Otto Ill. - Heinrich 11. EineWende?

Herausgegeben von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter

Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1997 ODILO ENGELS

Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur

I.

Trotz aller Vorbehalte, die man so manchen überzogenen Thesen gegenüber nicht verschweigen kann, muß man dem Buch »Deutschland - Frankreich, die Geburt zweier Völker« von Carlrichard Brühl! bescheinigen, daß es immer noch stimulie- rend auf die jüngste Forschung wirkt und zumindest in der Frage nach der Ent- stehung des deutschen Reiches - wobei die Betonung auf der Kennzeichnung »deutsch« liegt - eine Änderung unserer Vorstellungen in die Wege geleitet hat-, Der lang gestreckte Entstehungsprozeß des Reiches erscheint nunmehr bis weit in das 11. Jahrhundert hinein verlängert", Brühl richtet sein Augenmerk in der Haupt-

1 Köln/Wien 1990. Er bezeichnet beispielsweise ebd., S. 462-469, die Aachener Krönung Ottos I. von 936 nur als eine »Befestigungskrönung« der Lotharingier im Vertrauen auf die Hausordnung Heinrichs I. von 929 (vgl. KARLScHMID,Die Thronfolge Ottos des Großen, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germ. Abt. 81, 1964, 5.80-163), was die Lausanner Annalen (aus dem 13. Jahr- hundert>, ed. CHARLESROTH,Cartulaire du chapitre de Notre-Dame de Lausanne, Lausanne 1948, S. 8, indirekt bestätigen würden. Abgesehen davon, daß die angeblich guten Vorlagen dieser Quelle unbekannt und andere, dort vermerkte Daten alles andere als fehlerfrei sind, ist die Haus- ordnung selbst in einem Umfang, wie Schmid sie sieht, fragwürdig geworden; vgl. WOLFGANG GEORGI,Bischof Keonwald von Worcester und die Heirat Ottos I. mit Edgitha im Jahre 929, in: Historisches Jahrbuch 115, 1995, S. 1-40. Auch dieser Aufsatz ist von Hypothesen nicht ganz frei, zeigt aber, daß die wichtigen Beobachtungen von Schmid nicht in jeder Hinsicht zwingend sind. An der Glaubwürdigkeit von Widukinds Bericht über die Aachener Erstkrönung (Widukind von Corvey, Rerum gestarum Saxonicarum libri tres, ed. PAULHIRSCH/HANSEBERHARDLOHMANN, MGH SS rer. Germ. 60, S. 63-67) ist jedenfalls nicht zu zweifeln. 2 Vgl. schon ECKHARDMÜLLER-MERTENS,Regnum Teutonicum. Aufkommen und Verbreitung der deutschen Reichs- und Königsauffassung im früheren Mittelalter, Wien/Köln 1970; zustimmend HELMUTBEUMANN,Regnum Teutonicum und rex Teutonicorum in ottonischer und salischer Zeit. Bemerkungen zu einem Buch von Eckhard Müller-Mertens, in: Archiv für Kulturgeschichte 55, 1973, S. 215-223. BRÜHL,Deutschland (wie Anm. 1), 5.181-233, unterscheidet von diutice (= volks- sprachlich) die Bezeichnung teutonicus, die nicht vor Brun von Querfurt ein Bewußtsein von »deutsch- erkennen läßt (5. 216f.), und zwar im Sinne einer übergeordneten Einheit, welche die Addition von Stammesnamen zusammenfaßt. Gleichzeitig auch HEINZTHOMAS,Die Deutschen und die Rezeption ihres Volksnamens. in: Kieler Historische Studien 34, hg. von WERNERPARAVI- C1NI,Sigmaringen 1990, S. 19-50; DERs.,Das Identitätsproblem der Deutschen im Mittelalter, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43, 1992, S. 135-156. Sodann im Rahmen einer breit angelegten Übersichtsdarstellung JOHANNESFRIED,Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands (Propyläengeschichte Deutschlands>, Berlin 1994, besonders das erste und das letz- te Kapitel; zustimmend HANNAVOLLRATH,Geschichtswissenschaft und Geschichtsschreibung. Zur Diskussion um das Buch »Der Weg in die Geschichte« von Johannes Fried, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 43, 1995, S. 451-459, bes. S. 452. 3 Zur Forschungsgeschichte des deutschen Reiches vg!. EDUARDHLAWITSCHKA,Vom Frankenreich zur Formierung der europäischen Staaten- und Völkergemeinschaft 840-1046, Darmstadt 1986, bes. Abschnitt D 1-2 u. S. 188-201. 268 Odilo Engels sache auf die Auseinandersetzung der beiden Nachfolgereiche des karolingischen Großreiches, des Ostreiches mit dem Westreich, wobei es weitgehend um die end- gültige Zugehörigkeit Lotharingiens ging. Das fränkische Mittelreich spielt auch hier eine Rolle, allerdings aus einer anderen Perspektive; vor allem ist es nicht der einzige Gegenstand der Überlegungen. Zweifellos bezog sich die Königswahl Heinrichs I. von 919 auf das gesamte Ostreich, so wie es Konrad I., dem Anspruch nach wenigstens, hinterlassen hatte. Wäre dem nicht so, hätte sich Heinrich I. nicht im Anschluß an seine Erhebung um die Anerkennung seiner königlichen Autorität durch die Herzöge von Schwaben und Bayern bemüht". Demnach gab es eine Vorstellung vorn territorialen Umfang des Ostreiches, die von der Realität gar nicht so weit entfernt war. Dennoch kon- kurrierte mit dieser Vorstellung der personale Herrschaftsverband, der keineswegs überall mit dem territorialen Anspruch deckungsgleich sein mußte, zum Teil über ihn sogar hinausreichte und in sich auch nicht homogen war. In seiner Wirkmäch- tigkeit ist er nicht zu unterschätzen, andernfalls wären folgende Beispiele nicht zu verstehen. Bayern und Schwaben zählten bis zum späten 10. Jahrhundert und darüber hinaus nicht zu den Zentralräumen sächsischer Königsherrschaft; das war nicht nur eine Frage des Itinerars", Mit dieser Beobachtung stimmt die Tatsache überein, daß weder Heinrich I. noch Otto I.bis 952 innerhalb Bayerns und Schwabens eine Urkunde ausstellten, wohl jedoch außerhalb der beiden Herzogtümer für bayeri- sche und schwäbische Empfänger, meist wenn es um die Bestätigung eines Privi- legs der karolingischen Amtsvorgänger ging, und das in der Regel auf die Fürspra- che des zuständigen Herzogs hin 6. Daß der Herzog offenkundig nicht befugt war, königliche Privilegien zu erneuern oder selbst Recht in gleicher Qualität zu setzen, wird mit dieser Beobachtung nur bestätigt. Aus ihr aber zu schließen, der Herrscher habe in Bayern oder Schwaben keinen Hoftag einberufen und auch keine Amts- handlung vornehmen dürfen, geht zu weit. Es gibt nämlich eine einzige Ausnah- me; am 30.Juni 929 bestätigte Heinrich I. in Nabburg (bayerischer Nordgau) auf sei- ner Durchreise von Böhmen nach Sachsen ragatu comiturn nastrarum Arnalfi et Heber- hardi Schenkungen an die Abtei Kempten 7. Immerhin ist die zumindest etwas

4 Vg!. JOACHIMEHLERS,Die Entstehung des deutschen Reiches (Enzyklopädie deutscher Geschichte 31), München 1993, S. 17-19. 5 Laut ECKHARDMÜLLER-MERTENS,Die Reichsstruktur im Spiegel der Herrschaftspraxis Ottos des Großen (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 25), Berlin 1980, S. 249-254, und DERS., Reich und Hauptorte der Salier, Probleme und Fragen, in: Die Salier und das Reich, hg. von STEFAN WEINFURTER,Bd. 1, Sigmaringen 21992, S. 144-148, zählten Bayern und Schwaben nach Auskunft des Itinerars unter BeTÜcksichtigung auch einer angenommenen Aufenthaltsdauer am (in den Quellen genannten) Ort weder unter Otto I.noch unter den frühsalischen Herrschern zu den poli- tischen »Zentralräumen« oder gar »Basislandschaften« des Herrschers. Sie waren allerdings Durchzugsgebiete, da Oberitalien bis zum Apennin zu den Zentralräumen gehörte. Vg!. auch HAeENKELLER,Reichsstruktur und Herrschaftsauffassung in ottonisch-frühsalischer Zeit, in: FTÜh- mittelalterliche Studien 16, 1982, S. 74-128. 6 Die Intervention mußte als formalisierter Akt nicht in jedem Fall Fürbitte, sondern konnte auch Zustimmung bedeuten. Vg!. die Beobachtungen grundsätzlicher Art von PAULKEHR,Zur Ge- schichte Ottos IlL, in: Historische Zeitschrift 66, 1891, S. 437 f. 7 MGH D H L 19. In diesem Falle sind Arnulf von Bayern und Eberhard von Franken zufällig anwe- sende und nicht für den Empfänger zuständige Intervenienten. BRÜHL,Deutschland (wie Anm. 1), S. 291, hat dieses Diplom übersehen und kommt deshalb zu einer undifferenzierten Aussage. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 269 ungewöhnlich lockere Einbindung Bayerns und Schwabens in die sächsische Königsherrschaft ein Faktum, das sich sicherlich auf den Umstand zurückführen läßt, daß die Bayern und Schwaben an der Königswahl Heinrichs I. nicht beteiligt waren und nachträglich zur Anerkennung seines Königtums genötigt werden muß- ten. Daß in Bayern 919 sogar an eine Königswürde des Herzogs gedacht worden war", spiegelt sich in der Kirchenherrschaft des Königs wider. In Schwaben blieb die Investitur des Bischofs, auch wenn der Herzog ihn nominiert hatte, ein Recht des Königs, obwohl die dortigen Reichsklöster ziemlich fest in der Hand des Her- zogs waren 9. Hinsichtlich Bayerns bestätigt sich das von Liudprand behauptete Privileg, womit Heinrich I. dem Bayernherzog die ditio über die Bischöfe und das Recht ihrer Einsetzung gewährt habe, was seinen Vorgängern nicht zugestanden worden sei 10. Es ist unklar, ob dieses Ehrenrecht von Anfang an nur bis zum Tode Arnulfs von Bayern (937)gelten sollte oder Otto I. angesichts der kurzlebigen Nach- folge des schwachen Eberhard von Bayern (937/38) dieses königliche Vorrecht wie- der an sich ziehen konnte!', Jedenfalls scheint die Einsetzung Herolds zum Erz- bischof von Salzburg im Jahre 939 auf Ottol. zurückzugehen'F. Dem Unterschied zwischen Bayern und Schwaben entspricht auch die Tatsache, daß die bayerischen Bischöfe im Gegensatz zu den schwäbischen die Reichsversammlung zu Worms (926)und die Synode zu Erfurt (932)nicht besucht haben 13. Im Verhältnis des Reiches zu Italien kommt die Konkurrenz beider Ebenen ebenfalls zum Ausdruck. Wipo, der Kaplan am Hof Kaiser Heinrichs Ill., schrieb 1046 in den Gesta Chuonradi über die Königswahl KonradsII. von 1024,außer den Stämmen nördlich der Alpen hätten sich auch die Großen Italiens an der Wahl be-

8 Laut Liudprand von Cremona, Antapodosis, II c. 21 f., ed. JOSEPHBECKER,MGH SS rer. Germ. 41, S. 47 f., drängten die Bayern den Herzog zur Annahme der Königswürde, die Arnulf, ohne sie von vornherein auszuschlagen, nach einer Unterredung mit Heinrich I. doch nicht annahm. 9 Die Vita sancti Oudalrici, c. 1, ed. WALTERBERSCHIN,Gerhard von Augsburg, Vita sancti Uodal- rid, Heidelberg 1993, S. 98, spricht im ausgehenden 10. Jahrhundert von der Präsentation Ulrichs gegenüber Heinrich I. durch den Schwabenherzog Burchard II. (ein Verwandter des Kandidaten) für den 923 vakant gewordenen Bischofsstuhl von Augsburg. Der König regio more in manus eum accepii munereque pontificatus honoravit. Die auf seinen Befehl hin erfolgte vestituram episcopatus nahm er schon nicht mehr selbst vor, sondern - wie HELMUTMAURER,Der Herzog von Schwa- ben, Sigmaringen 1978, 5.157, will- der Herzog. MAURER,ebd., 5.153-184, über die starke Stel- lung des Herzogs gegenüber den Bischofskirchen bis zum beginnenden 11.Jahrhundert und ge- genüber den Reichsklöstern bis nach der Mitte des 11.Jahrhunderts, obwohl der Anspruch des Herrschers letztlich nicht verdrängt werden konnte. 10 Liudprand, Antapodosis, II c. 23 (wie Anm. 8), 5. 49. 11 Liudprand (wie Anm. 10), sagt von einer Befristung nichts, und Thietmar von Merseburg, Chro- nik, I c. 26, hg. von ROBERTHOLTZMANN,MGH 55 rer. Germ. N.S. 9, S. 32 u. S. 34, vermerkt nur, Arnulf habe dieses Recht seinem Nachfolger nicht hinterlassen können. KURTRElNDEL,Die bayerischen Luitpoldinger 893--989 (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte NF 11), München 1953, S. 187, schließt daraus, Heinrich habe das Recht der Bischofsernennung nur Arnulf persönlich zugestanden. 12 Vg!. die Salzburger Annalen, fälschlich zum Jahre 938, MGH 55 30/2, S. 743; zur Zuverlässigkeit dieser Quelle aus dem 12. Jahrhundert siehe HEINz DoPSCH,Geschichte Salzburgs, Stadt und Land, Bd. 1/1, hg. von DEMS.und HANSSPATZENEGGER,Salzburg 21983,5. 204 f. 13 Vg!. ALBERTHAUCK,Kirchengeschichte Deutschlands, Bd. 3, Berlin/Leipzig 81954,S. 18; zu den Bischöfen von Straßburg, Konstanz und Augsburg in Erfurt siehe HEINZWOlTER,Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056, Paderborn 1988, S. 31. 270 Odilo Engels

teiligt, wenn sie nicht auf dem Wege zum Wahlort aufgehalten worden wären; teil- genommen hätten auch die Burgunder, ja sogar die Ungarn, wenn deren Reiche schon dem Imperium angeschlossen gewesen wären 14. Diese Norm, die keines- wegs mit den Fakten übereinstimmte, besagt nichts anderes als das Recht zur Teil- nahme am Erhebungsvorgang aller, die dem künftigen König bzw. Kaiser nach irgendeinem Recht verpflichtet waren. Sie führte Wipo noch einen Schritt weiter, indem er Konrad n. angesichts der Zerstörung der königlichen Pfalz in Pavia und der Entschuldigung der Einwohner dieser Stadt, mit dem Tod Heinrichs Il. habe die kaiserliche Herrschaft und somit auch das Imperium aufgehört zu existieren, ent- gegnen läßt, wenn der Steuermann ausfalle, existiere das Schiff immer noch IS. Gerade weil die Italiener die Thronwechsel von 1002und 1024,wenn auch vergeb- lich, zur Erhebung eines eigenen Königs zu nutzen gesucht hatten, wird an Wipos Behauptungen das Bemühen deutlich, die auf dem Machtwillen des Herrschers be- ruhende Ebene des Herrschaftsverbandes in die Ebene des Reiches als einer über- personalen, institutionalisierten Größe zu transponieren. Inwieweit Wipo hier Vorstellungen des Hofes widergibt, müssen wir offen lassen. Jedenfalls nahm Kon- rad n. selbst 1033 nach dem Erwerb Burgunds die Krone dieses Königreiches in einem feierlichen Akt entgegen 16 und erkannte damit eine territoriale Eigenstän- digkeit dieses Reiches trotz seines Anschlusses an das Imperium an. Mit einem Un- vermögen, dem Selbstbewußtsein der Italiener nichts Adäquates auf deutscher Sei- te entgegenstellen zu können, hat dies wenig zu tun, da Wipo selbst den ltalici die Teutones gegenüberstellt V. Er konnte für seine Vorstellung, dem Imperium eine nahtlose Einheit zuzusprechen, auf das BeispielOttos Ill. zurückgreifen, der 983 auf Geheiß seines Vaters in Verona zusammen von deutschen und italienischen Großen zum König gewählt und wenig später am Weihnachtsfest in Aachen durch die Erz- bischöfe Willigis von Mainz und Johannes von Ravenna gekrönt und gesalbt wur- de 18. Der Hoftag in Verona wurde genannt conuenius Saxonum, Franeorum. Lotharin- giorum, Bawariorum, Italicorum aliorumque naiione, lingua et habitu dissimilium 19. Wie hier Italien als ein Oberbegriff genannt ist, während die Teilnehmer aus dem Nor- den mit einer Vielzahl von Volks- bzw. Landschaftsnamen umschrieben werden, so erscheinen auch die Anwesenden zum Treffen in Rara bezeichnet, als der Bayern- herzog Heinrich der Zänker 984 den unmündigen Otto der Mutter Theophanu und

14 Wipo, Gesta Chuonradi, ed. HARRYBRESSLAU,MGH SS rer. Germ. 61, S. 11-13. Zur älteren Inter- pretation vg!. HELMUTBEUMANN,Das Imperium und die Regna bei Wipo, in: Aus Geschichte und Landeskunde, Festschrift Franz Steinbach. Bonn 1965, S. 18-23. 15 Gesta Chuonradi, c. 7 (wie Anm. 14), S. 29 f. 16 Zur Krönung Konrads für Italien in Mailand am 23. März 1026 und für Burgund im Februar 1033 in Peterlingen/Payerne siehe HARRYBRESSLAU,Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Kon- rad H., Leipzig 1879, Bd. 1, S. 122 u. Bd. 2, 5.69. 17 Gesta Chuonradi (wieAnm. 14), S. 51; im Tetralogus v. 190 (ebd. S. 8U, sprichter von der terra Teu- tonicorum. 18 Siehe MATHfLDEUHLfRZ,Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Otto Il, und OttoIII., Berlin 1954, Bd. 2, S. 8 f. 19 Armales Magdeburgenses ad a. 983, ed. GEORGHEINRICHPERTZ,MGH SS 16, S. 157. Zur Vorlage der Quelle vg!. WfLHELMWATTENBACH/FRANZ-JOSEFScHMALE,Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter vom Tode Kaiser Heinrichs V. bis zum Ende des Interregnums, Bd. 1, Darmstadt 1976, S. 390 f. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 271

der Großmutter Adelheid übergab-", In welchem Maße im späten 10. und frühen 11.Jahrhundert die Italiener das Moment der territorialen Größe Italiens dem von Norden immer wieder vordringenden Gesichtspunkt des Herrschaftverbandes ent- gegenstemmten, geht aus einer italienischen Königsliste hervor, die den Thron vom Tod Ottos II. im Dezember 983 an bis zur Kaiserkrönung Ottos Ill. im Jahre 996 als vakant betrachtet-", also sowohl die Aachener Krönung als auch das Datum der Mündigkeit im Sommer 994 als für sie irrelevant ansah. Und die kaiserliche Seite wußte um dieses Selbstverständnis; nicht so sehr OttoIII., wohl aber Ottoll. und nach ihm die Kaiserinnen Theophanu und Adelheid während ihrer Regent- schaft bevorzugten in ihren Diplomen für italienische Empfänger einen fast schon festen Kreis an Fürbittern, der für Empfänger nördlich der Alpen nicht verwendet wurde F.

H.

Kommen wir zurück auf die Beobachtung, daß mit der einen Ausnahme die Otto- nen bis 952 weder in Bayern noch in Schwaben ein Diplom ausstellten. Obwohl die beiden Herzogtümer auch fortan nicht zu den Zentralräumen der Königsherrschaft zählten, erscheint das Jahr 952 für sie wie eine Zäsur. Auf seinem Rückweg von Pavia bestätigte Otto I. am 1. März 952 in Zürich dem dortigen Großmünster ein Privileg Ludwigs des Deutschen"; im August dieses Jahres berief er im Anschluß an die große Synode in Augsburg eine Reichsversammlung ein, auf der er wichtige Amtsverleihungen vornahm-". In Bayern nutzte er im nächsten Jahr die Kämpfe um Regensburg zur Ausstellung mehrerer Diplome ". Um den Grad der Zäsur deut- lich zu machen, sei noch vermerkt, daß von 952 ab in der königlichen Hofkapelle noch andere Mitglieder als nur Sachsen und Franken auftauchen>. Das vorausgegangene entscheidende Ereignis ist bekannt. Zu Ende des Jahres 950 war in Italien dem plötzlich verstorbenen, noch jungen König Lothar der Mark- graf Berengar von Ivrea auf den Thron gefolgt, stieß aber auf den Widerspruch Adelheids, der Witwe Lothars. Als solche konnte Adelheid in Übereinstimmung mit langobardischen Rechtsvorstellungen Erbansprüche auf das Regnum Iialicum

20 Armales Quedlinburgenses ad a. 984, ed. GEORGHEINRICHPERTZ,MGH SS 3, S. 66: ... cum totius ltaliae, Galliae, Sueoiae, Franciae, Lotharingiae primis, occursu quoque Saxonum, Thuringorum, Sela- vorum cum unioersis optimatlbus. Vg!. BRÜHL,Deutschland (wie Anm. 1), S. 579f. 21 Siehe KARLUHLIRZ,Jahrbücher des Deutschen Reiches unter OttoII. und Otto III., Bd. 1, Leipzig 1902, 5.197, Anm. 29. Die Abfassung der Liste läßt sich offenbar nicht datieren; vg!. aber die Be- obachtung von KEHR,Zur Geschichte OttosIIL (wie Anm. 6), S. 436, wonach keine italienische Gerichts- oder Privaturkunde ausgerechnet dieser Jahre nach Herrscherjahren datierte, sondern entgegen der Regel nach Inkarnationsjahren und Indiktion. 22 Vg!. KEHR,Zur Geschichte Ottos Ill. (wie Anm. 6), S. 437-442. 23 MGH DOL 146. 24 BöHMER/ÜTTENTHAL,Regesta Imperii, Bd. lIll, Hildesheim 1967, Nr. 217a. Zur Synode siehe WOLTER,Die Synoden (wie Anm. 13), S. 58-61. 25 MGH DD 0 1. 170,171 und 173. 26 Vg!. JOSEF FLECKENSTEIN,Die Hofkapelle der deutschen Könige, Bd. 2 (MGH Schriften 16/2), Stuttgart 1966, S. 13 f., 36 ff., 44 ff.; auch BRÜHL,Deutschland (wie Anm. 1), S. 290 f. 272 OdiloEngels

geltend machen 27; überdies war sie eine Tochter König Rudolfs n. von Hochbur- gund und findet sich in den Diplomen ihres Gatten als consors regni genannt28• Be- rengar indessen beanspruchte den Thron als Erbe seines Großvaters, des Kaisers Berengar I. von Friaul", und als ein über die Stellung eines summus consiliarius hin- aus von König Lothar ernannter consors regni ». Während der einstmals mächtige Vater Lothars, Hugo von Arles bzw. von Vienne, seine letzten Lebensjahre im Rhö- netal verbrachte, hatte Berengar von Ivrea in Italien eine Machtposition aufgebaut, die das legale Königtum Lothars in den Schatten stellte, ohne es allerdings zu besei- tigen. Nunmehr aber erschien die Rechtsstellung beider Prätendenten, je für sich genommen, als gut begründet und miteinander unvereinbar, zumal Berengar sich zusammen mit seinem Sohn Adalbert nach dem byzantinischen Vorbild der »Haupt-« und »Kleinkönige« hatte krönen lassen ". Diese Akzentuierung ist nicht unwichtig, weil Unklarheit darüber besteht, welches Motiv Otto den Großen zur ersten Italienfahrt veranlaßt hat. Das häufig zu Hilfe genommene Vorbild Karls des Großen ist nirgends belegt. Der zeitgenössi- sche Continuator Reginonis schreibt, Otto habe Adelheid aus der Gefangenschaft (Berengars) befreien, sie heiraten und mit ihr zugleich (oder zusammen, cum ea si- mul) Italien erwerben wollen 32. Der kaum weniger zuverlässig berichtende Widu- kind von Corvey läßt demgegenüber Otto unter dem Vorwand, eine Romfahrt un- ternehmen zu wollen, nach Italien aufbrechen, wo er erst durch reiche Geschenke die Liebe Adelheids zu ihm erprobt habe, um sie dann als seine Frau zu sich und zusammen mit ihr die sedes regia Pavia in Besitz zu nehmen 33. Der Unterschied in der Berichterstattung beider Geschichtsschreiber besteht darin, daß beim Conti- nuator der Name Pavias überhaupt nicht fällt, so daß der Zweck der Italienfahrt allein in der Eheschließung mit Adelheid bestanden haben soll, während Widukind als ersten Akt der Handlung in Italien eine Brautwerbung Ottos nennt, die offen-

27 Vg!. REINHARDScHNEIDER, Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter. Untersuchung zur Herrschaftsnachfolge bei den Langobarden und Merowingern, Stuttgart 1972, S. 29-32 und S. 246-248; speziell für das 10. Jahrhundert CARLO GUIDO MOR, Consors regni. La regina nel dirit- to pubblico italiano dei sec. IX-X, in: Archivio guiridico »Serafini- 135, 1948, S. 7-32, und FRANZ- REINERERKENS,Die Frau als Herrseherin in ottonisch-frühsalischer Zeit, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends, Bd. 2, hg. von ANTON VON Euw /PETER ScHREINER,Köln 1991, S. 248-250. 28 Idiplomi di Ugo e di Lotario, di Berengario e di Adalberto, ed. LUIGI ScHIAPARELLI(Fonti per la storia d'ltalia 38), Rom 1924, Dip!. Lotharii Nr. 14 (5. 282). 29 Von Hrotsvith von Gandersheim, Gesta Ottonis v. 982 i.,ed. PAULVON WINTERFELD,MGH SS rer. Germ. 34, S. 218, fälschlich als Vater Berengars bezeichnet. 30 Siehe ScHIAPARELLI,Idiplomi (wie Anm. 28), Dip!. Hugonis Nr. 83 (5. 43) und Dip!. Lotharii Nr. 1 (S. 252) nur summus consiliarius, aber Dip!. Lotharii Nr. 8 (S. 267) summus consi/iarius und consors regni. 31 Wesentlich schärfer als bei RUDOLFKÖPKE/ERNsT DÜMMLER,Kaiser Otto der Große (Jahrbücher der Deutschen Geschichte), Leipzig 1876, S. 184 f., kommt bei RUDOLFHIESTAND,Byzanz und das Regnum Italicurn im 10. Jahrhundert (Geist und Werk der Zeiten 9), Zürich 1964, S. 196 und S. 202-205, die Unvereinbarkeit der Rechtspositionen zum Ausdruck. 32 Continuator Reginonis ad a. 951, ed. FRIEDRICHKURZE,MGH SS rer. Germ. 50, S. 164 f. 33 Widukind, Rerum gestarurn, III c. 9 (wie Anrn. 1), S. 109: Cumque eum virtus prefatae reginae non la- teret, simulato itinere Romam proficisci statu it. Cumque in Langobardiam ventum esset, aureis muneri- bus amorem reginae super se probare temptavit. Quo fideliter experto, in coniugium sibi earn sociavit curn- que ea urbem Papiam, quae est sedes regia, obtinuit. ------_._------.- .._------

Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 273 kundig voraussetzt, daß Adelheid aus der Gefangenschaft - durch wen auch im- mer - schon befreit war; und die Inbesitznahme Pavias war erst dann eine gemein- same Tat des frisch vermählten Paares. In beiden Fällen erscheint die Hochzeit Ottos mit Adelheid als das entscheidende Vehikel zum Erwerb des Regnum Itali- cum. Dem widerspricht nur vordergründig das Itinerar Ottos, wonach dieser in der Tat zuerst Pavia besetzte und dann in der Gegend von Reggio nell'Emilia nach längerer Werbung die Zustimmung der Braut erlangte. Dieses wären nebensäch- liche Rechthabereien, wenn nicht aus der Reihenfolge geschlossen worden wäre, die Inbesitznahme Pavias sei der entscheidende Vorgang gewesen, und die Heirat habe allenfalls die sekundäre Bedeutung einer Sanktion gehabt ", Die Reihenfolge soll nicht bestritten werden, aber die Finalität des Unternehmens von 951 in seinem gesamten Umfang, die auch die Aktionen Liudolfs und Heinrichs von Bayern einschließt - wovon noch die Rede sein wird - erklärt, warum die beiden wichtig- sten Geschichtsschreiber diese mit Bedacht in der Hochzeit sehen. Rätselhaft und zugleich verdächtig ist die Bemerkung Widukinds von Corvey, unter dem Vorwand, eine Romfahrt unternehmen zu wollen, sei Otto nach Italien aufgebrochen". Im Kontext könnte man die Bemerkung so deuten, daß der König gleichsam auf einer Pause während des Vorbeimarsches die Heiratskandidatin möglichst unauffällig auf die Probe stellen wollte. Aber auch wenn diese Inter- pretation als zu naiv unzutreffend sein sollte, erregt die Bemerkung Aufmerk- samkeit, denn sie setzt als bekannt voraus, daß nach Rom zwecks Kaiserkrönung ziehen müsse, wer Italien beherrschen wolle. In der Tat hatte Otto von Pavia aus zwei Bischöfe zu Papst Agapet 11.wegen einer Einladung in die Ewige Stadt und, wie man annehmen darf, mit dem Ziel, zum Kaiser gekrönt zu werden, ge-

