Finanzpolitische Herausforderungen des demograf ischen Wandels im föderativen System

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen 01/2013

Finanzpolitische Herausforderungen des demograf ischen Wandels im föderativen System

Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

April 2013

Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 5

Gliederung

I. Relevante Dimensionen des demografischen Wandels im Fiskalföderalismus 7 II. Diskretionärer Anpassungsbedarf in den öffentlichen Haushalten 12 III. Ein zusätzlicher Demografiefaktor für schrumpfende Gebietskörperschaften beim Finanzausgleich? 15 IV. Spezielle Anpassungshilfen bei Netzinfrastruktur 22 V. Anpassungsträgheiten als Ergebnis des politischen Prozesses 24 VI. Politische Widerstände bei drohendem Verlust der Zentrale-Orte-Funktion 27 VII. Anpassungsträgheiten als Ergebnis strategischen Verhaltens der Gemeinden 31 VIII. Bevölkerungsschwund als verteilungspolitisches Problem 34 IX. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Fiskalpolitische Eigenverantwortung bei schrumpfender Bevölkerung 36

Anhang 39 Seite 6 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 7

I. Relevante Dimensionen des demografischen Wandels im Fiskalföderalismus

Die rasche Zunahme der Lebenserwartung Alle diese Veränderungen bergen Her- seit Ende des 19. Jahrhunderts und der erst ausforderungen für die Politik. Bevölke- später einsetzende Geburtenrückgang rungsrückgang und -alterung erfordern haben in Deutschland, ebenso wie in den Reformen insbesondere in der Gesetzlichen übrigen Industrieländern, zu einem Anstieg Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, der Bevölkerungszahlen geführt. Diese damit die Beiträge für die tendenziell sin- Phase ist nun aber an ihr Ende gekommen. kende Zahl von Beitragszahlern nicht rapide In den kommenden Jahrzehnten wird der ansteigen. Veränderte Familien- und Haus- demografische Wandel in Deutschland ein haltsstrukturen, wie z. B. eine Zunahme bei anderes Gesicht haben. Demografen erwar- den Single-Haushalten und Alleinerziehen- ten weiterhin niedrige Geburtenraten, aber den, führen dazu, dass die traditionelle zugleich auch einen kontinuierlichen Selbstversicherungsfunktion familiärer Anstieg der Lebenserwartung bei den Älte- Lebensformen schwächer wird und sozial- ren. Der „neue demografische Übergang“ staatliche Transfers häufiger benötigt wer- wird dann sowohl durch Alterung als auch den. Anhaltende Zuwanderung erfordert durch Rückgang der Bevölkerungszahl ein Bildungssystem, das Spracherwerb und geprägt sein.1 Darüber hinaus verändert rasche Integration sichert. In vielen dieser sich die Gesellschaft auch in anderen demo- Dimensionen des demografischen Wandels grafischen Dimensionen wie der Familien- wurde der Handlungsbedarf auf der politi- struktur, der Haushaltsstruktur und der schen Ebene prinzipiell erkannt. Wichtige ethnischen Zusammensetzung (Heterogeni- Politikmaßnahmen, wie z. B. die Verlänge- sierung). rung der Lebensarbeitszeit zur Stabilisie-

1. Eggleston und Fuchs sprechen daher auch von „longevity transition“, da der Anstieg der Lebenserwar- tung nun nicht mehr durch sinkende Mortalität in der Jugend erreicht wird wie noch im letzten Jahrhun- dert, sondern primär durch die steigende Lebenserwartung der über 65-Jährigen; Eggleston, Karen N. und Victor R. Fuchs (2012): „The New Demographic Transition: Most Gains in Life Expectancy Now Rea- lized Late in Life“, Journal of Economic Perspectives 26, 137-156. Seite 8 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

rung des Rentensystems, sind bereits der Kreis mit der schwächsten Entwicklung beschlossen oder sollen in den nächsten (Osterode am Harz) 17,4 Prozent seiner Jahren auf den Weg gebracht werden.2 Bevölkerung verliert.3 Die genannten Maßnahmen betreffen überwiegend die Bundesebene. Bei einer – durchaus sinnvollen – aggregierten Betrachtung des demografischen Wandels bleibt eine andere wichtige Dimension jedoch häufig unbeachtet: die große regio- nale Heterogenität bzw. allgemein gefasst die räumliche Dimension des demografi- schen Wandels. Gemeinden mit Bevölke- rungswachstum und -rückgang liegen in einer einzigen Region manchmal nah bei- einander. Abbildung 1 zeigt die prognosti- zierten prozentualen Veränderungen der Bevölkerungszahlen von 2010 bis 2030 für die 16 Bundesländer. Für die Flächenländer (sowie Bremen) ist darüber hinaus die Spannweite der Veränderungsraten auf der Kreisebene angegeben. So geht beispiels- weise die Bevölkerung in Niedersachsen im Landesdurchschnitt bis 2030 um 2,4% zurück. Dabei nimmt die Einwohnerzahl im Kreis mit der besten Bevölkerungsentwick- lung (Vechta) um 8,4 Prozent zu, während

2. Finanzwissenschaftliche Expertisen zur Tragfähigkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung empfehlen eine weitere Anpassung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung; siehe z. B. Sachverständigenrat (2011): Herausforderungen des demografischen Wandels, Expertise im Auftrag der Bundesregierung, Wiesbaden, S. 193; Werding, Martin (2013): Alterssicherung, Arbeitsmarktdyna- mik und neue Reformen: Wie das Rentensystem stabilisiert werden kann, Bertelsmann-Stiftung, Güters- loh. Im politischen Raum kursieren allerdings auch Vorschläge, die Anhebung des gesetzlichen Renten- eintrittsalters auf 67 wieder auszusetzen; siehe FAZ (26.11.2012, 13). 3. In den Prognosen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) ist ein positiver Außenwanderungssaldo für Deutschland in Höhe von 150.000 bis 200.000 Personen pro Jahr vorgese- hen. Die Nettozuwanderung aus dem Ausland verteilt sich allerdings nicht gleichmäßig im Raum. Gewinner der Außenwanderung sind vor allem die Ballungsräume in Westdeutschland. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 9

Abbildung 1: Bevölkerungsprognose der Kreise nach Bundesländern, 2010-2030

30

%

n 20 i

0 3 0 2 - 0

1 10 0 2

m u t s h

c 0 a w s g n u r

e -10 k l ö v e B

s e t

r -20 e i z i t s o n

g -30 o r P

-40 BW BY HH BE SH HE RP NI HB NW BB SL SN MV TH ST

Anmerkung: Die Punkte geben die prognostizierte Wachstumsrate der Bevölkerung eines Bundeslandes von 2010 auf 2030 an. Die Linien beschreiben die Spannweite der Wachstumsraten der Kreise des jewei- ligen Bundeslandes.

Quelle: BBSR (2012): Raumordnungsprognose 2030; Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) – Bonn.

Begibt man sich auf die kommunale zum obersten Dezil dargestellt. Die Bevölke- Ebene, sind die Unterschiede im Bevölke- rung in Bayern beispielsweise nahm im Zei- rungswachstum noch viel größer. Da auf traum 1990 bis 2010 um 9,5 Prozent zu. Hin- Gemeindeebene keine verlässlichen Pro- ter dieser Gesamtentwicklung stecken aber gnosen veröffentlicht werden, zeigt Abbil- sehr heterogene Veränderungen auf der dung 2 die prozentualen Veränderungen Gemeindeebene. Einige Gemeinden sind der Einwohnerzahlen deutscher Gemein- um fast 30 Prozent gewachsen, während den für die Vergangenheit (1990 bis 2010).4 andere bis zu 4 Prozent an Bevölkerung ver- Die Wachstumsraten der Bevölkerung sind loren haben. zunächst für jedes Bundesland angegeben. Die Linien geben die Bandbreite der Wachs- tumsraten auf der Gemeindeebene des jeweiligen Bundeslandes an. Um Ausreißer aus der Betrachtung auszublenden, werden nur die Wachstumsraten vom untersten

4. Im Folgenden wird mit dem Begriff „Gemeinde“ die Gesamtheit der kreisangehörigen Gemeinden und kreisfreien Städte bezeichnet. Seite 10 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Im Vergleich der Bundesländer findet sich beispielsweise auch in Niedersachsen und die bei weitem größte Spreizung in Bran- Rheinland-Pfalz sehr lang, ein Zeichen, dass denburg und in Mecklenburg-Vorpom- die Probleme des Bevölkerungsrückgangs mern, aber der untere Ast, der die Gemein- in alten wie in neuen Bundesländern auf- den mit Bevölkerungsverlust darstellt, ist treten können.5

Abbildung 2: Bevölkerungswachstum der Gemeinden nach Flächenländern, 1990-2010

60

50

40 %

n i

)

0 30 1 0 2 - 0

9 20 9 1 (

m u

t 10 s h c a w

s 0 g n u r e

k -10 l ö v e B -20

-30

-40 BY BW SH NI RP HE NW BB SL SN MV TH ST

Anmerkung: Die Punkte geben die Wachstumsrate der Bevölkerung eines Bundeslandes von 1990 auf 2010 an. Die Linien beschreiben die Wachstumsraten der Gemeinden des jeweiligen Bundeslandes, wobei nur die Spannweite vom untersten zum obersten Dezil angegeben ist, um die statistischen Ausrei- ßer auszublenden. Alle Bevölkerungszahlen sind um Änderungen der Gebietsstände bereinigt. Quelle: BBSR: Laufende Raumbeobachtung des BBSR, Fortschreibung des Bevölkerungsstandes des Bundes und der Länder, 2012.

5. Über die Zeit hinweg ist die Persistenz der demografischen Entwicklung sehr hoch. Kreise, die in der Vergangenheit einen Bevölkerungsgewinn verzeichneten, tauchen auch in der Prognose wieder mit Bevölkerungsgewinnen auf und vice versa. Der Korrelationskoeffizient zwischen vergangenem und pro- gnostiziertem Bevölkerungswachstum auf Kreisebene beträgt nach den BBSR Zahlen 0,92. Diese hohe Korrelation könnte aber auch aus der Prognosemethode herrühren, bei der vergangene Trends fortge- schrieben werden. Insgesamt ist die Prognose relativ zuverlässig; es darf aber nicht übersehen werden, dass gerade die kleinräumigen Bewegungen stark von Politikeingriffen – wie z. B. der Förderung des Wohnungsneubaus – getrieben sind. Zur Treffsicherheit der Bevölkerungsprognose siehe Bucher, Hans- jörg und Claus Schlömer (2008): „Que sera, sera. The future’s not ours to see. Die BBR-Bevölkerungsprog- nose in Konfrontation mit der Realität“, Informationen zur Raumentwicklung H. 11/12.2008, 682-694. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 11

Wegen dieser großen Heterogenität Können Gemeinden mit rückläufiger können sich benachbarte Gemeinden völlig Bevölkerung die Ausgaben für öffentliche unterschiedlichen Herausforderungen des Leistungen zurückfahren, ohne die Qualität demografischen Wandels gegenübersehen. der Leistungen nachhaltig zu mindern? Während die eine Gemeinde, die einen Sind die Kostenremanenzen bei rückläufi- Zuzug junger Familien ins Neubaugebiet ger Bevölkerung technisch bedingt, oder erlebt, nach Finanzierungsmöglichkeiten verursachen die Gemeinden durch man- für neue Kindertagesstätten sucht, muss die gelnden politischen Anpassungswillen schrumpfende Nachbargemeinde mögli- selbst einen Anstieg in den Pro-Kopf-Kos- cherweise den Rückbau planen und öffent- ten öffentlicher Leistungen? In welchen liche Leistungen streichen. In Westdeutsch- Bereichen benötigen die Gemeinden finan- land hat sich seit den 1980er Jahren die zielle Unterstützung, um die Anpassungen Wohnbevölkerung kleinräumig in die schultern zu können? Welche Mechanis- Umlandgemeinden von Kernstädten verla- men im deutschen Fiskalföderalismus gert. In Ostdeutschland ist hingegen seit der behindern die Gemeinden bei der Anpas- Jahrtausendwende eine Reurbanisierung sung an den demografischen Wandel? Was eingetreten, bei der sich die Wohnbevölke- können Bund und Länder tun, um Fehlan- rung wieder stärker in den Kernstädten reizen bei der Anpassung entgegenzuwir- konzentriert.6 ken? Das Gutachten versucht, diese Fragen Jede dieser demografischen Verschie- zu beantworten und daraus Schlüsse für die bungen verlangt von den Gemeinden Ausgestaltung des Fiskalföderalismus unter Anpassungen in der Bereitstellung öffent- dem Aspekt der „Governance“ des demo- licher Leistungen. Unter dem fiskalischen grafischen Wandels zu ziehen.8 Aspekt sind besonders die Dimensionen der Bevölkerungsabnahme und der Alterung von Bedeutung, weil sie auf der Einnahme- seite die Steuerbasis und auf der Ausgabe- seite die Nutzung der kommunalen Infra- struktur beeinflussen. Dementsprechend widmet sich dieses Gutachten den fiskali- schen Herausforderungen des demografi- schen Wandels primär auf lokaler (kommu- naler) Ebene.7

6. Siehe Siedentop, Stefan (2008): „Die Rückkehr der Städte? Zur Plausibilität der Reurbanisierungshypo- these“, Informationen zur Raumentwicklung 3/4/2008, 193-210. Zur Debatte, ob es eine generelle Reurbanisierung gibt, siehe z. B. BBSR (2012): Die Attraktivität großer Städte: ökonomisch, demogra- fisch, kulturell, BBSR, Bonn. 7. In neueren offiziellen Dokumenten wird der Aspekt der regionalen Anpassung zwar behandelt, aber die vertiefte Erörterung der hier im Vordergrund stehenden Probleme der kommunalen und föderativen Finanzen wird nur am Rande gestreift. Vgl. Enquête-Kommission „Demographischer Wandel“ (2002): Schlussbericht Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik, BT-Drucksache 14/8800, ; BBSR (2012): Raumordnungsbericht 2011, BBSR, Bonn; BMF (2012): „Demografischer Wandel als Chance“, Monatsbericht des BMF, Juni 2012, 31-40; BMI (2012): Jedes Alter zählt – Demografiestrategie der Bundesregierung, Berlin. 8. Im Prinzip können solche Governance-Probleme auch im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherun- gen auftreten und Reflektionen über den parafiskalischen Finanzausgleich anregen. Seite 12 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

