Otto Wagner Für Wien Eindrucksvoll Erkennen
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
© G e r h a r d T ru m l er Gregor Auenhammer, geboren 1966 in Wien, studierte an der Universität Wien Geschichte, Philosophie und Psychologie und arbeitet seit 1988 bei der Tageszeitung »Der Standard«. SPAZIERGÄNGE DURCH WIEN SPAZIERGÄNGE Autor und Rezensent mit Schwerpunkt Zeit- geschichte, Kunst und Fotografie. Laut Universalkünstler André Heller ist der »höflichkeitssüchtige« Herr Auenhammer »einer, der sich im Jahrhundert geirrt hat«, »von Beruf Gold- und Katzengoldgräber, gelegentlich auch Purpurmiststierler. Sein Talent hat ihm für die Tiefen der österreichischen Verwerfungen des Außerseiterischen, des Verschrobenen, des Gegen- den-Strich-Gebürsteten Schürfrechte verliehen.« ISBN 978-3-222-13611-5 In der Reihe »Spaziergänge durch Wien« erschien von ihm bereits der Band »Auf den Spuren von Gustav Klimt«. www.styriabooks.at Gregor Auenhammer Gregor → Spaziergänge Durch Wien AUF DEN SPUREN VON Otto Wagner »Die Straßen Wiens sind mit Kultur gepflastert, die Straßen anderer Städte mit Asphalt.« Karl Kraus (1874–1936) Prolog »Die Straßen Wiens sind mit Kultur gepflastert, die Straßen anderer Städte mit Asphalt«, konstatierte einst Kritikerpapst Karl Kraus. Wie recht er hatte! Und wie sehr sein Statement auch heute noch stimmt, lässt sich angesichts der Bedeutung des Werkes von Otto Wagner für Wien eindrucksvoll erkennen. Wie ein roter, nein, pardon, wie ein grüner Faden zieht sich das Schaffen des visionären Architekten und Stadt- planers bis heute durch die Donaumetropole. Aber, verehrte Leserinnen und geneigte Leser, jetzt habe ich mich vor lauter Begeisterung hin- reißen lassen, mich – und Sie – gleich in medias res zu stürzen. Pardon! Küss die Hand die Damen, g’schamster Diener, die Herren. Enchanté, mesdames et messieurs! Der Zweifel ist eine Hommage an die Hoffnung, heißt es. Ohne den geringsten Zweifel aber steht eines fest: Otto Koloman Wagner war der richtige Mann, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Otto Wagner war, als Kaiser Franz Joseph am 20. Dezember 1857 in der Hofburg das Aller- höchste Handbillet zur Schleifung der beengenden alten Stadtmauern Wiens unterzeichnete, gerade 16 Jahre alt. Am 20. Dezember hatte der Regent das Papier unterzeichnet, am 25. Dezember wurde es im vollen Wortlaut im Amtsblatt der Wiener Zeitung publiziert und bereits drei Monate später wurde der Wunsch des Kaisers in die Tat umgesetzt: Am Donaukanal beim Rotenturmtor begannen die Abbrucharbeiten an der alten Stadtbefestigung. Im Jahr darauf, 1859, beendete Otto Wagner sein Architekturstudium am k. k. Polytechnischen Institut. Mit nicht einmal 16 Jahren absolvierte er die Matura, mit gerade 18 Jahren be- endete er sein Studium. Auf Bestreben seiner Professoren ging er nach Berlin, wo er bei Schinkels Schüler Carl Ferdinand Busse, einer der ge- achtetsten Koryphäen jener Zeit, an der Berliner Bauakademie seine Ausbildung fortsetzte. 1861 kehrte er an die Akademie der bildenden Künste in Wien zurück, war bei Sicard von Sicardsburg und van der Nüll als Assistent tätig und absolvierte obendrein aus eigenem An- trieb eine Maurerlehre bei Stadtbaumeister Philipp Brandl. 