BILDER UND TEXTE EINER WANDERAUSSTELLUNG DES SCHLESISCHEN MUSEUMS ZU GÖRLITZ

Kirchfahrer Buschprediger betende Kinder

500 JAHRE EVANGELISCHES LEBEN IN SCHLESIEN Partner der Ausstellung: Kirchliche Stiftung Evangelisches Schlesien | Diözesen Breslau, Kattowitz und Teschen der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen Texte und Bildauswahl: Markus Bauer, Annemarie Franke Zusammenarbeit: Katarzyna Zinnow Übersetzung: Ewa Czerwiakowska

Hintergrundkarten: Joannes Janssonius (1588-1664): Karte des Herzogtums Schlesien, Kupferstich, koloriert, um 1660, Foto: © Schlesisches Museum zu Görlitz, Leihgabe Nordostdeutsches Kulturwerk e. V., Johannes Honterus: Rudi- menta Cosmographica (1542) Umschlag: Graphik Anna Dejewska unter Verwendung einer Druckgraphik aus: Benjamin Schmolck, Der Geistliche Kirchen-Gefährte oder Gebet und Lieder, Breslau 1732, BIblioteka Uniwersytecka Wrocław 500 JAHRE EVANGELISCHES LEBEN IN SCHLESIEN Kirchfahrer • Buschprediger • betende Kinder

Bilder und Texte einer Wanderausstellung des Schlesischen Museums zu Görlitz

Görlitz 2017 500 JAHRE EVANGELISCHES LEBEN IN SCHLESIEN | Kirchfahrer • Buschprediger • betende Kinder

Einführung in die Ausstellung

Vor fünfhundert Jahren, am 31. Oktober 1517, begann im von Grund auf mit der preußischen Eroberung. Aber auch Städtchen Wittenberg an der Elbe eine Kulturrevolution, im 19. Jahrhundert war die evangelische Kirche existenti- die ganz Europa erfasste: Martin Luther verkündete seine ellen gesellschaftlichen und politischen Bedrängnissen 95 Thesen zum Ablasshandel. Die Reformation veränderte ausgesetzt: der staatlich verfügten Vereinigung der luthe- das Verhältnis der Menschen zu Gott, zur Kirche und zur rischen mit der reformierten Konfession, der Herausfor- Obrigkeit. derungen durch die Industrialisierung und dem schmerz- Die Reformation hat auch die Geschichte Schlesiens haften Aufbrechen der sozialen Frage. Im 20. Jahrhundert über viele Generationen und bis auf den heutigen Tag mussten sich die Protestanten in zwei Diktaturen bewäh- zutiefst geprägt. Es ist eine vielschichtige, in mancher Hin- ren. Während der NS-Zeit zerbrach die Kirche beinahe am sicht widerspruchsvolle Geschichte, eine Geschichte von Gegensatz zwischen den regimetreuen Deutschen Chris- Not und Bedrängnis, von Kriegstaten und Taten der Fröm- ten und der Bekennenden Kirche in Opposition zu Hitler. migkeit und der Nächstenliebe, von Unterdrückung und Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945 schließ- Aufbegehren, von dramatischen Umwälzungen und Ver- lich stellten das Fortleben des evangelischen Bekennt- treibungen. Phasen stiller und ungestörter Entwicklung nisses in Schlesien grundsätzlich in Frage. Während die gab es selten. Dieser komplexen Geschichte in einer klei- aus Schlesien stammenden deutschen Protestanten nach nen Ausstellung, auf lediglich fünfzehn Tafeln, gerecht zu ihrem Platz in den sich entwickelnden Gesellschaften der werden, ist kaum möglich. Um den Stoff besser zu durch- Bundesrepublik Deutschland und der DDR suchten, stand dringen und zu gliedern, haben wir daher nach leitenden die kleine polnische Evangelisch-Augsburgische Kirche vor Motiven und Fragestellungen gesucht. der kaum lösbaren Aufgabe, den Aufbau eigener Gemein- den zu betreiben und zugleich das überdimensionierte Standhalten gegenüber Bedrängnis und Erbe der alten deutschen Kirche anzutreten. Schon vor Herausforderung 1989 haben erste Kontakte zwischen schlesischen Pro- testanten in Deutschland und den polnischen evangeli- Als ein zentrales Thema erscheint uns die »Bewährung«, schen Gemeinden in Schlesien Früchte getragen. Seitdem das Standhalten gegenüber Bedrängnis und Herausfor- ist die Zusammenarbeit immer enger und vertrauensvol- derung. Die evangelische Kirche in Schlesien hat große ler geworden. Dass es eine gemeinsame Verantwortung für Widerstände überwinden müssen, bevor sie Glaubensfrei- die Traditionen der alten evangelischen Kirche in Schle- heit für sich errang. Nachdem das Land am Ende des 16. sien gibt, eine polnisch-deutsche Erbengemeinschaft, dar- Jahrhunderts fast vollständig evangelisch geworden war, über herrscht heute ein breiter Konsens. setzte im frühen 17. Jahrhundert eine Gegenbewegung ein, durch die weite Teile der Bevölkerung, nicht immer aus Die schlesische Toleranz freien Stücken, zum katholischen Bekenntnis zurückge- führt wurden. Über Jahrzehnte waren die evangelischen Ein weiterer Schlüsselbegriff in der Geschichte des schlesi- Schlesier starkem Druck ausgesetzt. Sie hielten dem aber schen Protestantismus ist das Wort von der »schlesischen stand und setzten durch, dass im Zeitalter der Gegenre- Toleranz«. Der Begriff wurde am Ende des 18. Jahrhun- formation in Schlesien die Konfessionsfrage offen blieb. derts geprägt. Er bezeichnete das geregelte Nebeneinan- Sichtbares Zeichen waren die Friedens- und Gnadenkir- der der Konfessionen im Oderland, das Zeitgenossen als chen und die »Kirchfahrten«, die von weither zu diesen ungewöhnlich auffiel: die durch Jahrhunderte bewährte, oder zu evangelischen Kirchen in benachbarten Territorien wenn auch nie konfliktfreie Bikonfessionalität Breslaus, führten. Das waren jeden Sonntag landesweite Demons- das Nebeneinander zweier Kirchgebäude, eines katholi- trationen für Glaubensfreiheit. Die Situation entspannte schen und eines evangelischen, in zahlreichen Städten und sich schon in der späten Habsburgerzeit und änderte sich Dörfern. Seit den Anfängen der Reformation gehörten die

4 schlesischen Protestanten zu den gemäßigten, auf Aus- Sicherheit und Glaubensfreiheit. Eine seit Jahrhunder- gleich mit der alten Kirche bedachten Kräfte innerhalb ten ungebrochene polnisch-evangelische Tradition ist vor der reformatorischen Bewegung. Einen Bildersturm etwa allem im Teschener Gebiet anzutreffen, mit seiner Gnaden- hat es in Schlesien nie gegeben. Altgläubige Bräuche und kirche, die man die Mutterkirche der evangelischen Chris- Gewohnheiten haben sich hier besonders lange gehalten. ten in Polen genannt hat. Freilich: es gibt auch zahlreiche Belege für Intoleranz und Unduldsamkeit in der Geschichte der religiösen Auseinan- Gemeinsames Erbe dersetzungen in Schlesien. Für Juden galt die schlesische Toleranz nicht. Minderheiten und Seitenströmungen der Schließlich haben wir uns gefragt, wie evangelische Tradi- Reformation - Täufer, Schwenckfelder, Reformierte - wur- tionen heute in einer katholischen Umgebung verstanden den diskriminiert und mussten Verfolgung erleiden, häufig und gewürdigt werden. Es ist nicht zu verkennen, dass die rücksichtsloser durch die Lutheraner als durch die Katholi- polnische Mehrheitsgesellschaft in den ersten Jahrzehnten ken. Die schlesische Toleranz ist kein gesicherter Bestand, nach dem Zweiten Weltkrieg mit den in Schlesien vorge- sie ist vielmehr eine historische Tendenz und eine Heraus- fundenen Zeugnissen evangelischen Lebens wenig anfan- forderung für die Gegenwart. Sie darf sich auf eine Tradi- gen konnte. Kirchen gerieten in Verfall, soweit sie nicht von tion in der schlesischen Geschichte berufen, aber bleibt katholischen Gemeinden übernommen wurden, Friedhöfe eine stets neu mit Leben zu erfüllende Aufgabe. wurden aufgelassen, vielerorts zerstört, mutwillig oder absichtsvoll. Das Ende des kommunistischen Systems, die Polnische Traditionslinien Aussöhnung mit Deutschland und die Fortschritte des öku- menischen Prozesses haben hier eine tiefgreifende Ände- Des weiteren haben uns die Traditionslinien des polnischen rung im Bewusstsein und in den Einstellungen der Men- Protestantismus in Schlesien interessiert. Die evangeli- schen möglich gemacht. Heute ist in vielen Städten und schen Christen in Polen sind heute eine kleine Minderheit Dörfern eine Auseinandersetzung mit der lokalen protes- in einem überwiegend katholischen Land. Die Identifika- tantischen Tradition festzustellen. Nicht überall, aber vie- tion der polnischen Nation mit dem Katholizismus verstellt lerorts werden ruinöse Kirchen und abgegangene Fried- allzu häufig den Blick auf originär polnische Wurzeln des höfe restauriert. Katholische Pfarrer sprechen über die Protestantismus. Diese sind natürlich vor allem im histo- evangelische Geschichte ihrer Gotteshäuser. Die Erinne- rischen Polen selbst zu finden, auf dem Gebiet der alten rung an evangelische Geistliche und Literaten wird am Ort Rzeczpospolita (Polnisch-Litauische Republik), aber eben ihres einstigen Wirkens in Ehren gehalten. Es ist zu hof- auch in Schlesien. Nicht nur Deutsch wurde in der Refor- fen, dass dieser Prozess der gegenseitigen Anerkennung mation zur Kirchensprache, sondern auch Polnisch, wie und Verständigung sich fortsetzt. Ein erfreuliches Signal zahlreiche in Schlesien verbreitete, teilweise hier gedruckte sind die Resolutionen der Parlamente (Sejmik) der Woje- Schriften zeigen, Bibelübersetzungen, Katechismen, Pre- wodschaften Schlesien und Niederschlesien, die das Jahr digtsammlungen. Die Predigt in polnischer Sprache, die 2017 zum »Jahr der Reformation« ausrufen und den Bei- Stelle des Pastor Polonicus an zahlreichen evangelischen trag der evangelischen Kirche und ihrer Gläubigen in Ver- Kirchen gehören fest zur Geschichte des Protestantismus gangenheit und Gegenwart für die Gesellschaft würdigen. in Schlesien. Während der Gegenreformation bot das tole- rante Polen Glaubensflüchtlingen aus Schlesien Obdach, Markus Bauer und Annemarie Franke