II. Diskretionärer Anpassungsbedarf in den öffentlichen Haushalten

Die verschiedenen Dimensionen des demo- zu einem großen Teil durch Schlüsselzu- grafischen Wandels betreffen die öffent- weisungen nach der mangelnden Steuer- lichen Haushalte auf den verschiedenen kraft aufgefangen werden, hat auch die mit Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden und der Alterung einhergehende Verschiebung Sozialversicherungen) ganz unterschiedlich. weg von Erwerbstätigen hin zu Rentnern Wenn man zunächst nur die Kosten für alte nur geringe Auswirkungen. Die Verände- Einwohner denen für jüngere Einwohner rung der Altersstruktur dürfte für die Län- gegenüberstellt, so trifft die Alterung der der und Gemeinden daher keine nennens- Gesellschaft auf der Ausgabenseite vor werten fiskalischen Anpassungsprobleme allem die Sozialversicherungen. Länder und hervorrufen. Kommunen werden eher entlastet, weil ihre Die Länder und insbesondere die Ausgabenschwerpunkte bei der Ausbildung Gemeinden sind jedoch vom – regional sehr der jungen Menschen liegen und deren unterschiedlichen – Rückgang der Bevölke- Anteil zurückgeht.9 Den mit Abstand größ- rungszahl stark betroffen.12 Mit Ausnahme ten Posten der kommunalen Haushalte der Bundesebene sind die öffentlichen machen die Sozialausgaben mit circa Haushalte in Deutschland durch eine 45 Prozent aus10, mit einer Verdoppelung in geringe Einnahmeautonomie geprägt. Die den letzten 20 Jahren. Diese Ausgaben sind Länder besitzen, abgesehen von der Grund- aber im Wesentlichen nicht altersspezifisch erwerbsteuer, keine Steuerflexibilität, und im Sinne von Jung gegenüber Alt und ste- die Gemeinden können ihre Einnahmesitu- hen damit außerhalb dieser Betrachtung.11 ation lediglich in begrenztem Umfang ins- Weil die potentiellen Einnahmenverluste besondere über Gewerbe- und Grundsteuer

9. Vgl. Kluge, Fanny Annemarie (2012): „The Fiscal Impact of Population Aging in ”, Public Finance Review, im Druck; Seitz, Helmut und Gerhard Kempkes (2007): „Fiscal Federalism and Demo- graphy”, Public Finance Review 35, 385-413. 10. Vgl. Deutscher Städtetag (2012): Gemeindefinanzbericht 2012 – Stabile Stadtfinanzen - nur mit Bund und Ländern, Köln, 86. 11. Wenn über die demografiebedingte Zunahme von Sozialausgaben bei den Kommunen geklagt wird, so betraf das in der Vergangenheit meist die Grundsicherung im Alter, die ab 2014 vom Bund übernom- men wird. 12. Jenseits der fiskalischen Dimension kann z. B. auch die regionale Wirtschaft unter dem Bevölke- rungsrückgang leiden, da Nachfrage wegfällt. Handel und Dienstleistungen werden in der Folge redu- ziert. Das daraus resultierende Verteilungsproblem wird in Kapitel 8 diskutiert. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 13

verbessern. Daher hängen die Einnahmen Leistungen zu schwach ausfallen, wird im wegen der Ausgestaltung der kommunalen Folgenden eingehend diskutiert. Finanzausgleichssysteme im Wesentlichen Für den Bund und die Länder ist diese an der Einwohnerzahl – Gemeinden mit gesamte Thematik deshalb relevant, weil einem Bevölkerungsrückgang gehören fehlende Anpassungen bei den untergeord- dann zu den Verlierern dieser fiskalischen neten Gebietskörperschaften die Hand- Umverteilung. lungsspielräume der nächsthöheren Ebene Wenn die Einwohnerzahl im demografi- einengen und das Risiko eines Bailouts schen Wandel sinkt, muss auf der Ausga- erhöhen. Schon durch den Rückgang der benseite angepasst werden, wenn nicht Bevölkerung verteilen sich die bereits auf- dauerhafte Defizite entstehen sollen. Wäh- gelaufenen Schuldenlasten der Gemeinden rend die Einnahmen aber gleichsam auto- auf immer weniger Köpfe. Werden darüber matisch mit der Bevölkerung zurückgehen, hinaus die Anpassungen bei den Ausgaben erfordern die Anpassungen auf der Ausga- vernachlässigt, steigen die Pro-Kopf-Schul- benseite diskretionäre Eingriffe durch die den exponentiell. Das Problem überträgt Politik. Diese Eingriffe sind nicht leicht sich damit letztendlich auch auf die nächst- durchzusetzen. Denn wie bei jeder Leis- höheren Ebenen von Land und Bund, die zu tungskürzung regt sich Widerstand bei den einem Bailout, also zur Rettung einer Betroffenen, die verantwortlichen Lokalpo- Gemeinde vor der Insolvenz mittels Finanz- litiker müssen um ihre Wiederwahl fürch- transfers, gezwungen werden und sich For- ten. derungen nach einem „Demografiefaktor“ Diese Probleme diskretionärer Eingriffe in ihren Transfersystemen gegenübersehen. sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass Abbildung 3 stellt die aktuelle Pro-Kopf- die Abwanderung aus ländlichen Räumen Verschuldung der Gemeinden dem pro- von den Bewohnern als Bedrohung emp- gnostizierten Bevölkerungswachstum von funden wird. Die entsprechenden Berichte 2010 bis 2030 gegenüber.13 Aus Gründen der in den Medien zeigen, dass tendenziell Datenverfügbarkeit sind die Daten auf junge und qualifizierte Arbeitskräfte Kreisebene aggregiert, wobei die jeweiligen abwandern und diejenigen zurückbleiben, Gemeinden auch hier die kreisangehörigen die gering qualifiziert und vielleicht nicht Gemeinden und kreisfreien Städte umfas- (mehr) erwerbstätig sind. Als Ausweg versu- sen. Im rechten unteren Quadranten sind chen viele Gemeinden dann, sich der Ent- die Gemeinden zu finden, die bereits jetzt wicklung durch vermehrte Attrahierung eine überdurchschnittlich hohe Pro-Kopf- von Gewerbe und Wohnbevölkerung ent- Verschuldung aufweisen und darüber hin- gegenzustemmen. Der Rückbau der physi- aus an Bevölkerung verlieren werden. Die schen Infrastruktur und der Abbau von Gemeinden im rechten unteren Quadran- öffentlichen Leistungen werden hingegen ten repräsentieren 29,5 Prozent der Bevöl- als Eingeständnis einer verfehlten Standort- kerung, weisen aber aktuell bereits 41,2 Pro- politik angesehen. Unter welchen Umstän- zent der gesamten kommunalen Schulden den der Wettbewerb der Gemeinden um auf. Gerade in diesen Gemeinden droht Einwohner und Gewerbe ineffiziente allein wegen der abnehmenden Bevölke- Ergebnisse hervorbringt und warum not- rungszahl ein bedrohlicher Anstieg der Pro- wendige Anpassungen bei den öffentlichen Kopf-Verschuldung.

13. Wegen der hohen Persistenz der demografischen Entwicklung über die Zeit hinweg, spielt es keine große Rolle, ob die Bevölkerungsprognose oder die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahre abgetragen wird. Seite 14 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Abbildung 3: Pro-Kopf-Verschuldung und prognostiziertes Bevölkerungswachstum deutscher Gemeinden

30

0 3 0

2 20

s i b

0 1 0 2

10 g n u l k c i

w 0 t n e s g n u r

e -10 k l ö v e B

e

t -20 r e i z i t s o

n -30 g o r P

-40 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 Gemeindliche Verschuldung 2009 in € je Einwohner

Anmerkung: Jeder Punkt gibt die prognostizierte Wachstumsrate der Bevölkerung eines Kreises von 2010 auf 2030 und die Pro-Kopf-Verschuldung der Gemeinden dieses Kreises im Jahr 2009 an. Die Ordi- nate schneidet die Abszisse bei der durchschnittlichen gemeindlichen Pro-Kopf-Verschuldung (1.013 €) in Deutschland, so dass alle Punkte rechts der Ordinate eine überdurchschnittliche Verschuldung ange- ben. Quellen: BBSR (2012): Raumordnungsprognose 2030; Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumfor- schung (BBSR) – Bonn; BBSR (2011): Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung, INKAR. Ausgabe 2011. Hrsg.: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bau- wesen und Raumordnung (BBR) - Bonn 2011. - CD-ROM. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 15

III. Ein zusätzlicher Demografiefaktor für schrumpfende Gebietskörperschaften beim Finanzausgleich?

Angesichts des vielerorts vorherrschenden nach den Einwohnerzahlen der Vorjahre Bevölkerungsrückganges werden immer erfolgt. Dadurch wird der Einnahmeverlust wieder Rufe laut, Regionen mit abnehmen- von Gemeinden mit Bevölkerungsrückgän- der Bevölkerung oder auch mit bereits gen zumindest verzögert. Das Bundesver- jetzt sehr geringer Bevölkerungsdichte fassungsgericht machte die dünne Besiede- besonders zu unterstützen. Vor diesem lung selbst zum Thema fiskalischer Aus- Hintergrund ist etwa die im Oktober 2012 gleichsmechanismen, als es in seinem Urteil in Potsdam erzielte einstimmige Verständi- zum Finanzausgleich vom 11.11.1999 gung der haushalts- und finanzpolitischen schrieb: „Die Einbeziehung der neuen Län- Sprecher der Unionsfraktionen der Länder der in den Länderfinanzausgleich macht es zu verstehen, die bisherigen Ausgleichsme- erforderlich, die Finanzkraft der Stadtstaa- chanismen im Länderfinanzausgleich so zu ten der Finanzkraft dünn besiedelter Flä- erweitern, dass der demografischen Ent- chenstaaten gegenüberzustellen und zu wicklung in den Ländern Rechnung getra- prüfen, ob (…) eine unterdurchschnittliche gen wird. In der Veröffentlichung, die die Bevölkerungszahl einen abstrakten Mehr- „Eckpunkte für eine Reform des Länder- bedarf pro Einwohner rechtfertigen kann.“ finanzausgleichs und der bundesstaatlichen (BVerfG 101, 158 (230) ).14 Finanzbeziehungen“ festhält, heißt es: Hinter der Forderung nach fiskalischer „Finanzielle Verluste allein durch den Unterstützung für Regionen, die bereits Bevölkerungsschwund und die Bevölke- jetzt dünn besiedelt sind oder die gerade rungswanderung sollen so abgemildert einen Bevölkerungsrückgang erleben, werden.“ Innerhalb einzelner Länder sind in steckt meist die Vorstellung, dass die Kosten den Kommunalen Finanzausgleichssyste- für die Bereitstellung öffentlicher Leistun- men oft bereits solche Demografiefaktoren gen mehr oder minder fix seien, so dass berücksichtigt, weil die Mittelverteilung bei sinkender Bevölkerung die Pro-Kopf-

14. Das aufgrund dieses Urteils ergangene sog. Maßstäbegesetz vom 9.9.2001 sagt in seinem § 8 Abs. 3 Satz 2, dass solche Mehrbedarfe bei besonders dünner Besiedelung eintreten könnten; das konkretisie- rende Finanzausgleichsgesetz selbst anerkennt das in seinem § 9 mit 105 Prozent Gewichtung pro Ein- wohner für Mecklenburg-Vorpommern, 103 Prozent für Brandenburg und 102 Prozent für Sachsen- Anhalt. Seite 16 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Ausgaben steigen müssen (Kostenremanen- Die aggregierte Betrachtung lässt unbe- zen). Allerdings gibt es eine umfangreiche rücksichtigt, dass sich bei Veränderung der empirische Literatur, die zeigt, dass die Aus- Bevölkerungszahl auch das Leistungsspek- gaben von Gemeinden weitgehend propor- trum der Gebietskörperschaft ändert. So tional mit ihren Bevölkerungszahlen variie- werden in großen Gebietskörperschaften ren und die Kosten der Leistungserstellung typischerweise Güter öffentlich bereitge- durch konstante Skalenerträge gekenn- stellt, die in kleineren Gebietskörperschaf- zeichnet sind. Wenn sich die Einwohner- ten gar nicht verfügbar sind (Opern, zahl verdoppelt, wird – bei gleichem Leis- Museen, Parks). Um auszuschließen, dass tungsangebot – in etwa auch die doppelte das Ergebnis der Proportionalität durch Infrastruktur inklusive Personal benötigt; Veränderungen des Leistungsspektrums daher verdoppeln sich auch die gesamten getrieben ist, sollte der Blick daher eher auf Aufwendungen. Analog kann bei schrump- einzelne Leistungen gerichtet werden. fender Bevölkerung die Infrastruktur Wenn es bei den einzelnen Leistungskate- zurückgeführt werden, was in diesem gorien gelingt, die Pro-Kopf-Kosten bei Ver- Zusammenhang eine besonders wichtige änderung der Bevölkerungszahl konstant zu Folgerung ist. Anhang 1 liefert eine kurze halten, ist die Anpassung an den demografi- Einführung in die Methodik dieser Studien; schen Wandel ohne zusätzliche finanzielle Tabelle A.1 im Anhang gibt einen Überblick Demografiehilfen möglich. Welche Leistun- über die einschlägigen Untersuchungser- gen von den Gemeinden in Deutschland gebnisse.15 In Spalte (4) ist der Zusammen- finanziert werden und im Rahmen des hang zwischen Bevölkerungsgröße und den demografischen Wandels möglicherweise gesamten Ausgaben angegeben, wobei ein angepasst werden müssen, zeigt Tabelle 1. Wert von 1 Proportionalität anzeigt.