1862 trat er in das Atelier Heinrich von Försters ein. Ab 1864 war Otto Wagner selbstständig als freier Architekt tätig. In diese Periode fiel auch einer der ersten Erfolge: Wagner gewann die Ausschreibung für die Gestal- 5 tung des prestigeträchtigen Kursalons im Stadtpark. Ein Projekt, das, wie etliche andere auch, leider nicht realisiert wurde, aber wesentlich zu seinem Ruhm beitrug. Nebenbei war er aber auch Bauführer bei Theophil Hansen und Ludwig Förster. Mit Mitte Zwanzig war er inmit- ten der ersten Garde der Ringstraßenarchitekten angekommen. 1865, am 1. Mai, eröffnete Kaiser Franz Joseph offiziell die Ringstraße. Diese sollte nicht nur für den Regenten, sondern auch für Otto Wagner zum Spielplan und Denkmal werden. Hätte man alles erbaut, was Otto Wagner seinerzeit erdacht, erson- nen, eingereicht, bis ins kleinste Detail als begnadeter Visionär der modernen Stadtplanung entworfen hatte, wären Wien all die leidigen Diskussionen um das Aberkennen des Weltkulturerbe-Status erspart geblieben – auch die Querelen um Neu- und Ausbauten am Karlsplatz bzw. am Heumarkt und den drohenden Verlust des Canaletto-Blickes. Für beide Örtlichkeiten hatte Wagner komplexe, geschlossene Ge- bäudeensembles entwickelt. Inklusive Grünflächen, Brunnenanlagen und Flaniermeilen. Die historische Wiener Innenstadt wäre vonseiten der UNESCO wohl nicht auf die Rote Liste des gefährdeten Weltkultur- erbes gesetzt worden. Ein Prachtboulevard, reichend von der Ringstraße bis nach Schönbrunn, war von ihm geplant worden. Vereitelt wurde die Umsetzung durch den Zusammenbruch der Monarchie. Das von ihm konzipierte, bis in den siebten Bezirk reichende Kaiserensemble mit einem (von ihm) »Artibus« genannten Museumskomplex wurde posthum mit Errichtung des MuseumsQuartiers verwirklicht. Seine klug auf Achsen und Kreise mit Verkehrsknotenpunkten an neuralgi- schen Stellen realisierte Gesamtkonzeption der Stadt mit Ring, Zweier- linie, Gürtel, Außenringautobahnen und U-Bahnen (seinerzeit Stadt- bahnen) prägt bis heute das Stadtbild. Als verbindendes Band könnte man die formschönen, gestalterisch perfekten grünen Geländer defi- nieren. In Wahrheit aber sind das nur ein paar Blitzlichter. Hätte man all das realisiert, was Otto Wagner seinerzeit als Stadt- baumeister weise, sozial denkend und gestalterisch vorausdenkend er- dacht, eingereicht, als begnadeter Visionär der modernen Stadtplanung geplant hatte, wäre Wien noch fantastischer, noch schöner, noch im- posanter, als es ohnehin heute ist. Und das, obwohl er ohnehin derart viele herausragende Bauwerke geschaffen hat, obwohl er das Stadtbild mit zahlreichen Jugendstiljuwelen enorm geprägt hat. Erlauben Sie mir bitte, dass ich mich vorstelle. Ich bin Flaneur – und in dieser Funktion bin ich Ihr Begleiter, Ihr Erzähler, Ihr »untouris- tischer Guide«. So darf ich Sie einladen, zugegebenermaßen etwas flapsig – frei nach Ex-Bundeskanzler Bruno Kreisky, Kurzzeitkanzler 6 Christian Kern und Bundespräsident Alexander van der Bellen –, mit mir »ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen« … oder wie Bundes- kanzler Sebastian Kurz es formulierte, »Zusammen. Neue Wege gehen.