Kiff Aarau We Keep You in the Loop
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MAI.19 Mundart II EINSCHLAUFEN Betrifft: Währungshüter einer versinkenden Welt Impressum Nº 04.19 Die Szene: eine kleine Bar irgendwo. In den schen Echoraum zu entlassen. Man konnte DER MUSIKZEITUNG LOOP 22. JAHRGANG Aschenbechern verglimmen Brunette-Ziga- nicht einfach mit «079» anheben, um dann retten, auf den nachlässig gebügelten Tisch- als schnelle Antwort «Het si gseit» zu ernten. P.S./LOOP Verlag tüchern ruhen grosse Biergläser, und aus Da bedurfte es schon des flinken Spiels über Hohlstrasse 216, 8004 Zürich der Jukebox erklingt dieses Lied, das jeden mehrere Carambole-Banden: «7:7» – «Un- Tel. 044 240 44 25 verdammten Morgen auch aus dem heimi- entschide ischs nid.» www.loopzeitung.ch schen Transistor-Radio über den Küchen- Beim Ersinnen und Ausgestalten von mäch- tisch dröhnt. Der Mann am Mikrofon singt tigen Metaphern haben Kuno Lauener und vom Schöntrinken, vom naiv-verwegenen seine Band in den vergangenen drei Jahr- Verlag, Layout: Thierry Frochaux Umgang mit käuflicher Liebe und von einer zehnten immer wieder ihre Meisterschaft [email protected] wertbeständigen Währung, die man nicht unter Beweis gestellt. Vom aus der Zeit ge- im Portemonnaie, sondern im Brustkasten fallenen «Traffik» (Wer erinnert sich denn Administration, Inserate: Manfred Müller aufbewahrt – um sie dann in liebestrunkener noch an die Sat-1-Bälle und die sprechenden [email protected] Verzweiflung als Geschenk anzubieten. Ein Primaten aus den Toyota-Werbespots?) über paar Monate später veröffentlichten R.E.M. die knappen Ratschläge in «Gitarre-Johnny» Redaktion: Philippe Amrein (amp), ihr Album «Monster», auf dem sie mit der («Schrib doch es Musical über die») bis hin Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe Zeile «That’s when love becomes strange zum längst in Resignation und Rotwein ver- currencies» den Hit aus Bern relativierten – sunkenen Paar in «Schachtar gäge Gent». Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Reto Aschwanden subtiler, aber weniger elegant. Und natürlich Zudem haben sie sich als Weltliteraturförde- (ash), Yves Baer, Thomas Bohnet (tb), ohne dieses leicht abgedämpfte Killer-Lick, rer verdient gemacht. Das Gesamtwerk von Chrigel Fisch (fis), Christian Gasser (cg), das noch heute aus gewissen hierzulande John Fante wäre – abgesehen von ein paar Michael Gasser (mig), Hanspeter Künzler (hpk), genutzten Mobiltelefonen als Klingelton her- begeisterten Bukowski-Leserinnen – hier- Tony Lauber (tl), Sam Mumenthaler, Reto Oeschger, vordüdelt. zulande weitgehend unbeachtet geblieben. Albert Preisig (alp), Fabienne Schmuki, Mit «I schänke dr mis Härz» haben Züri Nicht zuletzt deshalb muss man die Band Miriam Suter, Thomas Wyss West ein Monument in der hiesigen Musik- aus der Bundesstadt auf eine Stufe stellen mit landschaft platziert. In einer Schweiz, die es anderen die Schweiz prägenden Erzeugnis- Titelbild: Züri West (© Caspar Martig) heutzutage nicht mehr gibt. Swisscom und sen und Ideen. Fitnessteller, Therapiefenster, Post firmierten zu jener Zeit noch als Duo Hüsler Nest, Züri West. So sind wir. Auch Druck: Tagblatt Print, St. Gallen unter dem schnörkellosen