15. Die Methode geht auf Borcherding, Thomas E. und Robert T. Deacon (1972): „The Demand for the Services of Non-federal Governments“, American Economic Review 62, 891-901 bzw. Bergstrom, Theo- dore C. und Robert P. Goodman (1973): „Private Demand for Public Goods“, American Economic Review 63, 280-296 zurück. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 17

Tabelle 1: Bereinigte Ausgaben nach Aufgabenbereichen der Gemeinden

Ausgaben in Bezeichnung Ausgaben in Bezeichnung Mill. Euro Mill. Euro 16.870 Weitere soziale Bereiche 1.737 Straßenbeleuchtung und - reinigung 15.761 Sozialhilfe nach dem BSHG 1.611 Realschulen 11.710 Einrichtungen der Jugendhilfe 1.444 Kreisstraßen 6.391 Gemeindestraßen 1.383 Krankenhäuser 6.278 Hauptverwaltung 1.380 Eigene Sportstätten 6.116 Jugendhilfe nach dem KJHG 1.376 Park- und Gartenanlagen 4.683 Verwaltung der sozialen 1.281 Berufliche Schulen Angelegenheiten 4.679 Grund- und Hauptschulen 1.196 Volksbildung 4.283 Abwasserbeseitigung 1.015 Badeanstalten 4.124 Städteplanung, Vermessung, 1.000 Rettungsdienst Bauordnung 3.664 Öffentliche Ordnung 940 Sonderschulen (Förderschulen) 3.643 Abfallbeseitigung 901 Schulverwaltung 3.543 Einrichtungen für die gesamte 891 Durchführung des Verwaltung Asylbewerberleistungsgesetzes 3.299 Allgemeines Grundvermögen 887 Versorgungsunternehmen 3.005 Finanzverwaltung 873 Förderung von anderen Trägern der Wohlfahrtspflege 2.855 Feuerschutz 863 Sonstige soziale Angelegenheiten 2.667 Hilfsbetriebe der Verwaltung 847 Soziale Einrichtungen (ohne Einrichtungen der Jugendpflege) 2.543 Fremdenverkehr, sonstige 807 Museen, Sammlungen, Förderung von Wirtschaft und Ausstellungen Verkehr 2.435 Bauverwaltung 791 Verkehrsunternehmen 2.286 Theater, Konzerte, Musikpflege 785 Bestattungswesen 2.041 Gymnasien, Kollegs (ohne 759 Sonstige öffentliche berufl. Gymnasien) Einrichtungen 1.950 Gemeindeorgane 11.935 Übrige Aufgabenbereiche (ohne Allgemeine Finanzwirtschaft) 1.927 Schulen, Sonstiges 151.457 Summe (ohne Allgemeine Finanzwirtschaft)

Bereinigte Ausgaben der Gemeinden und Gemeindeverbände in den Flächenländern ohne haushaltstechnische Verrechnungen, abzüglich Zahlungen der gleichen Ebene. Quelle: Eigene Berechnungen und Destatis Jahresrechnungsstatistik 2006. Seite 18 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Für einzelne Leistungen der Gemeinden, Diese empirischen Ergebnisse schließen wie z. B. im Schulbereich, im Straßennetz Anpassungsprobleme nicht völlig aus. So und bei der Kultur, liegen detaillierte Schät- lässt sich erstens physische Infrastruktur, zungen dafür vor, wie die Ausgaben mit der wie z. B. die Wasserversorgung, sehr viel Bevölkerungszahl variieren (siehe Anhang, schwerer anpassen, als dies in den bisher Tabelle A.1, Spalten 5-12). Auch hier zeigt angesprochenen Beispielsbereichen öffent- sich, dass viele staatliche Leistungen unter licher Leistungen möglich ist; das Problem konstanten Skalenerträgen erstellt werden der physischen Infrastruktur wird in Kapitel und keine nennenswerten Größenvorteile 4 im Detail diskutiert. Und zweitens kann es aufweisen. Oder anders formuliert: Bei für einzelne öffentliche Leistungen kriti- langfristiger Anpassung der Infrastruktur sche Untergrenzen geben, unterhalb derer und des Personalbedarfs legen die empiri- die Proportionalität zwischen Bevölkerung schen Untersuchungen nahe, dass sich die und Ausgaben nicht mehr gilt; die Pro- Pro-Kopf-Ausgaben und die Nutzerqualität Kopf-Ausgaben würden hier zwingend in etwa stabil halten lassen. Wenn die Ein- ansteigen. So lässt sich beispielsweise eine nahmen mit dem Bevölkerungsrückgang Grundschule nicht mit weniger als einer schwinden, muss bei vielen öffentlich Schulklasse betreiben. Die Mindestgröße, in bereitgestellten Gütern weder die Leistung der sich eine öffentliche Leistung ohne je Einwohner (Qualität) sinken noch muss Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben bereitstel- die fiskalische Belastung je Einwohner stei- len lässt, variiert verständlicherweise je gen.16 Diese Proportionalität zwischen nach Art der Leistung. Um eine Grund- Bevölkerungszahl und Kosten der Leis- schule vernünftig auszulasten, genügt eine tungserstellung gilt beispielsweise für die sehr viel kleinere Einwohnerzahl als für den Bereiche allgemeine Verwaltung, Polizei, Betrieb eines Stadttheaters. Mit wachsender Feuerwehr17 und Bildung. Bevölkerungszahl überschreitet eine Gemeinde nach und nach solche kritischen Untergrenzen und kann daher kosteneffi- zient das öffentliche Leistungsspektrum erweitern.18

16. Die Methode wird durchaus auch kritisch diskutiert; siehe z. B. Craig, Steven G. (1987): „The Impact of Congestion on Local Public Good Production“, Journal of Public Economics 32, 331-353; Craig, Ste- ven G. und Eric J. Heikkila (1989): „Urban Safety in Vancouver: Allocation and Production of a Congesti- ble Public Good“, Canadian Journal of Economics 22, 867-884, sowie Reiter, Michael und Alfons Wei- chenrieder (1997): „Are Public Goods Public? A Critical Survey of the Demand Estimates for Local Public Services”, FinanzArchiv: Public Finance Analysis 54, 374-408 für einen Überblick. So könnten die Pro- Kopf-Ausgaben beispielsweise auch wegen (nur unscharf zu messender) Qualitätsunterschiede der öffentlichen Leistungen oder wegen unterschiedlicher Ineffizienzen der Gemeinden differieren. Auch werden sehr kleine Gemeinden typischerweise nicht mitberücksichtigt. Für Deutschland lassen sich dar- über hinaus die für die USA geschätzten Werte nur bedingt übertragen, da die lokalen Ausgaben nicht durch lokale Abgaben finanziert werden und so eine Ermittlung der Preiselastizität der Nachfrage schwer ist. Die Tabelle im Anhang listet aber auch einige Studien auf, die sich speziell mit deutschen Kommunen befassen und die trotz der institutionellen Unterschiede durchaus zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Auch einige Studien mit alternativen Methoden [Büttner, Thiess, Robert Schwager und Dan Stegarescu (2004): „Agglomeration, Population Size, and the Cost of Providing Public Services: An Empi- rical Analysis for German States”, Public Finance and Management 4, 496-520 und Lüchinger, Simon und Alois Stutzer (2002): „Skalenerträge in der öffentlichen Kernverwaltung. Eine empirische Analyse anhand von Gemeindefusionen“, Swiss Political Science Review 8, 27-50] bestätigen die weitgehende Proportio- nalität. Büttner et al. finden darüber hinaus, dass die Einwohnerdichte keinen Einfluss auf die Bereitstel- lungskosten öffentlicher Leistungen hat. 17. Mit einem methodisch etwas anderen Ansatz findet Bruckner allerdings starke Größenvorteile bei der Feuerwehr in US-amerikanischen Gemeinden; vgl. Bruckner, Jan K. (1981): „Congested Public Goods: the Case of Fire Protection“, Journal of Public Economics 15, 45-58. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 19

Aber auch die Unteilbarkeiten unterhalb rung auf die Gemeinden nach Einwohner- einer kritischen Einwohnerzahl sind kein zahlen abgetragen. Mehr als 90 Prozent der wirklich zwingendes Argument für gene- deutschen Bevölkerung lebt in Gemeinden relle, zusätzliche Mittel an Gemeinden mit mit mehr als 3.000 Einwohnern. Nur schrumpfender Bevölkerung. Zunächst ist 2,5 Prozent der Bevölkerung lebt in sehr festzustellen, dass nur ein geringer Teil der kleinen Gemeinden mit weniger als 1.000 deutschen Bevölkerung in Kleinstgemein- Einwohnern.20 Empirische Untersuchun- den lebt, die unter dem Problem der Unteil- gen, die nach Größenklassen differenzieren, barkeiten bei denjenigen Gütern leiden zeigen, dass die Ausgaben für essentielle könnten, die für die staatliche Daseinsvor- öffentliche Leistungen in kleinen Gemein- sorge als essentiell angesehen werden.19 In den ähnlich mit der Einwohnerzahl variie- Abbildung 4 ist die Verteilung der Bevölke- ren wie in größeren Gemeinden.

18. Vgl. Oates, Wallace E. (1988): „On the Measurement of Congestion in the Provision of Local Public Goods“, Journal of Urban Economics 24, 85-94. Büttner und Holm-Hadulla zeigen in einem theoreti- schen Modell, wie bei wachsender Gemeindegröße Kostendegression und steigende Nachfrage gegen- läufig auf die Pro-Kopf-Ausgaben wirken; siehe Büttner, Thiess und Fédéric Holm-Hadulla (2013): „City Size and the Demand for Local Public Goods“, Regional Science and Urban Economics 43, 16-21. 19. In der juristischen Literatur ist umstritten, was unter staatlicher Daseinsvorsorge zu verstehen ist und welche öffentlichen Leistungen im Sinne der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unbedingt erbracht werden müssen. Für eine kritische Diskussion siehe Franzen, Martin, Gregor Thüsing und Chris- tian Waldhoff (2013): Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge, Mohr-Verlag. Tübingen; Waldhoff, Christian (2007): „Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 3. Aufl. Heidelberg 2007, § 116 Rdnr. 77-79; Wald- hoff, Christian (2012): Verfassungsfragen des Regionalisierungsgesetzes / Entflechtungsgesetzes, Rechtsgutachten für die Zukunftskommission ÖPNV des Landes Nordrhein-Westfalen. 20. Die absolute Zahl solcher Kleinstgemeinden ist allerdings groß. Seite 20 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Abbildung 4: Verteilung der Bevölkerung in Deutschland nach Gemeindegrößenklassen

20,0

18,0

16,0

g n u r

e 14,0 k l ö v

e 12,0 b t m a s

e 10,0 G

r e d

8,0 t n e z o

r 6,0 P

n i 4,0

2,0

0 unter 100-200 200-500 500 - 1.000 - 2.000 - 3.000 - 5.000 - 10.000 - 20.000 - 50.000 - 100.000 -200.000 - 500.000 100 1.000 2.000 3.000 5.000 10.000 20.000 50.000 100.000 200.000 500.000 und mehr Einwohnerzahl

Quelle: Statistisches Bundesamt (2012) Daten aus dem Gemeindeverzeichnis – Gemeinden in den Ländern nach Einwohnergrößenklassen, Gebietsstand: 31.12.2011, Oktober 2012, online.

Zudem steht den Kleinstkommunen wie lediglich in peripheren, sehr dünn besiedel- allen Gemeinden die Möglichkeit der ten Regionen, wo auch eine Konsolidierung kooperativen Leistungserstellung mit Nach- öffentlicher Leistungen über Nachbarge- bargemeinden offen (gemeinsame Bürger- meinden hinweg nicht infrage kommt; büros, Bibliotheken, Kläranlagen …).21 Dies allerdings hat Deutschland kaum solche kann auch durch Übertragung von Aufga- extrem dünn besiedelte Flächen (wie z. B. ben an kommunale Zweckverbände und Teile Skandinaviens).22 Landkreise erfolgen. Ausnahmen gibt es

21. Für eine detaillierte Analyse der Möglichkeiten kommunaler Kooperation siehe Schmidt, Thorsten Ingo (2005): Kommunale Kooperation. Der Zweckverband als Nukleus des öffentlich-rechtlichen Gesell- schaftsrechts, Mohr Siebeck, Tübingen. 22. Auf der NUTS-2-Ebene weisen in Deutschland nur 3 der 39 NUTS-2-Regionen eine Bevölkerungs- dichte von weniger als 100 Einwohnern pro km2 auf, was gemäß der europäischen Raumbeobachtung des BBSR als geringe Dichte gilt. In Spanien fallen 9 der 19 NUTS-2-Regionen und in Frankreich 15 der 26 NUTS-2-Regionen in diese Kategorie (www.raumbeobachtung.de). Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 21

Schließlich kann eine Anpassung des Zusammenfassend lässt sich mit Blick Leistungsspektrums verhindert werden, auf die vorliegenden Untersuchungen fest- wenn die Bürger bereit sind, die Mehrkos- halten, dass die Pro-Kopf-Ausgaben für ten zu tragen. Unterschreitet eine öffentliche Leistungen im Wesentlichen Gemeinde die kritische Mindestgröße für nicht von der Gemeindegröße abhängen. eine bestimmte öffentliche Leistung (wie Daher ist der pauschale Ruf nach zusätz- z. B. das kommunale Schwimmbad), steigen lichen finanziellen Mitteln für Gemeinden, die Pro-Kopf-Kosten. Unter dem Aspekt der die im demografischen Wandel an Bevölke- Kosteneffizienz wäre es sinnvoll, auf die rung verlieren, weitgehend verfehlt. Grund- Bereitstellung zu verzichten. Wenn die Bür- sätzlich ist von der Kommunalpolitik eine ger einer Gemeinde auf der eigenen Leis- rechtzeitige Anpassung an die demografi- tungserstellung jedoch beharren, muss man schen Gegebenheiten auf der Ausgabenseite verlangen dürfen, dass die zusätzlichen zu fordern. Mittel über Gebühren und Beiträge von der örtlichen Bevölkerung aufgebracht werden. Da es keine nennenswerten Externalitäten gibt, ist aus ökonomischer Perspektive nicht ersichtlich, wieso eine dezentrale Finanzie- rung hier fehlschlagen sollte.23 Dabei darf auch nicht übersehen werden, dass sich die Vorlieben der Menschen, in welcher Umge- bung sie leben wollen, erheblich unter- scheiden. Während einige Natur und ländli- che soziale Strukturen schätzen, bevorzu- gen andere eher Städte mit mehr kultureller Infrastruktur. Da der demografische Wan- del die Bevölkerungsdichte nur langsam verschiebt, können die Menschen durch ihre Standortwahl ihre bevorzugte Umge- bung längerfristig selbst bestimmen. Es ist nicht Aufgabe des Staates, das Leistungs- spektrum räumlich zu nivellieren – ein sol- cher Versuch würde der Idee, den Bürgern eine möglichst große Vielfalt entsprechend ihrer Wünsche zu bieten, komplett wider- sprechen.

