Großes Interview mit dem chilenischen Musiker Daniel Puente Encina vor seinem Besuch in Wolfsburg

Zahlreiche Veranstaltungen begleiten das 75. Wolfsburger Stadtjubiläum, das den gesamten Juni gefeiert wird, auch die Inter- nationale Sommerbühne ist dabei und sorgt für den Auftakt in den Wolfsburger-Festsommer. Seit über zehn Jahren gibt es die Internationale Sommerbühne, die sich als Kulturveranstaltung im Wolfsburger Schloss etabliert hat. In diesem Jahr werden wie gewohnt viele verschiedene Künstler den Besuchern von Akrobatik bis zur Comedy ein buntes Programm bieten. Auch Musik kommt nicht zu kurz. Am 2. Juni um 11 Uhr wird zur Sonntagsmatinee geladen: Das chilenische Multitalent Daniel Puente Encina mit seiner dreiköpfigen Band präsentiert seine „Furious Latin Soul“. Der gebürtige Chilene hat unter anderem mit Fatih Akin an dessen Filmsoundtracks gearbeitet, eine Weile in Deutschland gelebt und war mit seiner Band Niños Con Bombas als Vorband der legendären Einstürzenden Neubauten auf Tour. Nun kehrt er mit dem Daniel Puente Encina Trio in die Stadt an der Aller zurück. Das vollständige Programm der Sommerbühne gibt es unter www.sommerbuehne-freundeskreis.de , mehr zu Daniel Puente Encinca findet sich hier: www.polvorosa.com.

Daniel, was bedeutet dir Musik? Ich bin nicht sicher, ob es eine neurotisch-obsessive Beschäftigung ist oder eine Entfaltung meines spirituellen Wesens. Auf jeden Fall spielt sie eine sehr große Rolle in meinem täglichen Tun.

Wie weit sollte man für seine Leidenschaften gehen? Es kommt ganz darauf an, wie obsessiv die Beziehung zum Objekt der Begierde ist (lacht), das heißt auf mich bezogen: sehr weit.

Welche Künstler sind deine Vorbilder? Alle, die den Mut und das Talent haben, sich mit ihrer eigenen Stimme auszudrücken. Ich meine damit nicht nur Musiker, sondern alle schaffenden Künstler.

Was ist für dich Heimat? Complicated subject. Ich lebe seit Ewigkeiten in Europa und bin eine Art professionel- ler Ausländer beziehungsweise Immigrant geworden. Im größeren kulturellen Kontext sehe ich meine Wurzeln nur noch verschwommen.

Ist Barcelona ein guter Ort, um sich als Künstler zu entfalten? Für mich ist der Ort ist unerheblich, wichtig ist die innere Einstellung.

Warum bist du nicht nach Paris oder New York gegangen? Ich bin mir nicht sicher, ob diese Orte besser für mich gewesen wären (lacht). Ich glaube, nach vielen Jahren germanischer Kultur – ich habe lange in gelebt – wollte ich ein wenig „spanischer„ leben, um auf der Suche nach Stabilität und zur Aufklärung meiner Identität in meine kulturellen Wurzeln einzutauchen.

Wann bist du zum ersten Mal nach Deutschland gekommen? Im Jahr 1989, kurz vor dem Mauerfall.

Was können Deutsche von der lateinamerikanischen Kultur und Lebensart lernen? Das erste, was mir einfällt, ist zu lernen, nicht geplant zu leben. Das kommt von den Indianern, die wiederum asiatische Wurzeln haben, sie haben dieses Urvertrauen in das Leben. Zu viel Planung führt zu jeder Menge Frustration, denn selbstverständlich ist das Leben ein Resultat von vielen Interaktionen und so ist es einfach unmöglich, alle Variablen berechnen zu können.

Und umgekehrt: Was könnten Chilenen von den Deutschen lernen? Diese Liebe zum Detail. Das Mikrofokussieren. Das Suchen nach Perfektion. Wenn man hierbei dass Neurotische weg lässt, ähnelt dies wiederum der Hingabe zur asiatischen Philosophie.

Was verbindest du mit Wolfsburg? Es war die erste Stadt, in der ich circa zwei Wochen geblieben bin, als ich aus Chile gekommen bin.

Was ist dein Eindruck von der Stadt? Ich fand sie schön, obwohl mich alle vom Gegenteil überzeugen wollten. Die Wolfsburger Geschichte wiegt schwer.

Was bedeutet es dir, wieder in Wolfsburg zu spielen? Eine sehr schöne Überraschung, wie das Leben selbst. Ich freue mich sehr.

Wie würdest du deine Musik beschreiben? Ich versuche Latin-Musik auf originelle, nicht klischeehafte Art zu spie- len. Auf meine Art eben. „Furious Latin ”, „Dirty ”, „Flamen- co Tex-Mex” und „Rebel Tango” sind einige meiner stilistischen Fusionen.

Mit welchen Künstlern hast du bereits zusammengearbeitet? Im Film mit Regisseuren wie Fatih Akin und Marten Persiel. In der Mode mit Andrea Ayala. Am Theater mit Vicente Ruiz. Musika- lisch mit Momo Hafsi aus Paris, Mónica Green aus New York, Nimrod Meron Erez aus Tel Aviv, Jan Rosenberg aus Prag und vielen anderen, die mir jetzt nicht einfallen. Ich bin schon Jahrzehnte unterwegs…

Wie war es mit den legendären Einstürzenden Neubauten zusammenzuarbeiten? Mit meinem Projekt Niños con Bombas waren wir Support-Band auf einer ihrer Tour. Am Anfang war es furchterregend, vor allem mit Blixa Bargeld, aber mit der Zeit haben sie sich als total lieb und nett entpuppt. Mit Alexander Hacke haben wir ein paar ver- rückte Anekdoten erlebt, den Kerl muss man einfach gern haben.

Mit wem würdest du gern einmal musizieren oder Songs schreiben? Es gibt so viele und die meisten sind schon lange tot. Mit Danger Mouse (lacht) würde ich endlich einen Nummer-eins-Hit haben. Ich würde gerne mit Caetano Veloso spielen, mit Tom Zé, Mulatu Astatke, einer Band aus Cabo Verde, Ferro Gaita und Giovanni Hidalgo, aber ich glaube, ich würde gar nicht spielen können, ich würde einfach nur staunen.

Warum bist du nach deiner wilden Punkmusik jetzt etwas ruhiger geworden? Bin ich doch gar nicht. Es ist einfach so, dass sich mein Schwerpunkt von elektrischer Gitarre und Schlagzeug auf Akustikgitarre und Percussion verlagert hat.

Du hast für Fatih Akin Musik gemacht – was ist das Besondere an Filmmusik? Die Musik im Film transportiert die Gefühle. Einer meiner bisher nicht erfüllten Wünsche bzw. Träume ist es, die komplette Score- Musik für einen ganzen Film zu schreiben. Ich liebe Filme und ich liebe Score-Musik.

Welche drei Dinge würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? Zwei davon wären Gitarren, meine spanische und meine Dobro-Gitarre. Und meine Zahnbürste.

Wo siehst du dich in zehn Jahren? Ich würde mich gerne in einem exotischen Land inmitten von urwüchsiger Natur sehen, auf der Reise wie ein Nomade. Aber das sind bisher nur Träume. 17.05.2013 © Kathleen Kalle (SUBWAY Medien) / Fotocredit: Roger Askew Photography