wenig Klasse der Oberstufe) bloß ein überraschend geringes auf Englisch statt. Eine erste Evaluation des CLIL an den ihr nationalsprachliches Schulsystem durch ein zwei- Zweitsprachkenntnisse? Niveau an Zweitsprachbeherrschung. Die Schüler der deutschen Oberschulen hat gezeigt, dass Eltern und oder dreisprachiges zu ersetzen. deutschen Oberschulen lernen Italienisch laut dieser Schüler mit CLIL zufrieden sind, aber auch dass sich die Entsprechend sieht das Landesgesetz vom 16. Juli 2008, Für die Bildungspolitik und den in Südtirol besonders Studie deutlich besser als die Italienischsprachigen Leistungen der CLIL-Klassen auf Italienisch verschlech- Nr. 5, Art. 14, vor: „Zur Förderung der Mehrsprachig- bedeutsamen Unterricht der zweiten Landessprache Deutsch. Dies entspricht dem vom Sprachbarometer tert hat (vgl. Brennerbasisdemokratie 2016, 3). keit der Schüler und Schülerinnen können die Schulen sind wissenschaftliche Erkenntnisse und repräsentati- ermittelten Bild der Gesamtbevölkerung: die deutsch- im Einklang mit Art. 19 des Autonomiestatuts und den ve Untersuchungen zur Schulqualität und Sprachent- sprachigen Südtirolerinnen können wesentlich besser Insgesamt ist die Effizienz der CLIL-Methode für den -Er Richtlinien der Landesregierung innovative Projekte wicklung eine unverzichtbare Voraussetzung. Es mag Italienisch als die Italienischsprachigen Deutsch. Dabei werb von Zweit- und Drittsprachkenntnissen noch nicht des Sprachenlernens durchführen.“ Nun wird aber be- erstaunen, dass die Datenbasis für dieses wichtige For- gibt es in der italienischen Schule nicht nur über 2000 eindeutig nachgewiesen. Wenn in Südtirol immer noch zweifelt, dass Südtirols Schulabsolventen bezüglich der schungsgebiet relativ schmal ist. Alle zehn Jahre unter- Stunden Deutsch als Fach bis zur Matura, sondern eine beklagt wird, dass die Schule ein zu geringes Niveau an Sprachkenntnisse „europafit“ sind. „Erst wenn unsere sucht das ASTAT mit dem Sprachbarometer zahlreiche Reihe von Zusatzangeboten zur Förderung der Zweit- Zweitsprachkenntnissen vermittelt, ist dies vor allem Kinder auf ein höheres Sprachniveau kommen, sind Aspekte der Sprachentwicklung aufgrund von Selbstein- spracherwerbs. ein Problem der italienischen Schule, die dies in Zukunft sie konkurrenzfähig und fit für Europa“, meint z.B. der schätzungen der Befragten. Daneben gibt es die Ergeb- mit einem ausreichenden Maß an CLIL und allgemein Sprachwissenschaftler Siegfried Baur (FF, Nr. 5/2016, nisse der Zweisprachigkeitsprüfungen. Bezüglich der Beim CLIL (content and language integrated learning), höherer Qualität im Zweitsprachunterricht wettmachen 37). An welches Europa denkt Baur dabei? Weit über Zweitsprachkompetenzen der Schüler gibt es bisher nur das früher mit „Immersion“ bezeichnet wurde, findet kann. 90% der Europäer durchlaufen heute immer noch ein die KOLIPSI-Studie der EURAC (Abel/Vettori/Wizniewski die Zweitsprache auch beim Fachunterricht in ande- muttersprachliches Schulsystem, kein zwei- oder drei- 2012) und die jüngste Evaluation der CLIL-Experimente ren Fächern als dem Fach „Zweitsprache“ Anwendung.

84 85 sprachiges. Es sind vor allem Minderheitenangehöri- Konkurrenz zueinander treten? Welchen Sinn machte lisch) einzuführen, um die Schüler optimal auf eine drei- Südtirol die Erhaltung einer guten Sprachqualität in der ge, die in anderen Ländern kein muttersprachliches es, paritätisch zweisprachige Schulen in Mittelpunkts- sprachige Hochschule vorzubereiten. Aus dieser Sicht Muttersprache in einem Umfeld, das vor allem durch Bildungssystem haben und zweisprachige Schulen als orten Südtirols einzurichten, in welchen die italienische scheint es in der Bildungspolitik vor allem darum zu ge- den Dialekt geprägt wird. Laut Sprachbarometer 2014 Ersatz dafür besuchen müssen. Hätte ganz Italien eine Sprachgruppe nur eine kleine Minderheit bildet? Was hen, perfekte Mehrsprachler auszubilden, die gekonnt erreichen in den Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben dreisprachige Schule, wäre diese von S. Baur geäußerte bedeutet dies für den Minderheitenschutz, die Qualität zwischen Sprachen „switchen“, und vielleicht ganz ne- und Sprechen bei weitem nicht so viele Südtiroler die Konkurrenzangst angebrachter. An die Einführung einer des Schulunterrichts und die Südtiroler Gesellschaft all- benbei auch eine fachliche Qualifikation und kulturelle höchste Kompetenzstufe, wie angaben, der deutschen solchen Schule in ganz Italien denkt aber fast niemand. gemein? Identität in der Muttersprache erwerben. Sprachgruppe anzugehören (69,41%). Zudem gibt es auch Einwände aus sozialpolitischer Perspektive: wer- Nun wird argumentiert, dass es in Südtirol als einem Solche Fragen und ähnliche Fragen sind aus der Pers- Doch wollen die Südtirolerinnen allesamt Dolmetscher, den Familien aus unteren sozialen Schichten es schaf- mehrsprachigen Land einen höheren Bedarf an Zweit- pektive des Minderheitenschutzers zu stellen und sind Kulturmediatorinnen oder vielsprachige Diplomaten fen, ihre Kinder für anspruchsvolle mehrsprachige sprachkenntnissen gebe. Doch aus den Untersuchungen im Autonomie-Konvent kontrovers diskutiert worden. werden? Wenn heute Millionen von Abiturienten im Schultypen und Unterricht ausreichend zu unterstüt- zur Sprachkenntnis und zum Sprachgebrauch lässt sich Noch stärker als anderswo ist Schulpolitik in Südtirol deutschen Sprachraum Fremdsprachenkenntnisse er- zen? Werden Kinder mit Migrationshintergrund, die oft ablesen, dass ein gutes, wenn auch ausbaufähiges Maß keine ausschließlich Eltern, Schülerinnen und Lehrper- werben, die in ihnen ein Hochschulstudium in diesen aus ihrem Herkunftsland schon zwei Familiensprachen an Zweitsprachkenntnis in der Bevölkerung vorhanden ist, sonen berührende Frage, sondern ein gesamtgesell- Sprachen erlauben (z.B. werden in Deutschland zuneh- mitbringen, das Schulpensum mit weiteren drei Spra- das in allen Sprachgruppen langsam, aber stetig wächst. schaftliches Anliegen, das nicht nur den Zweitspracher- men Studiengänge auf Englisch geführt), warum sollten chen (Deutsch, Italienisch und Englisch) plus Dialekt im Was die Schule nicht schafft, wird in gutem Maß im Berufs- werb berührt, sondern auch das Grundverständnis von die Südtiroler Maturanten das nicht schaffen? Wenn die Lebensumfeld schaffen? leben und im Lebensumfeld später erworben. Minderheitenschutz und Eigenständigkeit der Sprach- EU in ihren bildungspolitischen Leitlinien die Kenntnis Mehrsprachigkeit ist ein wichtiges Bildungsziel. -Ver gruppen betrifft. Ein Schulwesen in der Muttersprache von möglichst zwei weiteren EU-Sprachen neben der schiedenste Methoden zur Verbesserung des Zweit- Ausgehend vom Sprachgruppenprinzip ist im Autono- ist für eine ethnische Minderheit grundsätzlich eine Muttersprache empfiehlt, meint sie damit die - perfek sprachunterrichts stehen zur Auswahl: Sprachferien, miestatut das Recht auf eine einsprachig-muttersprach- große Errungenschaft, die nur wenigen Minderheiten te Dreisprachigkeit durch dreisprachige Schulen? Wenn Schüleraustausche, Lehrpersonenaustausche und liche Schule festgeschrieben worden. Wie in der Schweiz geglückt ist. Minderheiten müssen geradezu mehr Wert nicht, warum sollten gerade eine sprachliche Minder- schulübergreifende Projekte usw. Niemand wird etwas mit dem Territorialprinzip, hat jede Sprachgruppe in auf dieses Recht legen, weil der kulturelle, soziale und heiten auf muttersprachliche Schulen verzichten, um gegen einen besseren Zweitsprachunterricht einwen- Südtirol eine Schule in ihrer Sprache. Es geht nicht um wirtschaftliche Kontext ohnehin schon mehrsprachig ist noch mehrsprachiger zu werden als alle übrigen Euro- den. Insgesamt steht Südtirol in der Beherrschaung der die vielbeklagte „Trennung der Sprachgruppen“ in der und die Staatssprache eine strukturell dominante Rolle päerinnen? Zweitsprache nicht schlecht da. Zudem gibt es beim Schule, sondern um ein von jeder Sprachgruppe eigen- spielt. Zweitspracherwerb einen unterschiedlichen Bedarf in Ohne Zweifel ist Zweisprachigkeit ein hoher Wert in der ständig gestaltetes Schulwesen. Jeder ist frei, die Schule den drei Sprachgruppen: was für die italienische Schule Südtiroler Politik und Gesellschaft. Gleichzeitig ist der seiner Wahl zu besuchen. In der Schweiz, die fast keine Die Überfrachtung der Schule sinnvoll sein kann, muss für die deutsche Schule nicht Weg zur Zweisprachigkeit in Südtirol übermäßig ideolo- öffentlichen zwei- oder mehrsprachigen Schulen kennt, so vordringlich sein, solange im Durchschnitt - wie er- mit sprachpolitischen Idealen gisch aufgeladen worden, die Frage der zweisprachigen spricht niemand von „Trennung der Sprachgruppen in wiesen - ein ausreichend gutes Zweit- und Drittsprach- Die Beherrschung der zweiten Landessprache ist mit Schule geradezu zu einer Glaubensfrage stilisiert wor- der Schule“. Im Autonomiestatut ist zu Recht die Eigen- niveau erreicht wird. ständigkeit der Sprachgruppen im Kulturleben und bei gutem Grund eines der Grundanliegen der Südtiroler den. So wird Schule in Südtirol immer mehr mit sprach- der Schule verankert. Wo bliebe die vielgerühmte Viel- Bildungspolitik. Die deutsche Schule schneidet dabei politischen Idealen überfrachtet, und damit auch mit falt Südtirols, wenn man diese Eigenständigkeit aufgibt? gar nicht schlecht ab. In der italienischen Schule ist da- Sprachunterricht und Sprachexperimenten. Ehrgeizige Jeder Sprachgruppe gegen die Bedeutung der deutschen Sprache lange un- Eltern sehen die Zukunft ihrer Kinder als Sprachgenies, ihr Schulsystem Nun wird vorgeschlagen, eine zweisprachige Schu- terschätzt worden, und heute holt man den Rückstand Bildungsplaner halten perfekte Mehrsprachigkeit -die Die italienische Schule Südtirols hat heute schon einen le als zusätzliches Angebot zur muttersprachlichen mit einem breit gefächerten Angebot an Zweitsprach- auf die wenigsten Regionen Europas zutrifft - als ent- Teil des Rückstands beim Zweitspracherwerb wettge- Schule einzuführen. Welche Folgen hat es, wenn eine vermittlung langsam auf. In den Schulen aller Sprach- scheidend für den internationalen Standortwettbewerb macht. Wenn der italienischen Sprachgruppe erlaubt Sprachgruppe statt einem Schulmodell plötzlich drei gruppen muss man zudem der Herausforderung begeg- in einer entgrenzten Wirtschaft. Mehrsprachigkeit wird wird, die CLIL-Methode auf die Hälfte des Fachunter- Schulmodelle zur Auswahl hat: muttersprachlich wie nen, auch ein gutes Englisch-Niveau zu erreichen. zum Zauberwort, ja schon fast zur Ideologie. Dabei hat Schule nicht unwichtige weitere Aufgaben: richts hochzufahren, kommt dies ohnehin einer zwei- bisher, CLIL-orientiert, paritätisch zweisprachig oder Davon leiten manche Eltern, Lehrpersonen und Hoch- fachliche Qualifikation, Persönlichkeitsbildung, Soziali- sprachigen Schule gleich. Die bildungspolitische Orien- gar dreisprachig? Wie verändert sich die Bildungsland- schullehrer schon die Notwendigkeit ab, in Südtirol eine sierung in der eigenen Kulturgemeinschaft, Allgemein- tierung der deutschen und ladinischen Sprachgruppe schaft, wenn sprachlich verschiedene Schulmodelle in dreisprachige Oberschule (deutsch, italienisch, eng- bildung in der eigenen Sprache usw. Dazu kommt in folgt einem anderen Bedarf. Die deutsche Sprachgrup-

86 87 pe braucht für eine solide Erlernung des Italienischen Dieses Ziel können die drei Sprachgruppen in Südtirol es der italienischen Schule erlaubt, zwecks Förderung der Landesregierung ernannt (ASt, Art. 19, Abs. 4-6), so keine zweisprachige Schule, genauso wenig wie Ös- aufgrund ihrer unterschiedlichen Bedarfslage mit unter- der Zweitsprache Sach-Fachunterricht auf Deutsch im werden sie seit 1996 alle vom Land ernannt, allerdings terreich eine zweisprachig deutsch-englische Schule schiedlichen Schulformen erreichen. Die muttersprach- Ausmaß bis zu 50% der Gesamtunterrichtszeit einzufüh- muss das Einvernehmen bzw. die Anhörung des Unter- braucht, weil das Land ansonsten international nicht liche Schule muss deshalb nicht unbedingt der Konkur- ren, begrenzt auf die zurzeit bestehenden italienischen richtsministeriums in Rom vorliegen (LD 434/1996, Art. mehr konkurrenzfähig wäre. Heute schon beherrschen renz der zwei- und dreisprachigen Schule ausgesetzt Schulen. Bei Entscheidungen über die Anwendung von 9). Südtirol hängt also immer noch maßgeblich vom Pla- 85% der deutschsprachigen Südtiroler gut oder sehr werden, wie Simon Constantini in diesem Band näher neuen Formen und Methoden des Zweitsprachunter- zet aus Rom ab. gut Italienisch, in wenigen Jahren werden es 100% sein, ausführt. Welche Schlussfolgerung für die Reform des richts sollen die Landesräte und Landtagsabgeordneten auch ohne zweisprachige Schule. Autonomiestatuts? der jeweiligen Sprachgruppe eigenständig entschei- Dies hat dazu geführt, dass seit 1996 das Lehrperso- den können. Jeder Sprachgruppe kann statutarisch das nal zwar vom Land verwaltet und entlohnt wird, dies So ist in der deutschen Schule Südtirols, sprachlich gese- Soll Art. 19 des Statuts Recht eingeräumt werden, ihr Schulsystem eigenständi- jedoch nur aufgrund der Delegierung dieser Aufgabe hen, kein Bruch nötig, da die Zweitsprache bisher relativ geändert werden? ger zu regeln, allerdings im Rahmen von muttersprachli- seitens des Staats. Das Lehrpersonal ist formalrecht- gut vermittelt worden ist. Neue, gut bewährte Metho- chen Schulen, also ohne den Art. 19 ASt. aufzuweichen. lich immer noch „beim Staat“ als Staatsbedienstete. den im Zweit- und Fremdsprachenunterricht können Ausgehend vom Fazit, dass es für eine ausreichende Be- Dadurch erübrigen sich zweisprachige Schulen. Aufgrund dieser Kompetenzüberschneidungen durfte auch ohne zweisprachige Schule eingeführt werden, herrschung der Zweitsprache eine zweisprachige Schule das Dienstrecht des Lehrpersonals lange Zeit vom Land wie der Einsatz des CLIL beweist. Ziehen deutschspra- zumindest für die deutsche und ladinische Sprachgrup- Volle Zuständigkeit des Landes nicht angetastet werden, was zu erheblichen Koordina- chige Eltern für ihre Kinder eine Schule mit noch hö- pe in Südtirol nicht braucht, ist eine Änderung des Art. für die Schule tionsproblemen führte. Angesichts der vielen Verflech- herem Anteil von CLIL, stünden ihnen die Schulen der 19 ASt. nicht geboten. Zwar wird von den Befürwortern tungen zwischen Staat und Land ist es kaum möglich zu italienischen Sprachgruppe offen, die noch stärker auf einer zweisprachigen Schule vorgeschlagen, diese nur Für die bildungspolitische Eigenständigkeit Südtirols entscheiden, ob die Südtiroler Schule eine staatliche diese Methode setzen. als zusätzliches Angebot neben die bestehenden Schu- noch wichtiger ist die Übertragung der primären Zu- oder eine Landesschule ist. Offiziell hat Südtirol für die len zu stellen. Auch in diesem Fall müsste der Art. 19 ständigkeit für die Schul- und Bildungspolitik. Für diesen Kindergärten, die Schulfürsorge, den Schulbau und die Dem der Südtirol-Autonomie zugrundeliegenden ASt. geändert werden, denn in sprachlicher Hinsicht Schlüsselbereich für die kulturelle Entwicklung und den Berufsausbildung primäre Zuständigkeit (Art. 8 ASt), für Sprachgruppenprinzip entspricht eine weitgehende divergierende Schulmodelle erfordern eine Regelung Minderheitenschutz besteht im Autonomiestatut nur den Unterricht an Grund- und Sekundarschulen nur se- Kulturautonomie bei der Bildungspolitik. Unbeschadet per Statut. Da daraus unweigerlich mittelfristig eine für sekundäre Zuständigkeit, weshalb die staatlichen Re- kundäre Zuständigkeit (Art. 9 ASt). Zum vollständigen von der Pflicht und dem Recht, die Staatssprache zu er- die Südtiroler Schullandschaft unnötige Konkurrenzdy- formen des Schulwesens in Südtirol per Landesgesetz Übergang der Schule zum Land im Sinne der primären lernen, hat die deutsche Sprachgruppe das Recht veran- namik erwächst, kann dies der Qualität der Schule in übernommen werden müssen. Die Berufsschule liegt Zuständigkeit ist es nie gekommen. Die Autonomie Süd- kert, ein Bildungssystem in ihrer Sprache zu organisie- der jeweiligen Muttersprache eher schaden. Dies läuft dagegen in primärer Zuständigkeit und ist seit 1972 Teil tirols wurde aber mit DFB ab 1996 ausgeweitet (Legisla- ren. Dies wird seit fast 70 Jahren mit erstaunlich guten mittelfristig zwar auf eine Vielfalt von Schultypen, aber der Landesverwaltung (Art. 8, p. 29, ASt.). tivdekret 24. Juli 1996, Nr. 434). Der Staat übertrug die Ergebnissen praktiziert (vgl. PISA-Studien) und laut nicht auf eine Vielfalt der Kulturen, die nur lebt, solan- Regelung des Dienst- und Besoldungsrechts des Lehr- Sprachbarometer liegen auch die Zweitsprachkenntnis- ge die einzelnen Sprachgemeinschaften bestehen. Eine Die Schule war lange Zeit ein „hybrider Bereich“ zwi- personals ans Land, wobei die Lehrpersonen aber noch se der deutschsprachigen Südtiroler auf relativ hohem zweisprachige Schule mit Deutsch und Italienisch als schen Staat und Land. Die Schulordnung einschließlich formell Staatsbedienstete blieben (Art. 19, Abs. 10 ASt). Niveau. Aus dieser Sicht braucht es keine Überlastung gleichwertigen Unterrichtssprachen ist nicht nur mit des Verwaltungspersonals fiel in die Landeszuständig- Im Aostatal hatte der Staat das Lehrpersonal schon viel der deutschen Schule mit sehr viel CLIL und zweispra- Art. 19 ASt. unvereinbar, sondern sprengt auch das bis- keit, während das Lehrpersonal noch lange Zeit beim früher an die Region „delegiert“. Auch die Zuständigkeit chigen Klassen, sondern ein vernünftiges Maß an wirk- her dreigeteilte Schulsystem. Staat blieb. Mit einer komplizierten juristischen Kons- für die Lehrerfortbildung ist dem Staat erst 1996 abge- samem Zweitsprachunterricht, wie er überall im deut- truktion wurde 1996 zwar das Dienstrecht und die Be- rungen worden. schen Sprachraum für verschiedene Fremdsprachen Im neuen Autonomiestatut brauchen keine neuen Schul- soldung der Lehrpersonals dem Land übertragen, ohne mit Erfolg geboten wird. Damit ist die Schule insgesamt aber immer noch nicht modelle festgeschrieben werden, sondern – neben den das Autonomiestatut ändern zu müssen. Das Land kann „beim Land“, sondern bleibt noch eng mit der staatli- Grundrechten auf Unterricht in der Muttersprache und nun die Lehrpläne mit eigenen Gesetzen anpassen und Es gilt somit, das richtige Gleichgewicht zwischen dem chen Schulordnung verknüpft (Bonell/Winkler 2010, den Erwerb der Zweitsprache – kann den Sprachgrup- Personalfragen regeln, ohne über die primäre Zustän- Recht auf eine muttersprachliche Schule und zeitgemä- 185). In zahlreichen Bereichen muss das Einvernehmen pen so viel Eigenständigkeit im Bereich Schule und Kul- digkeit zu verfügen. Kuriose Blüten trieb diese „Halb-Au- ßen Modellen des Zwei- und Fremdspracherwerbs zu mit dem Staat gesucht und staatliche Vorgaben berück- tur zuerkannt werden, dass innovative Methoden zum tonomie“ bei der Ernennung der Hauptschulamtsleiter. finden, das Recht auf kulturelle Identität im Bildungs- sichtigt werden. Über echte Schul- und Bildungshoheit, Zweitspracherwerb ermöglicht werden, die den Zweit- Wurden der ladinische und italienische Hauptschul- system mit den Anforderungen an Fremdsprachen- eigentlich ein Kernstück einer Territorialautonomie in spracherwerb nach und nach optimieren. Damit würde amtsleiter bis 1996 vom Staat und der deutsche von kenntnisse in einem offenen Europa zu verbinden. einer Region mit Sprachminderheiten, verfügt Südtirol

88 89 auch heute noch nicht. Die Reform des Autonomiesta- hiesigen Bildungspolitikern zu geringe Kompetenz; man ler Autonomie. Die Sonderrechtsordnung der Autono- Wo kann die Bandbreite autonomer Zuständigkeiten tuts bietet dafür die Gelegenheit. Durch die Übertra- befürchtet sogar Einschränkungen der Lehrfreiheit. men Provinz Bozen/Südtirol, EURAC, Nomos, 351-366 vervollständigt werden? Wo soll Südtirol künftig pri- gung der primären Kompetenz würden die Lehrperso- Lieber Reformen „all‘italiana“ heißt es, die augenzwin- Rita Franceschini (2013), Die Potentialität von Mehr- märe statt sekundäre Gesetzgebung ausüben? nen definitiv Teil des Landespersonals. Südtirol könnte kernd verordnet und halbherzig umgesetzt werden, als sprachigkeit: Vier Szenarien für ein dreisprachiges Ge- Foppa: In aktuellen Debatten sieht man, dass der Staat biet wie Südtirol, in: Hans-Bianchi/Miglio/Pizzarini/ mit diesem Schritt die Curricula (Lehrprogramme der konsequent durchgezogene Reformen „alla tirolese“. immer wieder zu enge Grenzen setzt, z.B. die Vorga- Vogt/Zenobi (Hg.), Fremdes wahrnehmen, aufnehmen, Schulen) eigenständiger gestalten als bisher, könnte die Natürlich muss auch bei primärer Zuständigkeit des annehmen, Bonner Romanistische Arbeiten, Peter Lang ben im Gesundheitswesen. So wird die Notwendigkeit Maturaprüfungen selbstständig regeln, könnte auch Landes sichergestellt sein, dass die Lehrfreiheit, die Edition, Frankfurt klar, mehr Kompetenzen zu erlangen und vorhandene die Oberschultypen unabhängiger führen, ohne auf Qualität des Unterrichts und die Autonomie der Schu- Brigitte Foppa (2016),Begleitbericht zum Gesetzentwurf zu stärken. Aus unserer Sicht ist der Umweltschutz im die staatliche Anerkennung und Gleichwertigkeit der len gewahrt bleibt. Doch hat Autonomie im Sinn von Nr.67/15 „Recht auf Mehrsprachlichkeit im Bildungssys- Vordergrund, die Mobilität (s. Autobahnkonzessions- Maturaabschlüsse verzichten zu müssen. Auch mit pri- territorialer Eigenständigkeit auch mit Selbstvertrauen tem des Landes“, Landtagsfraktion der GRÜNEN, Bozen vergabe), auch der Bereich Bildung (siehe Reformge- ASTAT (2015), Südtiroler Sprachbarometer 2014,Bozen märer Zuständigkeit könnte das Land dank neuer wis- zu tun und mit Vertrauen in die regionale Demokratie. Autonome Provinz Bozen, Abt. Arbeit (2009), Sprach- setz „La buona scuola“). Da würden wir manches an- senschaftlicher Kompetenzen in Forschung und Lehre Andernfalls müsste sich jeder Kleinstaat bei jedem an- kompetenzen am Südtiroler Arbeitsmarkt, Bozen ders regeln. Warum? Weil wir einen anderen Bedarf, den heutigen Standard der Schulentwicklung qualita- spruchsvolleren Politikfeld sofort unter die Kuratel ei- andere Rahmenbedingungen haben oder weil wir Blog Brennerbasisdemokratie, Positionspapier „Bildung tiv wahren und ausbauen. Außerdem könnten sich die nes größeren Nachbarstaats begeben. und Schule“ zum Südtirolkonvent (thematische Work- etwa in der Bildungspolitik andere Ziele haben? Die- Sprachgruppen nach Bedarf und Präferenz jeweils an shops), URL: www.brennerbasisdemokratie.eu se Grundsatzfrage stellt sich immer wieder. Mehr Zu- Modelle des deutschen oder italienischen Sprachraums Anmerkungen ständigkeiten sind nicht immer per se für das Land gut. anlehnen oder ganz eigenständige Wege gehen, wie z.B. 1 Die von KOLIPSI verwendete 6-stufige Globalskala laut Mehr Autonomie sollte immer Hand in Hand mit mehr GeRS verwendet die Niveaustufen A1, A2, B1, B2, C1, • die Lehrerausbildung und Lehrbefähigung praxisnä- C2. A2 bedeutet dabei, dass man sich in einfachen rou- Demokratie gehen. Jedoch ist die innere Demokratie her gestalten; tinemäßigen Situationen verständigen, kurze gebräuch- noch immer nicht Realität in Südtirol. • die Schulversuche professioneller durchführen und liche Ausdrücke und einfache Satzmuster verwenden Der Großteil der Südtiroler Bevölkerung möchte die kann, um einfache, konkrete Bedürfnisse zu erfüllen. Es besser evaluieren; umfasst ein begrenztes Repertoire memorierter Wen- Region-Trentino eher abschaffen, doch die GRÜNEN • die Schulstunden pro Woche reduzieren, aber das dungen für einfache Grundsituationen. B1 bedeutet: treten nicht dafür ein. Abgesehen von den heutigen Schuljahr verlängern; Schwellenniveau zur selbstständigen Sprachverwen- Funktionen und Aufgaben der Region, ist diese Ins- dung mit der Fähigkeit, Interaktion aufrechtzuerhalten • den Lehrerberuf entbürokratisieren; und in einem Spektrum von Situationen auszudrücken, titution nicht wegen der fehlenden demokratischen • den Sprachunterricht genau auf den jeweiligen Be- was man sagen möchte. Es entspricht der Fähigkeit, Legitimation in Frage zu stellen? darf der Sprachgruppen abstimmen; sprachliche Probleme des Alltagslebens flexibel zu be- Foppa: Der Regionalrat, so wie er heute funktioniert, wältigen und sich über vertrauten Themen und persönli- • die Arbeitsbedingungen freier gestalten; chen Interessengebiete zu unterhalten (vgl. Abb.1 – Glo- ist eine Zumutung, aber beim jetzigen Reformprozess • die Autonomie der Schulen frei zu regeln usw. balskala/GeRS 2011:35, in: KOLIPSI 2012, 69/70). der Autonomie wird die Region ignoriert. Im Grunde wird sie aus unserem politischen Alltag ausgeblen- Doch ergeben sich beim Übergang aufs Land auch Ge- det. Einmal im Monat tagt der Regionalrat, das wird Zur Vertiefung fahren: wird die Schulverwaltung dadurch autoritärer? als eine Art Pflichtübung betrachtet. Welche Aufgabe Werden alle Schulen dann wie die heutigen Berufs- Andrea Abel/Chiara Vettori/Katrin Wisniewski (Hrsg.), könnte die Region heute noch haben? Sie könnte als schulen geführt? Wie werden die vorhandenen wis- KOLIPSI – Sie Südtiroler SchülerInnen und die Zweispra- Koordinationsorgan der autonomen Länder fungieren, che: eine linguistische und sozioalpsychologische Unter- senschaftlichen Ressourcen genutzt und Schulversuche suchung, EURAC, Bozen 2012 „Mehr Autonomie soll könnte eine demokratische Kontrolle ausüben, könnte begleitet? Fällt Südtirol in der demokratischen Mitbe- zu einer Trägerin der Kooperation im Alpenraum wer- Rainer Seberich (2000), Südtiroler Schulgeschichte. Hand in Hand mit mehr stimmung damit weit hinter gesamtitalienisches Niveau den, denn eine gemeinsame Geschichte und gemein- Muttersprachlicher Unterricht unter fremdem Gesetz, Demokratie gehen.“ zurück? Primäre Zuständigkeit fürs Schulwesen stößt RAETIA same Probleme haben wir ja. Man muss die Region vor allem in der italienischsprachigen Lehrerschaft Süd- Gespräch mit L.Abg. Brigitte Foppa also neu denken. Man könnte eventuell nur mehr 20 Lukas Bonell/Ivo Winkler (2010), Südtirols Autonomie. (Die Grünen) tirols auf vehemente Ablehnung. Man vertraut darauf, Autonome Provinz Bozen, 180-229 Abgeordnete aus beiden Ländern in eine Art Regional- dass die großen Leitlinien der Bildungspolitik in Rom Autonomieausbau bedeutet vor allem eine Erweite- parlament entsenden. Jedenfalls könnten auch wir aus Siegfried Baur (200), Schulpolitik in Südtirol, in: Marko, besser aufgehoben sind; man misstraut einer dann all- einer neuen Art Region einen großen Nutzen ziehen. Joseph/Ortino, Sergio/Palermo, Francesco/Voltmer, Le- rung des Umfangs der Zuständigkeiten und der Rege- mächtigen Landesschulverwaltung; man unterstellt den onhard/Woelk Jens (2005), Die Verfassung der Südtiro- lungstiefe auf Landesebene (primär und sekundär).

90 91 Beim ethnischen Proporz gibt es drei Hauptbereiche nische RAI Bozen). Damit ist noch keine Landeskom- Modell für die deutsche Sprachgruppe, ein anderes Foppa: Durchaus. Ein aktuelles Beispiel ist der Renten- der Anwendung: die Besetzung von Gremien öffent- petenz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ge- für die italienische Sprachgruppe? gap, nämlich das Auseinanderklaffen der Renten von licher Institutionen auf verschiedenen Ebenen; die schaffen worden. Besteht die Gefahr, dass bei einer Foppa: Die GRÜNEN haben soeben einen Gesetz- Männern und Frauen. Diesen Rentengap könnte man Vergabe von Haushaltsmitteln auf sozialem und kul- „Landes-RAI“ der Einfluss der Politik auf die öffent- entwurf vorgelegt, der vorsieht, dass in den Schul- mit dem Rentensplitting überwinden. Das Renten- turellem Gebiet, den Zugang zum öffentlichen Dienst. lich-rechtlichen Medien zu groß wird? sprengeln mehrsprachige Abteilungen immer dann budget zweier Ehepartner soll in gemeinsamen Topf In welchem Bereich ist der Proporz am ehesten zu Foppa: Diese Gefahr besteht durchaus. Die RAI könnte eingerichtet werden können, wenn genügend Ein- eingezahlt werden, aus welchem nach Rentenantritt überwinden und wodurch sollte dieser Mechanismus vom Land verwaltet werden, allerdings sollte sie dann schreibungen vorhanden sind. Unsere Forderung ist beide die gleiche Rente beziehen. Der Rentengap liegt ersetzt werden? für alle drei Sprachgruppen lokal verwaltet und vor die mehrsprachige Schule als Zusatzangebot. Wie derzeit bei über 40% im Durchschnitt, noch höher als Foppa: Der Proporz hat seine historische Berechti- politischer Einflussnahme geschützt sein. Es müsste wird mehrsprachige Schule überhaupt definiert? der Gehaltsgap. Die Familie würde dann als Solidarge- gung gehabt, war auf Zeit angelegt, und sein Zweck ist viel mehr Transparenz gewährleistet werden, etwa im Jede Schule könnte ihre Mehrsprachigkeit selbst or- meinschaft gestärkt und der Altersarmut vorgebeugt. auch erreicht worden. Wenn Konsens vorhanden ist, Zusammenhang mit Werbeschaltungen des Landes, ganisieren. In der mehrsprachigen Abteilung könn- Auf gesamtstaatlicher Ebene ist ein solches Modell könnte man den Proporz aussetzen, die Auswirkun- aber auch bei den Sendungen. Sowohl die Kontrolle ten verschiedene Sprachen als Unterrichtssprachen zurzeit nicht möglich, doch in Südtirol wäre es mach- gen dieses Eingriffs dann periodisch überprüfen, z.B. der Unabhängigkeit als auch die Zusammenarbeit der in unterschiedlichem Ausmaß verwendet werden. bar. Doch lässt die heutige zentral geregelte Sozialver- ob sich Ungleichheiten ergeben haben. Wie kann der verschiedenen RAI-Redaktionen müsste gut geregelt Auch abwechselnd in zeitlicher Abfolge. Vorrangiges sicherung das nicht zu. Die ganze Materie der sozialen Proporz ersetzt werden? Bei den Beiträgen und im so- werden. Anliegen müsste es aber auch sein, dass auch Schü- Vorsorge auf Landesebene zu organisieren, wäre ext- zialen Wohnbau sollte der Bedarf, beim öffentlichen ler und Schülerinnen verschiedener Sprachgruppen rem aufwändig, das kann ich mir nicht vorstellen. Da Mit dem sog. Sicherungspakt für die Einnahmen der Dienst die Zweisprachigkeit das entscheidende Krite- zusammentreffen. Eines ist die Sprachvermittlung, sind uns tatsächlich enge Grenzen gesetzt. Autonomen Provinzen vom Oktober 2014 scheint für rium sein. Wenn die Zweisprachigkeit konsequent ein- etwas anderes ist die Sprachpraxis. Das Potenzial der die Landesfinanzen nach den Kürzungen durch Rom gehalten wird, dann braucht es keinen Proporz mehr. mehrsprachigen Schule liegt vor allem darin, dass Parallel zum Konvent wird auch in den Paritätischen mehr Stabilität eingekehrt zu sein. Wie kann im Au- Zudem bilden die Sprachgruppenzugehörigkeitserklä- deutsch- und italienischsprachige Kinder in der Schule Kommissionen verhandelt, die allerdings nicht mit tonomiestatut vorgesorgt werden, dass im Zuge der rungen die Realität immer weniger ab, die Zwei- und zusammentreffen und das Angebot dem Bedarf -ent Vertretern der politischen Minderheit im Landtag be- Haushaltssanierung des Staats nicht wieder Kürzun- Anderssprachigen werden nicht berücksichtigt. Der spricht. Dieser Vorschlag bezieht sich auf alle Schul- setzt sind. gen vorgenommen werden? Proporz ist eine Art Fossil. Wie die Frauenquote darf stufen. Damit wird auch die Autonomie der Schule Foppa: Es wäre dringend erforderlich, dass auch die Foppa: Das wird sicher schwierig. Wir haben als Regi- er nur als eine zeitlich begrenzte Methode zu einer ge- weitgehend beibehalten und würde als ein Zusatzan- Minderheiten in diesen Kommissionen vertreten sind. on Trentino-Südtirol aus historischen Gründen immer rechteren Verteilung aufgefasst werden, nicht als eine gebot den Art. 19 nicht verletzen. Jedes Kind hat ein Auch BürgervertreterInnen und vor allem mehr Trans- noch eine privilegierte Position im Vergleich zu ande- permanente Regel. Recht auf muttersprachlichen Unterricht, allerdings parenz im Sinne einer Berichtspflicht der Kommissio- ren Regionen. Andererseits muss in einem Staat auch müsste dieses Recht auch jenen Kindern zugestanden nen wären nötig. Es ist inakzeptabel, dass so wichtige ein solidarischer Finanzausgleich vorhanden sein. Der Der Proporz wird manchmal auch damit begründet, werden, die zwei Muttersprachen haben. Die haben Kommissionen wie Geheimclubs agieren. Nicht einmal Staat muss überleben. Es nutzt nichts, in einem Gebiet dass Südtirol sich gegen einen zu großen Konkurrenz- de facto heute dieses Recht nicht. Natürlich sollen die der Landtag erhält derzeit regelmäßige Informationen eine maximale Sicherung zu schaffen, wenn das Ge- druck von außen schützen muss. Lehrpersonen auch die Möglichkeit erhalten, sich ge- durch die 6er-Kommission. samtgebilde bankrott geht. Jede Region hat ihre Inter- Foppa: Je mehr Bewerber sich beteiligen, umso mehr zielt dafür zu bilden und weiterzubilden. CLIL ist ein essen. Natürlich hat die Landesregierung den Auftrag, Für wesentliche Fortschritte im Ausbau der Autono- kommt man potenziell zu einer exzellenten Auswahl. sinnvoller Zwischenschritt. Ein anderer Schritt wäre: vor allem unsere Einnahmen zu verteidigen, aber die mie ist die Zustimmung der Mehrheit der italieni- Auf Exzellenz zu verzichten ist widersinnig, wenn man gemeinsame Schulgebäude, wo immer dies möglich Solidaritätspflicht gemäß eigener Leistungsfähigkeit schen Sprachgruppe und ihrer politischen Vertreter die Qualität der Verwaltung im Blick hat. Wenn ein ist. Es mangelt auch an Zweisprachigkeit, weil man zu besteht eben für alle. unverzichtbar. Wie kann es gelingen, einen wesent- Sachse oder eine Kalabresin bei einem Wettbewerb wenig Gelegenheiten der Begegnung hat. für eine Stelle im öffentlichen Dienst in Südtirol bes- lichen Teil der italienischen Sprachgruppe für einen Die zweisprachige Schule ist eine alte Forderung der ser abschneidet als ein Südtiroler, soll er/sie sie haben. Ausbau der heutigen Autonomie zu gewinnen? GRÜNEN und verlangt eine Abänderung des Art. In der sozialen Vorsorge gibt es – im Unterschied zur Dieser Wettbewerb kann uns gut tun, um das Niveau Foppa: Die italienische Sprachgruppe befürwortet in- 19 des Statuts, der eine Schule nach Mutterspra- Fürsorge und zur daraus folgenden Sozialpolitik auf zu heben. Die Zweisprachigkeit bildet ohnehin einen zwischen überwiegend die Autonomie, es gibt kaum chenprinzip vorsieht. Wie soll die Südtiroler Schu- Landesebene - nur eine ergänzende Zuständigkeit auf starken Filter. mehr Stimmen gegen die Autonomie. Ich bedaure es le (Pflicht- und Oberschule) der Zukunft sprachlich regionaler Ebene. Diese ist zur Schaffung des Zusatz- versicherungsfonds genutzt worden. Sollte die Lan- aber, dass sich die italienische Sprachgruppe auf po- Bei der RAI gibt es eine Mitfinanzierung durch das gesehen aussehen? Nur zwei- bzw. mehrsprachige desautonomie in dieser Hinsicht ausgebaut werden? litischer Ebene selbst aufgibt, z.B. mit der geringen Land (20 Mio. Euro jährlich für die deutsche und ladi- Schulen, mehrere Modelle nebeneinander, oder ein

92 93 Wahlbeteiligung. Es gibt nur mehr fünf italienische Man macht Absichtserklärungen, aber oft bleiben die Tab.6 - Vorschläge zur Änderung oder Ergänzung des 2. Autonomiestatuts oder für Durchführungsbe- Landtagsabgeordnete, Italienisch ist bei den Debatten konkreten Schritte aus, wie z.B. bei der Alpentransit- stimmungen zur Erweiterung der Autonomie von Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder (verteilt im Rahmen des Konvents der 33 des Autonomiekonvents im Sommer 2016) im Landtag fast verschwunden. Politisch gesehen hat börse. Dabei wäre es gerade im Bereich der Umwelt- die italienische Sprachgruppe zu wenig Sichtbarkeit. politik ungemein wichtig, sich besser abzustimmen, Dies hat nicht nur mit dem politischen System zu tun, denken wir nur an die Brennerautobahn, die ja in allen 1. Regelung des Selbstbestimmungsrechts gemäß den von der UNO vorgegebenen Prinzipien und Richtlinien. sondern mit der heutigen Verfasstheit der Italiener drei Ländern die größte Luftverschmutzerin ist. Vom 2. Explizite Bezugnahme auf die besondere Situation der auf einem internationalen Abkommen beruhenden Südtirol-Autono- mie. Ein eigener Verhandlungstisch mit der italienischen Regierung. Südtirols. bloßen In-Szene-Setzen der Einheit bis zur echten Zu- 3. Einführung des Prinzips: alle Zuständigkeiten, die den Regionen mit Normalstatut zuerkannt werden, müssen automatisch sammenarbeit ist es wohl noch ein weiter Weg. auch der Autonomen Provinz Bozen übertragen werden. Bei der Einführung von mehr Referendumsrechten 4. Abschaffung der Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis des Staates („Suprematie-Klausel“). Die Landesgesetzgebung und Bürgerbeteiligung hat Südtirol bisher keine guten darf nur durch drei Schranken begrenzt sein: die Verfassung, das EU-Recht und die völkerrechtlichen Verträge. 5. Abschaffung des “nationalen Interesses“ (sic). Erfahrungen gemacht. Wie können diese Bürgerrech- 6. Das Recht auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit, EUREGIO und das Recht auf Zusammenarbeit mit anderen Regionen te im Autonomiestatut besser verankert werden? und Minderheiten einschließlich des Rechts auf Abschluss entsprechender Abkommen. Wie kann es den Bürgerinnen ermöglicht werden, 7. Alle sekundären und tertiären Zuständigkeiten sollen in primäre umgewandelt werden. auch hinsichtlich der Abänderung des Statuts direkt 8. Übertragung aller Zuständigkeiten in der Bereichen Umweltschutz, Raumordnung, Landschaftsschutz, Arbeitssicherheit, Gesundheitswesen und Hygiene. Abschaffung der parallelen Kontrollen durch den Staat im Gesundheitswesen, bei der initiativ zu werden? Arbeitssicherheit, im Umweltschutz und in allen Bereichen, für welche das Land zuständig ist. Foppa: Es geht vor allem darum, die Bürgerbeteili- 9. Vollständige Übertragung des Bereichs “Schule und Bildungssystem“ ans Land Südtirol einschließlich des Lehrpersonals. gung auf Ebene der Landesgesetzgebung auszubau- Anerkennung der Studientitel und Lehramtsqualifikationen, Regelung der eingetragenen Berufe. en. Was zur Stärkung der direkten Demokratie kon- 10. Volle Zuständigkeit im Bereich der Telekommunikation (Sendefrequenzen). 11. Zuständigkeit für die Postdienste. sensfähig ist, sollte dort festgeschrieben werden. Im 12. Zuständigkeit für eine öffentlich-rechtliche TV-Radio-Station für alle drei Sprachgruppen. Autonomiestatut sollte das Prinzip und der Wert der 13. Das Recht auf die Beteiligung und auf die Organisation der Steuerfeststellung, der Steuereinhebung und der Kontrolle der Bürgerbeteiligung verankert werden als Bereicherung direkten und indirekten Staatssteuern. 14. Durchführungsbestimmung zur Regelung der Ortsnamengebung ausgehend vom Abkommen Fitto-Durnwalder. der Demokratie, sowie die Pflicht, entsprechende Ins- 15. Auflösung des Regierungskommissariats und Übertragung all seiner Kompetenzen auf das Land Südtirol bzw. an den Lan- trumente zu regeln. Bürgerbeteiligung wird dann gut deshauptmann. funktionieren, wenn diese Verfahren gut geregelt sind. 16. Ersetzung der Bezeichnung “Autonome Provinz Bozen” mit der amtlichen Bezeichnung Südtirol/Sudtirolo. 17. Umwandlung der Autonomen Provinzen Bozen und Trient in die „Autonome Region Trentino“ und die „Autonome Region Der EVTZ ist aufgrund von EU-Normen geschaffen Südtirol/Sudtirolo”. 18. Auflösung der Region und Übertragung all ihrer Zuständigkeiten an die beiden autonomen Regionen Trentino und Südtirol. worden und nutzt den bestehenden Spielraum der 19. Übertragung der Zuständigkeit für die innere Sicherheit (Polizei) auf Gemeinde- und Landesebene an das Land bei Klärung Regionen bei der interregionalen Zusammenarbeit. der verbleibenden Aufgaben der staatlichen Polizeiaufgaben im Land. Manche schlagen einen Ausbau der EUREGIO vor, 20. Übergang aller Verwaltungszuständigkeiten des CONI ans Land und Verpflichtung zur Anwendung der Zweisprachigkeit. 21. Die Ladiner müssen das Recht erhalten, jedes politische Amt zu bekleiden unabhängig von ihrer numerischen Stärke (so vielleicht sogar mit einer parlamentarischen Ver- z.B. das Amts des Landeshauptmanns). sammlung. Sie könnte mittelfristig sogar die heutige 22. Übertragung der Zuständigkeit für die Zusatzrentenversicherung ans Land. Region Trentino-Südtirol ersetzen, wird angenom- 23. Übertragung aller Zuständigkeiten im Bereich der Zivilmotorisierung und des Transports (Kollaudierungen, Führerscheine, men. Kann der EVTZ Europaregion Tirol eine echte Sanktionen usw.) ans Land. 24. Zuständigkeiten für die öffentlichen Wettbewerbe und Ausschreibungen.

grenzüberschreitende Regierungsebene werden? 25. Alle Zuständigkeiten bezüglich des Personals der Lokalkörperschaften und ihrer Konsortien (wirtschaftliche und rechtliche Foppa: Der EVTZ wird immer dann ins Feld geführt, Behandlung im Rahmen der Kollektivverträge usw.) wenn man im Land oder in der Region nicht mehr 26. Volle Zuständigkeit im Bereich der Energie: Konzessionen, Erzeugung, Transport und Verteilung. weiterkommt. Leider gibt es zwischen den Menschen 27. Neue Zuständigkeiten in der Forschung und Entwicklung. 28. Aufwertung der einheimischen Produkte, der Marktregelungen und der Produktbewerbung im Ausland. der drei Länder eine noch große Fremdheit, trotzdem 29. Veterinärärztliche Dienste an der Grenze, CITES-Zertifizierung. wollen alle die EUREGIO ausbauen. Gleichzeitig gibt es 30. Übertragung der Zuständigkeit für die ANAS-Straßen und des Eigentums ans Land: aufgelassene Straßen, ANAS-Gebäude, einen Dreier-Landtag, der ins Leere arbeitet, meist nur Wohnungen und Büros, Zuständigkeit für Genehmigungen und Konzessionen. 31. Gerichtsbarkeit: Übertragung der Sektionen (Außenstellen) der Gerichte mit all ihren Zuständigkeiten ans Land. eine politische Show inszeniert. Der Dreier-Landtag 32. Klärung der Zuständigkeiten im Bereich des lokalen Bahnverkehrs. trifft keine rechtlich verbindlichen Entscheidungen. 33. Übertragung aller Militärareale ans Land ohne Gegenleistung, mit Ausnahme jener Areale, die für institutionelle Zwecke genutzt werden.