34 So WINFRIDGLOCKER,Die Verwandten der Ottonen und ihre Bedeutung in der Politik (Disserta- tionen zur mittelalterlichen Geschichte 5), Köln/Wien 1989, 5. 84-86 und 5. 98f. Andeutend auch EGONBosHOF,Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert (Enzyklopädie deut- scher Geschichte 27), München 21997,5. 14.Glockers Argument, Otto sei über den Brenner gleich nach Pavia gezogen und dann erst nach Reggio - hätte er Adelheid befreien wollen, wäre er gleich über (die Bündner Pässe und) Corno angereist - leuchtet nicht ein, da einmal ein Heer die Seen südlich der Bündner Pässe nur zu Schiff überqueren konnte und überdies sein Sohn Liudolf schon unterwegs war, um Ottos Italienfahrt zu verhindern, d.h, den nur von Schwaben aus mög- lichen Zugang zu den Pässen zu erschweren; folglich blieb nur der Umweg über Heinrichs Ge- biet. Hier geht es auch nicht um die Frage, ob Adelheid erst noch befreit werden mußte. Noch weniger leuchtet der Hinweis auf D 0 1. 136 mit der Datierung anno regni ... hie in ltalia primo, aber ohne Monats- und Tagesdatum, ein. DO I.135 datiert zu Pavia, September 23, und entbehrt noch eines Hinweises auf die Königsherrschaft in Italia. DO I. 137 (Oktober 9) datiert noch in Ita- lia I, und erst D 0 1. 138 (Oktober 10) führt erstmals die neue Intitulatio Ottos als rex Francorum et Langobardorum. Was hindert eigentlich daran, die Hochzeit mit Adelheid spätestens auf den 9. Oktober anzusetzen, zumal sie ohnehin im Herbst stattgefunden haben soll? Und was zwingt zur Annahme einer langwierigen Brautwerbung, offenbar einer Übertreibung Widukinds? - Über die Selbstbefreiung Adelheids und das Itinerar Ottos schon KÖPKE/DüMMLER,Jahrbücher (wie Anm. 31), 5. 195-198; er postuliert eine Huldigung der Großen anscheinend als Handlung der Gesamtheit auf einer Reichsversammlung, während der Bericht des Continuator Reginonis (wie Anm. 32), 5. 165, über die vom Bayernherzog Heinrich ausgeschickten Gesandten (vermut- lich als er sich unterwegs von Otto trennte, um Adelheid das Angebot zur Eheschließung nach Reggio zu überbringen) zu den Burgen und Städten, nur Otto die Tore zu öffnen, eher für eine Huldigung von Ort zu Ort spricht. 35 Widukind, Rerum gestarum, III c. 9 (wie Anm. 1),5. 109. 274 Odilo Engels

schickt 36, sich aber eine Abfuhr geholt, wahrscheinlich auf Veranlassung des fakti- schen Stadtherrn Alberich. Insofern Widukind hier irreführend berichtet, steht er im Einklang mit seinem Bemühen, die tatsächliche Kaiserkrönung von 962 in Rom zu verschweigen und durch die Akklamation zum Kaiser im Anschluß an die Lech- feldschlacht von 955 zu ersetzen. Das allerdings bedarf einer Erläuterung des Hintergrundes, und zwar aus der italienischen Perspektive. Der Begriff Italien als Gesamtbezeichnung der Halbinsel war im 10. Jahrhundert politisch eine Fiktion, als Idee auch in der territorialen Begrenzung aber immer noch lebendig. Davon zu unterscheiden ist das Abstam- mungsbewußtsein der Einwohner; sie konnten im Mittelalter wählen, ob sie vor Gericht nach römischem, langobardischem oder fränkischem Recht gerichtet werden wollten.". Die wichtigsten politischen Führungskräfte waren fränkischer Herkunft und erinnerten sich dieser immer wieder, wie man ihren Berufungen auf Vorfahren, die im fränkischen Gesamtreich bekannt gewesen waren, entnehmen kann. Ihre Herrschaften mit einem gewöhnlich stabilen Kern, aber oft wechselnden Außengrenzen erfaßten niemals die ganze Halbinsel, bildeten aber auch kein italie- nisch-langobardisches Sonderbewußtsein aus, sondern verstanden sich in der Nach- folge des karolingischen Mittelreiches, besonders des Regnum Italicum, wie es Kai- ser LudwigII. innegehabt hatte. Der besondere Rang Italiens innerhalb des fränki- schen Gesamtreiches, das der Auflösung unaufhaltsam entgegentrieb, bis dieses allenfalls als eine Idee bis ins 11.Jahrhundert überlebte, resultierte aus der Erinne- rung an Rom als dem einstigen Zentrum des antiken Weltreiches und aus der Con- stitutio Romana von 824, die dem Kaiser - in diesem Falle Lothar I. und Ludwig n.- eine Schutz- und Kontrollfunktion über die Stadt Rom einräumte. Indem Papst Leo IV.durch besondere Fürsorge für seine Bischofsstadt im Ansatz seinem Amt eine universale Dimension gab38 und Papst [ohannes VIII. 875 sich über die Ab- sprache Ludwigs II. mit Ludwig dem Deutschen, mangels eines eigenen Erben des- sen Sohn für die kaiserliche Nachfolge vorzusehen, hinwegsetzte und statt dessen Karl den Kahlen zur Kaiserkrönung nach Rom einlud, der sich vorher noch von ita- lienischen Großen zum König Italiens ausrufen lassen mußte, erlangte Rom als Hort des Kaisertums in Umrissen jenes Profil, das die Stadt im Hochmittelalter ge- prägt hat. Der byzantinische Hof verfolgte diese Entwicklung mit Aufmerksamkeit, schon weil er niemals daran dachte, auf etwas zu verzichten, was jemals zum Römi- schen Reich gehört hatte, auch nicht auf Italien. In der zweiten Hälfte des 9. Jahr- hunderts gab er allerdings die Hoffnung auf, Italien mit Gewalt zurückerwerben zu können, und verlegte sich statt dessen auf das Knüpfen verwandtschaftlicher Bin- dungen durch Heiraten mit den Häusern italienischer Teilherrscher in der Erwar-

36 Der einzige, der den Zweck der Gesandtschaft des Erzbischofs Friedrich von Mainz und des Bischofs Hartbert von Chur nach Rom erwähnt, ist Flodoard von Reims, Armales ad a. 952, ed. PHILIPPELAUER,Les Armales de Flodoard, Paris 1905, S. 133, und zwar pro susceptione sui. Vgl, BöHMER/OrrENTHAL,Regesta (wie Anm. 24), Nr. 201a. 37 Vgl. JÖRGW. BUSCH,Die Lombarden und die Langobarden. Alteingesessene und Eroberer im Geschichtsbild einer Region, in: Frühmittelalterliche Studien 29, 1995, S. 296. 38 Vg!. KLAUSHERBERS,Leo IV.und das Papsttum in der Mitte des 9. Jahrhunderts. Möglichkeiten und Grenzen päpstlicher Herrschaft in der späten Karolingerzeit (Päpste und Papsttum 27), Stuttgart 1996, bes. die Teile E und F. Überlegungen zur ottonischen Herrschaitssirukiur 275 tung, auf dem Erbwege irgendwann einmal Fuß fassen zu können. Auch ein Klein- herrscher, der nur einen Bruchteil der Halbinsel beherrschte, repräsentierte in ge- wisser Weise das ganze Mittelreich Italien und wurde von Byzanz als rex bezeich- net. Um in Rom die Kaiserkrone zu empfangen, war offenbar eine solche Teilherr- schaft in Italien eine nicht zu umgehende Voraussetzung". Hatte dies etwas mit dem ersten Italienunternehmen Ottos I. zu tun? Die höchst unterschiedliche Beteiligung der Herzöge von Bayern und Schwaben an diesem Unternehmen ist bekannt; sie mit traditionellen Interessen der beiden Herzog- tümer in der südlichen Nachbarschaft im wesentlichen zu erklären, ist zu vorder- gründig. Sobald Liudolf, der Schwabenherzog und Ottos ältester Sohn, von der be- absichtigten Heerfahrt des Vaters hörte, sei er ohne dessen Wissen mit einem klei- nen Heer nach Italien vorausgeeilt, um dem Vater durch eine gute Tat zu gefallen, wie der Continuator Reginonis vermerkt. Zugleich muß er aber auch zugeben, daß sich diese Sonderaktion als völlig überflüssig erwies, aus der Rückschau sogar als der Keim der Rebellion und Zwietracht, nämlich des dritten Aufstandes gegen Otto von 953, zu bewerten sei. Wie schon erwähnt, hatte Liudolf seinen Mißerfolg dem Bayernherzog Heinrich, dem jüngeren Bruder Ottos, zu verdanken, der von Trient aus rechtzeitig durch Boten an Burgen und Städte Oberitaliens intervenierte, nur Otto und nicht dessen Sohn die Tore zu öffnen 40. Widukind bringt die Eigenmäch- tigkeit des Königssohnes nicht gleich mit der Heerfahrt des Vaters in Verbindung, sondern begründet sie als eine Art Übermut im Gefolge der 947/48 erlangten Her- zogsgewalt, kann aber nicht verschweigen, daß Liudolf im Anblick der Hochzeit tristis den Hof, wiederum ohne Wissen des Vaters, verließ und sich nach Saalfeld in Thüringen begab, über dessen Ort auch der Continuator Andeutungen düsterer Erinnerungen macht+'. Das Motiv Liudolfs für seine Eigenmächtigkeit läßt sich schwerlich mit den in den beiden Quellen angeführten Gründen plausibel machen. Offensichtlich wand- te sich der Sohn gegen den Vater, weil er dessen erneute Eheschließung verhindern, der Königsbruder sie aber ermöglichen wollte. Man hat deshalb schon an Erbaus- einandersetzungen gedacht, die Liudolf befürchtete; über seine Ehefrau Ida konnte er in Burgund und von dort aus in Italien Erbansprüche stellen, die mit gleichge- richteten Ansprüchen seiner künftigen Stiefmutter zu kollidieren drohten.". Nicht in jeder Hinsicht muß man ihnen widersprechen, aber man sollte in die Erwägun- gen einbeziehen, daß Otto I. vorher wissen mußte, inwieweit Reibungen mit sei- nem Sohn abzusehen waren und ob sie nicht durch rechtzeitige Vereinbarungen hätten vermieden werden können, es sei denn, die zu erwartenden Komplikationen

39 Vg!. HIESTAND,Byzanz und das Regnum Italicum (wie Anm. 31), Kap. I-III. Die Dissertation wurde von der Frühmittelalterforschung kaum zur Kenntnis genommen, wahrscheinlich weil unter dem Eindruck des traditionellen Kontextes ein Blick für die Perspektive aus »nichtdeut- scheme Blickwinkel versperrt blieb. 40 Continuator Reginonis ad a. 951 (wie Anm. 32), S. 165. 41 Widukind, Rerum gestarum, III c. 6 und 9 (wieAnm. 1), S. 108f. 42 Vg!. GLOCKER,Die Verwandten (wie Anm. 34), S. 72,86 und 104, mit Hinweis auf Überlegungen, die GUNTHERWOLF,Über die Hintergrunde der Erhebung Liudolfs von Schwaben, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germ. Abt. 80, 1963, S. 315-325, sowie HANSCONSTANTINFAUSSNER,Die Verfügungsgewalt des deutschen Königs über weltliches Reichsgut im Hochmittelalter, in: Deut- sches Archiv 29,1973, 5.345-449, speziell S. 411, vorgelegt haben. 276 Odilo Engels ließen sich nur vermeiden, wenn man auf die erneute Eheschließung überhaupt verzichtete; da dies nicht geschah, besaß sie offenbar ein solches Gewicht, daß Otto sogar eine gravierende Auseinandersetzung mit seinem Sohn in Kauf zu nehmen bereit war. Dieser Gesichtspunkt engt das Motivauf die Gefährdung der Thronfol- ge ein. Soeben zum Witwer geworden, hatte Otto 946 seinen Sohn zum Nachfolger im Königsamt bestimmt. Widukind gibt als Begründung an, Liudolf sei 16Jahre alt geworden", Geboren worden sein muß er demnach um 930, also bevor sein Vater die Königswürde erlangt hatte; der Hausordnung von 929 kann man in diesem Punkt ja nicht mehr unbedenklich folgen+'. Denkt man an das Prinzip der »Purpur- geburt«, wovon noch die Rede sein wird, dann mußte Liudolf von der neuen Ehe seines Vaters einen Rivalen in der Thronfolge befürchten. Und in der Tat, Adelheid gebar 952/53 einen Sohn Heinrich, zu dem Flodoard von Reims vermerkt, Otto er- wäge, diesem Kind sein Königreich zu versprechen, das er vorher Liudolf aufgetra- gen hatte:". Ohne wissen zu können, daß das Kind nur gut ein Jahr leben würde, wuchs schon zu Anfang des Jahres 953 die Spannung zwischen dem König auf der einen und Liudolf zusammen mit seinem Schwager, dem Herzog Konrad von Lotharingien, und dem Mainzer Erzbischof Friedrich auf der anderen Seite erheb- lich, im Sommer 953 kam es zur offenen Auseinandersetzung, die zum Jahresende 954 mit der Amtsenthebung der beiden Herzöge definitiv beendet werden konnte. Die Thronfolgefrage hat in diesem Aufstand, wenn auch nicht allein, eine Rolle gespielt".

43 Widukind, Rerum gestarum, III c. 1 (wie Anm, 1), S. 104; er verknüpft - auch im Einklang mit der chronologischen Anordnung - die Designation ausdrücklich mit dem Tod Edgithas, der Mutter Liudolfs. GLOCKER,Die Verwandten (wie Anm. 34), S. 102, hingegen versucht durch die Bemer- kung »kurz bevor König Otto zu seinem 1. Italienzug aufbrach« die Designation ursächlich mit der Italienfahrt in Verbindung zu bringen, vielleicht verführt durch die Formulierung in den An- nalen Flodoards von Reims (siehe Anm. 45). Sein Hinweis auf WOLFGANGGIESE,Zu den Designa- tionen und Mitkönigserhebungen der deutschen Könige des Hochmittelalters, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germ. Abt. 92, 1975, S. 174-183, wonach vor Antritt einer gefährlichen Heer- fahrt solche Designationen gerne vorgenommen wurden, um Turbulenzen im Falle einer Thron- vakanz vorzubeugen, kann durchaus einen Sinn haben, wenn man Ottos Absicht auf seine nicht minder gefährliche Heerfahrt gegen Hugo von Franzien bezieht. Im übrigen galt die Thronfolge laut Widukind post se, also erst für den Todesfall Ottos; dennoch vg!. WERNEROHNSORGE,Die Idee der Mitregentschaft bei den Sachsenherrschern, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25, 1972, S. 539-548. 44 Vg!. GEORGI,Bischof Keonwald (wie Anm. 1). 45 Flodoard, Armales ad a. 953 (wie Anm. 36): Nato siquidem regi filio ex moderna coniuge, ferebatur eidem puero rex regnum suum promittere, quod olim, prius quam Italiam peterei, Liudolfo delegaverat et magnatos suos eidem promittere fidelitatem iureiurando fecerat. Der Hinweis auf die Italienfahrt ver- steht sich hier eher als terminus ante quem und scheint überhaupt gemacht worden zu sein, um den Zeitpunkt der Absichtsänderung einfließen zu lassen. 46 Über den äußeren Ablauf des Liudolf-Aufstandes siehe FRANZ-REINERERKENs,Fürstliche Oppo- sition in ottonisch-salischer Zeit, in: Archiv für Kulturgeschichte 64, 1982, S. 315-338. Schon ROBERTHOLTZMANN,Geschichte der sächsischen Kaiserzeit (900-1024), München 31955, S. 154, vermutet zum Inhalt des rätselhaften Vertrages von 953, den Otto in Dortmund widerrief, daß er u.a. Liudolf die Thronfolge gesichert habe. Zur Rolle der Thronfolge in allen drei Aufständen ge- gen Otto vg!. JOHANNESLAUDAGE,Hausrecht und Thronfolge. Überlegungen zur Königserhe- bung Ottos des Großen und zu den Aufständen Thankmars, Heinrichs und Liudolfs, in: Histori- sches Jahrbuch 112, 1992, S. 23-71. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 277

Heinrich von Bayern bereitete schon 936 anläßlich der Königserhebung seinem älteren Bruder Schwierigkeiten 47. Er nahm nachweislich nicht an den Aachener Feier- lichkeiten der Thronbesteigung teil48• Wie sich dann im Zuge des von ihm getra- genen Aufstandes von 939 herausstellte, fühlte er sich übergangen, was die Hinter- lassenschaft seines Vaters betraf; sei es, daß er als Unmündiger von der Vermögens- zuweisung durch den Vater in Form einer Abschichtung ausgeschlossen geblieben war, oder, was gravierender erscheint, nach Meinung seiner Mutter Mathilde an- stelle seines älteren Bruders zum König hätte erhoben werden müssen, weil er im Unterschied zu Otto erst geboren worden war, nachdem sein Vater schon die Königswürde erlangt hatte t", Was die Interpretation dieser Behauptung erschwert, ist die zeitliche Spanne bis zur Abfassung der jüngeren Mathilden-Vita. Anderer- seits wird man davon ausgehen können, daß Heinrich IL nicht mit erfundenen Mit- teilungen aus der Hausüberlieferung der bayerischen Liudolfinger das Gegenteil einer breiteren Zustimmung zu seiner Königsherrschaft riskieren wollte. Die For- mulierung freilich, in aula regali geboren zu sein, war nicht im Westen beheimatet; die Sache jedoch könnte zumindest als erwägenswerte Norm dort bekannt gewe- sen sein, wenn man an Ludwig den Frommen im Jahre 821 denkt ", Folglich ist nicht ausgeschlossen, daß das Bewußtsein Heinrichs von Bayern, um sein Recht be- trogen worden zu sein, wie ein Stachel fortwirkte und seine durch Unzufriedenheit

47 Vg!. LAUDAGE,Hausrecht (wie Anm. 46), S. 49-64. 48 Laut Widukind, Rerum gestarum, 11c. 2 (wie Anm. 1), S. 67, nahm der Sachse Siegfried, der se- cundus a rege, nicht am Gastmahl teil, das den Aachener Akt ausklingen ließ, weil er in Sachsen die Reichsgrenze zu bewachen und den noch unmündigen Heinrich ebd. in seiner Obhut hatte. 49 LAUDAGE,Hausrecht (wie Anm. 46), S. 62-{)5, lehnt noch unter dem Eindruck der Hausordnung von 929 im weiten Umfang (vgl. ScHMID,Die Thronfolge [wie Anm. 1]) das Argument der Pur- purgeburt als »dem westlichen Rechtsdenken völlig fremd« ab und macht fur Heinrich, da er wegen fehlender Abschichtung das Testament des Vaters von 936 als ungültig betrachten mußte, »die Idee der Samtherrschaft einer Brüdergemeinschaft, die nach wie vor eine bedeutende Rolle spielte«, geltend (vg!. Hrotsvith von Gandersheim, Gesta [wie Anm, 29], S. 205, Z. 25-32). Vgl. die Nachricht über den Standpunkt Mathildes in der Vita Mathildis posterior, c. 9, ed. BERND ScHÜTTE,MGH SS rer. Germ. 66, S. 161): Perplures diiudicabant Heinricum regno peiiri, quia natus es- set in aula regali; alii vero desiderabant Ottonem possidere principatus honorem, quia etate esset maior et consilio providentior. - BERNDScHÜTIE,Untersuchungen zu den Lebensbeschreibungen der Köni- gin Mathilde (MGH Studien und Texte 9), Hannover 1994, S. 98-110, hält den Hinweis auf die in Byzanz als angemessenes Merkmal gewohnte Norm der Purpurgeburt für tendenziös, zweifelt aber nicht an der Authentizität der Willensbekundung Mathildes dem Sinne nach. 50 Im Februar 819 heiratete der Kaiser in zweiter Ehe die Welfin Judith. Die Brautwerbung fand da- mals nach byzantinischem Vorbild statt. Der älteste Sohn aus dieser Ehe (* 13.6.823) erhielt den nur Königsfähigen aus dem Geschlecht vorbehaltenen Namen Karl (»der Kahle«), fur den als Taufpate der ältere und schon zum Kaiser gekrönte Lothar fungierte. Vor ihm wurde Gisela ge- boren und später während der kriegerischen Wirren zur Stützung der Stellung des Vaters im Mittelreich mit Eberhard von Friaul verheiratet. Falls sie im Jahre 821/2 (ihr genaues Geburts- datum ist unbekannt) geboren worden sein sollte, bekäme die nochmalige Beeidung der Ordina- tio imperii auf den Reichsversammlungen in Nimwegen (Anfang Mai 821) und in Diedenhofen (Mitte Oktober 821) einen plausiblen Sinn. Fürchtete man, der vielleicht zu erwartende Sohn werde Lothar, der bereits im Jahre 795 als Sohn des Unterkönigs Ludwig in Aquitanien und nicht als Kaisersohn geboren worden war, von der Thronfolge verdrängen? Vgl. ELIZABETHWARD, Caesar's Wife. The Career of the Empress [udith, 818--829,in: Charlemagne's Heir. New Perspec- tives on the Reign of Louis the Pious (814-840), ed. PETERGODMAN/ROGERCOLLINS,Oxford 1990, S. 205-227, bes. S. 209; RUOOLFScHIEFFER,Die Karolinger, Stuttgart 1992,S. 125 f.; FRIED,Der Weg (wie Anm. 2), S. 362 f.; EGONBosHOF,Ludwig der Fromme, Darmstadt 1996, S. 152f. 278 Odilo Engels

genährte Unruhe erklärt. Sie wurde auch nicht dadurch gemildert, daß Otto ihm im Dezember 947 das Bayernherzogtum auftrug51• Denn als Herzog eroberte Heinrich 949 die Markgrafschaften Verona und Friaul, die sich vom Gardasee bis in das heu- tige Slowenien mit der Fläche des Patriarchats Aquileja deckten 52. Sicherlich nicht ohne Grund versteckte Widukind diese Nachricht gewisser- maßen, und der Continuator Reginonis, dem Königssohn Liudolf auffallend gewo- gen, verschweigt sie; dabei dürfte der Vorstoß Heinrichs nach Italien entscheidend zur Italienfahrt Ottos beigetragen haben. Ob die Brautwerbung des byzantinischen Hofes um Hadwig, die Tochter Heinrichs von Bayern, etwas mit der Aneignung ita- lienischen Territoriums durch den Vater zu tun hat53, muß offen bleiben, da nicht zu ermitteln ist, wann genau im Jahre 949 der eine oder andere Vorgang stattgefunden hat. Immerhin betitelte der Hof am Bosporus den Bayernherzog in einem Brief um die Zeit als rex54, zählte ihn mithin zum Kreis derjenigen, die möglicherweise die Kaiserkrone im Westen erwerben könnten. Damit deutet sich das Motiv der Italien- fahrt Ottos in Umrissen an. Ottos Überordnung über seinen jüngeren Bruder war gefährdet; die Kaiserkrone oder zumindest die Gleichstellung in Italien jedoch än- derte das bisherige Verhältnis der beiden Brüder nicht gravierend. Eine auffallende Parallele ist geeignet, den Verdacht zu erhärten, Heinrich dürfte in Erinnerung an seinen Schwiegervater Arnulf von Bayern gehandelt haben, als er in das östliche Oberitalien einfiel. Dieser hatte 933/34, von der Partei Berengars von Friaul um Hilfe gerufen, den Versuch unternommen, seinen Sohn in Verona zum König krönen zu lassen'", war aber an der Übermacht Hugos von ArIes, nach 937 der Schwiegervater Adelheids, gescheitert. Dazu liegt eine ähnliche Reaktion

51 Das Datum nach GLOCKER,Die Verwandten (wie Anm. 34), S. 79, Anm. 75 u. S. 273 f. Die Heirat Heinrichs mit [udith, der Tochter Herzog Amulfs von Bayern, setzt er auf die Jahre 937-940 (also in die Zeit des Aufstandes) an. 52 Widukind, Rerum gestarum, 11c. 36 (wie Anm. 1), S. 95: Ducatu igitur Boioariorum accepto nequa- quam desidia torpuit, sed abiens Aquilegiam cepit, Ungarios duabus vicibus armis superaint ... Die nur beiläufige Bemerkung Widukinds haben GLOCKER,Die Verwandten (wie Anm. 34), S. 68-71 und S. 273f., überhaupt nicht und HOLTZMANN,Geschichte (wie Anm. 46), S. 147, wenig präzise berücksichtigt. KÖPKE/DüMMLER,Jahrbücher (wie Anm. 31), S. 187 mit Anm. 1, ermittelten we- nigstens das Jahr 949 entsprechend der chronologischen Anordnung bei Widukind, ebenfalls HIESTAND,Byzanz (wie Anm. 39), 5.204; irrig dagegen WERNERTRILLMICH,Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 9, Darmstadt 1974, S. 78, Anm. 179. 53 Byzanz schickte 949 bereits einen Lehrer an den Hof des Herzogs, der das Mädchen in die grie- chische Sprache einführen sollte, und gab ihm einen Maler mit, um frühzeitig ein wirklichkeitsge- treues Porträt von der künftigen Braut zu erhalten; doch Hadwig habe aus Abscheu vor dieser Ehe unentwegt Grimassen geschnitten, so daß das Bild nicht zustande kam, letztlich auch nicht die Eheschließung. Siehe Ekkehard IV.,Casus sancti Calli, c. 90, ed. HANSF. HAEFELE(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 10), Darmstadt 1980, S. 184. Das Faktum des Verlöbnisses (ebd., Einleitung, S. 8 f.) wird nicht bestritten, wohl aber die Historizität des anekdoti- schen Beiwerks. Zur Datierung siehe KÖPKE/DÜMMLER,Jahrbücher (wie Anm. 31),S. 172f. GLOCKER, Die Verwandten (wie Anm. 34), S. 156, bringt die Brautwerbung fälschlicherweise mit den Plänen Ottos I. von 951 hinsichtlich einer Kaiserkrönung in Verbindung; Heinrich habe stellvertretend für ihn die Braut gestellt, weil Otto keine eigene Tochter dafür mehr zur Verfügung hatte. 54 WERNEROHNSORGE,Abendland und Byzanz, Darmstadt 1958, S. 237, bezeichnet diese Titulatur als ein Merkmal unzureichender Kenntnis im Osten; sie offenbart sich hier aber im Gegenteil als ein Zeichen gut bewanderter Diplomatie. 55 Vg!. REINDEL,Die Luitpoldinger (wie Anm. 11), S. 163-170; HIESTAND,Byzanz (wie Anm. 31), S.174f. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 279

König Heinrichs I.vor, wie sie für Otto I.vermutet werden kann. Nach seinem Sieg über die Ungarn an der Unstrut im Jahre 933 habe das Heer dem König wie einem Kaiser akklamiert - in Wendungen übrigens, die der Akklamation nach der Lech- feldschlacht offenkundig ähneln - und nach der Bezwingung des Dänenkönigs be- schloß Heinrich I. eine Romfahrt, nahm von ihr wegen Krankheit aber wieder Ab- stand 56. Der Gedanke einer Kaiserkrönung, um mit dieser Autoritätssteigerung die gefährdete Überordnung gegenüber dem Bayernherzog zu sichern, ist, auf Hein- rich I.bezogen, übrigens nicht neu 57. Die Beobachtung läßt sich noch eingrenzen. Es ist nämlich nicht selbstver- ständlich, daß Otto zu Anfang des Jahres 945 nichts unternahm, den Markgrafen Berengar von Ivrea, der 941 als Exulant Otto den Lehnseid geleistet hatte 58, von der Rückkehr nach Italien abzuhalten, um mit einem kleinen von ihm in Schwaben an- geworbenen Heer sich an die Spitze einer gegen Hugo von Arles gerichteten Auf- standsbewegung zu stellen oder etwa zu versuchen, aus der Ferne seine Aktionen unter Kontrolle zu halten. Über das Jahr 949 hinaus wartete Otto sogar, bis ihn der Hilferuf der Witwe Adelheid, der einer Selbstbefreiung ja nicht widersprechen muß, und die Nachricht von der Königskrönung Berengars erreichte, so daß der Anschein eines legalen Eingreifens und nicht einer offen gegen Heinrich gerichte- ten Aktion gewahrt blieb. Der Continuator Reginonis schreibt von Heinrich, er sei auf alle Ehren und Erfolge Liudolfs neidisch gewesen'". Das kann sich auf das schon erwähnte Problem seiner unbeachtet gebliebenen Purpurgeburt beziehen; schon um der Selbstrechtfertigungseines bisherigen Lebens willen mußte er für den Vorrang des Purpurgeborenen in der Thronfolge eintreten. Doch was wollte Liudolf letztlich? Den Eheschluß mit Adelheid konnte er auf lange Sicht nur verhin- dern, wenn er und nicht der Vater die Königsherrschaft Berengars beseitigte und durch seine eigene ersetzte. Dann freilich hatte Heinrich seinen Neffen als Rivalen im Machtkampf zu fürchten; wahrscheinlich ungewollt trieb Liudolf auf diese Wei- se den Oheim an die Seite des Vaters'", Das legte auch für die Folgezeit das Verhal- ten Heinrichs fest. Konrad von Lotharingien und Erzbischof Friedrich von Mainz traten für einen Ausgleich Ott05 mit Berengar von Ivrea ein, während Heinrich un- erbittlich gegen Berengar agitierte, so daß dieser von Magdeburg aus nur mit knap- per Not nach Italien gelangte?'. Otto indessen vollzog zwischen dem Magdeburger Aufenthalt Berengars und dem Augsburger Hoftag am 7. August 952 in der Ita- lienpolitik eine Kehrtwende; vermutlich um das Verhältnis zu seinem Bruder zu entspannen - was hinsichtlich Liudolfs wegen der nun einmal eingegangenen Ehe mit Adelheid nicht möglich war -, faßte er ins Auge, sich aus Italien weitgehend zurückzuziehen, während Adelheid bezeichnenderweise für mehrere Jahre in den Hintergrund trat62•

56 Widukind, Rerum gestarum, Ic. 39 und c. 40 (wie Anm. 1), S. 58 f. 57 Vg!. BosHOF,Königtum (wie Anm. 34), S. 9. 58 Siehe Liudprand von Cremona, Antapodosis, V c. 12 (wie Anm. 8), S. 136. 59 Continuator Reginonis ad a. 951 (wie Anm. 32), S. 165. 60 Dann hätte FRIEDRICHMARTINFISCHER,Politiker um Otto den Großen (Historische Studien 329), Berlin 1938, S. 56 f., mit seiner Vermutung, Heinrich habe sogar versucht, die Krone seines Bru- ders zu beerben, so unrecht nicht. 61 Continuator Reginonis ad a. 952 (wie Anm. 32), S. 165. 62 Vg!. GLOCKER,Die Verwandten (wie Anm. 34), S. 87. 280 Odilo Engels

