Zürcherische Naturschutzobjekte von nationaler wissenschaftlicher Bedeutung
1. Einleitung
Von HANS LEIBUNDGUT
Die Vorstände der SChweizerischen Vereinigung für Heimatschutz und des Schweizerischen Bundes für Naturschutz haben im Jahre 1955 beschlossen, ein Verzeichnis von Landschaften und Naturdenkmälern aufzustellen, welche zum Wohle des ganzen Landes unbedingt erhalten werden müssen. Die Naturschutz- kommissionen der Naturforschenden Gesellschaften und die Sektionen der Ver- einigung für Heimatschutz wurden deshalb eingeladen, Objekte auszuwählen und vorzuschlagen. Nachdem seit einigen Jahren im Kanton Zürich eine Sektion des Schweize- rischen Bundes für Naturschutz besteht, welche sich allgemeine naturschütze- rische Ziele setzt, durfte sich die Naturschutzkommission der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich auf die Auswahl der Objekte von nationaler w i s s e n - s c h a f t 1 i c h e r Bedeutung beschränken. Damit sollte jedoch der Wert regional oder lokal bedeutsamer oder der aus rein ästhetischen, ideellen und namentlich sozialen Erwägungen schutzwürdigen Objekte nicht als zweitrangig dargestellt werden, denn in unserem stark industrialisierten und dicht besiedel- ten Kanton ist ein allgemeiner und umfassender Landschafts- und Naturschutz längst von allergrösster Wichtigkeit. Unsere Vorschläge erstrecken sich aus- schliesslich auf Objekte, welche in gesamtschweizerischer Betrachtung wissen- schaftlich unersetzbar erscheinen oder für die Zürcher Hochschulen eine ganz besondere Rolle spielen. Für jedes vorgeschlagene Objekt wurde ein wissenschaftliches Gutachten ausgearbeitet, so für die Sihllandschaft bei Hütten, Schönenberg, Hirzel; das Neeracher Ried; die Maschwander Allmend; das Robenhauser Ried; einen Teil der Albiskette und des Reppischtales; den Katzensee; den Rheinfall; die Lägernkette mit einzelnen besonderen Schutzobjekten; die Drumlinlandschaft bei Wetzikon. Diese Gutachten dürften von allgemeinem Interesse sein und werden deshalb in etwas gekürzter Form veröffentlicht. Wir möchten damit die wichtigsten, aus
Vierteljahrsschrift d. Naturf. Ges. Zürich. Jahrg. 106, 1961 32 468 Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 1961 wissenschaftlichen Gründen besonders schutzwürdigen Objekte hervorheben, zu deren weiteren Erforschung einladen und auch ersuchen, zusätzliche Schutz- gebiete vorzuschlagen, welche regional von wissenschaftlicher Bedeutung .sind, namentlich auch für den Naturkundeunterricht an den Mittelschulen. Die kan- tonalen Behörden sollen in einer weiteren Eingabe auch auf diese Objekte auf- merksam gemacht werden. Ein erneutes und vermehrtes Interesse aller Naturwissenschafter für die Belange des Naturschutzes ist dringend und entscheidend geworden. Die Natur bildet nach wie vor den Forschungsgegenstand der Naturforschung. Der Natur- schutz dient also der Bewahrung ihrer Forschungsgrundlage überhaupt und liegt somit im ureigensten Interesse der Naturforschung, ganz abgesehen von ihrer heutigen Verpflichtung, das richtige Mass von Ausnützung, Umwandlung und Bewahrung der Natur finden und einhalten zu helfen.
