Dr. Heinrich Walle

Festrede Brommy

Zwei Dinge hatte die Revolution von 1848 hervorgebracht, die zählebiger und „nachhaltiger" wirkten, als man hätte vermuten können. Es wurde einmal eine Reichsverfassung beschlossen. Sie wurde zwar in Kraft gesetzt, aber dann durch das fürstliche „roll back" schnell wieder aufgehoben. Erst nach dem Sturz der Hohenzollernherrschaft lebte sie in wesentlichen Teilen in der Verfassung der Weimarer Republik wieder auf. Zum anderen war die erste deutsche Marine der Revolution erste und einzige institutionelle Schöpfung. Diese wird „als erste That" des Paulskirchenparlamentes vom 14. Juni 1848 von den Abgeordneten selbst euphorisch gefeiert und war ein Beschluss der Nationalversammlung in Frankfurt noch vor der Regelung von Grundrechten und Verfassung, der eigentlichen Aufgabe des Parlamentes. Als Reaktion auf die unmittelbare militärische Bedrohung durch die dänische Blockade als Folge der schleswig-holsteinischen Krise erhielt dieser Flottenbeschluss eine politisch-historische Bedeutung als Ausweis parlamentarischer Legitimität und Handlungsfähigkeit. Er kann außerdem als ein Zeichen der Selbst-Referenz des Parlamentes und damit geradezu als zentraler Akt der Konstitution und Legitimierung eines ersten - unter den damals vorherrschenden Bedingungen – demokratisch gewählten deutschen Parlamentes gesehen werden. So war die Bewilligung von sechs Millionen Talern „für den Anfang einer deutschen Marine" am 14. Juni 1848 der erste Beschluss der Nationalversammlung ein nationales als auch Einheits-Statement. Er hatte auch die deklaratorische Funktion, Ausdruck der Souveränität des durch die Nationalversammlung repräsentierten deutschen Volkes zu sein. Er war auch ein Zeichen parlamentarischer Selbstreferenz und war die politisch-militärische „rapid reaction" bei akuter militärischer Bedrohung. Diese Marine, die Flotte und die landseitigen Marinebehörden einschließlich des Marineministeriums der provisorischen Zentralgewalt und späteren Reichsregierung ist deshalb gleichermaßen Instrument und Symbol des durch die Nationalversammlung zu konstituierenden deutschen Nationalstaates. So sind daher die Flotte und Marine unter ihrem späteren Befehlshaber Carl Rudolph Brommy ein Instrument der revolutionär-nationalen Strömungen dieser Zeit. Sie sind vor allem auch demokratisches Ergebnis, wie auch Symbol. Beides bindet sie an die spätere demokratische Entwicklung Deutschlands, Schwarz- Rot - Gold, die Farben von Freiheitskriegen und Vormärz bilden ihre Flagge. Das ist die geschichtliche Bedeutung dieser Gründung deutscher Seestreitkräfte, die bisher eher von ihrem wenig ruhmreichen Ende, dem Verkauf und der Versteigerung ihrer schwimmenden Einheiten und der Entlassung ihres Personals gesehen wurde. Es gilt, diese Sicht der Dinge

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umzukehren und dieses nur vermeintliche maritime Regionalereignis in dessen eigentlichen politischen Dimensionen als Teil bürgerlich- demokratischen Aufbruchs in Europa zu erkennen und anzuerkennen.

Nach dem Beschluss vom 14. Juni ist dann von der Flotte im Parlament jedoch nicht mehr viel zu hören. So war der Akt, auf den es ankam, ihre Aufstellung und nicht ihre Verwendung. Das sind die bleibend dunklen Wolken, die über der deutschen „Seemacht" bis zu ihrem Ende unter dem Auktionshammer des Oldenburgischen Geheimen Staatsrates Hannibal Fischer 1852/53 hängen werden.

Dennoch wird die Marine, vor allem ihr Schiffsbestand, aufgebaut. Das geschah langsamer, als von den Abgeordneten der Paulskirche gewünscht. Diese mussten in maritimen nationalen Flottenrüstungen, die es zuvor in deutschen Territorien nicht gegeben hatte, gleichsam „mare incognito" betreten. Marinen, dies wusste das „Professorenparlament" in Frankfurt nicht so genau, bedürfen zu ihrer Aufstellung eben (etwas) länger als die „Aushebung" von Heeren.