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Reformation der Bürger

Im April 1524 war Breslau in heller Aufregung: Der bekannte Lange hatte Hess gezögert, im Streit um Luther Partei zu Humanist Johann Hess, gerade erst vom Stadtrat als Pfar- beziehen. Gemeinsam mit Ambrosius Moibanus, dem Pfar- rer an die Kirche St. Maria Magdalena berufen, sprach sich rer an der Elisabeth-Kirche, führte er jetzt innerhalb von in einer Disputation öffentlich für Luther aus, obwohl der wenigen Monaten die Reformation in Breslau durch. Er Papst über diesen den Bann verhängt hatte. gestaltete den Gottesdienst um, führte ein neues Gesang- buch ein und ordnete das Schul- und Armenwesen. Die Breslauer Reformatoren verfolgten einen gemäßigten Kurs und scheuten den Bruch mit der römisch-katholischen Kirche. Wie in Breslau, so forderten auch in anderen schle- sischen Städten Bürgerschaft und Rat eine Übernahme der lutherischen Reform: Predigt in der Sprache des Vol- kes, in Deutsch oder Polnisch, Abschaffung von Zölibat, Heiligenkult und Ablasswesen, Abendmahlsfeier mit dem Laien kelch.

 Das letzte Abendmahl des Breslauer Rates Vielerorts drängten die Ratsbehörden auf Einführung der Reformation, nicht zuletzt, um eigene Machtbefugnisse auszu- dehnen. Das Gemälde, das früher im Breslauer Rathaus hing, stellt die Verantwortung des Rates für das Seelenheil der Bür- ger heraus. Die Jünger beim Abendmahl tragen die Züge von Ratsherren und bekannten Bürgern. Der ungeliebte Stadtkäm- merer erscheint als Judas. Unbekannter Maler, 1537 (Gemälde verschollen), Foto: Schlesiens Vorzeit im Bild und Schrift N. F. V (1909).

ƒ Am Anfang war das Wort Die Predigt steht im Mittelpunkt des evangelischen Gottes- dienstes. Die Kanzel in der Kirche St. Maria Magdalena wurde 1579-80 für diese Aufgabe neu gestaltet. Friedrich Gross d. Ä., 1579-80, Foto: Stanisław Klimek

6 „ Zentralorte der Reformation Seit Jahrhunderten prägen die beiden alten Breslauer Bürgerkirchen das Gesicht der Alt- stadt. St. Maria Magdalena ist heute die Kathe- dralkirche der altkatholischen Diözese Breslau. St. Elisabeth kam nach dem Krieg zunächst in die Obhut der polnischen evangelischen Kirche. Hier wurde letztmals am 30. Juni 1946 Deutsch gepredigt. Seitdem ist St. Elisabeth die katholische Garnisonskirche von Breslau. Unbekannter Maler, 1537 (Gemälde verschollen), Foto: Schlesiens Vorzeit im Bild und Schrift N. F. V (1909).

‚ Gesetz und Gnade ‚ Toleranz als Tradition Das Epitaph des Reformators Johann Hess (1490- 1547) bringt In Breslau haben Protestanten und Katholiken jahrhunderte- einen zentralen Gedanken der lutherischen Theologie zum lang friedlich zusammengelebt – wenn auch nicht immer ohne Ausdruck: die Gegenüberstellung des Alten mit dem Neuen Konfl ikte. Das moderne Wrocław setzt diese Tradition fort: Im Testament unter dem Zeichen von Gesetz und Gnade. »Viertel der gegenseitigen Achtung« begegnen sich Juden mit Unbekannter Maler, 1547/49, Muzeum Narodowe we Wrocławiu evangelischen, katholischen und orthodoxen Christen. Graphik: Jan Jerzmański

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Reformation der Fürsten

Die Lehre Martin Luthers fand bald auch unter den schle- Markgraf Georg aus dem fränkischen Zweig der Hohen- sischen Fürsten einfl ussreiche Förderer. Vor allem Herr- zollern galt als die wichtigste Stütze des Protestantismus in scher aus der Familie der Piasten öffneten ihr Land der Schlesien. Durch Erbverträge mit den letzten Piastenherzö- Reformation, aus religiöser Überzeugung und aus Macht- gen in Oppeln und Ratibor war er zu umfangreichen Besit- kalkül. Unter ihnen war Herzog Friedrich II. von Liegnitz, zu zungen in Oberschlesien gekommen. Als einziger schle- seiner Zeit der mächtigste Fürst Schlesiens. In der Ausein- sischer Fürst gehörte er 1530 zu den Unterzeichnern der andersetzung mit König Ferdinand I. von Habsburg suchte »Augsburger Konfession«, bis heute eine der wichtigsten er die Annäherung an die Hohenzollern in Brandenburg. Bekenntnisschriften der lutherischen Kirchen.

 Prominente Zeugen Das berühmte Gemälde zeigt den Kniefall Albrechts von Bran- denburg, des Hochmeisters des Deutschen Ordens, vor König Sigismund I. von Polen. Als Zeugen erscheinen die schlesi- schen Fürsten Georg der Fromme und Friedrich II. von Liegnitz, Albrechts Bruder und Schwager. Jan Matejko: Preußische Huldigung (Ausschnitt), 1879-1882, Zamek Królewski na Wawelu, Foto: Anna Stankiewicz

8 ƒ Friedrich II. von Liegnitz Unter Friedrich II. (1480-1547) wurde Liegnitz zu einem weit aus- strahlenden Mittelpunkt der Reformation in Schlesien. Hier gründete er 1526 die erste protestantische Universität Europas. Sie hatte aber nur wenige Jahre Bestand. Bildnis Herzog Friedrichs II. von Liegnitz, Brieg und Wohlau am Liegnitzer Schlossportal, 1533, Foto: Dariusz Berdys

‚ Georg der Fromme, Markgraf von Brandenburg-Ansbach Markgraf Georg (1484-1543) sorgte dafür, dass für einige Jahr- zehnte fast ganz Oberschlesien evangelisch wurde. Unbekannter Maler, Miniaturporträt, Landesmuseum Württemberg, Foto: H. Zwietasch

ƒ‚ Wenzel III Adam von Teschen Das Recht, die kirchlichen Angelegenheiten zu regeln (»ius reformandi«), stand eigentlich nur dem Landesherrn zu, also dem böhmischen König. Dennoch haben schlesische Fürsten immer wieder Kirchenordnungen für ihr Territorium erlassen – so auch der piastische Herzog Wenzel III. Adam (1524-1579), der die Reformation im Herzogtum Teschen einführte. Taler von 1574 (Replik), Foto: Muzeum Śląska Cieszyńskiego Teschener Kirchenordnung von 1568, Muzeum Protestantyzmu – Bib- lioteka i Archiwum im. Tschammera, Cieszyn, Foto: Marcin Gabryś

Karte: Schlesische Fürstentümer um 1530, s. S. 36

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Evangelisches Leben

Die Reformation hatte Auswirkungen auf den Gottesdienst, die Ausstattung der Kirchen und das gesamte kirchliche Leben. Luther lehrte, dass jeder Christ durch die Taufe und den Glauben Zugang zu den Sakramenten hat und nicht die Vermittlung durch einen Priester benötigt. Der evan- gelische Pfarrer ist Seelsorger und Lehrer und lebt mit seiner Familie inmitten der Gemeinde. Im Gottesdienst steht das Wort im Mittelpunkt: Predigt und Lesung aus der Heiligen Schrift in der Volkssprache und Lieder, die von der Gemeinde gemeinsam gesungen werden. Das evan- gelische Schlesien war weithin berühmt für seinen Kir- chengesang. Nur langsam änderte sich hier das Aussehen der Kirchen. Die mittelalterlichen Heiligenaltäre blieben zunächst unberührt. Neue Altarbilder stellten Leben und Wirken Christi heraus. Die Reformation fand in Schlesien Anhänger unter Deut- schen wie Polen. Beide Volkssprachen wurden jetzt auch Kirchensprachen. In vielen evangelischen Kirchen gab es die Stelle eines »Pastor Polonicus«, der den Gläubigen auf Polnisch predigte

