Drittes Reich' Am Ende Des 20
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Ambivalenzen der Vergangenheitsdeutung Deutsche Reden über Faschismus und 'Drittes Reich' am Ende des 20. Jahrhunderts Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. rer. soc.) des Fachbereichs Sozial- und Kulturwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen Vorgelegt von Michael Hoffmann aus Gießen Inhalt 1. Reden über Faschismus und 'Drittes Reich' 1 2. Befreiung und Niederlage 24 Richard von Weizsäcker 1985 3. Bleibende Aufforderung 53 Helmut Gollwitzer 1985 4. Geschenkte Freiheit 74 Günther Grass 1985 5. Zur Zustimmung verführt 99 Philip Jenninger 1988 6. Instrumentalisierung der Schande 119 Martin Walser 1998 7. Deutscher Widerstand und deutsche Zukunft 137 Klaus von Dohnanyi 1997-2000 7.1. Deutsche Tugenden 137 Rede vor dem Deutschen Bundestag 1997 7.2. Anstand, Heroismus und Geschichtswissenschaft 156 Rede zur Ausstellung "Aufstand des Gewissens" 1998 7.3. Gegen zuviel Kritik – für eine neue deutsche Perspektive 179 Geschwister Scholl-Gedächtnisvorlesung 1999 7.4. Herkunft und Zukunft 200 Römerberg-Gespräche 2000 8. Geschichte und Aktualität des Faschismus. Eine Bilanz der Debatte 216 9. Literatur 239 Reden über Faschismus und 'Drittes Reich' Das zwanzigste Jahrhundert stellt sich nicht nur als das Jahrhundert "auf äußerster entgrenzter Kriegsführung, mörderischer weltanschaulich- politischer Auseinandersetzungen, massenhafter Ausplünderungen, Vertreibungen und von Völkermorden in bis dahin unbekanntem Ausmaß"1 dar. Seine zweite Hälfte war auch geprägt von Versuchen, das Geschehene zu verstehen, zu deuten, zu entschuldigen, zu rechtfertigen und die unterschiedlichsten Konsequenzen aus ihm zu ziehen. Dies gilt auch und gerade für Deutschland: Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des finstersten Kapitels der Menschheitsgeschichte, das von Deutschen geschrieben wurde, ist der Faschismus aus der öffentlichen Diskussion nicht verschwunden. Auch grundlegende Veränderungen, wie das allmähliche Aussterben der Tätergeneration oder die Wiedervereinigung, bewirkten es nicht, wohl aber veränderten sich in verschiedener Hinsicht Modi und Ziele der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Von Beginn an waren sowohl die Erinnerung selbst als auch die Frage der Folgerungen Gegenstand politischer Debatten. Während anfangs der Umgang mit der Schuld im Mittelpunkt stand, verlagerte sich der Schwerpunkt später mehrfach. Aber das Thema selbst blieb. Als sich etwa Martin Walser 1998 öffentlich an prominenter Stelle dafür aussprach, dieses Kapitel des Geschichtsbuchs zu schließen, erhielt er neben Zustimmung noch immer heftigen Widerspruch. Bereits in den fünfziger Jahren begann sich ein Begriff zu etablieren, der seither eine bemerkenswerte Karriere in öffentlichen und später auch in wissenschaftlichen Debatten durchlaufen hat: "Vergangenheitsbewältigung". Der psychoanalytische Gehalt, der hier assoziiert werden könnte, stand dabei nicht im Mittelpunkt. Vielmehr meinte der Begriff von Anfang an vor allem die allgemeine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen. 1 Volkhard Knigge/ Norbert Frei (ed.): Einleitung zu: "Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord", München 2002, VII-XII, hier: VII 1 Nach Peter Dudek steht Vergangenheitsbewältigung "in den politischen Diskussionen nach 1945 und in den pädagogischen Reflexionen über den Nationalsozialismus für die Mahnung vor dem Vergessen der Geschichte, als Aufforderung zur kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Ära, als Leitbegriff von Defizit-Diagnosen in der politischen Kultur sowie als Orientierung für die Praxis politischer Bildung."2 Darüber hinaus erfüllte der Begriff aber auch alle Anforderungen eines politischen Kampfbegriffs. Bereits Ende der fünfziger Jahre wurde deshalb sowohl sein inflationärer Gebrauch, als auch sein unklarer Gehalt kritisch erörtert.3 Ein vollständiger Überblick über die Beiträge zu dieser Thematik ist heute kaum mehr zu leisten. Wissenschaftlich und außerhalb tagespolitischer Kontroversen begann sich eine breitere öffentliche Auseinandersetzung über diesen Begriff und seine Kontexte in den achtziger Jahren zu entfalten. Wichtige Beiträge dazu, wie die von Theodor W. Adorno oder Margarethe und Alexander Mitscherlich, sind jedoch früher entstanden. "Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit?" (1959) oder "Die Unfähigkeit zu trauern" (1967) legten wesentlichen Grund für die Debatte und sind nach wie vor von großer Bedeutung für die Aufdeckung von Motiven und Wirkmechanismen in diesem Prozess. Adorno nimmt dabei eine ganz andere Position ein, als sie etwa die (zu Unrecht unter Berufung auf Mitscherlich/ Mitscherlich vorgetragene) These von der notwendigen Verdrängung der deutschen Schuld formuliert, wie sie Hermann Lübbe