23. Vgl. Oates, Wallace E. (1972): Fiscal Federalism, Harcourt, New York. Seite 22 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

IV. Spezielle Anpassungshilfen bei Netzinfrastruktur

Trotz der beschriebenen Proportionalität ist der Verbrauch jedoch rückläufig. Im Jahr zwischen Einwohnerzahl und Ausgaben 2010 verbrauchte jeder Einwohner in können bei der Anpassung im Bereich der Deutschland im Schnitt noch 121 Liter, in physischen Infrastruktur erhebliche Mehr- den ostdeutschen Flächenländern sogar nur kosten entstehen. Die Netz- und Versor- noch 93 Liter.25 Die Kapazitäten sind daher gungsinfrastrukturen, insbesondere Was- schon bei gegebener Bevölkerungszahl häu- ser- und Abwasserleitungen, sind auf Jahr- fig zu hoch ausgelegt. Die Demografie ver- zehnte gebaut und auf eine bestimmte schärft das Problem noch. In vielen Platten- Bevölkerungsgröße angelegt. Schrumpft die bauten der DDR waren beispielsweise die Bevölkerung oder ändert sich das Nutzer- Kapazitäten bei der Wasserversorgung auf verhalten bei der Infrastruktur, gehen die eine durchschnittliche Belegung mit vier laufenden Ausgaben nicht proportional mit Personen je Wohnung ausgelegt. Heutzu- der Bevölkerung zurück. Das Beispiel der tage leben im Schnitt noch zwei Personen Wasserversorgung macht das Problem ein- in einer Wohnung. Kommt durch die drücklich klar.24 Bis in die 1980er Jahre demografisch bedingte Schrumpfung des rechneten Planer mit steigenden Ver- Wohngebietes noch der Leerstand hinzu, brauchszahlen und gingen bei der Kapazi- sind die Leitungskapazitäten stark unter- tätsplanung langfristig von Verbrauchswer- ausgelastet. ten zwischen 150 und 200 Litern pro Tag und Einwohner aus. Seit den 1990er Jahren

24. Vgl. Herz, Raimund und Lars Marschke (2005): „Konsequenzen der Stadtschrumpfung für stadttech- nische Infrastruktursysteme“, Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden 54, Heft 3-4, 99-104. Die Kostenentwicklung am Fallbeispiel Halle/Saale untersucht Haug, Peter (2004): „Sinkende Einwohner- zahlen und steigende Kosten für kommunale Leistungen“, Wirtschaft im Wandel 11/2004, 306-312. Für eine betriebswirtschaftliche Analyse siehe Nowack, Martin, Sebastian John, Jens Tränckner und Edel- traud Günther (2010): „Der demografische Wandel als Gebührentreiber in der Siedlungsentwässerung – Ein Vergleich des Demografieeffektes mit Spar-, Betriebskosten-, Kapitalkosten- und Industrieeffekten“, gwf-Wasser, November 2010, 1076-1085. 25. Vgl. Statistisches Bundesamt (2012): 2010: Wasser sparen liegt weiter im Trend, Pressemitteilung 389/12, 9.11.2012, Wiesbaden. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 23

Durch die geringere Nachfrage steigt die Verweildauer des Trinkwassers in den Lei- tungen. Wegen der Gefahr der Verkeimung und der Ablagerungen an den Rohren müs- sen die Leitungen häufiger gewartet und die im vorherigen Kapitel diskutiert wur- sogar mit Trinkwasser gespült werden, das den, ist hier eine eng begrenzte und zweck- von den Haushalten gar nicht benötigt gebundene finanzielle Unterstützung für wird. Einige Gemeinden und Versorger in Regionen, die besonders vom Bevölke- Deutschland haben daher sogar Wasser-Fla- rungsrückgang betroffen sind, durch trates ins Gespräch gebracht, um den Was- die übergeordneten Gebietskörperschaften serverbrauch zu erhöhen. Die Rheinisch- nicht unangemessen.27 Westfälische Wasserwerksgesellschaft mbH hat zum Beispiel im Jahr 2012 mit Verweis auf die verringerte Auslastung ihr Tarifsys- tem umgestellt; der Mengenpreis je Kubik- meter wurde gesenkt und dafür ein Fixpreis je Wohneinheit eingeführt.26 Einem Versor- ger, der stark vom demografischen Wandel betroffen ist, bleibt nur die Wahl, die höhe- ren Pro-Kopf-Ausgaben über steigende Gebühren umzulegen oder den Rückbau vorzunehmen. In jedem Fall steigt die fiska- lische Belastung in der Gemeinde – unter Umständen mit negativen Folgen für die Standortattraktivität. Der Rückbau ist meist nicht aus den laufenden Einnahmen finan- zierbar, welche für den Unterhalt bei kon- stanter Bevölkerung gedacht waren. Im Gegensatz zu den öffentlichen Leistungen,

26. Da die Wasserpreise in Deutschland häufig über den Grenzkosten liegen, kann eine solche Tarifände- rung auch die Wohlfahrt steigern; siehe Müller, Christopher (2012): Welfare Effects of Water Pricing in Germany, Working Paper, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zur Diskussion um die Wasser-Flatrates siehe Amann, Melanie (2012): „Steigende Wasserpreise – Wasser marsch”, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.7.2012. 27. Die Bildung von größeren Zweckverbänden hilft hier nicht weiter, weil dadurch weder die Unteraus- lastung vermindert noch die Anpassung finanzierbar wird. Die Kosten des Rückbaus alleine den verblie- benen Bürgern aufzubürden, könnte die einzelne Gemeinde überfordern und – bei finanziellen Restrik- tionen – den notwendigen Rückbau unnötig lange verzögern. Die Förderung des Rückbaus durch über- geordnete Gebietskörperschaften dürfte kaum unerwünschte Verhaltensreaktionen auslösen, da die Überkapazitäten der Infrastruktur durch Entscheidungen in der Vergangenheit determiniert sind. Seite 24 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

V. Anpassungsträgheiten als Ergebnis des politischen Prozesses

Viele demografisch bedingte Kostenan- Ein wichtiger Grund für die mangelnde stiege haben ihre Ursache allerdings jenseits Anpassung trotz technischer Möglichkeiten des zuvor identifizierten Problems der Net- sind die erwähnten politischen Kosten; zinfrastruktur. Häufig erfordern öffentlich denn die Anpassung auf der Ausgabenseite bereitgestellte Güter (wie z. B. administra- erfordert oftmals als schmerzhaft empfun- tive Dienstleistungen) keine nennenswerte dene Eingriffe. So müssen Behörden physische Infrastruktur. Im Regelfall kann zusammengelegt und muss Personal abge- die öffentliche Leistung an die Bevölke- baut werden. Entsprechende Maßnahmen rungsgröße angepasst werden. Eingriffe wecken Widerstände bei den Betroffenen. übergeordneter Gebietskörperschaften sind Wenn sich Gemeinden Schwimmbäder und nicht notwendig; die Gemeinden wären Bibliotheken in den einzelnen Ortsteilen prinzipiell in der Lage, die notwendigen nicht mehr leisten können, sind Schließun- Anpassungen selbst vorzunehmen. Warum gen und Zusammenlegungen erforderlich. werden immer wieder notwendige Anpas- All das macht Anpassungen auf der Ausga- sungen verzögert, obwohl gerade die benseite unpopulär und für die Amtsinha- Demografie einigermaßen verlässlich pro- ber schwer durchsetzbar.29 gnostizierbar ist?28

28. Auf kommunaler Ebene ist die Demografieprognose zwar sehr viel weniger zuverlässig als auf Bun- des- oder Länderebene. Dennoch sind die Trends der nächsten zehn Jahre meist gut absehbar. Die Mobi- lität der Bevölkerung ist nicht so hoch, dass es plötzlich zu Sprüngen z. B. in der Zahl der Schulkinder käme. 29. Zugleich verschieben sich durch die Alterung der Gesellschaft die Mehrheiten in der Wählerschaft. Eine ältere Wählerschaft könnte vermehrt Leistungen durchsetzen, die dieser Bevölkerungsgruppe zugutekommt. Die Verschiebung hin zu öffentlichen Leistungen, die von den älteren Einwohnern bevor- zugt werden, wird durch den Wettbewerb um junge mobile Einwohner allerdings abgemildert. Der Wettbewerb kann bei der Koppelung der kommunalen Finanzen an die Einwohnerzahl sogar zu ineffi- zient vielen Leistungen für junge Einwohner in einer Gerontokratie führen; vgl. Montén, Anna und Mar- cel Thum (2010): „Ageing Municipalities, Gerontocracy and Fiscal Competition”, European Journal of Political Economy 26, 235-247. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 25

Der politische Druck führt besonders Eine Möglichkeit, das kommunale Leis- dann zu unnötigen Ausgaben und ineffi- tungsangebot (in der kurzen Frist) an die zient niedrigen Anpassungen, wenn die lokalen Gegebenheiten anzupassen, ohne Budgetbeschränkung der Gemeinden nicht sofort Einschnitte in das Leistungsangebot wirklich feststeht („Soft Budget Cons- selbst vornehmen zu müssen, besteht in der traint“). Wüssten die Bürger mit Sicherheit, Hebung von Effizienzreserven. Eine solche dass heutige Defizite unweigerlich höhere Steigerung der Effizienz öffentlicher Leis- Steuern nach sich ziehen und dass im Zwei- tungserstellung ist generell wünschenswert, fel der Gemeinde sogar die Insolvenz droht, sie wird in Gemeinden mit abnehmender wären sie mit Ausgabenwünschen sicher- Bevölkerung und damit schrumpfenden lich vorsichtiger. Wenn jedoch Gemeinden Budgets aber umso drängender. In den ver- von Zeit zu Zeit fallweise finanzielle Entlas- gangenen Jahren hat sich eine Vielzahl von tungen vom Land erhalten, wird ihre Bud- Studien der Effizienz des kommunalen Sek- getbeschränkung aufgeweicht. Der Anreiz, tors gewidmet.30 Diese Studien zielen dar- den Ausgabenwünschen einzelner Bevölke- auf ab, technisch mögliche Anpassbarkeit rungsgruppen nachzugeben und zu hohe (und damit die Effizienz) von politischen Ausgaben im Vergleich zur Finanzkraft zu und sozio-ökonomischen Einflüssen zu tätigen, steigt. Aus dieser Sicht sind diskre- trennen. Ein möglicher Ansatz besteht tionäre Entschuldungsprogramme, wie darin, den Effizienzgrad in der Leistungser- etwa der hessische „Kommunale Schutz- stellung für viele Gemeinden zu ermitteln schirm“ ab 2013, in ihrer langfristigen und beobachtete Unterschiede mit den Anreizwirkung durchaus kritisch zu sehen, sozio-ökonomischen und politischen Cha- denn es besteht die Gefahr, dass die einzel- rakteristika der Gemeinden zu erklären. nen Gemeinden auf die staatlichen Anpas- So zeigen sich beispielsweise für die sungsprogramme warten, anstatt selbst die Größe einer Gemeinde in verschiedenen erforderlichen Ausgabenkürzungen vorzu- Studien unterschiedliche Zusammenhänge nehmen. Besser wäre stattdessen mehr mit der Effizienz. Bei der Bereitstellung von kommunale Steuerautonomie, die das Land Kita-Plätzen steigt die Effizienz mit der Ein- vom Druck befreien würde, solche Ad-hoc- wohnerzahl der Gemeinde, beim Unterhalt Entlastungen vorzunehmen. von Kreisstraßen kann die Effizienz mit steigender Einwohnerzahl dagegen sin- ken.31

30. Für einen Überblick zu diesen Studien siehe Kalb, Alexander (im Druck): „What Determines Local Governments' Cost Efficiency? The Case of Road Maintenance“, Regional Studies sowie Kalb, Alexander, Benny Geys und Friedrich Heinemann (2012): „Value for Money? German Local Government Efficiency in a Comparative Perspective“, Applied Economics 44, 201-218. 31. Zur Untersuchung der Effizienz bei Kita-Plätzen siehe Montén, Anna und Christian Thater (2011): „Determinants of Efficiency in Child-Care Provision“, FinanzArchiv: Public Finance Analysis 67, 378-403; für den Unterhalt der Kreisstrassen siehe Kalb, Alexander (im Druck): a.a.O. Ein positiver Einfluss der Einwohnerzahl auf Effizienz wird auch von Sampaio de Sousa, Maria und Borko Stošić (2005): „Technical Efficiency of the Brazilian Municipalities: Correcting Nonparametric Frontier Measurements for Out- liers“, Journal of Productivity Analysis 24, 157-181 für Brasilien und Giménez, Victor M. und Diego Prior (2007): „Long- and Short-term Cost Efficiency Frontier Evaluations: Evidence from Spanish Local Governments“, Fiscal Studies 28, 121-139 für Spanien gefunden. Loikkanen, Heikki A. und Ilkka Susilu- oto (2005): „Cost Efficiency of Finnish Municipalities in Basic Service Provision 1994-2002“, Urban Public Economics Review 4, 39-64 ermitteln in Finnland einen negativen Einfluss. Seite 26 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Interessanterweise haben auch einige poli- einem Standort und führen letztendlich zu tische Variablen einen Einfluss auf die Effi- einer ineffizienten Verteilung der Bevölke- zienz von Gemeinden. So ist die Effizienz rung im Raum.34 Zweitens weichen solche im Mittel geringer, wenn die Gemeinde von Hilfen die Budgetrestriktion der Gemein- einem ehrenamtlichen statt von einem den weiter auf („Soft Budget Constraint“); hauptamtlichen Bürgermeister geführt die Hoffnung auf zukünftige Demografie- wird.32 Ehrenamtliche Bürgermeister tun hilfen für besonders belastete Gemeinden sich mit schmerzhaften Entscheidungen verringert die Anreize für die lokale Politik, wegen der – an sich wünschenswerten – demografiebedingte Anpassungen vorzu- sozialen Nähe zu ihren Mitbürgern mögli- nehmen und einen Kurs solider Kommu- cherweise besonders schwer. Die hohen nalfinanzen einzuschlagen.35 Statt durch Pro-Kopf-Aufwendungen sind dann aber diskretionäre Demografiehilfen die falschen nicht unbedingt Ausdruck von technischen Anreize zu setzen, sollten die übergeordne- Unteilbarkeiten, sondern von unzuläng- ten Gebietskörperschaften prioritär die fis- licher fiskalpolitischer Governance.33 kalpolitische Governance etwa durch lang- Die Ergebnisse zur Effizienz des kom- fristig planbare Budgetrestriktionen verbes- munalen Leistungsangebotes verdeut- sern. lichen, dass die vielfach beklagten Kosten- remanenzen ihre Ursache weniger in der Produktionstechnologie (Skalenerträge) als vielmehr im fehlenden politischen Gestal- tungswillen haben. Großzügige Demogra- fiehilfen, die die Wanderung der Menschen und Betriebe aus dünnbesiedelten Regionen abbremsen oder verhindern sollen, ver- schlimmern dann das Problem. Denn erstens verschleiern solche Hilfen die wah- ren Kosten bzw. den wahren Nutzen an