Kürzel PTT. Ent- wenn wir uns das alles immer etwas grösser sprechend fundierter musste chiffriert wer- vorgestellt haben. Das nächste LOOP erscheint am 31.5.2019 den, um geflügelte Worte in den eidgenössi- Guido Bandini Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Hohlstrasse 216, 8004 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] STÄGELI UF, STÄGELI AB geschwister schmid alekt erklang meist das «richtige» Deutsch. Englisch war zwar «hip», aber fast eine Spur zu grossspurig. Thematisch schwelgten die Musiker gern im Fernweh, sangen von Süd- seeinseln oder ritten durch den Wilden Westen. Zwar gab es 1958 mit dem «Träumli» der Boss Buebe einen kurzen Backlash zum Mundartschlager. Die Berner Oberländer mussten die eigene Sprache verleugnen und stattdessen ei- nen «neutralen» Schweizer Dialekt annehmen. Mit Erfolg: «S’Träumli» verkaufte sich zu Hunderttausenden. PFLICHTSPRACHE ENGLISCH Was man von all den Swiss-Beat-Platten, die sich in den Sixties vom Rock’n’Roll und Beatfieber schütteln liessen, nicht sagen konnte – hier ging es eher um Hunderte. Jetzt war Englisch Pflichtsprache, und wer nicht englisch singen konnte, tat zumindest so. Mundart war endgültig kein The- ma mehr – sie war den «Alten» und vielleicht auch noch den Berner Troubadours rund um Mani Matter vorbehal- ten, die zwar durchaus tiefgründige Lumpenliedli sangen, aber definitiv nicht rockten. Dennoch begann auch das Englisch-Monopol bald zu wan- ken. Die erste Verbindung von Hippiekultur und Schweizer Mundart war äusserst erfolgreich. Die Minstrels landeten 1969 mit ihrer lüpfigen «Frau Stirnimaa» ganz vorn in den Hitparaden. Der Nächste, der Mundart und Popkultur ver- band, war der ehemalige Swiss Beatle Toni Vescoli. Doch er setzte nicht mehr auf Pop- und Rockmusik, sondern gab sich nun als aufs Land emigrierter Folkie. Was noch fehlte, war die Verschmelzung von rockiger Un- tergrundkultur und relevanten Texten in Schweizer Mund- art. Diese Lücke schloss die Band Rumpelstilz, die 1971 in Interlaken gegründet worden war. Sänger Polo Hofer war schon zehn Jahre als tingelnder Schlagzeuger in den Clubs und Diskotheken unterwegs gewesen. Mit Rumpel- stilz wagte der von Bob Dylan, aber auch von deutschen Untergrundbands wie Ihre Kinder und Ton Steine Scherben inspirierte Texter den Sprung zu eigenen Songs – und zum INVASION DER POPKULTUR Berndeutsch. Hofer bediente mit seinen Mundarttexten Nach dem Boom des Mundartschlagers bewusst die Zielgruppe der kiffenden Hippies. «Ich woll- Doch das Kriegsende und te mit der Mundart etwas Kritisches sagen können. Dar- galten schweizerdeutsche Texte fast die Invasion der US-Pop- um kam ich auf den ‹Warehuus Blues›», meinte Hofer im kultur machte dem Höhen- Rückblick. Der Song erschien im Sommer 1973 als erste 30 Jahre lang als uncool. Bis Polo Hofer flug des Schweizer Mund- Rumpelstilz-Platte. Musikalisch bediente sich die Band bei artschlagers ein Ende. einer Liveversion von Bob Dylans «Just Like Tom Thumb’s und Rumpelstilz sie mit dem Rock des Statt sich notgedrungen im Blues» – was damals allerdings kaum jemand bemerkte. Im «Heimetli» einzuigeln, gab Text wurde bittere Konsumkritik geübt, während die von Untergrunds paarten. sich die Schweiz