Otto I. wäre kein guter Politiker gewesen, wenn er nicht einkalkuliert hätte, daß Berengar seine Lehnspflicht ignorieren würde, nachdem er ihn und dessen Sohn Adalbert auf der Augsburger Reichsversammlung mit dem Regnum Italicum belehnt hatte. Man kann deshalb annehmen, daß er sich des inzwischen hinder- lichen Problems Italien entledigen wollte, ohne das Gesicht zu verlieren und even- tuelle spätere Wiederanknüpfungspunkte zu verschenken. In diese Linie paßt die Lehnsvergabe der Marken Verona und Friaul auf derselben Versammlung an sei- nen Bruder Heinrich, der gar nicht anwesend war=. so daß von seinem Einver- ständnis nichts bekannt ist. Letzteres nämlich ist der entscheidende Punkt, da Otto seinem Bruder offenkundig die beiden Markgrafschaften als Bestandteile der bayerischen Herzogsherrschaft auftrug. Der Continuator schreibt ja ausdrücklich, daß Verona und Friaul aus dem Regnum Italiae herausgenommen wurden; und Be- rengar besetzte sie wenig später als Bestandteile seines Königreiches". Damit be- handelte Otto die beiden Kontrahenten formal gleich, und doch nahm er seinem Bruder die Grundlage der Königsgleichheit oder gar der (wenig großen) Aussicht auf die Kaiserkrone, indem er in diesem Falle die Ebene des territorialen Herr- schaftsanspruches kurzerhand der Ebene des personalen Herrschaftsverbandes an- glich. Es war dem Gegenzug Berengars zu verdanken, daß die fortwährende terri- toriale Zugehörigkeit Veronas und Friauls zu Italien nicht in Vergessenheit geriet65 und in der nächsten Generation wiederum eine Rolle spielen sollte. Heinrich indes- sen konnte sich weder gegen Otto noch gegen Berengar wehren, weil er zunächst in Kämpfen gegen die Ungarn festgehalten, dann an der Seite seines Bruders in den liudolfingischen Aufstand involviert war und schließlich noch vor Jahresende 955 seiner Verwundung in der Lechfeldschlacht erlag. Bemerkenswerterweise erlangte Liudolf seine Aussöhnung mit dem Vater und den Auftrag, nach Italien zu ziehen und Berengar von Ivrea zur Einhaltung seiner Lehnsverpflichtungen zu zwingen, erst nach dem Tod Heinrichs=. In diesem Mo- ment war schon der künftige Thronfolger Otto 11.geboren 67, weswegen zu fragen ist, ob Otto I. nicht eine spätere ähnlich unheilvolle Rivalität zwischen den beiden Halbbrüdern mit einem allerdings ungewöhnlich großen Altersunterschied fürch- tete, es sei denn, er räumte dem kleinen Otto nicht mehr Überlebenschancen ein, als

63 Vgl. Continuator Reginonis ad a. 952 (wie Anm. 32), S. 166: ... ubi prescriptus Berengarius cum filio suo Adalberto regiae se per omnia in tassalicium dedit dominationi et Italiam iterum cum gratia et dono regis accepit regendam. Marca tantum Veronensis et Aquileiensis excipitur, quae Heinrico [ratri regis committitur. - BöHMER/OrrENTHAL,Regesta Imperii, lI/I (wie Anm. 24), Nr. 217a. 64 Vgl. BRÜHL,Deutschland (wieAnm. 1), S. 537f. 65 Vgl. HAGENKELLER,Zum Charakter der »Staatlichkeit« zwischen karolingischer Reichsreform und hochmittelalterlichem Herrschaftsausbau. in: Frühmittelalterliche Studien 23, 1989, S. 251. 66 Laut Ruotger, Vita Brunonis, c. 36, ed. IRENEOrr, MGH SS rer. Germ. N.S. 10, S. 37, fanden die Gespräche des Kölner Erzbischofs Brun mit seinem Neffen während der Lechfeldschlacht. an der beide nicht hatten teilnehmen können, und wiederum in Bonn während des Eintreffens der Siegesmeldung statt. Ruotger zieht in diesem Kapitel verschiedene aufeinanderfolgende Ereig- nisse ohne präzise Zeitangaben zusammen, so daß FRIEDRICHWILHELMOEDIGER,Die Regesten der Erzbischöfe von Köln (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21), Bd. 1, Düsseldorf 1978, Nr, 402, sich veranlaßt sah, das von Ruotger Berichtete unter dem Datum »955, nach August 10« einzuordnen. Der Continuator Reginonis ad a. 956 (wie Anm. 32), S. 169, erwähnt Entsendung und Abgang des Heeres unter der Führung LiudoIfs zum Jahr 956. 67 Zur problematischen Datierung der Geburt siehe GLOCKER,Die Verwandtschaft (wie Anm. 34), S. 280f. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 281 dessen beiden Brüdern seit 952 vergönnt gewesen war, so daß schon deshalb eine Aussöhnung dringend geboten schien, oder er beurteilte die Aussicht, die Herr- schaft Berengars zu beseitigen, skeptisch; den Mißerfolg hätte dann freilich Liudolf selbst zu verantworten gehabt. Liudolf indessen hatte beachtliche Erfolge in Italien vorzuweisen 68, die dann durch seinen plötzlichen Tod am 6. September 957 wieder zunichte wurden. Ruotger vermerkt kurz, Brun habe in seinen Gesprächen mit Liu- doH, welche die Aussöhnung mit dem König einleiteten, die Rückführung in stalum pristinum versprochen; und wie zur Präzisierung heißt es einige Zeilen später, in Bonn habe er seinen Gast zuvorkommend behandelt non immemor regie dignitatis 69. Das kann sich auf die früher versprochene Thronfolge beziehen, die zum Zeitpunkt der Lechfeldschlacht ja wieder offen war und erst zum Jahresende 955 die alte Pro- blematik zu wiederholen drohte. Offenbar deshalb kam es in der Aussöhnung mit dem Vater nicht zur Erneuerung des Thronfolgeversprechens und damit auch nicht zur Wiedereinsetzung in den alten Rechtsstand, sondern zur Erlaubnis, sich das Regnum Italicum zu unterwerfen. Da eine Wiedereinsetzung in das schwäbische Herzogsamt nicht erfolgte, war auch eine Bedrohung der Herrschaft des Vaters nicht zu erwarten. Italien rückte, wenigstens für eine kurze Zeit, aus dem engeren Gesichtsfeld Ottos I. Was hatte dann - so muß man sich fragen - das ganze Unter- nehmen des Jahres 951 eingebracht? Nichts von bleibender Dauer, lautet die Ant- wort, mit Ausnahme der wesentlich stärkeren Einbindung der beiden süddeut- schen Herzogtümer in den Herrschaftsverband des Königs. Im Grunde läßt sich die Auseinandersetzung seit 949/51 als ein Ringen um die Position des Herrschers auf den Punkt bringen, aus der Otto I. gestärkt hervorging, allerdings nicht in jeder Hinsicht vorrangig durch sein Verdienst. Dieses Urteil bedarf einer Ergänzung. Es wäre ein Mißverständnis, wollte man folgern, das Ansehen Ottos habe sich auf ein früheres Maß wieder reduziert. Des- sen Vormacht wurde schon 948 auf der Synode zu Ingelheim zum Ausdruck ge- bracht, welche die lange umstrittene Besetzung des für das westfränkische König- tum so wichtigen Erzstuhles von Reims endgültig regelte, auf der auch die ersten dänischen Bischöfe geweiht und die Errichtung der beiden slawischen Bistümer Brandenburg und Havelberg wahrscheinlich in die Wege geleitet wurden?", Otto benutzte sie zur Demonstration, der eigentliche Nachfolger der reges Franeorum zu sein, »weil alle Reiche vor ihm schweigen und seiner Herrschaft alle Feinde wei- chen«?', Das Beispielordnet sich in die schon vor 948 einsetzende Reihe von Bele- gen der königlichen Kanzlei ein, wo dem König kaiserliche Epitheta beigelegt wer- den, wohl um seine bereits erreichte großkönigliche Stellung hervorzuheben 72. Sol- che Äußerungen wurden nicht nur vor und nach 952 mit nach Westen gerichtetem Blick getan, wenn man an den für Papst Agapet 11.bestimmten Brief Bischof Rat-

68 Vgl. KÖPKE/DÜMMLER,Jahrbücher (wie Anm. 31), S. 285-290. Der Continuator Reginonis ad a. 956 (wie Anm. 32), S. 163, übertreibt allerdings mit der pauschalen Bemerkung in brevi expulso Berengario totius pene Italiae possessor efficitur. 69 Ruotger, Vita Brunonis, c. 36 (wie Anm. 66), S. 37. 70 Vgl. WOLTER,Die Synoden (wie Anm. 13), S. 45-55. 71 Vgl. BöHMER/OrrENTHAL,Regesta Imperii, 11/1 (wie Anm. 24), Nr. 166a. 72 Vgl. KURT-ULRICHJÄSCHKE,Königskanzlei und imperiales Königtum im zehnten Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 84, 1964, S. 28S-333, mit zahlreichen Belegen. 282 OdiloEngels

hers von Verona denkt, worin 951 die potestas imperialis Ottos 1. angekündigt wird, die Italien ad rectitudinem christianae legis führen werde 73, natürlich ohne schon vom negativen Ausgang dieses Unternehmens eine Ahnung haben zu können. Selbst der Kalif Abdarrahman Ill. im andalusischen Cordoba wurde mit einem BriefOttos bedacht, wo von scripta imperialia bzw. praecepta imperaioria und von Otto selbst als imperator die Rede ist. Der Kalif war kundig genug, wegen derartiger Selbstüber- schätzung den 953 dem Gesandten Johannes, Abt von Gorze, mitgegebenen Brief nicht entgegenzunehmen oder ihn offiziell verlesen zu lassen?'. In dieser Linie, die dem tatsächlichen Höhepunkt, dem Sieg über die Ungarn von 955, zustrebt, erweckt die Italienfahrt von 951 den Eindruck einer Ausnahme. Es gibt keinerlei Bezug zwischen der versagten Kaiserkrönung in Rom und der an- geblichen Proklamation Ottos zum Kaiser durch sein Heer im Anschluß an die Lechfeldschlacht. In unserem Zusammenhang ist nicht entscheidend, ob diese Pro- klamation tatsächlich stattgefunden hat oder als eine Erfindung Widukinds von Corvey anzusehen ist75 - der bekanntlich die römische Krönung von 962 ver- schweigt. Ihren Sinn hat sie insofern, als den Ungarn durch die entscheidende Nie- derlage die Erfüllung ihres Zieles versagt blieb, sich in Europa als politische Vor- macht zu etablieren, die alle Reiche im Umkreis ihrer Einflußzone langfristig in Zugzwang gebracht hätte ", und sie Otto die Qualität eines kaiserlichen Vorranges bestätigte. Interessanter ist die Beobachtung, daß einige Geschichtsschreiber des 10.Jahrhunderts in ihrem Bericht der Ereignisse schon von 955 an Otto den Titel im- perator zulegen, während sich andere konsequent an die Kaiserkrönung von 962 in Rom halten, was die Titulatur angeht ", dabei liegt die Abfassungszeit der einschlä- 78 gigen Schriften beider Gruppen nach 962 • Dadurch wird das Problem als eine In- terpretationsfrage der Kaiserwürde deutlich. Geschlossen wurde bereits auf einen Dissens im Kaiserverständnis ": hier kann vielleicht zur Konkretisierung beigetra- gen werden. Die Kaiserkrönung Ottosl. in Rom am Lichtmeßfest des Jahres 962 erfolgte nicht als Endstufe einer erneut aufgenommenen Italienpolitik, sondern auf einen im Spätjahr 960 eingetroffenen Hilferuf Papst [ohannes' XII. hin. Er brachte freilich erneute Anstrengungen südlich der Alpen mit sich, überraschenderweise jedoch

73 Die Briefe des Rather von Verona, hg. von FRITZWEIGLE,MGH Briefe der deutschen Kaiserzeit. Bd. 1, Nr. 7, S. 41. 74 Vgl. HAGENKELLER,Das Kaisertum Ottos des Großen im Verständnis seiner Zeit, in: Deutsches Archiv 20, 1964, S. 325-388 (Nachdruck in: Otto der Große, hg. von HARALDZIMMERMANN[Wege der Forschung 4501, Darmstadt 1976, S. 218-295, hier S. 230-235); über die Gesandtschaft aus- führlich HELMUTG. WALTHER,Der gescheiterte Dialog - Das ottonische Reich und der Islam, in: Miscellanea Mediaevalia 17, Berlin/New York 1985, S. 20-44. 75 HAGENKELLER,Widukinds Bericht über die Aachener Wahl und Krönung OttosI., in: Frühmit- telalterliche Studien 29, 1995,S. 400-403, hält außer der römischen Krönung von 962 auch an der Authentizität der Proklamation auf dem Lechfeld fest. 76 Über das Endziel der ungarischen Plünderungszüge vgl. HELMUTNAUMANN,Rätsel des letzten Aufstandes gegen Otto I. (953-954), in: Archiv für Kulturgeschichte 46,1964, S. 169-174. 77 Vgl. KELLER,Das Kaisertum (wie Anm. 74). 78 Wert auf diese Feststellung legt ERNSTKARPF,Herrscherlegitimation und Reichsbegriff in der ot- tonischen Geschichtsschreibung des 10.Jahrhunderts, Stuttgart 1985, S. 196-201. 79 Siehe KELLER,Widukinds Bericht (wie Anm, 75), S. 400-406. - Zum Titel rex Franeorum et Lango- bardorum des Jahres 951/52 siehe unten Anm. 241. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 283 nicht in erwartetem Maße von Seiten König Berengars und seines Sohnes Adalbert, die sich rechtzeitig zurückgezogen hatten. Die Inbesitznahme des sog. Reichsitalien geschah ohne einen konstituierenden Akt, da Ottos Lehnshoheit als formales An- recht auf das Königtum Italiens geltend gemacht werden konnte. Die Krönung zum Kaiser schloß in den Augen der Italiener die Krone des Regnum Italicum ein, so daß OUo es hinsichtlich der Intitulatio beim imperator augustus belassen konnte. Verän- derungen größeren Umfangs nahm Otto in Reichsitalien nicht vor, engagierte sich aber über mehrere Jahre auf der Halbinsel. [ohannes XII.hatte Otto um Hilfe gerufen, nachdem 959aufgrund von Rüstun- gen in Spoleto ein geplanter Angriff Berengars auf Rom erkennbar geworden war. Das Verhalten des Papstes bleibt rätselhaft und ist mit dem Vorwurf der morali- schen Verkommenheit der Stadt und insbesondere Johannes' XII. alleine nicht zu erklären, schon weil die Kenntnis des sittlichen Verfalls im engeren Herrschaftsbe- reich des Papstes vorwiegend auf den zweifellos parteiischen Mitteilungen Liud- prands von Cremona beruht 80. Kaum waren die Erneuerung der Pakte und Ver- sprechungen vor und nach der Krönung, die sich großenteils an fränkischen Vorbil- dern orientierten, und die Verhandlungen über die Errichtung der Kirchenprovinz Magdeburg abgeschlossen, wurde ein größeres Komplott gegen den neuen Kaiser entdeckt. An den Bosporus reisende päpstliche Gesandte wurden aufgegriffen; der als Anhänger Berengars bekannte Markgraf Hubert von Tuszien fand in Ungarn Zuflucht, und Berengars Sohn Adalbert konnte von Korsika aus im Juni 963 eine ehrenvolle Aufnahme in Rom finden. Insgesamt zeichnete sich in Umrissen ein Bündnis zwischen Berengars Partei in Italien, dem Papst und dem byzantinischen Hof ab, das bald nach der Krönung eingefädelt worden sein muß und von dem man annehmen kann, daß es den alten Status wiederherstellen sollte 81. Der Basileus wollte sich offenbar seinen Zugriff auf Italien offen halten und gleichzeitig die ge- schwächten Ungarn in seinen Einflußbereich ziehen; der Papst zog eine unabhän- gige Stadtherrschaft vor, wie sie sein Vater, der Patrizius Alberich, innegehabt hatte, wozu ein Einvernehmen mit der Familie Berengars erzielt worden sein mußte, der die Grenzen eigener politischer Entfaltung vor Augen geführt worden waren. Nach diesem Plan dürfte dem Kaisertum Ottos das Schicksal eines nur vorübergehenden Zwischenspiels zugedacht gewesen sein.

80 prägte im 16.Jahrhundert zur Kennzeichnung der Papstgeschichte in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts den Begriff saeculum obscurum. Hauptquelle für diese Zeit ist die »Antapodosis«, die Liudprand von Cremona als Interpret italienischer Verhältnisse am Hof 01- tos I. verfaßte. Es ist kaum möglich, die Stichhaltigkeit der dort gefällten Werturteile nachzuprü- fen; doch scheint es, daß der Autor die extreme Verquickung von Papsttum und Stadtadel mit haßerfüllter Geschwätzigkeit - die er nach der Kaiserkrönung beibehielt, um das Vorgehen Ot- tos zu rechtfertigen - zu einem grauenvollen Schreckensgemälde hochstilisiert hat. Zur Entste- hung des Begriffs vg!. HARALDZIMMERMANN,Das dunkle Jahrhundert. Ein historisches Porträt, Graz 1971, S. 15 f.; zur Kritik am Inhalt vg!. JOHANNESHALLER,Das Papsttum. Idee und Wirklich- keit, Bd. 2, Stuttgart 21951, S. 546-550. Neuerdings über den Kenntnisstand im kanonischen Recht an der römischen Kurie zur Zeit Johannes' XII., der nicht gerade auf eine nachhaltige Ver- wilderung schließen läßt, ERNST-DIETERHEHL,Der wohlberatene Papst. Die römische Synode [ohannes' XII. vom Februar 964, in: »Ex Ipsis Rerum Documentis«, Festschrift Harald Zimmer- mann, hg. von KLAUSHE.RBERSu.a., Sigmaringen 1991, S. 257-275. 81 Vgl, den ausführlichen Uberblick von HELMUTBEUMANN,Die Ottonen, Stuttgart 1987, S. 88ff. 284 OdiloEngels

Wie Liudprand von Cremona in einem wenig freundlichen Gespräch mit dem Basileus Nikephoros Phokas anläßlich seiner Brautwerbung zu verstehen gibt82, war für Ottos Eingreifen in Rom die Wiederaufrichtung der in verwerflicher Moral verkommenen Stadt das wichtigste Motiv; in moderner Diktion würde man sagen, eine Papstreform. Otto habe das getan, was eigentlich die Aufgabe des Basileus und seiner Amtsvorgänger gewesen wäre, aber sie seien untätig geblieben. Den Basileus dürfte weder seine Gleichsetzung mit dem Amtsverständnis des westlichen Kaisers noch die Rechtfertigung für die Inbesitznahme Italiens oder gar den Übergriff auf den byzantinischen Süden der Halbinsel beeindruckt haben. Liudprand argumen- tierte aus fränkischer Sicht; Berengar und Adalbert seien Lehnspflichtige Ottos ge- wesen und hätten infolge Treulosigkeit ihr Lehen verwirkt, Süditalien habe bereits Kaiser Ludwig 11.den Sarazenen entrissen. Was Liudprand als Großmütigkeit sei- nes Herrn ausgab, stellte offenbar nicht nur in Konstantinopel ein Problem dar. Sonst hätte sich Liudprand wohl nicht eine solche Mühe machen müssen, in der »Historia Ottonis« die Papstpolitik seines Herrn zu rechtfertigen". Ottos Italien- politik schien 952 ein abgeschlossenes Kapitel, bis sie 960 durch den Hilferuf [ohan- nes' XII. wiederauflebte. Das Erfordernis, im Sinne einer dringenden Reform ein- greifen zu müssen, war zwar ein neuer Ansatz, aber er zeigte sehr schnell, daß er nur begrenzt glaubwürdig war bzw. in die Bahnen unwillkommener Belastungen einmünden konnte, wenn auch nicht gerade in eine Wiederholung der gefährlichen Krise des Jahres 953/54. Immerhin hielt sich Otto vom Spätsommer 961 bis zum Sommer 972, mit Ausnahme der beiden Jahre vom Sommer 964 bis zum August 966, südlich der Alpen auf. Ein verständlicher Mißmut darüber, zumal Otto Il, seit dem 26. Mai 961 vollgültiger König, bis zu seiner Mündigkeit gegen Jahresende 970 aber nicht geschäftsfähig war und sich überdies seit Ende Oktober 967 am Hof des Vaters aufhalten mußte, könnte sich in der Betonung einer nördlich der Alpen be- gründeten imperialen Stellung Ottos I. und in der Geringschätzung der auf Italien und insbesondere auf Rom sich zunehmend konzentrierenden Orientierung nie- dergeschlagen haben.

Ill.

Die Rückkehr Ottosl. aus Italien dürfte nicht zufällig mit einer Hinwendung des Kaiserhofes zu einer dem toten LiudoIf und seinen Nachkommen gewogenen Sym- pathie zusammentreffen. Für diese Hinwendung ist der Kölner Erzbischof Gero ein erstes Indiz. Laut Thietmar von Merseburg weigerte sich der Kaiser, den nach dem 18.Juli 969 von Klerus und Volk gewählten Gero zum Erzbischof zu investieren, bis ihm ein Engel im Traum Unheil angedroht habe, falls er diese Handlung nicht vor- nehme. Möglicherweise erfolgte dies und die Weihe erst nach der Rückkehr Ottos, da vor der Bischofsweihe Notkers von Lüttich am 14. April972, an der Gero mit-

82 Liudprand von Cremona, Legatio ad imperatorem Constantinopolitanum, c. 4-7, ed. JOSEPH BECKER,MGH SS rer. Germ. 41, 5.177-180. Über die Gesandtschaft zuletzt ]OHANNESKODER, Die Sicht des »Anderen« in Gesandtenberichten, in: Die Begegnung des Westens mit dem Osten, hg. von ODILO ENGELSund PETERScHREINER,Sigmaringen 1993, S. 118-120. 83 Liudprand von Cremona, Historia Ottonis, ed, JOSEPHBECKER,MGH SS rer. Germ. 41, 5.159-175. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 285 wirkte, kein Beleg für seine Weihegewalt vorliegt'", Der Grund für die anfängliche Ablehnung des bischöflichen Elekten könnte darin zu suchen sein, daß Geros gleichnamiger Onkel, der Markgraf in Ostsachsen, in den liudolfingischen Auf- stand verwickelt gewesen zu sein scheint=. Gegen Ende April 971 jedoch muß sich das Blatt schon gewendet haben, denn Gero reiste als Brautwerber für den jungen Kaiser Otto II. nach Konstantinopel. Er hatte mehr Glück als wenig früher Liud- prand von Cremona; allerdings hatten sich auch die äußeren Umstände gewandelt. Nikephoros Phokas, der sich in Territorialfragen sehr unnachgiebig gezeigt hatte, war im Dezember 969 ermordet worden; sein Nachfolger Johannes Tzimiskes brauchte im Kampf gegen Sarazenen und Bulgaren eine Entlastung und entließ im Sommer 970 den Beneventer Herzog Pandulf Eisenkopf aus der Gefangenschaft. Gero erreichte das Ziel nicht, eine Porphyrogenneta als Braut aushandeln zu kön- nen, vermutlich dieselbe Anna, um die schon Liudprand geworben hatte; Theopha- nu war nur eine Nichte des derzeitigen Basileus=, In der Territorialfrage jedoch war Gero erfolgreicher. König Hugo von Arles hatte 944 anläßlich des Eheschlusses seiner Tochter Berta mit dem Basileus Romanos II. auf die Herzogtümer Capua und Benevent, die sich schon in byzantinischer Hand befanden, verzichtet, indern er sie als Mitgift für seine Tochter deklarierte. Nikephoros Phokas beanspruchte gegen- über Liudprand immer noch die beiden Territorien, die inzwischen in ottonischer Hand waren und von denen Liudprand behauptete, sie seien nur unter byzantini- sche Herrschaft gekommen, weil Romanos die Freundschaft Hugos mit einer im- mensen Geldsumme erkauft habe'", Nunmehr erfolgte der umgekehrte Vorgang. Gero hatte auch den Ort der Brautübergabe auszuhandeln; die Übergabe erfolgte im Frühjahr 972 in Benevent, wo Bischof Dietrich von Metz die Braut empfing. Nicht nur daraus lassen sich Capua und Benevent als Gegenstand der Mitgift Theo- phanus ermitteln, sondern auch konkreter, wenn auch nicht zweifelsfrei, aus Zusät- zen zu den »Brunwilarensis monasterii fundatorum actus«, die nach 1076niederge- schrieben worden sein müssen. Dort ist von einern »Erbe« Theophanus in Italien die Rede, das Otto H. 982 nach dem Tod Pandulfs Eisenkopf habe verteidigen müs- sen 88. Daß Otto I. Capua und Benevent wieder mit Beschlag belegte, deutet auf

84 Thietmar, Chronik, II c. 24 (wie Anm. 11), S. 68. Vg!. Series episcoporum, V/I, S. 20f. (STEFAN WEINFURTER),5. 67 (JEANLOUISKUPPER);ROlF CROSSE,Das Bistum Utrecht und seine Bischöfe im 10. und frühen 11.Jahrhundert (Kölner Historische Abhandlungen 33), Köln/Wien 1987, S. 222f.; HERIBERTMÜllER, Die Kölner Erzbischöfe von BrunoI. bis Hermannil. (953-1056), in: Kaiserin Theophanu (wie Anm. 27), Bd. 2,5. 22 f. 85 Vg!. CERDALTHOFF,Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung. Studien zum Totengedenken der BiIlunger und Ottonen. Bestandteil des Quellenwerkes Societas et Fra- ternitas (Münstersche Mittelalter-Schriften 47), München 1984, 5. 8~91. 86 Vg!. ODILOENGELS,Theophanu - die westliche Kaiserin aus dem Osten, in: Die Begegnung (wie Anm. 82), 5. 1~18. - Der Unmut am westlichen Kaiserhof, nicht die Porphyrogenneta erlangt zu haben (Thietmar, Chronik, II c. 15 [wie Anm. 11),S. 56), resultiert vieIleicht aus den Erfahrungen, die man mit der fehlenden »Purpurgeburt« in der Thronfolge gehabt hatte. 87 Liudprand von Cremona, Legatio, c. 7 (wie Anm. 82), 5.179. Vg!. zur Vorgeschichte HIESTAND, Byzanz (wieAnm. 31), 5. 184-186. 88 Zur Brautübergabe vg!. WOLFGANGCEORGI,Ottonianum und Heiratsurkunde 962/972, in: Kaise- rin Theophanu (wie Anm. 27), Bd. 2, S. 152f. Der Hinweis in den »Brunwilarensis monasterii fun- datorum actus«, ed. CEORGWAlTZ,MGH SS 14, 5.128. Zur Abfassung dieses Berichts und sei- ner relativen Zuverlässigkeit trotz des späten Abfassungsdatums vgl. ODIlO ENGELS,Kaiserin -

286 Odilo Engels

einen gewissen Einfluß Adelheids hin. War sie es doch, die all die Herrschaftssym- bole aus eigener Anschauung kannte, die Hugo von Aries dem byzantinischen Vor- bild entnommen hatte, um sein angestrebtes Kaisertum auch auf dieser Ebene vor- zubereiten, wie die Verwendung einer Plattenkrone, eines purpurgetränkten und mit Goldtinte beschriebenen Pergaments und der nur dem Kaiser vorbehaltenen Coldbulle'". Es ist wohl nicht zu viel gesagt, daß Adelheid in der Übernahme sol- cher Symbole am Ottonenhof eine Mittlerrolle spielte. Bekanntlich war Adelheids Verhältnis zu ihrer Schwiegertochter zeitlebens, mit kurzzeitigen Ausnahmen, gespannt. Man mag das mit ungewöhnlicher Herrsch- sucht beider Frauen erklären, sollte aber auch nach objektiven Gründen suchen. Von einer puella, einem noch nicht gebärfähigen Mädchen, wie Widukind Theopha- nu nannte?', als sie am 14.April 972 in der römischen Petersbasilika heiratete und zur Kaiserin gekrönt wurde, konnte man nicht erwarten, daß sie am Hof schon als eigenständiger Machtfaktor auftrat, sondern sich vorerst die politische Meinung ihres Gatten zu eigen machte, zumal sie Otto H. auf fast allen Reisen begleitete?'. Es war, als ob der alte Gegensatz zwischen Liudolf und seinem Onkel Heinrich von Bayern wiederauflebte. Nur vertrat jetzt OttoII. die Position Liudolfs, dem Hein- richs gleichnamiger Sohn, der Herzog Heinrich H. »der Zänker« von Bayern, ge- genüberstand, an seiner Seite Adelheid, so als ob diese ihren Dank für die entschei- dende Hilfe zu ihrer Heirat in Pavia auf die Nachkommenschaft des Schwagers übertragen wollte. Der Gegensatz dauerte bis zum Ende des 10.Jahrhunderts. Er wurde offenkundig in den Jahren 973/974. Gewöhnlich wird für den Auf- stand Heinrichs des Zänkers gegen den Kaiser die Bischofsnachfolge Ulrichs von Augsburg als auslösendes Moment in Anspruch genommen. Es war der Wille Ulrichs gewesen, seinen Nachfolger selbst auszusuchen, indem er seinen Neffen Adalbero zum Verwalter des Kirchengutes bestellte mit der Begründung, er brau- che mehr Zeit für das persönliche Gebet und die kirchliche Leitung im engeren Sin- ne; im Vertrauen auf das Versprechen noch Ottos I., dieser Adalbero werde zu gege- bener Zeit auch investiert, ließ ihn Ulrich zum Mißfallen der Ingelheimer Synode von 972 schon mit dem Bischofstab in der Öffentlichkeit auftreten. Doch Adalbero starb schon zu Ostern 973, so daß die beiden miteinander verschwägerten Herzöge von Bayern und Schwaben nach dem Tod Ulrichs (28.6. 973)durch Überlistung des Domkapitels die Wahl des neuen Augsburger Bischofs Heinrich, eines Vetters des Zänkers, durchsetzen konnten 92. Die Domherren mußten lediglich daran gehindert