 Glaubensbekenntnis eines adligen Herrn Wolf von Busewoy (1509-1563) war ein enger Vertrauter Her- zog Friedrichs II. von Liegnitz. Das Porträt hing in der von sei- ner Familie gestifteten Kirche in Bärsdorf-Trach bei Haynau. Die Texte auf den Schrifttafeln beziehen sich auf die christliche Lehre im Verständnis Martin Luthers. Unbekannter schlesischer Maler, 1550, Pfarrkirche St. Anton von Padua in Bärsdorf-Trach bei Haynau/Parafi a Niedźwiedzice, Foto: Dariusz Berdys

ƒ Liturgischer Dreiklang Die ehemals evangelische Kirche von Schedlau in Oberschle- sien wurde im frühen 17. Jahrhundert von Hans von Pückler und seiner Frau Helena gestiftet. Altar, Taufstein und Kanzel sind bis heute erhalten und werden von der jetzt katholischen Gemeinde genutzt. Filialkirche Maria Namen, früher Salvatorkirche in Schedlau. Hermann Fischer (Skulptur), Caspar Winckler (Malerei), 1616-17, Foto: Roman Baran

10 „ Ein christliches Lehrbuch für Deutsche und Polen Zur Unterweisung der Jugend ver- fasste Paulus Glodius (gest. 1606), Diakon an der Elisabethkirche in Breslau, einen Katechismus in deutscher und polnischer Sprache. Glodius wirkte auch als polnischer Prediger an der Breslauer Chris- tophorikirche, wo bis ins 19. Jahr- hundert polnische Gottesdienste gehalten wurden. Paulus Glodius: Catechismus, 1605 (Aufl age von 1607), Biblioteka Uniwer- sytecka we Wrocławiu

‚ Die Kunst zu sterben Im 17. Jahrhundert entwickelte sich auch in Schlesien der Typus eines »protestantischen Gottes ackers«. Inschriften auf den Grabsteinen mahnen zu Umkehr und Andacht. Dank der Initiative von Bürgern und Denkmalpfl egern überstand der Friedhof von Freystadt die Welle von Zerstörungen, der in den 1970er Jahren evangelische Friedhöfe in Schlesien zum Opfer fi elen. Lapidarium auf dem alten evangelischen Dreifaltigkeitsfriedhof in Freystadt, Foto: Dorota Tomczak, Muzeum Ziemi Wschowskiej

 Kirche, Schulhaus, Pfarrhaus In vielen Dörfern mit evangelischer Bevölkerung bildete sich ein Ensemble aus drei kirchlichen Gebäuden aus. Neben der Kirche lagen das Pfarrhaus und die Schule. Das ehemalige Bet- haus von Primkenau ist heute eine polnisch-orthodoxe Kirche. Primkenau, Friedrich Bernhard Werner, Topographia seu Compendium Silesiae, ca. 1750, Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu Luftbild von Primenkau, Foto: Gemeinde Przemków

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Reformation und Bildung

Luther forderte, die Heilige Schrift müsse jedem Christen in seiner Sprache zugänglich gemacht werden. Alle sollten fähig sein, zu lesen und zu verstehen. Vor allem durch den Reformator Philipp Melanchthon, Luthers engsten Wegge- fährten, wurden Bildung und ein modernes Schulwesen zu einem zentralen Anliegen der Reformation. Melanchthons Schüler Valentin Trotzendorf entwickelte in der schlesi- schen Kleinstadt Goldberg den neuen Typus eines pro- testantisch-humanistischen Gymnasiums, der in Schle- sien und darüber hinaus viele Nachfolger fand.  Martin Opitz in Bolesławiec Das hohe Niveau der Schulbildung legte die Grundlage Martin Opitz (1597-1639) gilt als »Vater der deutschen Dicht- für eine literarische Blüte in der Epoche des Barock. Für kunst«. Das polnische Bunzlau ist stolz auf den bedeutendsten etwa hundert Jahre bestimmten Dichter und Schriftstel- Sohn der Stadt und hat 1998 eine Kopie seines vom Breslauer ler aus Schlesien wesentlich die literarische Entwicklung Maler Bartholomäus Strobel gemalten Porträts anfertigen in Deutschland. Der Streit der Konfessionen beflügelte lassen. Eine frühere Kopie von 1908 ist im Zweiten Weltkrieg verschollen. die intellektuelle und künstlerische Auseinandersetzung, Bartholomäus Strobel: Porträt Martin Opitz, 1636-37, Biblioteka verhinderte aber lange die Entstehung einer schlesischen Gdańska PAN (Kopie von Wojciech Czerniewski), Muzeum Ceramiki Landesuniversität. w Bolesławcu

ƒ Der Stolz des gelehrten Breslau Die 1293 gegründete Stadtschule an St. Elisabeth wurde 1560 zum evangelischen Gymnasium erho- ben und gehörte seitdem zu den wichtigsten Ausbildungsstätten für den Nachwuchs in Staat und Kirche Schlesiens. Nicolaus Häublein, Gymnasium Elisa- bethanum, Leipzig 1668, Schlesisches Museum zu Görlitz

12 „ Andreas Gryphius in Głogów Andreas Gryphius (1616-1664) ist der bekannteste deutsche Dichter des Barock. In seiner Heimatstadt Glogau wirkte er als Syndicus der protestantischen Landstände. Heute halten Lesungen, Theateraufführungen und ein jährliches Festival die Erinnerung an ihn wach. Plakat des X. Gryphius Musikfestivals in Glogau, 2016, Miejski Ośrodek Kultury w Głogowie

‚ Vater der schlesischen Schulreform Humanistische Bildung und die Lehre Luthers waren die zent- ralen Lehrinhalte im Goldberger Gymnasium, das Valentin Trotzendorf (1490-1556) zu einer protestantischen Muster- schule machte. Die Schüler wurden ermutigt, sich selbst aktiv am Unterricht zu beteiligen. Michael Fleiser (?), Epitaph für Valentin Trotzendorf in der Pfarrkirche Goldberg, 1566, Foto: Katarzyna Zinnow

‚ Eine Hochschule in der schlesischen Provinz Das Gymnasium in Beuthen an der Oder war eine der erstaun- lichsten Bildungsprojekte des 17. Jahrhunderts. 1601 gründete der schlesische Magnat Georg von Schönaich diese protestan- tische Akademie mit zwölf Lehrstühlen. Im Zuge der Gegen- reformation wurde sie geschlossen. Heute ist nur das Portal erhalten. Gymnasium Schönaichianum, Foto: Tomasz Andrzejewski, Muzeum Miejskie w Nowej Soli

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Luthers Konkurrenten und Gegner

Auch in Schlesien war Luther unter den Anhängern einer Das Konzil von Trient (1546-63) leitete die innere Reform Kirchenreform nicht unangefochten. Mancherorts bilde- der katholischen Kirche ein. Auch in Schlesien wurde nun ten sich Gemeinden radikaler Täufer. Die Lehre des Lieg- die Reformation zurückgedrängt. Gestützt auf die Macht nitzer Reformators Kaspar Schwenckfeld breitete sich aus. des königlichen Landesherrn trieben Bischof und Domka- Wegen grundsätzlicher theologischer Differenzen war es pitel in Breslau die Gegenreformation voran. In den Städ- zwischen diesem und Luther schon 1525 zum Bruch gekom- ten übten die Jesuiten eine erfolgreiche Missionstätigkeit men. Reformierte, Anhänger des Genfer Reformators Cal- aus. Nach und nach übernahmen sie die meisten städti- vin, gab es vor allem unter den Gebildeten, Adligen und schen Gymnasien. unter den Fürsten Schlesiens. Außerhalb von Gelehrten- stuben und Fürstenhöfen fand das reformierte Bekennt- nis aber wenig Anklang.

 Von Schlesien nach Amerika Anhänger des Reformators Kaspar Schwenckfeld (1489-1561) hielten sich in Schlesien bis ins 18. Jahrhundert. 1734 ent- schlossen sie sich zur Auswanderung. In Pennsylvania existiert die »Schwenkfelder Church« nochheute. Porträt Kaspar Schwenckfelds, Zeichnung im Skizzenbuch eines Bres- lauers Goldschmieds von 1600, Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu

ƒ Herausforderung durch Rom Die Katholische Kirche, Herrin über die sieben Sakramente, ist fest mit Gott und den Heiligen verbun den und ruht auf dem sicheren Fundament der Tradition – während die Ketzer, unter ihnen Luther und Calvin, im Sumpf versinken. Grottkau lag im Fürstentum Neisse, das dem Breslauer Bistum gehörte. Allegorie der katholischen Kirche, Meister AS, 1630, Pfarrkirche zum Erzengel Michael in Grottkau, Foto: Roman Baran

14 „ Angelus Silesius als Trödler Der Streit der Konfessionen brachte eine Fülle von polemischen Flugschriften her- vor. Die Karikatur verhöhnt den Dichter Johannes Scheffler (1624-1677), der sich nach seiner Konversion zum Katholizismus Angelus Silesius nannte und den Zorn sei- ner früheren Glaubensgenossen auf sich gezogen hatte. Anonymer Kupferstich, 1664, Biblioteka Uniwer- sytecka we Wrocławiu