Immerhin gibt es Profis in Frankfurt, hier ist es vor allem der Bremer Senator Arnold Duckwitz, als Handels- und später auch als Marineminister. Er beruft eine Technische Marinekommission unter dem Vorsitz des Prinzen Adalbert von Preußen, der 1848 eine Denkschrift über die Kriegsflotte, eigentlich für preußische Zwecke geeignet, vorgelegt hatte. Er war an Bord sardischer Fregatten als „Badegast" mitgefahren und galt nun am preußischen Hof als Experte in Marinesachen. Ihm wird Carl Rudolph Bromme, zunächst in der Technischen Marinekommission und nach deren Ende als Seezeugmeister, beigestellt. Bromme, gebürtiger Sachse, war ein gestandener Seemann, zunächst Handelsschiffer, dann in griechischen Diensten kriegserfahrener Kommandant einer Fregatte und später stellvertretender Kommandeur der Marineschule in Piräus. Auf der Basis seiner erworbenen Fähigkeiten hatte Bromme, der sich seit seiner Fahrenszeit in den USA anglisierend „Brommy" schrieb, 1848 in Berlin das erste marinekonzeptionelle Fachbuch in deutscher Sprache „Die Marine" veröffentlicht. Mit Brommy war nun ein weiterer und in der Tat wirklicher Fachmann gewonnen, der sich auch rasch als solcher offenbart und zu einer Zentralfigur der deutschen Flottengründung und - Führung wird.

Carl Rudolph Brommy ist nicht nur eine bemerkenswerte und facettenreiche Persönlichkeit, sondern der eigentliche Macher dieser ersten deutschen Marine. Er hat sie nicht nur praktisch im Alleingang aus den von Duckwitz beschafften Schiffen,

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funktionsfähig aufgebaut, sondern auch weit über das Ende der Revolution und das „roll back" des in den Territorialstaaten wiederhergestellten Deutschen Bundes in Dienst gehalten. Weder die Geschichtsbücher noch die Zeitgenossen haben ihm das gedankt. Dies verstellt in der Tat den Blick auf den Sachverhalt, dass seine Pioniertat in Brake und Bremerhaven durchaus in der deutschen Marine- und Politikgeschichte fortlebt: Zunächst in der Preußischen Marine, deren Aufstellung Prinz Adalbert, sozusagen im Kielwasser Brommys, betreibt, ohne diesen jedoch mitsamt seinem Nordseegeschwader aufzunehmen, obwohl Brommy darum gebeten hatte. Die Preußische Marine wird über die Marine des Norddeutschen Bundes schließlich als Kaiserliche Marine zur zweitgrößten Kriegsflotte der Welt anwachsen. Dabei haben die von Brommy in der ersten Flotte eingeführten Reglements und Dienstanweisungen für den Dienst an Bord und im Hafen, über die Kaiserliche und die hinaus, auch heute in der gültigen Marinedienstvorschrift „Dienst an Bord" im Kern überlebt. Als die Flotte aufgestellt ist und schwimmt, ist die Revolution bereits schon vorbei. Es kommt noch zu einem einzigen, glimpflich verlaufenden Gefecht vor Helgoland. Dank seines überragenden seemännischen und militärischen Know-hows rettet Brommy durch klugen Rückzug vor der herannahenden Übermacht der dänischen Schiffe und einem Warnschuss von der damals britischen Insel Helgoland seine Schiffe und Besatzungen. Danach finden keine weiteren Einsätze der Flotte mehr statt. Das „roll back" der Fürstenherrschaft und des deutschen Bundes ist in vollem Gange. Die Flotte" schläft" bzw. in Brake „tanzt" sie und ist nach dem Friedensschluss mit Dänemark militärisch nicht mehr notwendig. Die kontinentalen Territorialstaaten stellen die Zahlungen, sofern sie die Beiträge zur Flotte überhaupt gezahlt hatten, vollständig ein. Schließlich zieht Preußen auch seine Abgeordneten aus der Nationalversammlung ab und diese wird dann in Stuttgart als Rumpfparlament auseinandergejagt. Die Flotte mit ihren Behörden und Landeinrichtungen in Brake und Bremerhaven ist nun eine Marine ohne Staat. Als Entschädigung für geleistete Matrikularzahlungen an Preußen werden die beiden besten Schiffe der „" Preußen übergeben. Der Rest des Flottenbestandes wird 1852 versteigert und das Personal einschließlich Brommy 1853 entlassen. Seine Weiterverwendung in der preußischen Marine wird vordergründig aus formalen Gründen abgelehnt.

