500 Jahre Evangelisches Leben in Schlesien

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500 Jahre Evangelisches Leben in Schlesien BILDER UND TEXTE EINER WANDERAUSSTELLUNG DES SCHLESISCHEN MUSEUMS ZU GÖRLITZ Kirchfahrer Buschprediger betende Kinder 500 JAHRE EVANGELISCHES LEBEN IN SCHLESIEN Partner der Ausstellung: Kirchliche Stiftung Evangelisches Schlesien | Diözesen Breslau, Kattowitz und Teschen der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen Texte und Bildauswahl: Markus Bauer, Annemarie Franke Zusammenarbeit: Katarzyna Zinnow Übersetzung: Ewa Czerwiakowska Hintergrundkarten: Joannes Janssonius (1588-1664): Karte des Herzogtums Schlesien, Kupferstich, koloriert, um 1660, Foto: © Schlesisches Museum zu Görlitz, Leihgabe Nordostdeutsches Kulturwerk e. V., Johannes Honterus: Rudi- menta Cosmographica (1542) Umschlag: Graphik Anna Dejewska unter Verwendung einer Druckgraphik aus: Benjamin Schmolck, Der Geistliche Kirchen-Gefährte oder Gebet und Lieder, Breslau 1732, BIblioteka Uniwersytecka Wrocław 500 JAHRE EVANGELISCHES LEBEN IN SCHLESIEN Kirchfahrer • Buschprediger • betende Kinder Bilder und Texte einer Wanderausstellung des Schlesischen Museums zu Görlitz Görlitz 2017 500 JAHRE EVANGELISCHES LEBEN IN SCHLESIEN | Kirchfahrer • Buschprediger • betende Kinder Einführung in die Ausstellung Vor fünfhundert Jahren, am 31. Oktober 1517, begann im von Grund auf mit der preußischen Eroberung. Aber auch Städtchen Wittenberg an der Elbe eine Kulturrevolution, im 19. Jahrhundert war die evangelische Kirche existenti- die ganz Europa erfasste: Martin Luther verkündete seine ellen gesellschaftlichen und politischen Bedrängnissen 95 Thesen zum Ablasshandel. Die Reformation veränderte ausgesetzt: der staatlich verfügten Vereinigung der luthe- das Verhältnis der Menschen zu Gott, zur Kirche und zur rischen mit der reformierten Konfession, der Herausfor- Obrigkeit. derungen durch die Industrialisierung und dem schmerz- Die Reformation hat auch die Geschichte Schlesiens haften Aufbrechen der sozialen Frage. Im 20. Jahrhundert über viele Generationen und bis auf den heutigen Tag mussten sich die Protestanten in zwei Diktaturen bewäh- zutiefst geprägt. Es ist eine vielschichtige, in mancher Hin- ren. Während der NS-Zeit zerbrach die Kirche beinahe am sicht widerspruchsvolle Geschichte, eine Geschichte von Gegensatz zwischen den regimetreuen Deutschen Chris- Not und Bedrängnis, von Kriegstaten und Taten der Fröm- ten und der Bekennenden Kirche in Opposition zu Hitler. migkeit und der Nächstenliebe, von Unterdrückung und Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945 schließ- Aufbegehren, von dramatischen Umwälzungen und Ver- lich stellten das Fortleben des evangelischen Bekennt- treibungen. Phasen stiller und ungestörter Entwicklung nisses in Schlesien grundsätzlich in Frage. Während die gab es selten. Dieser komplexen Geschichte in einer klei- aus Schlesien stammenden deutschen Protestanten nach nen Ausstellung, auf lediglich fünfzehn Tafeln, gerecht zu ihrem Platz in den sich entwickelnden Gesellschaften der werden, ist kaum möglich. Um den Stoff besser zu durch- Bundesrepublik Deutschland und der DDR suchten, stand dringen und zu gliedern, haben wir daher nach leitenden die kleine polnische Evangelisch-Augsburgische Kirche vor Motiven und Fragestellungen gesucht. der kaum lösbaren Aufgabe, den Aufbau eigener Gemein- den zu betreiben und zugleich das überdimensionierte Standhalten gegenüber Bedrängnis und Erbe der alten deutschen Kirche anzutreten. Schon vor Herausforderung 1989 haben erste Kontakte zwischen schlesischen Pro- testanten in Deutschland und den polnischen evangeli- Als ein zentrales Thema erscheint uns die »Bewährung«, schen Gemeinden in Schlesien Früchte getragen. Seitdem das Standhalten gegenüber Bedrängnis und Herausfor- ist die Zusammenarbeit immer enger und vertrauensvol- derung. Die evangelische Kirche in Schlesien hat große ler geworden. Dass es eine gemeinsame Verantwortung für Widerstände überwinden müssen, bevor sie Glaubensfrei- die Traditionen der alten evangelischen Kirche in Schle- heit für sich errang. Nachdem das Land am Ende des 16. sien gibt, eine polnisch-deutsche Erbengemeinschaft, dar- Jahrhunderts fast vollständig evangelisch geworden war, über herrscht heute ein breiter Konsens. setzte im frühen 17. Jahrhundert eine Gegenbewegung ein, durch die weite Teile der Bevölkerung, nicht immer aus Die schlesische Toleranz freien Stücken, zum katholischen Bekenntnis zurückge- führt wurden. Über Jahrzehnte waren die evangelischen Ein weiterer Schlüsselbegriff in der Geschichte des schlesi- Schlesier starkem Druck ausgesetzt. Sie hielten dem aber schen Protestantismus ist das Wort von der »schlesischen stand und setzten durch, dass im Zeitalter der Gegenre- Toleranz«. Der Begriff wurde am Ende des 18. Jahrhun- formation in Schlesien die Konfessionsfrage offen blieb. derts geprägt. Er