2. Das Naturschutzgebiet Albiskette—Reppischtal
Von HANS LEIBUNDGUT, Zürich
Die A 1 b i s k e t t e trägt, im Unterschied zu den meisten anderen weich ge- formten schweizerischen Molassebergen, einen überaus prägnanten Charakter. Sie erstreckt sich als nahezu 20 km langer, markanter Bergzug in NNW-Rich- tung zwischen den engen, aktiven Talrinnen der Sihl und Reppisch bis un- mittelbar an den Stadtrand von Zürich und erhebt sich mit Höhen von 800 bis 900 m durchschnittlich 300 bis 400 m über die flankierenden Täler. Die steilen Hänge sind von kurzen, aber tief eingeschnittenen Bächen zerfurcht, so dass schroffe Gräte mit Talmulden den ganzen Haupthang stark gliedern. An den Steilhängen tritt überall die obere Süsswassermolasse zutage. Die abge- schwemmten feinen Sande und Lehme sind am Hangfuss kegel- oder wulst- förmig abgelagert. Älterer Deckenschotter (löcherige Nagelfluh) schützt die Kuppe des Ütliberges. Das R e p p i s c h t a 1 zwischen Türlersee und Landikon zeigt den Charak- ter einer nacheiszeitliChen und heute noch aktiven Talbildung besonders schön. Immer wieder entstehen an den Steilhängen neue kleine Rutschungen und Molasseabbrüche, so dass kaum anderswo im Mittelland die Boden- und Vege- tationsentwicklung vom Rohboden bis zur Klimax an so klassischen Beispielen studiert werden kann. Das Vorhandensein aller Lokalexpositionen und Nei-
Abb. 1 Das Naturschutzgebiet Albiskette—Reppischtal; unten im Bild der Türlersee, oben rechts der Zürichsee. (Aufnahme der Eidg. Landestopographie vom 19. Mai 1946.)
470 Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 1961 gungsgrade in diesem noch wenig beeinflussten Tal bewirkt zudem, dass wohl nirgends im ganzen schweizerischen Mittelland ein so reiches Mosaik von natürlichen Pflanzengesellschaften besteht. Die Vegetation der Albishänge ist gekennzeichnet durch den montanen Buchenwald, der in verschiedenen Ausbildungen weit ins Mittelland vorstösst. Auf flachen Rücken und in Mulden vermag sich der Eichen-Hagebuchenwald in trockenen und feuchten Untergesellschaften auszubilden. Daneben sind der submontane Ahorn-Eschenwald, der Bacheschenwald, der eibenreiche Steil- hang-Buchenwald, der Pfeifengras-Föhrenwald mit Waldföhre und Bergföhre, auf kleinen Flächen der Sumpfföhrenwald und der staudenreiche Schwarz- erlenwald gut ausgebildet. Unberührte Hangmoore sind noch in grosser Zahl vorhanden. Ausser den Arten der erwähnten Waldgesellschaften finden wir zahlreiche Glazialrelikte, wovon die bestandesweise vorkommende Bergföhre besonders zu erwähnen ist. Wir verzeichnen rund achtzig natürlich vorkommende Holz- gewächse sowie eine ausserordentlich artenreiche Krautschicht, worunter viele im Mittelland sonst seltene Arten, namentlich Orchideen, beachtenswert sind. Die Wälder bedecken im Reppischtal zwischen Türlersee und Landikon 50 Prozent der Gesamtfläche. Es handelt sich also um ein stark bewaldetes Gebiet. Dabei sind diese Wälder durch menschliche Einflüsse in ihrer Zusam- mensetzung nirgends wesentlich verändert worden, was ebenfalls als seltene Ausnahme für das Mittelland zu verzeichnen ist (Abb. 1) . Wie die Vegetation ist auch die Fauna ausserordentlich artenreich. Namentlich die Insekten, die Reptilien und die Vogelwelt zeigen ein überaus breites Artenspektrum. Neben Arten des Mittellandes und der Vorberge treten an den warmen Südhängen manche Arten auf, welche sonst nördlich der Alpen sehr selten sind. Das Reppischtal darf daher jedenfalls als eines der n a t u r w i s s e n- schaftlich interessantesten und reichsten Gebiete des ganzen nördlichen Mittellandes bezeichnet werden. Wenn da- bei berücksichtigt wird, dass dieses Gebiet in unmittelbarer Nähe der Univer- sität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule mit ihren zoo- logischen, entomologischen, botanischen und forstlichen Instituten