‚ Reformierte vs. Lutheraner ‚ Zentren der Gegenreformation Zu Beginn des 17. Jahrhunderts traten die Piastenherzöge von In den Jahrzehnten um 1700 erhielten Klöster der Zisterzien- Brieg und Liegnitz zum Calvinismus über. Ihre Grablege fan- ser prachtvolle Neubauten. Grüssau erlebte unter Abt Bern- den sie in der Kirche St. Johannes in Liegnitz, nachdem das hard Rosa (1624-1696) sein »goldenes Zeitalter«. Die von ihm Geschlecht mit dem Tod Herzog Georg Wilhelms 1675 ausge- gegründete Josephsbruderschaft hatte mehr als 100.000 storben war. Mitglieder und wirkte in ganz Schlesien im Sinne der Gegen- Piasten-Mausoleum in Liegnitz (1677- 1679), St. Johannes Kirche, Carlo reformation. Rossi (Entwurf), Matthias Rauchmiller (Plastik, Malerei), Foto: Stanisław Klosteranlage Grüssau mit Klosterkirche Mariä Himmelfahrt (1728-35) Klimek und St. Josephskirche (1696), Foto: Stanisław Klimek

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Unterdrückung und Gegenreformation

Im Laufe des 16. Jahrhunderts war Schlesien fast vollstän- auf sich, um in Kirchen in den Fürstentümern der Piasten dig evangelisch geworden. 1609 musste Kaiser Rudolph II. oder jenseits der Landesgrenzen die evangelische Predigt dem Adel und den Städten freie Religionsausübung gestat- zu hören. Aus ihren Kirchen vertriebene Geistliche, soge- ten. Die Gegenreformation verstärkte sich in Schlesien erst nannte Buschprediger, hielten in Wäldern Gottesdienst ab. im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges. Politischer Druck und Waffengewalt spielten dabei eine Rolle. Nach dem Krieg setzte Kaiser Ferdinand II. die Rekatho- lisierung der ihm unterstehenden Erbfürstentümer durch. Über 650 evangelische Kirchen wurden beschlagnahmt, tausende Protestanten sahen sich gezwungen, außer Lan- des zu gehen. Dennoch hielten die meisten evangelischen Schlesier an ihrem Bekenntnis fest. Die katholisch gewordenen Kir- chen blieben oft leer. Dagegen gingen viele Gläubige jeden Sonntag »auf Kirchfahrt«. Sie nahmen stundenlange Wege

 »Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen«. Zu den Glaubensflüchtlingen, die in Polen Aufnahme fanden, gehört Johann Heermann (1585-1647), einer der wichtigsten evangelischen Kirchenlieddichter. 1638 gab er sein Pfarramt in Köben bei Glogau auf und ließ sich in Lissa nieder. »Herzliebster Jesu«, Johann Heermann, 1630, in einem Gesangbuch von 1661, Faksimile

ƒ Die Liechtensteiner Dragoner bekehren Glogau Der Oberlausitzer Adlige Karl Hannibal von Dohna (1588-1633) war eine der wichtigsten Stützen der kaiserlichen Macht in Schlesien. Die von ihm befehligten Liechtensteiner Dragoner waren als »Seligmacher« berüchtigt, da sie protestantische Gläubige mit Gewalt »bekehrten«. Grafik von G. Böttger, in: Karl Adolf Menzel, Geschichte Schlesiens, Breslau 1808, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitäts- bibliothek Dresden

16  Kirche im Untergrund  Religionsfreiheit in Polen In der Zeit der Gegenreformation bewiesen die evangelischen Viele protestantische Schlesier flohen in die angrenzenden Gemeinden im Teschener Schlesien besondere Standhaftigkeit polnischen Gebiete, wo ihnen die freie Ausübung ihrer Reli- - es gibt im Polnischen die Redewendung »hart wie Luther in gion gewährt wurde. Grenzstädte wie Lissa und Fraustadt Teschen«. Unter Bäumen und auf Waldwiesen hielten die Gläu- blühten auf. Pastor Valerius Herberger (1562-1627), bekannt als bigen heimlich Gottesdienste ab. »der kleine Luther von Fraustadt«, baute 1604 zwei Wohnhäu- Gedenkgottesdienst beim Steinaltar in Ustroń unweit der Bergspitze ser am Rande der Stadt zum Bethaus »Kripplein Christi« um. Równica, 2014, Foto: Jerzy Below Es ist geplant, hier ein Museum des Protestantismus einzu- richten. Kripplein Christi in Fraustadt, Foto: Marta Małkus, Muzeum Ziemi Wschowskiej

„ Verstecktes Bekenntnis Dargestellt ist die Übergabe der Augsburger Konfession an Karl V. 1530, aus Anlass des 150. Jubi- läums dieses Ereignisses. Das Gemälde war an einer Stelle ange- bracht, die nur für den Kirchen- patron zugänglich war: Nickel von Mohl, den Landesältesten des wieder katholisch gewordenen Fürstentums Liegnitz. Unbekannter Künstler, Gemälde in der Herrschaftsloge der Kirche von Mühl- rädlitz bei Lüben, 1680, Foto: Dariusz Berdys

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Beharren im Glauben

Trotz ihrer schwierigen Lage waren die Protestanten Schle- siens nicht völliger Willkür ausgesetzt. Der Westfälische Friede, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendete, garan- tierte ihnen gewisse Rechte. In Breslau und in den Gebie- ten protestantischer Fürsten blieb evangelischer Gottes- dienst zunächst gestattet. In den jetzt wieder katholischen Erbfürstentümern musste Ferdinand II. zulassen, dass drei neue evangelische Kirchen errichtet wurden. Beim Bau der »Friedenskirchen« vor den Toren von Jauer, Schweidnitz und Glogau durften nur Lehm und Holz verwendet wer- den, Glockentürme und Schulen blieben ihnen versagt. Die Bauarbeiten gingen zügig voran. In vielen Ländern Europas wurden Spenden eingeworben. Angehörige des schlesischen Adels und Bürger stifteten Baumaterial, Bau- ern leisteten freiwillig Spann- und Handdienste. Es entstan- den die größten Fachwerkbauten der Architekturgeschichte. Mehrgeschossige Emporen und Logen boten vielen tau- send Gläubigen Platz.

 Musik und Traditionspflege Die Friedenskirchen in Schweidnitz und Jauer sind bis heute evangelisch und gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Musik spielt hier noch immer eine große Rolle. Bei den Friedens- konzerten in Jauer treten international renommierte Orches- ter auf. Das jährliche Bach-Festival in Schweidnitz hat viel zur Popularität Johann Sebastian Bachs in Polen beigetragen. Friedenskirche zu Jauer, Chor und Orchester des Gesang- und Tanzens embles »Śląsk« bei einem Konzert 2015, Muzeum Regionalne w Jaworze, Foto: Zbigniew Gol

ƒ Emmaus in Schlesien Die Reisen der Gläubigen zum sonntäglichen Gottesdienst in einer evangelischen Kirche wirkten wie wiederkehrende Demonstrationen für Glaubensfreiheit. In diesem weit verbrei- teten Kupferstich erscheint die Kirchfahrt zur Friedenskirche in Schweidnitz als Teil der biblischen Geschichte von Christus und den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus. Florian Bartholomaeus Comaeus Strahowsky, in: Benjamin Schmolck, Der Geistliche Kirchen=Gefährte oder Gebet und Lieder, Breslau 1732, Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu

18 ‚ Ein Goldschmied im Exil Zwei der Friedenskirchen, in Jauer und Schweidnitz, sind bis heute erhalten, die dritte, in Glogau, wurde im 18. Jahrhundert durch einen Brand zerstört. Nur das Altarkreuz konnte geret- tet werden. Es ist die Arbeit eines Glogauer Goldschmieds, der wegen seiner evangelischen Konfession ins Exil getrieben wurde. Altarkreuz der Glogauer Friedenskirche, Beuthen a.O. 1702/1732, Schle- sisches Museum zu Görlitz, Foto: D. Stoykow

 »Wer singt, betet doppelt« An den Friedenskirchen stand die Pfl ege des evangelischen Kirchen liedes in hoher Blüte. Lieder von Benjamin Schmolck (1672-1737), Pastor an der Schweidnitzer Friedenskirche, wer- den im evangelischen Gottesdienst noch heute gesungen. Porträt Benjamin Schmolck, anonymer Künstler, erste Hälfte 18. Jahr- hundert, Parafi a Ewangelicko-Augsburska pw. św. Trójcy w Świdnicy

‚ Luther auf Polnisch Drei Jahrhunderte lang war für viele polnische Protestanten Samuel Dambrowskis 1620 erschienene »Christliche Postille« ein wichtiger Zugang zur lutherischen Theologie. Besonders im Teschener Gebiet, wo es lange keine evangelische Kirche gab, fand die Predigtsammlung Verwendung bei häuslichen Gottes- diensten. Porträt Samuel Dambrowski (1577-1625) und Titelblatt seiner »Pos- tylla chrześcijańska«, 3. Aufl age, Brieg 1785, Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu

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Auf dem Weg zur Toleranz

1675 starb das Geschlecht der Piasten aus. Die piastischen Fürstentümer Liegnitz, Brieg und Wohlau waren bis zuletzt evangelisch geblieben. Jetzt fi elen sie an den Kaiser. Auch hier wurden nun Kirchen enteignet und Pastoren vertrie- ben. Die Situation der schlesischen Protestanten schien aussichtslos. In dieser Situation kam ihnen der schwedische König Karl XII. zu Hilfe, der sich als Schutzherr der Lutheraner sah. Im Nordischen Krieg marschierten seine Truppen durch Schlesien. Unter dem Druck schwedischer Waffen änderte Kaiser Joseph I. seine Religionspolitik. 1707 gab er über hundert evangelische Kirchen zurück und gestat- tete den Bau sechs weiterer großer evangelischer Gottes- häuser, der »Gnadenkirchen«. Im Alltag entwickelte sich jetzt vielerorts ein friedli- ches Nebeneinander der Konfessionen. Protestanten und Katholiken wirkten in Zünften und Bruderschaften zusam- men; Künstler und Handwerker arbeiteten für Auftragge- ber beider Konfessionen. Schlesien war auf dem Weg zu einem bikonfessionellen Land.