Theophanu (ea, 960-991), in: Rheinische Lebensbilder, hg. von FRANZ-JOSEFHEYEN,Bd. 13, Köln/Bonn 1993, S. 23f. Das im übrigen gegen BRÜHL,Deutschland (wie Anm. 1), S. 572, Anm. 150. Weitaus spätere Quellen begründen den Italienzug Ottos H. noch mit der gefährdeten Mit- gift Theophanus, siehe ANNA-DoROTHEEVONDENBRINCKEN,Die »Nationes Christianorum orien- talium« im Verständnis der lateinischen Historiographie von der Mitte des 12. bis in die zweite Hälfte des 14.Jahrhunderts (Kölner Historische Abhandlungen 22), Köln/Wien 1973, S. 49. 89 Vg!. HIESTAND,Byzanz (wie Anm. 31), S. 187-192. 90 Widukind, Rerum gestarum, III c. 73 (wie Anm. 1), S. 149. 91 Vg!. ENGELS,Theophanu (wie Anm. 86), S. 19-21. 92 Hauptquelle ist die Vita sancti Oudalrici, c. 28 (wie Anm. 9), S. 302-310. Vg!. WILHELMVOL- KERT/FRIEDRICHZOEPFL,Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg (Veröf- fentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für bayerische Landesgeschichte R. 2b), Ill, Augsburg 1955, Nr. 104. Zum Versuch Ulrichs, seine Nachfolge Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 287 werden, den Kaiser gegen die Herzöge anzurufen, aber eine Initiative von sich aus war seitens des Kaisers anscheinend nicht zu befürchten. Deshalb sollte sich unser Interesse stärker auf die Nachfolge des Schwabenherzogs BurchardIII., der am 11. oder 12. November 973 starb, richten. Es gibt gute Gründe anzunehmen, daß sich die Witwe Hadwig als Erbin der Herzogsgewalt betrachtete, die sie einem neuen Ehegatten gleichsam auf dem Erbwege vermitteln zu können glaubte'", Doch Otto II. setzte seinen Vetter, Liudolfs Sohn Otto, zum neuen Schwabenherzog ein, was ein Schlaglicht auf die neue politische Konstellation wirft: Der neue Augsbur- ger Bischof überwarf sich mit Herzog Otto, da er sich mehr dem Bayernherzog, sei- nem Vetter, verbunden fühlte?'. Dieser Bischof Heinrich war ein Neffe des Regens- burger Burggrafen Burchard, der vermutlich ebenfalls auf Betreiben Heinrichs des Zänkers auch zum Markgrafen der Ostmark (Österreich) aufgestiegen sein dürfte. Er wiederum wurde durch den Babenberger Leopold ersetzt, der gleichzeitig meh- rere Grafschaften in Ostfranken und die Grafschaft im Nordgau sowie im östlichen Donaugau innehatte. Wenn es stimmt, daß dieser Ausgriff die Donau abwärts noch vor dem Aufstand des Zänkers erfolgte, wodurch die bayerische Herzogsgewalt von Norden und Osten durch ein in rasantem Aufstieg begriffenes Adelsgeschlecht umklammert zu werden drohte, dann dürfte auch diese Maßnahme einer Schwä- chung des Zänkers gedient haben 95. Möglicherweise gehört auch die Gründung des Bistums Prag in diesen Zusammenhang, sofern es bereits feststand, daß die das böhmische Herzogtum umfassende Diözese der Mainzer Kirchenprovinz und nicht etwa, was für ein von Regensburg aus betreutes Missionsgebiet nahegelegen hätte, der bayerischen Kirchenprovinz angeschlossen werden sollte 96,

selbst zu regeln, vg!. ÜDIW ENGELS,Das Reich der Salier - Entwicklungslinien, in: Die Salier und das Reich (wie Anm. 5), Bd. 2, S. 519 und S. 524. Zur Herzogsherrschaft in Augsburg vg!. MAU- RER,Der Herzog (wie Anm. 9), 5.193. 93 Vg!. MAURER,Der Herzog (wie Anm. 9), S. 55 f.; zum Herzogstitel, den Hadwig bis zu ihrem Tod im Jahre 994 führte, und ihr auch seitens der Reichskanzlei zuerkannt wurde, vg!. BRÜHL, Deutschland (wie Anm. 1), S. 522, Anm. 222. 94 Vg!. FRIEDRICHZOEPFL,Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter, Augsburg 1995, 5.78. 95 Vg!. ANDREASKRAUS,Geschichte Bayerns von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1983, S. 61 f.; zur Bedeutung der Babenberger vg!. GERHARDSTREICH,Burg und Kirche während des deutschen Mittelalters. Untersuchungen zur Sakraltopographie von Pfalzen, Burgen und Her- rensitzen (Vorträge und Forschungen, Sonderband29), Sigmaringen 1984, S. 333 und S. 355. 96 Der Gründungsvorgang ist in seiner lückenhaften Uberlieferung sehr problematisch. KARLRICH- TER,in: Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, hg. von KARLBOSL,Stuttgart 1967, Bd. I, S. 248 f., setzt die Gründung auf ea. 973 an, bringt aber den Vorgang ohne Rücksicht auf die Chronologie mit Papst Johannes XIII. und Erzbischof Wilhelm von Mainz in Verbindung, offen- sichtlich verführt durch eine Urkunde Johannes'XIII. HARALDZIMMERMANN,Papsturkunden. 896-1046 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phi!.-Hist. Klasse, Denkschriften 174), Bd. I, Wien 1984, Nr. +181, datiert sie als eine Fälschung von 1032-1080 auf 967 nach 15. Juli und bleibt auch hinsichtlich eines angenommenen echten Kerns skeptisch (vg!. auch BÖHMER/ZIM- MERMANN,Regesta Imperii, II/5, Nr. 512). Zuverlässiger ist die Nachricht in der "Vita sancti Wolfkangi«, c. 23 f., ed. GEORGHEINRICHPERTZ,MGH SS 4, S. 536 f., über Anordnungen zur Ab- stellung von Mißbräuchen in Böhmen, die Wolfgang als Diözesanbischof traf; er war nicht vor Ende 972 Bischof von Regensburg (vg!. ÜDILO ENGELS,Der Reichsbischof in ottonischer und frühsalischer Zeit, in: Beiträge zu Geschichte und Struktur der mittelalterlichen Germania Sacra, hg. von lRENECRUSIUS[Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 931,Göttin- gen 1989, S. 146). Mit Richter (5.249) anzunehmen, die Einbindung des Bistums Prag in die 288 Odilo Engels

Man wird alle diese Ereignisse in ihrer zeitlich gedrängten Häufung zusammensehen müssen, um den 974 vom Zänker ausgelösten Aufstand zu begrei- fen. Robert Holtzmann unterstellt dem Bayernherzog, dem jungen Kaiser das Reich geraubt haben zu wollen 97. Aus der ersten Phase des Aufstandes ist dies nicht zu schließen. Heinrich der Zänker bekämpfte den Schweinfurter Markgrafen Berthold, einen nahen Verwandten des Markgrafen Leopold, in Absprache mit den Herzögen Mieszko von Polen und Boleslav von Böhmen, wahrscheinlich um die Einschnürung seiner Herrschaftszone aufzubrechen. Bemerkenswert an dem Vor- gang ist die Tatsache, daß der Zänker ohne Verzug bereit war, den Boten des Kai- sers - es waren die Bischöfe Gerhard von Toul und Poppo von Würzburg - vor das königliche Gericht zu folgen, und er ohne Urteil gefangen gesetzt wurde 98. Offen- sichtlich fehlte nicht nur ihm ein Unrechtsbewußtsein. Die Auseinandersetzung schaukelte sich auf, da der Zänker zu Anfang des Jahres 976 fliehen konnte und in Regensburg bayerische, aber auch sächsische Anhänger, zum Teil aus der ottoni- schen Verwandtschaft, fand. Von dort entkam er dem ihm nachsetzenden Kaiser nach Böhmen. Otto H. konnte seiner erst 978 wieder habhaft werden, nachdem er den Böhmenherzog im zweiten Anlauf zur Kapitulation gezwungen und den Zän- ker in Passau ergriffen hatte. Heinrich wurde als Exulant dem Bischof von Utrecht übergeben 99. So richtig es ist, diesen Aufstand nur als ein Glied in der Kette bis zum Versuch der eigenen Königserhebung Heinrichs des Zänkers im Jahre 984 zu sehen, so sollte man doch auch in Rechnung stellen, daß der extreme Ausnahmezustand eines un- mündigen Königs nach dem unerwarteten Tod des Vaters in den siebziger Jahren nicht vorauszusehen war, und es deshalb darauf ankommt, Hinweise auf die Moti- ve des Zänkers gerade aus den siebziger Jahren zu finden. Die Nachricht des Nie- deraltaicher Annalisten, der Bayernherzog beanspruche rechtswidrig dominium do- mini sibi imperatoris lOO, hat leider den »Schönheitsfehler«, in Kenntnis der Ereignisse des Jahres 984 mitgeteilt worden zu sein, obwohl der Annalist sie der ersten Phase des Aufstandes zuordnet. Insofern kommt den Motiven des Kaisers, soweit sie sich in einzelnen Handlungen widerspiegeln, als Ergänzung eine gewisse Bedeutung zu. Während der Zänker 976 nach Böhmen floh, ersetzte der Kaiser ihn nach offen- bar förmlicher Absetzung als Herzog durch seinen Neffen Otto, den Sohn Liudolfs;

Mainzer Provinz - und nicht in die Magdeburger Provinz, was nahegelegen hätte - sei eine Entschädigung für das Gebiet gewesen, das die Mainzer Kirchenprovinz durch die Erhebung Magdeburgs zur Metropole verloren habe, ist unbeweisbar und auch unwahrscheinlich. Wolf- gang stand zu Heinrich dem Zänker in einem gespannten Verhältnis, so daß mit seiner Zustim- mung zur Bistumsgründung zu rechnen war. 97 HOLTzMANN,Geschichte (wie Anm. 46), 5. 255, wohl gestützt auf die Annales Althahenses maiores ad a. 974, ed. EDMUNDVONOEFELE,MGH 55 rer. Germ. 4, 5.12. 98 Armales Altahenses maiores ad a. 974 (wie Anm. 97), 5.12. Vg!. GLOCKER,Die Verwandten (wie Anm.34),5.175f. 99 Über den äußeren Verlauf des Aufstandes vg!. ERKENs,Fürstliche Opposition (wie Anm. 46), 5. 338-345. Über den Utrechter Bischof Folkmar, der ein Vertrauensmann Ottos 11.war und bei seiner Bischofswahl im Januar 975 doch ein Kompromißkandidat gewesen zu sein scheint, sich sogar seit 977 bis 984 vom kaiserlichen Hof fernhielt, vgl. GROSSE,Bistum Utrecht (wie Anm. 84),5.10S-108. 100 Armales Altahenses maiores ad a. 974 und 976 (wie Anm. 97), 5. 12f. Auf sie stützt sich GLOCKER,Die Verwandtschaft (wie Anm. 34),5.177, hauptsächlich. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 289 der Herzog von Schwaben besaß damit gleichzeitig zwei Herzogtümer. Die Gefahr einer erneuten Machtballung in Süddeutschland, wie noch 973, fürchtete Otto n. anscheinend nicht. Deshalb ist auch die ebenfalls 976 vorgenommene Abtrennung Kärntens von Bayern und Erhebung zu einem neuen Herzogtum kaum der Absicht zuzuschreiben, die bayerische Herzogsgewalt durch territoriale Verkleinerung zu schwächen. Man fragt sich ohnehin, warum einem Raum an der Reichsgrenze, der auch die Steiermark umfaßte, jedoch ohne einen Bischofssitz, ein mit Namen be- kanntes Kloster, eine Stadt oder eine Pfalz eine nur unterdurchschnittliche »Infra- struktur« besaß, die Erhebung zum Herzogtum zuteil wurde. Allerdings, da auch die Markgrafschaften Verona und Friaul in die Hand des neuen Herzogs übergin- gen und bis zum 12. Jahrhundert ein Teil des Herzogtums Kärnten blieben, schei- nen sie der Anlaß für den Vorgang gewesen zu sein 101. Damit dürfte auch wieder das alte Problem des Bayernherzogs, königsgleich sein zu müssen, ins Blickfeld ge- kommen sein, jetzt natürlich nicht mit einem Hinweis auf die »Purpurgeburt«, die dem Kaiser wahrhaftig nicht bestritten werden konnte, es sei denn mit einem - frei- lich nicht belegbaren - Hinweis auf das Unrecht, das dem Vater des Herzogs Hein- rich 936 geschehen sei. Herzog von Kärnten wurde Heinrich, schon im Mittelalter genannt »der [ün- gere«, der Sohn des 948 verstorbenen Herzogs Berthold von Bayern. Er war als unmündiges Kind bei der 947/48 anstehenden Wiederbesetzung des bayerischen Herzogsamtes von Otto dem Großen übergangen worden. Ohne mit seinem Namen in Erscheinung zu treten, hatte Heinrich der Jüngere, sofern er seiner luit- poldingischen Verwandtschaft folgte, im liudolfingischen Aufstand von 954 gegen Otto I. und dessen Bruder Heinrich gestanden. Vermutlich war diese wohl mit eigenen Zielen motivierte Parteinahme für Liudolf der Anlaß für Otto 11.,Heinrich den Jüngeren als einen potentiellen Gegner des Zänkers nach Kärnten zu berufen, zugleich aber auch Erbansprüche auf das Herzogsamt zu berücksichtigen. Doch Heinrich der Jüngere entschied sich wenig später gegen den Kaiser, er war 978 einer der »drei Heinriche« von Passau, wurde seines Herzogsamtes entkleidet und

101 KARLBRUNNER,Herzogtümer und Marken vom Ungarnsturm bis ins 12. Jahrhundert, in: Öster- reichische Geschichte 907-1156, Bd. 2, hg. von HERWIGWOLFRAM,Wien 1994, S. 64-74, bemüht sich, schon frühzeitig Kärnten eine Sonderstellung zuzuschreiben, abzulesen am »waltpoto«, der seit 965 belegt ist, dessen Kompetenzen aber nur angedeutet werden können (zuständig für das dort noch bis zu Kaiser Otto Ill. nachweisbare Reichsgut?). Keine Quelle berichte etwas von einer »Abtrennung- Kärntens von Bayern (nicht verwunderlich angesichts der ohnehin lücken- haften Berichterstattung über die kaiserlichen Maßnahmen im Jahre 976), so daß Brunner S. 71 folgert, der neue Herzog Heinrich der Jüngere habe keine bessere Position eingenommen, als sie dessen Vater Berthold in Kärnten noch zu Lebzeiten des Großvaters, Herzog Arnulfs von Bayern, innegehabt habe (vg!. bereits HERMANNBRAUMÜllER,Wann wurde Kärnten Herzog- tum?, in: Carinthia 1, 134/35, 1947, S. 58-68). Im übrigen verfolgt Brunner S. 69 den schon von MANFREDHELLMANN,Die Ostpolitik Ottos 11.,in: Syntagma Friburgense, Festschrift Hermann Aubin, Lindau/Konstanz 1956, S. 55, geäußerten Gedanken, bereits Otto der Große habe eine planmäßig gegen Südosten gerichtete Politik selbst zu kontrollieren gedacht. Über die Dauer der Zugehörigkeit der Marken Verona und Friaul zum Herzogtum Kärnten vgl, HEINRICH ScHMIDlNGER,Patriarch und Landesherr. Die weltliche Herrschaft der Patriarchen von Aquileja bis zum Ende der Staufer (Publikationen des Österreichischen Kulturinstituts in Rom I/U, Graz/Kö!n 1954, S. 68. Istrien hatte keinen eigenen comes bzw. uicecomes unter dem Herzog von Kärnten, wurde aber im 11. Jahrhundert zusammen mit der Markgrafschaft Krain königsun- mittelbar. 290 Odilo Engels durch Otto von Worms ersetzt'P, Dieser Sohn des Herzogs Konrad von Lotharin- gien, in der Forschung bekannt als Stammvater der Salier, verdankte seine Ein- setzung zum Herzog von Kärnten als ein völlig Landesfremder sicherlich nur der Tatsache, daß sein Vater 954 der engste Verbündete des Kaisersohnes Liudolf gewesen war 103. In dieses Bild paßt auch die Stellung Adelheids am kaiserlichen Hof. Bekannt- lich spiegelt die abnehmende Häufigkeit ihrer Interventionen in den Diplomen Ottos Il., der die gleichzeitige Zunahme der Interventionen Theophanus entspricht, den schwächer werdenden Einfluß wider 1ll4, bis Adelheid den Hof - genötigt oder freiwillig - verließ. Umstritten indessen ist die Frage, wann sie sich vom Hof ent- fernte und welcher Grund sie dazu veranlaßt hatte. Karl Uhlirz und Ekkehard Eick- hoff datieren den Weggang auf das Jahr 978, genauer auf die Zeit um den 24. Juni »oder vielleicht etwas früher«, als der westfränkische König Lothar Ill. die Aache- ner Pfalz überfiel. Winfrid Glocker läßt Datum und Ursache offen 105. Dem Epi- taphium Odilos von Cluny ist lediglich zu entnehmen, daß sich die discordia zwischen Mutter und Sohn schon länger angebahnt und Adelheid am Hof ihres Bruders Konrad von Burgund Aufnahme gefunden habe 106, während die Magde- burger Annalen den Fortgang der Kaisermutter zusammen mit ihrer Tochter Mathilde, der Äbtissin von Quedlinburg - allerdings nach Italien - zeitlich der end- gültigen Verurteilung des Zänkers in der Karwoche des Jahres 978 (22.-29. März) unmittelbar anschließen 107. Trotz der späten Abfassung dieser Annalen ist man ge- neigt, ihrer Version zuzustimmen, zumal die Daten des Aufstandes auf den ersten Blick damit übereinstimmen. Bedenken jedoch läßt die zweimalige Bestätigung von Adelheids Witwengut durch Otto Il. am 8. Juni 975 und durch Otto Ill. am 21. Mai 987 108 aufkommen. Die Bestätigung Ottos Ill. wiederholt mit nur geringfügigen Zusätzen den Wort- laut der Vorurkunde. Daß 987 nicht mehr Adelheid als Bittstellerin auftrat, sondern

102 Vg!. GLOCKER,Die Verwandten (wie Anm. 34), S. 68, 168, 176-178. 103 Zur Bedeutung Duos von Worms, die freilich aus seiner verfassungsgeschichtlich bemerkens- werten Stellung am oberen Mittelrhein herrührt, vg!. STEFANWEINFURTER,Herrschaftslegitima- tion und Königsautorität im Wandel: Die Salier und ihr Dom zu Speyer, in: Die Salier und das Reich (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 62-64. 104 Vom Juni 973 bis zum Juni 974 intervenierte Adelheid in den Diplomen ihres Sohnes 23mal, Theophanu dagegen nur 5 mal; zwischen dem Juni 974 und dem 8. März 978 (MGH DD Il. 170 = letzte Intervention bis zum Februar 980, Nr. 213) nur 3 mal, ihre Schwiegertochter dagegen 27ma!. 105 KARLUHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 21), S. 110,macht den Überfall des westfränkischen Königs Lothar auf die Aachener Pfalz dafür verantwortlich; Adelheids Tochter Emma aus ihrer ersten Ehe war mit Lothar seit Ende 965/ Anfang 966 verheiratet. EKKEHARDEICKHOFF,Theophanu und der König Otto Ill. und seine Welt, Stuttgart 1996, S. 49, zieht die persönlichen Zu- und Ab- neigungen innerhalb der Liudolfingerfamilie in Erwägung, wendet sich am Ende aber dem Ge- danken zu, Adelheid habe angesichts der Schwäche ihres Sohnes während des Aufstandes durch Sympathie für den Zänker eine eigene Schiedsrichterrolle am Hof aufzubauen versucht, gegen die sich Otto Il. jedoch aufgelehnt habe. Vg!. GLOCKER,Die Verwandten (wie Anm. 34), S. 92. 106 Odilo von CIuny, Epitaphium Adelheide. c. 6, ed. HERBERTPAULHART,Die Lebensbeschreibung der Kaiserin Adelheid von Abt Odilo von Cluny, in: MIÖG. Ergänzungsbd. 20/2, 1962, S. 34. 107 Annales Magdeburgenses ad a. 978 (wie Anm. 19), S. 154. 108 MGH DD Il. 109, und DD Ill. 36. Überlegungen zur otlonischen Herrschaftsstruktur 291

ihre Schwiegertochter Theophanu, hat allenfalls am Rande etwas mit der Geschäfts- unfähigkeit des unmündigen Königs zu tun. Formal jedenfalls geschah die erste Bestätigung auf Wunsch Adelheids, die zweite Bestätigung ohne oder sogar gegen ihren Willen. Infolgedessen kann man den Hintergrund, der zur Ausstellung des Diploms geführt hat, nicht ohne weiteres gleichsetzen. Mathilde Uhlirz hat zur Bestätigung von 987 eine vorausgegangene Kontroverse in der königlichen Kanzlei über den Verfügbarkeitsgrad des Witwengutes durch Adelheid selbst glaubhaft machen können 109. Das Problem, ob die Witwe über ihre Morgengabe zugunsten Dritter frei oder nur mit Zustimmung (in diesem Falle) des Herrschers verfügen könne, weil diese nach ihrem Tod in die Verfügung des Herrschers zurückfalle, soll laut Aussage der älteren Mathildenvita auch schon zwischen Otto I. und seiner Mutter Mathilde eine Rolle gespielt haben 110. Da dieser Vorgang jedoch keinen urkundlichen Niederschlag gefunden hat und die bezeichnenderweise um 975 im Frauenstift Nordhausen verfaßte Mathildenvita mit starkem Gegenwartsbezug ein wenig wirklichkeitsgetreues Lebensbild bietet!", darf man sicherlich vermuten, daß hier aktuelle Auseinandersetzungen Adelheids mit ihrem Sohn in die Vita ein- geflossen und der höheren Autorität der verstorbenen Königin wegen auf Mathilde einfach übertragen worden sind. Nordhausen und Quedlinburg gehörten zum Wit- wengut, das König Heinrich I. 929 seiner Gattin übertragen hatte 112; Mathilde grün- dete in beiden Orten ein Kanonissenstift, von denen Quedlinburg, schon weil dort die Gebeine des ersten Ottonenkönigs ruhten, das weitaus bedeutendere war 113. Adelheids Tochter Mathilde fungierte dort als Äbtissin mit einer entsprechend an- gesehenen Stellung in der Königsfamilie 114. Sie war es auch, der die Kanonissen von Nordhausen, die offenbar um den Besitzstand des eigenen Stiftes fürchteten, die Kenntnisse über Schwierigkeiten um das Wittum Adelheids verdankten. Da sie nicht wie Quedlinburg auf eine Besitzbestätigung Ottos I. zurückblicken konn- ten 115, dürften sie sich durch die Behauptung einer angeblichen Bestätigung des Wittums der seit 966 schon nicht mehr lebenden Königin durch den ebenfalls ver-

109 UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18),5.42 und 5. 85 i.,vor allem der Exkurs IV,5. 444-448. 110 Vita Mathildis antiquior, c. Sf. (wie Anm. 49), 5.122-125; dazu ScHÜTTE,Untersuchungen (wie Anm. 49), 5. 62-69. 111 Vg!. GERDALTHOFF,Causa scribendi und Darstellungsabsicht. Die Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde und andere Beispiele, in: Litterae Medii Aevi. Festschrift Johanne Autenrieth, 5igmaringen 1988,5.121-127. 112 MGH D H I.20, dazu ScHMID,Die Thronfolge (wie Anm. 1),5.442. 113 Zu Quedlinburg als neuem liudolfingischen Hauskloster vg!. GERDALTHOFF,Gandersheim und Quedlinburg. Ottonische Frauenklöster als Herrschafts- und Überlieferungszentren, in: Früh- mittelalterliche 5tudien 25, 1991, 5. 123--144. 114 50 wohnte sie der Zusammenkunft des Kaiserpaares mit dem burgundischen Königspaar, Adelheids und des Bayern- bzw. 5chwabenherzogs Otto sowie Hugo Capets zum Osterfest des Jahres 981 in Rom bei (KARLUHLIRZ,Jahrbücher [wie Anm. 21], 5.152 f.). Gemeinsam mit den beiden Kaiserinnen Adelheid und Theophanu reiste sie 984 von Mainz nach Rohr (bei Meiningen), um den unmündigen König aus den Händen Heinrichs des Zänkers zu über- nehmen; und 997 bestimmte Otto Ill. die Äbtissin Mathilde für die Zeit seiner Abwesenheit zur Verweserin der Reichsteile nördlich der Alpen und bezeichnete sie als matricia. Vg!. CARL ERDMANN,Forschungen zur politischen Ideenwelt des Frühmittelalters, hg. von FRIEDRICH BAETHGEN,Berlin 1951, S. 92; dazu BRÜHL,Deutschland (wie Anm. 1),5.613, Anm. 448, auch 5. 579, Anm. 199. 115 MGH DO 1.1. 292 OdiloEngels storbenen Otto I. in der Vita ihrer Stifterin abzusichern versucht haben. Weil offen- kundig die Rechtsauffassung über das Wittum in einem Wandel begriffen war - so jedenfalls im Umfeld zur Bestätigung von 987 zu erkennen 116 - bestand die Gefahr, daß der Rechtsbestand der Klosterstiftung nachträglich beeinträchtigt werden konnte. Damit scheint jedoch nicht das gesamte Motiv für die Bestätigung des Witwen- gutes erfaßt zu sein. Es muß nämlich auffallen, daß die Bestätigungen von 975 und 987 nur kurze Zeit dem Ausscheiden Adelheids aus dem engeren Hofbereich vor- ausgingen. Allerdings ist in dieser Hinsicht zwischen beiden Vorgängen zu diffe- renzieren, was sich schon in der bereits erwähnten Frage des Bittstellers andeutete. Im August 976 nämlich ist Adelheid in Italien nachweisbar; sie hielt sich dort, wie es scheint, in eigenem Interesse auf. Der Doge von Venedig, Pietro IV. Candiano, hatte seine erste Ehe durch Einweisung seiner Gattin Johanna in ein Kloster gelöst, deren Sohn für den geistlichen Stand bestimmt und in zweiter Ehe Waltraud, die Schwester des Markgrafen Hugo von Tuszien und Nichte der Kaiserin Adelheid, zur Frau genommen. Am It. August 976jedoch fiel Pietro einem gewaltsamen Auf- stand zum Opfer, zum Nachfolger wurde der Doge Pietro I. Orseolo gewählt. Für die Politik des westlichen Kaiserhauses bildete dieser Umsturz eine empfindliche Niederlage; Adelheid bemühte sich um einen Vergleich zugunsten der Witwe Wal- traud, der in Piacenza am 25. Oktober unter dem Vorsitz Adelheids auf einer Ge- richtssitzung sanktioniert wurde 117. Folglich scheint sich die Nachricht im Epita- phium des Abtes von Cluny auf den ersten Weggang vom Kaiserhof im Jahre 975/76 zu beziehen, der unspektakulär, vielleicht sogar auf den Wunsch der Kai- sermutter hin erfolgte und keineswegs ausschließt, daß der Weg nach Italien über den burgundischen Königshof führte 118. Davon ist die zweite Phase längerer Ab- wesenheit vom Hof noch unter Otto n. zu trennen, denn im Oktober 977 und März 978 ist Adelheid im anhaltinisch-thüringischen Grenzraum belegt 119. Anscheinend erst dann erfolgte aufgrund einer tiefen Verstimmung zwischen Mutter und Sohn- wiederum wegen Heinrichs des Zänkers, dieses Mal aufgrund seiner definitiven Verurteilung zum Exil? - der Weggang Adelheids, auf den sich die Magdeburger Annalen beziehen. Doch es ist kennzeichnend für das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn, daß es zu einem dauerhaften Bruch nicht kam. Dieses Mal verhalf Abt Maiolus von Cluny zu einer Versöhnung, die am Osterfest des Jahres 981 durch ein Herrschertreffen ihren Ausdruck fand, an dem außer dem Kaiserpaar und Adel- heid auch deren gleichnamige Tochter, das burgundische Königspaar, Herzog Otto

116 Vg!. UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 444-448, über die Reichskanzlei zur Schenkungsab- sicht Adelheids für das Stift Quedlinburg im Jahre 985. 117 Vg!. KARLUHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 21), 5.189-192; GÖTZFREIHERRVONPÖLNITZ,Venedig, München 1951, S. 72-79. 118 Das von Odilo als schmerzlich an diesem Vorgang Bezeichnete gehört zum inneren Aufbau des Epitaphiums; der Weg zum wahren Herrschertum bestehe aus einer mehrfachen Läuterung. In diesem Rahmen kam es auf den Zeitpunkt und eine präzise kausale Verknüpfung nicht an. Vg!. LOTHARBORNSCHEUER,Miseriae regum. Untersuchungen zum Krisen- und Todesgedanken in den herrschaftstheologischen Vorstellungen der ottonisch-salischen Zeit (Arbeiten zur Früh- mittelalterforschung 4), Berlin 1968, S. 44-51. 119 MGH DD 011.168 und 170. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 293 von Bayern und Schwaben sowie Hugo Capet teilnahmen'P', Dementsprechend taucht Adelheid in Ravenna kurz vor Jahresende 980 auch wieder als Intervenientin auf!". Das alles erklärt, warum Adelheid im Bannkreis des Hofes und vor allem nach dem schnellen Tod Ottos 11.an der Seite ihrer Schwiegertochter blieb und den Kampf um den unmündigen Thronfolger nicht zu ihren Gunsten auszunutzen suchte. Die Frage war bekanntlich, wer für das - ungeachtet seiner formalrechtli- chen Selbstverantwortlichkeit - geschäftsunfähige Kind die Regierung in die Hand nehmen sollte. Hinreichend geklärt scheint die Zuständigkeit für die Vormund- schaft, die Heinrich dem Zänker als dem nächsten männlichen Verwandten zukam. Davon zu unterscheiden ist die Frage der Regentschaft, die letztlich eine Machtfra- ge war, weil dafür noch keine orientierenden Regeln ausgebildet waren 122. Theo- phanu hatte als Mutter des Minderjährigen, als Kaiserin und nach dem Vorbild ihrer Schwiegermutter als consors regni bzw. coimperatrix ihren Anspruch auf die Regentschaft in die Waagschale zu werfen 123; da die beiden Kaiserinnen jedoch nicht vor Mitte Juni in Mainz eintrafen, war es Erzbischof Willigis von Mainz, der als langjähriger Erzkanzler in Zusammenarbeit mit dem Wormser Bischof Hilde- bald als Kanzler die Regentschaft für Theophanu erstritt 124. Der Zänker seinerseits hatte zu Ostern 984 den - allerdings mißglückten - Versuch in Quedlinburg unter- nommen, sich zum König ausrufen zu lassen, mußte am Ende aber im Juni/Juli 984 in Rohr das königliche Kind der Mutter und Großmutter ausliefern gegen das Ver- sprechen, ihm die bayerische Herzogsgewalt zurückzugeben 125. Es ist hier nicht der Platz, die Handlungsweise Heinrichs des Zänkers etwa zu rechtfertigen. Die Mehrzahl der Quellen tendiert dazu, ihn als machtgierigen und skrupellosen Usurpator in Erscheinung treten zu lassen 126. Doch sind Fragen er-