Brommy, der kurz vor seiner Entlassung die Kaufmannstochter Caroline Gross aus Brake geheiratet hatte, erkämpft sich schließlich eine kleine Pension an Stelle der ursprünglichen Abfindung. Die Pension wird auch der Witwe nach Brommys frühem Tod im Jahr 1860 in St. Magnus bei Bremen bis zu ihrem Lebensende 1910 weitergezahlt. Damit hatte das Deutsche Reich den Dienst Brommys in der

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revolutionsgeborenen „Reichsflotte" von 1848 als regulären deutschen Marinedienst anerkannt.

Brommy gerät nach seinem Tod zunächst in Vergessenheit. Erst mit dem Tirpitzschen Flottenprogramm und dem Griff des deutschen Kaiserreiches nach dem ‚Dreizack‘ gerät er wieder ins Visier der Traditionsfahnder historischer deutscher Seegeltung und machtstaatlich-nationaler Ambitionen der Paulskirche und ihrer Flotte. Dazu gehörten auch die damals gescheiterten „Kaiserträume", als der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die ihm vom F rankfurter Parlament angetragene Kaiserkrone ablehnte.

Im Nationalsozialismus wird Brommy schließlich als nationale Führergestalt auf- und ausgebaut. Mit einem heroisch-tragischen Vorbild Brommy, der für die nationale Einheit und Kraft Deutschlands, der Bildung der „Reiches" kämpft und dabei tragisch scheitert, soll auf eine kommende Generation und „Bewegung" verwiesen werden.

Brommy in der Marinetradition

Die Kriegsmarine benannte den zum Räumbootbegleitschiff umgebauten, 1916 in Dienst gestellten Minensucher „M 50", 1937 „Brommy". Das Schiff wurde 1944 versenkt. Die Bundesmarine stellte am 14. Mai 1959 die 1942 als britischer Zerstörer der „Hunt-Klasse" vom Stapel gelaufene „Eggesford" als Schulfregatte „Brommy" in Dienst. Die Taufrede hielt Herr Duckwitz, ein Nachkomme des Bremer Senators Arnold Duckwitz. Das Schiff wurde 1965 außer Dienst gestellt und 1981 verschrottet. Damit verschwand der Name Brommy aus der Schiffsliste der deutschen Marine. Einige Straßennamen sind bis heute langlebiger, als auch die „Admiral - Brommy - Kaserne" in Brake. Sie wurde am 1. April 1937 von der Kriegsmarine übernommen, war seit 1956 Ort der Grundausbildung für die Bundesmarine, wurde 1997 geschlossen und inzwischen abgerissen. Ende der 1970er Jahre entdeckte die Bundesmarine den 14. Juni 1848 wieder. Der Tag des Flottenbeschlusses der Paulskirche wurde damit Gründungstag einer ersten deutschen Marine und „Geburtsstunde der Marine". Hierbei war beiläufig und eher im Schatten von Prinz Adalbert von Preußen und der Paulskirche auch die Rede von Brommy. Spätestens seit den auf den grundlegenden Arbeiten von Walther Hubatsch und Paul Heinsius fußenden Forschungen Michael Salewskis unter den Stichworten „Reichsflotte", „Machtpolitik und Demokratie" wurde der Traditionsbogen von der 1848er Flotte zur heutigen Deutschen Marine gespannt. Im Selbstverständnis der Seestreitkräfte der Bundesrepublik Deutschland war jetzt der

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zentrale Traditionsplatz der deutschen Marine der Paulskirche endgültig erschlossen und hergerichtet worden.

Im Deutschen Schifffahrtsmuseum zu Bremerhaven fand 1979 mit der Sonderausstellung „Die erste deutsche Flotte“ die Initialzündung für diese Erschließung eines gleichsam parlamentarisch- maritimen Traditionsterrains statt. Hier wurde das Bild der 1848er Flotte gezeigt, das mit dem der Marine der Bundesrepublik Deutschland in ihren Grundlagen auffällig übereinstimmte: Analogon wie Referenzpunkt einer parlamentsgestützten Marine und gleichsam Symbol wie Instrument staatlicher Einheit unter der Flagge Schwarz Rot Gold zu sein.