nun mo- Hanery Amman komponierte B-Seite «Gammler» mit ihrer dern wie nie. Die Grenzen Aussteigerlyrik und treibendem Jazzrock das Zielpublikum «Wie gohts Mr. Yankee im Schwitzerland?», fragten die waren wieder offen, und bei Laune hielt. Geschwister Schmid im astreinen dreistimmigen Chor. von überall strömten neue «Wie gfallt Ihne d’Schwyz so als Ferieland?, all right, all Einflüsse und Klänge ins DER ERSTE SCHRITT right, all right.» Es war ein wahr- und wehrhaft flotter Land. Jazz war der Sound Mundartschlager, den sie den amerikanischen GIs, die der Stunde, Coca-Cola das Nachhaltige Bedeutung hat der «Warehuus Blues» vor sich 1945 in den Schweizer Bergen von den Kriegsstra- Hipstergetränk schlechthin, allem als erste Mundartrockplatte und als erster gros- pazen erholten, entgegenschmetterten. Doch so flott und Kaugummi der weltmänni- ser Schritt in Richtung einer eigenständigen (Deutsch-) fröhlich die Schmids auch jodelten: Ihr von Artur Beul sche Entschleuniger. Schweizer Rockmusik. Später nahmen einige Konkurren- geschriebener Foxtrot «Wie gohts Mr. Yankee» war ein Mundart als Singsprache ten in Anspruch, früher als Rumpelstilz dran gewesen zu Abgesang auf den Schweizer Mundartschlager. Während geriet in die Defensive: Zu sein. Doch der «Warehuus Blues» erschien (mindestes) des Krieges hatte dieses Genre Hochkonjunktur. Big Band provinziell, zu kleinfor- ein Jahr vor anderen ähnlich gelagerten Veröffentlichun- Swing, gestreckt mit Folklore und Texten, welche die von matig klangen die Folklo- gen wie dem Debütalbum der Zürcher Band Lise Schlatt Bergen abgeschirmte Schweizer Miniaturwelt aufgriffen, reschlager auf einmal. So (1974) oder dem nonsenselnden «Bärner Rock» von waren Trumpf. Der Landigeist wurde hunderttausendfach dominierten in der Unter- Grünspan (1975). Ganz abgesehen davon, dass Rumpel- auf Schellack multipliziert. «Stägeli uf, Stägeli ab, juche», haltungsmusik ab den spä- stilz und Polo Hofer in den nächsten Jahren die unerreich- gaben sich die Geschwister Schmid dialektisch, «nach em ten 40er-Jahren vor allem ten Meister ihres Fachs bleiben sollten – bis Punk auch Räge schynt d’Sunne, nach em Briegge wird glacht», er- die Sprachen der grossen hier die Szene auffrischte. gänzte das Jodelduo Martheli Mumenthaler und Vrenely Nachbarnationen (die ja Pfyl. Und über den Gotthard flogen die «cheibe Bräme». auch unsere sind), statt Di- Sam Mumenthaler DINGE BENENNEN Mit dem Jahrhundertsong «Campari dominique grandjean Soda» hat Dominique Grandjean 1977 die heimliche Nationalhymne der Schweiz geschrieben. Der 74-jährige Musiker und Psychiater ist nach wie vor aktiv – und hat das Glück gefunden. Wir sitzen vis-à-vis in seiner Praxis im Zürcher Kreis 6. Fast so, als wären wir Psychiater und Patient. Tatsächlich (oder eher: hauptsächlich, ganz ohne Psychologie gehts ja nie) sind wir aber Musiker und Musikjournalist. Und zu- sammengekommen wegen des Record Store Day, an dem seit 2008 Plattenläden, deren Besitzer und Mitarbeiter und natürlich die Tonträger gewürdigt und gefeiert werden. Wichtiger Teil der «Zeremonie» ist jeweils der Release vergriffener Bestseller/Raritäten oder von Trouvaillen, die bislang nie erschienen sind – alles exklusiv auf Vinyl,