32. Vgl. Montén und Thater (2011), a.a.O. 33. Auch die politische Fragmentierung einer Gemeinde kann sich auf die Effizienz in der Bereitstellung auswirken. Stärker fragmentierte Gemeinden (viele Parteien mit kleinem Stimmanteil) haben in der Regel höhere Ausgaben, da unterschiedliche Interessen für eine mehrheitsfähige Entscheidung berück- sichtigt werden müssen. Für einen Überblick über empirische Arbeiten zur Weak-Governance-Hypo- these siehe Ashworth, John, Benny Geys und Bruno Heyndels (2005): „Government Weakness and Local Public Debt Development in Flemish Municipalities”, International Tax and Public Finance 12, 395-422. Egger, Peter und Marko Köthenbürger (2010): „Government Spending and Legislative Organization: Quasi-experimental Evidence from Germany“, American Economic Journal: Applied Economics 2(4), 200-212 zeigen, dass die Ausgaben einer Gemeinde auch mit der Größe des Gemeinderates ansteigen. 34. Mit einer solchen aktiven Demografiepolitik werden die teuren peripheren Räume bevölkerungsmä- ßig künstlich aufgebläht, da die Bürger in diesen Räumen nicht mit den gesellschaftlichen Kosten belas- tet werden. 35. Die Rechtfertigung, dass durch die Demografiehilfen der temporär schwierigen Lage einzelner Gemeinden Rechnung getragen werden soll, ist nicht überzeugend, da die demografischen Veränderun- gen keine vorübergehenden, kurzfristigen Schocks, sondern dauerhafte Prozesse darstellen. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 27

VI. Politische Widerstände bei drohendem Verlust der Zentrale-Orte-Funktion

Die politischen Widerstände gegen demo- Die Erfahrung zeigt, dass eine Revision grafiebedingte Anpassungsmaßnahmen des Zentralen-Orte-Systems konfliktbehaf- werden noch verstärkt, wenn den betroffe- tet ist, weil die Herabstufung einer nen Gemeinden der Verlust des Status eines Gemeinde mit dem Verlust von Infrastruk- zentralen Ortes droht. Eine Schlussfolge- tur, Status und Investitionszuweisungen rung in Kapitel 3 ist, dass die Gemeinden bzw. ungebundenen Finanzzuweisungen infolge des Bevölkerungsrückgangs auch verbunden ist. In solchen Fällen reicht es eine Einschränkung des Leistungsspek- nicht, bei den politisch Handelnden Ein- trums erwägen müssen. Dieses Leistungs- sicht in Sachnotwendigkeiten einzufordern. spektrum wird in manchen Ländern auch Vielmehr muss vom Verfahren her sicher- durch das Zentrale-Orte-System festge- gestellt sein, dass sachgerechte Lösungen schrieben. Die Landesplanung definiert die lokalpolitisch nicht einfach blockiert wer- zentralen Orte des jeweiligen Bundeslandes. den können. Zwei Möglichkeiten bieten Damit entscheidet sie zugleich über die sich an. Die eine besteht darin, die diskre- Zuordnung entsprechender Infrastruktur- tionäre Revision der Landesplanung mit elemente und hierdurch über die entspre- einer stärkeren regelbasierten Verbindlich- chenden Zuweisungen aus dem Landes- keit auszustatten. Die andere ist radikaler haushalt. Wenn sich im demografischen und ersetzt die diskretionäre Landespla- Wandel die räumliche Verteilung der nung durch eine regelbasierte Finanzförde- Bevölkerung ändert, muss die Landespla- rung. nung regelmäßig das Zentrale-Orte-System Eine höhere Verbindlichkeit lässt sich diskretionär anpassen. Denn nur dann etwa dadurch erreichen, dass die Landespla- reduziert sich für die Gemeinden das Aufga- nung in regelmäßigen Abständen einem benspektrum. bundesweiten Benchmarking unterworfen wird. Immer dann, wenn dieses Benchmar- king wesentliche Abweichungen vom Län- derdurchschnitt offenbart, müsste ein Seite 28 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

gesetzlicher Automatismus mit dem Ziel gen. Bei einem Rückgang der Bevölkerungs- der Angleichung in Gang gesetzt werden. zahl muss die Aufgabe einer Zentralen-Ort- Ein entsprechender Zwang wäre im Übri- Funktion dann nicht erst mühsam gegen gen nicht nur bei solcher Landesplanung politische Widerstände durchgesetzt wer- vorteilhaft, die allein die kommunale Ebene den. Vielmehr sinkt in der Einwohnerwer- betrifft. Er wäre auch für jene Landespla- tung des kommunalen Finanzausgleichs die nung zu fordern, bei der es zwischen den Mittelzuweisung automatisch – die not- Bundesländern einen Koordinierungsbe- wendige Anpassung des Leistungsspek- darf gibt. Ein entsprechendes Beispiel liefert trums wird einnahmeseitig erzwungen. der Krankenhausbereich mit seiner räum- Eine solche Anpassung der finanziellen lichen Inkongruenz von Nutzen und Kos- Mittel pro Einwohner bei Veränderung der ten. Der Nutzen eines Krankenhauses fällt Bevölkerungsgröße ist in manchen kom- typischerweise eher lokal oder regional an, munalen Finanzausgleichssystemen bereits während die Betriebskosten über die Kran- angelegt. Denn diese sehen vor, dass ein- kenversicherungen in der Regel bundesweit wohnerstärkeren Gemeinden höhere Mittel aufgebracht werden. Unter solchen pro Kopf, unter anderem zur Finanzierung Umständen kann es einem Bundesland mit zentralörtlicher Funktionen, zugestanden geringer Krankenhauskapazität nicht werden.37 Abbildung 5 gibt einen Überblick gleichgültig sein, wenn andere Länder weit- über die Einwohnerwertung (Hauptansatz- aus höhere Kapazitäten vorhalten. Das ist staffel) für die deutschen Flächenstaaten, aber im Krankenhausbereich der Fall. So die eine solche Gewichtung vornehmen. kamen im Jahr 2010 in Sachsen-Anhalt und Thüringen 7,1 bzw. 7,2 Betten auf 1000 Ein- wohner und in Nordrhein-Westfalen 6,8, in Baden-Württemberg dagegen nur 5,4.36 Soweit rein kommunale Belange betrof- fen sind, kann man auch erwägen, die dis- kretionäre Landesplanung durch eine regel- basierte Finanzförderung zu ersetzen. So könnte man die Planung zentraler Orte gänzlich aufgeben und entsprechende Bedarfe im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs durch eine stärkere Beto- nung der Einwohnerwertung berücksichti-

36. Bölt, Ute und Thomas Graf (2012): 20 Jahre Krankenhausstatistik, Statistisches Bundesamt, Wiesba- den. Würde man das Benchmarking auf den internationalen Bereich ausdehnen, würden noch krassere Unterschiede deutlich. In Deutschland kommen nach OECD-Daten 8,2 Krankenhausbetten auf 1000 Einwohner und damit eine Zahl, die lediglich in Japan übertroffen wird. Zum Vergleich: In der Schweiz kommen auf 1000 Einwohner 5,1 Krankenhausbetten, in den USA 3,1 und in Schweden 2,8. Die Zahlen- angaben beziehen sich hierbei auf 2009 als dem letzten Jahr, in dem für alle genannten Länder Zahlen ausgewiesen werden; siehe www.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/hospital- beds_20758480-table5 37. Die kommunalen Finanzausgleichssysteme (KFA) unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Der Anhang A.2 zeigt eine tabellarische Übersicht über die wichtigsten Komponenten des KFA in den einzelnen Ländern. Für einen Überblick siehe auch Lenk, Thomas und Hans-Joachim Rudolph (2003): Die kommunalen Finanzausgleichssysteme in der Bundesrepublik Deutschland, Arbeitspapier Nr. 25, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 29

Abbildung 5: Einwohnerwertung von Gemeinden im kommunalen Finanzausgleich (ausgewählte Bundesländer)

200

180

) 0 0 1 SN =

s 160 i

s NI a B (

BW g n

u HE t 140 h c

i BY w

e TH g r e

n BB

h 120 o SL w n i

E ST

100 NW

80 1.000 5.000 25.000 125.000 625.000 Einwohner

Anmerkung: Die Abbildung enthält kreisangehörige und kreisfreie Gemeinden. Sofern kreisfreie und kreis- angehörige Gemeinden außerhalb der Hauptansatzstaffel unterschiedlich behandelt werden, ist dies in der Abbildung nicht berücksichtigt. Quelle: Finanzausgleichsgesetze der Länder.

Die Einwohnerwertung fällt in den ein- die Einwohner von Gemeinden ab einer zelnen Bundesländern äußerst unterschied- bestimmten Größe fast mit doppeltem lich aus. Bundesländer, wie z. B. Thüringen, Gewicht berücksichtigt werden. Die gering- Brandenburg oder Sachsen, weisen insbe- ste Spreizung gibt es in Brandenburg, Hes- sondere bei sehr kleinen Gemeinden einen sen und Sachsen-Anhalt. Hier beträgt der relativ starken Anstieg in der Einwohnerge- größtmögliche Aufschlag lediglich 30 Pro- wichtung auf. In Ländern mit großteiligen zent. Die unterschiedliche Progression Gemeindestrukturen, wie Nordrhein-West- innerhalb der einzelnen Länder zeigt, dass falen, steigen die Einwohnergewichte nur mit der Einwohnerzahl steigende Aufga- langsam mit der Bevölkerungszahl an. Auch benlasten höchst unterschiedlich kompen- die Höhe der Aufschläge in der Einwohner- siert werden. Die Verläufe der Hauptansatz- gewichtung ist zwischen den Ländern sehr staffeln zwischen den verschiedenen verschieden. Die größte Differenz weist Bundesländern sind allerdings nur hierbei der Freistaat Sachsen auf, bei dem bedingt miteinander vergleichbar. Einige Seite 30 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Bundesländer (z. B. Sachsen-Anhalt und Hessen), die einen geringen maximalen Mehrbedarf für große Gemeinden einräu- men, berücksichtigen die Wahrnehmung zentralörtlicher Aufgaben außerhalb der Hauptansatzstaffel. Andere Bundesländer (z. B. Schleswig-Holstein) verzichten auf eine generelle Einwohnerwertung und stel- len die Mittel für zentralörtliche Funktio- nen separat bereit. Wenn im Zuge des Bevölkerungsrück- gangs die finanziellen Mittel zurückgehen, muss die Gemeinde selbst entscheiden, wel- che öffentlichen Leistungen aufgegeben werden. Die Anpassung über die Einwoh- nerwertung eliminiert zwar nicht die politi- schen Widerstände innerhalb der Gemeinde, erspart aber zumindest die kon- fliktträchtigen, diskretionären Entschei- dungen bei der Landesplanung.38

38. Das Land ist nur insofern gefordert, als es die Anreize zur Bereitstellung derjenigen öffentlichen Leis- tungen setzen muss, die starke Spillover-Effekte für das Umland auslösen. Bei öffentlichen Leistungen, von denen die Menschen im Umland profitieren, sind die Anreize des zentralen Ortes zur Bereitstellung ineffizient niedrig, da die Gemeinde die vollen Kosten trägt, die Vorteile aber teilweise außerhalb der Gemeinde anfallen. Die Korrektur dieser Externalität muss aber nicht planerisch über Vorgaben für zen- trale Orte erfolgen, sondern kann z. B. auch durch Bildung überregionaler Zweckverbände oder durch Kofinanzierung der betroffenen öffentlichen Leistungen erfolgen. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 31