vertritt: "Diese gewisse Stille war das sozialpsychologisch und politisch notwendige Medium der Verwandlung unserer Nachkriegsbevölkerung in die Bürgerschaft der Bundesrepublik Deutschland."4 Adorno spricht sich nämlich für eine bedingungslose Konfrontation der Deutschen mit ihrer Vergangenheit aus. Ohne jene sei weder ein Verständnis der sozio-ökonomischen Voraussetzungen des 2 Peter Dudek: "»Vergangenheitsbewältigung«. Zur Problematik eines umstrittenen Begriffs", in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), B 1-2/92, 44-53 3 So z.B. von Theodor Heuss. Vgl. dazu: Ulrich Baumgärtner: "Reden nach Hitler. Theodor Heuss – Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus", Stuttgart 2001, 10 4 Hermann Lübbe: "Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein", in: HZ 236 (1983), 579-599, hier: 585 Bezeichnend ist die Verwendung des Wortes "Verwandlung", die an einen Zaubertrick erinnert, dessen es auch bedarf um die "Bevölkerung" in die "Bürgerschaft" zu verwandeln, ohne den 2 Faschismus noch der psychosozialen Faktoren des "Unbegreiflichen" möglich. "Aufgearbeitet", so heißt es bei ihm, "wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären."5 Im Grunde verlaufen die Deutungsvarianten des Begriffes "Vergangenheitsbewältigung" zwischen diesen beiden Polen, in deren einem es um einen angeblich gelungenen und im Wesentlichen abgeschlossenen Prozess, in deren anderem es aber um eine Kette von Verdrängungsprozessen geht, die den Charakter einer "zweiten Schuld"6 trügen und denen in dieser Sicht eine fortdauernde Virulenz innewohnt. Der Diffusität des Begriffs wie den Dimensionen des Gegenstandes entsprechend, setzt die wissenschaftliche Literatur zum Thema Vergangenheitsbewältigung ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Das Spektrum umfasst sowohl Untersuchungen zu einzelnen Phasen der Nachkriegsgeschichte, als auch juristische Abhandlungen, biographische Einzelstudien, Vergleiche zwischen beiden deutschen Staaten und/oder anderen betroffenen Staaten und Gesellschaften, wissenschaftsgeschichtliche Fallstudien und sozio-ökonomische Untersuchungen.7 behaupteten Transformationsprozess inhaltlich zu deklarieren. 5 Theodor W. Adorno: "Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit", in: ders.: Kulturkritik und Gesellschaft II, Gesammelte Schriften 10.2, 555-572, hier 572 6 Geprägt wurde der Ausdruck von Ralph Giordano: "Die zweite Schuld. Oder von der Last Deutscher zu sein", Köln 2000. Giordano definiert den Begriff wie folgt: "Jede zweite Schuld setzt eine erste voraus – hier: die Schuld der Deutschen unter Hitler. Die zweite Schuld: die Verdrängung und Verleugnung der ersten nach 1945", also "die historische Fehlentscheidung einer Mehrheit der heute älteren und alten Generationen, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der eigenen Rolle in ihr nicht ehrlich auseinanderzusetzen, belastende Erinnerungen abzuwerfen und sich aus einem kompromittierenden Abschnitt selbsterlebter und mitgestalteter Nationalgeschichte herauszustehlen." 17f. 7 Hier einen auch nur halbwegs angemessenen Katalog zu präsentieren würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Allein der elektronische Katalog der Deutschen Bibliothek, der nur Werke nach 1983 vollständig nachweist, zeigt unter dem Stichwort "Vergangenheitsbewältigung" über 700 Veröffentlichungen an. Sehr ausführlich, aber unkommentiert, sichtet Michael Ruck: "Bibliographie zum Nationalsozialismus", Darmstadt 2001 (Teil B: Deutschland und die NS-Vergangenheit) die vorhandene Literatur. Selbst die Zahl der Überblicke bietenden Sammelbände und Monographien ist kaum fassbar. Zu den aussagekräftigsten aus verschiedener Perspektive zählen: Axel Schildt: "Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit der Nachkriegszeit", in: Wilfried Loth/ Bernd-A. Rusinek (ed.): "Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der Nachkriegszeit"; Hanno Loewy (ed.): "Holocaust. Die Grenzen des Verstehens", Reinbek 1992; Richard J. Evans: "Im Schatten Hitlers. Historikerstreit und Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik", Frankfurt/M. 1991; Ernst Nolte: "Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen über den Nationalsozialismus", Berlin 1993; Peter Reichel: "Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute". München, 2001; Wolfgang Wippermann: "Wessen Schuld? Vom Historikerstreit zur Goldhagenkontroverse", Berlin 1997; Wolfgang Wippermann: "Umstrittene Vergangenheit. Fakten und Kontroversen zum Nationalsozialismus", Berlin 1998; Der dritte Teil ("Vergangenheitsbewältigung") des Sammelbandes "Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus", ed. Uwe Backes / Eckhard Jesse / Rainer Zitelmann; Klaus Fritzsche: "Die Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit in Deutschland. Eine 3 Was die Auseinandersetzung mit dem deutschen