120 KARLUHLIRZ, Jahrbücher (wie Anm. 21), S. 152f. Odilo von Cluny erwähnt in seinem Epitaphi- um c. 6 (wie Anm. 106), S. 34 ausdrücklich, daß die Aussöhnung gegen Ende des Jahres 980 in Pavia stattgefunden habe. Das Herrschertreffen wie BRÜHL,Deutschland (wie Anm. 1), S. 569, mit dem Kölner Familientreffen von 965 zu vergleichen, scheint etwas gewagt, weil das Kölner Treffen nachweislich einen bestimmten Familienzusammenhang repräsentieren sollte (vgl, JOHANNESLAUDAGE,»Liudolfingisches Hausbewußtsein«, Zu den Hintergründen eines Kölner Hoftages von 965, in: Köln, Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters, Festschrift Odilo Engels, hg. von HANNAVOLLRATH/STEFANWEINFURTER,Köln 1993, S. 23-59). Hugo Capet jedoch gehörte nicht in einen solchen Rahmen, und König Konrad von Burgund war als Bruder Adelheids noch lange nicht ein Liudolfinger. Der Personenkreis in Pavia erklärt sich eher aus der politischen Konstellation nach den beigelegten Auseinandersetzungen Ottos H. mit dem Westfrankenherrscher Lothar III. 121 MGH DOli. 238. 122 Über die Vormundschaft und zum Ereignis von 984 ausführlich JOHANNESLAUDAGE,Das Problem der Vormundschaft über Otto Ill., in: Kaiserin Theophanu (wie Anm. 27), Bd. 2, S. 261-275; vgl. auch ENGELS,Theophanu (wie Anm. 86), S. 24-26. Zur Frage der Regentschaft ausführlich THEOKÖLZER,Das Königtum Minderjähriger im fränkisch-deutschen Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 250, 1990, S. 291-304, allerdings ohne die Minderjährigkeit Ottos III. zu behandeln. 123 Vgl, FRANZ-REINERERKENS,Die Frau als Herrseherin in ottonisch-frühsalischer Zeit, in: Kaiserin Theophanu (wie Anm. 27), Bd. 2, S. 247-251. 124 Vg!. EICKHOFF,Theophanu (wie Anm. 105), S. 143. 125 Vg!. UHLIRZ, Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 33-35. 126 Siehe ENGELS,Theophanu (wie Anm. 86), S. 24, Anm. 48. 294 OdiloEngels

laubt, wie die nach dem sächsischen Pfalzgrafen Dietrich und seinem Bruder Siege- bert, die vor Ostern 984 in Corvey dem nach Ostsachsen reisenden Zänker in den Weg traten und um einen Gnadenerweis baten; möglicherweise hatten die beiden den Herzog um 976 im Stich gelassen, weswegen dieser seine Huld verweigerte und die Brüder ihrerseits dann gegen den Zänker aufzustacheln begannen 127. Daß die Brüder von den Plänen des Zänkers wußten, ist höchst wahrscheinlich, denn laut Thietmar lud dieser zum Palmsonntag alle Großen Sachsens nach Magdeburg zur Erhebung ad regni fastigium. Insoweit scheint eine Bitte um Amnestie anläßlich der Krönung nicht ungewöhnlich gewesen zu sein, wurde möglicherweise aber nur gewährt, wenn ein Verschulden gegen den Krönungskandidaten nicht vorlag 128. Angesichts des Umstandes, daß sich der unmündige König in der Hand Heinrichs des Zänkers befand, die beiden Kaiserinnen sich noch in Italien aufhielten, die Bischöfe Folkmar von Utrecht und Warin von Köln - der anläßlich der Königswahl Ottos Ill. in Verona zum Tutor Ottos Ill. bestimmt worden war 129 - den Zänker als seine Parteigänger nach Sachsen begleiteten, wird die zunehmende Erwartungs- haltung, ob Heinrich der Zänker das Königsamt übernehmen werde, verständlich. Vorbehalte gegen die Politik Ottos n. muß es schon länger gegeben haben; Folkmar von Utrecht ließ auf die Nachricht vom Tode des Kaisers hin nicht nur den Zänker, sondern auch Ekbert den Einäugigen frei. Deutlicher noch sind die Anzeichen auf der Reichsversammlung in Verona zu Pfingsten 983; an Stelle des verstorbenen Herzogs at to wurde die bayerische HerzogsgewaIt ausgerechnet Heinrich dem Jüngeren, einem der »drei Heinriche- von Passau übertragen, der nun eigens aus der Verbannung heimgeholt werden mußte, und dem soeben gewählten Otto Ill. wurde der Kölner Erzbischof Warin als Tutor bestimmt, obwohl seine politische

127 Thietmar, Chronik, IV c. 1 (wie Anm. 11), S. 132. 128 Bekannt sind nur noch zwei weitere Beispiele: Wipo, Gesta Chuonradi, c. 5 (wie Anm. 14),S. 26 f., berichtet von Bittstellern, die Konrad Il, 1024 auf dem Weg von der Pfalz zur Kathedrale in Mainz, der Krönungskirche, ansprachen und Hilfe zugesagt erhielten. Otto von Freising, Gesta Frederici imperatoris, Il c. 3, ed. FRANZ-JOSEFSCHMALE,Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 17, Darmstadt 1965, S. 286-288, erwähnt zur Krönung Friedrich Barbarossas in der Aachener Pfalzkapelle die Bitte eines Dienstmannes um Erlaß des Huldent- zuges. Konrad Il, mußte seine Begleitung zurechtweisen, die Bittsteller vorzulassen. Friedrich Barbarossa wies seinen Dienstmannen ab und wird für seine Unnachgiebigkeit vom Freisinger Bischof gelobt. War der Gunsterweis anläß1ich des Krönungsaktes nur für Bittsteller üblich, die sich nicht am Krönungskandidaten vergangen hatten? 129 Es bestand eine weitgehende Unsicherheit, ob Erzbischof Warin die Tutorschaft über den ge- wählten König noch vom Kaiser, und das anläßlich der Wahl in Verona, aufgetragen wurde, oder ob diese sich erst aus der Krönung in Aachen ergab, wobei meist übersehen wird, daß der Kölner Erzbischof als Corona tor nicht genannt wird; eine Beteiligung an diesem Akt war 983 nicht ohne weiteres selbstverständlich. Vg!. UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 9 und 12. OEDlGER,Regesten (wie Anm. 66), Nr. 535, klammert die Frage aus, obwohl er den Nachtrag Thietrnars, Chronik, III c. 26 (wie Anm. 11), S. 130, zitiert, die einzige Quelle, die den Auftrag auf Otto Il, zurückführt. GROSSE,Bistum Utrecht (wie Anm. 84), S. 109f., argumentiert zunächst gegen eine Tutorschaft schon seit dem Wahlakt, weil man dem König eine solche Fehlentschei- dung nicht zutrauen könne, widerspricht sich aber S. 224-226 selbst, wo er die oppositionelle Haltung Warins gegen den König seit 977 wahrscheinlich macht (so auch MÜLLER,Kölner Erz- bischöfe [wie Anm. 84], S. 23) und dabei die Tutorschaft seit dem Hoftag von Verona voraus- setzt. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 295

Einstellung nicht unbekannt sein konnte, so daß allgemein angenommen wird, hier hätten sich abweichende Stimmen anwesender Großer durchgesetzt'". Eine weitere Frage lautet: Wieso kam Heinrich der Zänker am Ende so glimpf- lich davon? Quedlinburg als Ort der Königserhebung am Osterfest war ein Sym- bo1131• In der dortigen Pfalzkapelle waren König Heinrich I. und dessen zweite Ge- mahlin Mathilde beigesetzt, der Ort diente zugleich als Zentrum des liudolfingi- sehen Totengedächtnisses und als ein beliebter und repräsentativer Aufenthalt der Ottonen an Hochfesten. Hier hatte der Zänker Gelegenheit, nochmals auf die sei- nem Vater entgangene Königskrone aufmerksam zu machen; er selbst konnte den Vorzug eines in aula regali Geborenen natürlich nicht geltend machen, ohne den Rückbezug auf seine Großeltern hätte er das Unternehmen sogar noch nicht einmal beginnen können. Richer von St. Remi umschreibt es deutlich genug; der Zänker habe sich Zepter und Krone beschafft, auf diese Weise regnum ... in suum ius refundi arbitrans 132; ob er als in diesem Falle ziemlich gut informierter Zeitgenosse zuver- lässig berichtet oder nicht - der Gedanke war zumindest vorhanden. Das größte Hindernis für den Zänker stellte der bereits gekrönte und gesalbte Otto Ill. dar; in Magdeburg weigerte sich am Palmsonntag die Mehrheit der Großen, den Zänker als König anzuerkennen, mit der hinterlistigen Begründung, man müsse vorher die Erlaubnis des Königs einholen, dem man seinen Eid bereits geleistet habe!". Viel- leicht war es eine Antwort auf die möglicherweise vom Zänker selbst kolportierte Absicht, sich zum Mitherrscher erheben zu lassen'>. Daß dieser Gesichtspunkt im Westen geäußert wurde, mag an der schon wesentlich längeren Praxis des Mit- königtums im Westfrankenreich 135 gelegen haben. Der Theorie nach war die Erhe- bung eines Mitkönigs von der Zustimmung des bereits etablierten Königs abhän- gig; doch der dreijährige Otto konnte sie nicht geben, seiner Geschäftsunfähigkeit wegen stand das Mitkönigtum ja überhaupt zur Diskussion. Wäre die Königserhe- bung des Zänkers geglückt, dann wäre er selbst auch nach dem Eintritt der Mün- digkeit schon infolge des großen Altersunterschiedes der »Hauptkönig« gewesen und hätte wohl für eine Amtsnachfolge des eigenen Sohnes gesorgt. Der innere Wi- derspruch in seiner Situation ließ sich nicht aufheben; um eine ebenbürtige Aus- gangsbasis für eine Regentschaft im Vergleich zu den beiden Kaiserinnen zu erlan- gen, mußte er die Position zumindest eines Mitherrschers anstreben, dies jedoch

130 Vg!. BEUMANN,Die Ottonen (wie Anm. 81), S. 121-123. 131 Vg!. HANSJÜRGENRIECKENBERG,Königsstraße und Königsgut in liudolfingischer und frühsali- scher Zeit, in: Archiv für Urkundenforschung 17, 1942, S. 47f.; GLOCKER,Die Verwandten (wie Anm. 34), S. 14f. 132 Richer, Histoire de France (888-995), ed. ROBERTLATOUCHE,Paris 1937, Bd. 3,5. 97,124. Vg!. LAU- DAGE,Vormundschaft (wie Anm. 122),5.263-267. 133 Thietmar, Chronik, IV c. 1 (wie Anm. 11),S. 132. 134 Diesen Gedanken äußert Erzbischof Adalbero von Reims in einem Brief an Egbert von Trier (Die Briefsammlung Gerberts von Reims, ed. FRITZWEIGLE,MGH Briefe der deutschen Kaiser- zeit Nr. 26), allerdings mit einem fast spöttischen Hinweis auf die Gewohnheiten am byzantini- schen Hof, vermutlich im Gedanken daran, daß Otto III. der Sohn einer Griechin war; ohne die- sen beiläufigen Hinweis aber auch in einem Brief an Notker von Lüttich (ebd., Nr. 39), und Herzog Karl von Lothringen an Bischof Dietrich von Metz (Nr, 32). Vg!. ODILOENGELS,Theo- phano, the western empress from the East, in: The empress Theophano, Byzantium and the West at the turn of the first millenium, ed. by AOELBERTDAVIDS,Cambridge 1995,5.43. 135 Vg!. BRÜHL,Deutschland (wie Anrn.T), 5. 339f. 296 Odilo Engels

wurde zwangsläufig, auch wenn der Zänker es nicht beabsichtigt haben sollte, als ein Versuch angesehen, den kleinen Otto vom Thron zu verdrängen. Das erklärt auch, warum der Quedlinburger Akt teils auf Vorbehalte, teils auf Widerstand stieß. Zur Erhebung des Zänkers heißt es: a suis publice rex appellatur laudibusque divinis attollitur. Die Herzöge Mieszko von Polen, Boleslav Il, von Böhmen und der Abo- dritenfürst Mistui sicherten ihm eidlich wie ihrem König ihre Hilfe zu. Viele aber entfernten sich vorzeitig und gingen zur Opposition über 136. Und die Quedlinbur- ger Annalen fügen noch hinzu, daß der Zänker nicht nur König genannt, sondern auch zum König gesalbt werden wollte 137, was allerdings nicht erfolgte. Der Königserhebungsvorgang blieb also unvollendet; wie der Zänker anschließend noch mehrfach erfahren mußte, zeigte sich die Zahl der Gegner als zu groß 138. Vielleicht gab das Eintreffen der beiden Kaiserinnen aus Italien den Ausschlag für Heinrich den Zänker, in Verhandlungen einzutreten. Die zum 29. Juni verein- barte Versammlung in Rohr war gut besucht, ein Indiz, daß man dem Geschehen eine hohe Bedeutung beimaß. Der Zänker lieferte das Kind seiner Mutter aus (und gab es nicht etwa wieder zurück, da Theophanu es ja seit dem Wahlakt von Verona nicht mehr bei sich gehabt hatte) und entließ gemäß seinem Versprechen alle, qui ad regnum pertinebant, was wohl soviel bedeutete wie der Verzicht auf die Gewere über das Reich und auf die ihm geleisteten Treueide von Reiches wegen 139. Heinrich der Zänker verzichtete damit auf seine Ambitionen hinsichtlich des Königsamtes. Von der Regentschaft - auch in umschriebener Form, da der Begriff noch nicht bekannt war - ist in den Quellen keine Rede; offensichtlich genügte es, den Sohn in die Hän- de der Mutter gegeben zu haben, ohne dieser noch zusätzlich die Funktionen einer Regentin zusprechen zu müssen. Ebenso fehlt eine Äußerung über das weitere Schicksal des Zänkers. Über Einzelheiten des Gerichtsurteils von 978 ist nichts be- kannt; es sieht so aus, daß er zu unbefristetem Exil verbannt wurde, was bedeutete, daß der Gerichtsherr - in diesem Falle der Kaiser - den Verurteilten zu einem ihm genehmen Zeitpunkt wieder begnadigen konnte, dann aber den Begnadigten in alte Rechte wieder einsetzen mußtel40• Wenn die zeitlich unbefristete Verbannung mit dem Tod des Gerichtsherrn hinfällig geworden sein sollte, dann hätte Folkmar von Utrecht korrekt gehandelt, den Verbannten frei zu lassen; unter diesem Aspekt wären die Bemühungen des Zänkers ebenfalls zu bedenken, da keiner in Sicht war, der ihm zur Wiedereinweisung in ein Herzogsamt verholfen hätte. Unter diesen Umständen ist nicht auszuschließen, daß in Rohr doch über eine Wiedereinsetzung des Zänkers in das bayerische Herzogsamt gesprochen wurde, aber erst noch das Procedere abgeklärt werden mußte, da über dieses Amt ja anderweitig verfügt wor- den war. Infolgedessen ergab sich für den Zänker eine Zeit des Waffenstillstandes, während der er außer der Aussicht, mit bekannten Mitteln erneut für Unruhe sor- gen zu können, kein Druckmittel zur befriedigenden Beendigung seiner Angele-

136 Thietrnar, Chronik, IV c. 2 (wie Anm. 11),S. 132. 137 Armales Quedlinburgenses ad a. 984 (wie Anm. 20), S. 66. 138 Vg!. UHLIRZ, Jahrbücher(wie Anm. 18), S. 18-22. 139 Thietmar, Chronik, IV c. 8 (wie Anm. 11), S. 140. 140 Zu diesem rechtshistorisch noch ziemlich dunklen Kapitel vg!. ODlLOENGElS,Zur Entmach- tung Heinrichs des Löwen, in: Festschrift Andreas Kraus, hg. von PANKRAZ FRIEDund WALTER ZIEGLER(Münchner Historische Studien, Abteilung bayerische Geschichte 10), Kallmünz 1982, 5.45-59. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 297 genheit mehr in der Hand hatte. Der kaiserliche Hof zeigte sich auffallend entge- genkommend. Unter Schwierigkeiten wurde mit dem bayerischen Herzog Hein- rich dem Jüngeren und dem Kärntner Herzog OUo (von Worms) über ein Jahr lang verhandelt l+', bis im Juni 985 auf einer Reichsversammlung in Frankfurt die Eini- gung erzielt wurde. Der Zänker unterwarf sich auf Gnade oder Ungnade (dedicius), leistete dem König Handgang und Treueid, ohne sich etwas anderes auszubedin- gen als sein Leben und die Huld des Herrschers. Und die beiden Kaiserinnen hät- ten ihn aufgenommen wie einen amicissimus, so wie es das Verwandtschaftsrecht erforderte 142. Thietmar von Merseburg stellt es so dar, als sei der Rückerwerb des bayerischen Herzogsamtes eine Angelegenheit des Zänkers und der beiden Her- zöge Heinrich und Otto gewesen, wobei er Otto noch nicht einmal erwähnt, der immerhin auf das Herzogsamt in Kärnten verzichten mußte 143, Und die Quedlin- burger Annalen legen ausschließlich Wert auf die bedingungslose Huldigung des Zänkers, die, ohne einen kausalen Konnex herzustellen, eine Voraussetzung für die Wiederinbesitznahme des Herzogsamtes war, und deuten nur indirekt an, daß er trotz seiner Vergehen gegen Otto Ill. - die Auseinandersetzungen mit Otto 11.wer- den nicht berührt - straflos ausgegangen sei. Theophanu feierte dieses Ende gera- dezu triumphal zu Ostern 986 in Quedlinburg mit einer Festkrönung ihres Sohnes und anschließendem Mahl, auf dem nach dem Vorbild des Aachener Krönungs- mahles von 936 Herzöge die Hausämter wahrnehmen mußten, darunter Heinrich der Zänker und Heinrich der Jüngere. Auch die Herzöge Mieszko von Polen und Boleslav 11.von Böhmen, die 983 noch zusammen den Aufstand der Elbslawen un- terstützt hatten, waren anwesend; vielleicht wurde bei dieser Gelegenheit schon der im Sommer unternommene Feldzug gegen die Elbslawen besprochen, an dem sich bezeichnenderweise nur der Polenherzog beteiligen sollte, der zu diesem Zweck dem kleinen König den Lehenseid leistete 144,

141 UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18)' S. 55, macht auf einen Grafen Hermann aufmerksam, den Thietmar, Chronik, IV c. 8 (wie Anm. 11), 5.140, als Vermittler zwischen Heinrich dem Zänker und Heinrich dem Jüngeren erwähnt, und stellt in Anm. 63 Grafen mit dem Namen Hermann zur Disposition. Sie meint, dieser Hermann müsse dem Herzog Otto nahe gestanden haben. Gründe für die Wahrscheinlichkeit, Hermann mit dem rheinischen Pfalzgrafen Hermann pusil- Ius zu identifizieren, siehe ENGELS,Kaiserin Theophanu (wie Anm. 88), S. 21-23. 142 Thietmar, Chronik, IV c. 9 (wie Anm. 11),5.140: ... regis gratiam in Francanafordi et ducatum dedi- cius promeruit. -Annales Quedlinburgenses ad a. 985 (wie Anm. 20), 5.67: Veniente in Francana- ford rege infante tertio Ottone ibidem et ipse adveniens (se. Heinricus) humiliaoit se iuste, quo poena m evaderet elationis iniuste regique puerulo quem orbatum eaptiverat, euius regnum tyranniee invaserat, presentibus dominis imperialibus ... humilis habitu, humilis et actu ... ambabus in unum complicatis manibus, militem se et vera ulterius fide militaturum tradere non erubuii, nil paciscendo nisi vitam orando nisi gratiam .... 143 Als freiwillig zurückgetretener Herzog von Kärnten führte Otto seinen »duxe-Titel fort und wurde wahrscheinlich mit Königsgut links des oberen Mittelrheins entschädigt. Er gilt als ein frühes Beispiel des selbstbewußten neuen Dynastenadels. Vgl. HANSWERLE,Titelherzogtum und Herzogsherrschaft. Verfassungsgeschichtliche Untersuchungen über die Frühformen des Territorialstaates, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germ. Abt. 73, 1956, S. 225-229; WALTHER KIENAST,Der Herzogstitel in Frankreich und Deutschland (9. bis 12. Jahrhundert), Mün- chen/Wien 1968, S. 9f.; WEINFURTER,Herrschaftslegitimation (wie Anm. 103), S. 63-66; DIETER MERTENS,Vom Rhein zur Rems. Aspekte salisch-schwäbischer Geschichte, in: Die Salier (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 229 f. 144 Thietmar, Chronik, IV c. 9 (wie Anm. 11),S. 140;Armales Hildesheimenses ad a. 986, ed. GEORG WAlTZ,MGH SS rer. Germ. 8, 5.24. Vgl. UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 69 f. 298 Odilo Engels

Kaiserin Theophanu hatte damit einen Keil zwischen Polen und Böhmen zum Nachteil des Böhmenherzogs geschoben, und das mußte Auswirkungen auf ihr Verhältnis zu Adelheid und zu Heinrich dem Zänker haben. Nur einige Indizien deuten die Richtung an. In der richtigen Erkenntnis, daß es die Regentschaft im Sin- ne einer klar umgrenzten Institution noch nicht gab, neigt [osef Fleckenstein dem Bild eines Regentschaftsrates zu, dem mehrere Personen in unterschiedlicher und wechselnder Häufigkeit angehörten; an erster Stelle rangierte natürlich Theopha- nu, der Willigis und Hildibold folgten, und erst dann ist Adelheid zu nennen 145. Auch Heinrich der Zänker erscheint nach der Frankfurter Reichsversammlung von 985 in den Diplomen Ottos III. als Intervenient, zweimal noch im Jahre 985 und dann noch je einmal986 (votum ... cari nepotis acfidelis nostri Heinrici Baioariorum du- cis interventum) und 987146• Dies war in den Jahren, da sich Adelheid wieder einmal in Reichsitalien aufhielt, der Bruch mit ihrer Schwiegertochter aber noch nicht er- folgt, zumindest noch nicht offenkundig war. Im Oktober 988, während Adelheid sich wohl in Burgund befand, beauftragte Theophanu von Konstanz aus den kala- brischen Mönch Johannes Philagathos, der ihr Vertrauter und der Griechischlehrer ihres Sohnes war, mit der Leitung der italienischen Finanzkammer und ließ von Johannes XV. den Bischofssitz Piacenza aus der Kirchenprovinz von Ravenna aus- sondern, damit der Mönch im Rang eines Erzbischofs (von Piacenza) auftreten konnte 147. Diese Maßnahme gilt gewöhnlich als der Bruch zwischen den beiden Kaiserinnen. Es stimmt insofern, als Adelheid seitdem bis zum Tode Theophanus am 15. Juni 991 weder in den Diplomen Ottos Ill. noch auf andere Weise im Hofbe- reich nachzuweisen istl48• Auch Heinrich der Zänker taucht erst wieder im Januar 992 als Intervenient auf 149. Man wird kaum daran zweifeln können, daß der Zänker nur seiner besonderen Beziehungen zur Großmutter des Königs wegen zu Inter- ventionen herangezogen wurde, was allerdings nicht heißt, daß er deshalb auch im Hofbereich nicht mehr anzutreffen gewesen wäre; schon Paul Kehr hat beobachtet, daß noch lange nicht jeder, der sich zufällig am Hof aufhielt, auch zur Intervention herangezogen wurde 150. Seit der Schwertleite Ottos Ill. in der letzten September- woche des Jahres 994 kann natürlich von einem Regentschaftsrat keine Rede mehr sein. Es gehört ebenfalls zu den Beobachtungen Paul Kehrs, daß Otto Ill. hinsicht- lich der Interventionen in Italien neue Personen bevorzugte 151. Das läßt sich, bezo- gen auf Heinrich den Zänker und seinen Sohn Heinrich IV. von Bayern, hier etwas präzisieren. Nur sehr vereinzelt schon unter Adelheid, aber geradezu systematisch

145 JOSEFFLECKENSTEIN,Hofkapelle und Kanzlei unter der Kaiserin Theophanu, in: Kaiserin Theo- phanu (wie Anm. 27), Bd. 2, S. 307-310. 146 MGH DD 0 III. 19, 21, 29 und 32. 147 Vg!. UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 104f.; zu Johannes Philagathos, dem späteren Gegen- papst [ohannes XVI., vg!. TETAE. MOEH5,Gregorius V. 996-999 (Päpste und Papsttum 2), Stutt- gart 1972, S. 59 f. 148 Ob die Nennung OttosIII., seiner Mutter und Großmutter im Privileg Johannes'XV. vom 19. Oktober 989 für den Abt Salemann von Lorsch als Intervention zu werten ist, wage ich zu bezweifeln. Vg!. ZIMMERMANN,Papsturkunden (wie Anm. 96), Bd. 1, Nr. 300 (JL3834). 149 MGH DO 1II.83. 150 KEHR,Zur Geschichte OttoslII. (wie Anm. 6), S. 414ff. und 432ff. 151 Ebd., S. 437. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 299 unter Otto III. erscheint der Zänker in den Diplomen als Intervenient vornehmlich dann, wenn der Empfänger mit seiner Herzogsgewalt etwas zu tun hattel52• Unter der Hand muß sich das Moment der Zustimmung seitens des Intervenienten inner- halb des Rechtsaktes verstärkt haben. So nimmt es nicht wunder, daß mitunter die Zustimmung des Herzogs ausdrücklich erwähnt wird oder zur Verleihung der öffentlichen Gewalt an die Bischofskirche von Passau sich formuliert findet propter strenuam petitionem Heinrici duds 153. Dies bestätigt die schon von Stefan Weinfurter herausgestellte starke Stellung des Bayernherzogs im späten 10. Jahrhundert sowohl den politischen Kräften im eigenen Herzogtum als auch der Königsgewalt gegenüber 154. Vor diesem Hinter- grund ist noch das Schicksal des Herzogsamtes in Kärnten zu überprüfen. Mit dem unerwarteten Tod Heinrichs des Jüngeren am 5. Oktober 989 starb das Geschlecht der bayerischen Luitpoldinger aus, das Kärntener Herzogsamt war verwaist 155. Es heißt nun gewöhnlich, Theophanu habe dem Zänker das Herzogtum Kärnten zu- sätzlich übertragen, also faktisch den Zustand, wie er bis zum Jahre 976 herrschte, wiederhergestellt, ohne allerdings die Errichtung Kärntens als eigenes Herzogtum rechtlich wieder rückgängig zu machen. Begründet wird diese Annahme mit einer Schenkung Ottos Ill. auf dem Hoftag in Frankfurt am 1. Oktober 989 über Besitzun- gen in Krain an den Freisinger Bischof Abraham, womit die Mark Krain praktisch dem Herzogtum Kärnten angegliedert wurde. Als Intervenienten sind darin Theo- phanu und Heinrich der Jüngere genannt 156. Daß der Zänker in Frankfurt ebenfalls anwesend gewesen sei, ist eine reine Vermutung; auf diese Weise ist die Annahme plausibel, Heinrich der Jüngere sei noch in Frankfurt vom Tod überrascht worden, wo sich auch die anderen Großen noch aufhielten, so daß es sich für Theophanu anbot, nach deren Rat den Zänker mit Kärnten durch den unmündigen König be- lehnen zu lassen 157, Um sich das noch besser erklären zu können, nahm man seine Zuflucht sogar zu Abmachungen, die der Zänker 985 in Frankfurt mit Heinrich dem Jüngeren getroffen haben S011158, Gewiß, Heinrich der Zänker wird auf einen Rückerwerb Kärntens, den er 985 nicht erreichen konnte, gepocht haben, und das

152 Siehe MGH DD 0 Ill. 128, 149, 170,227,232,286,287,294,306,318,319,351,355 und 370. 153 MGH DD 0 Ill. 294 und 306 (= EGONBOSHOF,Die Regesten der Bischöfe von Passau, 731-1206, München 1992, Bd. 1, Nr, 260), 154 STEFANWEINFURTER,Die Zentralisierung der Herrschaftsgewalt im Reich durch Kaiser Hein- rich 1I.,in: Historisches Jahrbuch 106, 1986,S. 243-269. 155 Vgl. REINDEL,Die Liutpoldinger (wie Anm. 11),S. 256. 156 MGH D 0 III. 58. Laut Vorbemerkung handelt es sich um eine Bestätigung von DOli. 66 aus dem Jahre 973 mit zusätzlich eingeschobenen neuen Besitzungen. Die damalige Intervention Theophanus zeigt sich hier in dilccte matris ... abgeändert, ebenfalls die des Zänkers in Heinrich den Jüngeren durch den Zusatz Karenunorum (ducis) (in Nr. 66 Baioariorum ducis), wobei nepotis nostri irrtümlich unverändert stehen blieb. Der Bearbeiter Paul Kehr hält es für möglich, daß die Intervention etwas früher getätigt worden sei, da Theophanu am 1. Oktober wohl schon nach Italien unterwegs gewesen sein müsse. 157 Alle Daten, die den Zänker betreffen, sind bei UHLlRZ,Jahrbücher(wie Anm. 18},S. 112-115, nur Mutmaßungen. 158 Vgl. KURTREINDEL,in: Handbuch der bayerischen Geschichte, hg. von MAx SPINDLER,Bd. 1, München 21981,S. 227-229; fast wörtlich wiederholt von CLAUDIAFRÄss-EHRFELD,Geschichte Kärntens, Bd. I, Klagenfurt 1984, S. 114. 300 Odilo Engels

sicherlich unter Einschluß der beiden Marken Verona und Friaul l'", Da er jedoch offensichtlich nicht in den Besitz der beiden Marken kam, ist dies einmal ein Beweis für Theophanus tatkräftige Wahrung ihrer Interessen, unabhängig vom Zeitpunkt der Vergabe, und darüberhinaus ein Indiz für die immer noch nicht ausgeräumte Sorge, der Zänker könne trotz seines nachhaltigen Fehlschlags von 984 nach dem Vorbild seines Vaters die beiden Marken als Mittel für einen Aufstieg zur Königs- gleichheit benutzen. Dies scheint ohnehin in der Italienpolitik Theophanus eine Rolle gespielt zu haben; denn es fällt auf, daß - sieht man einmal von [ohannes Philagathos, dem Erzbischof von Piacenza, ab - insgesamt keine weltlichen Großen zu den Regie- rungshandlungen Theophanus in Italien vom Herbst 989 bis in den Sommer 990 hinzugezogen wurden, dafür aber Bischöfe vornehmlich aus dem Reichsgebiet nördlich der Alpen 160. Das erklärt auch, warum der Erzbischof von Piacenza zu- sammen mit Theophanu in einer Bestätigung für den Patriarchen von Aquileja im Juni 990 als Petent auftritt 161. Im August 988 noch findet sich Heinrich der Jüngere, dux Karentanorum, als einziger Intervenient in einer Bestätigung Ottos Ill. für die Kirche San Zeno in Verona 162. Somit scheint Theophanu nach dem Tod Heinrichs des Jüngeren die beiden Marken nicht wieder ausgegeben und sie obendrein als Be- standteile des Regnum Italieum anerkannt zu haben, wie es bis 952 der Fall gewesen war. Adelheid muß als Regentin demgegenüber den Zänker, im Juni 993 in der In- tervention für einen Empfänger im Freisinger Raum dileetus frater ae fidelis noster Heinricus Baioariorum et Karentinorum dux genannt 163, in beide Marken wieder ein- gewiesen haben; darauf weisen einmal die beiden vom Zänker 993 in Verona gelei- teten Gerichtssitzungen hin, die eine zugunsten der Kirche von Trient wegen eines Hofes in Riva (Gardasee) und die andere gegen den Markgrafen Thedald von Ca- nossa zugunsten der Kirche von Verona, und des weiteren sein Auftreten als Petent für den Bischof von Ceneda am 29. September 994164• Das letzte Diplom stammt be- reits aus den Tagen der Schwertleite von Sohlingen, mit der Otto Ill. seine Mündig- keit erlangte. Ob es nun ein schlechtes Zeichen für den Zänker war, daß sich auch der Markgraf Hugo von Tuszien und der Erzbischof Johannes von Piacenza in Soh- lingen auf dem SoIling einfanden 165, ist schwer zu beantworten. Jedenfalls erschei- nen in einer Schenkung Ottos Ill. für das Kloster San Zeno gut ein Jahr später Adel- heid und im Mai 996 in einer Bestätigung des Königs für die Kirche San Zeno Mark-