94 95 Simon Constantini Hitzköpfe, in der Eltern auf Kosten ihrer Kinder Politik eine ganze Gesellschaft im Alltag den Aufwand betrei- der nicht-nationalen Sprache. Die Einsicht, die katala- betreiben. Eine möglichst gute Vermittlung der »Zweit- ben, mehr als eine Sprache aktiv zu benutzen, wenn nisch- und kastilischsprachige Eltern bzw. PolitikerInnen Zweisprachige Schule — sprache« wäre dort wohl kaum noch Hauptziel, haben sämtliche Mitglieder (zumindest) eine dieser Sprachen eint, ist die, dass diese Asymmetrie beim Sprachener- Individuum und Gesellschaft sich die Eltern doch ausdrücklich gegen eine mehrspra- perfekt beherrschen? Im Falle einer Minderheit in ei- werb ein Kippen innerhalb des spanischen National- chige Schullaufbahn entschieden. nem Nationalstaat scheint dies sogar unmöglich. Mit staats (zugunsten der spanischen »Staatssprache«) am Seit vielen Jahren wird in Südtirol verstärkt die zwei- welcher Begründung sollte man sprachliche Sonder- besten verhindern kann, da auf regionaler Ebene in Ka- Falls aber mehrsprachige Schulen Aufnahmetests oder mehrsprachige Einheitsschule bzw. die zwei- oder rechte einfordern, wenn sämtliche BürgerInnen auch talonien dem sprachlichen Ungleichgewicht der staatli- durchführen würden, um die Überforderung weniger mehrsprachige Schule als Zusatzangebot zu den beste- die Staatssprache auf muttersprachlichem Niveau be- chen Ebene Spaniens entgegengesteuert wird. gut vorbereiteter oder minder talentierter Kinder zu henden muttersprachlichen Modellen gefordert. In ers- herrschen? ter Linie sind die Eltern um diesen Dammbruch bemüht. vermeiden, wäre dann wohl mit einer sprachlichen Diese Art der Sprachpolitik beschränkt sich jedoch nicht Das Südtiroler Sprachbarometer 2014 legt sogar nahe, Mehrklassengesellschaft zu rechnen, in der einige vom Risikomanagement auf die Schule, sondern zielt darauf ab, eine tatsächlich dass eine breite Mehrheit der Gesamtgesellschaft die- öffentlichen Schulsystem wesentlich bessere Voraus- im Kontext mehrsprachige Gesellschaft durch eine tat- se Umstellung wünscht. Unklar bleibt jedoch, welches setzungen fürs Leben garantiert bekämen als andere. Wir haben in Südtirol einen großen Schatz, den man sächliche Asymmetrie im Bildungssystem zu unterstüt- Modell dabei angestrebt wird. Auch dies wäre wohl kaum wünschenswert. Eine Um- »gesellschaftliche Mehrsprachigkeit« nennen kann. zen. Katalonien hat eine offiziell definierte Landesspra- stellung des Schulsystems darf jedenfalls nicht auf die Dieser Schatz resultiert heute aus einer unvollkomme- che (Katalanisch). Im Autonomiestatut ist zwar auch Grundsätzlich erscheint eine Schule, in der beide Spra- leichte Schulter genommen werden. Wer von den un- nen »individuellen Mehrsprachigkeit«, die die Verwen- die kastilische Sprache als Amtssprache definiert, eine chen »gleichermaßen« als Unterrichtssprachen die- zweifelhaften Vorteilen der Immersion fürs Individuum dung mehr als einer Sprache im Alltag attraktiv macht. Ungleichbehandlung (»affirmative action«, also die po- nen, ein erstrebenswertes Modell. Die Vorteile einer undifferenziert auf angebliche Vorteile für die Gesamt- Auf Dauer mag diese Situation manchen nicht befrie- sitive Diskriminierung) ist jedoch erlaubt und ganz im hohen Kompetenz in mehreren Sprachen können für gesellschaft schließt, nimmt eine Abkürzung, die unter digend scheinen, da sie den gesellschaftlichen Zusam- Sinne der Gleichgewichtswahrung. Das Südtiroler Au- die Einzelne/den Einzelnen kaum überbewertet wer- Umständen in eine Sackgasse ohne Wendemöglichkeit menhalt nicht fördert. tonomiestatut nach dem Proporzmodell erlaubt hinge- den. Welch positive Auswirkungen ein Schulsystem auf führen könnte. gen kein Korrektiv, die beiden gleichgestellten Sprachen »Immersionsbasis« für die SchülerInnen hat, ist längst Aber: Wir haben einen einigermaßen gesunden Patien- sind immer und überall gleich zu behandeln. Im Zwei- erwiesen. Die Folge eines mehrsprachigen, öffentlichen Schulmo- ten und eine sofortige Behandlung, durch die wir jedoch felsfall, auch dies belegt das Sprachbarometer, geht dells kann (zunächst) nichts anderes sein, als eine durch seinen vorzeitigen Tod riskieren. Wollen wir tatsächlich dies eher zu Lasten der Minderheitensprachen. Eine Was jedoch in einem einsprachigen Kontext (in Deutsch- und durch mehrsprachige Gesellschaft. Ein Idealzu- Hand anlegen? Oder sollten wir vielmehr zuerst die Ri- Politik, die schnell und flexibel auf Fehlentwicklungen land oder Frankreich, ja auch in Trient oder Innsbruck) stand für ein Land wie Südtirol, wo mehrere Sprachen siken minimieren? reagieren kann, ist damit nahezu ausgeschlossen. bedenkenlos umgesetzt werden kann, da mehrsprachi- beheimatet sind. Ein Idealzustand jedoch, der ohne die Die beste Voraussetzung für die Zusammenführung der ge und Immersionsschulen in ein sprachlich klar defi- nötigen Vorkehrungen das Risiko in sich birgt, zumin- gesellschaftlichen und der individuellen Mehrsprachig- Eine asymmetrische — behutsam an hiesige Verhält- niertes Umfeld gebettet sind, kann in einem mehrspra- dest eine Sprache endgültig auszulöschen. Heute gibt keit wäre wohl die staatliche Unabhängigkeit; nicht Un- nisse angepasste — Gesamtlösung nach katalanischem chigen Gebiet wie Südtirol, das im national definierten es hierzulande ein in seiner Art zwar verbesserungswür- abhängigkeit per se, sondern eine speziell auf Kohäsion Vorbild wäre wahrscheinlich ein guter Wegbereiter Kontext des italienischen Staates eine sprachlich-kultu- diges, jedoch sehr fein austariertes Gleichgewicht zwi- und Inklusion bedachte, verfassungsmäßig auf Pluralis- für die eventuell anzustrebende Unabhängigkeit und relle Sonderrolle einnimmt, zu Spannungen führen und schen den Sprachen, das mit einem neuen Schulsystem mus ausgerichtete Version. Eine sofortige Lösung könn- Schaffung einer durch und durch »idealen«, also auf das Risiko der sprachlichen Assimilierung in sich bergen. schnell aus den Fugen geraten kann. te man bedenkenlos unterstützen, wenn es eindeutige individueller Ebene mehrsprachigen Gesellschaft. Ohne Über kurz oder lang wird die mehrsprachige Schule, falls Zeichen gäbe, dass sie glücken würde. den nötigen Sicherheitsabstand zu jedem Nationalstaat sie eingeführt wird, wohl kaum nur auf ein »Zusatzan- Weltweit sind durch und durch mehrsprachige Gesell- (und dazu gehört im Rahmen der Autonomie als Min- Eine mögliche Alternative im Rahmen des National- gebot« beschränkt bleiben. Kaum jemand wird sich die- schaften — in welchen die Mehrsprachigkeit der Ge- destvoraussetzung die primäre Zuständigkeit für Schule staats wäre das katalanische Modell, das ein hohes Maß sem Schulmodell entziehen können, sobald es existiert, samtheit auch einer völligen Mehrsprachigkeit jedes und Bildung) sind aber undifferenzierte Abkürzungen von gesellschaftlicher und individueller Mehrsprachig- denn jeder, der seinen Nachwuchs in eine Schule des Einzelnen entspricht — eine winzige Ausnahme, die auf abzulehnen. keit mit einem starken gesellschaftlichen Zusammen- heutigen, »alten« Modells schickt, nimmt eine herbe Dauer kaum aufrecht zu erhalten ist. Bereits wenn zehn Benachteiligung seines Kindes billigend in Kauf — so- perfekt Mehrsprachige an einem Tisch beisammensit- halt vereint. Der Dreh- und Angelpunkt dieses Modells wohl gesellschaftlich als auch auf dem Arbeitsmarkt. zen, wird sich aus Bequemlichkeit in kürzester Zeit eine ist eine Einheitsschule mit »Content and Language Inte- Die »einsprachig« deutsche und italienische Schule der von allen beherrschten Sprachen zu Lasten der grated Learning« (CLIL) mit einer stark asymmetrischen blieben dann voraussichtlich Horte nationalistischer anderen durchsetzen. Aus welchem Grund auch sollte Sprachgewichtung zugunsten des Katalanischen, also

96 97 Parlament blockiert. Ein Recht auf Volksabstimmung nahme aus, dass ein ethnischer Konflikt nur auf der bei Statutsreformen „von oben“, etwa im Sinne eines Ebene der Eliten gelöst werden kann, also durch Ver- bestätigenden Referendums wie es in der Schweiz bei handlungen von Parteispitzenvertretern, mit Rücken- Änderungen der Kantonalverfassung zwingend erfor- deckung aus Wien und Rom für die jeweilige Seite. derlich wäre, gibt es in Südtirol nicht. Der Weg der Verhandlungen und des Kompromisses ist zwingend, aber das kann nicht bedeuten, dass die Wie alle übrigen Regionen mit Sonderstatut hat die maßgeblichen politische Kräfte, also die Parteien und Region Trentino-Südtirol keine „Statutshoheit“ (auto- die Bürgerschaft, von diesem Bereich auszuschließen nomia statutaria), vielmehr wird die „Landesverfas- sind. Auch beim Autonomiestatut müssen sie als Sou- sung“ Südtirols im italienischen Parlament festgelegt. veräne in der Demokratie mitreden und mitentschei- Der Staat muss zwar gemäß neuer Schutzklausel das den können, denn das Statut ist eine Art Grundgesetz Einvernehmen der betroffenen Region suchen und für die Autonomie dieses Landes. den Landtag informieren (Art. 103 ASt.), doch ist er nicht an die ausdrückliche Zustimmung der Mehrheit In diesem Sinn kann das künftige Autonomiestatut 9 Demonstration gegen den Flughafenausbau, 28. Mai 2016 der Bürger dieses Landes gebunden. Auch bei der das demokratische Verfahren zur Abänderung des jetzt laufenden partizipativen Erstellung eines - Vor Statuts neu regeln (heute Art. 103 Ast. in Verbindung schlags für ein neues Autonomiestatut im Rahmen mit Art. 138 der Verfassung), um die Beteiligung al- Demokratische Spielräume erweitern des Konvents kann die Bürgerschaft nichts direkt ent- ler politischen Kräfte im Land und der Bürgerschaft scheiden. Vielmehr werden die Vorschläge der Bürger zu erlauben. Dabei könnte man zwischen einer Mini- beim Südtirol-Konvent gleich vierfach gefiltert: malversion und einer Optimalversion unterscheiden. 1. durch den Konvent, der mehrheitlich vom Land- Ein Mindestmaß demokratischer Mitbestimmung der Der Begriff Souveränität der Bürger in der Demokratie bedeutet, dass die Macht vom Volk ausgeht. „Of the peo- tag ernannt worden ist; Bürger wäre ein Initiativrecht für eine Mindestanzahl ple, by the people, for the people“, umschrieb Lincoln in seiner Gettysburg-Rede dieses Grundprinzip 2. durch den Landtag mit seiner Mehrheit; von Südtiroler Wahlberechtigten in Form des Volks- demokratischer Ordnungen. Die Bürger wählen ihre Vertreter auf Zeit in die repräsentativen Organe, den Ge- 3. durch den Regionalrat (gegen den Willen der begehrens und der Volksinitiative („Statutsinitiative“ meinderat und Landtag, ins Parlament und EU-Parlament, und können sie auch wieder abwählen. Mit einer gut Trentiner geht nichts durch); in Analogie zur Verfassungsinitiative). Der Landtag geregelten direkten Demokratie können die Bürgerinnen bei Sachfragen wieder die Entscheidungsmacht an sich 4. durch die Verfassungskommission des Parla- muss eigenständig, also ohne Trient, eine Gesetzes- ziehen und eine Volksabstimmung erwirken. Das funktioniert in Südtirol bisher nur schlecht. Es ist bei weitem ments. Wieviel wird dann vom Bürgerwillen noch initiative zur Statutsänderung ans Parlament richten keine normale demokratische Praxis wie in der Schweiz. Südtirol hat in seiner Geschichte und auch in 68 Jahren übrigbleiben? können, andererseits auch ein wichtiges Abwehrrecht Republik in der Nachkriegszeit erst zwei landesweite Volksabstimmungen erlebt, 2009 und 2014, sowie eine erhalten: einseitige Statutsänderungen durch das Volksbefragung 2016. Diese Situation ist das Gegenteil von einer Souverä- Parlament sollten durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit nität der Bürger und Bürgerinnen einer Region oder des Landtags abgelehnt werden können (vgl. VerfGE fassungsrang zu erhalten, muss ein solches Statut un- Statutshoheit – Was ist das? eines Landes im Sinne von „Statutshoheit“ (nicht Palermo Nr. 1429). Zurzeit gibt es nur die berühmte bedingt vom Parlament ratifiziert werden. Dies ist aber staatliche Souveränität, sondern Gestaltungsfreiheit Schutzklausel gegen solche einseitigen Abänderun- Das Autonomiestatut ist nicht nur ein Grundgesetz zur kein Grund, den Bürgerinnen und politischen Vertre- des eigenen Statuts). Fehlt den Bürgern diese Sta- gen durch das Parlament: das entsprechende Einver- Abgrenzung von Zuständigkeiten zwischen Ländern, tern der betroffenen Region oder Provinz das Recht a tutshoheit – im Unterschied zu den Regionen mit nehmen gibt aber immer die Landesregierung, nicht Region und Staat. Es ist auch eine Art Landes- oder Re- priori vorzuenthalten, ihr Statut eigenständig erstellen Normalstatut Italiens und zu den meisten autonomen der Landtag. gionalverfassung, die die Institutionen, Grundprinzipien und abändern zu können. Regionen Europas, die mit Bürgerbeteiligung ihre Sta- und speziellen Bürgerrechte und -pflichten in diesem In Südtirol hat weder der Landtag das Recht, eigenstän- tuten eigenständig reformieren können – bleibt jede Die Optimalversion begreift dagegen die Südtiro- Gebiet regelt. Es betrifft also die Südtiroler und Trenti- dig im Parlament Vorschläge für die Statutsänderung Reform dem engsten Kreis von Spezialisten und dem ler Bürgerschaft als eigentliches souveränes Subjekt ner Bevölkerung, nicht das restliche Italien. Rechtlich einzubringen, noch hat dieses Recht die Bürgerschaft Gutdünken der Regierungsparteien anvertraut, aller- der Landesautonomie mit ihrem Grundgesetz, dem muss das Statut mit der Verfassung im Einklang stehen, direkt. Der Landtag kann zwar einen Vorschlag zur Sta- dings mit weit weniger politischer Legitimation und Statut. Die Bürgerschaft könnte das Recht erhalten, politisch benötigt es die Legitimation vor allem seitens tutsänderung vorlegen, doch wenn der Regionalrat mit mangelhafter demokratischer Rückbindung. einen Statutenkonvent, also eine „statutgebende Lan- der Bürgerschaft dieser Region, nicht Italiens. Um Ver- nicht zustimmt, wird jede Initiative gegenüber dem Manche Politikerinnen gehen heute noch von der An- desversammlung“, frei zu wählen. Andernfalls kann

98 99 zumindest der Landtag ein „statutgebendes Mandat“ und Gesellschaft, zum anderen um mehr Mitbestim- Referendum festgeschrieben, sondern nur das „Initia- Mitbestimmungsrechte sollten in diesem Sinn im Auto- erhalten, wie es andere autonome Regionen Europas mungsrechte beim Autonomiestatut selbst. tivrecht der Bürger hinsichtlich der Landesgesetze und nomiestatut verankert werden? pflegen. Abänderungen und vor allem Gesamtrevisio- Wie oben ausgeführt braucht Südtirol die Statutsauto- das Verfahren zur Durchführung der Volksabstimmung 1. Explizite Zulassung der Volksinitiative für sog. Re- nen des zukünftigen Landesstatuts, die von den politi- nomie (autonomia statutaria) oder besser eine Statuts- zur Abschaffung von Landesgesetzen sowie der Volks- gierungsformgesetze (Wahlrecht und direkte De- schen Organen ausgehen, können einem bestätigenden hoheit (sovranità statutaria). Dies gilt in Italien bereits befragung auf Landesebene in Zusammenhang mit der mokratie); Referendum durch die Wählerschaft unterworfen wer- für die Regionen mit Normalstatut. Sie können ihr Re- Billigung von Vorhaben bzw. Projekten.“ (Art. 47, Abs.1 2. Einführung der Statutsinitiative des Landtags und den (wie in den Autonomen Gemeinschaften Spaniens), gionalstatut selbst erstellen, verabschieden und verän- ASt.). Mit dieser Formulierung sind die klassischen des Volksbegehrens der Bürgerschaft zur Änderung weil erst dadurch die unmittelbare politische Legitima- dern, im Rahmen der verfassungsmäßigen Verteilung Grundinstrumente der direkten Demokratie nicht aus- des Statuts; tion durch die Bürger erfolgt. Natürlich braucht es für der Zuständigkeiten zwischen Staat und Regionen. Auch reichend klar benannt, nämlich das bestätigende Refe- 3. Explizite Zulassung des bestätigenden Referen- ein Autonomiestatut und dessen Abänderungen auch wenn das Autonomiestatut von Trentino und Südtirol rendum auf Rechtsakte des Landtags und der Landesre- dums auf alle Landesgesetze und Beschlüsse der das Plazet des Parlaments, andernfalls könnte es nicht per Parlamentsbeschluss Verfassungsrang erhält, kann gierung sowie die Volksinitiative mit Volksabstimmung, Landesregierung von Landesinteresse (gemäß Art. Teil der Verfassung werden. Das Parlament könnte bei es zunächst in der betroffenen Region oder Provinz er- während bei der Billigung von Projekten nur die Volks- 118 Verf.); der Ratifizierung eines abgeänderten Statuts Auflagen stellt werden, und zwar durch den Landtag oder einer- befragung, also ein schwächeres Instrument der Bür- 4. Neufassung des Autonomiestatuts im Art. 104 (Ra- machen und Änderungen verlangen, doch die eigent- statutgebenden Versammlung. Nach der Verabschie- gerbeteiligung, genannt wird, nicht hingegen Initiative tifizierungsrecht bzw. Vetorecht des Landtags bei liche Initiative bliebe der betroffenen Region und ihrer dung durch den Landtag hätte die Abstimmung mit dem und Referendum. Finanzabkommen mit Rom, weitere Mitbestim- Bürgerschaft vorbehalten. Dieses demokratischere Ver- Trentino nzu erfolgen. Bei Auflösung der Region würde mungsrechte des Landtags im Rahmen der neuen fahren funktioniert natürlich besser, wenn die territo- letzterer Schritt entfallen. Dann Weiterleitung des neu- Diese unklare Regelung hat sich sehr nachteilig auf die Staat-Land-Kommission); Volksabstimmungsrechte ausgewirkt, weil der Bürger- riale (Südtiroler) Gemeinschaft eine einzige politische en Statuts ans Parlament, das ihm Verfassungsrang zu 5. Fakultatives bestätigendes Referendum bei Ände- Vertretung hat und nicht „tripolar“ in zwei Provinzen verleihen hat. Wird es dort substantiell abgeändert, bewegung für direkte Demokratie das Hauptdruckmit- rungen des Autonomiestatuts (wie bei Verfassung und eine Region aufgeteilt ist. erfolgt eine erneute Behandlung durch den Landtag tel genommen war: die Volksinitiative zur Regelung und Gemeindesatzungen schon vorgesehen); der direkten Demokratie auf Landesebene. Dies wurde und erneute Ratifizierung durch das Parlament. Dieser 6. Übertragung der Statutshoheit ans Land Südtirol Welche neuen demokratischen Vorschlag folgt dem Grundprinzip der Verhandlungen zwar ein einziges Mal versucht (Landesvolksabstim- mit Ermöglichung einer direkt gewählten statutge- (principio pattizio) zwischen Staat und Regionen mit mung vom 25.10.2009), dann aber von den zuständi- benden Versammlung; Beteiligungsrechte? gen Richtern nicht mehr erlaubt. Dasselbe gilt für das Sonderstatut, in diesem Fall aber als Verhandlungs- und 7. Übertragung der demokratierelevanten Kompe- Landtagswahlrecht: die Bürgerschaft Südtirols kann Territoriale Autonomie und Souveränität der Bürger- Konsenslösung zwischen den Parlamenten auf Landes- tenzen von der Region an die Autonomen Provin- schaft bedingen sich gegenseitig. Je mehr eine Region und Staatsebene. keine Volksinitiative zu diesem Thema einbringen und zen wie z.B. das Gemeindewahlrecht (sofern die autonome Regulierungskompetenzen hat, desto mehr darüber abstimmen. Region weiterbesteht). demokratische Initiative und Kontrolle sollten die -Bür Neue Mitbestimmungsrechte So stellt sich die Notwendigkeit, im neuen Autono- ger ausüben können. Heute ist es mit den Souveränitäts- der Bürgerschaft miestatut verschiedene politische Beteiligungsrechte zu Die Statutsinitiative liegt bei Statutshoheit eines au- rechten der Bürger und Bürgerinnen Südtirols schlecht verankern bzw. besser zu regeln, damit sie in der Lan- tonomen Landes ohnehin beim Land, doch auch eine bestellt. Es gibt kein direktes Initiativrecht des Landtags, Im Rahmen der Verfassungsreform von 2001 sind in desgesetzgebung zum Tragen kommen. Darauf aufbau- Mindestzahl von Bürgern soll das Recht auf Volksbe- kein Vetorecht bei Statutsänderungen, kein Recht der den Regionen mit Sonderstatut neue direktdemo- end kann der Landesgesetzgeber bessere Instrumente gehren zur Änderung des Statuts erhalten. Das Ge- Opposition auf Vertretung in paritätischen Kommissio- kratische Rechte eingeführt worden. In der Region für die direkte Mitbestimmung der Bürger schaffen, genstück zum bestätigenden Verfassungsreferendum nen, keine Mitsprache bei Finanzverhandlungen, kein Trentino-Südtirol ist den beiden autonomen Provinzen sowohl mit Instrumenten der direkten Demokratie (Art. 138 Verf) und zum bestätigenden Referendum bei Initiativrecht der Bürger, kein Referendumsrecht der die Zuständigkeit zur „Regelung der Regierungsform“ (Volksabstimmungsrechte) als auch mit Verfahren der Änderungen der Gemeindesatzungen (R.G. Nr. 11 vom Bürgerinnen. Schon gar nicht gibt es ein Recht auf Ab- übertragen worden. Darunter versteht man vor allem deliberativen Demokratie auf allen Ebenen. Es gilt hier 9.12.2014) wäre das bestätigende Autonomiestatuts- stimmung über die staatliche Zugehörigkeit, aber das ist das Wahlrecht und die Volksabstimmungsrechte, aber gut zu unterscheiden zwischen mehr Partizipation des referendum: Wann immer das Autonomiestatut durch wieder eine andere Ebene. auch das Verhältnis zwischen Landtag und Landes- Souveräns, also der Bürger und Bürgerinnen, bei der das Parlament geändert wird, soll eine Mindestzahl von Somit geht es bei der anstehenden Autonomiereform hauptmann, z.B. eine Direktwahl oder Wahl durch den Änderung des Autonomiestatuts einerseits, und der Bürgerinnen ein Veto einlegen und eine Volksabstim- um zwei Dimensionen der Erweiterung demokratischer Landtag (Vertrauensabstimmung). Im heutigen Artikel bürgerfreundlichen Regelung von Beteiligungs- und mung darüber verlangen können: eine ganz logische Bürgerrechte: zum einen um mehr Spielraum für Demo- 47, Abs. 4, wird allerdings nicht explizit das Recht der Kontrollrechten in der Landes- und Gemeindepolitik Vervollständigung der Bürgerrechte. kratie in Südtirol in verschiedenen Bereichen von Politik Südtiroler Bürger auf Volksinitiative und bestätigendes über Landesgesetze und Gemeindesatzungen. Welche Auch die Position des Landtags kann mehrfach gestärkt

100 101 werden: durch das Recht zur Ratifizierung des Finanz- Mitbürgerinnen neue Formen der politischen Mitwir- rinnen und Konventsmitglieder sicher gehen, dass ihre lung muss – ausgehend von einem klaren Auftrag – frei abkommens mit dem Staat (Art. 104 ASt.), durch ein kung bis hin zum Wahlrecht auf lokaler Ebene einzuräu- gesamte Arbeit auch im Parlament zur Geltung kommt? sein, ohne Beeinflussung durch den Landtag und die Vetorecht mit Zweidrittel-Mehrheit gegen einseitige men, um sie ins politische Leben zu integrieren. Für ein Auch das ist ungeklärt. Parteien, einen Reformvorschlag zu erstellen. Der in Statutsänderungen durchs Parlament, durch ein eigen- solches Wahlrecht muss allerdings der Staat die rechtli- Südtirol nominierte „Konvent der 33“ hat nur acht Mit- ständiges, vom Regionalrat unabhängiges Initiativrecht chen Voraussetzungen schaffen. Mit anderen Worten: die verfassungsrechtlichen Be- glieder als freie Vertreter der Bürgerschaft, 25 wurden zur Abänderung des Autonomiestatuts. Weitere Mög- dingungen für die konkrete Wirksamkeit einer partizi- vom Land ernannt. Damit wurde die Versammlung eher lichkeiten der Stärkung der Position des Landtags im po- Der Autonomie-Konvent: pativen Reform des Autonomiestatuts sind heute nicht zum Ausdruck der Landtagsmehrheit. Auch dies reich- litischen System der Autonomie sind im Kapitel zu den gelungene Bürgerbeteiligung? gegeben. Weder eine Art Beirat, wie derzeit in Südtirol te der SVP als Kontrolle noch nicht: mit fragwürdigen Paritätischen Kommissionen oben ausgeführt worden. und Trentino im Gang, noch ein echter, also direkt von Methoden wurde versucht, auch ins „Forum der 100“ Seit Anfang 2016 arbeitet der mit Landesgesetz einge- den Bürgern gewählter Konvent können das Parlament möglichst viele Parteimitglieder hineinzubeordern. Wählen: Ein Jahr Ansässigkeit setzte „Autonomie-Konvent“ (L.G. Nr. 3 vom 23.4.2015) zur Annahme eines demokratisch legitimierten neuen Darüber hinaus fehlen klare Antrags- und Anhörungs- reicht als neuartiges partizipatives Verfahren zur Reform des Autonomiestatuts veranlassen. Erst eine Änderung der rechte der Bürgerschaft, genauso fehlt eine repräsenta- Autonomiestatuts. Bürgerschaft, soziale und politische italienischen Verfassung, die diesen demokratischen tiven Meinungsumfrage unter der Gesamtbevölkerung Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts zum Kräfte sollen in die Reformdiskussion direkt einbezogen Prozess anerkennt und eine Form der partnerschaftli- sowie ein Monitoring durch den Konvent des nachfol- Südtiroler Landtag ist eine vierjährige ununterbrochene werden und die nachfolgende Debatte und Entschei- chen, gleichberechtigten Verhandlung zur Verabschie- genden parlamentarischen Verlaufs der Reform. Ansässigkeit im Gebiet der Region (im Trentino: ein Jahr, dungsprozesse in den repräsentativen Organen (Land- dung von Sonderstatuten schafft (Statutshoheit, vgl. Bei allen interessanten Neuerungen bietet ein solches Art. 25, Abs. 2 ASt.). Der betroffene Staatsbürger wird in tag, Regionalrat, Parlament) vorbereiten. Doch wird oben), lässt einen echten Konventsprozess zu. Verfahren den Menschen zwar gewisse Möglichkeiten jener Gemeinde ins Wählerverzeichnis eingetragen, in dieser „Konvent“ seinem Namen und diesem Anspruch Doch auch wenn die italienische Rechtsordnung dies zur Artikulation und direkten Beteiligung, also eine Art welcher er oder sie in diesen vier Jahren relativ länger gerecht? noch nicht erlaubt, sieht eine faire und wirkungsvolle Bürgerdialog, doch keine Gewissheit, den politischen ansässig war. Während der vier Jahre Anwartschaft übt Ein solcher Konvent, also eine statutgebende Regional- Partizipation anders aus als der laufende Südtirol-Kon- Entscheidungsprozess wirklich beeinflussen zu können. er das Wahlrecht für den Landtag und im Gemeinderat oder Landesversammlung, ist für Italiens Regionen mit vent, wenn ein solches Organ nicht bloß ein Honora- Für die Überarbeitung des Statuts wird dieser Bürger- in jener Gemeinde aus, in welcher er vorher ansässig Sonderstatut nichts Neues. Zwei Regionen haben ein tiorenbeirat sein soll, der dem Landtag zugeschaltet dialog konkret wenig ausrichten, da die wichtigen Ent- war. Nur Staatsbürgerinnen mit einer ununterbroche- solches Verfahren bereits durchlaufen, das Aostatal und wird. Ein Konvent muss zu einem Mindestmaß die Süd- scheidungen unabhängig davon in anderen Gremien nen Ansässigkeit in der Region von vier Jahren haben Friaul Julisch Venetien (Cisilino 2014, 33-38). Sardinien tiroler Gesellschaft in ihrer Vielfalt und Verfasstheit in fallen. Für einen echten, direkt gewählten Konvent zur dieses Recht. war bestrebt, einen Autonomiekonvent direkt zu wäh- Institutionen, Verbänden und Vereinen widerspiegeln. Reform des Statuts fehlen die verfassungsrechtlichen Diese Ansässigkeitsklausel für das aktive Wahlrecht len, der für den Regionalrat das neue sardische Statut Dies könnte durch die Vertretung der Sozialpartner, der Bedingungen, wie eben eine nach dem Verhandlungs- zur Wahl des Landtags ist inhaltlich überholt. Die Klau- ausarbeiten sollte. Verfassungsrechtliche Winkelzüge Dachverbände, sozialer Vereinigungen und öffentlicher prinzip funktionierende Statutshoheit der autonomen sel wurde ins Autonomiestatut von 1972 eingefügt, haben dieses demokratische Vorhaben bisher vereitelt. Institutionen erfolgen. Landtagsabgeordnete brauchen Region. um zu verhindern, dass Italien durch die willkürliche Doch diese Erfahrungen waren bisher nicht so überzeu- in der Versammlung nicht vertreten zu sein, weil sie oh- Dennoch ist der laufende „Südtirol-Konvent“ auch eine Verlegung von Polizei- und Militäreinheiten die demo- gend: zum einen weil die Bürgerbeteiligung nicht aus- nehin in der Folgephase die Vorschläge des Konvents Chance: Zum ersten Mal treffen sich Südtiroler aus kratischen Mehrheitsverhältnisse im Land verzerren reichend breit ausgestaltet war, zum andern weil die behandeln und weiterleiten. Rechtsexperten kommt in allen Sprachgruppen zu einem längeren politischen könnte. Heute gibt es in Südtirol rund 4.000 Berufssol- Statutsvorschläge im Parlament stecken blieben. einem solchen Beteiligungsverfahren keine tragende, Austausch über zentrale Themen, Grundregeln und daten, die zumeist auch hier leben. Sie bilden maximal Ein Beispiel: 2004 erstellte die Region Friaul Julisch sondern eine unterstützende und beratende Rolle zu. Reformbedarf der Autonomie, unter institutioneller 1% der Wahlberechtigten. Es steht aufgrund gesamt- Venetien mit einem breiter als in Südtirol aufgestell- Ein Expertenstab ohne Stimmrecht kann dem Konvent Schirmherrschaft. Alle interessierten Bürgerinnen konn- gesellschaftlicher Entwicklungen nicht mehr zu be- ten Konvent einen Reformvorschlag für das Autono- zur Seite stehen. ten sich melden und ihre Vorstellungen zur Änderung fürchten, dass der Staat zu Manipulationen dieser Art miestatut, das vom Regionalrat verabschiedet und am Eine noch eigenständigere Bürgerbeteiligung wäre die der Autonomie zumindest in Publikumsveranstaltungen greifen kann. Deshalb kann, wie auch im Trentino per 1.2.2005 dem Parlament vorgelegt wurde. Dort ist es Auswahl und Berufung von einfachen Bürgern und äußern. Damit bietet sich die Chance eines nicht partei- Statut schon vorgesehen, eine ununterbrochene Ansäs- seitdem nie zur Verabschiedung gekommen. Hier zeigt Bürgerinnen durch ein Losverfahren, unter Berücksich- engefilterten Dialogs zwischen Bürgern verschiedener sigkeit in der Region von einem Jahr für die Anreifung sich ein weiterer Konstruktionsfehler im parlamentari- tigung verschiedener Quoten wie Geschlecht, Sprach- Sprachgruppen, die Chance, zu neuen besseren und der Wahlberechtigung in Land und Region ausreichen. schen Verfahren: Warum kann das Parlament die von gruppe und Alter. Solche Bürgerkonvente haben in zeitgemäßeren Regeln im großen Regelwerk der Auto- Südtirol und das Trentino stehen vielmehr vor der Her- autonomen Regionen gewollten Reformansätze 10, 11 verschiedenen Ländern (Australien, Oregon) verfas- nomie zusammenzufinden. ausforderung, den dauerhaft ansässigen ausländischen Jahre aufs Abstellgleis schieben? Wie können die Bürge- sunggebende Versammlungen beraten. Die Versamm-

102 103 Zur Vertiefung den Wirtschaftsstandort Südtirol. Dieser Missstand ist nicht einmal beim Verwaltungsgericht nachzuweisen, nicht nur auf ein überholtes Verfahrensrecht zurückzu- dessen Richterinnen sogar vom Landtag ernannt wer- William Cisilino (2014), Die Versammlung zur Ausarbei- führen, sondern auch auf die chronische Unterbeset- den. Hauptmotiv für die Widerstände in der -Richter tung des neuen Sonderstatuts der Region Friaul Julisch Venetien, in: Thomas Benedikter (Hg., 2014), Mit mehr zung der Gerichte mit Personal und der rückständigen schaft ist vielmehr das zentralstaatliche Denken, das in Demokratie zu mehr Autonomie, SBZ-POLITiS, Bozen, Ausstattung der Gerichte durch das Justizministerium. Italien sowohl bei der Polizei wie beim Justizwesen tief 33-38 So ist Südtirol seit gut 12 Jahren die Hälfte der Plan- verwurzelt ist. Thomas Benedikter (2015), Gaspedal und Bremse – Di- stellen unbesetzt. Aus Spargründen werden keine Son- rekte Demokratie in Südtirol, ARCA-POLITiS, Lavis-Bozen derwettbewerbe ausgeschrieben. Wenn es an quali- Weiteren Widerstand gegen den Übergang der Verwal- Thomas Benedikter (2014), Direkte Demokratie und tung der Gerichtsbarkeit ans Land betreibt aber auch mehrsprachige Gebiete. Ein Vergleich Südtirol-Schweiz, fiziertem Personal fehlt, wird auch die Richterarbeit die Provinz Trient. In Bozen besteht nämlich nur eine POLITiS-Dossier 1/2014, Bozen ineffizienter, wie der ehemalige Präsident des Bozner Sektion des Berufungsgerichts (Oberlandesgericht), Thomas Benedikter (2015), Aspekte eines freien und Landesgerichts Heinz Zanon betont (vgl. Benedikter Landesgericht Bozen kein völlig eigenständiges Oberlandesgericht. Die Ver- fairen Wahlrechts. Gesetzentwürfe zur Reform des 2014, 91). Die relativ teure Richterarbeit wäre mit mehr Wahlrechts für den Südtiroler Landtag im Vergleich, waltung dieses Gerichts wird vollständig über das Ober- Assistenzpersonal, aber auch mehr Richtern effizienter, POLITiS-Dossier 8/2015, Bozen Die Verwaltung andesgericht Trient organisiert. Somit ist das wichtigste Richter könnten sich stärker spezialisieren, die Verfah- der Gerichte ans Land? Gericht der Region in Trient angesiedelt und wird der- ren könnten schneller ablaufen, der Aufwand rationa- zeit massiv ausgebaut. Auch alle anderen Gerichte sind lisiert werden. Dabei ist auch die Mindestgröße eines Die Gerichtsbarkeit ist in Italien traditionell sehr zentra- verwaltungsmäßig an Trient angekoppelt. Gerichts von Bedeutung, die nach Schließung der Be- listisch geregelt. Das Justizministerium in Rom steuert zirksgerichte auch schon am Bozner Landesgericht er- das Justizwesen im ganzen Staat, und zwar nicht nur Nur ein eigenes Oberlandesgericht würde diese verwal- reicht wird. Aufbau und Organisation, Personal und Laufbahnen von tungsmäßige Abhängigkeit von Trient beseitigen, wobei Richtern und Staatsanwältinnen, sondern auch die Or- die Verwaltung direkt vom Land Südtirol übernommen Nun wäre die Autonome Provinz Bozen durchaus funk- ganisation des Gerichtswesens vor Ort ist hierarchisch werden könnte. Dies würde zwar neue Aufgaben und tionell und personell in der Lage, die Gerichtsbarkeit nach Rom orientiert. Muss dies so sein? Es gibt wenig damit auch neuen Personalaufwand mit sich bringen, in Südtirol zu übernehmen. Gegen den Übergang der Zweifel daran, dass das Zivil- und Strafrecht staatsweit wäre aber eine der Autonomie des Landes entspre- Verwaltung der Gerichtsbarkeit – nicht der Richter und einheitlich geregelt sein muss und dies gilt auch für das chende optimale Lösung, vor allem hinsichtlich der Staatsanwälte, die ausschließlich dem Justizministe- Straf- und Zivilprozessrecht. Allerdings gibt es durch- Organisation der Zweisprachigkeit. Allerdings ist Trient rium zugeordnet blieben – wehren sich nicht nur die aus Regionalautonomien, die auch in diesem Feld Zu- strikt dagegen, und zwar sowohl die Autonome Provinz Richterinnen, sondern auch ein Teil der betroffenen ständigkeiten wahrnehmen, wie z.B. Katalonien und als auch die Richter des Oberlandesgerichts. Zum einen Personals der Gerichte. Dabei könnten die Arbeitsbe- Schottland. Im Allgemeinen ist in jedem Rechtsstaat befürchtet man, das eigene Oberlandesgericht an Vero- dingungen mit größter Wahrscheinlichkeit verbessert die Gerichtsbarkeit eine getrennte und unabhängige na zu verlieren; zum anderen, dass die Richter für ihre werden. Die heutige Beamtenschaft müsste nicht be- Staatsgewalt, und zwar auf allen Ebenen, somit eine gesamte Berufstätigkeit in Bozen verbleiben müssen. fürchten, versetzt zu werden, im Gegenteil. Außerdem neutrale Entscheidungsinstanz. Aus diesem Grund wird Wie manche Laufbahnen von Richtern und Staatsan- bieten sich Chancen, die Zweisprachigkeit der Gerichte für eine vollständige Territorialautonomie kein regional wälten beweisen, ist dies allerdings nicht der Fall. Auch zu vervollständigen. eigenständiges Gerichtssystem für nötig erachtet. bei getrennten Oberlandesgerichten müssten Karrie- ren, Wettbewerbe, Fortbildungstätigkeiten nur entspre- Aus der Sicht mancher Richter ist der Staat als einzige Etwas anderes ist die Verwaltung der Gerichtsbarkeit chend anders geregelt werden. Kurz: in dieser Frage hat Instanz in der Lage, die Justiz staatsweit zu organisie- vor Ort, die in Italien bekanntlich im mancher Hinsicht sich vor der eigentlichen Autonomiereform die Provinz ren. Es gibt Befürchtungen, dass die Justiz allein schon im Argen liegt. Italien ist bekannt für seine überlange Trient gegen Südtiroler Interessen durchgesetzt. Die durch eine autonome Verwaltung auf regionaler Ebene Prozessdauer und seinen schwerfälligen Justizapparat, Landesautonomie bleibt bei der Gerichtsverwaltung durch die Politik beeinflusst werden könnte. Gäbe es und darunter leidet auch Südtirol. Dies wirkt sich nicht auf der Strecke. Anscheinend hat sich die SVP Proporz- diese Gefahr, wäre sie dann nicht auf nationaler Ebene nur auf die Gesamtqualität eines für die Bürgerschaft für diesen Teil autonomer Zuständigkeit vermeintlich noch stärker? In Südtirol ist eine solche Beeinflussung wichtigen öffentlichen Dienstes aus, sondern auch auf übergeordneten Sachzwängen untergeordnet.