 Retter aus dem Norden Karl XII. von Schweden (1682-1718), siegreicher Feldherr im Nordischen Krieg, erzwang 1707 in der Altranstädter Kon- vention von Kaiser Joseph I. wichtige Zugeständnisse für die schlesischen Protestanten. Ch. Winkler, Kupferstich, 1707, Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu

ƒ Von Stockholm nach Hirschberg Aus Dankbarkeit gegenüber den Schweden wurde die Gnaden- kirche in Hirschberg nach dem Vorbild der Katharinenkirche in Stockholm gestaltet. Im Riesengebirgsmuseum in Hirsch- berg hat sich ein hölzernes Modell des Architekten erhalten, das damals dazu diente, die städtischen Auftraggeber zu über- zeugen. Evangelische Gnadenkirche (heute katholische Pfarrkirche) Hl. Kreuz in Hirschberg, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Herder-Institut Marburg, Bildarchiv

20  Erziehung zur Toleranz Die 1708 errichtete Ritterakademie in Liegnitz war der sicht- barste Ausdruck der neuen Religionspolitik Habsburgs. Stu- denten und Lehrer dieser Hochschule für den schlesischen Adel waren konfessionell gemischt, die Schule sollte abwech- selnd von einem Katholiken und einem Protestanten geleitet werden. Ritterakademie zu Liegnitz, kolorierte Zeichnung von Friedrich Bern- hard Werner, Topographia seu Compendium Silesiae, ca. 1750, Biblio-  Die »betenden Kinder« teka Uniwersytecka we Wrocławiu Die Nachricht vom Einlenken des Kaisers löste in Schlesien eine religiöse Massenbewegung aus. Überall im Land versam- melten sich die »betenden Kinder« zu Andachten unter freiem Himmel – wie bei den Feldgottesdiensten der schwedischen ‚‚ Mutterkirche der Evangelischen Christen in Polen Armee. In der Gnadenkirche von Teschen, die Jesus Christus geweiht Titelblatt von Caspar Neumann, Gründliche Nachricht von derer evan- ist, wird noch heute der Gnadenstab aufbewahrt, das Zeichen gelischen Schlesier Kinder=Andacht, 1708, Sächsische Landesbiblio- der kaiserlichen Erlaubnis zum Bau der Kirche. Die Jesuskirche thek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden war lange Zeit die einzige evangelische Kirche in Oberschle- sien. 1709 gehörten zu ihrer Gemeinde 40.000 Gläubige, drei Viertel von ihnen mit polnischer Sprache. Gottesdienst in der Teschener Jesuskirche heute, Foto: Beata Macura Bekrönung des Teschener Gnadenstabes, Wien 1709, Muzeum Protes- tantyzmu – Biblioteka i Archiwum im. Tschammera Cieszyn, Foto: Marcin Gabryś

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Unter den Kronen Preußens und Österreichs

Im Morgengrauen des 16. Dezembers 1740 drangen Truppen Die Gebiete im Süden um Troppau und Teschen blieben des preußischen Königs Friedrich II. in Schlesien ein. Die habsburgisch. Österreichisch-Schlesien entwickelte sich zu Gelegenheit war günstig, dem Hause Habsburg die reiche einem Musterland der staatlichen Reform. Die Toleranzge- Provinz zu entreißen. Gerade war Kaiser Karl VI. gestorben; setze Josephs II. von 1781 gewährten Religionsfreiheit in allen seine Tochter Maria Theresia kämpfte um Anerkennung als österreichischen Landen. seine Erbin. Viele schlesische Protestanten sympathisier- ten offen mit dem preußischen König. Nach seinem Sieg beließ Friedrich den schlesischen Katholiken die Religionsfreiheit. Landestypisch wurden jetzt Dörfer mit einer evangelischen und einer katholi- schen Kirche. In Breslau hatte das Nebeneinander der Kon- fessionen schon Tradition. Zeitgenossen bewunderten die »schlesische Toleranz«, die auch religiösen Minderheiten wie den Herrnhutern und selbst den Jesuiten zugutekam.

 Bescheidener Neuanfang Die schlesischen Protestanten erhielten die ihnen entzogenen Kirchen nicht wieder zurück, durften aber neue bauen. Bin- nen kürzester Zeit wurden über zweihundert Kirchen errichtet, meist schlichte Holz- oder Fachwerkbauten ohne Turm, soge- nannte Bethäuser. Das Bethaus in Leuthen. Kupferstich von Friedrich Bernhard Werner, Schlesische Bethäuser, 1748-52, Schlesisches Museum zu Görlitz

ƒ Der König und die Gesandten aus Glogau In Erwartung des preußischen Angriffs sollte im Dezember 1740 die Friedenskirche vor den Mauern der Stadt Glogau abgerissen werden. Am Ende blieb sie unzerstört – der preu- ßische König hatte versprochen, sich bei einer Belagerung der Stadt des Kirchengebäudes nicht zu bedienen. Carl Röchling und Richard Knötel: Der Alte Fritz in fünfzig Bildern, 1895, Foto: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

22  Toleranz gegenüber Minderheiten  Von der Hofkirche zur »Kirche zur Göttlichen Vorsehung« Die Herrnhuter Brüdergemeine, eine in der Oberlausitz ent- Die preußischen Könige gehörten der reformierten Konfession standene evangelische Freikirche, erhielt die Erlaubnis, sich in an. 1749/50 wurde in Breslau eine Kirche für die Hofgesell- Schlesien niederzulassen. Die Herrnhuter gründeten die Brü- schaft und die kleine reformierte Gemeinde aus Beamten und dersiedlungen Gnadenfrei, Gnadenberg, Neusalz und Gnaden- Militärs errichtet. Sie wurde zum Vorbild für viele neue pro- feld. testantische Kirchen im Land. Nach 1945 war sie unter ihrem Ansicht der Herrnhuter Siedlung Gnadenfrei, kolorierte Radierung neuen Namen »Zur Göttlichen Vorsehung« lange Zeit die ein- nach einer Zeichnung von Carl Friedrich Stuckhart, Sammlung Hasel- zige evangelische Kirche in Breslau. bach, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Foto: Herder- Festgottesdienst zum 100. Geburtstag Dietrich Bonhoeffers 2006, Institut Marburg Foto: Mieczysław Milton Mieloch

‚ Das »Bielitzer Zion« Seit der Reformation war Bielitz ein Zentrum des Protestan- tismus in Oberschlesien. Nach den Schlesischen Kriegen blieb die Stadt österreichisch. Auf einer Anhöhe am Stadtrand ent- stand das »Bielitzer Zion«, ein einzigartiges Bauensemble aus Kirche, Pfarrhaus und Schulgebäuden. Hier steht das einzige Lutherdenkmal im heutigen Polen. Fotos: Marek Kocjan

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Wege in die Moderne

Friedrich der Große hatte das Nebeneinander und die Vielfalt der Konfessionen und Glaubensgemeinschaften gefördert, um möglichst viele und treue Untertanen in Schlesien anzusiedeln. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verfolgte Friedrich Wilhelm III. in Folge der napoleoni- schen Kriege und der Reformen im preußischen Staat in der Religionspolitik einen neuen Kurs. Bewusst wählte der preußische König den Jahrestag der Reformation 1817 für seinen Aufruf zur Vereinigung der lutherischen und refor- mierten Gemeinden in einer unierten königlich-preußi- schen Landeskirche. Jenseits der politisch-konfessionellen Auseinanderset- zungen wendeten sich die Laien den christlichen »Liebes- diensten« zu. Im 19. Jahrhundert erblühte das evangeli- sche Vereins- und Fürsorgewesen als Reaktion auf soziale Notstände. Die Diakonie und Diakonissenmutterhäuser  entstanden. In Folge der staatlich gesteuerten Indus- Erst das Schulhaus, dann die Kirche Die Zahl der Evangelischen in Zabrze stieg seit dem zweiten trial isierung Oberschlesiens entwickelte sich in dem seit Drittel des 19. Jahr hunderts mit dem Zuwachs der Bevölkerung der Gegenreformation katholisch geprägten Land durch durch den Ausbau der »Donners marckhütte«. 1870 gründeten Zuwanderung von Beamten, Ingenieuren und Arbeitern die Protestanten eine eigenständige Gemeinde und erhielten eine gemischtkonfessionelle Gesellschaft. für den Bau eines Schulhauses und der Kirche ein Grundstück vom Grafen Guido Henckel von Donnersmarck. 1911 wurden in der »Friedenskirche« Kirchenfenster eingesetzt, die in Bres lau in der berühmten Werkstatt Adolph Sellers in Auftrag gegeben worden waren. Bild im Hintergrund: Postkarte aus der Sammlung Andrzej Dutkiewicz Kirchenfenster: Entwurf Otto Weck, Foto: Parafi a Ewangelicko-Augsbur- ska w Zabrzu