159 ADELHElDKRAH,Die Absetzung Herzog Adalberos von Kärnten und die Südostpolitik Kaiser Konrads Il., in: Historisches Jahrbuch 110, 1990, S. 314-318, sieht MGH DD 0 III. 355 und 370, wo der Markgraf Adalbero neben Herzog Heinrich IV.als Intervenient genannt ist, als ein Indiz für die bekanntlich »großzügig und großräumig geplante Politik« Ottos III. Hier zeigt sie sich noch der traditionellen Grundanschauung der Geschichtsforschung verpflichtet. 160 Vg!. UHLlRZ,Jahrbücher(wieAnm. 18),5. 120-124. 161 MGH 0 0 Ill. 65. 162 MGH 0 0 Ill. 46. Vg!. ROLANDPAULER,Das Regnum Italiae in ottonischer Zeit. Markgrafen, Grafen und Bischöfe als politische Kräfte, Tübingen 1982, S. 93. 163 MGH DO Ill. 128. 164 Vg!. PAULER,Regnum Italiae (wie Anm. 162), S. 93f. und S. 140; SIEGFRIEDHIRSCH,Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich 11.,Bd. 1, Leipzig 1862,S. 9, Anm. 1;MGH D 0 III. 149 (Ce- neda ist der ältere Name für das heutige Vittorio Veneto), 165 Vgl. UHLlRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), 5.174. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 301 graf Hugo von Tuszien als Intervenienten 166. Schon im März 996 fungierte Otto von Worms in einem placitum zu Verona, ebenfalls im Sommer 998 in Verona und in der Grafschaft Treviso sowie nochmals in Verona am 3. November 1001167• Das stimmt mit der beiläufigen Bemerkung der Hildesheimer Annalen zum Jahre 996 überein: Otto, der Vater Papst Gregors V.,qui marcham Veronensem servabat 168. Man sollte sich von dieser recht späten Quellenstelle nicht dahingehend irritieren lassen, als könn- ten die beiden Marken etwa zwei verschiedenen Personen aufgetragen worden sein; denn in einem placitum Herzog Ottos vom 3. November 1001in Verona findet sich eine Schenkung des Kaisers hinsichtlich des Raumes Görz (Corizia) mit der In- tervention Ottos von Worms inseriert 169. Es läßt sich folglich kaum bezweifeln, daß nach dem Tod Heinrich des Zänkers am 28. August 995 in Gandersheim die Mark- grafschaften Verona und Friaul nicht auf dessen Sohn Heinrich IV. von Bayern- Kärnten übergingen, sondern nach einem Spatium wohl bis zum Frühjahr 996 auf den Titularherzog Otto von Worms. Daß Kärnten als Erbe des Zänkers davon un- betroffen blieb, scheint aus der Intervention Heinrichs IV. in einer Schenkung Ottos Ill. in Kärnten im April des Jahres 1000 und aus der, freilich erfolglosen, Bitte Papst Silvesters 11.im Jahre 1001 an Heinrich, im Streit zwischen dem Patriarchen von Aquileja und dem Bischof von Poreö an der venezianischen Westküste Istriens zu entscheiden 170, hervorzugehen. War es Zeichen einer Rückkehr zur Politik der Mutter Theophanu, sobald Otto Ill. sein Königsamt ohne fremde Hilfe ausüben konnte? Was aus den trocke- nen Daten der Urkunden nicht ohne weiteres ersichtlich wird, faßt Thietmar in einem einzigen Satz über die Regentschaft Adelheids zusammen: die Großmutter habe vom Tode Theophanus an solange beim unmündigen König die Stelle der Mutter vertreten, bis dieser sie, verdorben durch den Rat unverschämter Jugend- licher, zu ihrem Kummer entließ 171, im Unterschied zu Odilo von Cluny, der die symbolische Dreizahl der Läuterungsstufen Adelheids bereits erschöpft sah 172. Da- mit steht vielleicht die Erhebung Heinrichs IV.von Bayern zum Mitherzog seines Vaters in Verbindung. Nur wenige Wochen nach dem Tag von Sohlingen urkundete Otto Ill. im November 994 in Bruchsal für das Damenstift Quedlinburg. Adelheid fungierte zusammen mit ihrer Tochter Mathilde als Intervenientin, Heinrico ... duce et consanguineo nostro suoque aequivoco filio et conduce nee non Vuilligiso archipresule ... ac Hillibaldo ... episcopo consiliantibus 173. Es ist der einzige Beleg,der vom Mitherzog- tum Heinrichs IV. überhaupt Kenntnis gibt, und der letzte Beleg, der von einer gemeinsamen Anwesenheit oder einem Zusammenwirken Adelheids und des Zänkers anläßlich einer Rechtshandlung berichtet. Den eigenen Sohn noch zu Leb-

166 MGH DD 0 Ill. 182 und 199 (in Rom ausgestellt). 167 Vg!. PAULER, Regnum Italiae (wie Anm. 162), S. 94 r, 125 und S. 158. 168 Armales Hildesheimenses ad a. 996 (wie Anm. 144), S. 27. 169 MGH DO Ill. 412. 170 MGH D 0 III. 355; BöHMER/ZIMMERMANN, Regesta Imperii, 11/5, Nr. 944; ZIMMERMANN, Papst- urkunden (wie Anm. 96), Bd. 2, Nr. 446 (mit der umfangreichen Narratio über den Streit in der Bestätigung Sergius' IV.von 1010). 171 Thietmar, Chronik, IV c. 15 (wie Anm. 11),S. 150. 172 Odilo von Cluny, Epitaphium c. 7 (wie Anm. 106), S. 35. 173 MGH DO Ill. 155. ' / f '/ 1/ r

302 OdiJo Engels

zeiten zum Mitherzog zu erheben, war ungewöhnlich 174. An der so gut wie selbst- verständlichen Anschauung von der Erbfolge auch im Herzogsamt zu dieser Zeit ist nicht zu zweifeln, aber die Erhebung zum Mitherzog schränkte nicht nur defi- nitorisch den Willen des Königs, sondern auch dessen Recht der Einweisung zu- mindest symbolisch ein. Das war in diesem Falle seitens des Zänkers begründet, da sein ältester gleichnamiger Sohn wahrscheinlich 978 für die geistliche Lauf- bahn bestimmt worden war - vielleicht sogar auch der nachgeborene (975/80) Sohn Bruno, seit 1006 Bischof von Augsburg 175 -, wohl mit der Absicht, das Ge- schlecht als herzogsunfähig auf Dauer auszuschalten; damit nun der neue König die Ausbildung für ein geistliches Amt nicht als einen Hinderungsgrund verwer- ten konnte 176, wenn die Herzogsnachfolge anstand, dürfte diese Vorsichtsmaß- nahme ergriffen worden sein. Sie hatte überdies den Vorzug, nach dem Vorbild des inzwischen eingebürgerten Mitkönigtums die Herzogsfamilie als königsähn- lich in Erscheinung treten zu lassen. Die Besorgnis um diesen Aspekt scheint den neuen König veranlaßt zu haben, die beiden Marken Verona und Friaul, die sich schon einmal als ein gefährliches Sprungbrett für einen königsähnlichen Aufstieg erwiesen hatten, von Kärnten abzusondern. Dieses Moment steigerte sich noch durch den Amtswechsel von Heinrich dem Zänker zu Heinrich IV.Der Vater er- mahnte seinen Sohn auf dem Sterbebett in Gandersheim, sich niemals regi ac do- mino zu widersetzen; er selbst bereue sein Fehlverhalten in dieser Hinsicht. Wahr- scheinlich ist diese Notiz nur als literarische Verpackung eines versöhnlich stim- menden, in Wirklichkeit jedoch negativ gedachten Nachrufes zu verstehen, so daß auf diese Weise der in der Chronik Thietmars gleich anschließende Satz elec- tione et auxilio Bawariorum patris bona apud regem optinuit 177 an dramatischer Schär- fe verliert. Angesichts der Selbstverständlichkeit erbrechtlicher Vorstellungen in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts wäre schon ein Rückgriff auf eine aus bayerischer Frühzeit überlieferte Wahl eines Herzogs ungewöhnlich. Andeu- tungsweise wird gerne eine nicht belegbare Wahl Arnulfs postuliert, so als ob es keine andere Möglichkeit zur Ausbildung einer Herzogsgewalt habe geben kön- nen. Eher schon käme eine Entlehnung aus der Lex Baiuwariorum in Frage, wo sowohl von der Einsetzung eines Herzogs durch den König als auch von der Wahl des Herzogs durch das Volk die Rede ist 178. Da allerdings die Anwendung des frühmittelalterlichen Volksrechts eher im Abnehmen als in einer Regenerie-

174 Herzog KonradI. von Schwaben (t 997) scheint seinen Sohn HermannII. von Schwaben 996 nach dem bayerischen Vorbild ebenfalls zum Mitherzog ernannt zu haben; vgl. WEINFURTER, Die Zentralisierung (wie Anm. 154), S. 245. 175 Über ihn ausführlich ZOEPFL,Bistum Augsburg (wie Anm. 94), 5.82-89. Zu den übrigen Kin- dern des Zänkers vgl. GLOCKER,Die Verwandtschaft (wie Anm. 34), S. 305 f. 176 Zur Charakterisierung des Königs und Kaisers HeinrichII. gerade von seiner Ausbildung her vgl. HARTMUTHOFFMANN,Mönchskönig und »rex idiota«, Studien zur Kirchenpolitik Hein- richsII. und KonradsII. (MGH Studien und Texte 8), Hannover 1993, 5.134-138 und S. 146f. 177 Thietmar, Chronik, IV c. 20 (wie Anm. 11), S. 154. 178 Lex Baiwariorum, III 1 und 11 1, ed. ERNSTVONScHWIND,MGH Leges Sectio I, Bd. 5/2, S. 313: Dux vero, qui preest in populo, ilIe semper de genere Agilolfingantm fuit et debet esse, quia sic reges all- tecessores nostri concesserunt eis: ut qui de geilere illorum fide/is erat et prudens, ipsum consiituerent ducem ad regendum populum ilium. - S. 291: Si quis contra ducem suum, quem rex ordinaoit in provin- cia ilia aut populus sibi elegerit ducem ... Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 303 rung begriffen war 179, scheint der Rückgriff künstlich und politisch motiviert ge- wesen zu sein. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß im frühen 11.Jahrhun- dert eine Wahl des Bayernherzogs mehrfach eine Rolle gespielt hat 180; denn das könnte in Erinnerung an den Vorgang von 995 geschehen sein und zeigt darüber hinaus, wie wenig randständig dieser war. Auch wenn die Wahl eine Willensäuße- rung der potenteren Großen in Bayern nach mehr Mitsprache gewesen sein sollte, der Königsgewalt gegenüber war sie in jedem Falle eine Demonstration, königs- ähnlich zu sein; und dieses Selbstbewußtsein bestätigte sich auch in der Herzogs- zeit Heinrichs IV.im Sinne einer Teilhabe an der Königsgewalt, er sah sich als Stell- vertreter des Herrschers mit allen königlichen Kompetenzen 181. Zeitlich dürfte sich die Belehnung Heinrichs IV.nicht gleich an die Wahl angeschlossen haben, da Otto Ill. erst gegen Mitte Februar 996 in Regensburg nachweisbar ist 182; wegen der bevorstehenden Italienfahrt blieb eine erwähnenswerte Auseinandersetzung um die an sich nur mehr der Königserhebung zukommenden Wahl wohl aus. Aber der König setzte ein unmißverständliches Zeichen, indem er die Marken Verona und Friaul dem Herzog Otto von Worms auftrug. Heinrich IV.nahm zumindest zeitwei- se an der Italienfahrt Ottos Ill. teil; im Königsgericht zu Verona Ende des Monats November des Jahres 996 war er nur als Zeuge zugegen, obwohl der anstehende Streitfall Bewohner östlich von Verona betraf l'". Arduin von Ivrea besetzte gleich nach dem Tod Ottos Ill. Verona, um - wie seinerzeit König Berengar - die Zu- gehörigkeit der beiden Marken zu Italien zu demonstrieren. Ihre Rückeroberung durch Otto von Worms scheiterte an der Brenta; auch das trug zur Entmachtung des Saliers durch Heinrich IV.bzw. Heinrich Il. bei 184. Zusammenfassend fällt auf, wie zählebig auch seit der Alleinherrschaft OttosIII. noch der Wille des bayerischen Liudolfinger-Zweigs war, das Königtum zu erlan- gen. Den Umständen entsprechend suchte Heinrich der Zänker das Königtum der ottonischen Linie zu ersetzen oder wie Heinrich IV.an der Seite des Herrschers und bezogen auf den bayerischen Bereich möglichst königsgleich zu sein. Der Gedanke, 936 trotz »Purpurgeburt- um die Krone betrogen worden zu sein, war ungeachtet der byzantinisch geprägten Formulierung nicht eine willkürlich nachgeschobene Rechtfertigung, sondern bildete den Schlußpunkt einer virulent lebendigen Konti- nuität. Zu erkennen ist dies nicht zuletzt am Schicksal der Markgrafschaften Verona und Friaul, die in Erinnerung an die Politik Heinrichs I. von Bayern oft genug vom

179 REINDEL,in: Handbuch (wieAnm. 158), Bd. 1, S. 234, weist auf reicheAnleihen aus der Lex Bai- wariorum im Gesetzbuch König Stephans I. von Ungarn hin, die allerdings HARALDSIEMS,Art. Lex Baiuvariorum, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, 1978, Sp. 1899, in Zweifel zieht. 180 Vg!. ENGELS,Das Reich der Salier (wie Anm. 92), S. 491 f. 181 Vg!. WEINFURTER,Die Zentralisierung (wie Anm. 154), S. 251-260. Zur Gefährdung der bayeri- sehen Herzogsherrschaft in der Ostmark/Österreich vg!. EICKHOFF,Theophanu (wie Anm. 105), S.420-426. 182 Vg!. UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 195. 183 MGH DO 1IJ.227. 184 Vg!. BRuNNER,Herzogtümer und Marken (wie Anm. 101), Bd. 2, S. 176. Als König überließ Heinrich n. dem Salier das Herzogtum Kärnten, suchte dessen Eigenständigkeit gegenüber dem Herzogtum Bayern jedoch zu reduzieren - wie RODERICHScHMIDT,Königsumritt und Hul- digung in ottonisch-salischer Zeit (Vorträge und Forschungen 6), Konstanz/Stuttgart 1961, 5.149, Anm. 248, glaubt -, indem er auf seinem Umritt Kärnten ausklammerte. 304 Odilo Engels

Herrscher so behandelt wurden, daß sie ein zweites Mal als Sprungbrett zur Königsherrschaft nicht mehr benutzt werden konnten. Diese Vorsorge mag über- trieben erscheinen, aber allein schon der Umstand, daß sie in die Tat umgesetzt wurde, trug vielleicht sogar ungewollt zur Auffrischung der Erinnerung an das 936 erlittene Unrecht und seine Wiedergutmachung bei. Als zweites wird durch diese Beobachtung die Frage der Individualsukzession berührt. Es ist nicht damit getan, sie als erledigt zu betrachten, weil 936 keine Herr- schaftsteilung des Reiches unter den Söhnen des verstorbenen Vaters erfolgte und nur ein einziger der Krönung und Königsweihe teilhaftig wurde 185. Wie an den Herzogsernennungen durch Otto I. vor dem dritten Aufstand zu sehen ist, spielte sich eine abgestufte Mitwirkung an der Herrschaftausübung ein; Erzbischof Brun von Köln ist in diesem Zusammenhang zu sehen und bildete nicht etwa eine neue Stufe 186. Infolge des nicht einvernehmlich gelösten Thronfolgeproblems ergaben sich in der nächsten Generation Verschiebungen im engeren Hofbereich, nicht nur durch gründliche Verdrängung einer Familie der engsten Verwandtschaft des Herr- schers aus der Herzogsebene, sondern auch durch eine schon von Zeitgenossen als höchst unfreundlich empfundene Reduzierung des Einflusses am Hof, der - wie im Falle Adelheids - nicht durch ein rechtlich umrissenes Amt gestützt war. Hier ha- ben die beiden Bestätigungen des Wittums der Kaisermutter ihren Platz; unge- wöhnlich erscheinen sie nicht nur wegen der anscheinend ungeklärten Verfügungs- kompetenz der Inhaberin, sondern auch, weil ein (nur partielles) Ausscheiden aus dem engeren Hofbereich anscheinend einer Zusicherung der fortgesetzten Ver- mögensausstattung bedurfte 187. Auf diese Weise spielte sich in Anfängen eine Ver-

185 Zum Problem der Unteilbarkeit zuletzt KELLER,Widukinds Bericht (wie Anm. 75), S. 399 mit Anm. 11.Selbst KARLLEYSER,Herrschaft und Konflikt. König und Adel im ottonischen Sachsen (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 76), Göttingen 1984, S. 33, und BRÜHL,Deutschland (wie Anm. 1), S. 476, lassen sich von dieser Norm leiten, wenn sie feststel- len, daß noch die Historiographie des 10. Jahrhunderts den Teilungsgedanken verfolgte, ob- wohl die politische Praxis ihn längst aufgegeben habe, bzw. ihn im Westfrankenreich nicht in die Tat umsetzen konnte, weil jeweils nur noch ein Sohn als Erbe zur Verfügung stand. 186 Vg!. OOlLOENGELS,Ruotgers Vita Brunonis, in: Kaiserin Theophanu (wie Anm. 27), Bd. 1, S. 40-46; und DERs.,Das Reich der Salier Iwie Anm. 92), S. 415-419. Vg!. auch GROSSE,Utrecht (wie Anm. 84), S. 251-255. 187 Um an ein so weit nicht abliegendes, zeitgenössisches Beispiel im südlichen Grenzland des westfränkischen Reiches zu erinnern: Die dortigen Grafschaften unterlagen rechtlich der Verfü- gung des westfränkischen Herrschers, waren faktisch jedoch autonom. Die Intitulatio der gräf- lichen Urkunden spiegelt eine Samtherrschaft aller Brüder (die geistlichen gelegentlich nicht ausgenommen) zusammen mit der Witwe des Vaters in ihrer Mitte wider. Um 990 jedoch än- derte sich dieses Bild zugunsten der alleinigen Nachfolge des Erstgeborenen; die nachgebore- nen Söhne wurden im Testament des sterbenden Vaters mit nicht-amtlichem Gut abgefunden, und die Witwe erscheint erstmals mit einem Wittum ausgestattet. Siehe ODlW ENGELS,Schutz- gedanke und Landesherrschaft im östlichen Pyrenäenraum (9.-13. Jahrhundert) (Spanische Forschungen Il, 14), Münster 1970, S. 93-98. So viel sei hier nur zur Möglichkeit von Mitherr- schaft ohne Reichsteilung gesagt, die übrigens im Osten und Westen ungeachtet aller Unter- schiede in der Mitherrschaftsstruktur etwa zur selben Zeit endete. Noch unklar scheint der Rechtsumfang der Witwenausstattung zu sein; dies kommt im Artikel »Morgengabe« von TH. MAYER-MALYim Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Ill, 1984, Sp. 678-680, und im Beitrag von WOLFGANGGEORGI,Ottonianum und Heiratsurkunde, in: Kaiserin Then- phanu (wie Anm. 27), Bd. Il, S. 135-160, auch zum Ausdruck. War die Witwe berechtigt, nur die aus der dos fließenden Einkünfte zu verwenden oder mit Bestandteilen der dos Stiftungen zu Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 305 schiebung im Herrschaftsverband ein, die darauf hinauslief, den Vorrang des Königs als Alleinherrscher zu steigern, als wichtigste Kräfte im engeren Hofbereich nicht unbedingt mit dem Herrscher verwandte Persönlichkeiten wie den Erz- bischof Willigis oder den Bischof Hildibald zuzulassen 188 und, wie an den Interven- tionen zu beobachten ist, regional bezogene und vom Amt dazu bestimmte Zustän- digkeiten stärker in den Regierungsgeschäften zu berücksichtigen.

IV.

Ungewöhnlich nachhaltig hat das von Percy Ernst Schramm entworfene Bild Kai- ser Ottos Ill. nicht nur in der deutschen Geschichtsforschung gewirkt. Es ist nicht ohne Belang, daß dieser Entwurf in den zwanziger Jahren als Teil einer Übersicht der Entwicklung des römischen Erneuerungsgedankens erarbeitet und veröffent- licht wurde 189. Als Sohn der aus Kleinasien stammenden Kaiserin Theophanu, so lautete der Grundtenor seiner These, und als Schüler des ursprünglich kalabrischen Mönches Johannes Philagathos habe sich Otto vom römischen Erneuerungsgedan- ken erfassen lassen, der in Erinnerung an die einstige Größe der Hauptstadt des römischen Weltreiches in unregelmäßigen Abständen immer wieder auftauchte. Damit seien Frühformen eines supragentilen bzw. pränationalen Zusammengehörig- keitsbewußtseins wieder lebendig geworden, die Otto III. mit seinem Programm, Rom zu seiner wichtigsten Residenz zu machen und die Stadtrömer als das eigent- liche Reichsvolk in Erscheinung treten zu lassen, in reale Politik umzusetzen such- te. Diesem Ziel diente auch die auf uns wie eine gelehrte Spielerei wirkende Ver- wendung von Titeln aItrömischer oder byzantinischer Amtsträger der Jahrtausend- wende. So, wie sich das Kaisertum am Bosporus als die Fortsetzung der römischen Caesaren schlechthin betrachtete, habe auch Otto als Beherrscher der Stadt Rom

gründen, so daß in diesem Falle Teile der dos für immer verloren gingen? UHLlRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 444-448, hat auf das am Hofe strittige Problem aufmerksam gemacht, aber den Rahmen nicht weit genug gezogen. Die Morgengabe diente nicht nur der Versorgung für den Fall des Witwenstandes, sondern im Hinblick auf die - wie auch im Falle Theophanus - hohe Zahl der zugewiesenen Güter, die den Bedarf der persönlichen Versorgung weit überstie- gen, auch der Repräsentation des Hofes. Stiftungen für das Totengedächtnis oder zur Errich- tung geistlicher Institutionen überhaupt, vielleicht auch die Fortführung eines eigenen Hof- staates durch die Witwe, waren ein Teil der Repräsentation. Wenn Theophanu 985 versuchte, Schenkungen aus dem Wittum Adelheids von der Zustimmung des Königs abhängig zu ma- chen, weil der Schenkungsgegenstand de nostra proprietate (MGH D 0 III. 7 b), also königlichen Rechts, sei, dann lag hier eine Einengung der Repräsentationsberechtigung vor, die wiederum aus Sorge um den unverkürzten, äußeren Bestand des Wittums eine Bitte um Bestätigung der dos veranlassen konnte, um bei längerer Abwesenheit vom Hofe nicht in jeder Hinsicht aus dem Hofbereich verdrängt zu werden. Für Schenkungen aus der Masse des Wittums durch königliche Witwen vg!. EICKHOFF,Theophanu (wie Anm. 105), S. 164f., 413-415. 188 Vg!. FLECKENSTEIN,Hofkapelle unter Theophanu (wie Anm. 145), S. 307-310; JOHANNESFRIED, Kaiserin Theophanu und das Reich, in: Festschrift Odilo Engels (wie Anm. 120), S. 166-170, 176-178; HERIBERTMÜLLER,Heribert, Kanzler Ottos Ill. und Erzbischof von Köln, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 60, 1996, S. 26 f. 189 PERCYERNSTScHRAMM,Kaiser, Rom und Renovatio. Studien zu Geschichte des römischen Er- neuerungsgedankens vom Ende des karolingischen Reiches bis zum Investiturstreit (Studien der Bibliothek Warburg XVII 1und 2), 1929 (hier zitiert nach 2. Auflage, Darmstadt 1962). 306 Odilo Engels den gleichen Anspruch erhoben, dabei ebensowenig wie der Osten eine territoriale ' Beherrschung der damaligen Welt angestrebt, wohl aber das ideelle Moment, der Vater aller Völker zu sein, mithin den höchsten Rang in der Welt einzunehmen, vom byzantinischen Hof übernommen. Nur unter dieser Voraussetzung, eine anti- byzantinische Politik mit byzantinischen Mitteln betrieben zu haben, sei zu verste- hen, warum OttoIII. Polen und Ungarn nicht zu erobern getrachtet, sondern sie wie »Patenkinder- als Königreiche in die politische Eigenständigkeit entlassen habe. Reichlich spät erst setzte eine massive Kritik an dieser These ein190• Knut Görich bemängelt vorweg grundsätzlich, daß Schramm vollends unter dem Ein- druck des Interesses der zwanziger Jahre gestanden habe, das Nachwirken der Antike im Mittelalter aufzudecken, und infolgedessen auf der Suche nach einer Vorbildfunktion für den jungen Kaiser an keine andere Möglichkeit gedacht habe. Dabei konnte er den so gesehenen Erneuerungsgedanken nur durch eine den geist- lichen und weltlichen Aspekt künstlich trennende Interpretation nachweisen. Es sei keineswegs selbstverständlich, daß der im Ansatz wiederbelebten antiken Form auch der geistige Inhalt entsprochen haben müsse. Ferner decke sich in zentralen Punkten die kausale Verknüpfung der Interpretation nicht mit den historischen Er- eignissen. Die einfache Gegenüberstellung von kaiserfeindlichen Crescentiern und kaiserfreundlichen Tusculanern reiche nicht aus, um Ottos Verhältnis zum stadt- römischen Adel zu erklären. Ebenso vermißt Görich eine quellenmäßig ausreichend abgesicherte Opposition unter den deutschen Großen gegen die auf Rom konzen- trierte Kaiserpolitik, die Schramm als ein nicht unwichtiges Argument heranzieht. Es sei auch nichts zu erkennen von einem Bemühen des Kaisers, Rom zur Haupt- stadt seines Reiches zu machen und es nicht bei einem Status Roms als sedes regni neben den beiden anderen sedes Pavia und Ravenna zu belassen. Überrascht ist man schließlich über die hohe Zahl von kritischen Einwänden in den von Görich wieder herangezogenen Rezensionen, die sich an der willkürlichen Interpretation mancher Formeln in den Diplomen Ottos III. stoßen, und die von der anschließen- den Forschung weitgehend ignoriert wurden. Daß Görichs Untersuchung nicht ohne Widerspruch blieb'?', konnte nicht aus- bleiben. Wahrscheinlich liegt es am Übergewicht der Demontage des alten, liebge- wordenen Bildes, der zu wenig Ausblicke auf ein konstruktiv neues Bild gegen- überstehen. Immerhin läßt sich eine durchaus berechtigte Tendenz im Bemühen Görichs erkennen, die Rompolitik Ottos Ill. im Kontext einer übergreifenden Ent- wicklung zu sehen, die nicht vom Erneuerungsgedanken des weltlichen Rom be- stimmt ist, sondern vom Bemühen um eine Reform des Papsttums, womit der reli-

190 Siehe KNUTGÖRICH,Otto Ill., Romanus Saxonicus et Italicus. Kaiserliche Rompolitik und säch- sische Historiographie (Historische Forschungen im Auftrag der Historischen Kommission der Akademie der Wissenschaften und der Literatur 18), Sigmaringen 1993. 191 Vg!. MÜLLER,Heribert (wie Anm. 188), S, 28-31 (dort auch die neuesten Stimmen zu Görichs Arbeit). Es handelt sich um eine kritische Überprüfung der Diskussion um das Thema seit Er- scheinen seiner Dissertation »Heribert, Kanzler Ottos Ill. und Erzbischof von Köln« (Veröffent- lichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 33), Köln 1977. Vg!. auch GERDALTHOFF,OttolII. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 1996, S. 114-125, der Görich recht gibt, den von Schramm entwickelten Grundgedanken abgewiesen zu haben, ihn zugleich aber kritisiert, mit dem Hinweis auf eine Reform des Papsttums dem Drang nach Konzeptualisie- rung (eine moderne und deswegen anachronistische Sicht geschichtlicher Vorgänge) nachgege- ben zu haben. Doch irgendetwas muß sich Otto Ill. wohl gedacht haben. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 307 giös orientierten Motivation des Kaisers eine zentralere Bedeutung zukäme 192. Ent- scheidend ist für ihn die erstmalige Berufung Auswärtiger auf den päpstlichen Stuhl, und das gleich zwei Mal hintereinander. Kaiser Heinrich III. habe mit dem gleichen Mittel gearbeitet, um das innerrömische System eines vom Stadtadel ab- hängigen Papsttums aus den Angeln zu heben; was um die Mitte des 11. Jahrhun- derts von nachhaltigem Erfolg belohnt worden sei, habe ein halbes Jahrhundert zu- vor noch nicht gelingen können, wohl nicht nur infolge des frühen Todes Ottos Ill., sondern auch, weil erst das Reformpapsttum rechtzeitig die kuriale Verwaltung durch auswärtige Kräfte zu ersetzen begann. Görich hätte in diesem Zusammen- hang auch auf Otto I. verweisen können, der ja ebenfalls die Inbesitznahme Roms mit religiösen Motiven - zumindest nach Aussagen Liudprands von Cremona - be- gründete 193, allerdings Auswärtige auf den Papststuhl zu berufen noch unterlassen hatte. Und Otto verstrickte sich auch gleich in politische Fragen weltlicher Art, die mit dem Stichwort Rom zusammenhingen. Davon kann man auch Otto III. nicht ausnehmen. Görich bezweifelt, daß das auf das antike Imperium bezogene Erneuerungsprogramm nur die Funktion litera- risch-gelehrter Bildung hatte, und deutet sehr kurz das dringende Erfordernis einer politischen Integration des Reiches an194• Er sieht dieses Bedürfnis in dem Mißver- hältnis begründet, daß die Ottonen von Hause aus Sachsen waren, mit ihrer Königserhebung aber fränkischem Recht folgen mußten, sich jedoch hüteten, dem Vielvölker-Reich eine gemeinsame ethnische Basis zu verschaffen+". Insbesondere die sächsische Historiographie gab dem ottonischen Kaisertum schon vor 982 den römischen Namen 196. Ergänzend läßt sich dann noch die Beobachtung einer seit der Mitte des 10. Jahrhunderts zunehmenden Bereitschaft, sich am römischen Vorbild zu orientieren, hinzufügen; sie betraf kaum Fragen der kirchlichen Disziplin, um so mehr jedoch Elemente, die der Förderung des eigenen Ansehens dienen konnten, sei es die bauliche Gestaltung der eigenen Bischofsstadtl'", sei es das Recht liturgi- scher Besonderheiten 198.