104 105 der Proporz bei den Lokalkörperschaften genau einge- ten. Es kam zu einem circulus vitiosus: Auf den Ver- halten, bei den Staatsstellen hingegen ist die Stellen- trauensentzug seitens der SVP gegenüber den meist besetzung gemäß Proporz noch nicht erreicht (ASTAT- untereinander zerstrittenen italienischen Rechtsparteien Info Nr. 3/2016). Die unterschiedliche Wahrnehmung reagierten viele Italienischsprachige mit Resignation des Proporzes abseits der Fakten ist auch ein politisches und Wahlabstinenz. Die sinkende Wahlbeteiligung in Problem. der italienischen Sprachgruppe wurde einerseits durch die allgemeine Misere der italienischen Politik erklärt, Politisch im Schmollwinkel eine italienweite Reaktion auf die Unfähigkeit und Pri- vilegienfixiertheit der „Politikerkaste“. Andererseits ist Ist somit der bekannte „disagio“ (Unbehagen) der Itali- man von den italienischen Koalitionspartnern der SVP ener Südtirols verflogen? Hat sich dieses angeblich weit zusätzlich enttäuscht, weil sie nicht „in würdiger Weise verbreitete Unbehagen der italienischen Sprachgruppe die Interessen der Italiener zu verteidigen wissen“ (Del- im autonomen Südtirol mittlerweile aufgelöst? Wenn le Donne, ALTO ADIGE, 13.4.2016). 10 nicht, woran liegt es und was hat es mit der politischen Verfassung Südtirols zu tun? Die Bedeutung von „dis- Sozialer „disagio“ Eine neue agio“ schwankt zwischen einem rein subjektiven Ge- der Italiener Südtirols? fühl und einer objektiven Gegebenheit. Meist handelt es sich um einen subjektiv empfundenen Nachteil, der Im sozialen Bereich steht der „disagio“, sofern noch vor- „ethnische Konkordanzregel“ dann einer ganzen Sprachgruppe zugeschrieben wird handen, auf sandigem Grund. So ist nicht nur erwiesen, (Atz 2012, 151-177). Häufiger Anlass für das Lamen- dass der Proporz bei den Stellen im öffentlichen Dienst für die Politik to waren früher zentrale Bestimmungen des Autono- insgesamt noch gar nicht erreicht worden ist, sondern miestatuts wie der Proporz und die Pflicht zur Zwei- sich mehr und mehr als für die italienische Sprachgrup- Eine der wesentlichen Aufgaben des Statuts ist – neben dem Schutz der sprachlichen bzw. ethnischen Minderhei- sprachigkeit im öffentlichen Dienst. Weitere Anlässe pe durchaus nützliche Quotenregelung erweist. Bei ten - die Organisation des Zusammenlebens der Sprachgruppen. Wie beurteilt die Südtiroler Bevölkerung aller boten vermeintliche Zeichen politischer Ausgrenzung, freiem Wettbewerb um öffentliche Stellen mit strengen Sprachgruppen das Zusammenleben 44 Jahre nach Inkrafttreten des 2. Autonomiestatuts? Im 2. Abschnitt des symbolpolitische Fragen wie die Ortsnamen, die Beset- Zweisprachigkeitskriterien könnte die Verteilung auch Statuts (Organe der Region und der Provinz), im 3. Abschnitt zur Bildung der Gesetze und auch im 4. Abschnitt zung von Führungsfunktionen bei öffentlichen Körper- anders aussehen. (Örtliche Körperschaften) sind die Regeln des Zusammenwirkens der Sprachgruppen auf politischer Ebene fest- schaften und schließlich die italienische Präsenz in den gelegt. Entsprechen diese Regeln noch dem heutigen Verständnis von ethnischer Vertretung und demokratischer Wie eine aktuelle Studie aufzeigt, haben italienischspra- politischen Vertretungsorganen. Was ist dran? Konkordanz? Befördern sie das friedliche Zusammenleben oder sind Innovationen gefragt? chige Südtiroler im Durchschnitt in Südtirol ein höheres Über 30 Jahre lang hatten die Italiener Südtirols mehr- Netto-Äquivalenz-Haushaltseinkommen als Deutsch- Proporz: Meinungen gehen aus- Betrachtet man die Bewertung einzelner Aspekte heitlich eher autonomiefeindliche oder zumindest au- sprachige (Gaismair-Gesellschaft/APOLLIS 2016). Zu- einander der Autonomie, wie etwa die Mehrsprachigkeit, den tonomieskeptische Parteien gewählt, die als Koalitions- dem ist die Arbeitslosigkeit in Südtirol im inneritalieni- Zweisprachigkeitsnachweis und den Proporz, wird das partner der deutschen Mehrheitspartei SVP nicht in schen Vergleich am niedrigsten. Dank Autonomie haben Ganze 7% der Bevölkerung sehen darin noch ein Prob- Bild nach Sprachgruppen differenzierter. Immerhin 71% Frage kamen. Aufgrund der Regelung von Art. 50 ASt. Italienischsprachige wie alle Südtiroler Zugang zu einem lem, fast 31% meinen, es gäbe zumindest weniger Pro- der Italienischsprachigen sind der Auffassung, dass die muss die Landesregierung in ihrer ethnischen Zusam- relativ hohen Sozialleistungsniveau und zu gut ausge- bleme als früher, 35% empfinden das Zusammenleben starre Anwendung des Proporzes in einem „Europa mensetzung der Stärke der Sprachgruppen im Landtag bauten öffentlichen Diensten. Wenn Italiens Rankings als Bereicherung (ASTAT-Sprachbarometer 2014, 171). ohne Grenzen“ überholt sei. Bei den Deutschsprachi- entsprechen. Unter dieser Vorgabe sind die Parteien zu Sozial- und Umweltstandards Südtirol immer wieder Insgesamt beurteilen 41,2% der Südtiroler das Zusam- gen meinen dies nur 11%, bei den Ladinern 9% (ASTAT- bei der Bildung der Landesregierung völlig frei, d.h. die an Spitzenpositionen führen, kommt dies der gesamten menleben als gut, 41,4% nur als zufriedenstellend. Für Sprachbarometer 2014, 174). Fast 71% der italienischen deutsche Mehrheitspartei kann sich ihre italienischen Bevölkerung zugute. Die dank des besonderen Finanzie- die Autonomieverwaltung somit kein schlechtes Zeug- Sprachgruppe glaubt, dass der Proporz die deutsche Koalitionspartner beliebig aussuchen. rungssystems der beiden autonomen Provinzen üppig nis, sofern man den Erfolg auch am sozialen Frieden Sprachgruppe begünstige. Das meinen allerdings auch ausgestatteten öffentlichen Haushalte haben mit dafür und der Qualität des Zusammenlebens misst. Dieser 34% der Deutschsprachigen. Ein offensichtliches Miss- So verbreitete sich der Eindruck, dass die Italienisch- gesorgt, dass Südtirol zur wohlhabendsten „Region“ Ita- positive Befund zieht sich durch alle Sprachgruppen. verständnis, denn – wie in Kap. 6 ausgeführt – wird sprachigen in Südtirol auf politischer Ebene nicht zähl- liens gemäß BIP pro Kopf aufgestiegen ist. Eine soziale

106 107 Benachteiligung einer ganzen Sprachgruppe kann so- prägte „Thomas-Theorem“. Diese Wahrnehmung, gleich Bewusstsein, dass es Italien im Allgemeinen schlechter wenn sie im Gemeinderat mit wenigstens zwei Räten mit schwerlich bewiesen werden. ob durch objektive Umstände begründet oder nicht, hat geht und die Lebensqualität in Südtirol in vielfacher Hin- vertreten ist. Kann der zahlenmäßige Rückgang der italienischen dann reale Konsequenzen im sozialen und politischen sicht besser ist. Wie vom ASTAT repräsentativ erhoben Die bestimmende Kraft auf Landes- und Gemeindeebe- Sprachgruppe den „disagio“ mitverursacht haben? Verhalten einer Person. Subjektive Wahrnehmung und (ASTAT, Sprachbarometer 2014, 191), wird das Zusam- ne ist seit 1948 die SVP. Diese „folgt der Logik jeder Ko- Kaum, denn dieser Anteil liegt seit 2001 ziemlich stabil Beurteilung – so Max Haller (ASTAT Sprachbarometer menleben der Sprachgruppen in Südtirol trotz diver- alitionsbildung, nämlich schwächere Koalitionspartner bei 26%. Zudem ist die Hauptursache für den Rück- 2014, 167) – sind immer auch davon abhängig, mit wel- gierender territorial-ethnischer Identifikationen von zu bevorzugen, solange sie zur nötigen Mehrheit im gang ein demografischer, kein unmittelbar politisch chen anderen Personen und sozialen Gruppen man sich klaren Mehrheiten aller drei Gruppen positiv beurteilt. Landtag verhelfen.“ (Atz 2013, 162). Dies war bisher die bedingter Umstand: der Großteil der italienischen vergleicht. Man muss dies auch als Erfolg der 44 Jahre Autonomie traditionell autonomiefreundlichere Mittelinks-Kraft Sprachgruppe ist auf die Städte konzentriert, wo die Auch die Zeit spielt dabei eine Rolle, denn oft ist nicht werten, denn eine solche Zufriedenheit ist nicht in allen PD, deren Stimmenanteil bei bestenfalls 30% der italie- Geburtenfreudigkeit allgemein niedriger ist (Atz 2012, die momentane Situation ausschlaggebend, sondern die Regionalautonomien feststellbar. nischen Wählerschaft liegt (Atz 2013, 163). Dieser Um- 159). Eine italienische Frau in Bozen hat im Durch- erfolgte oder nicht erfolgte Veränderung einer Situati- stand wurde von vielen Italienerinnen als Missachtung schnitt nur ein Kind, ein gutes Drittel der Italiener on. Obwohl Südtirol im Vergleich mit Italien eine durch- Neue Spielregeln des italienischen Wählerwillens gedeutet, die zum be- Südtirols sind Rentner. Dazu kommt ein gewisser An- schnittlich hohe Lebensqualität zu bieten hat, fühlt sich für die politische Vertretung rüchtigten „disagio“ beitrug. teil an nicht zutreffenden Zugehörigkeitserklärungen ein Drittel der Bewohnerinnen benachteiligt, weil man in der Sprachgruppen? Über 30 Jahre lang haben die Italiener Südtirols, als Re- von Personen italienischer Muttersprache, die sich als mancher Hinsicht noch nicht auf demselben Niveau wie aktion auf die Umsetzung der neuen Autonomie, Par- „erklärter Deutscher“ oder Ladiner mehr Chancen auf eine andere soziale Gruppe oder das Nachbarland steht. Doch bleibt ein wichtiger Bereich zu klären: Warum teien gewählt, die dieser Autonomie ablehnend oder eine Stelle im öffentlichen Dienst ausrechnen. So sehen sich sage und schreibe 69% der italienischen fühlt sich die Mehrheit der Italienischsprachigen in Süd- skeptisch gegenüber standen. Dieses Wahlverhalten Hängt das Unbehagen mit der Notwendigkeit der Be- Sprachgruppe in der Südtiroler Arbeitswelt als „benach- tirol politisch ausgegrenzt? Die Beteiligung der Sprach- „zwang“ die SVP förmlich, italienische Koalitionspartner herrschung der zweiten Landessprache zusammen? teiligt“, in der öffentlichen Verwaltung und in der Politik gruppen an den politischen Organen wird vom Autono- zu wählen, die die Autonomie akzeptierten, aber nur Die Gleichstellung der Sprachen und die Pflicht zur und Gesellschaft ebenso fast 60%. Vielleicht, weil man miestaut genau geregelt, bildet gar einen Kernabschnitt eine Minderheit der italienischen Abgeordneten stell- Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst ist eine der aktuelle Entwicklungen an Zuständen in der Vergangen- des Statuts (Abschnitt II, 2. Kapitel, Art. 47-60 ASt.). In ten. So kam in den 44 Jahren 2. Autonomiestatut immer Grundsäulen der Autonomie, aus einem mehrspra- heit misst statt an demokratisch vereinbarten Regeln. Südtirol werden die Gemeinderäte und der Landtag eine auf ein gemeinsames Programm gestützte Regie- chigen Land wie Südtirol nicht wegzudenken. Wie in So hängen heutige Gefühle der Benachteiligung mit Er- nach reinem Verhältniswahlsystem ohne Mindesthür- rungskoalition zustande, nie eine bloß „ethnische“. Kap. 5 ausgeführt, wäre die Nichteinhaltung der Zwei- wartungen für die Zukunft und Vergleichsmaßstäben von den (Ausnahme: Gemeinde Bozen) in ungeteilten Wahl- Dennoch sank die Wahlbeteiligung der italienischen sprachigkeitspflicht ein weit gravierender Grund für gestern zusammen. Wenn das Erlernen der zweiten Lan- kreisen gewählt. Dieses Wahlrecht bietet auch kleinen Sprachgruppe bei den letzten Wahlgängen zum Land- die Unzufriedenheit, nicht der für die Einstellung in dessprache als Zumutung und eine Quotenregelung als politischen Gruppen eine Chance auf Vertretung und tag kontinuierlich. Sie ist in der Amtsperiode 2013-2018 den öffentlichen Dienst eines mehrsprachigen Landes Einschränkung empfunden wird, kann sich eine solche kann die ethnisch-sprachliche Vielfalt am besten abbil- mit nur mehr fünf Abgeordneten vertreten, während erforderliche Zweisprachigkeitsnachweis. Aber nur Einstellung bilden und zu einer realitätsresistenten Ein- den. Die Ladiner haben Anrecht auf mindestens einen 1973 noch 11 auf 34 Abgeordnete italienischer Mut- 14% der Italienischsprachigen geben an, dass sie in schätzung der Autonomie führen. Sitz im Landtag, unabhängig von den erzielten Stimmen. tersprache waren. Die Italienischsprachigen konnten einer öffentlichen Einrichtung in Südtirol schon ein- Sitzen zwei Ladinerinnen im Landtag, hat die Sprach- deshalb nur mehr einen Landesrat stellen, gleich viele mal ihre Muttersprache nicht verwenden konnten Wird es diesen „disagio“ weiterhin geben? Wie schätzen gruppe das Recht auf einen Landesrat. Der in Südtirol wie die Ladiner mit 20.000 Angehörigen. Während die (ASTAT Sprachbarometer 2014, 186), während es in die Sprachgruppen die Entwicklung des Zusammenlebens im Unterschied zum Trentino nicht direkt gewählte Lan- deutsche Sprachgruppe (69,41% der Bevölkerung) 83% der deutschen Sprachgruppe 60% sind. Deutschspra- der drei Sprachgruppen in der Vergangenheit und Zukunft deshauptmann braucht das Vertrauen des Landtags als der Abgeordneten stellt, sind nur 14% der Landtagsab- chige müssen in Krankenhäusern, bei Gericht, Polizei, ein? Rund ein Viertel der Bevölkerung sieht in den letz- Ganzem, nicht der einzelnen Sprachgruppen. Gemäß geordneten Italiener trotz eines Bevölkerungsanteils Gemeinde Bozen und im öffentlichen Nahverkehr ten fünf Jahren (2009-2014) eine Verbesserung des Zu- Statut gilt das Recht auf Vertretung der Italiener in der von 26,06%. Allerdings ist das demokratische Spiel frei: weit häufiger die Erfahrung machen, dass die spätes- sammenlebens und ein Drittel erwartet sich eine weite- Landesregierung, denn einer der LH-Stellvertreter muss jeder wählt, wen er will, und längst haben sich intereth- tens seit 1988 streng kodifizierten Bestimmungen zur re Verbesserung in der Zukunft. Für die Mehrheit ist das ein Italienischsprachiger sein. Die italienischsprachigen nische Parteien gebildet, für die die Sprachgruppe der Zweisprachigkeit nicht eingehalten werden. Zusammenleben ziemlich stabil. Für die Zukunft sind die Regierungsmitglieder müssen jedoch nicht die Mehr- Kandidaten zweitrangig ist. Es ist vor allem die Wahrnehmung einer Situation, Italienischsprachigen weit optimistischer als die deutsche heit der italienischen Sprachgruppe vertreten. die das Handeln der Menschen beeinflusst, nicht un- Sprachgruppe und die Ladiner (ASTAT Sprachbarometer Auch in den Gemeinden gibt es eine „ethnische Pflicht- Auf Gemeindeebene stellte die deutsche Sprachgrup- bedingt die reale Situation an sich. Das besagt das 2014, 179). Die italienische Sprachgruppe steht der Auto- vertretung“. Gemäß Art. 61 ASt. hat jede Sprachgruppe pe 2015 102 Bürgermeister und 14 Vize-Bürgermeister, vom amerikanischen Soziologen W.I. Thomas ge- nomie heute aufgeschlossener gegenüber, besonders im das Recht, im Gemeindeausschuss vertreten zu sein, die Ladiner 6,7% der Gemeinderäte insgesamt, aber in

108 109 Tab.6 – Stimmenanteile der regierungsbildenden Parteien im Südtiroler Landtag Pflichtvertretung der Sprachgruppen in der Landesre- Einen weiteren „Konstruktionsfehler“ in der Südtiro- gierung (bei Ladinerinnen nur unvollständig) müsse zu ler Autonomie zum Schaden des politischen Zusam- Landtags- SVP DC/PPI, Cen- PSI/PSDI PDS/PD Anteil ital. Koaliti- Anteil Landes- einer ethnischen Konkordanz ausgeweitet werden, da- menwirkens der Sprachgruppen ortet Günther Pal- wahlen tro onspartner regierungs- mehrheit mit die Mehrheit aller Sprachgruppen in der Exekutive laver (Pallaver, 2012, 217) im Entscheidungsmodus 1973 56,4 14,1 5,6 19,7 76,1 präsent ist. der Landesregierung. Kein politischer Sachbereich ist 1978 61,3 10,8 2,3 13,1 74,4 Der Historiker Giorgio Delle Donne schlägt vor (ALTO einer Sprachgruppe exklusiv zugeordnet, obwohl den 1983 59,4 9,6 3,9 13,5 72,9 ADIGE, 13.4.2016), in Gemeinderäten, in welchen zwei Sprachgruppen in der Verwaltung der Assessorate für 1988 60,4 9,1 4,0 13,1 73,5 Italiener sitzen, jenen in den Ausschuss zu berufen, der Schule und Kultur Eigenständigkeit eingeräumt wird. 1993 52,0 4,4 2,9 7,3 59,3 mehr Stimmen erzielt hat. Es sollte nicht mehr die Re- Die Entscheidungen in der Landesregierung fallen nach 1998 56,6 4,5 3,5 8,0 64,6 gel gelten, dass die politisch dominante Kraft sich den dem Mehrheitsprinzip, nicht nach dem Konsensprin- 2003 55,6 3,7 3,8 7,5 63,1 politischen Vertreter der anderen Sprachgruppe für zip. Nun werden zwar über 90% der Beschlüsse in der bestimmte Regierungsämter beliebig aussuchen darf, Landesregierung einstimmig getroffen, doch in einigen 2008 48,1 6,0 6,0 54,1 sondern die jeweils repräsentativere Kraft müsse zum Fragen hat die deutsche Mehrheit die italienische Min- 2013 45,7 6,7 6,7 52,4 Zug kommen. Ansonsten würde sich die Mehrheit einer derheit überstimmt, wie z.B. bei der Einführung der Quelle: Südtiroler Landesregierung Sprachgruppe immer ausgeschlossen fühlen. In diesem 5-Tage-Woche in der Schule. Den Immersionsunterricht Sinn müssten in der künftigen Landesregierung nicht hat die SVP dem Koalitionspartner nicht gewährt, weil nur 15 Gemeinden, in denen sie überhaupt vertreten sen, da dort auch auf der Direktionsebene die Anteile nur Landesräte der deutschen Mehrheitspartei sitzen, sie ihn für die deutsche Schule ablehnt, begrüßt in der sind. Die Italiener stellen 8,8% der Gemeinderatsmit- der Sprachgruppen ziemlich genau dem Proporz ent- sondern auch jene italienischen Landesräte, die zusam- Zwischenzeit aber selbst die Einführung des CLIL in der glieder insgesamt in 34 Gemeinderäten, in welchen sprechen (Atz 2013, 165), ganz zu schweigen von der mengenommen die Mehrheit der italienischen Land- Oberschule. die italienische Sprachgruppe überhaupt präsent ist. 6 Staatsverwaltungen, wo der Proporz noch nicht erreicht tagsabgordneten vertreten (der italienischen Sprach- Bürgermeister, 7 Vizebürgermeister und 45 Gemeinde- ist und anteilsmäßig mehr Italienerinnen Führungspo- gruppe im Landtag). Favor minoritatis oder referenten gehörten 2015 der italienischen Sprachgrup- sitionen besetzen. Ein anderes Bild gibt es dagegen bei Diese Regelung, die im Autonomiestatut festgeschrie- neue ethnische Konkordanz? pe an. In zehn dieser 34 Gemeinden ist die italienische den Verwaltungsräten der öffentlichen Körperschaften ben werden müsste, hätte auch Nachteile. Eine ethni- Damit zurück zur Ausgangsfrage, ob das Autonomiesta- Sprachgruppe mit einem einzigen Rat vertreten, was ihr und öffentlich kontrollierter Gesellschaften. Von 16 sche Konkordanz erschwert eine politische Konkordanz, tut im Sinn von mehr ethnischer Konkordanz geän- laut Autonomiestatut nicht das Recht auf Vertretung im Verwaltungsratsvorsitzenden waren 2013 11 deutscher weil sich mehrere, auch ideologisch entferntere Koaliti- dert werden muss, um allen Sprachgruppen ein aus- Ausschuss gibt. und 3 italienischer Muttersprache. Dies hängt allerdings onspartner auf ein Regierungsprogramm einigen müs- eher mit der parteipolitischen Dynamik zusammen. reichendes oder gerechtes Maß an Beteiligung in der Mit ein Grund für die schwache Vertretung der Itali- sen. Was in der Schweiz als „Zauberformel“ gilt, nämlich Wichtige Ämter in öffentlichen und im halböffentlichen politischen Verantwortung zu sichern. Wie eingangs enischsprachigen ist auch die beträchtliche Aufsplit- die Bildung der Regierung mit Vertretern aller stimmen- Bereich werden auch in Südtirol vorwiegend nach Par- erwähnt, beruht Südtirols Autonomie auf dem Sprach- terung der italienischen Parteienlandschaft in kleine stärksten Parteien, könnte in Südtirol die Bildung einer teibuchlogik besetzt (Nominierung durch die Landesre- gruppenprinzip. „Südtirols Gesellschaft zerfällt in klar Gruppen. Weil das Autonomiestatut die Besetzung der handlungsfähigen Regierung behindern. Dem Unbeha- gierung ohne Wettbewerb), und dafür findet sich im- abgegrenzte Subgesellschaften, die sich ethnisch defi- Landesregierung (Art. 50, Abs. 2) und der Gemeinde- gen in der italienischen Sprachgruppe, politisch nicht mer eine reiche Auswahl in der SVP. nieren und zwischen denen die Kommunikation redu- ausschüsse nach dem Verhältnis der gewählten Vertre- ausreichend vertreten zu sein, wäre aber abgeholfen. ziert ist“ (Pallaver, POLITIKA 2012, 213). Man könnte ter pro Sprachgruppe bemisst, sitzt in der 8-köpfigen Eine Alternative schlägt das Forum Open Democrat sagen: Das Wahlverhalten und die politische Selbstor- Landesregierung nur mehr ein Italiener, also ein Achtel, Ethnische Konkordanz (Open Democrat 2016, 8) des PD vor: Bei der Vertretung ganisation der Bürgerschaft bildet den Wunsch nach obwohl die italienische Sprachgruppe mehr als ein Vier- als Ausweg? der Sprachgruppen in politischen Gremien, also der Er- eigenständiger Vertretung der Sprachgruppen ab, wo- tel der Bevölkerung stellt. nennung der Gemeindeausschüsse und der Landesre- Aus diesem Umstand leiteten einzelne Abgeordnete bei sich immer wieder ein Teil der Parteien als intereth- gierung, sollte ein favor minoritatis gelten. Die Sprach- Oft wird als Symptom für eine angebliche Benachteili- (vgl. Gespräch mit A. Urzì in diesem Band) die Forderung nisch versteht und dieses Selbstverständnis auch in un- gruppen, die im entsprechenden Organ die Minderheit gung auch die geringe Präsenz von Italienischsprachi- ab, dass entweder der italienische Koalitionspartner terschiedlichem Maß auch umsetzt. In diesem Kontext bilden, sollten eine nach oben aufgerundete Anzahl an gen bei Führungsfunktionen im öffentlichen Dienst und die Mehrheit der Sprachgruppe vertreten muss oder gibt das Autonomiestatut eine Machtteilung zwischen Vertretern haben, wie dies derzeit für die Vertretung bei Gesellschaften im öffentlichen Eigentum angeführt. ein zusätzlicher Koalitionspartner in die Regierungsko- den politischen Kräften der Sprachgruppen vor, die auf der ladinischen Sprachgruppe in der Landesregierung Dies lässt sich für die Landesverwaltung nicht nachwei- alition aufgenommen werden muss. Die bestehende einigen Grundregeln aufbaut: freiwillig gehandhabt wird.

110 111 • Alle Sprachgruppen werden je nach Stärke der frei beta Verlag, Meran Proporz, auf eine Erklärung, die nicht der Wahrheit gewählten Volksvertretung an der Regierung und in entspricht. Wenn wir über eine Autonomiereform Giorgio Delle Donne (2016), Convenzione, un’analisi, Gemeindeausschüssen beteiligt. una proposta. ALTO ADIGE, 13.4.2016 sprechen, müssen wir den Mut aufbringen, diese Fra- • In Fragen, die nur die eigene Sprachgruppe betreffen, gen anzusprechen, nicht nur die Vollautonomie. Günther Pallaver (2012), Transformationsprozesse der besteht Entscheidungsautonomie, in der Schulpolitik Südtiroler Autonomie 1972-2012. Konfliktlösungsmo- allerdings nur eingeschränkt. dell, Konkordanzdemokratie, Parteien, in: G. Pallaver Eine Gruppe von Trentiner Rechtsprofessoren hat • Die proportionale Vertretung in den Kollegialorga- (Hg.) POLITIKA 12. Jahrbuch für Politik, 205-240 vorgeschlagen, die Region in eine Körperschaft um- zuwandeln, die nur mehr die Zusammenarbeit zwei- nen der öffentlichen Körperschaften ist gesichert, bei Hermann Atz (2012), Gegeneinander, Nebeneinander, Führungsfunktionen in andern öffentlichen Gesell- Miteinander: wie haben sich 40 Jahre Autonomiestatut er eigenständiger Regionen Bozen und Trient organi- auf das Zusammenleben der Volksgruppen in Südtirol schaften allerdings nur unzureichend (Parteibuch- siert. Was halten Sie davon? ausgewirkt? in: G. Pallaver (Hg.) POLITIKA 12. Jahrbuch Urzì: Ich bin nicht einverstanden, im Gegenteil. Es steht wirtschaft vor Wettbewerbsprinzip). für Politik, 205-240 • Wenn es um die Wahrung zentraler Interessen einer zu überlegen, ob man der heutigen Region nicht wie- Hermann Atz (2013), Was ist dran am disagio der ita- der einige Zuständigkeiten zurückgeben soll. Die Regi- Sprachgruppe geht, hat jede Sprachgruppe ein Veto- lienischen Volksgruppe? in: POLITIKA 13, Raetia, Bozen Mehrheit und Minderheit recht (Ladiner im Landtag noch unzureichend). in die Regierungsverantwortung on sollte eine nicht nur formale Rolle spielen, sondern Open Democrat (2016), Überlegungen und Vorschläge • Bestimmte öffentliche Ressourcen werden nach echte Aufgaben übernehmen, wenn sie eine Existenz- zur Reform des Autonomiestatuts der Region Trentino- Gespräch mit L.Abg. Alessandro Urzì berechtigung haben soll. Die Väter des Autonomiesta- Sprachgruppenproporz (Stellen im öffentlichen Südtirol, Bozen. URL: http://opendemocrat.net/wp- (L‘Alto Adige nel Cuore) Dienst) oder kombiniert nach Bedarf und Proporz content/uploads/2016/04/autonomiereform.pdf tuts haben die Region als Ort der Integration verschie- (sozialer Wohnbau) vergeben. Die italienische Sprachgruppe scheint wenig geneigt, dener Sprach- und Kulturgemeinschaften geschaffen. die Linie der Vollautonomie, wie von der SVP vorge- Das Gleichgewicht zwischen den Sprachgruppen ist Diese vom Autonomiestatut vorgegebenen Grundre- schlagen, zu übernehmen. Wie stellen sich die italie- jedoch abhandengekommen. Das Trentino steht für geln haben sich im Großen und Ganzen bewährt. Doch nischen Mitte-Rechts-Kräfte zu dieser Forderung? sich, und Südtirol steht unter der Fuchtel der SVP, die die oben erläuterte „ethnische Konkordanz“ in der Bil- Urzì: Muss eine Reform der Autonomie unbedingt sich nicht als Territorialpartei betrachtet, sondern als dung der Landesregierung, der Ausbau der Gruppenau- eine Erweiterung der Zuständigkeiten beinhalten? Das ethnische Partei. Dies ist der wunde Punkt. Die Reform tonomie der drei Sprachgruppen bezüglich Schule und wäre eine eingeschränkte Sicht der Dinge. Die Vollau- des Autonomiestatuts muss davon ausgehen, nämlich Kultur und der „favor minoritatis“ könnten die beste- tonomie ist grundsätzlich eine Art interner Selbstbe- dass wir noch immer nicht zu einer Territorialautono- henden Regelungen vervollständigen, sind aber wiede- stimmung. Wir sind zwar in einen breiten EU-Rahmen mie geworden sind. Karl Zeller hat bezüglich der Re- rum mit Nachteilen für die Regierbarkeit verbunden. In eingefügt, doch dieses Konzept führt zur Schaffung ei- gion einmal bemerkt, man müsse sie in einen Teesa- dieser Situation kann auch ein freiwilliger Akt der Kon- ner Gebietseinheit, die nicht nur autonom ist, sondern lon verwandeln. Im Kern ist der Regionalrat das heute kordanz gesetzt werden, also eine ethnisch breitere Re- sich vollständig selbst regiert, also einen Staat im Staat schon. Die Region ist ein Bankomat für die Provinzen, gierungsbildung ohne gesetzlich-statutarischen Zwang, schafft. Müssen wir, um die Autonomie auszubauen, die ihre Bezüge beheben. Die Verwaltungsfunktionen wie eben die „Zauberformel“ in der Schweiz, die kei- wirklich eine Einkaufsliste anlegen, um dem Staat und sind übertragen worden, ihr Budget wird aufgeteilt. nem Gesetz entspringt, sondern der politischen Kultur der EU die wenigen noch verbliebenen Zuständigkei- Die Region hat nur mehr minimale Regelungsaufga- dieses Landes. ten abzunehmen? Oder muss man nicht vielmehr das ben. Wir diskutieren dort zwar über alles Mögliche, Statut dem heutigen Stand der Dinge anpassen, der aber können fast nichts mehr entscheiden. Zur Vertiefung sich seit 1972 völlig verändert hat? Sogar unsere Art Jetzt läuft der Südtirol-Konvent. Was erwarten Sie und Weise Bürger zu sein hat sich im Zuge der demo- ASTAT (2015), Südtiroler Sprachbarometer. Sprachge- sich von dieser partizipativen Methode zur Reform grafischen Entwicklung verändert. Heute hat die EU brauch und Sprachidentität in Südtirol , 2014 Bozen, des Autonomiestatuts? Schriftenreihe Nr.211 in unserem Alltag ein ganz anderes Gewicht als noch Urzì: Der Start des Konvents mit der Phase der open in den 1960er Jahren. Heute leben mehr Zuwanderer ASTAT-Info Nr.3/2016, Öffentlich Bedienstete 2014, spaces ist misslungen, weil keine thematischen und hier als Ladiner, und auch jene müssen sich einer der Bozen moralischen Vorgaben gemacht worden sind, z.B. jene drei offiziellen Sprachgruppen zuordnen. Somit stützt Lucio Giudiceandrea/Aldo Mazza (2012), Stare insieme einer für die Sprachgruppen inklusiven und partizipa- sich eine der drei Säulen der Autonomie, nämlich der è un’arte. Vivere in Alto Adige/Südtirol, Edizioni alpha- tiven Entwicklung der Autonomie.

112 113 Es ist nicht akzeptabel, dass eine besser organisier- Der Proporz gilt übrigens nur für den öffentlichen vorgibt zu sein. Ich denke an unsere Gesellschaft im dern auch die Steuern einheben. Heute hebt der Staat te Mehrheit die Möglichkeit hat, die Agenda zu dik- Dienst, jedoch nicht für den privaten Arbeitsmarkt. Jahr 2090. Werden wir noch Deutsche, Italiener und die Steuern ein und ist der Böse. Das Land hingegen tieren: Toponomastik, Fahnen auf den Schutzhütten, Dort gelten die üblichen Regeln, wobei auch das Ver- Ladiner haben, die nach Sprachgruppen getrennte An- vergibt die Beiträge und ist der Gute. Hier muss ein Südtirol als Sportnation, doppelte Staatsbürgerschaft hältnis Mehrheit-Minderheit von Gewicht ist. Im öf- suchen stellen? Möglich, dennoch hoffe ich, dass wir Ausgleich gefunden werden, indem das Land bei der usw. Was wird aus dem Konvent, wenn diese Themen fentlichen Dienst gab es vor 1976 eine überproportio- zu einer Schule finden, die vollständig mehrsprachige Steuereinhebung mitverantwortlich wird. alles beherrschen? Es ist nicht ausgeschlossen, dass nale Präsenz der italienischen Sprachgruppe, weshalb Schüler heranbildet, die als Bürger Südtirols aus ihrer im Konvent vor allem Fragen aufgeworfen werden, für viele Italiener durch den Proporz die gewohnten persönlichen Erfahrung heraus und aufgrund ihrer Das Autonomiestatut regelt neben den Rechten und die über den Konvent hinausgehen. Wenn man vor- Berufskarrieren verschlossen wurden. Im privaten Ar- Werthaltung entscheiden. Das ist meine Vision. Pflichten der Bürger auch die Institutionen des -Lan ab die Themen festgelegt hätte, wäre die Diskussion beitsmarkt sind aufgrund der Natur der Dinge die Be- des und der Region. Was sollte sich im Hinblick auf heute ausgewogener. Ein weiterer Aspekt: die geringe rufschancen der Italiener nicht so groß, dadurch sind Der Südtirol-Konvent wird auch eine Anpassung des die Vertretung der Sprachgruppen in der Landesre- Teilnahme der Italiener. Abgesehen von den Sprach- ihre Beschäftigungsperspektiven insgesamt einge- Art. 19 des Statuts diskutieren, im Sinne der Zulas- gierung ändern? schwierigkeiten erklärt sich diese mit der verbreiteten schränkt worden. Es war richtig, die Privilegien abzu- sung von mehrsprachigen Schulen. Sollte es jeder Urzì: Wir verlangen das schon seit Jahren, nämlich Resignation. Nach Jahrzehnten der Autonomie könn- schaffen. Doch hat diese Einbuße von Berufschancen Sprachgruppe überlassen bleiben, für sich selbst das eine verbindliche Beteiligung. Heute muss sich jeder te man sich erwarten, dass jede Gruppe dieselben auch zum Unbehagen der Italiener beigetragen. Nicht am besten geeignete Schulmodell zu entwickeln? Landtagsabgeordnete einer Sprachgruppe zugehörig Einflussmöglichkeiten hat. Doch unter den Italienern zufällig gab es einen Anstieg der radikalen Rechtspar- Urzì: Zur Schulautonomie in Südtirol haben wir zwei erklären. Wer die meisten Stimmen der italienischen hört man oft: was immer man auch wählt, es ändert teien. Nicht von ungefähr ist der Anteil der italieni- Landesgesetze verabschiedet. Doch gibt es einen Abgeordneten erhält, soll den LH-Stellvertreter stel- sich nichts, deshalb die weitaus geringere Wahlbeteili- schen Sprachgruppe von 33% in den 1970er Jahren auf Mangel, der behoben werden muss. Dafür muss das len. Warum kann man sich nicht an der Spitze der Lan- gung. Ein weiterer Kritikpunkt: Die Teilnehmer des Fo- 26% gesunken. Autonomiestatut gar nicht abgeändert werden, denn desregierung abwechseln? Beim Landtagspräsidenten rums der 100 werden ohne Rücksicht auf Berufsquali- das Recht einer Minderheit auf eine Schule in der gibt es diese Rotation bereits. Es könnte durchaus auch Wenn der Proporz abgeschafft würde, bräuchte es fikation und Fachkompetenzen ausgelost, wie für eine Muttersprache ist sakrosankt. Vielmehr sollte einfach mal einen italienischen Landeshauptmann geben. Die keine Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung mehr. Fernsehtalkshow. Das ist sehr kritisch zu betrachten. über ein Landesgesetz eine echte organisatorische Au- stimmenstärksten italienischen Parteien sollten in die Wie würde dann die in unserem politischen Sys- tonomie der Schulen eingeführt werden, in Bezug auf Landesregierung einbezogen werden, damit sie sich Viele Bürger unseres Landes sind der Meinung, dass tem notwendige Verteilung politischer Posten nach das Personal, die Finanzen und die Didaktik. Solange auch als Teil dieses Landes fühlen. Wenn man 70% der Proporz als Instrument des gleichberechtigten Sprachgruppen vorgenommen werden? das Land über die Finanzierung entscheidet, können einer Gemeinschaft, also jene, die nicht PD gewählt Zugangs zum öffentlichen Dienst und zu einigen öf- Urzì: Ich könnte nicht sagen, mit welchem System. wir nicht von wahrer Schulautonomie sprechen. Die haben, von der Mitverantwortung ausschließt, erhält fentlichen Ressourcen überholt sei. Wie kann man Wenn unsere Gesellschaft die Bereitschaft für eine rea- Landesregierung entscheidet über die Schulen im man eben dieses Resultat: sinkende Wahlbeteiligung, den Proporz ersetzen? le Integration und die gemeinsame Verantwortung der Land, über den Schulkalender, die 5-Tage-Woche, die Resignation, Politikmüdigkeit unter den Wählern. Urzì: Der Proporz war gedacht als Instrument der Wie- Sprachgruppen reifen würde, könnte man sich mittel- Organisation der Schulen. Sie entscheidet über die Ge- Wenn man das Recht auf Beteiligung wieder einrich- dergutmachung auf Zeit, und diese Frist ist mit 2002 und langfristig auch den Verzicht auf diese Erklärung samtheit der Schulen, einschließlich der italienischen tet, wird auch das politische Gleichgewicht hergestellt. ausgelaufen. Der Proporz setzt die Sprachgruppenzu- vorstellen. Diese Reifung kann nur über die Schule er- Schule. Die italienische Sprachgruppe ist reif für ein Davon bin ich überzeugt. Die SVP müsste sich an die gehörigkeitserklärung voraus. Und gerade an dieser folgen. Ohne mehrsprachige Schule, die mehrsprachi- mehrsprachiges Schulmodell. Heute ist die mehrspra- Vorstellung gewöhnen, mit der Mehrheit der italieni- Frage hat sich die ethische Diskussion immer wieder ge Bürger heranbildet, die alle Gesprächssituationen chige Schule noch eine Elite-Schule, für wenige zu- schen Sprachgruppe zu regieren. In der Vergangenheit entfacht. Im Klartext: Wenn ich die Interessen der ita- auf Augenhöhe bewältigen können, werden wir nie gänglich. Sie muss allen zugänglich sein, und das im war das nicht so, weil die Südtiroler Autonomie stark lienischen Sprachgruppe zu vertreten habe, würde ich auf den Proporz verzichten können. Je besser man Rahmen unserer Autonomie. ethnisch geprägt ist. Man will aufgrund eines gegebe- versuchen, zumindest das Indianerreservat aufrecht- sich versteht, desto eher nimmt man ihn auch ernst. nen Kräfteverhältnisses entscheiden, nicht aufgrund zuerhalten, also dieses Mindestmaß an öffentlichen Die Finanzhoheit: eine Illusion? Wenn ich die Interessen und das Selbstverständnis ei- der politischen Mehrheiten. Mir gefällt das Modell der Stellen. Wenn ich die Frage ohne Scheuklappen als Urzì: Vom Konzept her ist es berechtigt, die Provinz ner Person nicht verstehe, kann ich schwerlich für sie Schweizer Kantone: sowohl die Mehrheit als auch die Weltbürger betrachte, würde ich sagen: der Proporz Bozen zu mehr Verantwortung bei den öffentlichen entscheiden. Mich ärgert es, dass Südtirol sich in ein Minderheit sind dort an der Regierung beteiligt und ist eine historische Schande, weil er zwischen Bürgern Finanzen hinzuführen, und zwar über mehr Steuerho- verstaubtes Wachsfigurenkabinett verwandelt, denn damit aufgerufen, die Probleme gemeinsam zu lösen. diskriminiert, die nur die Muttersprache unterschei- wir konservieren das, was man nicht konservieren heit und mehr Regelungskompetenzen. Den Bürgern det. Nun kennt die Verfassung auch die Positivdiskri- kann. Man muss auch den Sprung ins Leere wagen: besser über die öffentlichen Finanzen Rechenschaft Die Paritätischen Kommissionen werden von der Re- minierung, doch lasse ich dahingestellt, inwiefern die- wir sollten dieses starre System überwinden, das je- abzulegen, das ist ein bisher unterschätzter Aspekt der gierungsmehrheit in Bozen und Rom ernannt, ohne se Diskriminierung wirklich positiv war. den Südtiroler Bürger auf das reduziert, was man ihm Autonomie. Das Land sollte nicht nur ausgeben, son- andere politische Kräfte vor Ort zu berücksichtigen.

114 115 Müssen diese Kommissionen auch die Opposition in Parlament und Landtag einbeziehen? Urzì: Unterstaatssekretär Bressa behauptet, dass man jede Art der Einbeziehung des Landtags in die Bildung der DFB vermeiden muss. Das bedeutet, dass die Re- gierung und das Land dieses politische Gremium in ihrer nicht demokratischen Vorgangsweise völlig ab- schotten wollen. Dagegen ist es legitim, mehr Beteili- gung für alle Kräfte in den Paritätischen Kommissionen zu fordern. Heute begegnet man sogar einer simplen Anfrage an diese Kommissionen mit Misstrauen. Die 6er- und die 12er-Kommission sind heute in ihrer Struktur überholt. Es braucht heute mehr Transparenz und Beteiligung. Diese Kommissionen sind nicht legi- 11 timiert, eigenständig über Verfassungsfragen zu ent- scheiden. Ich bin selbst Mitglied der 137er Kommissi- on, die funktioniert aber nicht, obwohl sie aufgerufen Wie autonom ist Südtirol in der wäre, über die Entwicklung des Autonomiesystems zu diskutieren. So gibt es heute zwei in ihrer Konzeption und Zusammensetzung überholte Kommissionen. Wirtschafts- und Sozialpolitik?

In der Zeit des ersten Autonomiestatuts 1948-1971 gehörte Südtirol wirtschaftlich gesehen zu den rückständige- ren Regionen in den Alpen. Tausende Südtiroler wanderten in den 1960er Jahren ab, um im Ausland Arbeit und Einkommen zu suchen. Südtirol hatte nicht nur geringe Zuständigkeiten bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik, sondern auch sehr beschränkte Haushaltsmittel, um die regionale Wirtschaft zu steuern und zu fördern. Im Paket befanden sich deshalb nicht zufällig eine Reihe neuer Zuständigkeiten für die Wirtschaftspolitik, doch bei man- chen Forderungen hatte die Südtiroler Seite zurückstecken müssen. Inzwischen haben sich die Rahmenbedingun- gen wesentlich verändert, aber ist die

Autonomie in der ASTAT).1) Waren 1961 noch 37% der Beschäftigten in Sozial- und Wirtschaftspolitik der Landwirtschaft tätig, waren es 2015 eben noch 6,6%. Getragen war der dann folgende Aufholprozess ausreichend? von einer dauerhaften Expansion bei den privaten und „Von der Agrarregion zur Wohlstandsinsel“ bezeichnete öffentlichen Dienstleistungen, einer Modernisierung eine deutsche Fachzeitschrift die wirtschaftliche- Ent und Intensivierung der Landwirtschaft und einer Konso- wicklung Südtirols seit Inkrafttreten der Paket-Autono- lidierung des produzierenden Gewerbes. Der Anteil der mie. Verglichen mit den nördlichen Nachbarregionen Erwerbstätigen in Industrie und Handwerk liegt zwar ist Südtirol zwar keine Wohlstandsinsel, doch hat es deutlich unter jenem Nordtirols, aber gleichauf mit immerhin zum Einkommensniveau Österreichs aufge- jenem des Trentino und Graubündens (Arbeitsmarkt- schlossen und weist im Ranking der Regionen Italiens bericht 2014). das höchste BIP pro Kopf auf (39.894 Euro im Jahr 2014, Wenn heute mit rund 50.000 Beschäftigten mehr als ein

116 117 Fünftel aller Erwerbstätigen Südtirols einen sicheren- Ar sind heute die Folgen des starken Wirtschaftswachs- zahlreichen Einflussfaktoren ab, vom Ausbildungsstand Alle Kernzuständigkeiten der beitsplatz im öffentlichen Dienst hat, ist dies vor allem tums auf die Landschaft und den Flächenverbrauch. der Bevölkerung, der geografischen Lage und interna- Wirtschafts- und Sozialpolitik der Autonomie zu verdanken. In den Regionen mit Nor- Welche Faktoren waren für die positive Wirtschaftsent- tionalen Verflechtung, von den natürlichen Ressourcen malstatut liegt dieser Anteil wesentlich geringer. wicklung in Südtirol seit den 1970er Jahren ausschlag- und sprachlich-kulturellen Besonderheiten. Betrachtet ans Land gebend? Inwiefern ist diese Entwicklung der Autono- man die Wirtschaft als Teil eines Gesamtsystems sind Will man die Regulierungskompetenz des Landes für Der Aufholprozess Südtirols seit 1972 bei BIP, Einkom- mie zu verdanken? Drei für das Wirtschaftswachstum breit gefächerte autonome Kompetenzen, eine effizi- die Südtiroler Wirtschaft stärken, kann am geltenden men und beim allgemeinen Lebensstandard spiegelt förderliche Faktoren haben in Südtirol seit dem 2. Au- ente Verwaltung und hohe öffentliche Ausgabenkapa- Statut eine Reihe von Verbesserungen angebracht wer- sich auch im Arbeitsmarkt wider. Spätestens Mitte der tonomiestatut zusammengewirkt: eine hohe öffentli- zitäten wichtige Rahmenbedingungen für eine prospe- den. Eine Reihe wirtschaftsrelevanter Zuständigkeiten 1970er Jahre war die Abwanderung gestoppt und fort- che und private Investitionsquote, eine steigende und rierende Wirtschaft. In Südtirol trafen diese glücklichen sind nach 1992 auf dem Weg der Übertragung durch an blieb die Arbeitslosigkeit auf geringem Niveau. Süd- immer qualifiziertere Zahl von Erwerbstätigen und die Umstände großteils zu, aber eben noch nicht ganz. den Staat hinzugekommen. Der Übergang der Energie- tirol wies im italienweiten Vergleich seit 1980 sogar die autonome Gestaltbarkeit der Wirtschaftspolitik. Das wirtschaft (Wasserkraft, LD vom 11.11.1999, Nr. 463), geringste Arbeitslosigkeit auf (ISTAT, ASTAT Mehrjahres- Beim Rückblick auf die Umsetzung der Autonomie soll Autonomiestatut hat dem Land Südtirol eine Fülle neu- der Staatsstraßen (LD Nr. 320 vom 2.9.1997) und der vergleiche). Dafür war nicht nur die wachsende Einstel- aber nicht vergessen werden, dass nicht alles so rei- er Steuerungsmöglichkeiten der regionalen Wirtschaft Arbeitsvermittlung (LD vom 21.9.1995, Nr. 430) ans lung öffentlich Bediensteter bei Land, Gemeinden und bungslos ablief und es vielfach zu Konflikten mit dem in die Hand gegeben, wenn auch bei Weitem noch nicht Land waren wichtige Meilensteine hin zu einer eigen- anderen lokalen Körperschaften verantwortlich, son- Staat kam. So z.B. im Bereich Industrieförderung: der alle wirtschaftspolitischenStellschrauben autonom re- ständigeren Wirtschaftspolitik. Bei der Zuständigkeit dern auch das Beschäftigungswachstum in allen priva- Streit um die Zuständigkeit zog sich von 1977 bis 1988 guliert werden können. „Industrie“ war das Land zunächst auf die Möglichkeit ten Sektoren, mit Ausnahme der Landwirtschaft. hin. Ein anderer Konflikt war die Frage der autonom zu der öffentlichen Förderung von Industriebetrieben be- Die neuen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompeten- regelnden Meisterprüfung und des Gesellenbriefs, der schränkt. Nachdem mit der Verfassungsreform 2001 Um 1990 wurde Südtirol vom Auswanderungs- zum zen, die seit 1972 nach und nach übertragen wurden, aufgegeben werden musste. Der Streit um die Über- der Bereich „Industrie“ zur primären Zuständigkeit er- Einwanderungsland. In nur 25 Jahren stieg der Auslän- haben sich in Verbindung mit den stetig steigenden Vo- nahme der Messekörperschaft zog sich bis 1992 hin. In hoben wurde, ist diese Schranke gefallen. Da dies je- deranteil auf knapp 9% (2015), rund 25.000 Auslände- lumen der öffentlichen Haushalte massiv auf die wirt- Bezug auf die Tourismuspolitik gerieten sich Staat und doch nicht mit einer Änderung des Autonomiestatuts rinnen arbeiten derzeit im Jahresdurchschnitt im Land. schaftliche Entwicklung ausgewirkt. Dabei hat das Land Land vor allem bei der Werbetätigkeit im Ausland in festgeschrieben wurde, fällt dieser Bereich mit der Heute hat Südtirol auch die höchste Erwerbsquote im gemäß Statut nicht sehr viele primäre Zuständigkeiten die Haare. Zum einen wollte der Staat grundsätzlich die neuen Verfassungsreform wieder an den Staat zurück. interregionalen Vergleich Italiens aufzuweisen. im Bereich Wirtschaft: nur Handwerk, Messen und Kontrolle der Werbetätigkeit im Ausland, dann kam es Nur sekundäre Zuständigkeit hat das Land für das Lehr- Märkte, Fremdenverkehr, Arbeitsvermittlung und Be- auch zu einem Streit über die zu verwendende Sprache. Für diese positive Entwicklung ist die Autonomie mit lingswesen und die „öffentlichen Gastbetriebe“ (eser- rufsausbildung. Erst später, nämlich 2001, wurden die Es gab bis 1980 eine Weisung aus Rom, dass Südtirol den neuen Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnis- cizi pubblici). Südtirol muss also primäre Zuständigkeit sekundären Befugnisse im Handel, bei den öffentlichen mit höchstens einer Person auf internationalen Touris- sen entscheidend. Auch die fast kontinuierlich (bis 2009) über den Handel, das Lehrlingswesen, die Kontrolle Betrieben und der Industrieförderung zu Bereichen musfachmessen vertreten sein durfte. Vor 30 Jahren steigende Verfügbarkeit von öffentlichen Finanzmitteln der Arbeitsvermittlung und Industrie zurückgewinnen, primärer Kompetenz erhoben. Durch die neue Ver- herrschte noch ein ganz anderes Klima als heute. und damit der Ausgaben der öffentlichen Hand in Südti- und auch die bereits delegierte Zuständigkeit für die fassungsreform wird dies wieder in Frage gestellt. Die rol hat diesen Trend nachhaltig unterstützt (vgl. Kap. 7). Großableitungen für Wasserkraftwerke muss im Statut Übernahme der Arbeitsvermittlung ist erst 1996 voll er- Eklatantes Beispiel für fehlende Autonomie in einem Mit Umsetzung des Pakets (1992) und der Einführung erst definitiv festgeschrieben werden. folgt. Die neuen Zuständigkeiten bei der Energiepolitik für Südtirols Wirtschaft wichtigen Sektor ist derHan- eines vorteilhafteren Finanzierungsmodus im Jahr 1989 Die Südtiroler Autonomie kann auch dadurch vervoll- kamen 1999 dazu, sind zum Teil wieder zurückgenom- del, für welchen das Land nur über sekundäre Zustän- war die Basis für eine wirtschaftliche Aufwärtsentwick- ständigt werden, indem die Regionskompetenzen in men worden. digkeit verfügt. So ist man in der Landesgesetzgebung lung in der Ära Durnwalder gelegt. Begünstigend kam zum Handel gezwungen, zahlreiche staatliche Bestim- der Wirtschafts- und Sozialpolitik definitiv an die beiden 1995 der Beitritt Österreichs zur EU hinzu, außerdem Bis heute verfügt das Land bei der Sozialversicherung mungen und Grundsätze zu berücksichtigen, wie etwa Provinzen abgegeben werden, also nicht nur deren Ver- vom Staat delegierte und neu errungene Befugnisse über nur geringe Rechte, keinerlei Zuständigkeit hat es extrem liberalisierte Ladenöffnungszeiten, die an den waltung, sondern auch die Gesetzgebungszuständig- wie z.B. in der Energiepolitik. Außerdem machte sich beim Arbeits-, Handels- und Gesellschaftsrecht, und Bedürfnissen der eher familiären Betriebsstrukturen keit. Für die „Ordnung der Krankenhauskörperschaften“, auch die EU-Osterweiterung ab der Jahrtausendwende nur sehr beschränkte Möglichkeiten beim Steuerrecht. Südtirols vorbeigehen. Auch im Bankenwesen hat das der Handelskammern, für das Genossenschaftswesen bemerkbar (2004 und 2007). Nur kurzfristig war Süd- Das Lehrlingswesen, die Industrie, die Energiewirtschaft Land kaum Möglichkeiten, die regionalen Banken vor und die „Meliorierungsbeiträge im Zusammenhang mit tirols Wirtschaft von Konjunkturkrisen betroffen, wie sind immer noch nicht definitiv als primäre Zuständig- nachteilhaften Regelungen des Staats zu schützen, wie öffentlichen Arbeiten“ besteht kein zwingender sachli- nach dem touristischen Bauboom 1979-80 und nach keit im Statut verankert. es die neuen Regeln für die Raiffeisenkassen jüngst ge- cher Grund für eine Zuständigkeit der Region, wie heute der globalen Finanzkrise von 2008. Nicht zu übersehen Die Entwicklung einer regionalen Wirtschaft hängt von zeigt haben. der Fall. Auch die sekundäre Regionszuständigkeit für