ƒ Linderung sozialer Not und christliche Erneuerung Seit 1850 entstanden in Schlesien Diakonissenmutterhäu- ser wie diese Einrichtung in Frankenstein. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten die Schwestern in Wertheim (Baden) ein neues Haus. Die heutige kommunale Partnerschaft zwischen den Landkreisen Main-Tauber und Ząbkowice Śl. (Frankenstein) geht auf die Initiative des Vereins »Evangelisches Diakonissen- mutterhaus Frankenstein e. V.« zurück. Kindergarten im Mutterhaus, Foto: »Die Frankensteiner Anstalten«, Düsseldorf 1928

24  Gegen die Obrigkeit  Evangelischer Frauenverein in Volkersdorf im Kreis Lauban In Schlesien regte sich unter den mehrheitlich lutherischen Seit 1815 gehörten Teile der vormals sächsischen Oberlausitz zur Protestanten großer Widerspruch gegen die Unionspolitik des preußischen Provinz Schlesien. Gerade hier entwickelten sich Königs, so dass eine Gottesdienst ordnung (Agende) mit geson- die altlutherischen Gemeinden (Evangelisch-Lutherische Kir- derten Bestimmungen für die Kirchenprovinz Schlesien ver- che in der Provinz Schlesien) aus Protest gegen die Unionspo- handelt wurde. litik des Königs. Innentitel der Agende von 1829, Archiv ANN Aufnahme von 1876, Foto: Sammlung Dietmar Neß

„ Mutter-Eva-Weg in Beuthen-Miechowitz Die Tochter des oberschlesischen Industriellen Tiele-Winck- ler setzte dem Wohlstand ihres Elternhauses ein Leben im Dienst der Armen und Bedürftigen entgegen. Die durch Eva von Tiele-Winckler (1866-1930) gegründeten diakonischen Ein- richtungen »Friedenshort« bestehen in neuer Trägerschaft in Deutschland und Polen bis heute fort. Touristische Informationstafel in Bytom-Miechowice, Foto: A. Franke, SMG

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Anpassung und Widerstand

Mit der Abdankung des Kaisers und der Gründung der Republik 1918 geriet auch das bisherige Verhältnis zwi- schen Kirche und Staat in die Wirren der Revolution und den Prozess der politischen Neuordnung. Für die Kirchen- provinz Schlesien hatten außerdem die Gebietsverluste des Deutschen Reiches nach dem Versailler Friedensver- trag einschneidende Folgen. Während die Kirche nach der Weimarer Verfassung keine Staatskirche mehr war, zielte die Kirchenpolitik der Natio- nalsozialisten seit 1933 auf und ideologi- sche Vereinnahmung. Die Haltung zum NS-Staat spaltete auch die Pfarrerschaft und Laien der schlesischen Kir- che. Die »Deutschen Christen« strebten eine evangelische  Geistlicher Trost im Lied Reichskirche an und befürworteten die Unterordnung der Jochen Klepper (1903-1942), Schriftsteller und Lieddichter, Kirche unter den NS-Staat. In Opposition zu dieser Grup- stammte aus einem evangelischen Pfarrhaus in Beuthen an pierung bildete sich die »Bekennende Kirche« heraus, die der Oder. Aufgrund seiner Ehe mit der Jüdin Hanni Stein-Ger- sich gegen die Rassenpolitik der Nationalsozialisten aus- stel wurde er von den Nationalsozialisten verfolgt. Die Familie sprach und einzig dem christlichen Bekenntnis verpfl ichtet nahm sich 1942 das Leben. Zwölf seiner Lieder stehen im deut- schen evangelischen Gesangbuch. In seiner Heimatstadt erin- sah. Diese in der Opposition stehenden Geistlichen teil- nert ein zweisprachiger Gedenkstein auf dem Friedhof an sein ten sich in Schlesien in zwei Gruppen, die sich nach den Schicksal. Orten ihrer Synoden des Jahres 1936 »Christophori« und Gedenkstein in einer Kapelle auf dem Friedhof in Bytom Odrzański, »Naumburger« nannten. Foto: Tomasz Andrzejewski, Muzeum Miejskie w Nowej Soli

ƒ Kirchenkampf in Schlesien Generalsuperintendent für Nieder- und Oberschlesien war seit 1925 der aus Westfalen stammende Otto Zänker (1876-1960), später Bischof der Schle- sischen Kirche. Im Kirchenkampf mit dem NS-Staat unterlegen wurde er zunächst 1939 zwangsweise beurlaubt und 1941 in den Ruhestand versetzt. Die von ihm geleitete Bekenntnissynode in der St. Christophori-Kirche in Breslau betonte die lutherische Tradition der Kirchenprovinz Schlesien. Bekenntnisgottesdienst 1935, Handzettel, Sammlung Dietmar Neß

26 „„ Bekenntnistreue um jeden Preis In der Gustav-Adolf-Kirche und dem Predigerseminar in Naumburg/Queis traf sich die zweite Bekenntnissynode Schlesi- ens, die sich in der Tradition der Bar- mer Theologischen Erklärung vom Mai 1934 sah und jeden Kontakt mit dem NS-Staat ablehnte. Einer der Wortführer war Ernst Hornig (1894-1976), Pfarrer in St. Barbara in Breslau und nach Kriegsende Mitglied der neuen Kirchen- leitung der schlesischen Kirche. Gustav-Adolf-Kirche in Naumburg, erbaut 1886, Foto Sammlung Dietmar Neß Ansicht der früheren Gustav-Adolf-Kirche heute, umgebaut und genutzt als Sporthalle, Foto: Eckhard Huth

‚„ Pfarrer im Krieg Pfarrer Axel Sommer in Sulau im Kreis Militsch schloss sich gleich 1933 dem »« und später der »Bekennen- den Kirche« an. Als seine Zugehörigkeit bekannt wurde, zog man ihn 1941 zur Wehrmacht ein. Er fiel 1944 an der Ostfront. Seine Tochter Bettina Harnischfeger lebt seit 1996 wieder im Kreis Militsch. Hanna und Axel Sommer mit den Kindern im Garten. Cornelius, Bettina und Annemone. Todesanzeige und Ankündigung der Trauerfeier für Axel Sommer in Sulau am 24. September 1944, Fotos: Sammlung Bettina Harnischfeger

Karte: Schlesien nach dem Ersten Weltkrieg s. S. 37

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Kriegsende und Neuanfang

Die Schlesische Kirche ist die einzige evangelische Kir- für die deutschen Restgemeinden östlich der Neiße wahr. che in den historischen deutschen Ostgebieten, die sich In der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in ihrem Heimat- konnte die Kirche mit ihren verbliebenen fünf Kirchen- gebiet neu gegründet hat. Auf der Synode vom 22.-23. kreisen westlich der Neiße als eigenständiges Kirchenge- Juli 1946 in der Breslauer Hofkirche wurde Pfarrer Ernst biet fortbestehen. Hornig als »Vorsitzender der Kirchenleitung« bestätigt. In der Bundesrepublik gründete sich 1950 die »Gemein- Die polnische Verwaltung verlangte die Eingliederung der schaft evangelischer Schlesier (Hilfskomitee) e. V.«, die deutschen Gemeinden in die Evangelisch-Augsburgische sich als Zusammenschluss von Pastoren und Laien um Kirche Polens und verfügte die Ausreise der deutschen die Seelsorge und die Kontinuität der Schlesischen Kir- Kirchenleitung. Von Görlitz aus nahm die Schlesische Kir- che bemühte. Ihr erster Vorsitzender war Alt-Bischof Otto che in den Nachkriegsjahren die geistliche Verantwortung Zänker.

 Kirche ohne Pastoren Lektor Wilhelm Storek im Kreise einer deutschen Restge- meinde in Kreuzburg/OS. Aufgrund der fehlenden Gemeinde- pfarrer übernahmen Laien die Betreuung der Gottesdienste. In Oberschlesien konnten sie nur im Geheimen in deutscher Sprache stattfinden, in der Kirche musste polnisch gesprochen werden. Foto: Bestand Ulrich Hutter-Wolandt

ƒ Predigt in der Görlitzer Peterskirche, 1945 Görlitz wurde nach Kriegsende zur Grenzstadt an der Neiße. Tausende von Flüchtlingen aus Schlesien harrten hier in der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in ihre Heimat aus. Nach der Ausweisung aus Breslau 1946 nahm die Leitung der Schle- sischen Kirche in Görlitz ihren Sitz. Aquarell von Richard Vetter (1879-1946), Kulturhistorisches Museum Görlitz, überreicht von Mechthild Wenzel, Tochter des Kirchenmusik- direktors Eberhard Wenzel (1879-1982)