192 Vgl. GÖRICH,OttoIII. (wieAnm. 190), S. 209-249. 193 Siehe oben Anm. 82. 194 GÖRICH,Otto III. (wie Anm. 190), S. 278 f. Vgl. auch EHLERS,Die Entstehung (wie Anm. 4), S. 23. 195 Vgl. schon JOACHIMEHLERS,Schriftkultur, Ethnogenese und Nationsbildung in ottonischer Zeit, in: Frühmittelalterliche Studien 23, 1989, S. 302-317. 196 Vgl. ERNSTKARPF,Von Widukinds Sachsengeschichte bis zu Thietmars Chronicon. Zu den literarischen Folgen des politischen Aufschwungs im ottonischen Sachsen in: Settimane di stu- dio deI centro italiano di studi sull'alto medioevo XXXII2, Spoleto 1986, S. 569. 197 Vgl. HELMUTMAURER,Konstanz als ottonischer Bischofssitz. Zum Selbstverständnis des geist- lichen Fürstentums im 10. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Ge- schichte 39, Studien zur Germania Sacra 12), Göttingen 1973, S. 70-77; mit grundsätzlichen Ausführungen und vergleichenden Hinweisen auf Canterbury, Aachen, Trier, Bamberg und Hildesheim DERS.,Kirchengründung und Romgedanke am Beispiel des ottonischen Bischofs- sitzes Konstanz, in: Bischofs- und Kathedralstädte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. von FRANZPETRI(Städteforschung A I), Köln/Wien 1976, S. 47-59, bes. S. 48 f. und S. 56. Zur Beeinflussung Eichstätts erst im 11. Jahrhundert durch die spätottonische imitatio Romae siehe STEFANWEINFURTER,Sancta Aureatensis Ecclesia. Zur Geschichte Eichstätts in ottonisch-sali- scher Zeit, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 49,1986, S. 21-28. Vgl. auch WOLF- GANGGIESE,Zur Bautätigkeit von Bischöfen und Abten des 10. bis 12. Jahrhunderts, in: Deut- sches Archiv 38, 1982, S. 38B-438. 198 Die Erzbischöfe von Mainz und Trier wetteiferten an der Jahrtausendwende geradezu, päpstli- che Ehrenzeichen wie das Vortragekreuz oder die Schabracke für die Pferde, in der Prozession 308 Odilo Engels

So berechtigt diese Aspekte sind, man muß den Rahmen doch etwas weiterzie- hen. Die Öffnung des Karlsgrabes in Aachen 199, gerade weil sie bei den Zeitgenos- sen auf wenig Gegenliebe stieß, muß für Otto Ill. einen bestimmten Wert gehabt ha- ben. Es ist nicht ganz sicher, ob man den Vorgang schon in die Nähe einer beabsich- tigten, aber nicht zu Ende geführten Kanonisation des großen Kaisers bringen darf, jedenfalls diente der allzu konkrete Rückgriff auf den Begründer des westlichen Kaisertums der Steigerung der kaiserlichen Autorität Ottos. Aachen und Rom be- saßen auf gleicher Ebene eine gemeinsame Funktion; was schon unter Otto I. eine Rolle gespielt hatte, um eine Uberordnung angesichts bedrohlicher Kräfte zu si- chern, wiederholte sich unter Otto Ill. in erheblich gesteigertem Maße, weil die Be- drohung, wie oben zu sehen gewesen war, nicht nachgelassen hatte. Zu beachten ist aber auch eine byzantinische Komponente. Die Rebellion der Römer unter der Führung ihres Patricius CrescentiusIl. Nomentanus gegen den Kaiser nach dessen Abreise im Sommer 996, die Flucht Papst Gregors V.und seines Anhangs aus der Ewigen Stadt im Oktober 996, die Rückkehr des Erzbischofs Johannes Philagathos von Piacenza von der Brautwerbung in Byzanz gegen Jahres- ende 996, dessen Erhebung im Februar 997 zum (Gegen-) Papst unter dem Namen Johannes XVI., dessen Deposition am 25. März als Abt von Nonantola und etwas später auch als Erzbischof von Piacenza, die Wiederbesetzung Roms durch den Kaiser um den 20. Februar 998, die Synode zwecks Absetzung des Gegenpapstes sowie dessen Bestrafung, und die Eroberung der Engelsburg zu Ende April mit der anschließenden Hinrichtung des Crescentius (28. 4.) sind in ihrem äußeren Ablauf bekannt P', Viele Einzelfragen indessen sind in ihren Lösungsansätzen umstritten oder einfach rätselhaft; deshalb muß es auch hier bei Überlegungen bleiben. Da Ottos Mutter eine aus dem byzantinischen Reich stammende Prinzessin war, ist der Wunsch Ottos IlL, sich ebenfalls um eine Braut aus dem byzantinischen Hofbereich zu bemühen, nicht verwunderlich. Auch der Zeitpunkt - etwa ein hal- bes Jahr nach der Schwertleite in Sohlingen - ist nicht ungewöhnlich. Kurz nach dem Aachener Hoftag zu Ostern (21. Apr.) 995 dürften die Brautwerber abgereist sein; von ihnen starb der Würzburger Bischof Bernward schon am 20. September 995 auf der Hinreise, so daß Johannes Philagathos allein in Byzanz eintraf. Als ehe-

übernehmen zu können. Vg!. EGONBOSHOF,Das Erzstift Trier und seine Stellung zu Königtum und Papsttum im ausgehenden 10. Jahrhundert (Studien und Vorarbeiten zur Germania Ponti- ficia 4), Köln/Wien 1972, S. 46-97; unter Berücksichtigung auch Magdeburgs siehe DERS.,Köln, Mainz, Trier - Die Auseinandersetzung um die Spitzenstellung im deutschen Episkopat in otto- nisch-salischer Zeit, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 49, 1978, S. 24-36. Zum Pontifikat des Trierer Erzbischofs Dietrich (965-977) ist auch erstmals der Ehrentitel Roma se- cunda als Beiname für Trier belegt, siehe HEINZTHOMAS,Studien zur Trierer Geschichtsschrei- bung des 11. Jahrhunderts (Rheinisches Archiv 68), Bonn 1968, S. 162 f. Auch wenn die päpst- lichen Privilegien für Erzbischof Dietrich Fälschungen der Jahre 1008/1015 sein sollten (vgl. MOCENSRATHSACK,Die Fuldaer Fälschungen [Päpste und Papsttum 241,Stuttgart 1989,5.277-313; dazu aber HERMANNJAKOBS,ZU den Fuldaer Papsturkunden des Frühmittelalters, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 128, 1992, S. 66-68), haben sie in unserem Zusammenhang ihren Zeugniswert nicht eingebüßt. 199 Vg!. UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 332f.; ALTHOFF,OttoIII. (wieAnm. 191), S. 149-151. 200 Siehe UHLlRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 230-262; HARALDZIMMERMANN,Papstabsetzungen des Mittelalters, Graz/Wien/Köln 1968, 5.105-113; ALTHOFF,OttollI. (wie Anm. 191), 5.100-113; auch MOEHS,Gregorius V. (wie Anm. 147), S. 44-67. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 309 malige Vertrauensperson Theophanus, wegen seiner Kenntnisse in der byzantini- schen Anschauungswelt, aber auch als italienischer Kanzler kam es ohnehin auf sein Geschick an 201. Die Frage, welche Prinzessin als Braut ausersehen war, ist nicht müßig; denn der Basileus Basileios 11.,ein willensstarker und kriegerischer Herr- scher, blieb zeitlebens unverheiratet. Infrage kommen deshalb nur die beiden Töch- ter des Mitkaisers Konstantin VIII., zugleich der Bruder des Basileios, im Unter- schied zu diesem eine zur Herrschaft wenig geeignete Persönlichkeit. Ob nun Zoe oder die Auserwählte war202, die Brautwerbung hatte Schwierigkeiten besonderer Art. Soweit sie nicht nur eine Angelegenheit des Prestiges war, sondern auch eine politische Seite besaß, hatte es wohl wenig Sinn, mit Konstantin zu ver- handeln; Basileios indessen war nur selten anzutreffen. Nachdem er dank der ent- scheidenden Hilfe des Kiewer Großfürsten Wladimir seine vollständige Entmach- tung 989 abgewendet und widerwillig seine Schwester Anna, als Gegenleistung für die militärische Hilfe zur Ehe versprochen, nach Kiew abgetreten hatte, machte er sich an die Entmachtung des zu Aufruhr und Thronraub bereiten byzantinischen Landadels, die in einer 996 erlassenen Ergänzung zur älteren Gesetzgebung gipfel- te, wonach die vierzig Jahre währende Pflicht, gesetzeswidrig erworbenes Land zurückzuerstatten, erheblich verlängert wurde. Nicht nur deshalb hielt sich Basilei- os in den Jahren 996-998 in Byzanz auf. Schon seit dem Frühjahr 991 hatte er selbst den mehrjährigen Krieg gegen den Bulgarenzaren Samuel geführt und 995 persön- lich den Angriff auf Aleppo in Syrien geführt, einige Jahre später kümmerte er sich zwischenzeitlich vor Ort auch um die Verhältnisse im Kaukasusgebiet. Während- dessen expandierte die Herrschaft des Bulgarenzaren auf dem Balkan. Zwar wurde dieser 997 auf dem Rückweg von der Peloponnes durch den byzantinischen Feld- herrn Nikephoros Uranos empfindlich geschlagen, konnte 998 aber den wichtigen Hafen Durres und TeileSerbiens besetzen. Erst 1001fand Basileios 11.Zeit, vom Na- hen Osten auf den Balkan zu wechseln und nach klar durchdachtem Plan mit einer Generaloffensive gegen die Bulgarenherrschaft zu beginnen, die 1005 zu entschei- denden Ergebnissen führte+". Diese wenigen Daten können bereits in etwa erklären, warum der Metropolit Leo von Synada, der als Gesandter des byzantinischen Hofes den Johannes Phil- agathos nach Italien begleitete, die Aufgabe hatte, die Angelegenheit der Brautwer-

201 Vg!. UHLlRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), 5.180. 202 GUNTHERWOLF,Die byzantinisch-abendländischen Heirats- und Verlobungspläne zwischen 750 und 1250, in: Archiv für Diplomatik 37, 1991, S. 22f., und ausführlicher DERS.,Kaiserin Theophanu, Prinzessin aus der Fremde - des Westreichs große Kaiserin, Köln 1991, S. 212-222, möchte Theodora vorziehen, weil sie 1001, als eine zweite Brautwerbung nach Byzanz abging, als soeben Zwölfjährige das heiratsfähige Alter erreicht hatte und über sie als der jüngeren Tochter die Gefahr einer Übernahme des Ostreiches durch Einheirat (beide Kaiser waren söhnelos) nicht gegeben gewesen sei; letztlich aber läßt er die Frage offen. Die (älteste) dritte Tochter Eudokia kam nicht in Frage, weil sie ihres entstellten Aussehens wegen in ein Kloster geschickt worden war. Obwohl der als Sekretär des Basileios bestens unterrichtete Chronist Konstantinos/Michael Psellos vieles über die beiden Töchter mitteilt, so auch die reichlich spä- ten Heiraten, berichtet er von der Verlobung mit Otto Ill. nichts. 203 Vg!. GEORGOsTROGORSKY,Geschichte des byzantinischen Staates, München 31963, S. 255-261; mit präziserer Datierung auch Orro MAZAL,in: Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 1, hg. von THEODORScHIEFFER,Stuttgart 1976, S. 842 f. 310 Odilo Engels

bung hinauszuzögern, aber letztlich nicht scheitern zu lassen 204. Als die beiden ge- gen Jahresende 996 in Italien eintrafen, waren die Wirren in Rom und die wachsen- de Bulgarengefahr auf dem Balkan bereits in vollem Gange; im Unterschied zu sei- nen Vorgängern vermied es Basileios, durch häufigen Frontwechsel seine Kräfte zu verzetteln, ohne die Bekämpfung des Bulgarenherrschers aus dem Auge zu verlie- ren. Crescentius, schon anläßlich der Kaiserkrönung wegen seiner selbstherrlichen Stadtherrschaft zur Verantwortung gezogen und nur durch Intervention Gregors V. der Strafe der Verbannung entkommen, war zweifellos die treibende Kraft der Rebellion 205. Nach dem Fiasko der Italienpolitik Ottos n. konnte er sich offenbar eine erneute Aufrichtung kaiserlicher Machtentfaltung in Rom nicht vorstellen; Gregor V. mußte ihm unter diesen Umständen als Statthalter der kaiserlichen Prä- senz in der Stadt erscheinen, zumal er die Restitutionspolitik der kirchlichen Güter energisch fortführte. Den Papst zu vertreiben und ihn durch einen der griechischen Welt verbundenen Nachfolger zu ersetzen, der dem Kaiser auf Grund seiner frü- heren Tätigkeit akzeptabel erscheinen konnte, war die politische Seite des Gesche- 206 hens • Sie hatte aber auch eine rechtliche Seite. Als Bischof hatte sich Gregor unter Verletzung seiner Residenzpflicht aus der Stadt entfernt. So hatte das römische Konzil von 965 dem vor Otto dem Großen nach Tivoli geflohenen Papst Johannes XII. die Abwesenheit zu einem Punkt der Anklage gemacht, die auf Absetzung ziel- 207 te • Noch deutlicher ist das zweite zeitgenössische Beispiel, Adalbert von Prag208• Seine Erhebung zum Bischof von Prag wahrscheinlich schon im Februar 983 durch Kaiser Otto n. war ein politisch motivierter Akt gewesen; als Angehöriger des be- deutenden Geschlechts der Slavnikiden, das mit den Ottonen wahrscheinlich ver- wandt war, sich jedenfalls in einer mörderischen Rivalität mit dem böhmischen Herzogsgeschlecht der Pi'emysliden befand, schien er dem kaiserlichen Hof eine hoffnungsvolle Stütze im Rücken des unzuverlässigen und wegen seiner guten Be- ziehungen zu diversen Oppositionsgruppen im Reich gefürchteten Böhmenher- zogs. Adalbert indessen zeigte sich zur Machtpolitik zunehmend untauglich; er schuf sich einen Namen als pflichtbewußter Seelsorger mit starken Neigungen zur eremitischen Spiritualität. Das erste Mal entfloh er 989 den ihm unerträglich schei- nenden Verhältnissen, gab in Rom den Plan einer Pilgerfahrt nach Jerusalem auf und wurde 991 nach Theophanus Tod {und bezeichnenderweise mit Beginn der Re- gentschaft Adelheids) auf Bitten des Böhmenherzogs und auf Betreiben des zustän- digen Metropoliten Willigis nach Prag zurückbeordert. Bevor Boleslav 11.von Böh- men 995 die Familie der Slavnikiden auslöschte, konnte Adalbert noch rechtzeitig

204 Vgl. IGORSEVCENKO,Byzanz und der Westen im 10.Jahrhundert, in: Kunst im Zeitalter der Kai- serin Theophanu, Akten des Internationalen Colloquiums, veranstaltet vom Schnütgen-Muse- um Köln 13.-1S.Juni 1991, hg. von ANTONVONEuw und PETERScHREINER,Köln 1993, S. Sf. 205 Vgl. Armales Quedlinburgenses ad a. 997 (wie Anm. 20), S. 74; Thietmar, Chronik, IV c. 30 (wie Anm. 11), 5.167. 206 Im äußeren Ablauf folge ich hier ZIMMERMANN,Papstabsetzungen (wie Anm. 200). 207 Liudprand von Crernona, De Ottone rege, c. 10-15, ed. JOSEPHBECKER,MGH SS rer. Germ. 41, 5.166-172. Dazu ZIMMERMANN,Papstabsetzungen (wie Anm. 200), 5.84-87. Vgl. auch HEHL, Der wohlberatene Papst (wie Anm. 80), S. 262f., mit dem rechtlich ebenso relevanten Hinweis auf die Tatsache, daß die ohne seinen Willen in seiner Kirche zusammengetretene Synode illegi- tim gewesen sei. 208 Vg!. UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 212-215; JOHANNESFRIED,Otto Ill. und Boleslaw Chrobry (Frankfurter Historische Abhandlungen 3D), Stuttgart 1989, 5.14-17. Überlegungen zur ottonischen Herrschansstruktur 311 entkommen und wiederum Zuflucht im römischen Kloster San Bonifacio e San Ales- sio finden. Ob die Verhältnisse in Prag schon auf der Ingelheimer Synode im Februar 996 Gegenstand von Beratungen waren, ist nicht erwiesen; auf der römischen Syn- ode im Anschluß an die Kaiserkrönung jedenfalls scheint es wiederum Willigis ge- wesen zu sein, der auf einer Rückkehr Adalberts bestand 209. Lediglich auf eine mündliche Rücksprache hin erreichte der Bischof von Gregor V.die kirchenrechtlich zulässige Erlaubnis, in die Mission zu gehen, wenn eine Wiederaufnahme der bischöflichen Arbeit in Böhmen scheitern sollte-!'', Heute würde diese rigorose An- wendung einer nur formal gesehenen Residenzpflicht auf wenig Verständnis stoßen; dieses Verständnis war aber auch schon damals nicht ganz konfliktfrei. Als im November 997 in Aachen die zweite Italienfahrt des Kaisers beschlossen wurde, fehlte Willigis nicht nur unter denen, die den Herrscher begleiten sollten, sondern auffallenderweise wurde auch nicht ihm, sondern der Äbtissin Mathilde von Qued- linburg die Fürsorge für das Reich nördlich der Alpen anvertraut!". Verschiedene Gründe für Differenzen zwischen ihm und OttoIlI. ließen sich geltend machen. Wenn schon die für den Kaiser schmerzvolle Nachricht über den Märtyrertod Adal- berts dazu gehörte und die gewaltsame Rückführung des Papstes Gregor das Hauptziel des Italienzuges war, dann mußte sich für Willigis die Frage stellen, wa- rum ein einfacher Bischof wie Adalbert trotz evidenter Lebensgefahr in seine Bi- schofsstadt zurückgezwungen werden sollte, während Gregor - der zwar mehrfach dringend um militärische Hilfe zwecks Rückkehr gebeten hatte, weil ohne sie an ein Überleben in Rom nicht zu denken war - mit dem Vorwurf der verletzten Residenz- pflicht von lateinischer Seite nirgends konfrontiert wurde. Es ist nicht mit der Antwort getan, ein Papst habe auf Grund seiner universal- kirchlichen Verpflichtungen häufigere und weite Reisen nicht vermeiden können, denn so lange war es noch nicht her, daß ein Papst sein römisches Bistum verließ. Wenn man hört, daß es erst die dem ottonischen Kaisertum verbundenen Päpste Johannes XIII. und Benedikt VII. oder auch Johannes XV.in seinen beiden letzten Pontifikatsjahren waren, die sich vorübergehend außerhalb Roms aufhielten, ver- steht man, warum johannes Philagathos bei seiner Rückkehr aus Byzanz den römi- schen Bischofsstuhl als vakant betrachtete-". Die Frage, wer die treibende Kraft bei der Erhebung des Gegenpapstes war, ist eigentlich müßig. Ohne den Willen des Crescentius konnte ein solcher Vorgang in Rom nicht stattfinden, und das nicht im Sinne bloß einer Zustimmung, sondern einer Einsetzung immerhin des Stadt- herrn 213; war er es doch, der im Herbst 997 die kaiserlichen Gesandten ins Gefäng-

209 Vg!. WOlTER,Die Synoden (wie Anm. 13), 5.142-151. 210 Vg!. UHLlRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 215. 211 Vg!. ebd., S. 249 f. 212 So der Zeitgenosse Johannes Diaconus, Chronicon Venetum, ed. G. MONT1COLO,Fonti per la sto- ria d'Italia 9, 1890, 5. 153 f.: Johannes Grecus Placentinae aecclesiae presul Constalltillopoli cum Gre- corum imperaioris legato reversus Romam adivit; qui dum apostolicam sedem, abiecto a lohannis Cres- centii temeritate pastore, vacuam repperiret, invadere contra imperialem decretum minime [ormidaoii, Die Bemerkung contra ... decretum bezieht sich wohl auf die von Otto dem Großen nach der Auflehnung [ohannes' XII. den Römern auferlegte Bestimmung, vor einer Papstwahl die Zu- stimmung des Kaisers einzuholen. 213 Vg!. Armales Altahenses maiores ad a. 997 (wie Anm. 97), S. 16; Arnulfi gesta archiepiscoporum Mediolanensium, I c. 10,ed. LUOWIGBETHMANN/WILHELMWATTENBACH,MGH 55 8, 5.10; Anna- les Hildesheimenses ad a. 997 (wie Anm. 144), S. 27: aposiolicam sedem [actione Crescentii invaserat. 312 Odilo Engels

nis werfen ließ, die mit dem verhandlungsbereiten Johannes XVI. hatten sprechen wollen. Zu verstehen ist seine Haltung nur aus dem begrenzten Horizont einer auf die Stadt Rom bezogenen Sicht. Rätselhafter erscheint demgegenüber das Verhal- ten des Johannes Philagathos. Nilus von Rossano (dem Heimatort auch des [ohan- nes) warf ihm anläßlich der Papstabsetzung übertriebenen Ehrgeiz vor. Und der Gesandte Leo schildert ihn in seinen Briefen-" an byzantinische Adressaten als einen eitlen Schwätzer, den abgesetzt zu sehen ihm nur Freude bereiten könne. Nicht nur, weil Johannes Philagathos ein Vertrauter Theophanus und einer der Lehrer Ottos Ill. gewesen war, weckt dieses Urteil Mißtrauen, sondern auch, weil Leo zu- geben muß, an der Erhebung des Gegenpapstes mitgewirkt zu haben. Das freilich war in seinem Auftrag nicht inbegriffen gewesen, weswegen er in seinen Briefen die Befürchtung nicht unterdrücken kann, das von ihm mitverschuldete Gegen- papstturn könne auf den Unmut des Basileus stoßen; ein Grund mehr, die von [ohannes XVI.ausgehende Gefahr herunterzuspielen. Unter diesen Umständen ist die Annahme nicht ganz unglaubwürdig, daß Crescentius II. in seinem Bemühen, die faktische Unabhängigkeit Roms wiederzugewinnen, sich des griechischen Metropoliten bediente, um Johannes Philagathos zur Annahme der Papstwürde zu bewegen, da er angesichts der alten Verbundenheit des Mönches mit der west- lichen Kaiserfamilie auf eine Kompromißbereitschaft Ottos Ill. hoffen zu können glaubte. Folglich scheint sich Johannes Philagathos mißbraucht haben zu lassen, obwohl er um seine prekäre Rechtssituation gewußt haben muß. Hielt er sich an die ältere Anschauung von der bischöflichen Residenzpflicht, die auch einem Papst noch keinen anderen Maßstab zubilligte, so daß er gegen den aus der Zeit des Sym- machus stammenden Leitsatz, zu Lebzeiten eines Papstes dürften keine Abma- chungen über seinen Nachfolger getroffen werden 215, nicht verstieß, so war er auch hinsichtlich des Erlaubtheitsgrades seines Wechsels vom Bischofsstuhl von Piacen- za auf den römischen kundig genug. In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts hatten mehrere Päpste bei Antritt ihres neuen Amtes die bischöfliche Cathedra ge- wechselt, ohne Anstoß zu erregen. [ohannes behielt trotz Antritt seines Papstamtes die Leitung des Bistums Piacenza bei, wohl wissend, daß griechische Vertreter ihn sonst als »Ehebrecher« hätten bezeichnen können216• Offenkundig waren alle - Cre- scentius, Johannes Philagathos und Leo von Synada - darin einer Fehlkalkulation erlegen. Die Kaiserkrönung Ottos des Großen erwies sich, wie es scheint, erst aus späterer Rückschau als die Zäsur, die Rom politisch in ein neues Umfeld stellte. Zu- mindest waren das Fiasko Ottos 11.von 982 und sein Tod im nächsten Jahr mit der anschließend umstrittenen Thronfolge dazu angetan, den Eindruck einer mehr als nur nominellen Kaiserherrschaft in Rom zu verwischen.

214 Vg!. die Übersetzung und Kommentierung der Briefe von PERCYERNSTSCHRAMM,Neun Briefe des byzantinischen Gesandten Leo von seiner Reise zu OUo Ill. aus den Jahren 997-998, in: Byzantinische Zeitschrift 25,1925, S. 89-105; vg!. die Ausgaben von JEANDARROUZES,Epi- stoliers byzantins du X" siecle (Archives de lOrient chretien 6), Paris 1960, S. 165-210, und M.P. VINSON,The Correspondence of Leo, Metropolitan of Synada and Syncellus (Corpus Fontium Historiae Byzantinae 23), Washington 1985, S. 2-23 und S. 93-103. 215 Vg!. ZIMMERMANN,Papstabsetzungen (wie Anm. 200), 5.109. 216 Vg!. SEBASTIANScHOLZ,Transmigration und Translation. Studien zum Bistumswechsel der Bischöfe von der Spätantike bis zum Hohen Mittelalter (Kölner Historische Abhandlungen 37), Köln 1992, S. 245-247. 'Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 313

Vor diesem Hintergrund hat man die harte Bestrafung der beiden Schuldigen, Crescentius und Johannes XVI., zu sehen. Aber das war es nicht allein, denn [ohan- nes Philagathos war Grieche, wurde 998 more Graecorum bestraft, und von ihm schrieb, wenn auch etwas später, der Mailänder Arnulf, Johannes XVI. solle auf listige Weise versucht haben, die Zierde des Römischen Reiches auf die Griechen zu übertragen 217. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist jedoch diese Nachricht schon das Ergebnis eines Verfremdungsprozesses in der historischen Erinnerung. Man sollte deshalb eher fragen, was die Art der Bestrafung bedeutete. Gewöhnlich wird auf die Grausamkeit der Bestrafung aus Haß hingewiesen, ohne sich zu vergewärti- gen, daß die Durchführung einer Absetzungssentenz auch im Westen nicht gerade zivilisiert vor sich gehen konnte. In der lateinischen Kirche verlor der abgesetzte Bischof sein Amt und die Würde eines Klerikers mit Rechten und Einkünften; das Depositionszeremoniell bestand aus der Wegnahme der liturgischen Geräte und der zum Weihegrad gehörigen Gewänder, die bei dieser Gelegenheit häufig zerrissen wurden. Um eine spätere Wiedereinsetzung in das bischöfliche Amt zu verhindern, genügte die Einweisung in ein Kloster vielfach nicht, sondern es wurde zusätzlich noch das Fleisch an den Weihefingern und die Tonsur entfernt (also die Kopfhaut skalpiert)!". Demgegenüber scheint die Absetzung Johannes' XVI. in zwei Teile zu zerfallen. Der Gegenpapst wurde in seinem Versteck unweit von Rom entdeckt, an Augen, Nase, Zunge und Ohren verstümmelt und in diesem erbärmlichen Zustand in ein Kloster befördert. Wer diese Maßnahmen durchgeführt hat, bleibt unklar, je- denfalls müssen sie auf eine vorausgegangene Gerichtssitzung zurückgehen, die letztlich wohl darauf abzielte, Johannes als Stadtherrn amtsunfähig zu machen-'", Die Deposition als Bischof erfolgte erst auf der römischen Synode im Mai 998, die in der Wegnahme seiner Amtskleidung bestand 220. Zum Gespött der Volksrnas- sen, rückwärts auf einem Esel sitzend und dessen Schwanz wie einen Zügel be- nutzend, durch die Stadt reiten zu müssen, war eine zusätzliche entwürdigende Bestrafung F'. Crescentius hingegen erklärte sich erst nach zweimonatiger Bela- gerung der Engelsburg zu Verhandlungen mit dem Kaiser bereit, die dann schei- terten, so daß er nach tumultuarischem Kampf in der Burg gefangengenommen werden konnte. Er wurde enthauptet, sein Leichnam von Rindern durch den

217 Arnulfi gesta archiepiscoporum Mediolanensium, I c. 11 (wie Anm. 213), S. 9f.: De quo (se. [ohanne) dictum est, quod Romani decus imperii astute in Graecos transferre temptasset. 218 Vgl. WOLFGANGGEORGI,Erzbischof Gunthar von Köln und die Konflikte um das Reich König Lothars 11. Überlegungen zum politischen und rechtlichen Kontext der Absetzung durch Papst Nikolaus I. im Jahre 863, in: Jahrbücher des Kölnischen Geschichtsvereins 66, 1995, S. 29 f. 219 Diesen Teil als gesonderte Sentenz erkannt zu haben, ist das Verdienst von AUGUSTNITSCHKE, Der mißhandelte Papst. Folgen ottonischer Italienpolitik, in: Staat und Gesellschaft in Mit- telalter und Früher Neuzeit, Gedenkschrift Joachim Leuschner, Göttingen 1983, S. 40-53. 220 Vg!. WOLTER,Die Synoden (wie Anm. 13), S. 158. Die Leitung der Synode hatten der Kaiser und Papst Gregor gemeinsam inne, wahrscheinlich, weil der Kaiser von seinem Amt her mit einer Papstdeposition befaßt war, so jedenfalls noch auf dem Konstanzer Konzil (vg!. OOILOENGELS, Der Reichsgedanke auf dem Konstanzer Konzil, in: Historisches Jahrbuch 86, 1966, S. 80-106). 221 Vg!. BERNDScHWENK,Das Hundetragen, ein Rechtsbrauch im Mittelalter, in: Historisches Jahr- buch 110, 1990, S. 289-308. Nicht der Hund, sondern das Spießrutenlaufen (mit einem Standes- gegenstand) wurde als entwürdigend empfunden. Die Strafe kam in der Ottonenzeit auf, und muß nicht östlicher Herkunft gewesen sein, weswegen wohl auch Nilus protestierte. 314 OdiloEngels