118 119 Boden- und Agrarkredit, Sparkassen und Raiffeisenkas- in Kombination mit einem dynamischen Arbeitsmarkt Dadurch würde auch die aufwändige Verrechnung von solute Niedriglöhne bezieht. Umverteilungsmecha- sen wären bei den Provinzen besser angesiedelt, nach- und der üppigen Ausstattung des Landeshaushalts zu integrierenden Regional- und Landesleistungen bei Leis- nismen wie die progressive Einkommenssteuer und dem „Kreditanstalten regionalen Charakters“ in der einem im italienweiten Vergleich hohen Leistungsni- tungen des Staats entfallen, da alle Leistungen in eine einkommensabhängige Sozialleistungen gleichen die Südtiroler Bankenlandschaft nur eine sehr geringe Be- veau geführt hat. Das Südtiroler Sozialstaatsmodell hat öffentliche Hand zusammengeführt werden. Sollte in Dynamik bei den Primäreinkommen nicht mehr aus. deutung haben. Die für die Raiffeisenkassen einschrän- die Vorzüge des italienischen Modells (nationaler Ge- Zukunft die Pflegesicherung der alternden Gesellschaft Südtirols gut ausgebaute Sozialleistungen haben zwar kende neue Bankengesetzgebung Italiens hat gezeigt, sundheitsdienst, offene Psychiatrie, integrative Schule, nicht mehr durch Steuern (Landeshaushalt) finanziert einen gewissen Ausgleich geboten, die zunehmende dass gerade im Bereich der Genossenschaftsbanken offene Behindertenbetreuung) mit Errungenschaften in werden können und eine echte Pflegeversicherung soziale Ungleichheit aber nicht verhindert. Der Anteil mehr Spielraum des Landes gefordert wäre. Am ehesten Mittel- und Nordeuropa kombiniert (soziale Mindestsi- aufgebaut werden müssen, kann dies in Südtirol am der armutsgefährdeten Personen lag 2013 bei 19%. Sinn macht eine regionale Organisation der Rentenzu- cherung, sozialer Wohnungsbau, Pflegesicherung, gute effizientesten auf Landesebene erfolgen. Schon wegen Die Einkommensschere zwischen Arm und Reich öffnet satzversicherung, die mit PENSPLAN unter Nutzung der Infrastrukturen). der Notwendigkeit der Harmonisierung innerhalb der sich: Südtirol wird zwar reicher, aber dieser Reichtums- ergänzenden Zuständigkeit der Region Trentino-Südti- EU kann Südtirol zwar kein eigenständiges Sozialversi- zuwachs ist immer ungleicher verteilt. Wo kann im Au- rol 1997 geschaffen wurde (R.G. Nr. 3 vom 27.2.1997). Die heutige Kompetenzverteilung bei den Sozialleis- cherungsrecht schaffen, aber ein eigenständiges Sys- tonomiestatut angesetzt werden, um diese Wirkungen Dies hat es erlaubt, eine für den Finanzmarkt günstige- tungen und in der Sozialpolitik hat aber auch Nachtei- tem sozialer Grundsicherung. auf die Einkommensverteilung auszugleichen? re „kritische Masse“ an Anlegerinnen rascher zu errei- le. So überschneiden sich Leistungen der Familienför- chen. Doch kann ein solches Institut durchaus von zwei derungen und Arbeitslosenunterstützung des Staats, Ein Mindestlohn für Südtirol? Einer der Fehler im System ist jener, dass in Südtirol eigenständigen autonomen Regionen partnerschaftlich der Region und des Landes. Dieser Bereich ist für die eigentlich eher Löhne nach österreichischem Standard getragen werden, wie andere Aktiengesellschaften und Bürgerinnen immer unübersichtlicher geworden, seine Seit 2015 gilt in Deutschland ein Mindest-Stundenlohn gezahlt werden müssten, um den Arbeitnehmerfami- öffentliche Körperschaften auch. Verwaltung schwerfällig. Diese Zuständigkeiten könn- und zwar 8,50 Euro netto pro Stunde. Italien ist hinge- lien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern, ten im Land gebündelt werden, um die Verwaltung zu gen eines der wenigen EU-Mitgliedsländer, die noch statt den kollektivvertraglichen Mindestlohn, der auf Der Rentenzusatzfonds PENSPLAN kann durch einen vereinfachen, die Treffsicherheit zu verbessern und die keinen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt haben. gesamtitalienische Verhältnisse abgestimmt ist.- Auf Gesundheitszusatzfonds ergänzt werden. Derzeit sehen gesamte soziale Sicherheit organisch und systematisch Dies wird damit begründet, dass in Italien im Rahmen grund der Tarifautonomie gibt es keine rechtliche Ver- nationale Kollektivverträge meist einen „nationalen zu regeln, unabhängig von der Rentenversicherung der Tarifautonomie sektorenbezogene Mindestentloh- pflichtung der Tarifparteien (Kollektivvertragspartner), Gesundheitsfonds“ vor, der Leistungsverpflichtungen (Tragust 2015). Die ergänzende Sozialversicherung soll- nungen kollektivvertraglich festgelegt werden. Nun ist Löhne und Gehälter an die Situation in Südtirol anzu- gegenüber den Arbeitnehmerinnen von Gesundheits- te von der Region aufs Land übergehen. Dadurch wird Südtirols Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten rascher passen. Zwar gibt es eine Pflicht des Landes zur Aner- diensten außerhalb des Landes umfasst. Für die Süd- dem Land die Möglichkeit geboten, eine umfassende gewachsen als die gesamtitalienische Wirtschaft, doch kennung autonomer Südtiroler Gewerkschaften als tiroler Arbeitnehmerschaft ist dies von geringem In- Grundsicherung (Mindestsicherung) aufzubauen, die verzeichnet Südtirol vergleichsweise hohe Lebenshal- repräsentativste Vertretung der Arbeitnehmer einer teresse. Millionen Euro wandern auf diese Weise in sämtliche Leistungen in einer Behörde vereint. tungskosten. Die Reallöhne haben mit diesen Kosten Sprachgruppe, jedoch kein Recht des Landes, in die Ta- gesamtstaatliche Versicherungstöpfe, die von Südtiro- nicht Schritt gehalten: Der inflationsbereinigte Brutto- rifautonomie auf Landesebene einzugreifen, um für die lern kaum genutzt werden können. Über einen Landes- Die bestehenden Mindestsicherungsleistungen des Jahresdurchschnittslohn der 167.000 Arbeitnehmer Arbeitnehmerschaft positive Landeszusatzabkommen Zusatzgesundheitsfonds („SANI-PLAN“) hätten die - Ar Staats (Sozialrente, Leistungen bei Arbeitslosigkeit und in der Privatwirtschaft hat 2007-2012, also in sechs herbeizuführen. beitnehmer nicht nur mehr Nutzungschancen, sondern Kurzarbeit), der Region (Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Jahren, um insgesamt nur 0,6% zugenommen (ASTAT es könnten insgesamt mehr Südtiroler Zugang zu der- Familienförderung) und des Landes könnten allesamt Nun gibt es zwar Betriebsabkommen, die Zusatzvergü- 2016a), jener der öffentlich Bediensteten hat sogar artigen öffentlich geförderten Versicherungsfonds- er beim Land zusammengeführt werden, wie Karl Tragust tungen und Prämien vorsehen, doch werden die eigent- abgenommen. Stellt man die kalte Steuerprogression halten. Und vor allem: Die Regulierungskompetenz für vorschlägt (Tragust 2015). Ein entsprechender Landes- lich nötigen Landeszusatzabkommen für ganze - Wirt in Rechnung, stagnieren die Arbeitnehmereinkommen ein solches Institut läge beim Land und den Südtiroler sozialfonds mit individuellem Bedarfsanspruch böte schaftsbereiche und Sektoren oft nicht abgeschlossen. schon seit 2007. Die Niedriglohnbezieher hatten in die- Sozialpartnern. alle Leistungen für die verschiedenen Bedarfslagen der In einer kleinbetrieblich strukturierten Wirtschaft wie sen Jahren besonders starke Lohneinbrüche hinzuneh- Südtiroler Versicherten an. Dieser könnte durch eine der Südtiroler Wirtschaft wären solche Zusatzverträge men. Die Einkommensverteilung hat sich deutlich zuun- vom Land autonom gesteuerte aktivierende Arbeits- entscheidend, um die Entlohnung sowohl dem Pro- Sozialpolitische Zuständigkeiten gunsten der Arbeitnehmer verschoben (ASTAT 2015). zusammenführen marktpolitik ergänzt werden. Dazu gehört auch die aus- duktivitätswachstum, als auch den hiesigen Lebenshal- schließliche Geltung der EEWE als Einkommens- und Die vom ASTAT veröffentlichten Zahlen zur Jahres- tungskosten anzupassen. Die Südtiroler Gewerkschaf- Die durch das Autonomiestatut von 1972 grundgeleg- Vermögensnachweis für alle in Südtirol ansässige An- bruttoentlohnung zeigen auf (Öffentlicher Dienst und ten haben jedoch nicht die nötige Verhandlungsmacht, te autonome Sozialpolitik erlaubte Südtirol den Aufbau spruchsberechtigte (das gesamtstaatliche Pendant ISE Landwirtschaft ausgeklammert), dass ein Fünftel der um diese Zusatzentlohnung durchzusetzen, denn das eines gut entwickelten Systems sozialer Sicherung, das hätte dann keine Relevanz für Südtirol). Arbeitnehmerinnen Südtirols der Privatwirtschaft ab- Kollektivvertragssystem ist in Italien stark zentralisiert.

120 121 Der Ausweg aus diesem Dilemma ist ein gesetzlicher Ein Landesfonds für nur für eine Tourismusabgabe mit marginaler finanziel- Steueraufkommen im Land erwirtschaftet wird, desto Mindestlohn, den in Südtirol nur das Land festlegen Chancengerechtigkeit ler Bedeutung genutzt. Um der kontinuierlichen Ausei- mehr öffentliches Ausgabenpotenzial sowie Fördermit- kann. In die Tarifautonomie kann das Land zwar nicht nanderentwicklung bei der Vermögensausstattung der tel stehen dem Land beim geltenden Finanzierungssys- eingreifen, doch könnte es die Zuständigkeit für die Neben der wachsenden Ungleichheit bei der Einkom- Familien entgegenzuwirken, kann Südtirol eine eigene tem zur Verfügung. Autonomie stellt damit ein wichti- Festlegung sektorenspezifischer Mindestlöhne erhal- mensverteilung lässt sich, eng damit zusammenhän- Landesvermögenssteuer anstreben. Sie störte das itali- ges Element im interregionalen Wettbewerb dar, wenn ten. Diese sollten möglichst über den gesamtstaatli- gend, eine noch größere Ungleichheit bei der Vermö- enische Steuersystem nicht, weil sie keine Konkurrenz auch kein ausreichende Bedingung für den wirtschaftli- chen kollektivvertraglichen Mindestlöhnen liegen, und gensverteilung feststellen. Wie neue Untersuchungen zu bestehenden staatlichen Abgaben bilden würde, zu- chen Erfolg, weil die Mittel auch effizient verwaltet und Landeszusatzabkommen können von den dann amtli- ergaben (Michael-Gaismair-Gesellschaft/APOLLIS, 2016) mal Erbschafts- und Kapitalvermögenssteuern in Italien eingesetzt werden müssen. Autonomie ist ohne Zweifel chen Mindestlöhnen nur mehr nach oben abweichen: ist die Vermögensverteilung in Südtirol deutlich unglei- eher irrelevant geworden sind. Wie die GIS könnte die ein Standortvorteil, eine notwendige, wenn auch nicht „Durch die Festsetzung einer Lohnuntergrenze und an- cher als in Vorarlberg, Tirol und Bayern – und eher auf Landesvermögensabgabe (LVA) als Landeszuständigkeit hinreichende Bedingung für den wirtschaftlichen Erfolg derer Maßnahmen wie der Allgemeinverbindlichkeits- italienischem Niveau. Etwa 50% der Südtiroler Haus- vom Landtag geregelt werden können. Die LVA beträfe des Landes. erklärung kann das Kollektivvertragssystem stabilisiert halte verfügen über ein Vermögen unter 250.000 Euro, nicht das Immobilienvermögen (schon der GIS unter- Heute setzen neue staatliche Gesetze und vor allem werden. Eine gesetzliche Stützung minimiert die Mög- etwa 10 Prozent über ein Vermögen über 850.000 Euro. worfen), sondern das Finanzvermögen einschließlich das Unionsrecht der Südtiroler Autonomie zunehmend lichkeiten unfairen Wettbewerbs über niedrige Löhne Vor allem innerhalb der deutschen Sprachgruppe ist die des Kapitalanlagevermögens. Diese Zusatzbelastung Schranken. In den 44 Jahren des 2. Autonomiestatuts und schlechte Arbeitsbedingungen (…) Gesetzliche Loh- Verteilung ungleicher als in der italienischen und ladi- ist den vermögenden Familien Südtirols durchaus ist die Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft nicht nur nuntergrenzen können dazu beitragen, dass die eigent- nischen Sprachgruppe. Beim erklärten Einkommen ver- zumutbar, zumal der Steuerdruck (Abgabenquote) in vom Autonomiestatut und den relativ hohen öffentli- liche Lohnpolitik weiterhin die gewerkschaftliche Kern- einen die obersten 10 Prozent 34,3% des Einkommens Südtirol mit rund 39% deutlich geringer ist als der ge- chen Ausgaben begünstigt worden, sondern auch durch aufgabe bleibt.“ (AFI-IPL 2014b, 42) auf sich, die untersten 10 Prozent hingegen nur 0,4% samtstaatliche Durchschnitt (vgl. ASTAT 2016b und AS- andere Faktoren: das geringe Lohnniveau, die bis 2001 (AFI-IPL 2016). TAT 2012). Eine Vermögenssteuer auf Finanzvermögen vorteilhaften Wechselkurse, die EU-Integration als Gan- Damit kann auch verhindert werden, dass in Südtirol gibt es auch in anderen europäischen Ländern und zes, die günstige geografische Lage im Nahbereich in- Zu geringes Vermögen der Eltern beeinflusst die Bil- weiterhin Niedriglohnbereiche entstehen wie im Gast- Regionen. Der Ertrag aus dieser LVA sollte nicht in den dustrieller Ballungsräume und natürlich der Fleiß und dungs- und Arbeitskarriere der Kinder. Über das Erb- gewerbe, Handel und anderen Dienstleistungen schon allgemeinen Landeshaushalt fließen, sondern in einen die Tüchtigkeit der Bewohner und Verwalterinnen. recht wird die Ungleichheit der Lebenschancen von heute schon der Fall, die die Einkommensschwächsten „Zukunftsfonds“. Diese Mittel sollten nicht die x-te Inno- Andererseits sind die autonomen Kompetenzen in der einer Generation an die nächste weitergegeben. Erb- treffen und zum Phänomen der „working poor“ füh- vationsförderung speisen, sondern jungen Menschen Wirtschafts- und Sozialpolitik durchaus ausbaufähig, schaftssteuern sind in Italien schon lange nicht mehr ren. Südtirol könnte hier auch unabhängig von einer bei Erreichung der Volljährigkeit ein Startkapital für Be- um den Wohlstand und sozialen Ausgleich zu sichern. von Gewicht. Kinder aus einkommens- und deshalb entsprechenden gesamtstaatlichen Regelung seinen ruf und Studium verschaffen, aber abhängig vom Fami- Ein geringes allgemeines Lohnniveau, wachsende Nied- auch vermögensschwachen Familien haben es schwe- eigenen Weg sozialen Ausgleichs gehen, wie z.B. beim lienvermögen. Dadurch würde ein kleiner Ausgleich für riglohnbereiche, eine immer ungleichere Vermögens- rer. Die öffentliche Hand kann eingreifen, um die struk- Lehrlingswesen. Dies muss im Autonomiestatut als die ungleichen Startbedingungen junger Südtiroler und verteilung gehören nicht zu den Zielen eines regionalen turelle Bevorteilung sozialer Gruppen, die nicht auf neue Zuständigkeit verankert werden. Auch der ASGB Südtirolerionnen geschaffen und ein Beitrag zu mehr Wohlfahrtssystems. Im Gegenteil. Die Herausforderung Leistung, sondern auf bloßem Eigentum gründet, etwas fordert in seinem Grundsatzpapier 2014-2018 die flä- sozialer Gerechtigkeit. Auch diese Möglichkeit kann als für die Autonomie besteht darin, für das Gemeinwohl auszugleichen. chendeckende Einführung eines kollektivvertraglichen neue Zuständigkeit im Autonomiestatut mit eigenem zu sorgen und gute Lebensbedingungen für alle zu si- Mindestlohns von 1.500 Euro brutto im Monat (ASGB Südtirol ist in der Sozialpolitik im Vergleich zu Italien in Artikel verankert werden. chern, zu verhindern, dass sich ein für die reichste Regi- 2015). Diese Verantwortung muss künftig das Land verschiedener Hinsicht einen eigenen Weg gegangen, on Italiens unwürdiger Armutssockel bildet und immer wahrnehmen. z.B. in der steuerfinanzierten Pflegesicherung. Gerade Im Statut mehr Möglichkeiten mehr Menschen in die relative Armut abdriften. das in Italien nicht konsequent progressive, teilweise Auch das von L.Abg. Foppa vorgeschlagene Renten- für sozialen Ausgleich durch hohe Steuerhinterziehung unterlaufene Steuer- Autonomie muss auch bedeuten, dass Südtirol trotz splitting zwischen langjährigen Partnern wäre eine gute system kann korrigiert werden, um zumindest auf regi- Die autonomen Gesetzgebungskompetenzen und das seiner tiefen Integration in die EU und wachsender Möglichkeit, für nach Geschlecht ausgeglichenere Al- onaler Ebene mehr Chancengerechtigkeit zu erlauben. vorteilhafte Finanzierungssystem der Paket-Autonomie wirtschaftlicher Verflechtung mit dem Ausland und tersrenten zu sorgen. Doch verfügt das Land über keine Im Rahmen des Autonomiestatuts erhielt Südtirol sogar verschafften Südtirol umfassende Gestaltungsmöglich- dem restlichen Italien einen eigenständigen politischen Zuständigkeit für diesen Bereich. eigene Steuern zugesprochen (Art. 72 ASt.: „Die Provin- keiten in der Wirtschaftspolitik. Das Land kann damit Spielraum behält, um die regionale Wirtschaft zu steu- zen können Fremdenverkehrssteuern und –gebühren eigenständig wichtige Standortfaktoren beeinflussen ern, sie vor globalen Finanz- und Haushaltskrisen abzu- einführen“). Diese Möglichkeit hat Südtirol allerdings und seine Wettbewerbsposition verbessern. Je mehr schirmen und die soziale Sicherheit und hohe Beschäf-

122 123 tigung aufrechtzuerhalten. Dabei ist Südtirol nicht nur tiroler Autonomie, NOMOS, 135-179 Wird es ein gemeinsames Dokument der vier Gewerk- in das wirtschaftlich nicht stabile Italien, sondern auch Michael-Gaismair-Gesellschaft/APOLLIS (2016), Eth- schaftsbünde mit Vorschlägen und Forderungen zur nische Differenzierung und soziale Schichtung in der in die EU eingebettet, die im Bereich Wirtschaft schon Südtiroler Gesellschaft, Nomos Verlag, Baden-Baden, Autonomiereform geben? Könnte der ASGB das mit- zu 80% den Rahmen für staatliches und substaatliches erscheint im Herbst 2016. tragen? Recht setzt. Mair: Das sehe ich eher schwierig, weil der ASGB bei Thomas Benedikter (2011), Südtirols Finanzen: begin- nen jetzt die mageren Jahre? in Pallaver (Hg.), POLITIKA ethnischen Themen auf einem anderen Gleis fährt und Südtirol hat so gut wie keinen Einfluss auf die Geldpo- 11, RAETIA Bozen, 339-366 sich überwiegend als ethnische Gewerkschaft profiliert. litik, das Bankenwesen, die Steuerpolitik und makro- Thomas Benedikter (2012), 40 Jahre autonome Wirt- Außerdem ist es uns immer noch nicht gelungen, ge- ökonomische Steuerung, aber auch nicht auf das ei- schaftspolitik, Referat bei der Tagung Gaismair-Gesell- meinsam den Vertretungsanspruch der Gewerkschafts- gentliche Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Auch schaft zu „40 Jahre Autonomie“, April 2012, Bozen bünde auf Landesebene zu vereinbaren. Ich kann mir die wirtschaftspolitisch wichtige kollektivvertragliche ASTAT (2012), Die Konten der öffentlichen Verwaltung allerdings vorstellen, dass zum Stichwort „Institutiona- Regelung der Löhne erfolgt zum Großteil außerhalb in Südtirol, Schriftenreihe 189, Bozen Das Potenzial eines lisierte Sozialpartnerschaft“, im Rahmen einer Reform Südtirols, mit Ausnahme des lokalen öffentlichen ASTAT (2015), Einkommens- und Vermögensverhältnis- mehrsprachigen, autonomen unserer Autonomie, eine gemeinsame Forderung erar- Dienstes. Umso wichtiger ist es, zumindest die übri- se 2014, Bozen Landes ausschöpfen beitet werden kann. Ich denke hier z.B. an die verbriefte gen Schalthebel der regionalen Wirtschafts- und Sozi- Einbindung der Sozialpartner bei der Ausarbeitung von alpolitik in die Hand zu bekommen, die eine Sonder- ASTAT (2016a), Entwicklung der Jahresbruttoentloh- Gespräch mit Tila Mair nungen, Bozen (ehemalige Landessekretärin des SGB/CISL) Landesgesetzen und Verordnungen. autonomie im Rahmen der italienischen Rechts- und ASTAT (2016b), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung Vermutlich will eine Mehrheit der Deutschen den Pro- Verfassungsordnung übernehmen kann. Der Autonomiekonvent ist angelaufen. Wie ist dieses 1995-2014, Bozen porz beibehalten. Wenn man als Hauptkriterien für Verfahren zu bewerten? Anmerkung: die Aufnahme in den öffentlichen Dienst die Sprach- ASGB (2015), Grundsatzpapier 2014-2018, 13. Bundes- Mair: Mir fehlt die klare Kommunikation seitens des 1) Südtirol liegt in der Rangliste der NUTS-Regionen des kongress 2014 kenntnis und Fachqualifikation betrachtet, könnte EUROSTAT unter 276 Regionen auf Rang 25 (2014) und mit Landtags als Organisator des Konvents zum Sinn des man damit den Proporz ersetzen? 144 Punkten (Kaufkraftparitäten) deutlich über dem EU- AFI-IPL (2016), Südtirols Einkommenssteuern im Ver- ganzen Verfahrens. Viele bleiben auf Distanz, weil sie der Durchschnitt von 100. gleich Teil 1, AFI-Zoom Nr.7 vom 3.6.2016 Mair: Ich bin überzeugt, dass es den Proporz gebraucht Meinung sind, dass die Entscheidungen zur Autonomie hat. Er hat dazu beigetragen, Ungerechtigkeiten abzu- Zur Vertiefung ohnehin woanders fallen. Die letzten Gesetzesvorschlä- bauen und er hat seine Aufgabe erfüllt. Jetzt sollte man ge der SVP im Parlament haben die Botschaft vermittelt, die Chance nutzen, dieses für unsere Autonomie so Karl Tragust (2015), Soziale Absicherung und soziale dass die eigentlichen Verhandlungen unabhängig vom Inklusion bei schrumpfenden Landesfinanzen. Droht wirkungsvolle Instrument dem anzupassen, was heute in Südtirol Soziallabbau? Vortrag für POLITiS, Bruneck Konvent auf anderen Kanälen verlaufen. Das nimmt den gefordert ist. Dafür müssen wir die Realität zur Kenntnis 21.10.2015 Menschen die Motivation. Die Bevölkerung ist es nicht nehmen. Im Gesundheitswesen wird immer wieder be- gewohnt, auf diese Weise in die Politik einbezogen zu Stefan Perini (2015), Auf der Suche nach neuen Gleich- mängelt, dass uns Fachkräfte fehlen. So muss man teure gewichten: Wirtschaftspolitik in Südtirol, in: Pallaver/ werden, viele können damit noch nicht umgehen. Viele Umwege ausfindig machen, um Fachleute als Freiberuf- Alber/Engl (Hg.), POLITIKA 15, RAETIA-Nomos, Bozen der Vorschläge der open spaces können nicht übernom- ler zu beauftragen, weil sie nicht ins Proporzsystem pas- AFI-IPL (2014a), Mindestlohn: Ein Modell auch für Itali- men werden, das ginge rein rechtlich nicht. Außerdem sen. Zudem wird im öffentlichen Dienst immer weniger en? Newsletter 44/13.8.2014, Bozen hat man den Eindruck, dass bisher bei diesem Konvent Personal eingestellt, er wächst kaum mehr, vor allem AFI-IPL (2014b), Mindestlohn und Mindestsicherung: die italienische und die ladinische Sprachgruppe fehlen. Perspektiven für Südtirol, Tagung vom 6.6.2014, Bo- der Staatsdienst. In wesentlichen Bereichen wird hinge- zen, URL: http://afi-ipl.org/wp-content/uploads/14- Besonders die italienische Sprachgruppe ist sich vielfach gen Arbeit nach außen verlagert, wo Proporz und Zwei- 07-25-PUB-Tagung-Mindestlohn.pdf der Möglichkeiten der Autonomie zwar bewusst, aber sprachigkeit nicht gelten müssen, z.B. in der Pflege und Karl Tragust (2014), Mit mehr Autonomie die Gesamtef- viele fühlen sich dennoch nicht zugehörig. Solange die bei den Reinigungsdiensten. Aber für eine sorgfältige fizienz in der Sozialpolitik optimieren, in Thomas Bene- Autonomie vor allem für den Schutz der Minderheiten Pflege ist die Beherrschung der Muttersprache der Pfle- dikter (Hg.) Mit mehr Demokratie zu mehr Autonomie, erfolgte, bedeutete das für die Italiener: Die Autonomie gebedürftigen durchaus wichtig. Allerdings ist es höchst POLITiS-SBZ, 73-75 ist nicht für mich, ich bin ja nicht Teil der Minderheit. Es schwierig, ausreichend einheimische Pflegekräfte zu Giuseppe Avolio/Leonhard Voltmer (2005), Übersicht müssen Formen gefunden werden, damit sich auch die finden, weshalb der Proporz in Frage gestellt wird. Sinn über die autonome Gesetzgebung, in: Marko/Ortino/ Palermo/Voltmer/Woelk (Hg.), Die Verfassung der Süd- Italiener zugehörig fühlen und mitwirken. und Ratio des Proporzes muss heute neu hinterfragt

124 125 werden. Er darf kein Tabu bilden. In einer lebendigen schaffen, danach aber wieder vergessen, man schafft Arbeitnehmer, aber eben unkontrolliert, nach beliebig gänzende Zuständigkeit. Braucht es mehr Autonomie Gesellschaft gibt es immer Entwicklungen, für welche Wettbewerbe und Prüfungen, aber entscheidend wich- von den Betrieben getroffenen Maßstäben des Wohl- vom Staat bei der Sozialversicherung? die Politik im Sinne des Gemeinwohls neue Lösungen tig ist auch die Kontrolle der Einhaltung der Regeln. verhaltens, eine Art patriarchaler Umgang. Was aber Mair: Es ist auch schon angeregt worden, das NISF finden muss. Bei den Führungskräften z.B. sollten längst Das erfolgt leider kaum. Man müsste etwa, direkt an heute so gegeben wird, kann morgen genauso einfach durch das Land zu verwalten. Doch muss man dabei be- andere Zugangskriterien greifen, wozu mit Sicherheit den Arbeitsplätzen, verifizieren, wie die zweite Sprache wieder genommen werden. Dies ist auch ein Druckmit- denken, dass ein Landesinstitut für Sozialversicherung auch die Zweitsprachbeherrschung zählt. tatsächlich im täglichen Gebrauch intern und im Publi- tel der Unternehmer. Mit unseren Vorschlägen als Ge- nicht nur die Beiträge erhalten würde, sondern vor al- kumsverkehr verwendet wird. Wer eine Zweisprachig- werkschaft stoßen wir dagegen oft auf taube Ohren. lem auch die ganze Bandbreite an Leistungen an gut Die Erfüllung der Pflicht zur Zweisprachigkeit im -öf keitszulage bezieht, ist das der Gemeinschaft schuldig. 150.000 Rentenbezieher zahlen müsste. Das ist heute Wie sollen Arbeitnehmerrechte im Statut gestärkt fentlichen Dienst lässt zu wünschen übrig. Probleme Anders ist es bei den privaten Dienstleistungen. Dafür undenkbar. Langfristig könnten sich Vorteile bieten, werden? werden z.B. vom Krankenhaus Bozen, vom Gericht, müssen aber auch im Bildungssystem mehr Möglich- aber alle Probleme der Sozialversicherung wären sofort Mair: Ich erwarte mir von der Südtiroler Unterneh- der Gemeinde Bozen und den Telefonanbietern ge- keiten geschaffen werden. Ansonsten behelfen sich da. Das wäre finanziell gar nicht zu schaffen. Wichtiger merschaft, dass man sich konsequent zur Nutzung der meldet. Wie kann man die Zweisprachigkeit im öffent- die Italiener damit, ihre Kinder in die deutschen Schu- wäre es dafür zu sorgen, dass das Land auch seinen Bei- zweiten Verhandlungsebene bekennt. Wir sollten dort lichen Dienst stärken? len einzuschreiben. Andererseits ist das ein Zeichen für trag zur Einhebung der Steuern leistet. Die Gemeinden Mair: Nach der Einführung des Proporzes hat nie jemand verhandeln, wo es Spielräume gibt, doch die Unterneh- ein grundlegendes Interesse fürs Deutschlernen. Es ist hätten laut Mailänder Abkommen diese Möglichkeit, den effektiven Gebrauch der Sprachen im öffentlichen mer verhandeln nur dort, wo sie unbedingt verhandeln nicht mehr wie früher, als viele Italiener von der deut- auch das Land laut Autonomiestatut, doch ist in diesem Dienst kontrolliert. Es gibt immer wieder Klagen von müssen. Landeszusatzverträge gibt es etwa dort, wo die schen Sprache nichts wissen wollten. Die meisten itali- Sinn noch nichts geschehen. Bürgern, die von Behörden nicht in ihrer Muttersprache Betriebe in Südtirol zu klein sind, um im ganzen Land auf enischen Familien sagen heute: Ich will Deutsch lernen, Man hat einige Spielräume, die Steuerhinterziehung zu bedient werden. Es gibt auch neue Entwicklungen, die Betriebsebene zu verhandeln. Dies führt dazu, dass wir hilf mir dabei. bekämpfen, nutzt sie aber nicht. Man hat keine Durch- die Gleichstellung der Sprachen in Südtirol gefährden, in Südtirol noch keinen Zusatzgesundheitsfonds aufge- führungsbestimmung zur Unterstützung der Steuerbe- wie z.B. bei der Arbeitsvermittlung. Bisher hatten wir in Die Tarifhoheit der Sozialpartner in Südtirol ist be- baut haben, was aber möglich wäre. Wir erhalten noch hörden durch das Land erlassen. Wir haben in Italien Südtirol unsere eigene Regelung, obwohl wir in dieser schränkt. Nur wenig lokale Zusatzverträge werden die meisten Leistungen gratis vom Landesgesundheits- ein gewaltiges Ausmaß an Steuerhinterziehung, das ist Materie nicht primäre Kompetenz haben. Jetzt sind im abgeschlossen, zum Schaden der Arbeitnehmer in ei- dienst. Für die Zukunft könnten wir Vereinbarungen mit ein Grund für die Misere der öffentlichen Finanzen. Rahmen des Jobs Acts die Regeln für den Arbeitslosen- nem Land mit hohen Lebenshaltungskosten. Muss das treffen, um diese zusätzliche Absicherung zu schaffen. Hier kann auch das Land tätig werden. Oft spricht man status und das Arbeitslosengeld neu definiert worden. Tarifvertragsrecht mit Rechten und Pflichten so ange- Die Zuständigkeit dafür liegt bei den Sozialpartnern. Ge- davon, was wir uns von Rom holen können. Man spricht Eine einzige Agentur soll in ganz Italien entbürokrati- passt werden, dass in Südtirol verpflichtend Zusatzver- rade die öffentlichen Arbeitgeber wären hier gefordert nicht davon, was wir selbst zum besseren Funktionieren sieren und beschleunigen. Die Neuregelung ist zwar träge abgeschlossen werden? und könnten einen wesentlichen Beitrag leisten. Wenn des Statuts beitragen können. Bei den Finanzen könnte für Italien sinnvoll, könnte aber sehr negative Auswir- Mair: Die Aufgaben der verschiedenen Verantwor- sie mit ihren ca. 40.000 Beschäftigten einsteigen, dann man die bestehenden Kompetenzen endlich anwen- kungen auf die Südtiroler Arbeitnehmerschaft haben. tungsträger sind unter Politiker und Sozialpartnern klar wäre das eine wichtige Vorbildfunktion. Die Privatwirt- den. Wir können beim Arbeitsrecht selbst Verschie- Wenn wir das nationale System übernehmen, bedeutet definiert. So soll es auch bleiben. Die Landespolitik soll schaft kann und muss dann nachziehen. Die Tragfähig- denes neu regeln, doch das Land tut es nicht, obwohl das, die ganze Software auf Italienisch übernehmen zu nicht in die Tarifautonomie der Sozialpartner eingrei- keit eines Fonds wäre gewährleistet. die Gewerkschaften das eingefordert haben. Jetzt gibt müssen. Hier ist also die Politik gefordert. Entweder wir fen. Hier gibt es auf beiden Seiten Mankos. Wir hätten Auch bei den Subventionen an Unternehmen und bei es die Möglichkeit eines bilateralen Solidaritätsfonds, in Südtirol beste Voraussetzungen, doch es fehlt an der den Steuererleichterungen, z.B. der IRAP haben wir öf- sind imstande, unser Recht auf Zweisprachigkeit gel- um die Arbeitnehmer bei Betriebskrisen besser abzusi- Bereitschaft der Unternehmerseite. Die Unternehmer ter verlangt, dass strengere Auflagen gesetzt werden. tend zu machen, ansonsten müssen wir zusehen, wie chern. Wieso engagiert sich das Land hier nicht? verlangen von der Politik besondere Zugeständnisse, Man könnte unterscheiden, ob Unternehmen eine Sozi- wesentliche Rechte ausgehöhlt werden. Auf der Pflicht besondere Möglichkeiten. Andererseits schauen sie albilanz anwenden, besonders nachhaltig wirtschaften Mindestsicherung und Migration: in Südtirol be- zur Zweisprachigkeit in diesem wichtigen Bereich müss- gerne nach Rom und berufen sich auf die Kollektivver- oder im Sinne des Gemeinwohls agieren, also umfas- steht ohne Zweifel ein höheres Sozialleistungsni- ten wir immer beharren. Man muss aber auch mehr träge, die für Italien passen, aber für uns in Südtirol nicht sendere Kriterien einführen. Den familienfreundlichen veau als in anderen Regionen Italiens, was zu ei- Möglichkeiten zur Praxis der Zweisprachigkeit schaffen. ausreichen. Als Sozialpartner finden wir zusammen zu Betrieben können die Subventionen erhöht werden, für ner gewissen Attraktivität zusammen mit dem Wäre es wichtig, dass die Nutzer der öffentlichen allgemeinen Themen, liegen bei gewissen Fragen auf jene, die nichts tun, den Zugang erschweren. Es gibt so- dynamischen Arbeitsmarkt führt. Das Land hat Dienste stärker auf ihre Muttersprache im Umgang gleicher Wellenlänge, aber bei den Gewerkschafts- mit Spielraum, soziales Verhalten über die Subventions- für die Inanspruchnahme dieser Leistungen durch mit den Behörden beharren, damit die Italiener ihr rechten, der Entlohnung und den lokalen Kollektivver- politik zu fördern. Sonst laufen wir Gefahr, zu schönen, Nicht-EU-Bürger die 5-Jahres-Ansässigkeitspflicht Deutsch auch praktizieren? handlungen fehlt es offensichtlich. Hintenherum fließt gesunden Egoisten zu werden. eingeführt. Wie sollte die Frage der Zuwande- Mair: Hier liegt ein Manko. Zuerst werden Regeln ge- nicht wenig Geld von den Unternehmen direkt an die Die Region hat bei der sozialen Vorsorge nur eine er- rung im Autonomiestatut besser geregelt werden?

126 127 Mair: Bei der Reform des Autonomiestatuts soll weniger Ist die Zweisprachigkeitszulage ein Relikt der Vergan- nach Italien und mehr nach Europa geschaut werden. genheit, das man abschaffen könnte? Die EUREGIO ist ein interessantes Beispiel, wird aber Mair: Die Zweisprachigkeit sollte im öffentlichen Dienst zu wenig genutzt. Auch bei der Integration der neuen eine Selbstverständlichkeit sein, die man nicht beson- Mitbürger muss eine Integrationspolitik erfolgen, die ders honorieren muss. Aber diesen Vorschlag hat die diesen Namen verdient. Jedes Mal, wenn wir Entschei- Politik noch nie selbst ins Spiel gebracht. Im Gegenzug dungen treffen, haben wir zwei Möglichkeiten. Wir kön- müsste man dann auch die Voraussetzungen schaffen, nen gegen jemand entscheiden oder so entscheiden, die zweite Landessprache gut zu erlernen. Hier fehlt es dass alles in gewissem Maß berücksichtigt wird. Man noch. Die Zulage bildet hierfür einen Anreiz. Eigentlich soll einschließen und niemanden ausschließen. Neue sollte es selbstverständlich sein, immer im Rahmen der Mitbürger sind auch Steuerzahler und leisten Sozial- allgemein gebotenen Wege, die zweite Landessprache beiträge. Sie haben sich bestimmte Rechte erarbeitet. gut zu erlernen. Man sollte stolz darauf sein, ohne eine Dabei werden viele Leistungen des INPS von den Zu- Zulage verlangen zu müssen. wanderern gar nicht bezogen. Man sollte die Migranten Wie kann man die italienische Sprachgruppe für den als Mitbürger und Mitstreiter für unsere sozialen Leis- 12 LH Platter, LH Rossi, LH Kompatscher beim EVTZ-Gipfel in Riva, Mai 2016 tungen sehen. Es stimmt nicht, dass jeder Zuwanderer Ausbau der Autonomie gewinnen? ganz einfach nur etwas fordern und einstreichen kann. Mair: Auf parteipolitischer Ebene gibt es noch eine kla- Die Regel zur 5-jährigen Ansässigkeit muss abgeändert re Trennung. Zum einen die Autonomieschützer, dann werden, weil sie diskriminiert. Man muss mehr auf die die Selbstbestimmungsvertreter, und dann die italie- Autonomie wahren gegenüber Brüssel Integration achten. Im Allgemeinen gibt es keinen Sozi- nischen Parteien. Der PD sagt wenig dazu. Man muss altourismus, mit wenigen Ausnahmen, etwa beim Fa- nicht gegen den Staat sein, wenn man mehr Autonomie miliennachzug. Doch das sind oft Einzelfälle, die aufge- will. Es fehlt an einer autonomiefreundlichen Positio- Territorialautonomie bedeutet möglichst eigenständige politische Gestaltungsfähigkeit einer Region innerhalb bauscht werden. Die Verantwortungsträger haben hier nierung der italienischen Politik im Land. Die Rechts- der Grenzen, die die Verfassung und die internationalen Verpflichtungen des Staats setzen. Nun gehört zu die- die Aufgabe, korrekte Informationen zu bieten und ein parteien haben immer noch große Vorbehalte zur Au- sen „internationalen Verpflichtungen“ Italiens seit 1957 auch das Unionsrecht, das in fast 60 Jahren an Umfang klares Bild zu schaffen. Und vergessen wir nicht: Wir ha- tonomie, wenn nicht gar ein Feindbild. Wir haben noch und Reichweite stark gewonnen hat. So ist Südtirols Autonomie von Brüssel aus schleichend eingeschränkt wor- ben diese Leute geholt, weil wir sie brauchen. nicht die richtige Wertschätzung der Möglichkeiten, die die Autonomie bietet. Wir verarmen sozusagen im den. Dies wurde in Südtirol kaum als ein Faktor der Einengung der Autonomie wahrgenommen, vor allem weil ASWE-Präsident Karl Tragust hat die Idee entwickelt, Reichtum. Wir verarmen intellektuell, sozial, mensch- die europäische Integration als zusätzlicher Schutz für ethnische Minderheiten gegenüber den Nationalstaaten im Land einen einheitlichen Schalter für alle Sozial- lich im weitesten Sinn. Die Italiener haben sich in dieser betrachtet wird. Bedeutet dies, dass sich Südtirol jeder neuen Regelung aus Brüssel unkritisch beugen muss? leistungen des Staats, der Region und des Landes zu Hinsicht noch nicht weiter entwickelt, die SVP entwi- Welche anderen Handlungsmöglichkeiten kann ein autonomes Land nach außen hin beanspruchen? Wie kann schaffen. Dadurch würden Funktionen und Kompeten- ckelt sich nur zaghaft. Doch die Sprachgruppen dürfen Südtirol bei der Entstehung und Umsetzung des EU-Rechts, das auf seine Zuständigkeiten wirkt, effizienter -mit zen zwecks Koordination der Leistungen zusammenge- dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir wirken? Wie kann es seine Autonomie auch gegen die Regelungswut der EU verteidigen? Und was bringt der führt. Wie soll das im Statut geregelt werden? leben in einer besonderen Realität. Ich vermisse einen EVTZ Europaregion Tirol? Mair: Es muss mehr Transparenz beim gesamten Sozi- qualitätsvollen und couragierten politischen Ansatz, Trentino-Südtirol und den Bundesländern Tirol und Vor- alleistungssystem hergestellt werden. Manches überla- dieses Potenzial eines mehrsprachigen, autonomen Vom „Accordino“ arlberg zur Erleichterung des Warenaustauschs, denn gert sich zwischen Staat, Region und Land, die Bedürf- Landes auszuschöpfen. Und zwar für alle Gruppen, zum Europäischen Verbund damals war Österreich noch nicht in der EU. 1972 wur- tigen haben nicht mehr den Durchblick. Der Vorschlag Deutsche, Italiener, Ladiner, Zugewanderte. Solange die Territorialer Zusammenarbeit de die ARGEALP gegründet, ein eher loser Verbund von von Tragust ist sehr gut, es muss eine sinnvolle Zusam- Denkweise vorherrscht, etwas gegen die andere Grup- Alpenregionen in vier Ländern, der Schweiz, Deutsch- menführung erfolgen und eine gesunde Kontrollfunkti- pe durchzusetzen, verarmt man insgesamt. Die Zusammenarbeit zwischen den Landesteilen des land, Österreich und Italien. 1980 wurde im Rahmen on eingeführt werden. ehemaligen Tirols der Habsburgerzeit hat in der Nach- kriegszeit eine bereits lange Tradition. So bildete 1969 des Europarats die Madrider Konvention zur grenz- das sog. „Accordino“ Teil des sogenannten Pakets. Es überschreitenden Zusammenarbeit verabschiedet, die war eine Art Handelsabkommen zwischen der Region auch von Österreich und Italien ratifiziert wurde. 1993