28 „„ Sprache des Herzens, Sprache des Gebets In Niederschlesien durften die verbliebenen Deutschen in ihrer Sprache Gottesdienst feiern. Sie wurden von deutsch sprechenden Pfarrern der Evangelisch-Augsbur gischen Kirche Polens betreut. Seit 1958 fanden in der wieder aufgebauten Christo- phorikirche deutschsprachige Gottesdienste statt. Vorher nutz- ten sie diesen ehemaligen Konfi rmandensaal von St. Maria Magdalena als Gottes dienstraum. Die Kirche St. Maria Magdalena, kurz vor dem Brand im Mai 1945, Muzeum Miejskie Wrocławia, Foto: Henryk Makarewicz Foto von 1954, Archiv GeS

‚ Amtssprache Polnisch Das Konsistorium der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen für Niederschlesien bescheinigt Herbert Neß (1908- 1994) am 4. Juli 1946, damals Pastor in Rothbach/Rothsürben im Landkreis Breslau, die Rechtmäßigkeit seiner Amtsausfüh- rung und bittet die Behörden um uneingeschränkte Unter- stützung dafür. Der Begriff »Konfi rmandenunterricht« wird in Klammern erklärt als »Vorbereitung auf die erste heilige Kom- munion«. Die wenigen nach Flucht und Vertreibung verbliebe- nen deutschen Pfarrer mussten Schlesien in den Jahren 1946- 47 verlassen. Foto: Familienarchiv Neß

 Brücken nach Polen Vom »Kirchenblatt der evangelischen Heimatvertriebenen« über »Kirchenblatt für Ostfragen« zu »Nachrichten aus dem evangelischen Schlesien«. Der monatlich seit 1950 erschei- nende »Schlesische Gottesfreund« ist ein Forum für die Pfl ege der Beziehungen untereinander und zum polnischen evangeli- schen Schlesien. Deckblätter »Schlesischer Gottesfreund«, Archiv GeS

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Protestanten im polnischen Schlesien

Die Protestanten in Polen mussten nach dem Zweiten Die Kontakte zu den Organisationen der heimatvertriebe- Weltkrieg mit dem Stereotyp »Evangelisch gleich Deutsch« nen evangelischen Schlesier und evangelischen Kirchen- leben, unabhängig davon, welcher Herkunft und Zunge gemeinden aus Deutschland spielten seit den 1970er Jah- sie waren. Niederschlesien, dessen christliche Gemein- ren eine wichtige Rolle für die Aussöhnung zwischen Polen den bis 1945 zu zwei Drittel evangelisch und einem Drittel und Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. katholisch waren, wurde durch die Ansiedlung der Polen aus den ehemals polnischen Ostgebieten und Zentralpo- len ein »katholisches Land«. Die polnische kommunisti- sche Verwaltung beschlagnahmte 1946 das Eigentum der ‚ Schwieriger Neuanfang deutschen evangelischen Kirche Schlesiens, von dem nur Trümmerberge auf der Karlstraße (heute ul. Kazimierza Wiel- ein geringer Teil der Evangelisch-Augsburgischen Kirche kiego) vor dem Schloss und der Hofkirche in Breslau im Som- Polens in den neuen Westgebieten überlassen wurde. Die mer 1945. Der erste polnische evangelische Gottesdienst wurde hier am 5. August 1945 gefeiert. Viele der polnischen Pfarrer, römisch-katholische Kirche Polens übernahm eine Vielzahl die nach 1945 in Schlesien Gemeinden aufbauten, hatten wäh- der sakralen Gebäude, so auch die erhaltenen Gnaden- rend der deutschen Besatzung unter politischer Verfolgung kirchen in Hirschberg, Landeshut und Militsch. Einzig die und Haft in Konzentrationslagern gelitten. Gnadenkirche »Jesuskirche« in Teschen blieb evangelisch. Foto: Muzeum Architektury we Wrocławiu

ƒ Pioniere des Wiederaufbaus 2010 würdigten die Stadt und die Evangelischen in Breslau Pfarrer Prof. Wiktor Niemczyk (1898-1980), der als erster Geist- licher nach dem Krieg Strukturen der polnischen evangeli- schen Kirche in Schlesien aufbaute. Die Tafel am Eingang zur Hofkirche »Kirche zur Göttlichen Vorsehung« enthüllt Eugenia Barylińska, Teilnehmerin der ersten polnischen Konfirmation im Juli 1946 durch Pfarrer Niemczyk, gemeinsam mit ihrer Enkelin. Foto: Krzysztof Bense

30 Karte: Die Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen s. S. 32-33

‚ Solidarität schafft Vertrauen Die Schwestern des Diakonissenmutterhauses in Dzięgielów in der Diözese Teschen und Pfarrer Dr. Alfred Jagucki nehmen eine Hilfssendung aus der Lutherkirchengemeinde in Lübeck entgegen, Mai 1981. Die Spendenleistungen aus der »Schle- sienhilfe« in den Jahrzehnten wirtschaftlicher Not in Polen erreichten durch die Vermittlung der evangelischen Partner viele Menschen im Land. Foto: Reinhard Hausmann

 Hofkirche in Breslau, Foto: Stanisław Klimek

‚ Kirchenbau im Teschener Schlesien Während in Niederschlesien mangels Gemeinden die frühe- ren evangelischen Kirchen häufig fremdgenutzt oder dem Ver- fall preisgegeben waren, fehlte es im Teschener Schlesien an Gotteshäusern. In den Jahren 1978-1981 entstand die Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit in Bażanowice auf einem von einem Gemeindemitglied gestifteten Grundstück. Foto: Jerzy Below

31 Die Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen In Polen leben rund 70.000 Christen evangelisch-augs- burgischen Beken ntnisses. Anders als in Deutschland ist die Evangelische Kirche in Polen in Diözesen unter- gliedert. Die größte Dichte evangelischer Gemeinden besteht bis heute in der Diözese Teschen. Niederschle- sien bildet zusammen mit Teilen Pommerns die Diözese Breslau. Kattowitz ist das Zentrum einer Diözese, die weit in den Südosten Polens hineinreicht. Christliche Kirchen in Polen in Prozent der Bevölkerung • Römisch-Katholische Kirche: 86,7% • Autokephale polnisch-orthodoxe Kirche: 1,31% • Evangelisch-Augsburgische und Evangelisch-Refor mierte Kirche: 0,18% (71.000 Lutheraner und 3.500 Reformierte) Bevölkerung Polens: 38.538.000 Einwohner (Angaben des Hauptamtes für Statistik von 2011)

Karten: Marcin Żerański – Pracownia na Pastwiskach nach der Vorlage »Kościół Ewangelicko-Augsburski w Polsce«, Cieszyn 2015

32 Sitz des Bischofs der evangelisch-augsburgischen Diözese

Evangelisch-Augsburgische Gemeinde

Evangelisch-Augsburgische Filialgemeinde

D Deutschsprachige Evangelisch-Augsburgische Gemeinde in Breslau und ihre Filialen in Niederschlesien

Evangelisch-Reformierte Gemeinde

Diaspora-Gruppe der Evangelisch-Reformierten

33 500 JAHRE EVANGELISCHES LEBEN IN SCHLESIEN | Kirchfahrer • Buschprediger • betende Kinder

Gemeinsames Erbe

Die politisch-wirtschaftliche Transformation in Mittel- und Die finanzielle Unterstützung durch öffentliche Förder- Osteuropa nach 1989 bedeutete für die Kirchen aller Kon- instrumente und private Spenden führte zur eindrucksvol- fessionen politische Freiheit und Unabhängigkeit. Für die len Restaurierung evangelischen Kulturgutes in Schlesien. Evangelisch-Augsburgische Kirche bestand die Heraus- Die Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebie- forderung, in der pluralistischen Gesellschaft als Min- tes kehrte zu ihren Wurzeln zurück und trug von 1992 bis derheit ihren Platz und ihre Stimme zu finden. Die Stär- 2003 den Namen »Evangelische Kirche der schlesischen kung der ökumenischen Zusammenarbeit und Öffnung der Oberlausitz«, seit 2004 besteht die fusionierte Evangeli- Kirchen für kulturelle und touristische Initiativen haben sche Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz sich als Weg zur Überwindung von Stereotypen bewährt. (EKBO). Eine Erbengemeinschaft aus polnischen und deut- Leuchttürme dieser Entwicklung sind die Friedenskirchen schen Protestanten sowie engagierten Personen und Ver- in Schweidnitz und Jauer, die seit 2001 auf der UNESCO-Liste einen ist gewachsen. des Weltkulturerbes stehen.