VII. Anpassungsträgheiten als Ergebnis strategischen Verhaltens der Gemeinden

Die mangelnde Anpassung an die demogra- tonomie ist weitgehend auf die Realsteuern fischen Verhältnisse ist jedoch nicht nur beschränkt. Deren gesetzliche Bemessung durch politische Hemmnisse in den weicht zudem von den theoretischen Erfor- Gemeinden zu erklären. Auch strategisches dernissen stark ab, wie der Beirat in seiner Verhalten trägt zu Kostenremanenzen bei. Stellungnahme vom Dezember 2010 deut- Die Gemeinden verzögern notwendige lich gemacht hat.40 Ein Großteil der Einnah- Anpassungen u.U., um sich einen strategi- men fließt den Gemeinden exogen über den schen Vorteil gegenüber den Nachbarge- (vertikalen) Finanzausgleich zu. Im meinden zu verschaffen. Was aus der Sicht beschränkten Fiskalwettbewerb Deutsch- der einzelnen Gemeinde vernünftig lands bleiben den Gebietskörperschaften erscheinen mag, ist aus gesamtgesellschaft- allenfalls auf der Ausgabenseite nennens- licher Perspektive indessen kontraproduk- werte Entscheidungsspielräume. Schließ- tiv. lich unterstellt idealer Fiskalwettbewerb, In einem idealen Fiskalwettbewerb wür- dass sich die Gemeinden in ihrer Politik den die Gebietskörperschaften mit Steuern „preisnehmend“ und nicht strategisch ver- und öffentlichen Leistungen in effizienter halten. Auch diese Annahme ist wirklich- Weise um Einwohner konkurrieren.39 Auf keitsfremd. Bei kommunalen Entscheidun- allokativ begründete Eingriffe in den Stand- gen werden die Interaktionen mit den ortwettbewerb könnte man verzichten. Die Nachbargemeinden und dem Land sehr notwendigen Voraussetzungen sind in der wohl berücksichtigt. Bei den Fragen, die Realität aber nicht gegeben. So sind Men- eine schrumpfende Bevölkerung für die fis- schen nicht so perfekt mobil, wie die Theo- kalpolitische Governance aufwirft, sind rie oftmals unterstellt. Auch verfügen die daher vor allem die Anreize für strategi- Gemeinden nicht über eine hinreichend sches Verhalten in den Blick zu nehmen. große Flexibilität bei der Generierung von Einnahmen. Die kommunale Einnahmeau-

39. Vgl. Tiebout, Charles M. (1956): „A Pure Theory of Local Expenditures“, Journal of Political Economy 64, 416-424. 40. Wissenschaftlicher Beirat beim BMF (2010): Reform der Grundsteuer, Stellungnahme. Seite 32 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Einen Bevölkerungsschwund wird eine Eine Möglichkeit besteht in Gebiets- und Gemeinde nicht einfach passiv hinnehmen. Verwaltungsreformen, bei denen kleine Sie wird vielmehr an den gegebenen öffent- Gemeinden zu größeren Einheiten ver- lichen Leistungen möglichst lange festhal- schmolzen werden, bzw. in der Bildung von ten wollen.41 Denn wenn die Schulen, kommunalen Zwangsverbänden, die der Ämter, Schwimmbäder usw. im eigenen Ort Erstellung einzelner öffentlicher Leistun- noch verfügbar sind, in der Nachbarge- gen dienen.42 Dies löst zumindest das War- meinde aber nicht mehr oder nur in redu- tespiel zwischen Gemeinden. Die Politik ziertem Umfang, bleibt die eigene muss hierbei zwischen lokaler Identität und Gemeinde für neue Bewohner attraktiver. Steuerung der Anpassung abwägen. Die Sie wahrt die Chance, zu Lasten der Nach- Abwägung spiegelt sich auch in den erheb- bargemeinde zu gewinnen, und sie kann, lichen Unterschieden wider, die bei den wenn diese Strategie Erfolg hat, zentralört- Gemeindegrößen auf Länderebene zu beob- liche Funktionen länger aufrechterhalten achten sind. Diese Unterschiede lassen sich und u. U. sogar verhindern, dass kritische nicht allein demografisch erklären, sondern Bevölkerungsgrößen unterschritten wer- verweisen auf einen unterschiedlich star- den. ken Gestaltungswillen der Politik. So leben Solches Verhalten wird besonders dann beispielsweise in Thüringen über 11 Pro- zum Problem, wenn die Gesamtbevölke- zent der Bevölkerung in Kleinstgemeinden rung konstant ist oder sogar schrumpft. Die unter 1.000 Einwohnern, in Sachsen beträgt Konkurrenz um Einwohner mit strategisch der Anteil dagegen nur 0,2 Prozent. In gewählten Ausgabeprogrammen ist dann Rheinland-Pfalz ist der Anteil mit über 16 letztlich ein Negativsummenspiel. Im Prozent deutlich größer als im ebenfalls Gleichgewicht stellen die Gemeinden ländlich geprägten Baden-Württemberg öffentliche Leistungen bereit, die bei der mit 0,4 Prozent.43 Abbildung 6 zeigt für die gegebenen Bevölkerungszahl zu umfang- Jahre 1995 bis 2010 die durchschnittliche reich bemessen sind. Die notwendige Einwohnerzahl je Gemeinde für die ost- Anpassung wird zu lange hinausgeschoben. deutschen Flächenländer, die im gesamten Übergeordnete Gebietskörperschaften soll- Zeitraum durch den Rückgang ihrer Bevöl- ten diesem Wartespiel nicht tatenlos zuse- kerung geprägt waren. Interessant sind hen. Ihr Ziel muss es sein, auf die Anpas- dabei weniger die Niveauunterschiede als sung ineffizienter Leistungen hinzuwirken vielmehr die Veränderungen über die Zeit. und das Wartespiel zu überwinden.

41. Beim Marktaustritt von Firmen kann es zu ähnlichen Wartespielen kommen; siehe Ghemawat, Pankaj and Barry Nalebuff (1985): „Exit“, Rand Journal of Economics 16, 184-194. Das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) sah – bis zur 7. Novelle im Jahr 2005 – als Ausnahme das Strukturkri- senkartell vor, um Unternehmen die Kapazitätsanpassung bei strukturell gesunkenener Nachfrage zu ermöglichen. 42. Die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften auch gegen den Willen der Gemeinden ist bereits jetzt zum Teil aus Gründen des öffentlichen Wohls zulässig, so z. B. in Art. 2 (1) der Verwaltungsgemein- schaftsordnung für den Freistaat Bayern. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass ohne erhebliche fiskalische Zugeständnisse Fusionen von oben nur schwer durchzusetzen sind und durch Klagen der betroffenen Gemeinden oft lange verzögert werden. Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hatte eine Kreisreform, welche außergewöhnlich flächengroße Kreise neu gebildet hatte u.a. deshalb verwor- fen, weil die Entfernung zur Kreisstadt u.U. zu groß werden könne, LVerfG MV, LKV 2007, 1144. 43. Vgl. Statistisches Bundesamt (2012) Daten aus dem Gemeindeverzeichnis – Gemeinden in den Län- dern nach Einwohnergrößenklassen, Gebietsstand: 31.12.2011, Oktober 2012, online. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 33

Während Mecklenburg-Vorpommern und diesem Wege lassen sich kommunale Leis- Thüringen die Gemeindestrukturen so ver- tungen in räumlicher Nähe der Bevölke- ändert haben, dass die Einwohnerzahlen je rung aufrechterhalten, ohne dass es zu inef- Gemeinde in etwa konstant blieben, haben fizienten Doppelungen kommt. Eine ent- die anderen drei ostdeutschen Flächenlän- sprechende Politik hat zu beachten, dass der größere Reformen durchgeführt, die die Hilfen nicht pauschal gewährt werden, son- Zahl der Gemeinden sogar drastisch redu- dern dass mit den gegebenen Anreizen ziert haben. allein die rasche Anpassung an schrump-

Abbildung 6: Durchschnittliche Gemeindegrößen in den ostdeutschen Flächenländern

12000

10000

e ß ö r g

e 8000 d n i e m

e ST G

e 6000 SN h c i l BB t t i

n TH h c s 4000

h MV c r u D

2000

0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Jahr

Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, „Feststellung des Gebietsstandes: Zahl der Gemeinden“ und „Bevölkerungsstand: Bevölkerung nach Geschlecht“, Stichtag 31.12.

Eine andere Möglichkeit zur Verhinde- fende Bevölkerungszahlen honoriert wird.45 rung strategischer Wartespiele setzt auf Das verlangt nicht zuletzt, dass Anpas- finanzielle Anreize für die freiwillige sungshilfen nur für einen befristeten Zei- Zusammenarbeit von Gemeinden.44 Auf traum gewährt werden.

44. Die Einwohnerwertung im kommunalen Finanzausgleich setzt solche Anreize für freiwillige Zusammenschlüsse, wenn große Gemeinden höhere Mittelzuweisungen bekommen als kleine; siehe Homburg, Stefan (1994): „Anreizwirkungen des deutschen Finanzausgleichs“, FinanzArchiv / Public Finance Analysis 51, 312-330. 45. Zusammenschlüsse von Gemeinden sollten schon deshalb rasch erfolgen, da die betroffenen Gemeinden im Vorfeld exzessive Anreize zur Verschuldung haben; siehe Jordahl, Henrik und Che-Yuan Liang (2009): „Merged Municipalities, Higher Debt: On Free-riding and the Common Pool Problem in Politics”, Public Choice 143, 157-172. Seite 34 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

VIII. Bevölkerungsschwund als verteilungspolitisches Problem

Die bisherigen Überlegungen basierten rung der Bevölkerungsstruktur rechnen. überwiegend auf dem Allokationsziel. Der Politik kann eine solche Entwicklung Bevölkerungsschwund stellt aber nicht nur nicht gleichgültig sein. Selbst wenn diese eine allokationspolitische, sondern auch politische Aufgabe nicht infrage steht, muss eine verteilungspolitische Herausforderung man gleichwohl auf Lösungen drängen, die dar. Es ist ja keineswegs so, dass sich der das Verteilungsproblem unter Beachtung demografische Wandel auf die unterschied- der allokationspolitischen Erfordernisse lichen Gruppen und Schichten der Bevölke- möglichst zielgenau adressieren. rung gleichmäßig auswirkt. Der demografi- Ein erster Schritt bei der Suche nach ver- sche Wandel geht vielmehr mit gruppen- tretbaren Lösungen des aufgezeigten Ziel- spezifischen Wanderungsbewegungen ein- konflikts besteht in der Vermittlung der her. Typischerweise wandern erwerbswil- Einsicht, dass nicht die Regionen unter dem lige Menschen. Das sind überwiegend junge Bevölkerungsschwund leiden, sondern die und gut qualifizierte Personen, und damit dort verbleibenden Menschen. Denn das Personen mit überdurchschnittlich guten Verteilungsproblem besteht, wie in den Einkommensperspektiven. Davon profitie- vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, ren die Zuwanderungsregionen, während weniger darin, dass die Qualität der öffent- die Abwanderungsregionen solche Perso- lichen Leistungen rapide zurückgeht. Die nen verlieren. Zurück bleiben überwiegend Aufrechterhaltung öffentlicher Leistungen Menschen, die nicht länger erwerbsfähig mag allenfalls in peripheren, sehr dünn sind oder die als Erwerbspersonen nur besiedelten Regionen, insbesondere hin- wenig mobil sind. Da Mobilität stark mit sichtlich der Erreichbarkeit von zentralen beruflicher Qualifikation und Einkommen Orten, ein nennenswertes Problem darstel- korreliert, muss man in den Abwande- len.46 Das Verteilungsproblem liegt viel- rungsregionen mit einer prekären Verände- mehr auf individueller Ebene, weil Perso-

46. Einige der Leistungen privater Märkte wie die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen gehen mit der Abnahme der Bevölkerung ebenfalls zurück. Die Schließung der letzten Tante Emma Läden ist beredtes Beispiel dieser Entwicklung. Allerdings gibt es hier auch zahlreiche marktwirtschaftliche Lösungen, wie z. B. die mobile Sparkasse oder Lieferdienste von Lebensmittelläden. Um auch bei den öffentlichen Leistungen die Anpassungsprobleme in peripheren Regionen zu meistern, ist gerade die dezentrale Suche nach Lösungen und die Vielfalt der verschiedenen Ansätze hochproduktiv; für einige best-practice Beispiele siehe beispielsweise http://www.demographiekonkret.de. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 35

nen eher am unteren Ende der Einkom- Der demografische Wandel ist demge- mens- und Vermögensverteilung zurück- genüber nicht als ein transitorischer Schock bleiben, weil deren soziale Netzwerke47 zer- zu begreifen. Er steht für eine langfristige brechen oder weil im Alter die Möglichkei- Entwicklung, und zwar ohne absehbare ten familiärer Pflege durch (wegziehende) Umkehr. Der regionalen Versicherung auf junge Generationen erschwert werden. Gegenseitigkeit fehlt hier die Grundlage. Es Anders gewendet, sollten Menschen mit ist nicht zu erwarten, dass sich die Räume, ihren individuellen Nöten und nicht etwa die sich als Folge des demografischen Wan- Regionen als Verwaltungseinheit bei Bevöl- dels leeren, in absehbarer Zeit wieder füllen. kerungsschwund Ziel politischer Interven- Die Gemeinden sollten versuchen, durch tion sein. Nur so werden unnötige Streu- individuelle und differenzierte Herange- und Mitnahmeeffekte vermieden.48 hensweisen, die lokal jeweils beste Antwort Wenn die traditionelle Regionalpolitik, auf den demografischen Wandel zu finden. die für Naturkatastrophen oder für die Här- Die Bundes- und Landespolitik sollte es ten des Strukturwandels einen Ausgleich aber unterlassen, Hoffnungen auf eine sucht, den gegenteiligen Ansatz verfolgt, Umkehr der demografischen Entwicklung gibt es dafür vertretbare Gründe. So kann es zu schüren und mit finanziellen Mitteln zu sein, dass sich einzelne Regionen als Folge fördern. Bei Bevölkerungsschwund kann es eines (asymmetrischen) Schocks einem vor- nicht darum gehen, die Folgen für die übergehenden Anpassungsprozess ausge- betroffenen Regionen ungeschehen zu setzt sehen. In einer solchen Situation lei- machen, sondern allenfalls darum, die indi- den nicht nur alle Bevölkerungsgruppen viduellen Folgen für die betroffenen Men- relativ gleichmäßig, man darf auch erwar- schen zu mildern.49 ten, dass die Regionen nach Überwindung Konkret heißt das etwa, dass Förderpro- der Krise auf einen normalen Wachstums- gramme des Bundes oder der Länder zu pfad zurückkehren. Der transitorische Gunsten alter Menschen in Abwanderungs- Charakter von Strukturschocks liefert die regionen eher zu vertreten sind als Förder- Rechtfertigung für regionale Ausgleichsme- programme, die darauf zielen, jungen Men- chanismen, die sich als regionale Versiche- schen die Abwanderung zu ersparen. Dies rung auf Gegenseitigkeit deuten lassen wie ist so, weil alte Menschen weniger mobil auch der Finanzausgleich, der auf Dauer sind und im Sinne des oben beschriebenen angelegt ist. Eine solche Versicherung ergibt Verteilungsproblems eher als unterstüt- einen Sinn, weil die Aussicht besteht, dass zungswürdig gelten können als junge Men- auf schlechte Tage gute folgen werden. schen, von denen man erwarten kann, dass sie auch andernorts Chancen wahrnehmen.