128 129 vereinbarten Italien und Österreich ein entsprechendes in Form eines Europäischen Verbunds Territorialer Zu- des EVTZ ist nicht vorgesehen. Es gibt allerdings auch lich streng beaufsichtigt. Zweck dieser Konstruktion Rahmenabkommen, das dazugehörige Zusatzprotokoll sammenarbeit EVTZ. andere Kontrollformen. So verfügt jedes Mitglied ist es, vor allem die nationalen Grenzen zwischen den trat allerdings erst 1998 in Kraft. 1) (Gebietskörperschaft) über ein absolutes Vetorecht. EU-Mitgliedstaaten weniger spürbar zu machen, nicht Gleich darauf versuchten Trient, Bozen und Innsbruck Der Europäische Verbund Der EVTZ kann auch nur mit Zustimmung aller Mitglie- zu verändern. Eine verfassungsrechtliche Anerkennung die Zusammenarbeit zu verstärken, um der Idee der in- Territorialer Zusammenarbeit der tätig werden (Einstimmigkeitsprinzip). Die Kom- des EVTZ als konstitutive Einheit des italienischen Staats terregionalen Zusammenarbeit einen institutionellen petenzen des EVTZ sind so beschaffen, dass mehrere – eine Art „transnationale Makroregion“ – ist sowohl Rahmen als „Europaregion“ zu verleihen. Dafür war 2011 ist der EVTZ Europaregion Tirol geschaffen wor- Akteure zusammenarbeiten müssen. Die Aufgabenbe- vom EU-Recht wie vom Verfassungsrecht Italiens und nicht nur die jahrhundertelange gemeinsame Geschich- den, ohne dass es einer Reform oder Abänderung des wältigung erfordert nämlich die Zusammenarbeit zwi- Österreichs nicht vorgesehen. Somit ist auch ausge- te treibende Kraft, sondern auch eine ganze Reihe offe- Autonomiestatuts oder einer DFB bedurft hätte. Damit schen EU, Staat und Regionen. Doch die Kontrolle der schlossen, dass ein EVTZ zur demokratischen Institution ner Probleme, die alle drei Gebiete gleichermaßen be- ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft entstanden, Landtage ist schwach: „Beurteilt man diese Situation mit gewählter Versammlung und Regierung mit exklusi- trafen wie z.B. der wachsende Transitverkehr über die die mehr Kompetenzen aufweist als die heutige Region aus der Perspektive der klassischen Demokratietheorie, ven Zuständigkeiten wird. Es geht um grenzüberschrei- Brennerachse, die Berglandwirtschaft, die Energiever- Trentino-Südtirol: „…die größte institutionelle Reform ist der gesamte Bereich der grenzüberschreitenden Zu- tende Zusammenarbeit, nicht mehr und nicht weniger. sorgung. 2000 nahmen diese drei Regionen gemeinsam der letzten 40 Jahre des 2. Autonomiestatuts ist ohne sammenarbeit substanziell undemokratisch“ (Palermo, Allerings könnte dieser EVTZ durchaus auch durch drei an der EXPO in Hannover teil, 2001 wurde das „Alpen- Abänderung des Statuts erfolgt“ (Palermo, 2013, 159). 2013, 165). eigenständige Rechtssubjekte (Länder) getragen wer- manifest“ verabschiedet, später erfolgten ein Abkom- Dieser Verbund dreier Länder befasst sich mit Projek- Während die Region Trentino-Südtirol immer mehr an den, also ohne die heutige Region Trentino-Südtirol. men der Universitäten der drei Gebiete und gemein- ten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der konkreten Aufgaben einbüßt, erscheint der EVTZ als same Landesausstellungen. Bis 2009 wurden die drei drei Träger in den Bereichen Wirtschaft, Energie, Mo- eine zukunftsweisende Form interregionaler Zusam- Südtirol und das Unionsrecht Zusatzprotokolle zum Madrider Rahmenabkommen zur bilität, Gesundheitswesen, Kultur und derzeit vor allem menarbeit. Die Region ist allerdings Teil der italienischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beschlossen. Forschung. Dabei geht es um Projekte, die von der EU Verfassungsordnung, der EVTZ nicht. Das italienische Nachdem die Mitgliedstaaten immer mehr Souverä- Mit dem Beitritt Österreichs zur EU am 1.1.1995 und kofinanziert werden, doch kann der EVTZ auch ganz Verfassungsrecht kennt keine grenzüberschreitenden nität an die EU übertragen haben, wird immer mehr dem Abkommen von Schengen zum Abbau der Grenz- eigenständig Projekte durchführen. Potenziell könnte Regionen. Der EVTZ ist zwar ein neuer Teil des Mehre- innerstaatliches Recht durch Unionsrecht direkt oder kontrollen 1998 wurde ein gewaltiger Schritt der Annä- der EVTZ Europaregion Tirol sogar weit mehr Aufgaben benensystems der EU-governance, aber keine für den indirekt bestimmt. Als Grenze der autonomen Gesetz- herung der früheren Landesteile Tirols getan, weil die wahrnehmen als die heutige Region Trentino-Südtirol. Staat konstitutive, in der Verfassung verankerte und gebung der Regionen Italiens ist damit in zahlreichen Tiroler südlich und nördlich des Brenners jetzt wieder Der EVTZ ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft auf nach demokratischen Prinzipien ausgestaltete, eigen- Politikfeldern die EU spürbarer geworden als der Zen- Bürger eines übergeordneten Rechtsrahmens in Form Grundlage der EU-Verordnung Nr.1082/2006 und nach- ständige Gebietskörperschaft. tralstaat. Zwar ist die Beachtung von EU-Recht für den der EU waren, also auch EU-Bürgerinnen. Diese durch folgendem Mitgliedstaatsrecht mit dem Zweck, den Südtiroler Gesetzgeber seit 1957 nichts Neues, denn Mit dem EVTZ ist die Zusammenarbeit zwischen Tirol, die EU ermöglichte Gemeinsamkeit hat für Wirtschaft, Zusammenhalt von Gebieten zu fördern, die durch eine seit Gründung der EU ist das Land grundsätzlich für den Südtirol und dem Trentino institutionalisiert worden. Gesellschaft und Kultur eine gewaltige Tragweite. Der Staatsgrenze getrennt sind. Die Mitgliedstaaten behal- Vollzug des Unionsrechts in seinem Kompetenzbereich Es gibt zwar auch den Dreierlandtag, der aber nur eine gemeinsame Binnenmarkt, das Schengen-Abkom- ten sich aber umfassende Kontroll- und Auflösungsbe- zuständig. Umfang und Reichweite des Unionsrechts Form gegenseitiger Konsultation der gewählten Reprä- men und schließlich der Start der Währungsunion am fugnisse gegenüber den EVTZ vor. Jedenfalls hat die EU bedingen die Landesgesetzgebung heute aber ganz an- sentativorgane darstellt. Kann der EVTZ „Europaregion 1.1.2001 rückte die Bevölkerung der ehemaligen Lan- erstmals supranationale Vorgaben für die institutionel- ders als noch vor 40 oder 50 Jahren. Tirol“ mittelfristig die Region Trentino-Südtirol ersetzen desteile Tirols näher, auch wenn nach wie vor am Al- le grenzüberschreitende Zusammenarbeit geschaffen. und die Zusammenarbeit der drei historischen Lan- Wie bedingt das EU-Recht die Landesgesetzgebung? penhauptkamm eine Staatsgrenze verläuft. Alle Regionen in der EU können einen derartigen EVTZ desteile auf eine verfassungsrechtliche Ebene heben? EU-Verordnungen müssen vom Land unmittelbar an- gründen, der automatisch über weitgehende Rechts- Gleich nach Inkrafttreten des Zusatzprotokolls zur Ma- Gemäß EVTZ-Verordnung 1082/2006 ist ein solcher gewendet werden, EU-Richtlinien müssen mittelbar und Geschäftsfähigkeit in jedem EU-Mitgliedstaat ver- drider Konvention wurden Verhandlungen zur Schaf- Verbund eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit der (Staatsgesetze) oder in Landesrecht umgesetzt werden. fügt. fung der Europaregion Tirol aufgenommen. Am 19. Mai Aufgabe grenzüberschreitender Zusammenarbeit, also Gegenüber der EU ist immer nur der Mitgliedstaat, also 1998 genehmigte der Dreier-Landtag die Vereinbarung Ist der EVTZ für diese Tätigkeiten demokratisch legiti- keine verfassungsrechtlich begründete Gebietskörper- in diesem Fall Italien für die innerstaatliche Umsetzung über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der miert? Der EVTZ verfügt über keine gemeinsame Ver- schaft. Grenzen werden dabei nicht abgeschafft, Souve- gegenüber Brüssel verantwortlich (vgl. Happacher, Europaregion zwischen der Autonomen Provinz Bozen- sammlung, die durch Wahl bestimmt wird. Alle EVTZ ränitätsbereiche werden nicht verändert, es wird keine 2013, 118-124). Sofern die EU-Normen, z.B. Richtlinien, Südtirol, der Provinz Trient und dem Bundesland Tirol. der EU beruhen auf einer Kooperation zwischen Orga- neue demokratische Regierungsebene zwischen den einen Gestaltungsspielraum bieten, kann Südtirol die- Diese Europaregion war zunächst eine bloß informelle nen der Exekutive, auch weil die EVTZ nur exekutive Be- Staaten und substaatlichen Einheiten, die den EVTZ tra- sen ausschöpfen. Setzt das Land das EU-Recht gar nicht Vereinigung. Erst 2011 gelang die Institutionalisierung fugnisse haben. Eine direkte demokratische Kontrolle gen, eingefügt. Zudem wird der EVTZ auch innerstaat- um, kommt die Ersatzbefugnis des Staats zum Tragen,

130 131 d.h. Rom setzt selbst die Norm, um seiner Verantwor- in den Zuständigkeitsbereich der autonomen Provinzen Heute hat Südtirol zusammen mit dem Trentino und dem Abschluss solcher Verträge vom finnischen Staat tung gegenüber Brüssel gerecht zu werden. Wenn der eingreift, sind verbesserte Organe und Verfahren der dem Bundesland Tirol zwar eine ständige Vertretung gehört werden. Stimmt Åland zu, ist es auch zur Umset- Staat eine einheitliche Regelung für ganz Italien trifft, Mitwirkung unverzichtbar. Das Trentino hat bereits ein der Europaregion Tirol in Brüssel und ist mit einem zung der entsprechenden Bestimmungen verpflichtet. wirkt dies vereinheitlichend. Dies läuft der Autonomie Europagesetz, das explizite Rechte des Landtags bei Um- Vertreter (dem Landeshauptmann) im EU-Ausschuss Lehnt es diese neuen Pflichten ab, findet das entspre- aller Regionen, aber vor allem jener der Regionen mit setzung des EU-Rechts auf Landesebene sowie anderer der Regionen präsent. Doch hat dieser Ausschuss eine chende internationale Abkommen auf dem Territorium Sonderstatut zuwider. EU-Normen greifen immer wie- Vertretungsorgane wie z.B. des Rats der Gemeinden re- recht schwache Position, zumal er nur unverbindliche der Åland Inseln keine Anwendung. Für Südtirol kommt der auch in regionale Gesetzgebungskompetenzen ein. gelt. In Südtirol ist bisher nur eine Art Ermächtigung für Stellungnahmen abgeben kann. Da Südtirol in Italien aufgrund seiner tiefen außenwirtschaftlichen Verflech- Dabei sind nur die Mitgliedstaaten verpflichtet, die die Landesregierung vorgesehen. Unabhängig von der aber einen besonderen Rechtsstatus einnimmt und tung eine solche Klausel nicht in Frage, doch muss die betroffenen Regionen zu konsultieren, wobei das Wie Autonomiereform muss im zweiten Europa-Gesetz des eine besondere Autonomie beanspruchen kann, muss Autonomie im Sinne der freien Gestaltung wichtiger ihnen überlassen bleibt. Beim sog. Subsidiaritätsprü- Landes festgelegt werden, wie Bozen direkt mit Brüssel das auch im Verhältnis zur EU zum Tragen kommen. Es politischer Aufgaben auch gegenüber dem Ausland und fungsverfahren muss Italien nicht zwingend die Regi- verhandeln kann und wie der Landtag von der Landes- genügt nicht, eine eigene Vertretung in Brüssel zu un- gegenüber supranationaler Institutionen (EU) gewahrt onen einbeziehen. Weder hat eine Subsidiaritätsrüge regierung einbezogen werden muss. terhalten, vielmehr geht es um die Aufrechterhaltung werden. eine besondere Wirkung, noch haben die Regionen ein des Kerns der Autonomie gegenüber Brüssel. Während Vetorecht. Mehr Mitbestimmung bei die Autonomen Gemeinschaften Spaniens für die ge- Autonomie auch Beispiel für eine klassische EU-Befugnis ist der Schutz auswärtigen Angelegenheiten meinsame Vorbereitung und Interessenabstimmung gegenüber Brüssel wahren des freien Wettbewerbs. Obwohl das Autonomiesta- gegenüber der EU eine eigene bilaterale Kommission tut diesen Bereich dem Land zuweist, muss dieses die Weder das Paket (Peterlini, 2000, 251-274) noch das Au- mit der Regierung sowie eine eigene Konferenz Staat- Nun wird die Verabschiedung von DFBen vorgeschla- unionsrechtlichen Vorgaben genauestens beachten. Je tonomiestatut enthalten irgendwelche Bestimmungen, Autonome Gemeinschaften für die Unionspolitik einge- gen, um die Mitsprache Südtirols bei der Bildung von mehr primäre Zuständigkeiten das Land hat, desto grö- die Südtirols Rechte und Handlungsmöglichkeiten bei richtet haben, gibt es in Italien nichts Derartiges. Süd- Unionsrecht in den staatlichen Regierungsorganen ßer ist sein Gestaltungsspielraum auch in der Umset- auswärtigen Angelegenheiten, speziell gegenüber der tirol kann auch nicht direkt Klage beim Europäischen festzuschreiben (Happacher 2014). Aber Südtirol muss zung von Unionsrecht. Somit sind primäre autonome EU, verleihen. Das „Accordino“, ergänzende Maßnahme Gerichtshof wegen Verletzung seiner Autonomie ein- nicht nur gehört werden, sondern muss auch zustim- Zuständigkeiten auch deshalb von größter Bedeutung, zur Förderung des Handelsaustauschs mit Österreich, bringen oder direkt Beziehungen mit EU-Institutionen men, wenn seine Zuständigkeiten betroffen sind. Bloße um auch gegenüber Brüssel substanzielle Autonomie zu hat sich spätestens durch den EU-Beitritt Österreichs aufnehmen, um Fragen in seinem Zuständigkeitsbe- DFB reichen für diesen Zweck nicht aus, vielmehr müs- wahren. erübrigt. 1969, als das Paket angenommen wurde, war reich abzuwickeln. Der Landeshauptmann darf zwar sen solche und darüber hinausreichende Rechte im Sta- Die italienische Verfassung räumt den Regionen ein weder die internationale Rechtsfähigkeit noch der Be- ohne Stimmrecht an den Sitzungen des Ministerrats in tut selbst klar verankert werden, wie folgende: Beteiligungsrecht ein, wenn die Mitgliedstaaten selbst darf an Mitbestimmung bei der Bildung und Umsetzung Rom teilnehmen, soweit die Autonomie der Provinz be- 1. Einrichtung einer bilateralen Kommission beim Mi- in die EU-Rechtsetzung einbezogen sind. Diese Rechts- von Unionsrecht ein Thema. Dies hat sich mittlerweile rührt ist (Art. 52 ASt.), was kaum mehr als symbolische nisterrat in Rom zwecks Abstimmung der Politik stellung erfolgt im Rahmen der Konferenz der Regionen wesentlich geändert. Außerdem ist es zahlreichen an- Bedeutung hat (Toniatti, 2005, 88). Italiens gegenüber der EU sofern Zuständigkeiten und im Rahmen der Ständigen Konferenz für die Be- deren autonomen Regionen in EU-Mitgliedstaaten ge- Südtirols betroffen sind. ziehungen zwischen Staat, Regionen und autonomen lungen, in ihren Statuten außenpolitische Befugnisse zu Genauso wenig muss Südtirol als besondere autonome 2. Die Pflicht der Zentralregierung, Südtirol über die Provinzen. Südtirol ist in dieser Konferenz vertreten verankern. Das Unionsrecht greift heute viel tiefer und Region einbezogen werden, wenn Italien anderweitig Erarbeitung der neuen unionsrechtlicher Bestim- und kann direkt an der Beschlussfassung mitwirken: Für breiter in die autonomen Zuständigkeiten Südtirols ein, internationale Verträge abschließt, die sich auf die au- mungen (auch Initiativen zur Revision der EU-Ver- EU-Beschlüsse gilt, insofern sie Themen behandeln, die weshalb im Statut selbst Klärungen zu den Beteiligungs- tonomen Zuständigkeiten auswirken. Da die Regionen träge) zu informieren und seine Stellungnahme ein- in den Zuständigkeitsbereich Südtirols fallen, dass der rechten und Verfahren bezüglich des Unionsrechts Italiens in ihrer Gesetzgebungstätigkeit die Schranke zuholen, falls autonome Zuständigkeiten betroffen Landeshauptmann als Berater an der Sitzung des Minis- festzulegen sind. Wie kann Südtirol auf die Bildung von der internationalen Verpflichtungen des Staats zu be- sind. terrats teilnehmen darf. Unionsrecht Einfluss nehmen, wenn seine primären achten haben, befinden sie sich in einer subalternen 3. Beteiligung Südtirols an der Kontrolle hinsichtlich Wirksame Information, Beteiligung in der Vorbe- Zuständigkeiten betroffen sind? Welchen Gestaltungs- Position. Sie „erleiden“ die völkerrechtlich bindende der Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und der reitungsphase und die Abstimmung der Positionen spielraum können die Autonomen Provinzen nutzen, Außenpolitik, können sie auch dann nicht direkt- mit Verhältnismäßigkeit. Südtirol muss eine eigenstän- zwischen Staat und Regionen sind damit noch nicht wenn Unionsrecht in ihrem Bereich umgesetzt werden bestimmen, wenn ihre autonomen Zuständigkeiten be- dige Klagebefugnis vor dem Europäischen Gerichts- gewährleistet. Die besondere Autonomie Südtirols er- muss? Welche Vertretungsrechte hat Südtirol bei der troffen sind. Dies ist z.B. auf den Åland Inseln anders hof bekommen, um gegen Verletzungen seiner Au- fordert auch eine besondere Form der Mitbestimmung EU? Wie kann sich Südtirol im Rahmen des Staats an geregelt, obwohl diese autonome Region im Vergleich tonomie auch auf EU-Ebene vorgehen zu können. beim Unionsrecht. Da das Unionsrecht immer stärker der Entwicklung von Unionsrecht direkt beteiligen? mit Südtirol viel weniger Gewicht hat. Åland muss vor 4. Südtirol soll in der italienischen Delegation auch

132 133 an der Verhandlung und Festlegung von Unions- mehr Politikfelder Südtirol „primär“ bearbeiten kann, dezentralen Entwicklungszusammenarbeit hat sich Südtirol ein eigenes Landesgesetz zur Entwicklungszu- recht beteiligt werden, vor allem bei für das Land desto mehr Spielraum hat es auch gegenüber der EU. sammenarbeit (L.G. Nr.5 vom 5.3.1991) gegeben. Dafür relevanten finanziellen und verwaltungsrechtlichen Außerdem muss auch das Verfahren der Umsetzung von schüttet das Land jährlich rund 4 Mio Euro aus (2016) Folgen. Unionsrecht auf Landesebene besser geregelt werden. und ist in zahlreichen Ländern vor allem des Südens mit 5. Südtirol soll auch eigenständig Beziehungen zur der Förderung von Kleinprojekten freier Projektträger Im Zuge der Verfassungsreform der Regierung Renzi sowie in bilateraler Zusammenarbeit mit Gebietskör- EU-Kommission und anderen Institutionen unter- perschaften aktiv. halten können, um Fragen ihrer Zuständigkeit zu zieht der Staat nicht nur eine Reihe von bisher regio- betreiben. nalen Zuständigkeiten an sich, sondern schafft neue Zur Vertiefung „transversale Gesetzgebungskompetenzen“. Mit die- 6. Südtirol soll für die Verwaltung der EU-Gelder, die Peter Hilpold/Walter Steinmair/Christoph Perathoner im Rahmen seiner Zuständigkeiten und der EU-Pro- sem Hebel kann der Staat zum Schutz der rechtlichen (Hrsg., 2016), Europa der Regionen, Springer und wirtschaftlichen Einheitlichkeit des Staatsgebiets gramme auf regionaler Ebene verausgabt werden, Palermo, Francesco (2013), Der EVTZ als neues Instru- im nationalen Interesse eingreifen. Im nationalen Inter- zuständig sein. ment grenzüberschreitender Zusammenarbeit, in: Hap- 7. Auch beim Abschluss internationaler Verträge ge- esse liegt natürlich auch die Umsetzung des EU-Rechts. pacher, Esther/Obwexer Walter (eds.), 40 Jahre Zweites Dieses Durchgriffsrecht hatte der Staat zwar schon vor Autonomiestatut – Südtirols Sonderautonomie im Kon- genüber anderen Vertragspartnern außerhalb der text der europäischen Integration, facultas, Wien, 158- der Verfassungsreform der Regierung Renzi, doch ist es EU muss die Autonome Provinz im Rahmen der 172 genannten bilateralen Kommission für auswärtige mit der neuen „Suprematieklausel“ noch wirksamer. Der europäische Faktor ist bei der Weiterentwicklung Alice Engl (2014), Zusammenhalt und Vielfalt in Europas Angelegenheiten angehört werden. Grenzregionen. Der Europäische Verbund für territoriale 8. Das Recht auf grenzüberschreitende Zusammenar- der Südtiroler Autonomie umfassend zu berücksichti- Zusammenarbeit in normativer und praktischer Dimen- sion. beit mit anderen Regionen im Sinne der Europäi- gen, empfiehlt Esther Happacher, denn: „..eine Erweite- Nomos rung der Autonomiesphäre durch Unionsrecht ist nicht schen Rahmenkonvention (Madrid 1980) und der Esther Happacher (2014), Modelle für die Weiterent- europäischen EVTZ-Verordnung 1082/2006 soll im zu erwarten“ (Happacher 2014, 123). wicklung der Autonomie: der europäische Faktor, in Thomas Benedikter (Hg.), Mit mehr Demokratie zu Statut verankert werden. Auch mit Regionen au- So müssen die autonomen Regionen zumindest im Voll- mehr Autonomie, SBZ-POLITiS, Bozen, 118-124 ßerhalb des EVTZ Europaregion Tirol und außerhalb zug des Unionsrechts und in der Beteiligung an der Bil- der EU soll kooperiert werden können. Obwexer, Walter/Happacher, Esther/Baroncelli, Stefa- dung des Unionsrechts ihre Rechte wahren. Nicht von nia/Palermo, Francesco (Hg. 2015), EU-Mitgliedschaft 9. Das Recht Südtirols auf Tätigkeiten in der Entwick- ungefähr verankert auch der VerfGE Nr. 32/2013 (Art. 6, und Südtirols Autonomie. Die Auswirkungen der EU- lungszusammenarbeit soll statutarisch verankert Mitgliedschaft auf die Autonomie des Landes Südtirol P. 4) von Zeller/Berger das Recht Südtirols auf Einbezie- am Beispiel ausgewählter Gesetzgebungs- und Verwal- werden. hung bei der Umsetzung des Unionsrechts auf seinem tungskompetenzen. Verlag Österreich, Wien 10. Südtirol muss seine wirtschaftlichen Interessen Gebiet. Nicht nur das Subsidiaritätsprinzip gegenüber speziell in den deutschsprachigen Nachbarländern Esther Happacher (2012), Südtirols Autonomie in Euro- Brüssel ist zu verteidigen, sondern vor allem auch Südti- pa. Institutionelle Aspekte der Europäischen Integrati- mit eigenen Auslandsvertretungen vertreten dür- rols Sphäre eigenständiger Gestaltung des Unionsrechts on. Jan Sramek Verlag, Wien fen. Für alle Fragen der Zusammenarbeit mit dem gegenüber Rom. Je breiter die Autonomie aufgestellt EU- Bundesland Tirol sollte ein ständiges Südtirol-Büro Baroncelli/Happacher/Obwexer/Palermo (2015), ist, je mehr primäre Zuständigkeiten verankert sind, Mitgliedschaft und Südtirols Autonomie, Verlag Öster- in Innsbruck eingerichtet werden können. desto mehr Eigenständigkeit hat das Land auch bei der reich, Wien 11. Südtirol soll sich an internationalen Organisationen Umsetzung des Unionsrechts, desto mehr Autonomie Das Portal der Europaregion: http://europaregion.info und Gremien beteiligen dürfen, insbesondere bei kann es auch gegenüber Brüssel wahren. sozialen, kulturellen und Sportorganisationen. 12. Südtirol soll auch von sich aus Italien den Abschluss Anmerkungen: neuer Abkommen und Verträge auf internationaler 1) Vgl. Rahmenabkommen zwischen der Republik Öster- reich und der Italienischen Republik über die grenzüber- Ebene vorschlagen und daran mitwirken können. schreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaf- Für die möglichst autonome Ausgestaltung von unions- ten, in Kraft seit 1. August 1995. Text in: Oskar Peterlini rechtlichen Vorgaben ist natürlich eine möglichst gro- (2000), Autonomie und Minderheitenschutz in Trentino- Südtirol, Aut. Region Trentino-Südtirol, 245 ße Bandbreite primärer Zuständigkeiten wesentlich. Je 2) Auf Grundlage der staatlichen Gesetzgebung zur

134 135 Das Regierungskommissariat: der insgesamt rund 8.800 Staatsstellen (Stand Ende 2014) Stel- braucht ein autonomes Land len von Polizisten, Soldaten und Bahnbediensteten sind, be- einen Wachhund? schränkt sich die Verwaltung auf etwa 2.000 Stellen. Die Wett- bewerbe für diese Stellen werden vom Regierungskommissar Diese Institution ist eigentlich ein Relikt ferner Zeiten, als noch von nach vorherigem Einvernehmen mit dem Land gemäß Proporz Rom eingesetzte Präfekten die Regionen mitregierten. Die Webseite ausgeschrieben. Vom Proporz ausgenommen ist, neben Polizei des Regierungskommissariats lautet heute noch auf „prefettura“. Seit und Militär, auch das Regierungskommissariat selbst. Zugangs- 2001 ist diese Figur in allen anderen 19 Regionen verschwunden, nur voraussetzung für diese Stellen, schreibt das Kommissariat, ist in der Region Trentino-Südtirol haben die Regierungskommissare als der Zweisprachigkeitsnachweis. Statthalter des Staats sogar neue Aufgaben erhalten. Schon vorher Im Aostatal gibt es keinen Regierungskommissar. In der Auto- waren die Herrschaften im Bozner Herzogspalast mit der Kontrolle nomen Region Aostatal ist seit jeher der Regionspräsident (Lan- des Sprachgebrauchs im öffentlichen Dienst betraut worden, eine deshauptmann) mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen eigentlich genuine Aufgabe von Landesorganen. Laut Statut (Art. 87 Ordnung betraut. Dafür ist er direkt der Regierung in Rom ver- und 88) hat die Regierungskommissarin vor allem zwei Aufgabenbe- antwortlich und kann sich der Staatspolizei und lokalen Polizei reiche: zum einen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, 13 bedienen. Diese Aufgabe wäre mit einer eventuellen Landespo- zum anderen die Koordinierung und Beaufsichtigung der Befugnisse lizei noch zweckmäßiger zu erfüllen. Der Regionspräsident ist des Staats innerhalb des Landes. Dies betrifft aber nicht die Justiz, die im Aostatal auch damit betraut, die vom Staat ans Land dele- Die Region Trentino-Südtirol: Verteidigung und die Bahn, die von den jeweiligen Ministerien direkt gierten Befugnisse zu überwachen. Somit ist er auch Vertreter verwaltet werden. Für die Polizei gibt es zusätzlich auch den Quästor. des Staats in der Region, jedoch frei gewählt vom aostanischen Plattform der Zusammenarbeit oder Der dritte Aufgabenbereich ist jener der früheren Präfekten, deren Regionalrat. Außerdem ist seit 2001 eine frühere, für alle au- entbehrliches Relikt? Aufgaben in allen übrigen Regionen teils durch die Regionalverwal- tonomen Regionen lästige Aufgabe der Regierungskommissare tung, teils durch direkte Ministerialämter übernommen worden sind. entfallen, nämlich die Anbringung des Sichtvermerks bei den Aus der EU-Regionalstatistik (NUTS2) ist die Region Trentino-Südtirol schon verschwunden, ersetzt durch die Das Kommissariat selbst listet seine Funktionen folgendermaßen auf: neuen Landes- bzw. Regionalgesetzen bzw. die Entscheidung zu beiden autonomen Provinzen. In der Realität geistert sie noch als eine Art politischer Zombie durch die Politik, Öffentliche Ordnung und Sicherheit, Wahlen (Parlaments- und Euro- ihrer Rückverweisung vor dem Inkrafttreten. Diese Wachhund- ohne echte Funktion und Legitimation, allein aufgrund eines strategischen Kalküls, jenem der Sicherung der pawahlen, Volksbefragungen auf gesamtstaatlicher Ebene), Vermitt- rolle ist seit 15 Jahren gestrichen, der Staat kann Landesgeset- Autonomie für das Trentino. Würde die Südtiroler Bevölkerung über den Fortbestand der Region frei abstimmen lung und Schlichtung bei Arbeitskämpfen und Gewährleistung der ze nur mehr direkt nach der Verabschiedung vor dem Verfas- können, letztere hätte nicht mehr lange Bestand. Zudem hängt die gute Zusammenarbeit zwischen dem Trenti- wesentlichen Dienste, Straßenschließung, Zweisprachigkeitsprüfung, sungsgericht anfechten. Zwingend nötig ist die Institution des no und Südtirol und die gemeinsame Trägerschaft des EVTZ Euregio Tirol durchaus nicht von der Existenz einer Auszeichnungen, Staatsbürgerschaft, Kult-Ausübung, Verwaltungsver- Regierungskommissars nicht mehr, sonst wäre sie nicht im rest- solchen Region ab. gehen, Führerscheinentzug, Drogenbekämpfung, Antimafia-Gesetze, lichen Italien gestrichen worden. Flüchtlinge (Gebietsbeirat für Immigrationswesen), Staatspolizei (wirt- Ein Erbe Degasperis liche Schludrigkeit erlaubte die Erfindung der Region. schaftliche Behandlung des Personals und Kasernen), Genehmigung Unverzichtbare dezentrale Verwaltungsaufgaben des Innenmi- Es war Alcide Degasperi, der 1946/47 sein Trentino ge- öffentlicher Bauaufträge, Überwachungsaufgaben über Gemeinde- nisteriums könnten entweder die Polizeidirektion oder ein be- Die Region Trentino-Südtirol wurde mit dem 1. Auto- schickt an den Autonomiezug Südtirols ankoppelte, ein meldeämter, Einwanderung, Zivilschutz (beschränkt auf den Einsatz scheideneres Ministerialbüro übernehmen, während weitere nomiestatut von 1948 geschaffen, worin sie noch mit Klotz am Bein bis heute. Doch Degasperis Schachzug hat von Staatsorganen). Einige dieser Aufgaben fallen in die Zuständigkeit Aufgaben beim Land besser angesiedelt sind, wie z.B. die Lei- „Trentino-Tiroler Etschland“ bezeichnet wurde. Der den Südtiroler Anspruch auf eine echte, vollumfängliche des Innenministeriums, andere können durchaus vom Land wahrge- tung von Wahlen, Volksabstimmungen, alle Zweisprachigkeits- Pariser Vertrag von 1946 sieht explizit keine Region Autonomie jahrzehntelang frustriert. Dies war während nommen werden. fragen und manche andere. So ist der Regierungskommissar in vor, sondern „die Ausübung einer autonomen Gesetz- des 1. Autonomiestatuts 1948-1972 besonders spürbar, Bozen eher Ausdruck römischen Misstrauens gegenüber einer gebungs- und Vollzugsgewalt der Bevölkerung für den als eine italienische Mehrheit in der Region die eigentli- In Südtirol ist das Regierungskommissariat auch deshalb bekannt, weil nördlichen Grenzprovinz, der man nicht ganz über den Weg Bereich ihrer Gebiete“ (Punkt 2, PV), allerdings wird das che Macht ausübte, und setzte sich, etwas geschwächt, es das gesamte im Land tätige Personal der Staatsverwaltung mit Aus- traut. Die Abschaffung des Regierungskommissariats ist kein Bezugsterritorium nicht genau abgegrenzt, sondern: mit dem 2. Autonomiestatut von 1972 fort. Das neue nahme der Ordnungskräfte und der Bediensteten des Verteidigungs- Hirngespinst, zumal sie schon mehrfach vom Landtag mit gro- „….der Rahmen, in welchem die besagte Autonomie Autonomiestatut rückte die beiden Provinzen an die ministeriums mit den entsprechenden Stellenplänen verwaltet („Ein- ßer Mehrheit gefordert worden ist. Anwendung findet, wird noch bestimmt.“ erste Stelle, nachdem die Südtiroler mit allen Mitteln heitliches Amt für das Personal der Staatsverwaltung“). Weil gut 6.800 Diese für ein völkerrechtliches Dokument erstaun- auf dem „Los von Trient“ bestanden.

136 137 Die Verfassungsreform von 2001 verfügte, dass die Re- verzüglich durch zwei eigenständige Regionen ersetzt 3. Ergänzende Zuständigkeit bei der Sozialvorsorge zusammen aus dem Präsidenten, dem Vize-Präsidenten gion aus den beiden Autonomen Ländern gebildet wird, werden, so die BürgerUnion und andere Südtiroler und Sozialversicherung. und den Regionalassessoren. Diese Zusammensetzung also die beiden Landtage als ursprüngliche Landespar- Parteien. Auch die Freiheitlichen wollen die Region, in 4. Die Region kann nach Befragung der Bevölkerung muss dem Verhältnis der Sprachgruppen entsprechen, lamente konstituiert wird (Art. 116 Verf.: „Die Auto- ihren Augen eine leere Schachtel, überflüssig und teuer, neue Gemeinden errichten und die Abgrenzung der wie die Regelung für den Südtiroler Landtag. Die Vertre- nomen Provinzen Bozen und Trient bilden die Region abschaffen. Die verbliebenen Kompetenzen sollten an Gemeinden und ihre Benennung ändern. Es ist ein tung der Ladiner wird abweichend von dieser Regelung Trentino-Alto Adige/Südtirol“). die Länder übergehen, die auch im Rahmen der Euregio Regionalgesetz nötig, um im Trentino und in Südti- (ohne spezifische Regel im Statut) gewährleistet. Art. 40 Obwohl nach diesen Reformen funktional eigentlich Tirol zusammenarbeiten könnten. Ein entsprechender rol Gemeindegrenzen zu ändern, neue zu errichten ASt. regelt die Befugnisse des Präsidenten der Region. überholt, ist die Region bis heute aufrechterhalten wor- Antrag wurde im Herbst 2013 erwartungsgemäß vom oder bestehende zusammenzulegen. Als politische Kompromisslösung zwischen Südtirol und den. In Zeiten verstärkter Rationalisierung der öffent- Regionalrat abgelehnt. Laut Autonomiestatut (Art. 18) und dem Subsidiaritäts- dem Trentino wurde die Rotation der Präsidentschaft lichen Finanzen und Abschlankung der bürokratischen Die Trentiner Rechtsparteien hingegen wollen die Regi- abkommen hat die Region die Verwaltungsbefugnisse eingeführt: nämlich eine halbe Amtsperiode für den Apparate wäre eine solche „Supra-Region“ auch aus on ausbauen und mit neuen Aufgaben betrauen: eine bezüglich ihrer Zuständigkeiten weitgehend an die bei- Trentiner, die andere für den Südtiroler Landeshaupt- Gründen der Sparsamkeit nicht mehr zu rechtfertigen. Regionalpolizei, Regionalsteuern und die regionale Ver- den Länder delegiert. Selbst verwaltet die Region heute mann. Die Verwaltung der meisten Zuständigkeiten hat die waltung der Justiz wurden ins Spiel gebracht. Zumin- noch folgende Bereiche: örtliche Körperschaften, Ge- Eine ethnisch begründete Garantieklausel für ein Veto Region ohnehin seit Langem den Autonomen Provinzen dest bei der Justizverwaltung hatte das Trentino mit meindezusammenschlüsse, Wahlen, Friedensgerichte, zum Haushaltsvoranschlag besteht nicht nur im Süd- übertragen. Keine der heute von der Region ausgeüb- diesen Forderungen sogar Erfolg. Die GRÜNEN sehen in europäische Integration und humanitäre Hilfe, Sprach- tiroler Landtag, sondern auch im Regionalrat (Art. 84 ten Gesetzesbefugnisse mit Ausnahme der eigenen Per- der Region eine Art Bindeglied zwischen den Ländern, minderheiten, Sozialvorsorge und Öffentliche Betriebe ASt.). Auf Antrag der Mehrheit der Abgeordneten einer sonalordnung kann nicht mit mehr Sachkompetenz und die in den Bereichen Verkehr, Energie und Gesundheit für Pflege- und Betreuungsdienste (ÖBPB). Sprachgruppe muss über einzelne Kapitel des Haus- demokratischer Legitimation von den beiden Ländern neue Aufgaben erhalten könnte. haltsvoranschlags der Region nach Sprachgruppen ausgeübt werden, schon gar nicht ur-demokratische Re- Betrachtet man die Gesetzgebungsbefugnisse der Regi- getrennt abgestimmt werden. Zunächst kommt es in gelungsbefugnisse wie die Gemeindeordnung. Welche Macht on im Einzelnen (Gemeindeordnung, Enteignung zu öf- fentlichen Zwecken, Grundbuch, Feuerwehr, Ordnung einem solchen Konflikt zu einem Vermittlungsversuch. Der politische Hintergrund für die Aufrechterhaltung hat die Region heute? des Gesundheitswesens, Handelskammern, Genossen- Eine Kommission, bestehend aus jeweils zwei Vertre- der Region ist offensichtlich – wenn auch im Trentino schaften und Beiträge für öffentliche Arbeiten), wird tern der beiden stärksten Sprachgruppen, versucht eine immer wieder bestritten: Das Trentino würde, wenn Die Region hat heute noch primäre Gesetzgebungs- klar, dass für keines dieser Politikfelder zwingend eine Schlichtung. Gelingt sie nicht, kann das Verwaltungsge- allein gelassen, seine Autonomie verlieren und Gefahr kompetenz in 10 Sachgebieten, sekundäre Kompetenz regionale Regelungskompetenz nötig wäre, mit Aus- richt Bozen angerufen werden. Der Schiedsspruch die- laufen, an die Region Venetien angeschlossen zu wer- in zwei und eine ergänzende (tertiäre) Befugnis in der nahme der Ordnung der Regionalämter und der halbre- ses Gerichts kann nicht Gegenstand einer Beschwerde den. Es ist nicht überraschend, dass die Trentiner bei Sozialfürsorge und Sozialversicherung. Dabei unterliegt gionalen Körperschaften. Im Gegenteil: In den meisten beim Verfassungsgericht sein. Diese „Haushaltsgaran- der anstehenden Reform des Autonomiestatuts eher die Autonome Region folgenden rechtlichen Schranken: Fällen unterscheiden sich die beiden Länder so deutlich tie“ kam bisher noch nie zum Tragen. Laut Art. 56 Ast. die Stärkung der Region als deren Abbau anpeilen. Da- Verfassung, Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung, (z.B. beim Feuerwehrwesen, den Gemeinden oder den kann die Mehrheit einer Sprachgruppe im Regionalrat bei kann sich Trentino in der Begründung seiner Auto- internationale Verpflichtungen des Staats, nationale Genossenschaften), dass diese legislativen Zuständig- auch einen Rekurs gegen ein Regionalgesetz vor dem nomie durchaus auch wie Friaul Julisch Venetien auf Interessen und grundlegende wirtschaftlich-soziale Re- keiten auch aus funktionalen Gründen bei den Ländern Verfassungsgericht anstrengen. Es ist der einzige Fall in seine historischen Besonderheiten berufen. formen. Sie übt vier Arten von Gesetzgebungsbefugnis- anzusiedeln ist. Diese Unterschiedlichkeit schlägt sich der italienischen Rechtsordnung, wo theoretisch eine Vor allem für die deutsche Rechtsopposition in Südti- sen aus: auch in den Gesetzestexten selbst nieder, so z.B. im einzige Person (z.B. ein ladinischer Regionalratsabge- rol ist die Region ein Klotz am Bein, dessen man sich 1. Alleinige Befugnisse (Ordnung der Regionalämter Wahlrecht der Gemeinden, das einen Teil der regiona- ordneter) eine direkte Verfassungsbeschwerde einrei- schnellstens entledigen will: „Die Region hat kaum Be- und Personal, Ordnung der halbregionalen Körper- len Gemeindeordnung bildet. Das Gesetz hat zahlreiche chen kann. fugnisse, kostet Unmengen an Steuergeldern und dient schaften, Gemeindeordnung, Enteignung aus Grün- Artikel, die speziell das Trentino, andere wiederum, die einzig und allein dazu, die Südtiroler zu überstimmen“, den der Gemeinnützigkeit, Grundbuch, Feuerwehr, Gemessen an ihren Gesetzgebungs- und Verwaltungs- speziell Südtirol betreffen. Es wird künstlich zusammen- meint L.Abg. Pöder in der Begründung seines Antrags Gesundheitswesen, Handelskammern, Genossen- befugnissen hat die Region Trentino-Südtirol keine gespannt, was eine eigenständige Regulierungskompe- auf Änderung des Autonomiestatuts Nr. 1/2015. Die schaftswesen, Meliorierungsbeiträge). funktionale Existenzberechtigung mehr. Der Großteil tenz in Trient und Bozen erfordert. Region sei nichts Weiteres als ein „künstlich beatmetes 2. Konkurrierende Befugnisse (öffentliche Fürsorge der Verwaltungsbefugnisse ist den beiden Ländern Relikt der Teilung Tirols und der Bindung an den italie- und Wohlfahrtseinrichtungen, Sparkassen, Raiffei- Der 70-köpfige Regionalrat besteht aus den beiden übertragen worden, weshalb auch das Budget 2016 auf nischen Staat“. Da die Region den Bürgern keinen er- senkassen, Boden- und Agrarkredit, also regionale Landtagen und trifft sich monatlich. Der Regionalaus- 294,8 Millionen Euro gesunken ist. Für den Regionalrat kennbaren Nutzen oder Mehrwert bringe, solle sie un- Kreditanstalten). schuss, die Regierung der Autonomen Region, setzt sich arbeiten 35 Mitarbeiter, zwei Drittel davon in Trient und

138 139 ein Drittel in Bozen, denn Trient ist die offizielle Haupt- scher Ebene gibt es dafür bereits zwei Vorschläge: zum (neuen) Autonomen Regionen Trentino und Südtirol zwar das Trentino mittlerweile auf eine geschichtliche stadt der Region. Da der Großteil der Verwaltung an einen den Entwurf der Trentiner Professoren Postal, erlaubte, Formen institutionalisierter Zusammenarbeit Sonderstellung verweisen, um Autonomie zu recht- die Länder delegiert wurde, sind heute nur mehr rund Carli und Toniatti vom Juni 2013 für ein drittes Autono- mit eigenen bilateralen Strukturen ohne verfassungs- fertigen. Sollte dessen Autonomie aber tatsächlich an 200 Beamtinnen für die Region tätig. Dennoch wurde miestatut (im Auftrag der Provinz Trient), zum anderen rechtlichen Zwang zu errichten. Die Abschaffung der der Nabelschnur der Südtirol-Autonomie hängen, liefe mit der Reform der Verfassung mit Verfassungsgesetz der VerfGE Nr. 32 von Zeller und Berger zur Gewährung heutigen Region hätte nämlich keinesfalls den Abbruch es bei einer Abkopplung Gefahr, im heutigen innerita- Nr.3/2001 auf Antrag der Mehrheit des Regionalrats der Vollautonomie vom 15. März 2013. der Zusammenarbeit dieser zwei Nachbarn zur Folge. lienischen Kontext wesentliche Einbußen zu erleiden. von Trentino-Südtirol das eigentlich unnütze Fortbeste- Sie würde in einem Koordinierungsorgan (Berger/Zel- Die Regierung Renzi hat zwar wiederholt betont, dass hen dieser Institution im Parlament festgeschrieben. Die Trentiner Fachleute schlagen eine „Regionale Uni- ler), in einer bilateralen Versammlung (Toniatti/Postal/ die gut geführten autonomen Regionen bzw. Provinzen Übrigens bedurfte es eines Verfassungsgerichtsurteils on“ zweier „Autonomer Gemeinschaften“ Trentino Carli 2013) oder in einer neuen, frei vereinbarten Form, ihren Weg weiter gehen sollen. Das Trentino hat nicht (VerfGH-Urteil Nr. 312-2004), um zu klären, dass alle und Südtirol mit einer Versammlung vor, die kein Re- etwa im Rahmen des EVTZ Europaregion Tirol fortge- nur bewiesen, dass es seine Autonomie gut nutzt, son- Residualkompetenzen nur den beiden Autonomen Pro- gionalrat, sondern eine bloß bilaterale Versammlung setzt und ausgebaut. Als in der Verfassung verankertes dern steht modellhaft für alle Regionen Italiens, die sich vinzen zustehen. Residualkompetenzen sind jene Sach- wäre, vergleichbar dem heutigen Dreierlandtag. Diese institutionelles Korsett für die politische Eigenständig- mit einer differenzierten Ausstattung mit autonomen bereiche, die bei der Auflistung in der Verfassung Art. Regionale Union hätte als einzige Gesetzgebungszu- keit Südtirols wäre sie aber definitiv passé. Schließlich Zuständigkeiten und Finanzmitteln genauso gut entwi- 117 nicht ausdrücklich dem Staat als alleinige oder kon- ständigkeit die Regelung der Zusammenarbeit auf ge- würde die Überwindung der Region für das Autono- ckeln könnten. Italien könnte sich ein Beispiel an Spa- kurrierende Zuständigkeit vorbehalten sind. meinsamen Interessensgebieten. Die Regionalgesetze miestatut eine ganz wesentliche Vereinfachung bedeu- nien nehmen und allen Regionen die jeweils passende wären bloße Abkommen zwischen den beiden Autono- ten und einer Statutshoheit des Landes den passenden Autonomie gewähren. Welche Alternative zur Region? men Gemeinschaften, die mit getrennter Abstimmung demokratischen Raum verschaffen. (Mehrheit in den jeweiligen Landesdelegationen) ab- Zur Vertiefung Die Schaffung einer eigenständigen Autonomen Regi- Schon aus Gründen demokratischer Legitimation ist die gesegnet würden. Der Vorsitz dieser Regionalen Union on Südtirol ist überfällig und bedeutet keineswegs die Massimo Carli/Gianfranco Postal/Roberto Toniatti (Juni Region grundsätzlich in Frage zu stellen. Sie wirkt heute würde zur Halbzeit der Legislatur zwischen Bozen und 2013), Proposte per l’approfondimento di possibili linee Auflösung bestehender Formen der institutionellen Zu- wie eine Fußfessel für eine eigenständige Demokratie in Trient rotieren, die Regionalregierung bestünde nur guida per il terzo Statuto di Autonomia, Autonome Pro- sammenarbeit zwischen Südtirol und dem Trentino. Re- den beiden Provinzen. Sie wurde 1948 gegen den Wil- aus den beiden Landeshauptleuten. Die Regionale Uni- vinz Trient gionalrat und Regionalausschuss können durch ein frei len der Südtirolerinnen und gegen den Geist des Pari- on hätte keinen organisatorischen Unterbau mehr und Mauro Marcantoni (2013), Trentino e Sudtirolo - geregeltes Koordinierungsorgan ersetzt werden. Die Zu- ser Vertrags eingerichtet und konnte 1972 im Zuge des würde von den beiden „Autonomen Gemeinschaften“ L‘autonomia della convivenza, Trient sammenarbeit kann, wo es Sinn macht, auch zwischen Kompromisses zur Paketautonomie nicht „entsorgt“ finanziert. Konkret wäre sie vergleichbar mit einer par- Mauro Marcantoni/Gianfranco Postal/Roberto Toniatti den eigenständigen Autonomen Regionen Trentino und werden. Man kann davon ausgehen, dass die Region bei lamentarischen Versammlung für den EVTZ Europare- (2011), Quarant‘anni di autonomia 1971-2011, Franco Südtirol mit jenen Formen und Inhalten vereinbart wer- einer freien Abstimmung in Südtirol mit breiter Mehr- gion Tirol. Eine beachtliche Innovation, die dennoch im Angeli, Milano den, die von den politischen Vertretungen der beiden heit abgelehnt würde, da auch viele Italiener Südtirols Trentino scharf kritisiert worden ist. Caterina Dominici (2014), L‘autonomia in Trentino - Länder in freier demokratischer Entscheidung für rich- keinen Sinn mehr darin sehen. Percorso storico, legislativo, culturale e risvolti attuali Bergers und Zellers Vorschlag geht in dieselbe Richtung. tig befunden werden. dell‘autonomia, Ed. Osiride, Rovereto Für Südtirol brächte diese Lösung einen Zugewinn an Hier würde die heutige Region ihrer Gesetz- und Ver- Wenn man von politischer Eigenständigkeit einer re- Selbstregierung, für Italien eine Einsparung öffentlicher Francesco Palermo (2013), Regione, Province e forse waltungsbefugnisse komplett entkleidet: „Die Region gionalen Gemeinschaft ausgeht, die aus ethnisch-kul- Finanzen, auch fürs Trentino mehr faktische Autonomie nuova Regione?, in POLITIKA 12, Jahrbuch für Politik, ist das Organ der Beratung, Planung und Koordination turellen, geschichtlichen und politischen Gründen mit RAETIA, Bozen 2013, S.183-197 und Bewegungsspielraum. Für die Gewährleistung der auf allen Sachgebieten der dem Trentino und Südtirol Fug und Recht Territorialautonomie beansprucht, muss Trentiner Autonomie ist Südtirol eigentlich nicht zustän- Esther Happacher/Roland Riz (2013), Grundzüge des gemeinsamen Interessen“ (Art. 4). Die Region als Ko- dies auch das Recht umfassen, die Grenzen dieser Re- italienischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung dig, Trient muss Rom selbst davon überzeugen. Wenn ordinierungsinstanz würde auch von den beiden Auto- gion selbst festzulegen. Aus diesem Blickwinkel der der verfassungsrechtlichen Aspekte der Südtiroler Auto- die Autonomie auf der demokratischen Zustimmung nomie, studia Universitätsverlag, Innsbruck nomen Provinzen direkt finanziert (VerfGE Nr. 32/2013, demokratischen Legitimation einer autonomen Region der betroffenen Bevölkerung beruhen soll, ist nicht ein- Art. 33, im Autonomiestatut Art. 69). Die Benennung hat die heutige Region Trentino-Südtirol keine Berech- Osservatorio di studi autonomistici regionali e europei: zusehen, warum der Südtiroler Bevölkerung eine solche www.lanostraautonomia.eu der Organe bliebe bei Zeller und Berger die alte. tigung, es sei denn sie würde in einer freien Volksab- Institution ad eternum aufgezwungen werden soll. Natürlich könnte man auch weitergehen, nämlich die stimmung von der Südtiroler Bevölkerung bestätigt. Die Überwindung der überholten Institution Region heutige Region per Verfassungsänderung ersatzlos Wenn überhaupt noch Argumente für diese überlebte bedeutet nicht, dass Südtirol und Trentino nicht in viel- streichen und in die zwei getrennten Autonomiestatu- Institution sprechen, am ehesten jenes der Solidarität facher Hinsicht zusammenarbeiten können. Auf politi- te eine Kann-Bestimmung einfügen, die es den beiden mit dem Trentino. Wie Friaul Julisch Venetien kann