bezeichnete das geregelte Nebeneinan- Sichtbares Zeichen waren die Friedens- und Gnadenkir- der der Konfessionen im Oderland, das Zeitgenossen als chen und die »Kirchfahrten«, die von weither zu diesen ungewöhnlich auffiel: die durch Jahrhunderte bewährte, oder zu evangelischen Kirchen in benachbarten Territorien wenn auch nie konfliktfreie Bikonfessionalität Breslaus, führten. Das waren jeden Sonntag landesweite Demons- das Nebeneinander zweier Kirchgebäude, eines katholi- trationen für Glaubensfreiheit. Die Situation entspannte schen und eines evangelischen, in zahlreichen Städten und sich schon in der späten Habsburgerzeit und änderte sich Dörfern. Seit den Anfängen der Reformation gehörten die 4 schlesischen Protestanten zu den gemäßigten, auf Aus- Sicherheit und Glaubensfreiheit. Eine seit Jahrhunder- gleich mit der alten Kirche bedachten Kräfte innerhalb ten ungebrochene polnisch-evangelische Tradition ist vor der reformatorischen Bewegung. Einen Bildersturm etwa allem im Teschener Gebiet anzutreffen, mit seiner Gnaden- hat es in Schlesien nie gegeben. Altgläubige Bräuche und kirche, die man die Mutterkirche der evangelischen Chris- Gewohnheiten haben sich hier besonders lange gehalten. ten in Polen genannt hat. Freilich: es gibt auch zahlreiche Belege für Intoleranz und Unduldsamkeit in der Geschichte der religiösen Auseinan- Gemeinsames Erbe dersetzungen in Schlesien. Für Juden galt die schlesische Toleranz nicht. Minderheiten und Seitenströmungen der Schließlich haben wir uns gefragt, wie evangelische Tradi- Reformation - Täufer, Schwenckfelder, Reformierte - wur- tionen heute in einer katholischen Umgebung verstanden den diskriminiert und mussten Verfolgung erleiden, häufig und gewürdigt werden. Es ist nicht zu verkennen, dass die rücksichtsloser durch die Lutheraner als durch die Katholi- polnische Mehrheitsgesellschaft in den ersten Jahrzehnten ken. Die schlesische Toleranz ist kein gesicherter Bestand, nach dem Zweiten Weltkrieg mit den in Schlesien vorge- sie ist vielmehr eine historische Tendenz und eine Heraus- fundenen Zeugnissen evangelischen Lebens wenig anfan- forderung für die Gegenwart. Sie darf sich auf eine Tradi- gen konnte. Kirchen gerieten in Verfall, soweit sie nicht von tion in der schlesischen Geschichte berufen, aber bleibt katholischen Gemeinden übernommen wurden, Friedhöfe eine stets neu mit Leben zu erfüllende Aufgabe. wurden aufgelassen, vielerorts zerstört, mutwillig oder absichtsvoll. Das Ende des kommunistischen Systems, die Polnische Traditionslinien Aussöhnung mit Deutschland und die Fortschritte des öku- menischen Prozesses haben hier eine tiefgreifende Ände- Des weiteren haben uns die Traditionslinien des polnischen rung im Bewusstsein und in den Einstellungen der Men- Protestantismus in Schlesien interessiert. Die evangeli- schen möglich gemacht. Heute ist in vielen Städten und schen Christen in Polen sind heute eine kleine Minderheit Dörfern eine Auseinandersetzung mit der lokalen protes- in einem überwiegend katholischen Land. Die Identifika- tantischen Tradition festzustellen. Nicht überall, aber vie- tion der polnischen Nation mit dem Katholizismus verstellt lerorts werden ruinöse Kirchen und abgegangene Fried- allzu häufig den Blick auf originär polnische Wurzeln des höfe restauriert. Katholische Pfarrer sprechen über die Protestantismus. Diese sind natürlich vor allem im histo- evangelische Geschichte ihrer Gotteshäuser. Die Erinne- rischen Polen selbst zu finden, auf dem Gebiet der alten rung an evangelische Geistliche und Literaten wird am Ort Rzeczpospolita (Polnisch-Litauische Republik), aber eben ihres einstigen Wirkens in Ehren gehalten. Es ist zu hof- auch in Schlesien. Nicht nur Deutsch wurde in der Refor- fen, dass dieser Prozess der gegenseitigen Anerkennung mation zur Kirchensprache, sondern auch Polnisch, wie und Verständigung sich fortsetzt. Ein erfreuliches Signal zahlreiche in Schlesien verbreitete, teilweise hier gedruckte sind die Resolutionen der Parlamente (Sejmik) der Woje- Schriften zeigen, Bibelübersetzungen, Katechismen, Pre- wodschaften Schlesien und Niederschlesien, die das Jahr digtsammlungen. Die Predigt in polnischer Sprache, die 2017 zum »Jahr der Reformation« ausrufen und den Bei- Stelle des Pastor Polonicus an zahlreichen evangelischen trag der evangelischen Kirche und ihrer Gläubigen in Ver- Kirchen gehören fest zur Geschichte des Protestantismus gangenheit und Gegenwart für die Gesellschaft würdigen. in Schlesien. Während der Gegenreformation bot das tole- rante Polen Glaubensflüchtlingen aus Schlesien Obdach, Markus Bauer und Annemarie Franke 5 500 JAHRE EVANGELISCHES LEBEN IN SCHLESIEN | Kirchfahrer • Buschprediger • betende Kinder Reformation der Bürger Im April 1524 war Breslau in heller Aufregung: Der bekannte Lange hatte Hess gezögert, im Streit um Luther Partei zu Humanist
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