liegt, muss dessen möglichst ungestörte natürliche Erhaltung zweifellos als von grosser wissenschaftlicher Wichtigkeit und als Naturschutzaufgabe von nationaler Be- deutung bezeichnet werden. Dazu kommt, in Verbindung mit der ganzen Albis- kette, dessen soziale Bedeutung als Erholungsraum eines der dichtest besiedel- ten Gebiete der Schweiz. Wissenschaftliche und soziale Erwägungen haben dazu geführt, dass grosse Teile der Albiskette und des Reppischtales bereits geschützt sind. Das Pflanzen- schutzgebiet «Ütliberg» (Regierungsratsbeschluss vom 14. Dezember 1959) ist das grösste Pflanzenschutzgebiet des ganzen Mittellandes. Seit 1944 besteht eine Schutzverordnung für den Türlersee und seit 1953 für das Gebiet des Albis- passes. Es liegt daher nahe, auch das zwischen den bestehenden Schutzgebieten liegende Areal unter Einbeziehung der linken Reppischtalflanke, welche als Jahrgang 106 Naturschutz 471
Schattenhang ganz andere ökologische Bedingungen aufweist als der Sonnen- hang, in das als von nationaler Bedeutung bezeichnete Schutzgebiet einzu- beziehen. Dieser Schutz sollte vor allem im bezeichneten Gebiet bewirken: die Verhinderung jeder grundlegenden Veränderung des Landschafts- charakters; die Erhaltung der Naturwälder und Hangmoore; den Schutz der Tier- und Pflanzenwelt. Um so mehr, als hier voraussichtlich den Naturschutzbestrebungen vorläufig keine zwingenden technischen Notwendigkeiten zur Veränderung des Land- schaftscharakters und der natürlichen Verhältnisse entgegenstehen und wie kaum anderswo wissenschaftliche und soziale Interessen in gleich hohem Masse ins Gewicht fallen, ist zu hoffen, dass von seiten der Regierung des Kantons Zürich und der Gemeinden mit einem grossen Verständnis gerechnet werden darf.
3. Das Naturschutzgebiet Katzensee
Von ELIAS LANDOLT, Zürich
I. Bedeutung Die Katzenseen sind Moränenseen mit Grundwasserspeisung und bilden mit den umliegenden Wäldern und Mooren eine vom Menschen noch relativ wenig berührte Gegend von grossem landschaftlichem Reiz und wissenschaftlichem Interesse. Besonders eindrücklich ist die Vielfalt der Sumpf- und Waldvegeta- tion inmitten intensiver landwirtschaftlicher Kulturen und in unmittelbarer Nähe der dicht besiedelten Stadt (Abb. 1). Mögen an manchen Orten im Mittel- land einzelne der Pflanzengesellschaften besser ausgebildet sein, so gibt es doch kaum ein zweites Gebiet, wo von offenen Wassergesellschaften, Quell- und Flach- mooren bis zu Moorwäldern und Hochmooren fast alle bei uns möglichen. Nass- bodengesellschaften auf kleinem Raum vorhanden sind. D a s Katz e n s e e- gebiet stellt darum ein einzigartiges Schulbeispiel dar für Seenverlandung und Moorentwicklung (Abb.2).Mitüber 600 Arten v on Blütenpflanzen ist das weitere Katzenseegebiet für seine Ausdehnung äusserst artenreich. Wenn auch einzelne der früher ge- sammelten Arten heute im Gebiet nicht mehr vorkommen, so ist doch im ge- samten der Bestand an Sumpf- und Wasserpflanzen erstaunlich reichhaltig geblieben. Im Anhang werden die bemerkenswerten und selteneren im Gebiet aufgefundenen Blütenpflanzen angeführt. Da das Gebiet von mir nicht syste- matisch untersucht wurde, mag sehr wohl ein grosser Teil der in den letzten Jahren nicht mehr beobachteten Pflanzen noch vorhanden sein. Entsprechend 472 Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 1961 der reichen Artenzahl bei Blütenpflanzen sind auch Kryptogamen sowie Tiere (besonders Insekten, Spinnen und Vögel) sehr reich vertreten. Nach der Zerstörung vieler Moore im Mittelland, besonders im Glattal und um Kloten herum, kommen verschiedene Pflanzen (zum Beispiel Viola stagnina Kit., Orchis palustris Jacq., Utricularia Bremii Heer) in der östlichen Schweiz fast nur noch im Katzenseegebiet vor, eine Tatsache, die die nationale Bedeu- tung des Gebietes unterstreicht (Abb. 3 und 4).