140 141 lungen sind den Landeshauptleuten überreicht worden, durch die Verfassungsreform Renzis? Wird die Sup- tende Institution vorstellbar, die als demokratische die sie noch nicht veröffentlicht haben. rematieklausel auch gegen die autonomen Regionen Regierungsebene im Rahmen eines italienischen Re- wirksam werden, wann immer die Einheitlichkeit der gionalstatuts verankert wird? Die Erweiterung vor allem der primären Zuständigkei- Rechtsordnung und die Realisierung von wirtschaftli- ten steht im Vordergrund der angestrebten Autono- chen und sozialen Programmen und Reformen nati- Boato: Aus meiner Sicht ist das möglich, wenn auch miereform. Welche sind nun die Bereiche, in welchen onalen Interesses es verlangen? In Südtirol wird dies nur in beidseitigem Einvernehmen zwischen Italien sowohl die Region wie die Autonomen Provinzen zu als große Gefahr wahrgenommen. und Österreich. Dies könnte eine der wichtigsten Neu- wenig Macht haben? Boato: Die Suprematieklausel, die nur in einem Bun- erungen des Autonomiestatuts sein, was man sich bei Boato: Die Forderung der Erweiterung der primären desstaat wie etwa Deutschland gerechtfertigt wäre, Verabschiedung des 2. Autonomiestatuts noch gar Zuständigkeiten läuft als solche der Verfassungsreform stellt für die Regionen mit Normalstatut wie für jene nicht vorstellen konnte. Renzi-Boschi zuwider, die eine starke Einschränkung mit Sonderstatut ein Problem dar. Es ist freilich noch Die Paritätischen Kommissionen arbeiten wenig der Kompetenzen der Regionen mit Normalstatut so- offen, ob diese Suprematieklausel auch auf Trentino- transparent, die politischen Minderheiten sind nicht Suprematieklausel für wie eine drastische Re-Zentralisierung der Macht im Südtirol und die anderen autonomen Regionen an- einbezogen. Sie haben eine normsetzende Funktion, alle Regionen ein Problem Zentralstaat vorsieht. Bezüglich der Region schlagen wendbar ist. Persönlich befürchte ich, dass sie stark in aber eine schwache Rückbindung zu den Parlamen- die Trentiner Experten als Ausgleich zum zunehmen- die autonomen Zuständigkeiten eingreifen wird. Bei Gespräch mit Marco Boato ten. Wie ist dieses Organ in demokratischem Sinn zu den Verlust an Zuständigkeiten die Rolle der Koordina- einem solchen Konflikt mit der Regierung wird man Rechtsanwalt, Ex-Senator der GRÜNEN, Mitautor einer reformieren? tion zwischen den beiden Provinzen in gemeinsamen sich ans Verfassungsgericht wenden, dessen Recht- Reihe von Verfassungsgesetzen zur Reform der Auto- Boato: Die Geschichte der 6er- und der 12er-Kommis- Interessengebieten vor. sprechung in den letzten Jahren sehr zentralstaatlich nomie Trentino-Südtirols, Mitglied der Regionalen -Ex sion ist widersprüchlich. Einerseits haben sie eine Fül- geprägt war. pertenkommission für die Erweiterung der Autonomie. Wie steht es um die Chancen, dass ein Vorschlag zur le von DFB geschaffen, die die Autonomie mit Sicher- heit gestärkt haben. Andererseits gab es schon immer Revision des Statuts, der 2017 vom Regionalrat dem In Südtirol will sich seit vielen Jahren ein guter Teil Sie waren Mitglied der vom Dezember 2014 bis zum einen Mangel an institutioneller Transparenz und de- Parlament vorgelegt werden wird, tatsächlich auch der Parteien und vermutlich auch der Bevölkerung Februar 2015 aktiven regionalen Expertenkommissi- mokratischer Beteiligung, auch wenn in den letzten verabschiedet wird? Das Beispiel von Friaul Julisch von der Institution „Region“ befreien. Das heißt on, die von den beiden Landesregierungen eingesetzt Jahren mehr Informationsfluss in Richtung Regionalrat Venetien ist nicht gerade vielversprechend, denn ihr nicht, dass man die Zusammenarbeit der beiden Pro- worden ist, um die Erweiterung der autonomen Zu- und Landtage stattgefunden hat. Diese Beziehung soll- Reformstatut von 2005 ist noch nicht behandelt wor- vinzen nicht fortsetzen und gar ausbauen kann. Nun ständigkeiten zu prüfen. Zu welchen Ergebnissen ist te mit genauen Normen institutionalisiert werden, um den. ist klar, dass das Trentino absolut an der Region fest- diese Kommission gelangt? Transparenz, Kontrolle und demokratische Beteiligung Boato: Ich halte es für unwahrscheinlich, dass der Re- hält, doch wie lässt sich diese Institution demokra- Boato: Anfangs sind zwei getrennte Kommissionen mit zu gewährleisten. gionalrat nach Abschluss der Arbeiten des Südtiroler tisch legitimieren? jeweils fünf Experten pro autonome Provinz eingerichtet und Trentiner Konvents und nach der Befassung der Boato: Die Südtiroler Vorbehalte gegenüber der Regi- worden. Nach einer ersten Phase getrennter Arbeit ha- Der Abschnitt zur Finanzierung der Provinzen und beiden Landtage schon binnen 2017 einen Vorschlag on sind seit vielen Jahren bekannt, ich glaube nicht, ben wir uns darauf geeinigt, gemeinsam weiterzuarbei- der Region kann mit einfachem Staatsgesetz nach ans Parlament richten können wird. Somit scheint es dass man sie abschaffen kann. Dies würde die Abän- ten, vor allem im Südtiroler Landtag. Unsere Vorschläge Einvernehmen zwischen Finanzminister und Landes- unmöglich, dass das Parlament noch innerhalb dieser derung des Art. 116 der Verfassung erfordern. Die Rol- betreffen fast ausschließlich die Frage der Zuständigkei- hauptleuten abgeändert werden. Müssten diese Be- Legislatur einen organischen Vorschlag zur Reform des le der Region muss vielmehr neu begründet werden, ten. In einigen Fällen ging es um die überfällige Neufor- stimmungen nicht Teil des Statuts sein und in seiner Autonomiestatuts prüfen kann, denn diese Legislatur nicht aufgrund spezifischer Zuständigkeiten, sondern mulierung zahlreicher Begriffe. Dann sollten vor allem Erstellung und Ratifizierung das Parlament und die geht Anfang 2018 zu Ende. Das bedeutet, dass der als Rahmen der Zusammenarbeit in allen gemeinsa- alle „sekundären“ Zuständigkeiten zu primären und ex- Landtage einbeziehen? Vorschlag zur Revision des Statuts erst in der nächs- men Interessenbereichen, in der Weise, dass sich kei- klusiven werden. Darüber hinaus sollten alle über DFB Boato: Die Finanzen waren immer schon mit einfa- ten Legislatur behandelt wird, wobei das Gewicht der ne der beiden Provinzen bevormundet fühlt. zum 2. Autonomiestatut übertragenen Zuständigkeiten chem Staatsgesetz abänderbar und das Einverneh- Südtiroler und Trentiner Vertreter wesentlich geringer im Autonomiestatut verankert werden. Insgesamt gab men ist von Mal zu Mal zwischen den Landesregierung sein wird. Allerdings werden sie einen beträchtlichen Welche Zukunft für den EVTZ? Sollte er auch im Sta- es eine breite Übereinstimmung, mit Ausnahme der und der Regierung hergestellt worden. Es wäre schon Einfluss im Senat ausüben. tut selbst verankert werden? Am EVTZ wird auch das wichtig, dass vorab die Landtage einbezogen werden, Übertragung der Gemeindeordnung von der Region an Fehlen einer parlamentarischen Versammlung und während die Verabschiedung dann im Parlament er- die Provinzen und der Rolle der Region. Unsere Empfeh- Welche Gefahren drohen den Sonderautonomien damit Kontrolle bemängelt. Ist eine grenzüberschrei- folgt.

142 143 Die Strategie der SVP und des PD zur Autonomiere- laufen von einer neuen Welle des Zentralismus über- form ist nicht gerade klar: einerseits gibt es den VGE rollt zu werden, wie eben im Rahmen der Verfassungs- Nr.32 von Zeller und Berger zur Einführung der Voll- reform Renzi-Boschi der Fall, die für die autonomen autonomie, andererseits will man das Ergebnis des Regionen durch das in der Schutzklausel vorgeschrie- Konvents abwarten. Wie sehen Sie diese Strategie? bene Einvernehmen begrenzt wird. Boato: Kürzlich haben Südtiroler und Trentiner Parla- mentarier einen neuen VGE zum Ausbau der autono- men Zuständigkeiten im Senat eingebracht, der über den vorangegangenen hinausgeht, die Vorschläge der Expertenkommission aber nur zum Teil aufnimmt. Doch ist diese Initiative im Parlament ohne Absprache mit den Landtagen ergriffen worden und hat eine kriti- sche Reaktion des Unterstaatssekretärs Bressa ausge- 14 Ladinisches Kulturinstitut „Micurà de Rü“ löst, jener Politiker, der ein Verbindungsglied zwischen den Provinzen und dem Staat darstellt. Ich denke, dieser Vorstoß hat wenig Erfolgsaussichten, obwohl er darauf zielt, die autonomen Zuständigkeiten schon Mehr Rechte für die Ladiner in dieser Legislatur auszubauen, wo die Trentiner und im Statut Südtiroler noch ein gewisses Gewicht haben, das in der nächsten Legislatur verschwinden wird. Die kleinste Sprachgruppe Südtirols hat im 20. Jahrhundert schwierige Zeiten durchgemacht. Die 1918 von den Aus der Perspektive der demokratischen Souveränität ladinischen Bürgermeistern erhobene Forderung des Selbstbestimmungsrechts blieb ungehört. Das faschistische der Bürger eines autonomen Territoriums betrachtet, Regime teilte die Dolomiten-Ladiner schon 1923 auf drei Provinzen auf, um ihre Assimilierung zu beschleunigen. müsste die Autonomie auch die Statutshoheit umfas- Im Pariser Vertrag sind die Ladiner gar nicht explizit genannt, obwohl Österreich das gefordert hatte. Dabei hat- sen, nämlich das Recht der regionalen Institutionen, ten die Ladinerinnen aller drei Provinzen 1946 bei einer Großkundgebung auf dem Sellajoch gegen die Zersplitte- sich mit partizipativen Verfahren ein eigenes Statut rung und für die Wiedervereinigung der Ladiner demonstriert. In den UN-Resolutionen 1960-61 wird nur auf die zu geben. Dies ist der Fall in den Regionen mit Nor- „österreichischen Minderheiten“ Bezug genommen. malstatut, aber auch in den Autonomen Gemein- schaften anderer Regionalstaaten wie Spanien. Dort In der Nachkriegszeit hat das Ladinertum eine ziemlich keit und das ladinische Kulturleben zumindest in Südti- arbeiten die Autonomen Gemeinschaften ihre Statu- unterschiedliche Entwicklung genommen, vor allem bei rol und dem Trentino wieder stärker entfalten. ten eigenständig aus und legen sie dem Parlament der Sprache haben sich die Ladinerinnen in den drei Trotz des Schutzes und der Förderung der ladinischen zwecks Ratifizierung (mit Sondergesetz) vor. Warum Provinzen auseinanderentwickelt. Eine einheitliche, Sprache und Kultur im Trentino und in Südtirol stellen sollte dies nicht auch in Italien möglich sein? amtliche Dachsprache existiert bis heute nicht. Den- Lois Trebo und Erwin Valentini eine progressive Schwä- Boato: Das Initiativrecht zur Abänderung des Autono- noch bilden die ladinischen Täler Val Badia, Gherdëina, chung der ladinischen Sprache fest. Dafür werden eini- miestatuts liegt schon heute bei den Landtagen und Fascia, Fodom mit Col St. Lizia und Anpezo (zu Deutsch: ge wesentliche Ursachen festgemacht (vgl. Trebo/Va- in Abstimmung mit letzteren beim Regionalrat. Doch Gadertal, Grödental, Fassatal, Buchenstein mit Colle lentini, Ladinisches Manifest, Februar 2016): muss dieser Vorschlag gemäß Art. 116 Verf. vom Par- Santa Lucia und Ampezzo) einen gemeinsamen Kultur- • Die Zersplitterung Ladiniens auf verschiedene Ge- lament mit Verfassungsgesetz verabschiedet werden. und Sprachraum: die Dolomiten-Ladiner fühlen sich bietskörperschaften. Dieser Weg ist zwar schwieriger, entfaltet aber eine auch zusammengehörig (Perathoner 1998). Das 2. Au- • Die unterschiedlichen Schulsysteme in diesen Pro- stärkere Schutzwirkung für die Sonderautonomien, tonomiestatut von 1972 führte zu einer wesentlichen vinzen. weil das Statut Teil der Verfassung wird. Wäre dem Aufwertung der ladinischen Sprachgruppe. Seitdem • Das Fehlen einer einheitlichen Dachsprache. Infol- nicht so, würden auch die Sonderautonomien Gefahr konnte sich das Bewusstsein kultureller Eigenständig- ge des Fehlens einer gemeinsamen Sprachpolitik

144 145 das Auseinanderdriften der einzelnen Idiome und müssen bei der Reformdiskussion des Autonomiesta- und vier Richterinnen der italienischen Sprachgruppe Grafik 5 - Ladinische Gemeinden die mangelhafte Modernisierung der Sprache. tuts berücksichtigt werden, während die Zusammen- besetzt. Ein Ladiner kann in ganz Italien Verwaltungs- • Weil den Ladinern ein größeres sprachliches Hinter- führung der ladinischen Gemeinden in einem Rechts- richter werden, nur in Südtirol nicht, wie Christoph land fehlt, ist der Einfluss anderssprachiger Medien rahmen mit Nachdruck im Parlament weiter verfolgt Perathoner im nachfolgenden Gespräch ausführt. übermächtig. werden muss. In Ergänzung dazu gilt es eine Reihe von Künftig soll mindestens einer der vier vom Landtag • Die mangelhafte Präsenz des Ladinischen im öffent- überfälligen Änderungen am geltenden Autonomiesta- ernannten Verwaltungsrichter ein Ladiner sein (Art. lichen Leben und in der privaten Wirtschaft. tut vorzunehmen, um die Ladinerinnen als Sprachgrup- 91 ASt.). pe möglichst gleichberechtigt im Regelwerk des Statuts 6. Gemäß Autonomiestatut dürfen höchstens 10% der Deshalb schlagen Lois Trebo und Erwin Valentini einen zu berücksichtigen: Staatsbediensteten in andere Regionen versetzt „gesamtladinischen Reformansatz“ zur Stärkung der la- 1. Der Proporz bei den höheren Stellen im öffentli- werden. Hier hat man die Ladinerinnen schlicht ver- dinischen Sprache und Kultur vor, ausgehend von der chen Dienst. Aufgrund ihres geringen Anteils (4,5%) gessen. Auch ladinische Richter am Landesgericht bestehenden Überwindung der Dreiteilung ihres Ge- werden nur sehr wenige Stellen für Ladiner ausge- dürfen, im Unterschied zu Richtern der deutschen biets: „Die ladinische Kulturpolitik muss deshalb danach schrieben. Auch bei Gericht wurden zwar einzelne Sprachgruppe, beliebig versetzt werden. Die Ladiner streben, einen weitgehend einheitlichen rechtlichen Stellen für Ladiner ausgeschrieben, doch hatte es müssen künftig denselben Schutz vor Versetzung ge- Rahmen für alle ladinischen Täler zu schaffen, als Vor- bis 2013 keine Bewerberinnen gegeben. Man kann nießen wie die Deutschen. aussetzung für eine einheitliche Handhabung der Rech- an spezielle Förderungen denken. 7. Staatsrat (Art. 93 ASt.): Südtirol darf zwei verschie- te und Bedürfnisse der ladinischen Volksgruppe. Die 2. Ein Ladiner kann heute Landeshauptmann werden, densprachige Staatsräte vorschlagen, Ladiner wer- statutarischen Rechte der Ladiner Südtirols im Gader- aber nicht LH-Stellvertreter. Dieser muss laut Statut den aber nicht genannt. Art. 93 muss so abgeändert Quelle: www.ladinia.net und Grödental und des Trentino (Fassatal) sollen lang- der italienischen oder deutschen Sprachgruppe an- werden, dass sowohl ein Deutscher als auch ein Ladi- fristig vereinheitlicht und auch den Ladinern Venetiens gehören. ner zum Staatsrat ernannt werden kann. (Fodom, Col St. Lizia und Anpezo) zuerkannt werden. 3. Vertretung in der Landesregierung: derzeit gibt es 8. Von Rechts wegen sitzt auch keine Ladinerin in heute schon bei der Besetzung der Gemeindeaus- Dies könnte gewährleistet werden, wenn die drei ladini- nur eine Kann-Bestimmung und damit ist es dem den Paritätischen Kommissionen, die die Durch- schüsse vorgesehen ist (Art. 62 A.St.). schen Gemeinden Venetiens an Südtirol angeschlossen Gutdünken der Mehrheitspartei überlassen, einen führungsbestimmungen ausarbeiten. Dabei hat es 11. Ein eigener Wahlkreis für die ladinischen Täler nach würden“ (Ladinisches Manifest, Februar 2016). Ladiner in die Landesregierung aufzunehmen. Da- auch innerhalb der SVP Meinungsverschiedenhei- dem Vorbild des Fassatals würde die Vertretung der gegen muss für die Ladiner ein Rechtsanspruch ge- Dieser einheitliche rechtlich-administrative Rahmen ten in diesen Kommissionen gegeben (Perathoner, Ladiner im Landtag stärken und eventuell eine Ver- schaffen werden, genau wie beim Vertretungsrecht könnte optimal in einer Provinz, suboptimal in einer Re- 2014, 12). Es muss auch in der 6er-Kommission tretung im Parlament sichern. der Ladinerinnen im Landtag (Art. 48 ASt.), auch ein Rechtsanspruch zur Vertretung der Ladiner ge- gion ausgestaltet werden. Die „Wiedervereinigung“ der Die ehemals zu Tirol gehörenden Buchensteiner Ge- in der Exekutive vertreten zu sein, und zwar auch schaffen werden, die durchaus auch zur 8er-Kom- Ladiner als Teil Südtirols scheitert derzeit weniger an Ve- meinden (auch Souramont genannt) sind während des ohne formale Koalitionsvereinbarungen, nämlich mission werden kann. In der 12er-Kommission (Art. netien als an Rom, an Trient und am mangelnden Druck Faschismus von Südtirol abgetrennt und der Provinz als ethnische Vertretung wie es für die italienische 107 ASt. – so der VerfGE Nr.32/2013 Berger/Zeller der Ladiner selbst. Auch die Aufteilung der Ladinerin- Belluno zugeschlagen worden. Die dortigen Ladinerin- Sprachgruppe vorgesehen ist. – sollen die beiden Landtage von Trient und Bozen nen auf zwei Autonome Provinzen ist für einen ganz- nen sollten, so das Regime, rascher assimiliert werden 4. Vetorecht bei der Verabschiedung des Landeshaus- künftig jeweils drei Mitglieder benennen. Die drei heitlichen Rechtsrahmen von Nachteil. Warum handeln und wurden deshalb auf drei Provinzen (Belluno, Trient halts. Wenn die getrennte Abstimmung über ein vom Südtiroler Landtag zu benennenden Mitglie- der Staat, die Region Trentino-Südtirol und die Provinz und Bozen) aufgeteilt. Während den Ladinern in Süd- Haushaltskapitel verlangt wird und eine Sprach- der sollen sich auf die drei offiziellen Sprachgrup- Trient eigentlich nicht zugunsten der Bewahrung einer tirol und Trentino im Rahmen der Autonomie einige gruppe ein Kapitel ablehnt, kommt eine deutsch- pen verteilen. der kleinsten ethnischen Minderheiten Italiens? Was Rechte zuerkannt wurden, gilt das für die ladinischen italienische Vermittlungskommission zum Einsatz. 9. Eine Ladinerin muss auch in der Regionalregierung würde es sie kosten, wenn rund 30.000 Dolomiten-Ladi- Gemeinden in der Provinz Belluno nicht. Gelingt die Vermittlung nicht, muss das Verwal- ner in einem einheitlichen Rechtsrahmen ihre kulturelle vertreten sein, sofern die Region als Institution in tungsgericht entscheiden. In diesem Ausschuss Entfaltung besser gestalten könnten als bisher? der derzeitigen Form aufrecht bleibt. Schon 2007 hatten sich 78% der Bevölkerung dieser sitzt kein Ladiner. Vorgeschlagen wird eine 3er- 10. Alle drei Sprachgruppen sollen auch in den Bezirks- Gemeinden bei einer Beteiligung von 56% bei gleich- Die wesentlichen Programmpunkte im genannten „Vor- Kommission mit einem Vertreter je Sprachgruppe. gemeinschaften und öffentlichen Körperschaften zeitigen Volksabstimmungen für die Rückgliederung schlag für ein politisch-kulturelles Programm zugunsten 5. Paradoxerweise wird auch das Verwaltungsgericht von Landesinteresse vertreten sein, gemäß ihrer an Südtirol ausgesprochen. Dadurch würde die Bildung der ladinischen Volksgruppen“ von Trebo und Valentini Bozen paritätisch mit vier Richtern der deutschen Vertretung in den Gemeinderäten, so wie es auch einer ladinischen Bezirksgemeinschaft mit besonderen

146 147 Rechten in Südtirol und einer ladinischen Kulturge- ens finanzieren müssen. Wenn Souramont bei Venetien gerade in einem Land wie Südtirol, das international meinschaft in der Region Trentino-Südtirol ermöglicht. bleibt, wird der Schutz der Buchensteiner Ladiner auf als Referenzmodell der Autonomie und des Minder- In Souramont leben rund 8.000 Einwohner, die sich zu Dauer hinter dem Standard im Trentino und Südtirol zu- heitenschutzes gesehen werden will, sich ein Ladiner einem Drittel als Ladiner erklären könnten. Außer der rückbleiben. amtlich als zur deutschen oder italienischen Sprach- Zahl der Ladinerer würde sich bei einem solchen Schritt gruppe gehörig erklären muss, um die Karrierechance auch der Anteil der italienischen Sprachgruppe an der Zur Vertiefung nutzen zu können. Nun gibt es ladinische Mitbürger, Gesamtbevölkerung Südtirols um rund 1% erhöhen. die – und das ist ihr Menschenrecht - niemals amt- Lois Trebo/Erwin Valentini (2016), Vorschlag für ein po- lich die eigene ethnische Identität leugnen würden, Sowohl der Regionalrat Venetiens als auch der frühere litisch-kulturelles Programm zugunsten der ladinischen und deshalb gezwungen sind, auf das Grundrecht der LH Durnwalder haben diesem demokratischen Wunsch Volksgruppen, Manifest (Internet).URL: https://www. stol.it/print/article/1132082 beruflichen Selbstverwirklichung zu verzichten. Unter der Buchensteiner Ladiner schon zugestimmt. Im Ge- einer bestimmten Perspektive betrachtet, könnte dies gensatz zu weiteren 11 Gemeinden Venetiens haben Christoph Perathoner (2014), Die Weiterentwicklung wahrscheinlich unter den Begriff der „strukturellen diese drei Gemeinden vor allem historisch-kulturelle der Südtirol-Autonomie aus der Sicht der Ladiner, in: Thomas Benedikter (Hg.), Mit mehr Demokratie zu Jede Diskriminierung Gewalt“ fallen, wie ihn Johan Galtung prägte 1. Gründe für eine Angliederung an Südtirol oder das mehr Autonomie, POLITiS-SBZ, Bozen Trentino geltend gemacht. Die Minderheitenrechte der Ladiner aus dem Statut Christoph Perathoner (2005), Der Schutz der ladinischen Das Argument, dass es oft einen Mangel an ladini- werden zudem in Venetien extrem vernachlässigt. Im- entfernen Minderheit in Südtirol, in: Peter Hilpold/Christoph Pe- schen Bewerbern gibt - wie im Fall des ersten ladini- merhin hat der Regionalrat von Venetien am 25.2.2013 rathoner, Die Ladiner. Eine Minderheit in der Minder- Gespräch mit DDr. Christoph Perathoner (Teil 1) schen Richters am Landesgericht - möchte ich so nicht heit, NWV, Wien den Weg frei gegeben, damit das Parlament die (Rechtsanwalt, SAD-Präsident, SVP-Bezirksobmann stehen lassen. Es stimmt sicher, dass die ladinischen gewünschte Angliederung gemäß Art. 132 Verf. umset- Christoph Perathoner (1998), Die Dolomitenladiner. in Bozen, Spitzenvertreter der Ladiner in der SVP, Vor- Täler heute aufgrund der florierenden Tourismus- zen kann. Doch Rom missachtet den demokratischen Ethnisches Bewußtsein und politische Partizipation, Fo- sitzender der zehnköpfigen Expertenkommission zur wirtschaft auch finanziell sehr verlockende private lio, Wien Willen der Bevölkerung von Souramont. Konkret wurde Überarbeitung des Autonomiestatuts) Arbeitsstellen bieten und die höheren Stellen in der nur wenig unternommen, um die Angliederung an Süd- öffentlichen Verwaltung oft außerhalb des geschlos- tirol zu ermöglichen. Der Proporz bei den höheren Positionen (z.B. Rich- senen ladinischen Siedlungsgebietes angetreten wer- ter, Ressortdirektoren, Führungspositionen in Lan- Daran ändert auch die willkürliche, taktisch bestimmte den müssen, was ebenfalls eine ethno-soziale Barrie- desgesellschaften) scheint die Ladiner zu benachtei- Entscheidung der Provinz Belluno nichts, weitere 36 Ge- re darstellt. ligen. Erst seit 2013 gibt es einen ladinischen Richter meinden als „ladinische Gemeinden“ zu erklären. Die am Landesgericht. Was ist am Proporz zu ändern, Abgesehen von diesen Spitzenpositionen hat der Pro- Zentralregierung hat im Zuge der Sparmaßnahmen Pro- damit sich mehr Ladiner für Spitzenpositionen be- porz der ladinischen Bevölkerung auch beachtliche vinzen mit weniger als 300.000 Einwohnerinnen abge- werben bzw. solche Positionen mit Ladinern besetzt Vorteile bei der Besetzung der öffentlichen Stellen schafft und dazu gehört auch die Provinz Belluno. Statt werden? beschert, weshalb von einer punktuellen Diskriminie- der erträumten Autonomie würden die Belluneser auch Perathoner: Unbeschadet aller positiven Aspekte, die rung gesprochen werden sollte. noch ihre Provinz verlieren und in eine umfassendere über den Proporz als Instrument des Minderheiten- Provinz Venetiens eingegliedert. Die Lage der Buchen- Dennoch könnte gemäß dem Prinzip der positiven schutzes bekannt sind, hat der Proporz als Ausdruck steiner Ladinerinnen könnte sich dadurch sogar noch Diskriminierung statutarisch festgeschrieben werden eines dissoziativen Konfliktlösungsmodells in Bezug mehr verschlechtern, zumal sie dann in Venetien an- – in Abweichung von der proporzmäßigen Vertre- auf ethnischen Gruppen auch verschiedene Aspekte, teilsmäßig eine noch unbedeutendere Minderheit stel- tung, so wie es übrigens auch schon in Bezug auf die die kritikwürdig sind. len würden als heute, während sie in Südtirol die grund- Vertretung der ladinischen Sprachgruppe in der Lan- Einer dieser kritischen Punkte besteht aus rein prak- legenden Minderheitenrechte wahrnehmen könnten desregierung geschehen ist – , dass bei der Besetzung tischer Sicht darin, dass immer dann, wenn nur und Teil der dritten, gleichberechtigten Sprachgruppe von Stellen, deren Anzahl so gering ist, dass für die la- wenige Stellen in einem öffentlichen Wettbewerb im Land wären. Für die verweigerte Rückgliederung von dinische Volksgruppe niemals eine eigene Stelle aus- ausgeschrieben werden - was regelmäßig bei Spit- Souramont nach Südtirol können auch die millionen- geschrieben werden kann, Mitglieder der ladinischen zenpositionen der Fall ist - die ladinische Minderheit schweren Infrastrukturprojekte kein Ersatz sein, die das Minderheit als solche immer auch zum Wettbewerb keine Berücksichtigung findet. Aus Minderheitensicht Trentino und Südtirol gemäß dem Mailänder Abkom- zugelassen werden und bei besserer Eignung (etwa führt dies zu der wirklich absurden Situation, dass men von 2009 jährlich in den Grenzgemeinden Veneti-

148 149 bessere Bewertung in der Rangliste bei der Richterprü- Es ist nicht erstrebenswert, dass ein Abgeordneter nur die Ladiner von einer Verbesserung des Instruments italienischen Sprachgruppe gegen das eine oder andere fung) den Vorzug haben, ganz egal, ob die Stelle für die aus Gründen der ethnischen Vertretung in der Landes- des Proporzes mehr als von seiner Abschaffung. Haushaltskapitel sein, so kommt die bereits heute im deutsche, italienische oder ladinische Volksgruppe aus- regierung sitzt. Somit soll es bei der Kann-Bestimmung Statut vorgesehene paritätisch besetzte deutsch-itali- geschrieben war. bleiben. Das Vetorecht der Mehrheit einer Sprachgruppen enische Kommission zur Anwendung. Sollte hingegen im Landtag im Fall der Verletzung des Gleichberech- die ladinische Volksgruppe gegen ein Haushaltskapitel Derzeit besteht kein Rechtsanspruch für die ladinische Nach wie vor kann aber kein Ladiner Stellvertreter des tigungsgrundsatzes laut Art. 56 ASt. kann von allen sein, dann kann eine ebenfalls zu Beginn der Legisla- Sprachgruppe zur Vertretung in der Landesregierung. Landeshauptmanns werden. Soll ein solches Recht der Sprachgruppen in Anspruch genommen werden. Die turperiode eigens eingerichtete Kommission darüber Wurde diese Benachteiligung aufgehoben? Ladiner zwingend im Statut verankert werden? Landtagskommission zur Schlichtung eines Konfliktes befinden, die sich aus drei Mitgliedern zusammensetzt, Perathoner: Der ladinischen Volksgruppe war bis zur Perathoner: Gegenwärtig hat der Landeshauptmann zwischen den Sprachgruppen bei einzelnen Haushalts- die den drei verschiedenen Sprachgruppen angehören. Revision des Autonomiestatutes 2001 der Zugang zur von Südtirol zwei Stellvertreter, die gemäß Art. 50, Abs. kapiteln (Art. 84, Abs. 3, ASt) ist hingegen nur von Um einen Konflikt zwischen den beiden Haushaltskom- Südtiroler Landesregierung deshalb de facto verwehrt, 2 ASt. der deutschen und der italienischen Sprachgrup- Deutschen und Italienern besetzt. Muss diese Bestim- mission zu vermeiden, sollte in Fällen, in welchen zwei weil die Landesregierung im Verhältnis zur Stärke der pe angehören müssen. Ein Ladiner kann in dieses Amt mung abgeändert werden? Volksgruppen gegen ein Haushaltskapitel stimmen, di- Sprachgruppen zusammengesetzt werden musste, wie nicht gewählt werden. Obwohl die Welt nicht unter Perathoner: Der Artikel 84 ASt. beschäftigt sich mit der rekt der Verwaltungsgerichtshof befasst werden. sie im Landtag vertreten sind (Art. 50, Abs. 2 ASt.). Ein geht, wenn ein Ladiner nicht Landeshauptmannstell- Genehmigung des Haushaltsvoranschlages der Region Ladiner saß nur dann in der Landesregierung, wenn vertreter werden kann, ist es dennoch widersprüchlich, und des Landes. Die Bestimmung sieht vor, dass auf Wie sieht es mit der Gleichberechtigung der ladini- mindestens zwei Ladiner im Landtag vertreten waren. wenn ein Ladiner zwar Landeshauptmann, nicht aber Antrag der Mehrheit einer Sprachgruppe über die ein- schen Richter aus, z.B. bei der Versetzung und bei der Dazu musste die Mitgliederzahl der Landesregierung Landeshauptmannstellvertreter werden kann. Es stellt zelnen Kapitel des Haushaltsvoranschlages der Region Aufnahme? Auch beim Verwaltungsgerichtshof, der entsprechend angehoben werden.2 Dieser Umstand ist sich aber auch eine Frage der ethnischen Würde: Der und der Provinz Bozen-Südtirol nach Sprachgruppen ge- vom Landtag nominiert wird, ist kein ladinischer Rich- bei der Revision des Statuts 2001 durch die Ergänzung Art. 2 des Autonomiestatuts – übrigens eine sehr gelun- sondert abgestimmt werden muss. Die Haushaltskapi- ter vorgesehen. in Art. 50, Abs. 3 ASt. behoben worden, wonach der la- gene Norm der Autonomieväter - spricht nämlich von tel, die nicht die Mehrheit der Stimmen jeder einzelnen Perathoner: Es gilt hier auf zwei Bestimmungen hinzu- dinischen Sprachgruppe die Vertretung in der Landes- der „gleichen Würde“ der Angehörigen der Sprachgrup- Sprachgruppe erhalten haben, werden einer aus vier weisen, die heute die ladinische Minderheit diskrimi- regierung auch abweichend von der proporzmäßigen pe. Diese sollte auch die Außenwahrnehmung mitein- Regionalrats- bzw. Landtagsabgeordneten bestehenden nieren, nämlich jene betreffend die Bestellung der Rich- Vertretung zuerkannt werden kann. Insofern wurde der schließen. Kommission unterbreitet. Wenn in der Kommission kei- ter am Verwaltungsgerichtshof in Bozen (Art. 91 Ast.) Proporzmechanismus für die ladinische Minderheit für ne Mehrheit für einen Lösungsvorschlag erreicht wird, und jene, die die Berufung als Staatsrat in Rom betref- Im jetzt angelaufenen Südtirol-Konvent wird von ver- diesen Zweck einfach außer Kraft gesetzt. so übermittelt der Präsident des Regionalrates oder des fen (Art. 93 ASt.). schiedener Seite die Überwindung des Proporzes vor- Landtages den Entwurf des Haushaltsvoranschlages mit Natürlich könnte man hinsichtlich der Vertretung der geschlagen, der vielleicht mit einer strengeren Prüfung Art. 91 ASt. beschäftigt sich mit der Zusammensetzung allen dazu gehörenden Akten der Autonomen Sektion Ladiner in der Landesregierung statt der heutigen Kann- der Zweisprachigkeit ersetzt werden kann. Welche der Autonomen Sektion des regionalen Verwaltungsge- Bozen des regionalen Verwaltungsgerichtshofes, damit Bestimmung auch für eine Muss-Bestimmung plädie- Auswirkungen hätte dies für die Ladiner? richtshofes für die Provinz Bozen. Gemäß dieser Bestim- das Gericht darüber entscheidet. ren, also eine zwingende Vertretung der ladinischen Perathoner: Ich glaube nicht, dass der Proporz im Rah- mung muss diese Sektion in gleicher Zahl mit deutschen Volksgruppe in der Landesregierung vorsehen. Der men des Konvents fallen wird. Der Proporz erfüllt heute Problematisch ist der Umstand, dass die oben genann- und italienischen Richtern besetzt werden. Dies hat Landeshauptmann hätte demnach bei der Besetzung paradoxerweise eine neue Funktion. Während er 1972 te vierköpfige Haushaltskommission nach Maßgabe allerdings zur Folge, dass zwar Ladiner in ganz Italien der Landesregierung keine andere Wahl, als den meist als charakteristische Säule des Südtiroler Minderhei- des Autonomiestatutes eine paritätische, rein deutsch- Verwaltungsrichter werden können, ausgenommen in einzigen gewählten ladinischen Landtagsabgeordneten tenschutzes zur gerechteren und ausgewogeneren italienische Zusammensetzung aufweist, was in der Pa- Südtirol (Paketmaßnahme Nr. 90). in die Regierung zu berufen, ganz gleich, ob er in fun- Verteilung der öffentlichen Stellen zwischen den drei ketmaßnahme Nr. 85 so vorgesehen ist. Folglich muss damentaler Opposition zur Regierung steht oder Teil Sprachgruppen eingeführt wurde, ist er heute in Kombi- sich die ladinische Sprachgruppe selbst dann, wenn sie Die Autonome Sektion zählt heute insgesamt acht Rich- der Koalition ist. Jedoch spricht auch ein zweites Argu- nation mit der Zweisprachigkeit zu einem Arbeitsmarkt- ein eigenes Haushaltskapitel beanstanden sollte, ohne ter. Da eine bereits angedachte Erhöhung der Richter- ment dagegen, nämlich jenes der persönlichen Freiheit abschottungsinstrument geworden, das die Südtiro- eigenes Mitspracherecht dem Entscheid der deutschen schaft auf zehn derzeit kaum verwirklichbar erscheint, des Abgeordneten. Wenn sich jemand berufen fühlt, in ler Arbeitnehmer schützt und vor allem auch von den und italienischen Kollegen in der Kommission beugen. besteht mein Vorschlag4 in einer Kompromissformel ein parlamentarisches Gremium gewählt und somit Teil italienischen Mitbürgerinnen geschätzt wird. In der Tat Der Lösungsvorschlag – so wie ich ihn im meinem be- zwischen dem Wortlaut des Pakets und der heutigen der Legislative zu werden, heißt das noch nicht, dass er schrecken Proporz und Zweisprachigkeit nach wie vor reits zitierten Verfassungsgesetzesvorschlag formuliert Anzahl der Richterschaft. Im ersten Absatz einer allfäl- auch zur Arbeit in der Exekutive bereit ist. In der De- viele EU-Mitbürger, aber auch italienische Staatsange- habe3 - besteht darin, dass zwei Kommissionen gebil- ligen Revision dieses Artikels könnte das Prinzip festge- mokratie sind Exekutive und Legislative klar zu trennen. hörige anderer Regionen ab. Deshalb denke ich, hätten det werden. Sollte die Mehrheit der deutschen oder schrieben werden, dass die Richter nicht mehr nur der

150 151 deutschen oder der italienischen, sondern auch der In der 6er- und 12er-Kommission gibt es bis heute ASt. so angepasst werden, dass drei Mitglieder nicht Anmerkungen ladinischen Sprachgruppen angehören müssen. keinen Rechtsanspruch der ladinischen Sprachgrup- nur der deutschen Sprachgruppe angehören müssen, 1. Für den norwegischen Soziologen und Politologen Galtung versteht sich „Strukturelle Gewalt“ als eine Im zweiten Absatz könnte das Paketprinzip festge- pe auf eine Vertretung. Eine Diskriminierung? sondern der deutschen und ladinischen Sprachgruppe. vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender mensch- halten werden, wonach die Zusammensetzung der Perathoner: Ja, hier liegt sicher eine Diskriminierung Mit diesen Änderungen könnte ein ladinischer Vertre- licher Bedürfnisse die den realen Grad der Bedürfnisbe- Richter nach dem Grundsatz der Parität zwischen vor, weil der ladinischen Volksgruppe ein Rechtsan- ter über den Südtiroler Landtag in die Zwölfer- und in friedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist; vgl. Johan Galtung, Violence, peace and peace re- deutscher und italienischer Sprachgruppe erfolgen spruch an der Weiterentwicklung und Durchführung die Sechserkommission gewählt werden. search, in: Journal of Peace Research, 1969, Band 6, Nr. muss. Gleichzeitig sollte dann aber ergänzt werden, der Autonomie - denn dazu sind diese Kommissionen 3, S. 167 ff. dass alternierend eine Stelle, die den beiden größeren da - verwehrt wird. Bei den Landtagswahlen im Trentino gibt es einen 2. Der SVP-Abgeordnete Hugo Valentin konnte in der Le- eigenen Landtagswahlkreis fürs Fassatal, um die la- gislaturperiode 1983-1988 zum Landesrat gewählt wer- Sprachgruppen vorbehalten ist, von einem Richter be- Auch die heute praktizierte „politische Lösung“, wo- den, weil ALFAS-Abgeordnete Alexander Langer sich, setzt sein muss, welcher der ladinischen Sprachgruppe nach der Ladiner in der 6er- und 12er-Kommission dinische Vertretung zu sichern. Im Südtiroler Landtag obwohl zur deutschen Sprachgruppe gehörig, als Ladi- angehört. So würden sich die Richtersenate alternie- pro forma als Regierungsvertreter bzw. als von der muss mindestens ein Ladiner sitzen. Ist die Schaffung ner erklärt. Ähnliches passiert am Ende der Legislatur eines ladinischen Wahlkreises auch für Südtirol sinn- 1988-1993 als für wenige Monate Martin Flatscher in rend einmal aus vier italienischen, drei deutschen und römischen Regierung ernannter Vertreter sitzt, ist un- den Landtag nachrückte; vgl. Christoph Perathoner, Der einem ladinischen Richter und dann vier deutschen, zureichend, weil das rein gar nichts mit Minderheiten- voll, um den Ladinern eine angemessene politische Schutz der ladinischen Minderheit in Südtirol, in: Peter drei italienischen und einem ladinischen Richter usw. schutz und autonomer Selbstbestimmung zu tun hat, Vertretung zu erlauben? Hilpold/Christoph Perathoner, Die Ladiner. Eine Minder- Perathoner: Viele meiner fassanischen Freunde, da- heit in der Minderheit, NWV, Wien 2005, S. 79. zusammensetzen. sondern vom Wohlwollen der italienischen Regierung 3. Vgl. Christoph Perathoner, Die ladinische Sprachgrup- abhängt und von politischem Utilitarismus bedingt ist. runter auch der ehemalige Parlamentarier und heu- pe in Südtirol und das Zweite Autonomiestatut, in Gün- Der ladinische Richter sollte auch ausschließlich vom Dieser sollte in einer Grundrechtediskussion keinen tiger ladinischer Vertreter in der Regionalregierung ther Pallaver (Hrsg), Politika 12, Raetia, Bozen 2012, S. Südtiroler Landtag ernannt werden. Dies, um konkret Bepe Detomas, ist von der Idee des ladinischen Wahl- 292; vgl. auch Art. 3 Proposta di Legge Costituzionale Platz haben. Alfreider/Gebhard/Plangger/Schullian: „Modifiche allo zu verhindern, dass Rom irgendeinen Richter aus dem Aber zur Sache: Der Art. 107 des ASt. befasst sich mit kreises sehr angetan, welcher allerdings in enger Ver- statuto speciale per il Trentino-Alto Adige in materia di Friaul mit dem Hinweis ernennt, dass er rätoromani- der Zusammensetzung der Zwölfer- und der Sechser- bindung mit der Einführung des Comun General de tutela della minoranza linguistica ladina della provincia sche Wurzeln habe oder seine Geburtsgemeinde die Fascia steht.6 Ein ladinischer Wahlkreis wurde auch di Bolzano“ (Camera dei deputati, n. 56, XVII LEGISLA- kommission. Im gegenwärtigen Gesetzestext ist kein TURA, presentata il 15 marzo 2013). eigene Ladinität entdeckt hat. Vertretungsrecht der ladinischen Volksgruppe vorge- bei uns Ladinern immer wieder diskutiert und hätte 4. Vgl. Art. 5 Proposta di Legge Costituzionale Alfreider/ Bei der Präsidentschaft der Autonomen Sektion ist sehen (Paketmaßnahmen 70 und 71). auch bestimmte Vorteile: die SVP-Ladina, die seit je- Gebhard/Plangger/Schullian: „Modifiche allo statuto vorgesehen, dass sich als jeweils ein Richter italieni- her die dortige Mehrheit der Bevölkerung hinter sich speciale per il Trentino-Alto Adige in materia di tute- Die Zwölferkommission besteht heute aus sechs Ver- la della minoranza linguistica ladina della provincia di scher Sprache mit einem Richter deutscher Sprache hat, wäre nicht mehr dem Risiko ausgesetzt, im par- Bolzano“ (Camera dei deputati, n. 56, XVII Legislatura, nach zwei Jahren ablöst. Hier könnte vorgesehen wer- tretern des Staates, zwei Vertretern des Regionalra- teiinternen Wettbewerb mit den deutschen Kandida- presentata il 15 marzo 2013). den, dass, nachdem sich ein deutscher mit einem ita- tes, zwei Vertretern des Landtages des Trentino und ten durchzufallen, noch wäre das Risiko gegeben, dass 5. Vgl. Art. 7 Proposta di Legge Costituzionale Alfreider/ zwei Vertretern des Südtiroler Landtages. Eine Lösung Gebhard/Plangger/Schullian: „Modifiche allo statuto lienischen Richter über sechs Mandate hinweg abge- als lachender Dritter ein ladinischer Kandidat gewählt speciale per il Trentino-Alto Adige in materia di tute- 5, dass das Ernennungsrecht löst hat, ein ladinischer Richter als Präsident zum Zuge könnte darin bestehen wird, der nicht die Mehrheit der ladinischen Bevölke- la della minoranza linguistica ladina della provincia di kommen müsse. verändert wird. Es könnte vorgesehen werden, dass rung hinter sich hat.7 Bolzano“ (Camera dei deputati, n. 56, XVII Legislatura, sechs Vertreter vom Staat ernannt werden und jeweils presentata il 15 marzo 2013 6. Eingeführt mit: Legge Provinciale della Provincia di Art. 93 ASt. sieht vor, dass den Sektionen des Staatsra- drei von den Provinzen Bozen und Trient. Da die Regi- Allerdings wird ein vom restlichen Südtirol abgegrenz- Trento, 16 giugno 2006, n. 3: Norme in materia di gover- tes, die in den Berufungsverfahren über die Entschei- on in den letzten 40 Jahren fast sämtliche Kompeten- ter Wahlkreis vor allem mit der Mentalität Grödens, no dell‘autonomia del Trentino, in Bollettino Ufficiale, dungen der Autonomen Sektion Bozen des regionalen zen verloren hat, wäre es konsequent, auch diese auf aber auch des Gadertals, als eine Form der Ghettoisie- 27 giugno 2006, n. 26, suppl. n. 3. 7. Beispielsweise erreichte der durchgefallene SVP- Verwaltungsgerichtshofes zu befinden haben, ein Rat die Provinzen zu übertragen. rung wahrgenommen und deshalb abgelehnt. Das mag Kandidat Werner Stuflesser allein in den ladinischen der deutschen Sprachgruppe der Provinz Bozen ange- auch mit der rasanten Entwicklung der Tourismuswirt- Gemeinden 1.500 mehr persönliche Stimmen als Carlo hören muss. Hier sollte ergänzt werden, dass er der Wenn nun die Provinz Bozen drei Vertreter vorschla- schaft in den ladinischen Tälern im Zusammenhang Willeit (Lista Ladins), der aber den Einzug in den Land- tag feierte. Stuflesser hatte sogar 600 Vorzugsstimmen deutschen oder der ladinischen Volksgruppe ange- gen könnte, müsste festgeschrieben werden, dass die- stehen, die naturgemäß gegen jegliche Form der eth- mehr als die gesamte Lista Ladins. hören kann (Art. 6 Vorschlag Alfreider et al.). Da ge- se den drei verschiedenen Sprachgruppen angehören nischen Segregation ist. Es ist auch zu bedenken, dass 8. Vgl. Christoph Perathoner, Die Dolomitenladiner. Eth- genwärtig eine Aufstockung der Südtiroler Staatsräte müssen, außer die Mehrheit der Abgeordneten einer die ladinische Bevölkerung Grödens und des Gadertals nisches Bewußtsein und politische Partizipation, Folio, Wien, 1998, S. 89 ff verhandelt wird, könnte in diesem Zusammenhang Sprachgruppe verzichtet auf ihr Recht und wählt einen in den letzten Jahrhunderten nie politisch relevante das Vertretungsrecht der ladinischen Minderheit ein- Vertreter einer anderen Sprachgruppe. Dementspre- Strukturen gekannt hat, die von der deutschen Volks- geflochten werden. chend müsste auch der erste Absatz des Artikels 107 gruppe getrennt waren.8

