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46 ■ ZEITZEUGE Engleitner Leopold

Zeitzeuge Leopold Engleitner bei Er wich nicht von seiner religiösen Überzeugung ab seinem Auftritt auf dem Wiener Heldenplatz und Leopold Engleitner wurde am 23. Juli 1905 in von der verhaftet und ins Polizei- danach beim Autogramme Aigen-Voglhub, Gemeinde am Wolf- gefangenhaus eingeliefert. In den Land- schreiben gangsee in geboren. Seine Kindheit ver- gerichten Linz und Wels wich er trotz mehr- brachte er in der Kaiserstadt , wo er maliger Verhöre nicht von seiner religiösen einige Male Kaiser Franz Joseph begegnete. Überzeugung ab und brachte auch seine 1932, in einer Zeit größter religiöser Intoleranz, kompromisslose Haltung gegenüber dem trat Engleitner aus der katholischen Kirche aus Wehrdienst furchtlos zum Ausdruck. und ließ sich als Zeuge Jehovas taufen. Anfang Am 19. 09. 1939 gab er zu Protokoll: „Ich der dreißiger Jahre wurde Leopold Engleitner kann keinen Eid auf militärische Pflichten arbeitslos und man entzog ihm 1933 die ablegen und kann auch keine Waffen tragen, Arbeitslosenunterstützung wegen seiner weil dies meiner Glaubensauffassung, an der ich Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas. unbedingt festhalte, widerspricht. Wenn ich Dies war ein grober Verstoß gegen den einen Einberufungsbefehl an die Front bekäme, Friedensvertrag von St. Germain Abschnitt V Art. so würde ich diesen Dienst verweigern. Mir ist 62 und 63, in dem jedem Staatsbürger Öster- bekannt, dass ich bei Vertretung dieser Ansicht reichs die freie Religionsausübung zugesichert unter Umständen mein Leben verwirke, doch wurde. In den folgenden Jahren wurde könnte ich dagegen nichts machen, denn das Leopold Engleitner mehrmals wegen seines Leben hängt von der Beachtung der Gesetze Glaubens vor Gericht gestellt und musste sogar Gottes ab.“ längere Haftstrafen verbüßen. Das Verfahren wurde schließlich aufgrund Am 4. April 1939 wurde Engleitner während eines Gnadenerlasses am 21. September 1939 einer reli- eingestellt. Anstatt jedoch frei zu gehen, wurde Leopold Engleitner erlebte die giösen Feier Leopold Engleitner am 9. Oktober 1939 ins KZ Zusammenkunft mit Tausen- zum Ge- Buchenwald in Deutschland eingeliefert. den Jugendlichen am 5. Mai am denken an Der erste Tag, den er dort verbrachte, war Heldenplatz als einen „besonde- den Todes- wohl der schlimmste in seinem Leben. Als der ren Höhepunkt“ seines fast tag Jesu als Mörder und Folterer berüchtigte Bunker- hundertjährigen Lebens. Er ist dankbar für „diese Jugend“. Christi in aufseher Martin Sommer erfuhr, dass sich ein Bad Ischl Zeuge Jehovas unter den Neuankömmlingen 008_047_A_E.qxp 25.11.2003 2:58 Uhr Seite 47

■ 47 Leopold Engleitner ZEITZEUGE

befand, wurde Engleitner Opfer seiner Brutalität. Heimat an. Engleitner wurde einem Bauernhof Nachdem Leopold Engleitner auf die in St. Wolfgang zugeteilt. Nach nur wenigen schlimmste Weise gequält worden war, sagte Wochen der Zufriedenheit wurde er Mitte der SS-Mann zu ihm: „Ich werde dich August 1943 zur Musterung vorgeladen. Nach- erschießen! Aber ich erlaube dir, dass du deinen dem er zuerst aufgrund seiner Wirbelsäulen- Eltern noch eine Abschiedskarte schreibst.“ verkrümmung zurückgestellt worden war, Doch als Engleitner schreiben wollte, wurde wurde der Befund auf „Kriegsverwendung Front, er jedesmal gestoßen, so dass die Karte voller Truppenersatzreseve Nr. 1“ revidiert. unleserlicher Striche war. „Schau dieser Und so kam es, dass er am 17. April 1945 den Trottel kann nicht einmal schreiben. Aber zum Einberufungsbefehl in die Deutsche Wehrmacht Bibellesen ist er nicht zu dumm“, bekam er zu erhielt. Jetzt gab es nur mehr einen einzigen hören. Dann zog der SS-Mann seine Pistole Ausweg: Flucht! Engleitner flüchtete in die aus der Tasche, hielt sie ihm an die Schläfe und Wälder des nahen Gebirges. Er versteckte sich fragte sarkastisch: „Bist du gefasst? Ich drücke unter Bäumen, in einer Almhütte und einer ab.“ Leopold Engleitner sagte: „Jawohl!“ – „Du Höhle. Wie ein Tier wurde er von den Nazis ge- bist zum Erschießen auch zu blöde“, brüllte der jagt, aber nicht gefunden. Schließlich gewahrte SS-Mann und trieb ihn in die Zelle zurück. er Anzeichen dafür, dass der Krieg vorbei war. Der „kleine Österreicher“, wie er genannt Am 5. Mai 1945 kehrte er wieder nach Hause wurde, war aufgrund seines Glaubens eine zurück, wo er zunächst als Knecht auf dem besondere Provokation für die KZ-Aufseher. Bauernhof arbeiten musste. Erst Interventionen Doch die „elendige Kreatur“, wie er bezeichnet von Seiten der amerikanischen Besatzer führten wurde, wich von seiner Einstellung nicht ab. dazu, dass er im April 1946 von seiner „Zwangs- Nachdem er ab 7. März 1941 im KZ Niederhagen verpflichtung“ entbunden wurde. Anschließend in Wewelsburg für zwei weitere Jahre Zwangs- fand er Arbeit als Nachtwächter in einer Seifen- arbeit leisten musste, wurde Engleitner im April fabrik und in weiterer Folge war er bei der 1943 in das KZ Ravensbrück überstellt. Im Juni Straßenmeisterei Bad Ischl als Straßenbau- 1943 bot man ihm die Entlassung aus dem KZ arbeiter bis zu seiner Pensionierung 1969 an. Er musste sich verpflichten, sein ganzes beschäftigt. 1949 heiratete er Theresia Kurz, Leben in der Landwirtschaft zu arbeiten. die er zuletzt sieben Jahre bis zu ihrem Tod im Engleitner erklärte sich dazu bereit und so Jahre 1981 pflegte. Leopold Engleitner lebt wurde er am 15. Juli 1943 entlassen. Mit 28 Ki- heute im 99. Lebensjahr in seinem Haus am 5. Mai 2003. Wien- logramm Körpergewicht kam er in seiner Wolfgangsee. Heldenplatz, Leopold Engleitner blickt auf 15.000 SchülerInnen