47. Hierzu gehören nicht nur die familiären Bindungen sondern auch Vereine, kirchliche Einrichtungen, Nachbarschaftshilfen etc. 48. Bei der Debatte um die verteilungspolitischen Härten des demografischen Wandels darf auch nicht übersehen werden, dass die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit Aufgabe des gesamtstaatlichen Steuer-Transfer-Systems ist und dass zusätzliche Ausgleichsmechanismen auch Ungerechtigkeiten erzeugen können. Da die Lebenshaltungskosten in peripheren Regionen in der Regel niedriger sind, haben Transfers dort sogar eine höhere Kaufkraft als in den Ballungsräumen und kompensieren so einen Teil der häufig beklagten Standortnachteile. 49. Auch in der Demografiestrategie der Bundesregierung werden regionale Chancengleichheit, die unter anderem durch öffentliche Infrastrukturen sichergestellt wird, und personelle Einkommensvertei- lung vermengt, wenn es dort heißt: „Konkret geht es vor allem um die Unterstützung einer regional aus- gewogenen Einkommens- und Beschäftigungsentwicklung.“ [vgl. BMI (2012), a.a.O.; 32]. Seite 36 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

IX. Zusammenfassung und Schlussfolger- ungen: Fiskalpolitische Eigenverantwor- tung bei schrumpfender Bevölkerung

Die Gebietskörperschaften aller Ebenen 1. Zwischen der Einwohnerzahl und den sehen sich angesichts des demografischen Kosten für die meisten öffentlichen Leis- Wandels mit tiefgreifenden Anpassungser- tungen besteht weitgehend Proportiona- fordernissen konfrontiert. Im kleinräumi- lität. Bei einem Rückgang der Bevölke- gen Bereich sind die Folgen von Bevölke- rung können – bei geeigneter Anpassung rungsrückgängen besonders stark zu spü- – sowohl die Kosten je Einwohner als ren, da hier anders als auf Bundes- oder auch die Qualität der wesentlichen öf- Landesebene kein Ausgleich zwischen fentlichen Leistungen konstant gehalten schrumpfenden und wachsenden Regionen werden. Demografiehilfen, bei denen Ge- möglich ist. Gerade die Gemeinden stellt meinden allein wegen abnehmender der demografische Wandel daher vor Einwohnerzahlen höhere Finanzmittel besonders große Probleme. Der Beirat hat gewährt werden, sind nach Ansicht des sich in dieser Stellungnahme mit der Frage Beirats abzulehnen.50 auseinandergesetzt, wie die übergeordneten 2. Anpassungshilfen könnten bei der Gebietskörperschaften die notwendigen Netzinfrastruktur, wie z. B. der Wasser- Anpassungsprozesse auf kommunaler versorgung, angezeigt sein. Ohne einen Ebene begleiten sollen. Folgende Schluss- Rückbau der vorhandenen Infrastruktur folgerungen sind zu ziehen: können bei rückläufiger Bevölkerung die fixen Kosten pro Kopf stark ansteigen. Um die Infrastruktur der sinkenden Be- völkerungszahl anzupassen, können eng begrenzte und zweckgebundene finan- zielle Rückbauhilfen vertretbar sein. In solchen Fällen ist die Gefahr, dass die Aussicht auf Förderung unerwünschte Anreizeffekte auslöst, relativ gering, da die überdimensionierte Auslegung der Infrastruktur der Vergangenheit anzulas- ten ist. 50. Allerdings muss den Gemeinden der Spielraum für die notwendigen Anpassungsmaßnahmen offen stehen. Sofern Standards für die öffentlichen Leistungen eine Anpassung verhindern, müssen diese Standards abgebaut oder mit Öffnungsklauseln versehen werden. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 37

3. Ein großer Teil der Trägheiten in der 5. Lokalpolitischen Widerständen gegen Anpassung an schrumpfende Einwoh- landesplanerische Konsequenzen kann nerzahlen hat politische Ursachen. Das man auch dadurch begegnen, dass die Abschmelzen öffentlicher Leistungen Landesplanung mit einem höheren Maß oder die Zusammenlegung von Einrich- an regelbasierter Verbindlichkeit ausge- tungen mit solchen in Nachbargemein- stattet wird. den sind in der Regel unpopuläre Maß- 6. Anpassungsverzögerungen resultieren nahmen. Kommunalpolitiker tun sich in auch aus strategischem Verhalten der solchen Fällen schwer, die notwendigen Gemeinden. Die einzelne Gemeinde hat Anpassungen einzuleiten und riskieren einen Anreiz, öffentliche Leistungen mitunter Defizite in den kommunalen möglichst lange aufrecht zu erhalten, um Haushalten. Übergeordnete Gebietskör- im Wettbewerb um die Ansiedlung von perschaften fördern diese Neigung, wenn Einwohnern und Gewerbe möglichst at- sie von Zeit zu Zeit diskretionäre Ent- traktiv zu erscheinen. Wenn sich alle Ge- schuldungshilfen gewähren. Solche Hil- meinden so verhalten, geht die Rech- fen lockern, wenn sie Teil der politischen nung nicht auf. Dieses „Wartespiel“ pro- Praxis werden, die kommunale Ausga- duziert unnötige Kosten. Bund und Län- bendisziplin („Soft Budget Constraint“); der sollten ihre Demografiepolitik auf der Anreiz der Gemeinden steigt, not- die Überwindung des Wartespiels aus- wendige Anpassungsmaßnahmen hin- richten. Betroffene Gemeinden sollten auszuzögern. unterstützt werden, wenn öffentliche 4. Die politischen Widerstände sind be- Leistungen vor Ort aufgegeben oder mit sonders groß, wenn als Folge des Bevöl- solchen in Nachbargemeinden zu- kerungsrückgangs einer betroffenen Ge- sammengelegt werden. meinde ein Verlust der Zentrale-Orte- 7. Der demografische Wandel birgt auch Funktion droht. Daraus resultierenden verteilungspolitische Härten. Diese soll- Widerständen kann das Land dadurch ten aber zielgerichtet durch Hilfen für begegnen, dass die Mittelvergabe an die Menschen statt für Regionen gemildert Gemeinden weniger an der planerischen werden. Denn unter dem Bevölkerungs- Einteilung im Zentrale-Orte-System an- schwund leiden nicht Regionen als sol- knüpft und stattdessen stärker die Ein- che, sondern allenfalls diejenigen Bevöl- wohnerwertung im kommunalen Fi- kerungsgruppen, die wegen Alters oder nanzausgleich nutzt. Denn durch die mangelnder beruflicher Qualifikation in Einwohnerwertung sinken die verfügba- ihrer Mobilität stark eingeschränkt sind. ren Mittel pro Kopf automatisch und die Gemeinden sehen sich gezwungen, ge- eignete Anpassungen in den öffentlichen Leistungen vorzunehmen. Seite 38 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Die diskutierten Anpassungsprobleme Die Anpassung an den demografischen zeigen, dass es für die politische Bewälti- Wandel muss daher dezentral erfolgen. gung der ökonomischen Folgen räumlich Diese Forderung stellt indessen die überge- diskrepanter Bevölkerungsveränderungen ordneten Gebietskörperschaften vor beson- keine einfachen Lösungen gibt. Insbeson- dere Herausforderungen. Bund und Länder dere ist die Frage nach der optimalen müssen darauf achten, dass die Kosten ver- Zuweisung von steuerungspolitischen Ver- nachlässigter Anpassung nicht zunehmend antwortlichkeiten nicht eindeutig zu beant- und schleichend auf sie abgewälzt werden. worten. Die polaren Lösungsansätze der Ist es erst einmal akzeptierte Politik, notlei- Zentralisierung und der Dezentralisierung dende Gemeinden mit großzügig bemesse- haben beide ihre spezifischen Nachteile. nen Hilfen zu unterstützen, könnte dies auf Bei der Vielfalt demografischer Entwick- lokaler Ebene die Budgetdisziplin schwä- lungsformen und der Heterogenität der chen. Umso wichtiger ist vorbeugende Poli- Bürgerpräferenzen wäre es unvertretbar, tik. Die fiskalpolitische Governance des das Anpassungsproblem alleine durch zen- demografischen Wandels muss das Inter- trale Steuerung lösen zu wollen. Zentrale esse aller Gebietskörperschaften wachhal- Steuerung bedeutet in der Praxis Verzicht ten, die längerfristigen Konsequenzen poli- auf Differenzierung. Genau diese ist aber bei tischer Entscheidungen gebührend zu räumlich diskrepanten Bevölkerungsverän- berücksichtigen. Die Autonomie bei laufen- derungen notwendig. Der demografische den Budgetentscheidungen ist ohne Ver- Wandel wirkt sich in dünn und dicht besie- antwortung für die sich daraus ergebenden delten Räumen ganz unterschiedlich aus, Folgen nicht zu rechtfertigen. wachsende Regionen stehen vor anderen Herausforderungen als schrumpfende, und urbane Regionen benötigen andere Strate- gien als periphere. Der Verzicht auf Diffe- renzierung wäre da der falsche Weg. Diffe- renzierte Angebote sind aber mit zentraler Steuerung kaum zu verwirklichen. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 39

Anhang

Anhang A.1: Bevölkerungsgröße und Kosten der Erstellung öffentlicher Leistungen

Tabelle A.1: Übersicht über empirische Befunde zum Zusammenhang zwischen Bevölkerungsgröße und Aufwendungen für regionale öffentliche Leistungen

Tabelle A.2: Zentrale Bausteine kommunaler Finanzausgleichssysteme in Deutschland Seite 40 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Anhang A.1: Bevölkerungsgröße und Kosten der Erstellung öffentlicher Leistungen

Der Zusammenhang zwischen der bereitgestellten öffentlichen Leistung G und der individuell konsumierbaren Qualität q kann durch folgende Gleichung dargestellt werden: q = G / N D , wobei N die Bevölkerungszahl darstellt und ߙ den Grad der Verdrängung in der Nutzung der öffentlichen Leistung (Crowding- oder Verdrängungsparameter). Nun wird unterstellt, dass sich das lokale Leistungsangebot an den Wünschen des Medianwählers orientiert. Dieser zieht Nutzen aus privatem Konsum X und aus dem individuellen Konsum q der öffentlichen Leistung, so dass U = U(X,q). Der Preis des privaten Konsumgutes wird auf 1 normiert. Für das öffentlich bereitgestellte Gut G, welches zum Preis p je Einheit erstellt wird, trägt der Medianwähler eine Finanzierungslast t. Bei einem Einkommen Y sieht er sich daher der Budget- ൑ܻ gegenüber. Unter bestimmten Anforderungen an dieܩڄ݌ڄBeschränkung ܺ൅ݐ Nutzenfunktion lässt sich folgende Nachfragefunktion nach dem öffentlich ఈሺଵାఋሻ. Wenn es sich bei demܰڄ ఌܻڄ ݌ሻఋڄሺݐڄൌ݇ܩ :bereitgestellten Gut ableiten öffentlich bereitgestellten Gut um ein normales Gut handelt, sollte die Nachfrage nach G negativ vom Finanzierungsanteil (ߜ൏Ͳሻ und positiv vom Einkommen des Medianwählers (ߝ൐Ͳሻ abhängen.

Da die wahre öffentliche Leistung G in der Regel schwer zu erfassen ist, werden Hierzu wird die .(ܩ ڄ ൌ ݌ ܧ) stattdessen die kommunalen Ausgaben herangezogen Nachfragefunktion zunächst mit dem Preis der Bereitstellung, p, multipliziert. Durch Logarithmieren wird die modifizierte Nachfragefunktion schließlich in ein lineares ሺܰሻǤŽ ڄ ሺܻሻ ൅ ߛŽڄሺ݌ሻ ൅ߝŽڄ ሺݐሻ ൅ ሺɁ൅ͳሻŽ ڄ ሻ ൌ ܿ ൅ ɁܧModell überführt: Žሺ

Aus dieser Schätzgleichung lässt sich für jede kommunale Leistung, für die ஓ Ausgabeninformationen vorliegen, der Verdrängungsparameter Ƚ über Ƚൌ ሺଵାஔሻ ermitteln. Die verschiedenen Schätzungen für diesen Verdrängungsgrad Ƚ sind in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt. Bei einem Wert von Null handelt es sich um ein reines öffentliches Gut, bei dem die Veränderung der Einwohnerzahl die Qualität in der Nutzung für jeden einzelnen Bürger nicht verändert; die Kosten der Bereitstellung variieren hier nicht mit der Bevölkerungszahl. Bei einem Wert von 1 muss für jeden zusätzlichen Einwohner dieselbe zusätzliche Menge an öffentlicher Leistung bereitgestellt werden, wenn die Nutzungsqualität nicht sinken soll; hier sind die Bereitstellungskosten proportional zur Bevölkerung, bei Werten über (unter) 1 steigen die Kosten überproportional (unterproportional) in der Bevölkerungsgröße. Ein Haushalt für Europa – Stellungnahme zum neuen mehrjährigen Finanzrahmen der EU Seite 41 z 1,33 8 0,92 1,50 1,22 1,32/1,58 Feuerschutz & Bibliotheken Kultur Straßennet 1,94/0,77/1,79 1 e i r 0,8 o g e t a k n e b a g s 7 u 10 A 0,74 1,63/0,93 lung Bildung Regionale Höhere Bildung Gesundheit 07 0,96 0,56 0,89 2,59 35 1,35 0,98 0,97 1,66 0,98 1,10 1,02 1,05/1,00 1,05/1,09 0,82 1 1,01 0,93/0,87 Allgemeine AusgabenAllgemeine Polizei Parks Erho und e t r 3 e e i n s e inde 0,47/0,9 0,39/0,67 0,69/1,26 y l b a E meinde 0,83 1,14 0,89 2,30 n A Aggregat d n D Gemeinde 1,08 1,00-1,44 1,78 a USA Gemeinde 1,09 1,07 1,44 USA USA GemeindeUSA Gemeinde 1,47/1,16 1,50/1,16USA Gemeinde 2,01/1,61 1,47/1,56 1,02/1,01/0,96 0,21/1,36 0,95/0,93/0,65 3,63/1,36 USA Kreis 1,01 L für regionale öffentliche Leistungen Kanada Gemeinde 1,30 2,19 Schweiz Gemeinde 0,99 1, 9 4 5 e i 6 d 2451234 6 7 89101112 u t S 2 Zimmermann (1983) USA Aggregat 0,99 Hayes (1985) Santerre (1985) USA Gemeinde 1, Bergstrom & Goodman (1973) Borcherding & Deacon (1972) Pommerehne (1978)Pommerehne & Frey Schweiz(1976) Ge Vehorn (1979) USA Gemeinde McGreer & McMillan McMillan & McGreer (1993) Gramlich & Rubinfeld & Rubinfeld Gramlich (1982) Hayes (1986) USA Gemeinde 0,91 0,95 Edwards (1990) (1993) et al. Gonzales USA Gemeinde 1,11 1,07 1,18 1,06 2,74 Thater (2009) D Gemeinde Bothe (1989) (1976)Clothfelter Edwards (1986) USA D Staat Gemeinde 0,77 - 1,25 McMillan (1989) (1981) et al. McMillan Kanada Kanada Geme Gemeinde Ragnitz et al. (2012) Ragnitz et al. Pack & Pack (1978) USA Gemeinde 1,19 1,63 1,36 Tabelle A.1: Übersicht über empirische Befunde zum Zusammenhang zwischen Bevölkerungsgröße und Aufwendungen Seite 42 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