152 153 2014 neu, als die Regierung Renzi ihre Verfassungs- bewahrt. Ansonsten ist der Wert neuer Zuständigkei- reform auf den Weg brachte, die im Herbst 2016 mit ten von vornherein relativiert, sind Dauerkonflikte vor- einem Referendum abgeschlossen werden soll. Diese programmiert. Die verfassungsrechtliche Absicherung Reform bringt bekanntlich eine Rezentralisierung der kann eigentlich umfassender sein, nämlich nicht nur politischen Macht und neue Eingriffsrechte des Staats einseitige Statutsänderungen verhindern und das Ein- in den ohnehin reduzierten Zuständigkeitsbereich der vernehmen vorschreiben, sondern im Grunde Südtirol Regionen. Mit dieser Reform erhält der leidige Kon- auch von der Suprematie-Klausel verschonen. „Supre- flikt um die Auslegung autonomer Zuständigkeiten, matie“ des Zentralstaats im Namen der rechtlichen Ein- meist vor dem Verfassungsgericht ausgetragen, neuen heitlichkeit des ganzen Staatsgebiets ist das Gegenteil Stoff. Gleichzeitig ist allerdings eine weitere Mine im von Autonomie. Davon möchte Italien das besonders neuen Verfassungstext versteckt, nämlich die „Supre- autonome Südtirol von vornherein ausklammern, was matieklausel“ (Art. 117, Abs. 4, Verf., „Clausola di su- sowohl in der Verfassung als auch im Autonomiestatut 15 premazia dello Stato“). Die neozentralistischen Verfas- verankert werden muss. sungsreformer werden auch bei der jetzt anstehenden Dieser Schutz gegen Abänderungen des Statuts durch Revision der Statuten der fünf autonomen Regionen den Staat (Parlament) kann auch mit demokratische- darauf pochen, dass diesem Prinzip der „Suprematie“ rem Verfahren erfolgen. Schon in den 1990er Jahren Die Autonomie stattgegeben wird. demokratisch haben die damaligen SVP-Abgeordneten Brugger und abändern und absichern Dagegen haben sich die autonomen Regionen erfolg- Zeller vorgeschlagen, dem Landtag das Recht zu verlei- reich verwehrt (vor allem die SVP) und eine Schutz- hen, über jede Änderung des Autonomiestatuts durch klausel in die Renzi-Reform eingebaut (Art. 39, Abs. 13 das Parlament mit qualifizierter Mehrheit befinden zu Soll eine Autonomie Bestand haben, muss sie rechtlich gegen willkürliche und einseitige Eingriffe durch den Zen- Verfassungsgesetz Renzi-Boschi). So dürfen die neuen können. Heute muss der Landtag bei solchen Ansinnen tralstaat abgesichert sein, gleich ob Regierung oder Parlament. Dies geschieht meist durch den Verfassungsrang Verfassungsbestimmungen bis zur Überarbeitung der zwar vom Parlament informiert werden, kann aber nur der Autonomiestatuten, die nur mit erschwerten Verfahren, eben Verfassungsgesetzen, abgeändert werden Statuten der fünf autonomen Regionen auf diese Regio- eine nicht bindende Stellungnahme abgeben. Dafür hat können. So ist es auch in Italien. Zudem haben die Südtiroler das Glück, über eine völkerrechtlich abgesicherte nen nicht angewandt werden. Es gilt ein Bestandsschutz der Landtag eine eigene Sonderkommission geschaf- Autonomie zu verfügen, eine Seltenheit. Freilich gehen die Expertenmeinungen über die Reichweite dieser inter- der Autonomie auf Zeit, und die Verfassungsreform ist fen. Neu wäre eine Zustimmungspflicht: Stimmt der nationalrechtlichen Absicherung auseinander: Beschränkt sie sich auf das Paket und das bis 1992 umgesetzte für die autonomen Regionen aufs Eis gelegt. Und dann? Landtag, z.B. mit Zwei-Drittel-Mehrheit, zu, kann die Autonomiestatut? Erstreckt sie sich auch auf die seitdem erreichten Erweiterungen der Autonomie? Inwiefern Welchen Schutz wird die Südtirol-Autonomie (bzw. der Änderung in Kraft treten. Findet sich keine Zwei-Drittel- sind auch die Finanzabkommen international abgesichert, etwa mit Briefwechsel zwischen Rom und Wien? Region) nach der Revision des Statuts haben? Und mit Mehrheit, bleibt der Status quo aufrecht. Diese Zustim- welchem Verfahren soll das Autonomiestatut künftig mungspflicht bzw. ein Vetorecht des Regionalrats und Absicherung in Zeiten Absicherung zu präzisieren und im Statut selbst festzu- von den Südtirolerinnen selbst abgeändert werden kön- der Landtage ist auch von den Südtiroler und Trentiner der Suprematie schreiben. Heute wird gleich im Art. 1 des Statuts die nen? Senatoren mit VerfGE Nr. 363/2016 im Senat gefordert „politische Einheit der einen und unteilbaren Republik Eines ist der Schutz vor einseitiger Abänderung durch worden. Manchmal hat man den Eindruck, die traditionellen po- Italien“ beschworen, eine an dieser Stelle überflüssige den Staat, etwas anderes ist das Recht der Regionen litischen Akteure auf diesem Spielfeld – und das sind mit Wiederholung des schon in der Verfassung (Art. 5) ent- und ihrer Bürger, ihre Autonomie demokratisch weiter- Jede mit Zustimmung des Landtags erfolgte Statutsän- wenigen Ausnahmen Spitzenpolitiker von SVP und PD haltenen Grundsatzes. Stattdessen könnte auch das Au- zuentwickeln. Deshalb der Reihe nach. derung sollte sodann, falls eine ausreichende Zahl von – lassen die Absicherung bewusst im Unklaren. Umso tonomiestatut zumindest in seiner Präambel auf seinen Südtiroler Bürgern es wünscht, einem bestätigenden wichtiger ist dann die Rolle des mutigen Verteidigers Ursprung im Pariser Vertrag und auf die völkerrechtliche a) Der Schutz vor einseitiger Abänderung durch den Referendum unterworfen werden können. Es gibt ein der Autonomie auf der römischen Bühne zum einen, Verankerung des Pakets im Rahmen der Streitbeilegung Staat: Es kann sowohl in der Verfassung als auch im bestätigendes Referendum bei Verfassungsänderungen jene des großzügigen Regierungsvertreters zum ande- zwischen Italien und Österreich verweisen. Außerdem Statut eine Ausnahmeregelung für Trentino-Südtirol – (ohne Quorum), bei sog. Regierungsformgesetzen des ren. Die Statutsreform bietet jedenfalls die Möglichkeit, könnte die Schutzmachtfunktion Österreichs in dieser sofern diese Einheit eine Region bleibt - verankert wer- Landes 1) und bei Gemeindesatzungsänderungen (im- sowohl das Änderungsverfahren des Statuts besser als Präambel explizit anerkannt werden. den, die Südtirol permanent vor dem Durchgriffsrecht mer ohne Quorum), nicht aber bei der Änderung der derzeit zu regeln (Art. 103), als auch die internationale Nun stellt sich die Frage der Absicherung seit März des Zentralstaats auf die autonomen Zuständigkeiten Autonomiestatuten. Somit haben die direkt betroffe-

154 155 nen Bürger Südtirols und des Trentino bei Statutsände- ausbauen will. Zusätzlich kann sowohl in der Verfassung Nun gibt es unter Völkerrechtlern zwei Ansätze, um vollständige Umsetzung des Pakets bekanntgegeben rungen nicht das letzte Wort: eine Lücke im System. als auch im Statut eine Ausnahmeregelung für Trentino- nachzuweisen, dass es sich beim Autonomiestatut um wurde, auch den Text des Autonomiestatuts angefügt Südtirol – sofern diese Einheit eine Region bleibt - ge- eine völkerrechtlich relevante Vorkehrung handelt, und darauf verwiesen, dass dieses als Minderheiten- b) Das Recht auf Abänderung des Statuts: Eine Ände- troffen werden, die diese Region auf Dauer vor dem die von Österreich gegebenenfalls vor dem IGH einge- schutzmaßnahme im Sinne des Pariser Vertrags zu in- rung der Statuten der Regionen mit Sonderstatut kann Durchgriffsrecht des Zentralstaats auf die autonomen klagt werden kann: das Estoppel-Prinzip und die „spä- terpretieren sei (Hilpold 2014, 53). Österreich hat in in Italien nur durch einen Parlamentsbeschluss erfol- Zuständigkeiten bewahrt. Ansonsten ist der Wert neu- tere Praxis“. Wendet man das „Estoppel-Prinzip“2) an, seiner Antwort darauf die internationale Absicherung gen. Im Unterschied zu den Normalregionen haben die er Zuständigkeiten von vornherein relativiert und sind könnte Österreich vor dem IGH einen rechtlich fun- nochmals stärker betont. Die Schutzmachtfunktion Regionen Italiens mit Sonderstatut keine Statutshoheit. Dauerkonflikte vorprogrammiert. dierten Anspruch auf die Einhaltung der Paketbestim- Österreichs ist schon im Notenwechsel zwischen Itali- Vielmehr gilt das Prinzip der Verhandlung und Überein- mungen geltend machen. Unter „späterer Praxis“ zu en und Österreich zur Streitbeilegungserklärung vom kunft (metodo pattizio) zwischen Staat und autonomen völkerrechtlichen Verträgen versteht man den Usus, die 11.6.1992 enthalten (Punkt 6). Die italienische Regie- Regionen. Dies verlagert die Weiterentwicklung der Au- Ist das Autonomiestatut herrschende Praxis, die Entscheidungen von Gerichten, rung hat auch immer wieder erklärt, dass die Südtirol- tonomie in die Spitzen der Exekutive (Landeshauptleute völkerrechtlich einklagbar? Äußerungen von politischen Amtsträgern als Grundla- Autonomie als Minderheitenschutz-Maßnahme im Sin- und Ministerien sowie die Chefs der jeweiligen Regie- Die völkerrechtliche Verankerung bildet eine der Be- ge völkerrechtlicher Verpflichtungen herananzuziehen. ne des Pariser Vertrags zu interpretieren sei (Hilpold, rungsparteien). sonderheiten der Südtiroler Autonomie. Nur eine klei- Karl Zeller empfiehlt, jenen Teil des Pakets, der sich 2005, 44). Benötigt wird aber eine dezidierte Aufwertung des ne Minderheit der Autonomiesysteme weltweit hat auf den Schutz der deutschen Volksgruppe bezieht, als Landtags, wenn die Statuten mit mehr demokratischer Der völkerrechtliche Charakter der Streitbeilegungser- – über die verfassungsrechtliche Verankerung hinaus „spätere Praxis“ zum Pariser Vertrag einzuordnen: „Die Legitimation abgeändert werden sollen. Denn im Zug klärung wird nicht bestritten. Doch sind die damit einge- – eine derartige Absicherung aufzuweisen. Die Südtirol- Paketmaßnahmen an sich entfalten – strenggenommen neuer politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen gangenen Verpflichtungen auch gerichtlich einklagbar? Autonomie ist im Gruber-Degasperi-Abkommen vom – keine direkten Bindungswirkungen, da sie aber für die kann jederzeit ein Reformbedarf entstehen. Dafür soll- Österreich und Italien haben sich fast zeitgleich mit dem 5.9.1946 festgeschrieben und integrierender Teil des Auslegung des Pariser Vertrags maßgeblich sind, kommt ten künftig auch die beiden Landtage eigenständig die Inkrafttreten des Statuts (1973) auch der Gerichtsbar- Friedensvertrags vom 10.2.1947 zwischen Italien und ihnen über den Umweg des Gruber-Degasperi-Abkom- Initiative ergreifen und im Parlament eine Vorlage ein- keit des IGH unterworfen. Deshalb müssen in Zukunft den Alliierten. Aufgrund der völkerrechtlichen Geltung mens de facto ähnliche völkerrechtliche Wertigkeit zu bringen können. Heute können die Landtage zwar Vor- Rechtskonflikte zur Auslegung des Pariser Vertrags von dieses Vertrags wird Österreich als Vertragspartner des wie diesem selbst“ (Zeller 1989, 72). Außerdem weist schläge verabschieden, doch nur die Region ist berech- 1946 zwingend vor den IGH. Daraus folgert Perathoner, Pariser Vertrags eine Schutzmachtfunktion zuerkannt. das Paket eine Reihe von Merkmalen auf, die es völker- tigt, das eigentliche Initiativrecht auszuüben (Art. 103 „dass alle Maßnahmen zum Schutz der deutschen und Sind damit auch das zwischen Italien und Österreich rechtlich relevant erscheinen lassen und ausschließen, ASt.). Ein Initiativrecht zur Änderung des Autonomiesta- ladinischen Volksgruppe, die zum Zeitpunkt der Streit- vereinbarte „Paket“ und das 2. Autonomiestatut ge- dass nur eine inneritalienische Angelegenheit sei (Asan- tuts könnte zusätzlich auch einer Mindestzahl von Bür- beilegung bestanden haben, international verankert schützt und vor dem Internationalen Gerichtshof IGH ger 2002, 137): gern in Form eines Volksbegehrens zuerkannt werden. sind und die Schutzmacht Österreich gegen eine Ver- einklagbar? Sind die seit 1992 erreichten Ausbauschrit- Autonomiestatuten sind wie Verfassungen nicht in Stein • Die Basis der Paket-Verhandlungen bildete ein völ- letzung durch Italien beim IGH in Den Haag vorgehen te der Autonomie völkerrechtlich abgesichert? Nicht die gemeißelt und müssen abänderbar sein. Heute schon kerrechtlicher Vertrag. kann.“ (Perathoner 2016, 159). „Im Völkerrecht konso- Schutzmachtfunktion Österreichs an sich wird ernsthaft gilt für Änderungen des Statuts das Grundprinzip des • Zwei UN-Resolutionen haben das Vorhandensein lidiert sich die Meinung, dass das Paket eine sog. nach- angezweifelt, vielmehr scheiden sich die Geister an der Einvernehmens, morgen hoffentlich auch. Das demo- einer Streitigkeit um seine Durchführung festge- folgende oder spätere Praxis zum Pariser Vertrag vom 5. Frage der Reichweite dieses Schutzes. kratische Plus bei den vorgeschlagenen Verfahren wäre: stellt und beide Parteien aufgefordert, eine ge- April 1946 sei (…) Diese spätere Praxis bildet dann mit Vorauszuschicken ist: wenn das Paket völkerrechtlich Das Autonomiestatut darf nur mit der Zustimmung ei- meinsame Lösung zu finden und dem Operationskalender den Anknüpfungspunkt für ei- verankert ist, kann es vom IGH als Entscheidungsgrund- ner qualifizierten Mehrheit der politischen Vertreter • daraufhin wurde das Paket (und der Operationska- nen bindenden Estoppel.“ (Perathoner 2016, 155). lage herangezogen werden. Hat es nur innerstaatlichen der betroffenen Bevölkerung abgeändert werden, also lender) bilateral vereinbart. Für Italien scheint es nicht mehr problematisch, die völ- Charakter als Zugeständnis des italienischen Staats, des Landesparlaments. Ein Vetorecht soll zusätzlich • Die Durchführung der Paketmaßnahmen wurde kerrechtliche Verankerung der Südtirol-Autonomie in wäre es also nicht Teil des völkerrechtlichen Vertrags, auch der Bevölkerung durch das bestätigende Referen- sowohl von der UN-Generalversammlung als auch Form des Statuts von 1972 mit Umsetzungsstand von könnte das Paket nach Meinung der meisten Experten dum direkt zuerkannt werden. Österreich gegenüber zugesichert. 1992 anzuerkennen. Doch hat sich diese Autonomie nicht eingeklagt werden: „Insgesamt gilt aber für Paket Fazit: die Wiederherstellung der durch die Reform von • Österreich hat jahrelang die Einhaltung der Zusagen in der Zwischenzeit wesentlich weiterentwickelt und und Operationskalender gleichermaßen, dass diese in 2001 gewährten Befugnisse, eine Erweiterung der pri- gefordert, ohne das Italien je widersprochen hätte könnte mit dem 3. Autonomiestatut einen weiteren mären Zuständigkeiten der Länder und der Abbau der Ermangelung eines diesbezüglichen Konsenses nicht als • Paketdurchführung und Durchführung des Pariser Qualitätssprung machen. Wird Italien dieses Statut wie- konkurrierenden Zuständigkeit stehen sicher ganz vor- völkerrechtliche Verträge qualifiziert werden konnten“ Vertrags sind faktisch nicht zu trennen. derum als Ausfluss des Pariser Vertrags und damit als ne auf der Agenda, wenn man die Autonomie Südtirols (Hilpold 2005, 41). Italien hat in der Note vom 22.4.1992, mit welcher die völkerrechtlich einklagbar anerkennen?

156 157 Anmerkungen Gespräch mit es heute nur noch wenige in der Europäischen Union alle italienischen Sonderautonomien. Es ist also nicht 1. LANDESGESETZ vom 17. Juli 2002, Nr. 10, Regelung sind. Es stimmt natürlich, dass die Regionen mit Son- gelungen, der Regierung und dem Parlament klar zu der Volksabstimmung gemäß Artikel 47 Absatz 5des DDr. Christoph Perathoner (Teil 2) Sonderstatutes für Trentino-Südtirol derstatut weiterhin einen Sonderstatus genießen. Trotz machen, dass die Südtirol-Autonomie von der Rechts- 2. Estoppel-Prinzip: „Ein Rechtssubjekt darf wegen sei- dieser Sonderregelung spürt man jedoch deutlich, dass qualität her nicht vergleichbar mit jener der anderen (Rechtsanwalt, SAD-Präsident, SVP-Bezirksobmann in nes früheren Verhaltens die Unverbindlichkeit oder gar die Regierung Renzi für die Abschaffung der Sonder- Regionen mit Sonderstatut ist. Die Südtirol-Autonomie Rechtswidrigkeit dieser seiner Praxis nicht geltend ma- Bozen, Spitzenvertreter der Ladiner in der SVP, Vor- autonomien (oder eines Großteils davon) eintritt und ist nämlich die einzige, die auf eine konsolidierte, aner- chen, sofern ein anderes Rechtsubjekt darauf gutgläu- sitzender der zehnköpfigen Expertenkommission zur big vertraut“ (Robert Asanger, 2002, 130, Fußnote 5) diese eher als Anomalie des Verfassungsrechtssystems kannte und gut fundierte völkerrechtliche Absicherung Überarbeitung des Autonomiestatuts) wahrnimmt. Die zentrale Gefahr besteht in meinen Au- zurückgreifen kann. Zur Vertiefung Die SVP ist auch von Altmandataren für ihre Zustim- gen darin – und vielleicht denke ich jetzt berufsbedingt Im Hinblick auf den Verfassungsgerichtshof ist darauf Zeller, Karl (1989), Das Problem der völkerrechtlichen mung zur zentralistisch ausgerichteten Verfassungs- zu viel als Rechtsanwalt – dass der Verfassungsgerichts- zu achten, dass dieser das Konzept der „Abänderung Absicherung und die Zuständigkeit des internationalen hof eine zentralstaatlich geprägte Rechtsprechung ent- des Autonomiestatuts nur im Einvernehmen“ nicht so Gerichtshofs. Wien reform der Regierung Renzi kritisiert worden. U.a. wird damit eine neue Form des nationalen Interesses wickelt, vor der föderalistische oder autonomistische ausgelegt, dass das italienische Parlament, als höchste Palermo, Francesco (2005), Änderungen des Autono- (clausola di supremazia, neuer Art. 117, Abs. 4 Verf) Prinzipien, Ansätze oder Gesetzesinterpretationen kei- Institution der „Parlamentarischen Republik Italien“, miestatuts und ihre Grenzen, in: Marko/Ortino/Paler- nen Bestand mehr haben und als rechtssystemfremd bei Patt-Situationen zwischen dem Südtiroler Landtag mo/Woelk/Voltmer, Die Verfassung der Südtiroler Au- eingeführt, womit die Regierung mit einem Dekret in tonomie, Nomos, 406-414 die Befugnisse der Regionen eingreifen kann. Welche wahrgenommen werden. Der Verfassungsgerichtshof und dem italienischen Parlament, das eigene Primat Gefahr geht von dieser Bestimmung auch für die Ge- wird nämlich die neue italienische Verfassung als Refe- zur Auslösung des Deadlocks durchsetzen kann und Perathoner Christoph (2016), Die Südtirol-Autonomie als internationales Referenzmodell? – Die internationa- setzgebung der autonomen Regionen aus? renz und Maß heranziehen, an der jedes andere Gesetz, dies mit dem Argument, dass staatsrechtlich eine per- le Absicherung und die Verallgemeinerungsfähigkeit der Es steht außer Frage, dass die Verfassungsreform Renzi- das nicht gleichrangig ist, bewertet wird. manente Patt-Situation zwischen dem Staat und einer Südtiroler Errungenschaften , in: Peter Hilpold (Hg.), Au- Boschi stark zentralistische Züge aufweist und auch eine Die Schutzklausel für die Autonomie der Region und untergebenen Gebietskörperschaft verfassungswidrig tonomie und Selbstbestimmung, Nomos, 135-195 Tendenz gegen die Sonderautonomien erkennen lässt. der Autonomen Provinzen in der jetzigen Verfassungs- und gegen die allgemeinen Staatsgrundsätze verstoßen Hilpold Peter (2005), Die völkerrechtliche Absicherung Diese Verfassungsreform ist gerade hinsichtlich des Art. reform ist eine Art Bestandsschutz des Statuts bis zur würde. der Südtirol-Autonomie, in: Marko/Ortino/Palermo/ Revision des Statuts. Wie wird der Schutz der Südti- Jedenfalls wird es sehr schwer werden, das Autono- Woelk/Voltmer, Die Verfassung der Südtiroler Autono- 117 Verf. verfehlt, weil sie im Widerspruch zum Subsidi- mie, Nomos, 38-46 aritätsprinzip steht und weil sie staatsrechtlich und vom roler und die Autonomie nach dieser Anpassung 2017 miestatut im Einvernehmen mit dem italienischen Par- Staatsaufbau her unzeitgemäß ist. Hinzu kommt noch oder 2018 in der Verfassung festgeschrieben? lament abzuändern und somit davon auszugehen ist, Asanger, Robert (2002), Die Autonomie der Provinz Bo- zen und des Baskenlandes – Ein Rechtsvergleich, Univ. ihr Widerspruch zum Modell eines Europas der Regio- Südtirol hat eine Übergangsbestimmung erreicht (me- dass wir noch lange das aktuelle Statut haben werden. Innsbruck nen, weshalb sie auch als anti-europäisch bezeichnet dial bekannt als „Schutzklausel“), die übrigens für alle Dies wiederum bedeutet, dass beim jetzigen status quo werden kann. Regionen und Provinzen mit Sonderstatut gilt. Demnach die Autonomie vom Verfassungsgerichtshof weiterhin Dem gegenüber steht wohl die Ansicht des italienischen findet der neue Titel V der Verfassung bis zur Überar- ausgehöhlt wird, wie es seit der Verfassungsreform Regierungschefs, dass ein hoffnungslos verschuldetes beitung des Autonomiestatuts keine Anwendung und von 2001 bereits Praxis ist. Auch im Jahre 2001 war Land wie Italien nur dann sanierbar ist, wenn der Regie- das jetzige Statut hat weiterhin Geltung. Diese Über- eine Art Schutzklausel ausgearbeitet worden, die aber rung in Rom die Befugnisse eines Insolvenzverwalters arbeitung hat zudem im Einvernehmen zwischen Staat nicht wirklich vor dem Verfassungsgerichtshof hielt. Die gegeben werden. und Land (intesa) zu erfolgen. In der gegenwärtigen po- jetzige Klausel ist in meinen Augen jedoch besser for- Die geplante Neuformulierung in Art. 117, Abs. 4 Verf. litischen Situation ist politisch nicht mehr zu holen und muliert. Wir werden also nach der Verfassungsreform sieht nicht nur die Eingriffsmöglichkeit des Staates aus ich bin der Auffassung, dass hier vor allem Arno Kom- Renzi-Boschi zwei Fronten haben: politischen Gründen (interesse nazionale), sondern patscher – aus realpolitischer Sicht und wegen seiner a) mit der Regierung, um eine einvernehmliche auch aus rechtlichen (unità giuridica) und wirtschaft- sehr guten persönlichen Beziehung zum Regierungs- Revision des Autonomiestatutes zu erwirken; lichen (unità economica) Gründen vor. Es ist also eine chef Renzi – das Beste herausgeholt hat, was politisch b) mit dem Verfassungsgerichtshof, um eine Aus- Klausel, vor der man sich nicht schützen kann und die möglich war. höhlung der Autonomie zu verhindern. juristisch auch so eindeutig formuliert ist, dass nur Aus juristischer Sicht, das heißt aus der Perspektive des Die Paritätischen Kommissionen sind eine Schaltstel- schwer daran zu rütteln ist. Autonomie- und des Minderheitenrechts, kann ich aber le zur Umsetzung des Autonomiestatuts, ein Hebel, Durch diese Bestimmung sind alle Regionen mit- Nor kein positives Urteil über die Verfassungsreform geben. um die Autonomie weiterzuentwickeln. Doch wer- malstatut wieder in einem Zentralstaat gefangen, wie Einerseits gilt besagte Schutzklausel undifferenziert für den diese nur von den Regierungsparteien besetzt

158 159 und nominiert. Sollen und wie können Parlament und In der Grundsatzfrage, ob das Land Südtirol mehr Zu- Wo kann hier im Autonomiestatut oder bei DFBen an- um. Jedoch erscheint mir die Lebensqualität Südtirols Landtag künftig stärker in diese eigentlich legislative ständigkeiten und mehr Autonomie erhalten soll, sind gesetzt werden? Wie steht’s mit der Erfüllung der im mit keiner anderen vergleichbar zu sein. Tätigkeit der Paritätischen Kommissionen einbezogen wir uns ja alle einig bzw. denke ich, dass 90% der Bevöl- Statut festgehaltenen Pflicht zur Zweisprachigkeit? Sehr positiv sehe ich auch die Entwicklung von einem werden? kerung dafür sind. Aus diesem Grunde haben die beiden Mir gefällt es, die Sache in diesem Bereich positiv zu dissoziativen hin zu einem assoziativen Modell der Lö- Ich bin kein Freund der Idee, den Paritätischen Kom- Landeshauptleute Kompatscher und Rossi bereits Ende sehen und aufzuzeigen, dass die Sprachkompetenz in sung der ethnischen Konflikte. Positiv bewerte ich, dass missionen zu viel politische Macht und Einfluss zu 2014 eine zehnköpfige Expertenkommission eingesetzt, den Landessprachen in den letzten Jahrzehnten seit der sich mittlerweile alle drei Sprachgruppen zur Autonomie geben, zumal diese Paritätischen Kommissionen nur bei der ich die Ehre hatte, als Koordinator vorzuste- Einführung des 2. Autonomiestatuts verbessert wurde. und dem Föderalismus bekennen und diese als Wert se- Notlösungen waren. Beim Ausarbeiten des Autono- hen, und die aus folgenden Mitgliedern bestand: von Eine gute Zweisprachigkeit in unserem Land ist nicht hen. Gut gefällt mir auch, dass Südtirol im Gegensatz miestatuts wurden paritätische Kommissionen, in der der Provinz Bozen ernannt: Univ. Prof. Francesco Volpe, die Frage danach, ob der Zweisprachigkeitsnachweis zu anderen Regionen der EU und dem Integrationspro- eine der beiden Parteien unverhältnismäßig repräsen- Univ. Prof. Esther Happacher, Univ. Prof. Francesco Pa- vorhanden ist, sondern wie wir es schaffen, die junge zess positiv gegenüber steht. Deshalb denke ich, dass tiert war, nur dort eingeführt, wo eine der Parteien lermo, Karl Zeller, Christoph Perathoner (Vorsitz); von Generation dazu zu motivieren, die Sprachen gutzu der Minderheitenschutz in Südtirol gut funktioniert und den Proporz ablehnte. der Provinz Trient ernannt: Beppe Detomas (Vorsitz der lernen. Die Sprachkompetenz wird nämlich für die be- schätze es auch nicht, wenn ihn jemand schlecht redet. Paritätische Kommissionen sollen rein beratenden Cha- Trentiner Gruppe), Univ. Prof. Roberto Toniatti, Marco rufliche Entwicklung immer wichtiger. In diesem Lichte Die Minderheitenrechte als Rechtsbereich werden rakter haben und durch jeweilige Fachexperten besetzt Boato, Renzo Dellai, Luca Zeni. ist das Thema Zweisprachigkeit vornehmlich ein Thema künftig in der Welt noch größere Bedeutung erfahren. werden, deren Berufung unabhängig vom politischen Im März 2015 wurde ein Vorschlag zur technischen des Südtiroler Schulsystems. Mit besseren Gesetzen, Dies hängt damit zusammen, dass es durch die Migrati- Credo erfolgt. Die parlamentarischen Gremien sollen Neuschreibung der Artikel 4 bis 11 unterbreitet. Die stärkeren Kontrollen und Geldstrafen und härteren Prü- on verstärkt neue Minderheiten geben wird. Das hängt dann die Ergebnisse die Expertenkommissionen nach technischen Aufgaben der Kommission bestanden da- fungen stoßen wir nämlich immer mehr an Grenzen. aber auch damit zusammen, dass es in einer globalen politischen Perspektiven bewerten. Die politische Ge- rin, zu prüfen, Als SAD-Präsident kann ich sagen, dass wir uns im Un- Welt keine Staatsnation mehr gibt, genauso wie die EU heimdiplomatie, die schwere politische Probleme lösen a) wo der Verfassungsgerichtshof ausschließliche ternehmen größte Mühe zur Einhaltung der Zweispra- keine Staatsnation ist, sondern viele Nationen, die aber muss, braucht keine paritätischen Kommissionen, die Kompetenzen wie und in welcher Form ausgehöhlt chigkeit geben und uns dies prinzipiell auch sehr gut im großen Ganzen nur Minderheiten sind. Demnach in ihrer Zusammensetzung oft problematisch sind, son- hatte, und wie diese neu formuliert werden konn- gelingt. Es gibt natürlich auch Personen, die eine per- wird sich auch der Minderheitenschutz, der sich als sehr dern guten Willen. ten; fekte Dokumentation der Sprachkompetenzprüfung dynamischer Rechtsbereich charakterisiert, ständigen b) die heutige Kompetenzverteilung zwischen Re- vorlegen, aber die Sprache in der Praxis nicht angemes- Anpassungen unterwerfen müssen, um effizient und Die Autonomie ausbauen bedeutet vor allem die Er- gion und Provinzen; sen beherrschen. Problematisch wird es auch dort, wo bedürfnisnah sein zu können. weiterung der Zuständigkeiten der Autonomen Pro- c) welche Zuständigkeiten nach der Verfassungs- bestimmte Dienste im öffentlichen Interesse gemacht Die Herausforderung wird für Südtirol aber der Ausbau vinz. Das ist auch ein altes Anliegen der SVP, sowohl reform des Jahres 2001 von sekundären zu primä- werden müssen, es aber keine geeigneten einheimi- der Autonomie sein. Durch die Europäisierung unseres mit der dynamischen Autonomie als auch mit dem ren Legislativkompetenzen geworden waren; schen Mitarbeiter gibt und viele zugewanderten Mit- Kontinents wird uns Südtirolern noch bewusster, dass Schlagwort der Vollautonomie. Allerdings scheint da- d) ob und in welcher Form heute noch die sekun- arbeiter ohne entsprechende Sprachkompetenz versu- wir mit der italienischen Staatsnation wenig gemein ha- rüber nicht der Südtirol-Konvent befinden zu dürfen, dären Gesetzeszuständigkeiten Anwendung finden chen, diesen Job zu erhalten. ben. Darauf stützt sich ein legitimer Anspruch zur Eigen- sondern dies wird zwischen Regierung und Landes- und welche Rolle die tertiären Zuständigkeiten ha- Ist unsere Autonomie beim heutigen Entwicklungs- ständigkeit. Die Eigenständigkeit im europäischen Sinne regierung verhandelt, assistiert von einer eigenen ben; stand für den langfristigen Schutz der beiden ethni- bedeutet für mich, dass unser Land oder unsere Region regionalen Expertenkommission. Welche politische e) wie künftig die Umsetzung des Unionsrechts schen Minderheiten ausreichend? Bedeutet dies, dass das richtige Gleichgewicht zwischen Eigenständigkeit Strategie hat die SVP, um mehr autonome (primäre) auf Provinzebene erfolgen könnte. - abgesehen von verschiedenen Lücken bezüglich der und Teilnahme am europäischen Integrationsprozess Zuständigkeiten zu erreichen? Zu diesen Fragen wurde ein konkreter Gesetzesvor- Ladinerrechte - ein weiterer Ausbau der Autonomie finden muss. Der europäische Integrationsprozess be- Die SVP ist in dieser Frage sehr engagiert und wir ha- schlag unterbreitet, wobei in einigen Punkten die An- nicht mehr mit Gründen des Minderheitenschutzes dingt nämlich nicht nur die Schaffung eines interdepen- ben uns sehr viele Gedanken dazu gemacht. Wir sind sichten der Kommissionsmitglieder auch grundlegend gerechtfertigt werden kann? denten Systems, sondern auch die Anerkennung von zum Schluss gekommen, dass schon unterschieden auseinander gingen. Ja, ich ziehe insgesamt eine sehr positive Zwischen- Regeln, die nicht in Südtirol geschaffen wurden. Der werden muss zwischen jenen Themen, die in einem Wo gibt es die größten Mängel in der Umsetzung der bilanz zu den Südtiroler Errungenschaften, vielleicht angestrebte Ausbau der Südtiroler Autonomie und die Südtirol-Konvent von jedermann diskutiert werden Pflicht zur Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst? In auch, weil ich mich emotional in meiner Heimat sehr Mehrung der legislativen und exekutiven Zuständigkei- sollen, weil sie das Leben sowie das soziale und kultu- der POLITiS-Umfrage von 2014 werden vor allem Ge- wohl fühle. Durch meine Anwaltskanzlei, die auch au- ten soll nicht ein Weg zur idyllischen Inselbildung sein, relle Umfeld eines jeden betreffen, und rein technisch- richt, Krankenhaus Bozen, Gemeinde Bozen, öffentli- ßerhalb Südtirols an mehreren Standorten nördlich und sondern ein Weg, ein Baustein Europas zu sein. juridischen Fragen. chen Nahverkehr und alle Telefonanbieter genannt. südlich des Brenners vertreten ist, komme ich viel her-

160 161 Ausblick auf die Zukunft der aus SVP-Sicht unrealistischen Weg der Grenzverschie- bung eine vielversprechendere Alternative entgegen- Autonomie zusetzen: Dem Staat sollten in Südtirol nur mehr die klassischen Kernkompetenzen eines Zentralstaats vor- Die politischen Vertreter wissen es schon lange und behalten bleiben: die Justiz, Verteidigung, Geld- und die Bevölkerung inzwischen auch: Das Regelwerk Au- Währungspolitik, Außenpolitik sowie das Zivil- und tonomiestatut aus dem fernen Jahr 1972 ist zum Teil Strafrecht. Alles andere sollten die autonomen Pro- überholt und weist mittlerweile zu viele Mängel auf. vinzen Bozen und Trient übernehmen, während die Zum einen gibt es alte Forderungen der Südtiroler Region nur mehr Organ der Zusammenarbeit der Län- Seite, die schon 1972 in Rom nicht erfüllt und auch der sein sollte. Als Hauptargument für diesen Quali- auf dem Weg der Delegierung und der DFB nie in die tätssprung der Autonomie führt die SVP dafür nicht Gesamtregelung aufgenommen worden sind. Zum mehr Minderheitenschutz und Sprachgruppenrechte anderen hat die Entwicklung des gesamten Rechts- ins Feld, sondern die kaum widerlegbare Tatsache, rahmens im Staats-, Verfassungs- und Unionsrecht zu dass das autonome Südtirol all seine Zuständigkei- vielen Bruchstellen und überholten Bestimmungen ten besser verwaltet hat als der Staat, und es für alle geführt. Schließlich sind aus der Praxis der jetzt 44 Sprachgruppen besser sei, so viele Lebensbereiche Jahre dauernden Anwendung der Autonomie heraus wie möglich eigenständig zu gestalten als durch einen Anpassungen notwendig geworden, weil sich die Ge- fernen, schwerfälligen und überschuldeten Staatsap- sellschaft, Wirtschaft und Politik des Landes- weiter 16 Workshop im Rahmen des Südtirol-Konvents, Bozen, Mai 2016 parat. Im Unterschied zu anderen Regionen Italiens entwickelt haben, das Regelwerk „Autonomiestatut“ sei die Sonderautonomie nicht nur den beiden natio- aber nicht Schritt gehalten hat. Wie in anderen Regi- nalen Minderheiten geschuldet, sondern auch für das onalautonomien muss das Grundgesetz der Autono- Land und den Staat effizienter. mie deshalb in Inhalt und Systematik und selbst in vie- Diese Autonomie kann allerdings vervollständigt wer- Autonomie-Konvent und Verfassungsreform len Formulierungen auf den aktuellen Stand gebracht den, und zwar vor allem durch die Ausweitung der werden. Kurz: es braucht ein „3. Statut“. Wie bei einer Zuständigkeiten des Landes und durch den Abbau der Verfassungsreform ist dafür ein breiterer Konsens in und dann? Schranken für die autonome Gesetzgebung, nebst der Bevölkerung und Politik wichtig, weil es um eine der Vereinfachung der institutionellen Architektur Art Landesverfassung geht, auch wenn in Südtirol – Seit dem 16. Jänner 2016 arbeiten verschiedene Gremien des Autonomiekonvents an der Autonomiereform, der Autonomie durch die Abschaffung der Region. im Unterschied zu Katalonien, den Åland Inseln oder hunderte Bürger und Bürgerinnen haben sich aktiv in die Diskussion um die Zukunft der Autonomie einge- Vier Regierungsebenen – Gemeinde, Land, Staat, EU Grönland – darüber keine Volksabstimmung abgehal- bracht. Der Konvent der 33 hat Ende April 2016 seine Tätigkeit aufgenommen, während gleichzeitig ein „Bei- – und drei Gesetzgebungsebenen – Land, Staat und ten werden kann. rat für das neue Autonomiestatut“ beim Trentiner Landtag arbeitet. Über die partizipative Qualität dieses EU – sind genug. Eine zentralstaatliche „Suprematie- Eine zentrale Rolle kommt in diesem Prozess der SVP Verfahrens lässt sich streiten, doch zweifellos haben diese neuen Formen der Bürgerbeteiligung allgemein klausel“ quer durch primäre Zuständigkeiten ist mit zu, der Südtiroler „Autonomiepartei“ schlechthin. viel Interesse geweckt, an diesem breit gesteckten Reformprojekt mitzuwirken. Nach den Bürgern und dem echter Territorialautonomie nicht vereinbar. Ebenso Konnte 1969 Silvius Magnago die SVP nur mit knapper Konvent werden die beiden Landtage an der Reihe sein, die Empfehlungen des Konvents aufzunehmen und wenig ausschließlich staatliche Gesetzgebungsbefug- Mehrheit zur Annahme der Kompromisslösung „Pa- in einen Reformvorschlag zu gießen. Dann werden die Südtiroler und Trentiner Politikerinnen im Regionalrat nisse transversalen Charakters, die zur Verwirklichung ket“ bewegen, steht sie heute in einem gewandelten zusammenfinden müssen, denn die formelle Gesetzesinitiative zur Statutsrevision steht nur der Region zu einheitlicher Interessen auch in autonome Kompe- politischen Koordinatensystem: sie vertritt nur mehr (Art. 103 ASt.). Wenn dieser Prozess frühestens Mitte 2017 abgeschlossen sein wird, geht der Ball ins Feld des tenzbereiche eingreifen können. weniger als die Hälfte der Wählerschaft des Landes, Parlaments in Rom. Wird sich trotz der für die Regionen mit Sonderstatut ungünstigen Großwetterlage eine während 10 von 35 Landtagsabgeordneten dreier Mehrheit für einen Ausbau der Autonomie finden? Warum sollten das Trentino und Südtirol in Rom mehr Oppositionsparteien die Selbstbestimmung mit der Vorstöße im Parlament Glück haben als Sizilien, Friaul Julisch Venetien und das Aostatal? Welchen Druck können ein Regionalrat und Option der Loslösung Südtirols von Italien fordern. So einige Südtiroler Parlamentarier auf eine Regierung ausüben, die auf „governabilità“ und zentralstaatliche Dieser Vision ein rechtliches Kleid verliehen haben hat der damalige SVP-Obmann Theiner im September Lenkung setzt und den Regionalstaat per Verfassungsreform zurückbaut? die SVP-Senatoren Karl Zeller und Hans Berger mit ih- 2011 die Vision der „Vollautonomie“ lanciert, um dem