« Wortwörtlich, wohlgemerkt. Nicht nur symbolisch-sinnbildlich. Ich lade Sie ein zu einem Spaziergang durch Wien auf den Spuren von Otto Wagner. Jugendstilprachtbauten wie die Kirche am Steinhof, die Postsparkasse, die Naschmarkt-Häuser und seine Villen dürfen natür- lich nicht fehlen, ins Auge gefasst ist aber auch eine Begegnung mit Otto Wagners Lebenswelt, eine feuilletonistische Expedition zu und mit einer der wesentlichsten Persönlichkeiten des Wiener Fin de Siècle. Entlang biografischer, topografischer, literarischer und künstlerischer Eckpunkte wie Geburtsdatum, Sterbedatum, Schul- und Studienzeit, Wohnadressen, Wirkungsstätten und Orten, an denen bis heute Spuren unseres Protagonisten zu entdecken sind. Auf der Suche nach dem, was er hinterlassen hat – und auf der Fährte dessen, was daraus wurde – was geschätzt und verehrt wird, und was im Nebel des Zeitgeistes miss- achtet wurde, verloren gegangen und in Vergessenheit geraten ist. Auf der Suche nach der Seele, der Inspiration. Und seien Sie versichert, den Fährten der Vita des auf ein Gesamt- kunstwerk bedachten begnadeten Netzwerkers – heute würde man ihn als Lobbyist in Sachen Ego bezeichnen – zu folgen, ist wie ein Blick durch ein äußerst buntes Kaleidoskop im Universum des Wiener Fin de Siècle, ergibt ein üppiges Bouquet an Impressionen interessanter Lebens- welten. Ich lade Sie herzlich ein … Genehmigen Sie sich, beobachtet von Biedermeierlibellen und Medusen, gemeinsam mit Gustav Klimt ein Glas Champagner, ein Tschopperlwossa mit Emilie Flöge, genießen Sie einen Cognac mit Berta Zuckerkandl, ein Glas Wasser mit dem asketi- schen Gustav Mahler, eine Schale Gold mit Adolf Loos und Karl Lueger, ein Kohlwürstel mit Franz Werfel, einen Schnaps mit Schiele und einen Sellerie-Vogerlsalat mit Alban Berg im Salon der femme fatale Alma Mahler. Besuchen Sie mit uns die Werkstätten der Gebrüder Thonet, der Flöge-Sisters, der Gebrüder Schwadron, von Portois & Fix, von Ignaz Gridl u. v. a. Folgen Sie mir bitte bei Abstechern in fremde Länder, bei gewagten Seitensprüngen. Lassen Sie sich verführen an Orte der Virtuosität so- wie zu virtuellen Rösselsprüngen … Folgen Sie mir unauffällig – oder auffällig – ja nach Geschmack und Interesse … Darf ich bitten … Gregor Auenhammer, Wien, anno domini 2018 7 Intro »Artis sola domina necessitas.« Gottfried Semper »Etwas Unpraktisches kann nie schön sein.« Otto Wagner, 1903 »Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.« Elias Canetti, Masse und Macht »Politische Korrektheit ist der Ausdruck fundamentaler Unbildung.« Konrad-Paul Liessmann, 2017 »Der Fortschritt schritt so lange fort, bis er fort schritt ...« Johann Nepomuk Nestroy »Alles modern Geschaffene muss unser eigenes besseres, demokratisches, selbstbewusstes, unser scharf denkendes Wesen veranschaulichen.« Otto Wagner, 1913 Einstiegsfrage Kennen Sie das Otto-Wagner-Denkmal? Nein, gemeint ist nicht etwa eines der unzähligen Baudenkmäler, die er als Architekt und Baumeis- ter, als Stadtplaner und Designer, als intellektueller Visionär selbst ge- schaffen und der Nachwelt hinterlassen hat, sondern ein Denkmal zu seinen Ehren? Ist Ihnen nicht bekannt? – Macht nix, es zahlt sich näm- lich nicht wirklich aus. Zudem hat die Kulturnation es posthum zu- nächst an einem durchaus zentralen Ort aufgestellt, dann abgebaut und verstaut –