Die deutsche Marine der Paulskirche war keine „Parlamentsmarine" im heutigen Sinn mit Parlamentsvorbehalt und Mandatierung von Einsätzen. Aber sie war, und dies ganz analog dem parlamentarischen Ringen im Deutschen Bundestag um die Wehrverfassung der jungen Bundesrepublik Deutschland, nichts anderes als eine parlamentarisch - demokratische Geburt.

„Die Flotte sollte zum Symbol für die Einheit in Freiheit unter der Souveränität des Volkes werden", hatte es 1998 der damalige Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Hans-Rudolf Boehmer, auf den Punkt gebracht. Der Marinehistoriker Dr. Jörg Duppler beschrieb den Zusammenhang zwischen 1848 und der heutigen Marine wie folgt: „Am 14. Juni begeht die Marine ihren Day in Erinnerung jener Parlamentsbeschlüsse der Frankfurter Paulskirche, die zu einer gesamtdeutschen und durch das Parlament legitimierten Marine führen sollten. Die Legitimierung von Streitkräften durch die Paulskirche damals und den Deutschen Bundestag heute, ist einer der großen Kontinuitätsbögen, die die Marinen von 1848 und heute verbindet."

Damit, und das sei von mir mit einem gewissen Marinestolz gesagt, entpuppt sich die Deutsche Marine nach 170 Jahren als zwar kleinste, aber älteste Teilstreitkraft deutscher Streitkräfte, sozusagen als „senior service“. Ein deutsches Heer gab es nämlich erstmalig mit Gründung der Vorläufigen Reichswehr vom 1. April 1921.

Aber auch Brommy fand nun im Rahmen dieser „demokratischen Wiederentdeckung" der „deutschen Marine" der Paulskirche Erwähnung in allerlei Festreden und Schriftsätzen. Am Ende geriet er als Truppenführer doch arg in den Schatten des Prinzen Adalbert, der als Vorsitzender der Technischen Marinekommission immerhin mit seiner Denkschrift die erste Konzeption einer deutschen Marine vorgelegt hatte. So konnte dann beim Oberkommandierenden dieser Marine, dem Admiral ihres „Ober - Kommandos" Brommy, auch schnell übersehen werden, dass dieser mit dem Band „Die

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Marine" von 1848 - das Vorwort datierte 1847 in Athen - noch vor Adalbert das erste grundlegende darstellende Werk zu Organisation und „Handling" einer Marine vorgelegt hatte. Es war Ergebnis seiner Erfahrungen in der griechischen Marine, der amerikanischen Handelsmarine und auch seiner Auswertung der Glanztaten der Briten unter Nelson. Das Buch hatte ihm immerhin auch den Eintritt in die Technische Kommission geebnet. Es hat schließlich dieser Kommission auch zu wesentlichen und bleibenden Ergebnissen verholfen, vor allem in der Übersetzung und deutschen Anpassung des Dienstreglements, das Brommy vorher für die griechische Marine entwickelt hatte.

So soll noch am Schluss kurz der Frage nachgegangen werden, ob Carl Rudolph Brommy Admiral der Revolution gewesen ist. In der Tat, Admiral der Revolution ist Brommy nicht gewesen und er hat dies auch entschieden bestritten. Das „Institut" dem er schließlich vorstand, und so weisen seine späteren Pensionsbezüge, wie deren Weiterzahlung als Witwenpension auch aus, war zumindest zeitweise eine Reichseinrichtung gewesen. Der Deutsche Bund hatte seine Tätigkeit zugunsten der provisorischen Zentralgewalt eingestellt und der Dienst in dieser Reichseinrichtung, der „deutschen Marine", welche die Nationalversammlung in Frankfurt am 14. Juni 1848 aus der Taufe gehoben hatte, war nichts anderes als regulärer, gleichsam anrechnungsfähiger, und zumindest für Brommy, pensionswirksamer Marinedienst. Damit rechtfertige ich auch meinen eigentlichen wissenschaftlichen Beitrag zu dieser großartigen Sonderausstellung, nämlich durch das Einführen eines Fragezeichens im Ausstellungstitel.

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