162 163 rem Verfassungsgesetzentwurf Nr. 32, der am 15. März Wahlabkommen dem PD einige Zusagen abgerungen, Staat gesetzten Grenzen, wie auch beim Auslaufmo- bringen sie neue Risiken gerade für die italienische 2013 im Parlament hinterlegt worden ist. Darin würde wie z.B. die Wiederherstellung der primären Zustän- dell Region, und auch mit Blick auf das Verhältnis der und ladinische Sprachgruppe. Andererseits kann die die bisherige dreipolige Konstruktion mit zwei autono- digkeit bei Umweltschutz, Raumordnung, Wasserkraft- Sprachgruppen in Südtirol und der direkten Beteiligung ethnische Konkordanz erweitert werden, um die Be- men Provinzen unter dem Dach einer Region belassen, nutzung und öffentlichem Vergabewesen. Auch zu den der Bürger an der Politik. Diese Vorschläge bewegen teiligung der repräsentativsten Kräfte aller Sprach- doch die Region zum bloßen Organ der Beratung und Finanzen ist im Oktober 2014 ein Kompromiss erzielt sich im Rahmen der Verfassungsrechtsordnung und gruppen an der Landesregierung zu ermöglichen. Koordination in allen Sachbereichen mit gemeinsamen worden. Außerdem haben die Regierungen Letta und verankern kein Recht auf demokratische Selbstbestim- Nicht zuletzt muss Südtirol auch bei der Bildung und Interessen der Länder. Die Zuständigkeiten sowohl des Renzi die Finanzierung der RAI Südtirol, die Übernah- mung einer autonomen Provinz über ihren souveränen Umsetzung des Unionsrechts mehr mitbestimmen Staats wie der autonomen Länder werden genau aufge- me des Gerichtspersonals durch die Region, die primäre Status, was zunächst eine Verfassungsänderung vor- können, wenn es autonome Zuständigkeiten regelt, führt, die Kategorie der konkurrierenden Gesetzgebung Zuständigkeit für die GIS und den Übergang der Steu- aussetzen würde. Eine Reform des Autonomiestatuts während der EVTZ Europaregion Tirol ein demokra- entfällt. Die Schranken der autonomen Gesetzgebung eragenturen an die Provinzen zugestimmt und zum Teil Südtirols darf aber nicht bei der bloßen Anpassung des tisch repräsentatives Kontrollorgan erhalten kann. wären nur mehr die Verfassung, die internationalen schon in die Wege geleitet. „Blümchen auf dem Weg zu Autonomiestatutstextes stehen bleiben, sondern kann Verpflichtungen und das famose nationale Interesse, pflücken“ (Magnago) ist wichtig, doch für einen Quali- durchaus eine Änderung der Verfassung selbst erfor- Eigenständigkeit in mehrfacher worin auch der Minderheitenschutz eingeschlossen ist. tätssprung des Gesamtsystems noch zu wenig. dern. Dies wäre sowohl für die Abschaffung der Region Hinsicht stärken wie für die Zuerkennung von Statutshoheit (Recht auf Dadurch würden eine ganze Reihe bisher sekundärer Auf Trentiner Seite hat, ebenfalls 2013, ein Professoren- eigenständige Erstellung des Statuts) unvermeidlich der Die Südtirol-Autonomie würde mit diesen Reform- Zuständigkeiten zu primären, bisher regionale Zustän- trio einen vergleichbaren Entwurf für einen entschiede- Fall. Auch die Befreiung Südtirols von der neuen Supre- schritten im Sinne von politischer Eigenständigkeit digkeiten würden zu Landesbefugnissen. Quantitativ nen Ausbau der Autonomie gewagt. Postal, Toniatti und matieklausel verlangt eine Verfassungsänderung. konsequenter ausgebaut: Eigenständigkeit des Lan- und qualitativ käme dies einem kräftigen Ausbau der Carli erweitern die autonomen Zuständigkeiten und des als Gebietskörperschaft und Regierungsebene, politischen Eigenständigkeit Südtirols gleich. Weil über- behalten den Autonomen Provinzen die sog. residua- Wie Katalonien es in seinem Statut von 2006 vorge- des Landtags als zentrales Vertretungsorgan, der holte Zuständigkeitsregeln wegfielen, würde das Statut le Gesetzgebungskompetenz für alle Bereiche vor, die zeichnet hat, müssen die Zuständigkeiten von Staat und Sprachgruppen in der Bildungs- und Kulturpolitik, auch entrümpelt, also vereinfacht. Weitere Zuständig- nicht ausdrücklich dem Staat vorbehalten sind. Im Zen- Land genauestens definiert und festgelegt werden, um der Bürgerschaft als Souveräne der regionalen De- keiten könnten wie bisher mit DFB und Staatsgesetz trum dieses Entwurfs eines 3. Autonomiestatuts steht den bisherigen Dauerkonflikt vor dem Verfassungsge- mokratie. Zu oft werden im Sinne des „realistisch übertragen werden. Zeller und Berger vervollständigen die Neudefinition der Rolle der Region mit Stärkung der richt einzudämmen. Wie es sowohl Zeller und Berger Machbaren“ die Leitplanken für Reformen zu eng auch die Rechte der ladinischen Sprachgruppe und füh- beiden Länder gegenüber dem Staat. Die Länder wür- als auch die Trentiner Experten vorgeben, müssen in gesetzt, denn die Politiker der Regierungsmehrheit ren institutionelle Neuerungen ein. So sollte z.B. eine den zu „Autonomen Gemeinschaften“, die Region zur Zukunft ausschließlich primäre Zuständigkeiten den je- schränken das in ihren Augen „Realistische“ nach getrennte Mehrheit jeweils der Abgeordneten des Süd- „Union der autonomen Gemeinschaften Trentino und weiligen Wirkungsbereich bestimmen. Wie in anderen taktischen Prioritäten a priori ein. Dabei geht es tiroler und des Trentiner Landtags erforderlich sein, um Südtirol“, die – wie Zeller und Berger es verlangen – nur autonomen Regionen muss die Finanzierungsregelung meist eher um den Machterhalt als um klare Leitli- eine Entscheidung im künftigen Regionalrat herbeizu- mehr die Zusammenarbeit der beiden Gemeinschaften zum Kernbereich des Statuts mit Verfassungsrang gehö- nien für politische Eigenständigkeit. Für mehr Auto- führen. Die Regelung der Finanzierung der Länder wür- zu organisieren hätte. Erwartungsgemäß setzen auch ren und für den Bürger verständlich sein. nomie gibt es heute durchaus Spielraum, sofern der de vereinfacht, aufs Regierungskommissariat würde diese von der Trentiner Landesregierung beauftragten politische Wille vorhanden ist. Davon könnten sich verzichtet. Im Namen der Zweckallianz mit dem Trenti- Experten den logischen Schritt zur Abschaffung der Re- Selbstverständlich gehören zu dieser Entwicklungs- heute in Südtirol Mehrheiten in allen Sprachgrup- no würde die Region weiter künstlich beatmet, doch gion zugunsten zweier eigenständiger Regionen mit dif- phase der Demokratie im Land auch die Stärkung der pen überzeugen lassen. Teil dieser Überzeugungsar- nur mehr als Organ der Zusammenarbeit, deren Umset- ferenzierter Autonomie nicht. Dennoch wurden sie im Position des Landtags innerhalb der demokratischen beit müssen auch konkrete Vorschläge zur Absiche- zung sich mehr und mehr zum EVTZ verlagern könnte. Trentino allein schon dafür heftig kritisiert, dass sie die Organe und die Demokratisierung der Paritätischen rung der Rechte und Möglichkeiten der italienischen Dieser Reformentwurf der SVP-Senatoren greift zwar in Region zurechtstutzen, womit klar wird, dass auch nach Kommissionen. Schließlich müssen die demokrati- Sprachgruppe im Rahmen einer solchen Autonomie einigen Bereichen – z.B. in der Regelung der demokra- 2016 ein echtes „Los von Trient“ mit Einverständnis der schen Beteiligungsrechte der Bürger auf allen Ebenen sein. Diese reichen von einer erweiterten Kultur- tischen Beteiligungsrechte – zu kurz, doch ist ihr Verfas- Trentiner nicht zu bewerkstelligen sein wird. erweitert werden. Beim Verhältnis der Sprachgruppen sungsgesetzentwurf Nr. 32 zweifellos ein innerhalb der sind Innovationen sinnvoll, die ihre Kulturautonomie und Bildungsautonomie bis zu besseren politischen heutigen Verfassungsordnung gangbarer Weg zu einer Die Autonomie weiterentwickeln stärken. So könnte jede Sprachgruppe das für sich das Vertretungsrechten, etwa in der Landesregierung breiter gefassten Autonomie. Es erstaunt, dass die SVP optimale Schulmodell mit mehr oder weniger Zwei- und den Paritätischen Kommissionen. Je mehr legis- diesen Vorschlag nicht zur zentralen Bedingung ihrer In der vorliegenden Publikation wurde der Rahmen für bzw. Mehrsprachigkeit finden, unter Beibehaltung des lative und exekutive Zuständigkeiten im Land wahr- Koalitionsverhandlungen in Rom gemacht hat. Zwar hat die bevorstehende Reform des Autonomiestatuts brei- Grundrechts auf eine Schule vorwiegend in der Mutter- genommen werden, desto hartnäckiger hält sich in die SVP im Vorfeld zu den Parlamentswahlen in einem ter gesteckt, sowohl gegenüber den vermeintlich vom sprache. Auch zum Proporz gibt es Alternativen, doch der italienischen Sprachgruppe das Gefühl, von der

164 165 Tab. 7 – Das Autonomiestatut morgen – Übersicht über die Reformvorschläge Verankerung des Rechts der Ladiner auf Vertretung in der Landesregierung. Schaffung der Art. 50 Möglichkeit, dass ein Ladiner LH-Stellvertreter sein kann. Vertretungsrecht der Sprachgrup- Sachbereich/Vorschlag Zu ändernder Artikel des pen in der Landesregierung durch die L.Abgeordneten, die insgesamt die Mehrheit ihrer Autonomiestatuts bzw. Sprachgruppe im Landtag vertreten. der Verfassung Favor minoritatis: bei Vertretung der Sprachgruppen in Kollegialorganen geg.falls Aufrun- offen Allgemeine Leitlinien und Grundwerte finden Ausdruck in einer neuen Präambel (einschließ- Präambel ASt. dung des Anteils der Vertreterinnen. lich der völkerrechtlichen Absicherung der Südtirol-Autonomie im Rahmen der Republik Vertretungsrecht aller Sprachgruppen in den Bezirksgemeinschaften und öff. Körperschaften Art. 62 Italien und der Anerkennung der Schutzfunktion Österreichs) auf Landesebene (auch der Ladiner). Ersetzung der Region Trentino-Südtirol durch zwei autonome Regionen Trentino und Südtirol Verfassung, Art. 116 Neben der Tourismussteuer soll eine Landesvermögensabgabe in Einklang mit dem staatl. Art. 72 Ausnahmebestimmung für die Region Südtirol vom Suprematieprinzip – Nichtanwendbar- Verfassung, Art. 117 Steuersystem ermöglicht werden. keit auf diese (oder alle autonomen Regionen) Verankerung nicht nur der Mitarbeit der Region bei der staatl. Einkommenssteuer, sondern Art. 82 Ausklammerung der Region Südtirol von der Anwendbarkeit staatlicher Zuständigkeiten Verfassung, Art. 117 Übertragung der Zuständigkeit der Steuereinhebung an die Region Südtirol „transversalen Charakters“ zur Wahrnehmung nationaler Interessen. Möglichkeit der Errichtung eines Landesfonds (Landeszusatzversicherung) für Gesundheit offen Neudefinition der Region, die nur mehr das Gebiet Südtirols umfasst, Zuerkennung der Art. 3 Einführung der Zuständigkeit des Landes für die Festlegung von sektorspezifischen Mindest- offen Statutshoheit an die neue Region. löhnen. Die Befugnisse der Region gehen auf die jeweiligen neuen Regionen über Art. 4-7 Eventuell: Neuregelung des Proporzes im öffentlichen Dienst, z.B. durch Einführung zwei- Art. 89 Die Liste der primären Zuständigkeiten wird ergänzt mit bisher fehlenden Zuständigkeiten. Art. 8 sprachiger Wettbewerbe in allen oder einem Teil der Laufbahnen.Schutz auch der Ladiner vor Versetzung, wenn im Staatsdienst. Alle bisher sekundären Zuständigkeiten werden zu primären Zuständigkeit Art. 9 Vetorecht bei der Verabschiedung des Landeshaushalts: Ladiner muss in Schlichtungskom- Art. 84 Abschaffung der Kategorie „Ergänzende Zuständigkeit“ Art. 10 mission des Landtags vertreten sein. Große Wasserableitungen zur Stromerzeugung sowie die Energiewirtschaft insgesamt wird Art. 12 Art. 13 entfällt Abschaffung des Regierungskommissariats (Übertragung des Großteils seiner Aufgaben auf Art. 87 zur primären Zuständigkeit das Land bzw. den Landeshauptmann) Die Industrie wird zur primären Zuständigkeit Art. 15 Regelung der Zuständigkeiten der peripheren Ämter des Innenministerium sauf dem Gebiet Art. 88 Der Proporz bei der Verteilung von Haushaltsmitteln im sozialen Bereich entfällt, es verbleibt Art. 15 der Region Südtirol jener für die Kulturausgaben (eigener Artikel) Schaffung eines eigenständigen Verwaltungsgerichts für die Region Südtirol Art. 90 Anpassung des Art. 19 zur Stärkung der Eigenständigkeit der Sprachgruppen in der Regelung Art. 19 Schaffung eines eigenständigen Oberlandesgerichts für Südtirol offen des Zweitsprachunterrichts. Entrümpelung und sachlich logischere Gliederung des ganzen Artikels. Einer der vier vom Landtag ernannten Verwaltungsrichter muss ein Ladiner sein. Alternative: Art. 91 Abschaffung der Ernennung von Richtern durch den Landtag. Bestellung der Verwaltungs- Abschaffung der Voraussetzung der 4-jährigen Ansässigkeit in der Region zwecks Ausübung Art. 25 richter per Wettbewerb. des Wahlrechts Auch Ladiner sollen zum Staatsrat ernannt werden können. Art. 93 Die Organe der Region entfallen im Zuge ihrer Abschaffung. Zu ersetzen mit einer Bestim- Art. 24-46, (neue Art. in mung, die den beiden autonomen Regionen Trentino und Südtirol die freiwillige Bildung neuem Abschnitt II „Aus- Neudefinition der öffentlichen Dienstleistungen und des Geltungsbereichs der Bestimmun- Art. 100 institutionalisierter Zusammenarbeit in gemeinsamen Interessengebieten erlaubt. wärtige Angelegenheiten“) gen zur Zweisprachigkeit. Definition der Pflichten der Konzessionsunternehmen bei Zwei- sprachigkeit. Verankerung des Rechts auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Verankerung der Euro- Abschnitt II, 1. Kapitel paregion Tirol als EVTZ bestehend aus drei eigenständigen Gebietskörperschaften Ortsnamensgebung (primäre Zuständigkeit) mit verpflichtender Zweisprachigkeit nur bei offen den Hilfsbezeichnungen, keine zwingende Zweinamigkeit. Schaffung der Möglichkeit der Region Südtirol, ein Subsidiaritätsprüfungsverfahren oder Abschnitt II, 1. Kapitel eine Subsidiaritätsklage auszulösen. Neuregelung der Abänderung des Autonomiestatuts in Art. 103, Initiative geht vom Landtag Art. 103 aus. Einführung der Möglichkeit des Volksbegehrens zur Änderung des Statuts. Einführung Schaffung einer bilateralen Kommission Staat-Südtirol zur permanenten Konsultation und Abschnitt II, 1. Kapitel des Vetorechts des Landtag (Zweidrittelmehrheit) bei Statutsänderungen durchs Parlament Einbeziehung Südtirols durch den Staat bei seiner Beteiligung an der Bildung von EU-Recht und bei der Umsetzung von Unionsrecht. Einführung des bestätigenden Referendums bei Statutsänderungen durch die Vertretungsor- Art. 104 gane (Land bzw. Staat) Einführung des Rechts auf Auslandsvertretungen für die wirtschaftliche Interessenvertre- Abschnitt II, 1. Kapitel tung Streichung der Bestimmung zur Regelung der Landesfinanzen durch ein einfaches Staatsge- Art. 104 setz. Landesfinanzen werden zum Teil des Statuts. Ermöglichung eigenständiger Beziehungen Südtirols zu EU-Institutionen Abschnitt II, 1. Kapitel Neugestaltung der Paritätischen Kommissionen in Benennung, Besetzung und Aufgaben- Art. 107 Recht auf eigenständige Entwicklungszusammenarbeit mit dem Ausland Abschnitt II, 1. Kapitel bereich (Staat-Region-Ausschuss). Vertretungsrecht der politischen Minderheiten und der Recht auf Konsultation Südtirols beim Abschluss von internat. Verträgen, sofern Südtirols Abschnitt II, 1. Kapitel Ladiner. Zuständigkeiten betroffen sind. Verankerung des Volksanwalts im Statut offen Recht auf eigenständige Mitgliedschaft Südtirols bei internat. Organisationen im Bereich des Abschnitt II, 1. Kapitel Sports, der Kultur und der Wissenschaft. Weitere wichtige Vorschläge zur Abänderung des Statuts finden sich auf der Internetseite des Autonomiekonvents Direkte-Demokratie-Rechte: Explizite Verankerung der Volksinitiative und des bestätigenden Art. 47 (www.konvent.bz.it) sowie im VerfGE Zeller/Berger Nr. 32/2013. Referendums auf alle Zuständigkeiten des Landtags (einschließlich sog. „Regierungsformge- setze“)

166 167 „deutschen Mehrheit“ im Land regiert zu werden. hin zur sofortigen Loslösung von Italien. Da das Auto- Tab. 8 - 35 Vorschläge zur Autonomiereform Deshalb ist der enge Zusammenhang zwischen Auto- nomiestatut eine Art Landesverfassung für Südtirol bil- (die Änderungen des Autonomiestatuts betreffen, auf der Konventswebsite als Gastkommentare veröffentlicht). nomieausbau und ethnischer Konkordanz zu berück- det, ist seine permanente Infragestellung durch einen Inhalt/Thema des Vorschlags Autor bzw. Autorin sichtigen: Rom wird mehr Autonomie umso eher zu- großen Teil der politischen Kräfte und der Mangel an Verankerung des Rechts auf Volksabstimmung über Zugehörigkeit zu Italien Arno Rainer, Kurt Hafner stimmen, je mehr alle drei Sprachgruppen mehrheitlich Verankerung des Statuts in der Bevölkerung kein idealer Einführung eines besonderen Status für die Gemeinde Bozen als Landeshauptstadt Franco Gaggia politischer Handlungsrahmen für eine zukunftsorien- an diesem Strang ziehen. (Zuerkennung besonderer Finanzmittel im Rahmen von Art. 75 ASt.) Es ist unbestritten, dass die SVP mit ihrer Politik der tierte Politik. Die Souveränität des italienischen Staats Mehrere Schulmodelle mit breiterer Wahlmöglichkeit in sprachlicher Hinsicht Alberto Stenico kleinen Schritte viel für die kontinuierliche Erweiterung wird durch diese Reformen nicht beeinträchtigt. Ersetzung der sprachlich eigenständigen Schule durch zwei- bzw. dreisprachige Dario Gigli Schulen fü alle der Autonomie für Südtirol erreicht hat. Doch gerade Der vorliegende Vorschlag nimmt eine Reihe von An- Steuerhoheit bei der Einkommenssteuer Martha Stampfl weil Südtirol eine besondere Stellung in Italien ein- regungen des VerfGE der Senatoren Zeller und Berger Schaffung einer einzigen Gesamt-Personendatei für alle Bürger im Land für mehr Massimo Mollica nimmt, kann es auf ganz besonderen Lösungen behar- Transparenz und Bürokratieabbau und des Entwurfs für ein 3. Autonomiestatut der Pro- ren, gestützt auf die völkerrechtliche Absicherung, auf Abschaffung der Region Trentino-Südtirol Norbert Gitzl fessoren Postal, Carli und Toniatti auf, und entwickelt die nachgewiesene Effizienz und auf die Erfordernisse Toponomastik: Zweinamigkeit nur dort, wo mind. 10% der Bevölkerung der Alfred Canonico sie weiter. Er orientiert sich an wenigen, klaren Grund- eines mehrsprachigen Landes. Gestützt wären diese Minderheit angehören. Nur mehr technische Hilfsbezeichnungen zweisprachig werten: Vielfalt der Kulturen mit dem Sprachgruppen- Forderungen auch auf den demokratischen Willen der Verankerung des bedingungslosen Grundeinkommens Sylvia Mair prinzip, ethnische Konkordanz mit Gleichgewicht der Südtiroler Bevölkerung, wenn dadurch der Präferenz Verankerung der Schutzmachtfunktion Österreichs im Autonomiestatut Arno Rainer, C. Steger Gruppen in den Institutionen, Verhandlungsmethode Südtirol mit eigener Nationalmannschaft bei internationalen Wettkämpfen Arno Rainer der Mehrheit aller Sprachgruppen entsprochen wird. nach außen und innen, überregionale Zusammenarbeit Konsumentenschutz: zweisprachige Etiketten auf Lebensmitteln und Beipackzettel bei Pharmaka Arno Rainer Auch die italienische Sprachgruppe zieht aus dieser Art auf Basis territorialer Eigenständigkeit, mehr Demokra- Stufenweiser Ausstieg aus dem Proporzsystem und der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung Marco de Simone von Weiterentwicklung der Autonomie beträchtliche tie. In diesem Sinn sind die politische Eigenständigkeit Mehr sprachgruppenübergreifende kulturelle Einrichtungen Reinhold Giovanett Vorteile: weiterreichende Selbstregierung, mehr Eigen- Land soll außer einigen staatlichen Kernkompetenzen alle Zuständigkeiten erhalten Norbert Gitzl des Landes mit mehr Regulierungskompetenzen abzu- ständigkeit in der Schulpolitik, mehr Mitbestimmungs- Verpflichtung zur Zweisprachigkeit nicht auf die Tolomei-Namen beziehen, Zweisprachigkeit Christian Kollmann runden, mehr direkte und repräsentative Demokratie rechte in den politischen Organen. Harmonisches und Zweinamigkeit unterscheiden, Tolomei-Namen soweit nicht fundiert abschaffen zu schaffen (Stärkung des Landtags und der Bürgerbe- Zusammenleben der Sprachgruppen und mehr Eigen- Neu-Konstituierung der Region als jener Teil des EVTZ Europaregion Tirol, der sich in Italien Benno Kusstatscher teiligung) und einige sinnvolle Ergänzungen bei der Kul- befindet, als Plattform der Zusammenarbeit der Landesteile ständigkeit im Rahmen der Autonomie widersprechen turautonomie und Mitbestimmung der Sprachgruppen Keine Aufgabe der deutschsprachigen Schule, keine überzogenen CLIL-Experimente Margareth Lun sich nicht, sondern ergänzen sich. und keine mehrsprachigen Schulen anzubringen. Dieser Vorschlag stellt die Autonomieent- Was geschieht eigentlich, wenn es zu keiner substanziel- Gewährleistung von deutschen Kindergärten (speziell in Bozen) Markus Herbst wicklung auf ein breiteres demokratisches Fundament, len Erweiterung der Südtirol-Autonomie kommt, wenn Echte Steuerhoheit und eigene Rentenversicherung für Südtirol Franzjosef Roner weg von der Domäne der Regierungsparteien, hin zu die Empfehlungen des Südtirol-Konvents zunächst im Eigenes Bankensystem und Bankenaufsicht im Rahmen der EU bzw. EZB, keine Franzjosef Roner mehr Mitsprache des Landtags und der Bürgerschaft. Zwangsabgaben zur Rettung italienischer Banken Landtag stark im Sinne des realpolitisch Möglichen Verankerung der Gemeingüter als öffentliches Vermögen, öffentliche Nutzung und Regelung Ciro Amato verwässert und im Regionalrat verhindert würden, um Das sind im Grunde keine revolutionären Änderungen Absolute Steuerhoheit Südtirols Lamprecht schließlich im Parlament stecken zu bleiben, wie bei an der Südtirol-Autonomie, sondern nur eine sinnvol- Eigene Sozialversicherung für Südtirol einschl. Rentenversicherung Marco Sandroni dem aus einem Konventsprozess hervorgegangenen le Vervollständigung. Die Autonomie wird sozusagen Verankerung von Rechten und Pflichten der Ansässigen in Südtirol im Statut Andrea Carlà Abänderung des Art.19, um das Erlernen der Zweitsprache zu fördern Andrea Carlà Statutenvorschlag für Friaul Julisch Venetien 2005? Die erwachsen. Diese Reform erfordert eine Neufassung Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung soll bleiben Fabian Kraler Frustration der Südtiroler Bevölkerung wäre enorm. des Autonomiestatuts von 1972 in der Mehrheit seiner Bekenntnis zur Tiroler Landeseinheit in Präambel des Statuts Heidi Ceolan Jene Parteien, die den Konvent abgelehnt haben, weil Artikel, also ein 3. Statut, sowie kleinere Änderungen Entscheidung über die Beflaggung als autonome Zuständigkeit Marlene Bürgstaller er von vornherein die Selbstbestimmung ausgeklam- in der Verfassung selbst. Südtirol hat eine ganz beson- Muttersprachlichen Unterricht voll erhalten Ferdinand Mair mert hat, würden sich darin bestätigt sehen, dass die dere Position in Italien und das muss dem Staat einige Fragen, die nur eine Sprachgruppe betreffen, sollen auf politischer Ebene nur innerhalb Rodolfo Tomasi Autonomie eine Sackgasse darstellt, also nicht wesent- Ausnahmebestimmungen wert sein. Natürlich müs- dieser Gruppen abgestimmt werden lich weiterentwickelt werden kann. Das Karussell politi- Ausbau des Proporzes in jenen Bereichen, wo unverhältnismäßig viele Italiener zum Zug kommen Arno Rainer sen auch die Südtiroler Bürger und Bürgerinnen aller scher Positionen würde sich zentrifugal weiterdrehen, Schaffung einer Landespolizei Arno Rainer Sprachgruppen zu mehr Gemeinsamkeit finden, die vom Beharren auf dem Status quo über kleine Verbes- Sportautonomie für Südtirol Günther Mairhofer politische Eigenständigkeit auf diesem Weg auszubauen. serungen, über den echten Ausbau der Autonomie bis Weitere höchst interessante Vorschläge und Positionspapiere finden sich in der Rubrik „Konventsgespräche“ auf www.konvent.bz.it

168 169 Pernthaler, P./ Raffeiner, A. (Hg.): Ein Leben für Recht und Percorso storico, legislativo, culturale e risvolti attuali Happacher, Esther (2012), Südtirols Autonomie in Euro- Verwendete und vertiefende Gerechtigkeit, Festschrift für Hans Richard Klecatsky zum dell‘autonomia, Ed. Osiride, Rovereto pa, Jan Sramek Verlag, Wien Literatur 90.Geburtstag, Neuer Wissenschaftlicher Verlag Wien, S. Dubis, Klaus (2008), Das Recht auf den Gebrauch der Hilpold Peter (Hg.), Autonomie und Selbstbestimmung, 78-86. Sprachen im Umgang mit der öffentlichen Verwaltung, Nomos – facultas, Wien Autonome Provinz Bozen, Das neue Autonomiestatut, Südtiroler Bildungszentrum – Arbeitskreis Sprachen, auf: http://www.provinz.bz.it Benedikter, Thomas (2011), Südtirols Finanzen: Beginnen EDK editore, Torriana Lampis, Antonio (2009), Autonomia e convivenza in jetzt die mageren Jahre? in: POLITIKA 2011, Südt. Gesell- Alto Adige, Istituto Pedagogico 2009, Bolzano Autonome Provinz Bozen – Südtirol (2000), Autono- schaft für Politikwissenschaft, RAETIA 2011, Bozen, S.339- Forcher, Michael (2006), Kleine Geschichte Tirols, Hay- miestatut und Durchführungsbestimmungen, 2. über- 366 mon, Innsbruck Langer, Alexander (1996), Scritti sul Sudtirolo 1978- arbeitete Auflage, Bozen 1995, a cura di Siegfried Baur/Riccardo Dello Sbarba, Benedikter, Thomas (2012), Moderne Autonomiesyste- Frasnelli, Hubert (2000), Die Herrschaft der Fürsten. Alpha&Beta, Meran Autonome Provinz Bozen – Südtirol (2006), 60 Jahre me - Eine Einführung in die Territorial-autonomien der Macht, Zivilcourage und Demokratie in Südtirol, Wieser Pariser Vertrag, in: Das Land Südtirol – Monatszeit- Welt, Bozen (im Internet) Verlag, Graz Lechner, Stephan/Mezzalira, Giorgio/ Spada Alessand- schrift der Südtiroler Landesverwaltung, Bozen ra/Verdorfer, Martha (2013), Übergänge und Perspekti- Benedikter Thomas (Hg., 2012), Den Grundsätzen treu ge- Michael-Gaismair-Gesellschaft/APOLLIS (2016), Eth- ven. Landesgeschichte Band 3. Südtirol seit 1919, ATHE- Autonome Provinz Bozen, Abt. Arbeit (2009), Sprach- blieben. Alfons Benedikters Wirken für Südtirol im Spiegel nische Differenzierung und soziale Schichtung in der SIA Bozen kompetenzen am Südtiroler Arbeitsmarkt, Bozen der Erinnerung, Prokopp&Hechensteiner, St. Pauls Südtiroler Gesellschaft, Nomos Verlag, Baden-Baden, erscheint im Herbst 2016. Marcantoni Marco (2013), Trentino e Sudtirolo - Asanger, Robert (2002), Die Autonomie der Provinz Benedikter, Thomas (Hg., 2014), Mit mehr Demokratie L‘autonomia della convivenza, Trento Bozen und des Baskenlandes – Ein Rechtsvergleich, zu mehr Autonomie. Bürgerinnen und Bürger reden mit. Gehler, Michael (2012), Von der halben Autonomie zur Universität Innsbruck SBZ-POLITiS, Bozen inneren Selbstbestimmung, in: Obermair/Risse/Romeo Marcantoni, Marco/Postal Giorgio (2012), Il Pacchet- (2012), Regionale Zivilgesellschaft in Bewegung, FOLIO to. Dalla Commissione dei 19 alla seconda autonomia ASTAT (2006), Südtiroler Sprachbarometer 2004, BZ Benedikter, Alfons/Brugger, Peter/Dalsass, Joachim Bozen/Wien, 325-342 del Trentino-Alto Adige, Fondazione Museo Storico del (1969), Südtirol vor der Entscheidung. Fragen und - Ant Trentino, Trento Giudiceandrea Lucio (2009), Spaesati. Italiani in Südti- ASTAT (2015), Südtiroler Sprachbarometer 2014, BZ worten zu Paket und Operationskalender, Bozen, Bro- schüre rol, Raetia, Bozen Marcantoni, Marco/Postal Giorgio/Toniatti Roberto (2011), Quarant‘anni di autonomia 1971-2011, Franco ASTAT-Info Nr.3/2016, Öffentlich Bedienstete 2014, Giudiceandrea Lucio/Mazza Aldo (2012), Stare insieme Bozen Berloffa, Alcide (2004), Gli anni del Pacchetto. Ricordi rac- Angeli, Milano colti da Giuseppe Ferrandi, Raetia, Bozen è un’arte – Vivere in Alto Adige/Südtirol, Edizioni alpha- beta, Meran Atz, Hermann (2013), Was ist dran am disagio der itali- Marko, Joseph/Palermo, Francesco/Woelk, Jens (ed., enischen Volksgruppe? in: POLITIKA 13, Raetia, Bozen Bonell Lukas/Winkler, Ivo (Jänner 2010), Südtirols Auto- 2008), Tolerance through Law, Self-Governance and nomie, 10. Auflage, Autonome Provinz Bozen. Auch auf: Giunta della Provincia Autonoma di Trento (2003), Group Rights in South Tyrol, Martinus Nijhoff, Leiden/ http://www.jugend.landtag-bz.org/de/downloads/ Prime proposte per il nuovo Statuto di autonomia del Boston Atz, Hermann (2012), Gegeneinander. Nebeneinander Trentino-Alto Adige/Südtirol, Trient oder Miteinander: Wie haben sich 40 Jahre Autono- Brennerbasisdemokratie (2016), Positionspapier „Bil- Marko, Joseph/Ortino, Sergio/Palermo, Francesco/ miestatut auf das Zusammenleben der Volksgruppen Gudauner, Karl (2013), Zu Unrecht verteufelt. Eine Zwi- dung und Schule“ zum Südtirol-Konvent, Brixen, URL: Voltmer , Leonhard/Woelk Jens (2005), Die Verfassung in Südtirol ausgewirkt? in: POLITIKA 12, Raetia, Bozen schenbilanz zum Proporz als Garantieinstrument, in: www.brennerbasisdemokratie.eu der Südtiroler Autonomie. Die Sonderrechtsordnung Pallaver (Hg.), POLITIKA 13 – Jahrbuch für Politik, Rae- der Autonomen Provinz Bozen/Südtirol, EURAC, Nomos Baratter, Lorenzo (2011), L‘autonomia spiegata ai miei tia, Bozen figli, Egon editore, Trento Bußjäger, Peter/Gamper Anna/Happacher, Esther/Woelk, Jens (2011), Der Europäische Verbund Territorialer Zu- Haller, Max (2006), South Tyrol – An Economic or Politi- Masi, Benedetto (2012), Introduzione poco riverente Baur Siegfried/Mezzalira Giorgio/Pichler Walter sammenarbeit (EVTZ), Neue Chancen, Wien: Braumüller cal Success Story? in: nel mondo dei sudtirolesi, ARCA, Lavis (2008), La lingua degli altri. Aspetti della politica lin- guistica e scolastica in Alto Adige-Südtirol dal 1945 ad Carli, Massimo/Postal, Gianfranco/Toniatti, Roberto Hartungen/Heiss/Pallaver/Romeo (Hg., 2006), Demo- Obwexer, Walter/Happacher, Esther/Baroncelli, Stefa- oggi. F. Angeli, Mailand (2013), Proposte per l‘approfondimento di possibili linee kratie und Erinnerung – Festschrift für Leopold Steurer, nia/Palermo, Francesco (Hg. 2015), EU-Mitgliedschaft guida per il terzo Statuto di Autonomia, Autonome Pro- Studienverlag Innsbruck, 131-154 und Südtirols Autonomie. Die Auswirkungen der EU- Baur, Siegfried (2000), Die Tücken der Nähe. Kommu- vinz Trient Mitgliedschaft auf die Autonomie des Landes Südtirol nikation und Kooperation in Mehrheits- und Minder- Happacher, Esther/Walter Obwexer (Hg.) (2013), 40 am Beispiel ausgewählter Gesetzgebungs- und Verwal- heitensituationen, Alpha&Beta Verlag, Meran Cerea, Gianfranco (2013), Le autonomie speciali. Le vi- Jahre Autonomiestatut, Südtirols Sonderautonomie im tungskompetenzen. Handbuch, Verlag Österreich cende e i possibili sviluppi dell’altro regionalismo. F. An- Kontext der europäischen Integration, FACULTAS, Wien Baroncelli, Stefania (2015), Profili costituzionali del geli, Milano Open Democrat (2016), Überlegungen und Vorschläge Trentino-Alto Adige/Südtirol. Lezioni e materiali, Giap- Happacher, Esther/Riz, Roland (2013), Grundzüge des zur Reform des Autonomiestatuts der Region Trentino- pichelli Editore, Torino Commissione parlamentare per le questioni regionali italienischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung Südtirol, URL: http://opendemocrat.net/wp-content/ (2014), Autonomie differenziate per un Paese variegato, der verfassungsrechtlichen Aspekte der Südtiroler uploads/2016/04/autonomiereform.pdf Benedikter, Thomas (2010): Wie könnte die Südti- Audizione del Prof. Oskar Peterlini, Rom, 26.6.2014 Autonomie, studia Universitätsverlag, Innsbruck rol Autonomie ausgebaut werden? in: Matscher, F./ Palermo, Francesco (2005), Rolle und Wesen der paritä- Dominici, Caterina (2014), L‘autonomia in Trentino - tischen Kommissionen und ihrer Durchführungsbestim-

170 171 mungen, in: Marko, Joseph/Ortino, Sergio/ derstedt Palermo, Francesco/Voltmer, Leonhard/Woelk Jens Peterlini, Oskar (2010): L’autonomia che cambia, Gli ef- Volgger, Friedl (2014), Mit Südtirol am Scheideweg, 2. (2005), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie. Die fetti della riforma costituzionale del 2001 sull’autonomia überarbeitete Auflage, RAETIA, Bozen Sonderrechtsordnung der Autonomen Provinz Bozen/ speciale del Trentino Alto Adige Südtirol e le nuove com- Südtirol, EURAC, Nomos, 395-405 petenze in base alla clausola di maggior favore, Casa edit- Volgger, Ruth Margit (2014), Über den Gebrauch der rice Praxis 3 Bolzano, S. 97-164. deutschen Sprache bei den öffentlichen Dienstleistun- Palermo, Francesco (2013), Regione, Province e forse gen in Südtirol. Theorie und praktische Anwendung. nuova Regione? in: POLITIKA 12, Jahrbuch für Politik, Peterlini, Oskar, (2012a): Südtirols Autonomie und die Studienverlag Innsbruck RAETIA, Bozen, 183-197 Verfassungsreformen Italiens, Vom Zentralstaat zu föde- ralen Ansätzen: die Auswirkungen und ungeschriebenen Zeller, Karl (1989), Das Problem der völkerrechtlichen Palermo, Francesco (2012), Il futuro alla luce del pas- Änderungen im Südtiroler Autonomiestatut, New Acade- Absicherung des Südtirol Pakets und die Zuständigkeit sato, ALTO ADIGE, Bozen mic Press (ex Braumüller) Wien, S. 357-363 des internationalen Gerichtshofs. Wien

Pallaver, Günther (2005), Demokratie, Partizipation Peterlini, Oskar (2012b), Steuerföderalismus in Italien, Autonomiekonvent Südtirols: http://www.konvent.bz.it und Kommunikation als Voraussetzung für eine unge- Prokopp&Hechensteiner, St. Pauls Blog Brennerbasisdemokratie: www.brennerbasisde- teilte Autonomie, in: Jahrbuch des ital.-deutschen his- mokratie.eu torischen Instituts in Trient, XXXII, Il Mulino Bologna, Peterlini, Hans-Karl (2003), Wir Kinder der Südtirol-Auto- Portal der Europaregion: http://europaregion.info 303-322 nomie, FOLIO, Bozen/Wien EURAC, Observatory on autonomy: http://www.eurac. Pallaver, Günther (2007), La democrazia consociativa Peterlini, Hans-Karl (2012), 100 Jahre Südtirol. Geschichte edu in Sudtirolo, in: Ferrandi G./Pallaver G., La Regione eines jungen Landes, HAYMON, Innsbruck Trentino/Alto Adige nel XX secolo, Trento, 499-525 OSAR, Osservatorio di studi autonomistici regionali e Rautz, Günther (2013), Die Südtirol-Autonomie als Mo- europei: http://www.lanostraautonomia.eu Pallaver Günther (2010), Vom ethnischen zum territo- dell für das Zusammenleben von Volksgruppen, in: Land rialen cleavage, in POLITIKA 10, Raetia Bozen, 377-403 Kärnten, K. Dokumentation Band 28/29, Klagenfurt 2013 Lexbrowser des Südtiroler Landtags: http://www2. landtag-bz.org/de/datenbanken/akte/definition_su- Pallaver, Günther (2012), Südtirol – vom dissoziativen Rautz, Günther/Toggenburg, (2010), Das ABC des che_akt.asp zum assoziativen Konfliktlösungsmodell, in: -Ober Minderheitenschutzes in Europa, UTB Böhlau mair/Risse/Romeo, Regionale Zivilgesellschaft in Be- wegung, FOLIO Bozen/Wien, 355-385 Senato della Repubblica, XVII Legislatura, Disegno di Leg- ge costituzionale N.32, d‘iniziativa dei senatori Zeller e Pallaver, Günther (2012), Transformationsprozesse Berger, „Modifiche allo statuto speciale per il Trentino- der Südtiroler Autonomie 1972-2012. Konfliktlö- Alto Adige/Südtirol per L‘attribuzione dell‘autonomia in- sungsmodell, Konkordanzdemokratie, Parteien. in: tegrale alle province autonome di Trento e Bolzano”, 15- POLITIKA 12, Raetia Bozen 3-2013 Senato della Repubblica, XVII Legislatura, DDL Senato n. Payr, Julian von (2015), Die Auswirkungen der 2014 2220, „Modifiche allo statuto speciale per il Trentino- geplanten Verfassungsreform auf die Südtirol-Auto- Alto Adige/Südtirol in materia di competenza legislativa nomie, Universität Bozen della regione e prov. aut. di Trento e Bolzano, 18.2.2016, d‘iniziativa di Zeller, Berger, Palermo, Fravezzi, Panizza, La- Perathoner, Christoph/Hilpold Peter/Steinmair Walter niece, Tonini, Battista. (Hg., 2016), Europa der Regionen, Springer Siegl, Walter (2010), Südtirols Autonomie in Europa. Be- Perini, Stefan (2015), Auf der Suche nach neuen trachtungen eines Zeitzeugen, in Europäisches Journal für Gleichgewichten: Wirtschaftspolitik in Südtirol, in: Minderheitenfragen Nr.3/4-2010, 229-235 POLITIKA 15, Raetia Bozen Toniatti, Roberto (2001), L’evoluzione statutaria Peterlini, Oskar (2000), Autonomie und Minderhei- dell’autonomia speciale dell’Alto Adige/Südtirol, in: Mar- tenschutz in Trentino-Südtirol, Überblick über Ge- ko/Ortino/Palermo (a cura di), L’ordinamento speciale schichte, Recht und Politik, Autonome Region Trenti- della Provincia autonoma di Bolzano, CEDAM, Padua no-Südtirol, Trient/Bozen Solderer, Gottfried (2001 ), Das 20. Jahrhundert in Südti- Peterlini, Oskar (2008), Die Föderalismusentwicklung rol, Band IV und V, Raetia, Bozen in Italien und ihre Auswirkungen auf die Sonderauto- nomien am Beispiel der autonomen Region Trentino- Strobel, Thomas (2002), Dauerhafte und aktuelle Pro- Südtirol, in: ZÖR 63 (2008), 189-265, Springer Verlag blemkomplexe in Südtirol/Alto Adige, GRIN Verlag- Nor

172 173 Publikationen von POLITiS (Auswahl)

Thomas Benedikter (2012), Moderne Autonomiesysteme. Eine Einführung in die Territorialautonomien der Welt. Eurac Research, Bozen Regionale Territorialautonomie ist ein Weg, der Minderheitenschutz und interne Selbst- regierung im regionalen Rahmen verbindet, ohne Staatsgrenzen zu verändern. Neben einer theoretischen Einführung in das Konzept der Autonomie bietet der Band eine Reise durch die Welt der fast 60 heute operativen Autonomiesysteme weltweit. Es werden die Der Herausgeber Grundzüge der einzelnen Autonomien vorgestellt, typische Elemente herausgearbei- tet, Erfolgsfaktoren abgeleitet und Entwicklungsperspektiven aufgezeigt.www.politis.it POLITiS (Politische Bildung und Studien in Südtirol) Eine lebendige Demokratie braucht kritisch denken- Thomas Benedikter (2015), Gaspedal und Bremse – Direkte Demokratie in Südtirol, de, fürs Gemeinwohl engagierte BürgerInnen, die ARCA, Lavis mitreden und mitgestalten wollen. Auch deshalb der In Südtirol wird seit über 20 Jahren über direkte Demokratie diskutiert, doch die 2018 Der Autor griechische Name politis = Bürger für diesen neuen eingeführte Regelung auf Landesebene ist immer noch nicht zufriedenstellend. Das Werk erläutert in kompakter und anschaulicher Form Verfahren und Regeln, Wirkungs- Bildungs- und Forschungsträger. Mitwirken kann man weise und Akteure der direkten Demokratie, geht auf Einwände gegen Volksabstim- Thomas Benedikter, Frangart, Wirtschaftswissen- besser, wenn man gemeinschaftlich das nötige Hin- mungen ein und zeigt Möglichkeiten zur besseren Regelung dieser Rechte mit Bezug schaftler, Sozialforscher, Publizist, hauptamtlich in tergrundwissen erstellen und reflektieren kann. Die auf Südtirol auf. der politischen Bildung, Politikberatung und Publizis- Neubearbeitung 2020. Zum freien Herunterladen von www.politis.it Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen schafft tik tätig. Berufstätigkeit in der Landesverwaltung, in Entscheidungskompetenz und befähigt zu qualifizier- der empirischen Sozial- und Wirtschaftsforschung, in tem, politischem Engagement. Dafür kann POLITiS Thomas Benedikter (2014), Mit mehr Demokratie zu mehr Autonomie – der Berufsschule. Zusammenarbeit mit der EURAC Bürgerinnen und Bürger reden mit. POLITiS-SBZ, Bozen als freie bürgerschaftliche Organisation wichtige Hil- Die Publikation sammelt die Beiträge von rund 30 Experten, die an dem Bildungsprojekt für Projekte zur vergleichenden Autonomieforschung festellung bieten. POLITiS ist ein unabhängiger, dem „Die Reform der Südtirol-Autonomie – BürgerInnen reden mit“ im Jahr 2013/14 mitge- („Moderne Autonomiesysteme“), mit Menschen- Gemeinwohl verpflichteter Verein, der vor allem nicht wirkt haben. Ziel des Projekts war es, mehr Interesse an diesem Reformvorhaben zu we- rechtsorganisationen (z.B. Gesellschaft für bedrohte cken, im Dialog mit Expertinnen einzelne Problemfelder zu vertiefen und den Austausch dominanten Gruppen unserer Gesellschaft Hilfestel- zwischen Bürgern aller Sprachgruppen zu fördern. Völker) und anderen Forschungsinstituten. Verschie- lung bieten soll. POLITiS will das bestehende Angebot Zum freien Herunterladen von www.politis.it dene Publikationen zu ethnischen Konflikten, Minder- an politischer Bildung ergänzen und BürgerInnen eine heitenrechtsfragen, zu Wirtschaft und Gesellschaft Anlaufstelle bieten für: Paolo Michelotto/Thomas Benedikter (2014),Die Gemeindepolitik mitgestalten – Südtirols und zur Bürgerbeteiligung und direkten • Forschung zu aktuellen, die Südtiroler Gesell- Ideen und Verfahren für die direkte Bürgerbeteiligung in der Gemeinde – Ein Leitfa- Demokratie. Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften. schaft betreffenden Fragen auf sozial-,- wirt den, POLITiS, Bozen 2013 zusammen mit neun MitbegründerInnen Grün- Diese Publikation bietet einen Überblick über Verfahren der Bürgerbeteiligung, die in schafts- und politikwissenschaftlichem Gebiet, Südtirol, dem Trentino und in den Nachbarregionen im In- und Ausland bereits ange- dung des Studienkreises POLITiS. • Publikationen, öffentliche Veranstaltungen, Po- wandt werden oder im Rahmen unserer Rechtsordnung eingeführt werden könnten. litikberatung für Bürgerinitiativen und politisch Meist wird auch ein Vorschlag für die rechtliche Regelung im Rahmen der Gemeindesat- zung angeführt. Zum freien Herunterladen von www.politis.it. aktive Einzelne und Organisationen, • eine breite Palette von Tätigkeiten politischer Bil- dung für verschiedene Zielgruppen. Thomas Benedikter (2017), La nostra autonomia oggi e domani - Proposte per il ter- zo Statuto del Trentino-Alto Adige/Sudtirolo, ARCA edizioni www.politis.it Come si potrebbe ampliare l‘autonomia? Ci sono alternative alla proporzionale? Abbiamo bisogno di una scuola bilingue? La „concordanza etnica“ nel governo pro- vinciale potrebbe essere rafforzata? Quali nuovi diritti di partecipazione diretta dei cittadini andrebbero inseriti nello Statuto? Questi e altri aspetti centrali della nostra autonomia sono stati ripresi in questa pubblicazione di POLITiS. Auch diese Version des vorliegenden Buchs kann frei heruntergeladen werden von: www.politis.it

174 175