II. Heutiger Zustand und Bedrohung des Gebietes Für das ganze Gebiet besteht eine Schutzverordnung der kantonalen Regie- rung vom 12. Juli 1956. Die Hauptgefahren (abgesehen von einer direkten Über- bauung des Gebietes) für die Vegetation sind die folgenden: 1. S c h u t t a b l a g er ung. An verschiedenen Orten wird Schutt in die Sumpfgebiete abgelagert und die dort bestehende Vegetation zerstört. 2. W e e k e n d h ä u s e r. Besonders im Hänsiried sind zahlreiche Weekend- häuschen entstanden, die nicht nur das landschaftliche Bild beeinträchtigen, sondern auch durch Auffüllungen, Anlegen von Gärten und Seerosenkulturen die natürliche Vegetation stören oder gewaltsam verdrängen. 3. Landwirtschaftlicher Einfluss. Gebiete, dielandwirtschaft- lich wenig ertragbar sind, werden aufgeforstet oder melioriert. 4. Ausflugsverkehr und Badebetrieb. DurchdashäufigeBe- treten der See- und Moorgesellschaften wird die natürliche Lebensgemeinschaft der Pflanzen und Tiere gestört und manche Art zurückgedrängt oder ganz aus- gemerzt. Die kantonale Verordnung berücksichtigt die drei ersten Gefahren weit- gehend und bietet eine rechtliche Grundlage, um ihnen zu begegnen. Das Totalreservat zwischen den beiden Seen, das Reservat der Gemeinde Watt und die Besitzungen der Strafanstalt (sowie einzelner Privater), zu denen der allgemeine Zutritt verwehrt ist, sorgen dafür, dass die Vegetation wenig- stens an einzelnen Stellen dem direkten Einfluss der Badenden und Spazieren- den entzogen ist. Leider ist das Bestehen der kantonalen Schutzverordnung noch keine völlige Garantie für die Erhaltung des Gebietes. Nur eine gut e B e t r e u u n g s- organisation kann verhindern, dass einzelne Vor- schriften immer wieder übertreten werden. Eine solche Organisation fehlt vorderhand. Da die Schutzverordnung finanziell noch nicht gesichert ist (durch die zahlreichen Vorschriften wurde viele Grundstücke ent- wertet und deren Besitzer müssen vom Staat nun entschädigt werden), besteht zudem die Möglichkeit, dass sie bei einer eventuellen Volksabstimmung über die Finanzierung zu Fall gebraCht werden kann.
III. Umfang des anzustrebenden Schutzes Das in der kantonalen Schutzverordnung eingeschlossene Gebiet und der ab- gestufte Schutz der verschiedenen Zonen sollten im allgemeinen genügen, die Abb. 1 Das Naturschutzgebiet Katzensee; die Stadtgrenze geht mitten durch die beiden Seen. (Aufnahme der Eidg. Landestopographie vom 28. Juni 1957.)
landschaftliche Schönheit und vielfältige Vegetation des Katzenseegebietes zu wahren. Die Bestimmungen für die Zonen I und II müssen allerdings rigoros durchgeführtwerden. Es ist namentlich zu verhindern, dass weiter Schutt abgelagert wird; die bisherige Bewirt- schaftung darf nicht verändert werden und der Bade- betrieb muss auf das heutige Strandbad beschränkt bleibe n. Um die durch häufiges Betreten und den Badebetrieb gefährdete Reichhaltigkeit der Ufergebiete zu erhalten, sollten einzelne kleinere Ufer- parzellen mit Betretverbot belegt werden. In erster Dringlichkeit müssen indessen eine wirksame Betreuungs- und Überwachungsorganisation aufgezogen und die finanziellen Mittel für die Ab- lösung der nicht in Staats- oder Gemeindebesitz liegenden Grundstücke inner- halb der Schutzzonen sichergestellt werden. 474 Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 1961
Abb. 2 Kleiner oder