1. Die Zahlenwerte in der Tabelle geben den geschätzten Verdrängungsgrad durch zusätzliche Einwohner bei verschiedenen öffentlichen Leistungen an, d.h. wie sehr weitere Einwohner die Nutzungsqualität einer öffentlichen Leistung mindert. Bei einem Wert von Null handelt es sich um ein reines öffentliches Gut, bei dem die Veränderung der Einwohnerzahl die Qualität in der Nutzung für jeden einzelnen Bürger nicht ver- ändert; die Kosten der Bereitstellung variieren hier nicht mit der Bevölkerungszahl. Bei einem Wert von 1 muss für jeden zusätzlichen Einwohner dieselbe zusätzliche Menge an öffentlicher Leistung bereitgestellt werden, wenn die Nutzungsqualität nicht sinken soll; hier sind die Bereitstellungskosten proportional zur Bevölkerung, bei Werten über (unter) 1 steigen die Kosten überproportional (unterproportional) in der Bevölkerungsgröße. 2. Die Ergebnisse links (rechts) des Trennstriches basieren auf einer Stichprobe, welche Bundesstaaten mit einem geringen (hohen) Arbeitsanteil in der Produktion beinhaltet. 3. Die Daten wurden auf Ebene der US-Bundesstaaten aggregiert. 4. Die Ergebnisse links des Trennstriches spiegeln Gebietskörperschaften mit weniger als 10.000 Einwoh- nern wider, die zweite Zahl repräsentiert die übrigen. 5. Die Ergebnisse links des Trennstriches spiegeln Daten von 1962 wider, die zweite Zahl repräsentiert Daten von 1977. 6. Die Ergebnisse gelten für unterschiedliche Regionen in und außerhalb der Metropolregion Chicago. 7. Die Ergebnisse links des Trennstriches gelten für Schulbezirke mit weniger als 2.000 Schülern, die zweite Zahl repräsentiert Bezirke mit 2.000 – 10.000 Schülern. 8. Die Ergebnisse links des Trennstriches gelten für Gebietskörperschaften mit 1.000 - 5.000 Einwohnern, die zweite Zahl gilt für 5.000 - 50.000 Einwohner. 9. Gemeinden des Freistaats Sachsen 10. Die Ergebnisse gelten für kommunale Bereitstellung von Kinderbetreuung im Freistaat Sachsen.

Quellen: Die Tabelle ist eine Aktualisierung des Überblicksbeitrags von Reiter, Michael und Alfons Wei- chenrieder (1997): „Are Public Goods Public? A Critical Survey of the Demand Estimates for Local Public Services”, FinanzArchiv: Public Finance Analysis 54, 374-40. Die Originalquellen sind: Bergstrom, Theo- dore C. und Robert P. Goodman (1973): „Private Demand for Public Goods“, American Economic Review 63, 280-296. Borcherding, Thomas E. und Robert T. Deacon (1972): „The Demand for the Services of Non- federal Governments“, American Economic Review 62, 891-901. Bothe, Adrian (1989): Die Gemeindeaus- gaben in der Bundesrepublik: Ein nachfrageorientierter Erklärungsansatz, Kieler Studien Nr. 226, Tübin- gen. Clothfelter, Charles T. (1976): „Public Spending for Higher Education: An Empirical Test of Two Hypotheses“, Public Finance 31, 177-195. Edwards, John H.Y. (1986): „A Note on the Publicness of Local Goods: Evidence from New York State Municipalities”, Canadian Journal of Economics 19, 568-573. Edwards, John H.Y. (1990): „Congestion Function Specification and the 'Publicness' of Local Public Goods”, Journal of Urban Economics 27, 80-96. Gonzales, Rodolfo A., Tom S. Means und Stephen L. Mehay (1993): „Empirical Tests of the Samuelsonian Publicness Parameter: Has the Right Hypothesis Been Tested?”, Public Choice 77, 523-534. Gramlich, Edward M. und Daniel L. Rubinfeld (1982): „Micro Estimates of Public Spending Demand Functions and Tests of the Tiebout and Median-voter Hypothese“”, Journal of Political Economy 90, 536-560. Hayes, Kathy (1985): „Congestion Measures for Local Public Goods in Metropolitan and Nonmetropolitan Cities”, Growth and Change 16, 1-9. Hayes, Kathy (1986): „Local Public Good Demands and Demographic Effects“, Applied Economics 18, 1039-1045. McGreer, Edward und Mel- ville L. McMillan (1993): „Public Output Demands from Alternative Congestion Functions“, Journal of Urban Economics 33, 95-114. McMillan, Melville L. (1989): „On Measuring Congestion of Local Public Goods”, Journal of Urban Economics 26, 131-137. McMillan, Melville L., W. Robert Wilson und Louise M. Arthur (1981): „The Publicness of Local Public Goods: Evidence from Ontario Municipalities“, Canadian Journal of Economics 14, 596-608. Pack, Howard und Janet R. Pack (1978): „Metropolitan Fragmentation and Local Public Expenditures“, National Tax Journal 31, 349-362. Pommerehne, Werner W. (1978): „Insti- tutional Approaches to Public Expenditure: Empirical Evidence from Swiss Municipalities”, Journal of Public Economics 9, 255-280. Pommerehne, Werner W. und Bruno S. Frey (1976): „Two Approaches to Estimating Public Expenditures“, Public Finance Quarterly 4, 395-407. Ragnitz, Joachim, Alexander Eck, Johannes Steinbrecher und Christian Thater (2012): Evaluation der Zukunftsfestigkeit des Gleichmäßig- keitsgrundsatzes II im kommunalen Finanzausgleich des Freistaates Sachsen, Gutachten der Dresdner Niederlassung des ifo Instituts im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen, Dresden. Santerre, Rexford E. (1985): „Spatial Differences in the Demands for Local Public Goods“, Land Economics 61, 119-128. Thater, Christian (2009): „Auswirkungen des demographischen Wandels auf die kommunalen Ausgaben im Freistaat Sachsen“, ifo Dresden berichtet 16(5), 2009, 13-20. Vehorn, Charles L. (1979): „Mar- ket Interaction between Public and Private Goods: The Demand for Fire Protection“, National Tax Journal 32, 29-39. Zimmerman, Dennis (1983): „Resource Misallocation from Interstate Tax Exportation: Estimates of Excess Spending and Welfare Loss in a Median Voter Framework“, National Tax Journal 36, 183-201. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 43 X X X X X X XXXX k XX X XX -XX- -XXXX c XXX X XXX X X XX XXXX X XXX XXX XX X XX XXX XXX X X XXXX XX X XXXX XXX X XXXX XX X X X X X X X XXXX XX XX X X X X X X X X XXX XX X X XX X XXXXXX XXXXXXXXXXXXX XXXXX X X XX XXX BB BW BY HE MV NI NW RP SH SL SN ST TH VQS VQS VQS VQS GMG VQS VQS VQS VQS VQS GMG BED BED keit) g en g g b i a h g g leich g leich leich leich g g g g sstreitkräfte sveränderun g d leichsstock skosten g e g g j emeinden g endhilfe g Bevölkerun Schülerbeförderun Kurorte Zentralität Schullastenaus Personennahverkehr Kulturlastenaus Kinderbetreuun Straßenlastenaus Einrichtun Bau öffentlicher Soziallastenaus Ju Stationierun Schülerzahl Studentenzahl Zentralität Landesaus Zuweisungen für übertragene Aufgaben Investitionshilfen Gesundheitswesen Fremdenverkehrslastenausgleich (inkl. Kurorte) Soziallasten Strukturschwäche (Arbeitslosi Straßenlasten Gruben Fläche Kinder Ausbildun Allgemeiner Steuerverbund f Hauptansatz mit Einwohnerwertung Zuweisungen Nebenansätze Steuerkraftunabhängige Steuerkraftunabhängige Tabelle A.2: Zentrale Bausteine kommunaler Finanzausgleichssysteme in Deutschland Seite 44 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

a. BED: Bedarfsmodell [Finanzausgleichsmasse ergibt sich aus den Finanzbedarfen, die bei der Aufgaben- erfüllung entstehen]; GMG: Gleichmäßigkeitsgrundsatz [Gleichmäßige Entwicklung von Landeseinnahmen (abzüglich Finanz- ausgleichsmasse) und kommunalen Einnahmen (zuzüglich Finanzausgleichsmasse)]; VQS: Verbundquotensystem [Gemeinden erhalten als Finanzausgleichsmasse einen festen Anteil an den Landeseinnahmen] b. Einwohnerwertung: Einwohnerstärkere Kommunen bekommen höhere Bedarfe je Einwohner zugewie- sen; zur Einwohnerwertung siehe Abbildung 5. c. In Hessen gelten für zentrale Orte, abweichend zur Hauptansatzstaffel, Mindestwerte für die Einwoh- nerwertung bei Unterschreitung bestimmter Einwohnerzahlen. d. z. B. Sozialhilfe, Grundsicherung für Arbeitssuchende etc. e. Kompensation für die Bereitstellung überörtlicher Aufgaben f. Aufgrund der Vielzahl von Regelungen zu steuerkraftunabhängigen Zuweisungen sind in der Tabelle nur die wichtigsten Zuweisungen aufgeführt. g. z. B. Veterinärämter h. z. B. Aus- und Fortbildung kommunaler Mitarbeiter i. z. B. Entschuldungshilfen, Konsolidierungshilfen j. von höheren föderalen Ebenen k. In Nordrhein-Westfalen wird die Zentralität über die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erfasst und misst daher die Bedeutung einer Gemeinde als Wirtschaftsstandort.

Bei den Nebenansätzen erhalten die Gemeinden Mittel für besondere Belastungen aus der gemeinsamen Schlüsselmasse des KFA; höhere Zuweisungen für einige Gemeinden führen wegen der fixen Schlüssel- masse letztendlich zu geringeren Zuweisungen bei anderen Gemeinden. Die im unteren Teil der Tabelle aufgeführten Zuweisungen erfolgen hingegen außerhalb der Schlüsselmasse.

Quellen: Eck, Alexander und Christian Thater (2013): „Elemente kommunaler Finanzausgleichssysteme in Deutschland“, ifo Dresden berichtet 2/2013,33-35. Finanzpolitische Herausforderungen des demografischen Wandels im föderativen System Seite 45

Verzeichnis der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen

Prof. Dr. Kai A. Konrad (Vorsitzender) München Prof. Dr. Thiess Büttner (Stellv. Vorsitzender) Nürnberg- Prof. Dr. Dieter Brümmerhoff Rostock Prof. Dr. Lars P. Feld Freiburg/Br. Prof. Dr. Lutz Fischer Prof. Dr. Nicola Fuchs-Schündeln Frankfurt/M. Prof. Dr. Clemens Fuest Mannheim Prof. Dr. Heinz Grossekettler Münster/W. Prof. Dr. Günter Hedtkamp München Prof. Dr. Klaus Dirk Henke Berlin Prof. Dr. Johanna Hey Köln Prof. Dr. Bernd Friedrich Huber München Prof. Dr. Wolfgang Kitterer Köln Prof. Dr. Jan Pieter Krahnen Frankfurt/M. Prof. Dr. Gerold Krause Junk Hamburg Prof. Dr. Alois Oberhauser Freiburg/Br. Prof. Dr. Rolf Peffekoven Mainz Prof. Dr. Helga Pollak Göttingen Prof. Dr. Wolfram F. Richter Dortmund Prof. Jörg Rocholl, PhD Frankfurt/M. Prof. Dr. Ulrich Schreiber Mannheim Prof. Dr. Hartmut Söhn Passau Prof. Dr. Christoph Spengel Mannheim Prof. Dr. Klaus Stern Köln Prof. Dr. Marcel Thum Dresden Prof. Dr. Christian Waldhoff Berlin Prof. Dr. Alfons Weichenrieder Frankfurt/M Prof. Dr. Dietmar Wellisch Hamburg Prof. Dr. Wolfgang Wiegard Regensburg Prof. Volker Wieland, PhD Frankfurt/M. Prof. Dr. Berthold Wigger Karlsruhe Prof. Dr. Horst Zimmermann Marburg/Lahn

Stand: März 2013

Impressum

Herausgeber Bundesministerium der Finanzen Referat für Öffentlichkeitsarbeit Wilhelmstr. 97, 10117 Berlin

Stand April 2013

Bildnachweis Ilja C. Hendel

Redaktion Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen

Weitere Informationen im Internet unter www.bundesfinanzministerium.de

Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt.