Finanzpolitische Herausforderungen Des Demograf Ischen Wandels Im Föderativen System

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Finanzpolitische Herausforderungen Des Demograf Ischen Wandels Im Föderativen System Finanzpolitische Herausforderungen des demograf ischen Wandels im föderativen System Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen 01/2013 Finanzpolitische Herausforderungen des demograf ischen Wandels im föderativen System Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen April 2013 Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 5 Gliederung I. Relevante Dimensionen des demografischen Wandels im Fiskalföderalismus 7 II. Diskretionärer Anpassungsbedarf in den öffentlichen Haushalten 12 III. Ein zusätzlicher Demografiefaktor für schrumpfende Gebietskörperschaften beim Finanzausgleich? 15 IV. Spezielle Anpassungshilfen bei Netzinfrastruktur 22 V. Anpassungsträgheiten als Ergebnis des politischen Prozesses 24 VI. Politische Widerstände bei drohendem Verlust der Zentrale-Orte-Funktion 27 VII. Anpassungsträgheiten als Ergebnis strategischen Verhaltens der Gemeinden 31 VIII. Bevölkerungsschwund als verteilungspolitisches Problem 34 IX. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Fiskalpolitische Eigenverantwortung bei schrumpfender Bevölkerung 36 Anhang 39 Seite 6 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 7 I. Relevante Dimensionen des demografischen Wandels im Fiskalföderalismus Die rasche Zunahme der Lebenserwartung Alle diese Veränderungen bergen Her- seit Ende des 19. Jahrhunderts und der erst ausforderungen für die Politik. Bevölke- später einsetzende Geburtenrückgang rungsrückgang und -alterung erfordern haben in Deutschland, ebenso wie in den Reformen insbesondere in der Gesetzlichen übrigen Industrieländern, zu einem Anstieg Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, der Bevölkerungszahlen geführt. Diese damit die Beiträge für die tendenziell sin- Phase ist nun aber an ihr Ende gekommen. kende Zahl von Beitragszahlern nicht rapide In den kommenden Jahrzehnten wird der ansteigen. Veränderte Familien- und Haus- demografische Wandel in Deutschland ein haltsstrukturen, wie z. B. eine Zunahme bei anderes Gesicht haben. Demografen erwar- den Single-Haushalten und Alleinerziehen- ten weiterhin niedrige Geburtenraten, aber den, führen dazu, dass die traditionelle zugleich auch einen kontinuierlichen Selbstversicherungsfunktion familiärer Anstieg der Lebenserwartung bei den Älte- Lebensformen schwächer wird und sozial- ren. Der „neue demografische Übergang“ staatliche Transfers häufiger benötigt wer- wird dann sowohl durch Alterung als auch den. Anhaltende Zuwanderung erfordert durch Rückgang der Bevölkerungszahl ein Bildungssystem, das Spracherwerb und geprägt sein.1 Darüber hinaus verändert rasche Integration sichert. In vielen dieser sich die Gesellschaft auch in anderen demo- Dimensionen des demografischen Wandels grafischen Dimensionen wie der Familien- wurde der Handlungsbedarf auf der politi- struktur, der Haushaltsstruktur und der schen Ebene prinzipiell erkannt. Wichtige ethnischen Zusammensetzung (Heterogeni- Politikmaßnahmen, wie z. B. die Verlänge- sierung). rung der Lebensarbeitszeit zur Stabilisie- 1. Eggleston und Fuchs sprechen daher auch von „longevity transition“, da der Anstieg der Lebenserwar- tung nun nicht mehr durch sinkende Mortalität in der Jugend erreicht wird wie noch im letzten Jahrhun- dert, sondern primär durch die steigende Lebenserwartung der über 65-Jährigen; Eggleston, Karen N. und Victor R. Fuchs (2012): „The New Demographic Transition: Most Gains in Life Expectancy Now Rea- lized Late in Life“, Journal of Economic Perspectives 26, 137-156. Seite 8 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen rung des Rentensystems, sind bereits der Kreis mit der schwächsten Entwicklung beschlossen oder sollen in den nächsten (Osterode am Harz) 17,4 Prozent seiner Jahren auf den Weg gebracht werden.2 Bevölkerung verliert.3 Die genannten Maßnahmen betreffen überwiegend die Bundesebene. Bei einer – durchaus sinnvollen – aggregierten Betrachtung des demografischen Wandels bleibt eine andere wichtige Dimension jedoch häufig unbeachtet: die große regio- nale Heterogenität bzw. allgemein gefasst die räumliche Dimension des demografi- schen Wandels. Gemeinden mit Bevölke- rungswachstum und -rückgang liegen in einer einzigen Region manchmal nah bei- einander. Abbildung 1 zeigt die prognosti- zierten prozentualen Veränderungen der Bevölkerungszahlen von 2010 bis 2030 für die 16 Bundesländer. Für die Flächenländer (sowie Bremen) ist darüber hinaus die Spannweite der Veränderungsraten auf der Kreisebene angegeben. So geht beispiels- weise die Bevölkerung in Niedersachsen im Landesdurchschnitt bis 2030 um 2,4% zurück. Dabei nimmt die Einwohnerzahl im Kreis mit der besten Bevölkerungsentwick- lung (Vechta) um 8,4 Prozent zu, während 2. Finanzwissenschaftliche Expertisen zur Tragfähigkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung empfehlen eine weitere Anpassung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung; siehe z. B. Sachverständigenrat (2011): Herausforderungen des demografischen Wandels, Expertise im Auftrag der Bundesregierung, Wiesbaden, S. 193; Werding, Martin (2013): Alterssicherung, Arbeitsmarktdyna- mik und neue Reformen: Wie das Rentensystem stabilisiert werden kann, Bertelsmann-Stiftung, Güters- loh. Im politischen Raum kursieren allerdings auch Vorschläge, die Anhebung des gesetzlichen Renten- eintrittsalters auf 67 wieder auszusetzen; siehe FAZ (26.11.2012, 13). 3. In den Prognosen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) ist ein positiver Außenwanderungssaldo für Deutschland in Höhe von 150.000 bis 200.000 Personen pro Jahr vorgese- hen. Die Nettozuwanderung aus dem Ausland verteilt sich allerdings nicht gleichmäßig im Raum. Gewinner der Außenwanderung sind vor allem die Ballungsräume in Westdeutschland. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 9 Abbildung 1: Bevölkerungsprognose der Kreise nach Bundesländern, 2010-2030 30 % n 20 i 0 3 0 2 - 0 1 10 0 2 m u t s h c 0 a w s g n u r e -10 k l ö v e B s e t r -20 e i z i t s o n g -30 o r P -40 BW BY HH BE SH HE RP NI HB NW BB SL SN MV TH ST Anmerkung: Die Punkte geben die prognostizierte Wachstumsrate der Bevölkerung eines Bundeslandes von 2010 auf 2030 an. Die Linien beschreiben die Spannweite der Wachstumsraten der Kreise des jewei- ligen Bundeslandes. Quelle: BBSR (2012): Raumordnungsprognose 2030; Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) – Bonn. Begibt man sich auf die kommunale zum obersten Dezil dargestellt. Die Bevölke- Ebene, sind die Unterschiede im Bevölke- rung in Bayern beispielsweise nahm im Zei- rungswachstum noch viel größer. Da auf traum 1990 bis 2010 um 9,5 Prozent zu. Hin- Gemeindeebene keine verlässlichen Pro- ter dieser Gesamtentwicklung stecken aber gnosen veröffentlicht werden, zeigt Abbil- sehr heterogene Veränderungen auf der dung 2 die prozentualen Veränderungen Gemeindeebene. Einige Gemeinden sind der Einwohnerzahlen deutscher Gemein- um fast 30 Prozent gewachsen, während den für die Vergangenheit (1990 bis 2010).4 andere bis zu 4 Prozent an Bevölkerung ver- Die Wachstumsraten der Bevölkerung sind loren haben. zunächst für jedes Bundesland angegeben. Die Linien geben die Bandbreite der Wachs- tumsraten auf der Gemeindeebene des jeweiligen Bundeslandes an. Um Ausreißer aus der Betrachtung auszublenden, werden nur die Wachstumsraten vom untersten 4. Im Folgenden wird mit dem Begriff „Gemeinde“ die Gesamtheit der kreisangehörigen Gemeinden und kreisfreien Städte bezeichnet. Seite 10 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen Im Vergleich der Bundesländer findet sich beispielsweise auch in Niedersachsen und die bei weitem größte Spreizung in Bran- Rheinland-Pfalz sehr lang, ein Zeichen, dass denburg und in Mecklenburg-Vorpom- die Probleme des Bevölkerungsrückgangs mern, aber der untere Ast, der die Gemein- in alten wie in neuen Bundesländern auf- den mit Bevölkerungsverlust darstellt, ist treten können.5 Abbildung 2: Bevölkerungswachstum der Gemeinden nach Flächenländern, 1990-2010 60 50 40 % n i ) 0 30 1 0 2 - 0 9 20 9 1 ( m u t 10 s h c a w s 0 g n u r e k -10 l ö v e B -20 -30 -40 BY BW SH NI RP HE NW BB SL SN MV TH ST Anmerkung: Die Punkte geben die Wachstumsrate der Bevölkerung eines Bundeslandes von 1990 auf 2010 an. Die Linien beschreiben die Wachstumsraten der Gemeinden des jeweiligen Bundeslandes, wobei nur die Spannweite vom untersten zum obersten Dezil angegeben ist, um die statistischen Ausrei- ßer auszublenden. Alle Bevölkerungszahlen sind um Änderungen der Gebietsstände bereinigt. Quelle: BBSR: Laufende Raumbeobachtung des BBSR, Fortschreibung des Bevölkerungsstandes des Bundes und der Länder, 2012. 5. Über die Zeit hinweg ist die Persistenz der demografischen Entwicklung sehr hoch. Kreise, die in der Vergangenheit einen Bevölkerungsgewinn verzeichneten, tauchen auch in der Prognose wieder mit Bevölkerungsgewinnen auf und vice versa. Der Korrelationskoeffizient zwischen vergangenem und pro- gnostiziertem Bevölkerungswachstum auf Kreisebene beträgt nach den BBSR Zahlen 0,92. Diese hohe Korrelation könnte aber auch aus der Prognosemethode herrühren, bei der vergangene Trends fortge- schrieben werden. Insgesamt ist die Prognose relativ zuverlässig; es darf aber nicht übersehen werden, dass gerade die kleinräumigen Bewegungen stark von Politikeingriffen – wie z. B. der Förderung des Wohnungsneubaus – getrieben sind. Zur Treffsicherheit der Bevölkerungsprognose
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