ƒ Cantans – das singende Schlesien Seit 1844 schmückt die norwegische Stabkirche Wang das Rie- sengebirge. In ungebrochener Tradition wird hier evangelischer Gottesdienst gefeiert. Der ökumenische Chor der polnischen Gemeinde ist weit über Karpacz hinaus bekannt. Foto: Marek K. Machnik Kirche Wang im Riesengebirge, Foto: Zbigniew Kulik

34  Festgottesdienst in der Friedenskirche zu Schweidnitz  Gemeinsame Erinnerung Im Jahr 1998 zum 350. Jahrestag des Westfälischen Friedens Dietrich Bonhoeffer wurde 1906 in Breslau geboren. Der Theo- hat ein Protestant das Amt des polnischen Ministerpräsiden- loge, Pfarrer der Beken nenden Kirche und Widerstandskämpfer ten inne: Jerzy Buzek empfängt von Klaus Wollenweber, Bischof wurde im April 1945 durch die National sozialisten ermordet. der Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz, und Für sein Denkmal vor der Elisabethkirche setzte sich eine Ini- Ryszard Bogusz, Bischof der Diözese Breslau, das Abendmahl. tiative aus städtischen und kirchlichen Akteuren Mitte der Seit 1997 verbindet die Diözese Breslau und die Evangelische 1990er Jahre in Breslau ein. Kirche der Schlesischen Oberlausitz ein Partnerschaftsvertrag. Bonhoeffer-Kongreß 2006, Pfadfinder stehen am Denkmal Ehrenwache, Foto: Bożena Pytel Foto: Mieczysław Milton Mieloch

‚ Wiedergewonnenes Vertrauen ‚ Bekenntnis zur deutschen Minderheit Bischof Ryszard Bogusz und Bischof Martin Schindehütte unter- Die deutschsprachigen Gemeinden in Niederschlesien erlang- zeichnen die Schenkungs urkunde über Abendmahlsgeräte, die ten 1993 den Status einer selbständigen Einheit innerhalb der feierlich am 29. Juni 2008 an ihrem ursprünglichen Stiftungs- Evangelisch-Augsburgischen Kirche Polens, institutionalisiert ort, der Friedenskirche zu Jauer, übergeben wurden. Die Geräte in der Christophori-Gemeinde zu Breslau. Von dort aus werden gelangten durch die Flucht der deutschen Gemeinde aus Jauer die fünf Filialen in Liegnitz, Bad Warmbrunn, Lauban, Schweid- nach Berlin, wo sie im Evangelischen Zentralarchiv Berlin ver- nitz und Waldenburg betreut. wahrt wurden. Tauffest Familie Kriegel in St. Christophori, August 2016, Foto: Markus Foto: Andreas Neumann-Nochten Vogel

35 500 JAHRE EVANGELISCHES LEBEN IN SCHLESIEN | Kirchfahrer • Buschprediger • betende Kinder

Schlesische Fürstentümer um 1530

Schlesien war ein Nebenland Böhmens, und hier regier- Gebiete unter unmittelbarer Herrschaft der ten seit 1526 die katholischen Habsburger. Aber nur ein böhmischen Könige aus dem Hause Habsburg Teil Schlesiens, die sogenannten Erbfürstentümer, unter- (Erbfürstentümer) stand ihnen unmittelbar. In den übrigen Gebieten herrsch- ten selbständige Fürstengeschlechter, die meist protes- selbständige schlesische Fürstentümer und tantisch waren. Standesherrschaften

Gebiete des Bischofs von Breslau (Bistumsland)

36 Schlesien nach dem Ersten Weltkrieg

19 Kirchenkreise mit rund 60.000 Evangelischen gehörten bis 1918 Österreichisch-Schlesien seit 1923 zur Wojewodschaft Schlesien in Polen und bilde- ten die selbständige »Unierte Evangelische Kirche in Pol- 1922/23 von Deutschland an die nisch-Oberschlesien«. Das Teschener Schlesien, das bis Tschechoslowakei 1918 zu Österreich-Ungarn gehört hatte, wurde geteilt zwi- schen Polen und der Tschechoslowakei. 1922 von Deutschland nach Polen

Grenze Deutschlands bis 1918/1920

Staatsgrenzen ab 1922

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Schweidnitz / Świdnica Hirschberg / Jelenia Góra

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G a s y N Glatz / Kłodzko Neisse / Nysa Beuthen / Bytom Gleiwitz / Gliwice Praha Katowice / Kattowitz Ratibor / Racibórz

Wisł Kraków a / Wei chsel Č E S K O S L O V E N S K O Opava / Troppau Český Těšín Cieszyn / Teschen O r l de z O a / Ol / ra d O s O l a š

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37 Themenjahr 2017 »Mehr als Luther. Reformation im östlichen Europa«

Die Wanderausstellung über das reformatorische Gesche- kulturellen Verfl echtungen Europas vermitteln. Das Projekt hen in Schlesien ist Bestandteil eines größeren Projekts wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung des Deutschen Kulturforums Östliches Europa in Potsdam. für Kultur und Medien im Rahmen des Förderschwerpunk- Das Ausstellungsprojekt trägt den Titel »Reformation im tes »Reformationsjubiläum«. östlichen Europa« und besteht aus einer Überblicksdar- stellung und sechs Regionalmodulen. Nähere Informationen und Anfragen zur Ausleihe des Regi- Die Reformation in Folge des sogenannten Thesenan- onalmoduls »Schlesien« unter dem Titel »Kirchfahrer, schlags von Martin Luther an der Wittenberger Schlosskir- Buschprediger, betende Kinder. 500 Jahre evangelisches che 1517 bildet einen der wichtigsten Einschnitte der euro- Leben in Schlesien«: päischen Geschichte. Diese Entwicklung erfasste nicht nur [email protected] die Länder des Römisch-Deutschen Reichs, sondern auch Informationen zum Ausstellungsprojekt »Reformation im die östlich gelegenen Nachbarregionen, oft vermittelt über östlichen Europa«: www.kulturforum.info/de/ die deutschsprachigen Städte und Gegenden. Das östliche Mitteleuropa war sehr empfänglich für die Ideen einer Kir- chenerneuerung und einer Intensivierung des Glaubens. Das Angebot zur Ausleihe der mehrsprachigen Roll- up-Ausstellungen richtet sich sowohl an Einrichtungen in Deutschland als auch in den Nachbarländern und möchte Einblicke in die durch die Reformation geprägten Wir danken für die Unterstützung und Bereitstellung von Bildmaterial: Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu, Gmina Przemków, Herder-Institut Marburg, Gemeinschaft Evangelischer Schlesier e. V. (GeS), Kulturhistori- sches Museum Görlitz, Landesmuseum Württemberg, Miejski Ośrodek Kultury w Gło gowie, Muzeum Ceramiki w Bolesławcu, Muzeum Śląska Cieszyńskiego, Muzeum Protestantyzmu – Biblioteka i Archiwum im. Tschammera – Cieszyn, Muzeum Regionalne w Jaworze, Muzeum Miejskie w Nowej Soli, Muzeum Architektury we Wrocławiu, Muzeum Miejskie Wrocławia, Muzeum Narodowe we Wrocławiu, Muzeum Ziemi Wschowskiej, Parafia Ewangelicko-Augsburska w Miechowicach, Parafia Ewangelicko-Augsburska pw. św. Trójcy w Świdnicy, Parafia Ewangelicko-Augsburska Wang, Parafia Opatrzności Bożej we Wrocła- wiu, Parafia Ewangelicko-Augsburska w Zab rzu, Pracownia na Pastwiskach, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Stadtplanerei Blochplan, Wydawnictwo Augustana, Zamek Królewski na Wawelu, Roman Baran, Jerzy Below, Dariusz Berdys, Andrzej Dutkiewicz, Zbig- niew Gol, Bettina Harnischfeger, Reinhard Hausmann, Eckhard Huth, Jan Jerzmański, Margrit Kempgen, Marek Kocjan, Stanisław Klimek, Zbigniew Kulik, Marek K. Machnik, Mieczysław Milton Mieloch, Bożena Pytel, Ulrich Hutter- Wolandt, Andreas Neumann-Nochten (ANN), Dietmar Neß, Dimitar Stoykow, Markus Vogel, Katarzyna Zinnow Vor fünfhundert Jahren, am 31. Oktober 1517, begann im Städtchen Wittenberg an der Elbe eine Kultur- revolution, die ganz Europa erfasste: Martin Luther verkündete seine 95 Thesen zum Ablasshandel. Die Reformation veränderte das Verhältnis der Menschen zu Gott, zur Kirche und zur Obrigkeit. Schlesien gehörte zu den Ländern, die sich als erste der Reformation öffneten. Für länger als zwei- hundert Jahre bestimmte die Auseinandersetzung zwischen katholischem und evangelischem Bekennt- nis die Geschichte des Landes. In Zeiten der Gegenreformation haben die Lutheraner in Schlesien ihren Glauben bewahrt. Stolze Zeugen ihres Kampfes um Selbstbehauptung sind die Friedens- und Gnaden- kirchen. Schließlich siegte die Toleranz: Schlesien entwickelte sich zu einem bikonfessionellen Land. Im 20. Jahrhundert stellten totalitäre kirchenfeindliche Regime Christen beider Konfessionen vor ganz neue Herausforderungen. In Folge von Nationalsozialismus, Zweitem Weltkrieg und der darauf folgen- den Westverschiebung Polens wurde Schlesien polnisch. Seit der Vertreibung der deutschen Bevölke- rung und der polnischen Neuansiedlung ist das Land mehrheitlich katholisch geprägt. Die kleine Evangelisch-Augsburgische Kirche Polens wurde zur Sachwalterin des evangelischen Erbes im Land. Von Deutschland aus nahmen seit den 1960er Jahren die Evangelische Kirche und evangeli- sche Schlesier die Beziehungen vorsichtig wieder auf. Jedoch erst nach 1989 konnte sich eine offene Auseinandersetzung und deutsch-polnische Zusammenarbeit entwickeln. Die Pflege des gemeinsamen evangelischen Kulturerbes in Schlesien leisten sowohl die Kirchen als auch Museen, Hochschulen, Kom- munalverwaltungen oder private Vereine und Personen. Viele der ehemaligen evangelischen Kirchen werden als Gotteshäuser oder Kulturdenkmäler bewahrt und mit neuem Leben erfüllt.

‚ Vedoute: Breslau im Reisebuch Pfalzgraf Ottheinrichs (1536/37) | © UB Würzburg Delin. VI, 9, 48

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