Schmutz der Straßen bis zum Monte Mario gezogen und dort mit den Beinen an einem Kreuz aufgehängt 222. Es waren Strafen nach oströmisch-byzantinischem Recht, und sie stimmen mit Strafen überein, die in Anwesenheit schon Ottos I. in Rom über den Stadtpräfekten verhängt und auch in Ravenna vollzogen worden waren, als sich Otto Ill. 996 im Exarchat aufhielt. Erinnert sei auch an den Verstümmelungsversuch an Papst LeoIII. gegen Ende des 8. Jahrhunderts. Da es sich 996 im Exarchat um einen Grafen Rudolf und seine Helfershelfer Harimund und Raimund gehandelt hat 223, kann nicht unbedingt eine nur personenbezogene Rechtsgrundlage für das Gerichts- urteil zur Anwendung gekommen sein; sie nämlich könnte man vermuten, was die Bestrafung Johannes XVI. angeht, weil er seiner Herkunft nach ein Grieche war. August Nitschke schließt stattdessen, bemerkenswerterweise als erster, nicht aus, daß die, wie es scheint, territorialbezogene Rechtsgrundlage ein Indiz für die da- malige Anschauung von der Zugehörigkeit der römisch-päpstlichen Gebiete in Ita- lien zum oströmisch-byzantinischen Reich sein könne 224. Die - modern gesprochen - staatsrechtliche Stellung des Papsttums bis in die Zeit Pippins des Jüngeren zurückzuverfolgen, würde den hiesigen Rahmen spren- gen. Aus dieser Sicht allein ist auch nicht eine vollständige Antwort zu erreichen. Denn neuerdings wird auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, daß der Hof in Konstantinopel im 10.Jahrhundert, freilich ohne offizielle Erklärung, auf Rom und den Exarchat zugunsten des westlichen Kaisertums verzichtet habe 225. Ausgangs- punkt ist eine Äußerung des Kaisers Konstantin VII. Porphyrogennetos kurz vor der Mitte des 10. Jahrhunderts in seiner Schrift »De Thematibuse P: »Sizilien be- fand sich früher nicht unter der Herrschaft des Basileus von Konstantinopel, solan- ge Rom dem Basileus gehorchte; jüngst aber kam es zu einer Neuerung, da Rom die kaiserliche Herrschaft ablegte und (seither) die Selbstherrschaft hat und von dem jeweiligen Papst regiert wird. Daher befindet sich Sizilien heute unter der Verwal- tung Konstantinopels, denn der Kaiser von Konstantinopel beherrscht das gesamte innere Meer bis hin zu den Säulen des Herkules«. Dem steht das schon erwähnte Gespräch Liudprands von Cremona mit dem Basileus Nikephoros Phokas im Jahre 968 entgegen, demzufolge dieser Basileus die Stadt Rom als Bestandteil seines Rei- ches für sich reklamierte und Liudprand ihm dies auch zugestand, die Herrschaft Ottos I. in Rom aber mit einer dringend erforderlichen Erneuerung der Stadt be- gründete?", Telemachos Lounghis schließt daraus auf zwei Ideologien über den Umfang des oströmisch-byzantinischen Reiches. Der Makedonenkaiser paßte - übrigens noch ohne Kenntnis der Kaiserkrönung Ottos I. - den Anspruch des by- zantinischen Gebietes in Italien der Realität an, der Soldatenkaiser Nikephoros Phokas hingegen griff den alten Anspruch wieder auf. Schon weil Nikephoros die

222 Vg!. UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 261 f. und Exkurs XVI,S. 526-533. 223 Ebd., S. 202; vg!. auch MÜLLER,Heribert (1977) (wieAnm. 191), 5.111, dazu DERS.,Heribert (wie Anm. 188), S. 31. 224 NITSCHKE,Der mißhandelte Papst (wie Anm. 219), bes. S. 48 f. 225 Vgl. TELEMACHOSC. LoUNCHIS, Die byzantinische Ideologie der »begrenzten Ökurnene« und die römische Frage im ausgehenden 10.Jahrhundert, in: Byzantinoslavica 56, 1995, S. 117-128. 226 Constantino Porfirogenito, De Thematibus, II 10, ed. A. PERTUSI,Studi e Testi 160, Vatikan 1952, S. 94. Übersetzung nach LOUNCHIS, Die byzantinische Ideologie (wie Anm. 225), S. 118. 227 Siehe oben Anm. 82. Überlegungen zur ottonischen Herrschaitsstrukiur 315

Mitkaiser aus der Makedonenfamilie von der kaiserlichen Herrschaft ferngehalten habe, machten sich dessen Nachfolger - ihre Abneigung gegen ihn äußerte sich in mancher Bemerkung historischen Charakters - die Vorstellungswelt Konstan- tins VII. zu eigen; sie ließen den Rombezug im Kaisertitel fallen und sprachen von Konstantinopel als dem neuen Rom. Die Frage ist nur, ob man insgesamt von einem Entweder-Oder oder nicht besser von einem Sowohl-Als-Auch sprechen sollte; denn Leo von Synada betrachtete rund 30 Jahre nach dem Tod des Nikephoros Phokas die Stadt Rom als innerhalb des byzantinischen Machtbereiches liegend, weswegen er, wie er in seinen Briefen übertreibend behauptet, Päpste ein- und ab- setzen könne 228. Man hat in Rechnung zu stellen, daß Konstantin VII. das Thema »Sikelia« un- ter Einschluß des Themas »Kalabria- behandelte. Die Insel Sizilien war zu seiner Zeit schon an die Sarazenen verloren gegangen; Kalabrien stand für die Halbinsel des Festlandes, in Erinnerung an die frühere Gemeinsamkeit der Verwaltung je- doch pflegte man in amtlichen Schriften Kalabrien unter dem Namen Sizilien zu führen?". Unter dieser Voraussetzung scheint der Kaiser auf den Bilderstreit im 8. Jahrhundert anzuspielen. Papst Gregor Ill. sprach 730 auf die Nachricht von der befohlenen Vernichtung aller Kultbilder hin über die Ikonoklasten das Anathem aus; Kaiser Lean Ill. reagierte darauf mit einer unangemessen hohen Steueranhe- bung, welche die Güter der römischen Kirche in Kalabrien und Sizilien praktisch wertlos machte, und zwang die dortigen, bisher zum Patriarchat des Westen gehörenden Kirchen in die Jurisdiktionsabhängigkeit vom Patriarchen in Konstan- tinopel. Diese Maßnahme unter anderem trieb 754 das Papsttum in die Arme des Frankenherrschers. Von dort schlägt Konstantin VII. unter Umgehung der Karolin- gerherrschaft in Italien einen kühnen Bogen über nahezu zwei Jahrhunderte in sei- ne jüngste Vergangenheit, ohne freilich die Bemühungen Ottos 1. um Rom schon zu kennen. Der ganze Rest der byzantinischen Herrschaft in Süditalien - Apulien, Lu- kanien, Benevent, Capua, Salerno, Neapel, Amalfi und Gaeta - waren zum Thema »Langobardien« zusammengefaßt. Der Name sagt schon vieles. Als einziger Teil des Langobardenreiches hatte sich Benevent - oft genug mit Capua in gemeinsa- mer Herrschaft verbunden - von einer dauerhaften Besetzung durch die Franken frei halten können. Nach dem Tod Kaiser Ludwigs II. (875)war es den Griechen be- schieden, den südlichen und südöstlichen Teil des Herzogtums Benevent von sara- zenischen Einbrüchen zu säubern und vor neuen Einbrüchen zu bewahren. Trotz der dominierenden Stellung der Byzantiner in diesem Raum bis zur Kaiserkrönung Ottos I. blieben zahlreiche Kirchen dort dem lateinischen Ritus verbunden, große Teileder Bevölkerung lebten nach langobardischem Recht; die großen Städte an der Adriaküste hingegen waren vom griechischen Element beherrscht, zumal die Ver- waltung - die 969 durch die Einführung des Katepanats noch gestärkt wurde - in griechischer Hand lag230• Das Herzogtum Benevent bildete zur Zeit der Ottonen den Stein des Anstoßes. Seitens der Byzantiner war es nicht pure Willkür, auch noch die unbesetzte nördli-

228 Vg!. SEVCENKO,Byzanz und der Westen (wie Anm. 204), 5.6. 229 Vg!. VERAVONFALKENHAUSEN,Untersuchungen über die byzantinische Herrschaft in Süditalien vom 9. bis 11. Jahrhundert, Wiesbaden 1967, 5. 26-28. 230 Ebd., 5. 29ff., 48ff., 103ff. 316 Odilo Engels

ehe Hälfte des Herzogtums zu beanspruchen. Verständlicherweise lehnte sich der Herzog an Otto den Großen an, sobald dieser in Rom erschien. Die Erhebung Capuas zur Metropole einer neuen Kirchenprovinz im Jahre 966 durch Otto war für den Basileus ein Signal, auf der Hut zu sein. Er erhob 967/968 den Bischofssitz von Otranto - der einzigen Stadt Apuliens, die erst mit dem Verlust der Insel Sizilien dem Thema »Langobardia« zugeschlagen wurde, also niemals in langobardischer Hand gewesen war, deshalb auch nach wie vor den wichtigsten Hafen zur Über- fahrt nach Durres bildete - zur Metropole und unterstellte ihr als Suffragane die nicht direkt benachbarten Bistümer Acerenza, Tursi, Gravina, Matera und Tricarico in Lukanien-", Kurz darauf stellte Nikephoros Phokas dem Sohn des entmachteten Berengar von Ivrea, Adalbert - seit Dezember 950 Mitkönig von Italien - eine Flotte zur Verfügung, um von Byzanz aus sein altes Königreich zurückzugewinnen. Dies war einer der Gründe, die Otto I.zum militärischen Eingreifen in Apulien veranlaß- ten. In diesem Zusammenhang wurde auf Betreiben Ottos 969 - wohl als Antwort auf die Gründung der Kirchenprovinz Otranto - auch Benevent zum Erzbistum erhoben. Das Ringen mit Byzanz um eine Vormachtstellung in diesem Raum steigerte sich unter Otto Il. 232. Die Annales Sangallenses maiores berichten zum Jahr 982, Otto hätten die Grenzen Italiens mißfallen; deshalb sei er ausgezogen, um Campa- niam, Lucaniam, Calabriam, Apuliam et omnes ulteriores partes Italiae usque ad mare Sicu- lum et porium Traspitem zu besetzen. Nachdem der Basileus vergeblich gewarnt hat- te, schickte dieser Sarazenen aus Sizilien und anderen Inseln sowie aus Afrika und Ägypten gegen Otto n.,die diesem eine große Niederlage bereiteten 233. Die hier we- nig präzise angegebenen Gründe für die Heerfahrt des Kaisers in das byzantinische Unteritalien kann man als Ausfluß reiner Eroberungslust deuten, womöglich noch versehen mit einer neuen Konzeption, was alles man von Italien beherrschen müs- se, wenn man es schon besitze. Oder man kann konkrete Anlässe in die Überlegun- gen einbeziehen, die den Kaiser in Zugzwang bringen mußten. Um doch noch in Rom die Kaiserkrone zu erlangen und sich dafür vor byzantinischer Einflußnahme abzusichern, hatte König Hugo von Arles 944 seine Tochter Berta im Heiratsvertrag mit Romanos Il. mit Benevent und Capua als Mitgift ausgestattet und so den An- spruch der Byzantiner auf die beiden Herzogtümer anerkannt P', Schon im Jahr darauf mußte Hugo als König Italiens zurücktreten. Otto I. erreichte 967 die Huldi-

231 Ebd., S. 48, 69 und 127. 232 WOLFGANGGIESE,Venedig-Politik und Imperiums-Idee bei den Ottonen, in: Herrschaft, Kirche, Kultur. Beiträge zur Geschichte des Mittelalters. Festschrift Friedrich Prinz, hg. von GEORG JENAL,Stuttgart 1993, S. 219-243, überzeichnet diese Linie etwas, wenn er S. 227f. einen Bruch zwischen der noch am Vorbild Karls d. Gr. orientierten Italienpolitik Ottos I. und der Kaiseridee Ottos 11.sieht, zu deren Selbstverständnis die direkte Herrschaft über die gesamte italische Halbinsel gehört habe. OttoIlI. sei im Vergleich zu seinem Vater wesentlich moderater gewesen (So235 ff.), zumallaut BRÜHL,Deutschland (wie Anm. 1), S. 610, Unteritalien in dessen Politik so gut wie keine Rolle gespielt habe. Gieses Hauptaugenmerk gilt ohnehin dem Verhältnis der drei Ottonenkaiser zu Venedig, speziell dem rätselhaften heimlichen Besuch Ottos Ill. in der Lagunenstadt imAprilIOOl. 233 Armales Sangallenses maiores ad a. 982, ed. ILDEFONSVONARX,MGH SS I, S. 80. Vg!. dazu EICK- HOFF,Theophanu (wie Anm. lOS),S. 63-65, dazu S. 539, Anm. 10 f. 234 Vg!. HIESTAND,Byzanz (wieAnm. 31), S. 185f. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 317 gung der Fürsten Benevents, Capuas und Salernos; weil der Basileus Johannes Tzimiskes, Nachfolger des Nikephoros Phokas, wegen der Bulgarengefahr Ruhe in Unteritalien brauchte, entließ er im Sommer 970 den Beneventer Herzog Pandulf Eisenkopf aus der Gefangenschaft, weswegen der Kölner Erzbischof Gero - im Un- terschied zu Liudprand vorher mit Erfolg - als Brautwerber nach Byzanz geschickt werden und dieser als Mitgift für Theophanu die Herzogtümer Benevent und Capua aushandeln konnte-", Pandulf Eisenkopf war ein dem ottonischen Kaiserhaus ergebener und erfolg- reicher Vasall; sein Tod im März 981 leitete den Zerfall seiner Territorialmacht ein. Pandulfs gleichnamiger Sohn mußte aus Salerno fliehen, Landulf IV. - ein weiterer Sohn - mußte aus Benevent nach Capua ausweichen. Die ottonische Vormacht im südlichen Vorfeld Roms war ernsthaft gefährdet. Otto n. begann wohl deswegen im März 982 seinen Feldzug gegen die Sarazenen, der im Juli 982 am Kap Colonne bei Crotone mit einer vernichtenden Niederlage endete. Die Erweiterung der Beneven- taner Kirchenprovinz nach Norden hin bis an die Adriaküste um die Suffraganbi- stümer Trivento, Termoli und Sessola im Jahre 983 zeigt lediglich, daß der Kaiser sein Vorhaben nicht aufgab. Infolge seines unerwarteten Todes im Dezember 983 je- doch blieben die Kleinherrschaften zwischen den beiden kaiserlichen Großmächten sich selbst überlassen, da sich auch Konstantinopel bis etwa 1024 nur am Rande um seine Herrschaft in Unteritalien kümmerte. Die Zuständigkeiten überlappten sich teilweise sogar. Das Erzbistum Siponto etwa (in der Nähe des späteren Manfredo- nia) und das Bistum Benevent befanden sich seit dem Ende des 8. Jahrhunderts in der Hand eines gemeinsamen Bischofs in Personalunion. Obwohl Otto I. dem Bischofsstuhl in Benevent einen Erzbischof gegeben hatte, unterstellten die Byzan- tiner 978 das aus der Langobardenzeit stammende Michaelsheiligtum auf dem Monte Gargano dem Beneventer Erzbischof Landulf, der zugleich auch der Metro- polit von Siponto war. Die Wallfahrtsstätte befand sich sogar im März 999 in byzan- tinischer Hand, als Otto Ill. sie peniientie causa 236 aufsuchte; den Pilgerbesuch aus dem Norden behinderte der Katepan offensichtlich nicht?". Vor diesem Hintergrund muß man sich fragen, ob Otto 11.nicht die noch vor- handenen Überreste des ehemals ungeteilten Herzogtums Benevent für seine Heer- fahrt in den Süden in der Weise geltend machen konnte, daß er sich die byzantini- sche Argumentation, das ganze langobardische Gebiet Süditaliens beherrschen zu müssen, jetzt zu seinen Gunsten zueigen machte. War doch durch die Mitgift Theo- phanus der leichtfertige Verzicht Hugos von Aries auf Capua und Benevent wieder »geheilt«. Freilich drücken sich die einschlägigen Quellen in dieser Hinsicht nicht hinreichend eindeutig aus. Nördlich der Alpen, wo eine subtile Kenntnis der wenig überschaubaren Verhältnisse in Unteritalien auch nicht zu erwarten ist, wurde bei- nahe vorwurfsvoll erwähnt, Otto sei in eindeutig byzantinischen Herrschaftsbe- reich eingefallen-". In dem »Brunwilarensis monasterii fundatorum actus« ist die

235 Vg!. ENGELS, Theophanu (wie Anm. 86), S. 16-18. 236 BI~ÜHL,Deutschland (wie Anm, 1), S. 610, legt auf diese Begründung Wert. 237 Vg!. VON FALKENHAUSEN, Untersuchungen (wie Anm. 229), S. 30, 54 f. 238 Vg!. Armales Sangallenses maiores ad a. 982 (wie Anm. 233), S. 80: imperator Constantinopolita- nus, sub cuius erat haec omnis terra imperio ... Der Anonymus des Klosters Selz schreibt um 1051/57 in den Miracula Adelheidis, ed. HERBERT PAULHART, in: MIÖG. Ergänzungsbd. 20/2, 318 Odilo Engels

Rede von einem »Erbe« Theophanus in Italien, das habe verteidigt werden müs- sen 239. Das wiederum gäbe einen Sinn, wenn Otto n. sich auf die Stabilisierung sei- ner Vorherrschaft im nördlichen Teil des Herzogtums Benevent beschränkt hätte; angesichts der offenbar nur bruchstückhaft bekannten Verzahnung des langobar- disch-ottonischen Nordens mit der byzantinischen Südhälfte ist der Gedanke, Otto könne bei dieser Gelegenheit das Ganze für seine Gattin beansprucht haben, so ab- wegig nicht. Daß Otto Il, in Tarent am 16. März 982, wo er die letzten Vorbereitun- gen für seinen Kampf gegen die Sarazenen traf, erstmals und anschließend häufig, aber nicht regelmäßig, in seinen Diplomen als imperator Romanorum augustus statt wie vorher nur imperaior augustus betitelt wird 240,hat mit seiner Aktion auf byzanti- nischem Boden und, wie es scheint, auch mit einem beabsichtigten stärkeren Rom- bezug nichts zu tun. Es ist schon vor längerem darauf aufmerksam gemacht wor- den, daß man auch hinsichtlich Ottos 1. in diesem Punkt vorsichtig sein muß241. Auch wenn man berücksichtigt, daß Otto Ill. zu früh gestorben ist, um hin- sichtlich Süditaliens eine Aussage über eine langfristige Linie seiner Politik machen zu können, so sieht es nicht danach aus, daß er seinem Vater mit einem weiten Ausgriff nach Süden folgen wollte. Zwar wurde Lucera, wo man nach dem Fiasko OttosII. seit 983 wieder nach Herrscherjahren des Basileus datierte242, 998 als Suf- fraganbistum der Metropole Benevent zugeschlagen, eine Reorganisation der Herr- schaftsverhältnisse in Capua und Benevent erfolgte aber erst zu Anfang des Jahres 999 auf der Pilgerfahrt des Kaisers zum Michaelsheiligtum auf dem Monte Garga- no. Die Pilgerfahrt war sicherlich ein echter Bußakt, da Otto die letzte Wegstrecke- wie später auch in Gnesen - barfuß zurücklegte, aber dies schließt nicht einen poli- tischen Nebenzweck aus; zumindest demonstrierte er dem byzantinischen Süden die erneute Präsenz der westlichen Kaisergewalt. Die Stabilisierung in Capua und Benevent war keineswegs so durchgreifend wie die Ottos Il, und wich bald nach dem Tod Ottos Ill. wieder einer labilen Ordnung 243.

1962, S. 46f., daß byzantinisches Gebiet erobert werden sollte, wozu Theophanu ihren Gatten angetrieben habe. Die Abtei Selz war die Gründung und Grablege Adelheids; es ist höchst- wahrscheinlich, daß auch bei dem Anonymus ein gerade dort überliefertes schlechtes Anden- ken an Theophanu noch lebendig war. 239 Brunwilarensis monasterii fundatorum actus (wie Anm. 88), S. 128. Theophanus Tochter Ma- thilde war die Gründerin der Abtei BrauweiIer; die Quelle konzentriert sich im wesentlichen auf die Gründerfamilie, eine bessere Kenntnis über Theophanu als andernorts ist deshalb wahrscheinlich. Vg!. oben Anm. 88. 240 MGH DD 0 lJl. 272, 273, 276, 277, 278, 281, 286, 288, 291, 301, 304, 305 und 306. Der um das Romanorum erweiterte Titel erscheint entweder in der Intitulatio oder in der Signumzeile. Es handelt sich keineswegs nur um Empfänger in Italien, und die Ausstellungsorte liegen nicht nur im südlichen Italien, sondern allein fünf Privilegien sind in Verona ausgestellt. Der Einfluß des Notars It. I.und seines Schülers It. K. in der italienischen Kanzlei ist evident, der Gebrauch des erweiterten Titels wohl ihre Eigenart. Vg!. A. FANTA,Excurse zu Ottonischen Diplornen, in: MIÖG. Ergänzungsbd. 2, 1888, S. 553-567, besonders S. 562-567. 241 HERMANNWEISERT,War Otto der Große wirklich »rex Langobardorum«?, in: Archiv für Diplo- matik 28,1982, S. 23-37, für den der nach der Heirat Ottosl. mit Adelheid vorübergehend ge- brauchte Titel rex Franeorum et Langobardorum eine Eigenmächtigkeit des italienischen Kanzlei- personals ist. 242 Vg!. VONFALKENHAUSEN,Untersuchungen (wie Anm. 229), S. 31. 243 Zu Unteritalien vg!. HORSTENZENSBERGER,Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 1 (wie Anm. 203), S. 798f. Überlegungen ZlIr ottonischen Herrschaftsstruktur 319

Es besteht kein Zweifel, daß die Herzogtümer von Benevent und Capua eine Grenzregion bildeten mit keineswegs überall geordneten Zuständigkeiten und mit wechselnden Einflüssen von Süd oder Nord. Selbst in der Ottonenzeit war eine Vorherrschaft der westlichen Kaiser nicht durchgehend gesichert. Unterscheiden sich Rom und sein Dukat von dieser Grenzzone? Crescentius 1I.,zusammen mit Papst Johannes XVI., suchte eine zumindest faktische Selbstherrschaft, und das wurde ihm zum Verhängnis. Einen weiteren Einblick gewährt das berühmte Privi- leg Ottos III. für den Papst Silvester 1I.,womit der Kaiser im Januar 1001dem hI. Pe- trus acht Grafschaften in der Pentapolis schenkte>'. Das Diplom ist nicht leicht zu interpretieren und hat dementsprechend eine schon längere Forschungsgeschichte t". Von besonderem Interesse ist dabei die Narratio der Urkunde. Der Kaiser bekennt sich zu Rom als dem caput mundi und der römischen Kirche als der Mutter aller Kirchen. Gerade vor diesem Hintergrund falle auf, wie durch Sorglosigkeit und Unkenntnis der Päpste innerhalb und außer- halb der Stadt Rechtstitel verdunkelt wurden bzw. verloren gegangen seien, und jetzt die eigene Schuld dem Imperium angelastet werde. Gleichsam als aktuelles Beispiel werden die »Erfindungen- (oder Erdichtungen) erwähnt, konkret die Ur- kunde, die Johannes Diaconus mit dem Beinamen digitorum mutilus mit goldenen Lettern geschrieben und der er unter dem Titel des großen Konstantin eine lange, aber fingierte Lebensdauer gegeben hat. Nachdem nun die gefälschten Urkunden und Scheinschriften verworfen sind, heißt es in der Dispositio, schenke er dem hI. Petrus aus Zuneigung zu dessen Nachfolger Silvester die Grafschaften, und zwar etwas, que nostra suni, non sibi que sua sunt. Percy Ernst Schramm 246 schloß aus dem Text, Otto III. habe das Constitutum Constantini bereits als Fälschung erkannt. Mathilde Uhlirz erweiterte den Vorgang von 1001um eine tiefgehende Verstimmung zwischen Otto III. und Papst Gregor V. auf der Krönungssynode von 996, weil dieser den jungen Kaiser durch Vorlage des Constitutum Constantini und des Ottonianum Ottos I., das der Enkel nicht be- stätigt hat, in Verlegenheit gebracht habe-". Horst Fuhrmann brachte eine entschei- dende Differenzierung in die Diskussion; über die Konstantinische Schenkung als solche habe Otto Ill. nichts ausgesagt, sondern nur das vorgelegte Prachtexemplar, das Johannes Diaconus digitorum mutilus hergestellt habe, verworfen 248. Diesen Aspekt suchte Kurt Zeillinger leicht zu modifizieren, indem er der Klage des Kai- sers über die Nachlässigkeit der Päpste eine stärker akzentuierte Funktion gab; auch wenn die Konstantinische Schenkung als solche nicht verworfen worden sein sollte, hätten die Päpste ihren Rechtstitel nach Meinung des Kaisers durch ihr sorg-

244 MGH DO Ill. 389. 245 VgI. ausführlich KURTZEILLINGER,Otto Ill. und die Konstantinische Schenkung. Ein Beitrag zur Interpretation des Diploms Kaiser Ottos Ill. für Papst Silvester Il. (D 0 Ill. 389), in: Fälschungen im Mittelalter, Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica, München, 16.-19. September 1986 (MGH Schriften 33/II), Hannover 1988, S. 515-525. 246 ScHRAMM,Renovatio, Bd. 1 (wie Anm. 189), S. 163-166; auch DERS.,Kaiser, Könige und Päpste, Bd. 3, Stuttgart 1969,5. 236. 247 UHLlRZ,Jahrbücher (wie Anrn, 18),5.215. 248 HORSTFUHRMANN,Konstantinische Schenkung und abendländisches Kaisertum. Ein Beitrag zur Überlieferungsgeschichte des Constitutum Constantini, in: Deutsches Archiv 22, 1966, S.123-151. _ .. -~

320 Odilo Engels

loses Verhalten verwirkt 249. Hartmut Hoffmann indessen macht auf einen Perspek- tivenwechsel aufmerksam. Dem heutigen Beobachter, dem das Constitutum Con- stantini als Fälschung seit langem bekannt ist, fällt die Frage leicht, ob einem Men- schen der Jahrtausendwende der Fälschungscharakter des ursprünglichen Exem- plars der Schenkung, das für ihn gar nicht zugänglich war, auffallen konnte; Otto hingegen schöpfte Verdacht, weil er von den Machenschaften des Johannes Diaco- nus wußte, und übertrug von dort sein Mißtrauen auf die ganze Überlieferung w, Als eine Schlüsselfigur erweist sich der Kardinaldiakon Johannes digitorum muiilus. Sicherlich im Einvernehmen mit Papst Johannes XII.überbrachte er zusam- men mit dem Skriniar Azo König OUo I. die Einladung zur Kaiserkrönung. Der Be- such Ottos in Rom vollzog sich in traditionellen Bahnen; der Krönung ging ein Si- cherheitseid des Kandidaten voraus, ihr folgte das Pactum Ottonianum nach dem Vorbild der Pippinischen Schenkung von 754bzw. ihrer Wiederholung von 774 und 817. Zu diesem Zweck muß der Kardinaldiakon Johannes die auf Konstantin d. Cr. lautende Prunkurkunde ebenfalls zur Vorlage beim neuen Kaiser hergestellt haben. Da offenkundig ein Vertrauter des Papstes, war der Kardinaldiakon zusammen mit dem Bischof von Velletri auch in kaiserfeindlicher Mission unterwegs nach Kon- stantinopel, wurde aber von Pandulf Eisenkopf in Capua abgefangen und dem Kai- ser gemeldet. Papst Johannes distanzierte sich sofort von der Legation, was den Kardinaldiakon dazu trieb, auf der römischen Synode vom November/Dezember 963, die Johannes XII. absetzen sollte, als Zeuge der Anklage aufzutreten. Auf der Cegensynode vom Februar 964251 wurden der Kardinaldiakon Johannes und der Skriniar Azo auf Betreiben Johannes XII. bestraft; sie wurden verstümmelt, daher der Beiname des Kardinaldiakons. Man hört dann nichts mehr von ihm bis zum Privileg von 1001252• So wichtig dieser Kontext für die Beurteilung des Constitutum Constantini im Anschauungsvermögen der Jahrtausendwende ist, einige Fragen bleiben dennoch zu erörtern. Es läßt sich kaum bezweifeln, daß der Kardinaldiakon [ohannes die heimliche Herstellung der Prachturkunde des Constitutum Constantini ausgeplau- dert hat, aber wann? Erst im Privileg von 1001 heißt es digitorum mutilus 253, so, als ob keine andere Verstümmelung vorliege. Außer Percy Ernst Schramm254 erwähnt keiner, daß Bischof Arnulf von Orleans im Rahmen einer ausführlichen Invektive auf das dekadente Rom der Päpste im Kontrast zu Verdienst und Weisheit des Epi- skopats in Gallia und Germania 991 auf der Synode in der Kirche Saint-Basle zu Ver- zy bei Reims ausrief: Octaoianus (= [ohannes XII.) Romam redit, Leonem fugat, Jolzan- lIem diaconem naso, dcxtris digitis, ac lingua mutilat255• Das heißt, wenn der Kardinal-

249 Z£IlllNGER,Otta Ill. und die Konstantinische Schenkung (wie Anm. 245), S. 533. 250 HARTMlITHOFFMANN,Ottonische Fragen, in: Deutsches Archiv 51,1995,5.53-76, bes. 5. 76. 251 Zu den beiden Synoden vg!. WOlTER,Die Synoden (wie Anm. 13),5.74-82; behandelt wird dort diese Angelegenheit nicht. 252 Vg!. die folgende Anm. 253 Vg!. die Zusammenstellung bei FUHRMANN,Konstantinische Schenkung (wie Anm. 248), 5.123-132. 254 ScHRAMM,Rcnovatio (wie Anm. 189), Bd. 1,5.71. 255 MGH SS3, 5. 672. Diese Passage scheint van den Überarbeitungen der Niederschrift durch Ger- bert verschont geblieben zu sein, vg!. CLAUDECAROZZI,Cerbert et le concile de St-Basle, in: Ger- berto, scienza, storia e milo (Arc hivu m Bobbiense - Studia 2), Bobbio 1985, 5. 662 f. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 321 diakon geplaudert haben sollte, muß es wohl vor der Februarsynode von 964 gewe- sen sein. Horst Fuhrmann lehnt zurecht einen Zusammenhang der mit goldenen Lettern geschriebenen Urkunde mit der Verstümmelung der Finger ab und führt die Bestrafung, die ja auch den Skriniar Azo traf, auf den Parteiwechsel der beiden zurück. Nicht recht einsichtig dagegen ist die angebliche Bestrafung nach langobar- dischem Recht, wo doch die Art der Körperstrafen (z.B. hinsichtlich des Johannes Philagathos) mit der römisch-byzantinischen Praxis übereinstimmt+". Eine weitere Frage zielt auf den Umstand, daß Gerbert von Aurillac, der spätere Silvester II., auf der Synode von Verzyanstelle seines Vorgängers Arnulf zum Erzbischof von Reims gewählt wurde und die Akten der Synode, darunter auch die Invektive des Bischofs Arnulf von Orleans, aufgezeichnet hatte. Es ist somit höchstwahrschein- lich, daß er von den Machenschaften Johannes' XII. auch um das Prachtexemplar des Constitutum Constantini wußte, vielleicht sogar als erster überhaupt den Kai- ser 1001 darüber unterrichtete, nachdem der Tod der Kaiserin Adelheid am 17. De- zember 999 die Frage der Restitution des Exarchats und der Pentapolis dringend gemacht hatte; beides soll Otto I. 967 seiner Gattin auf Lebenszeit übertragen ha- ben 157. Zugleich ist der Papstname Silvesters II. zu berücksichtigen, denn, wie es aussieht, konnten sich die Päpste ihren Amtsnamen zu dieser Zeit nicht unbedingt selbst wählen 258. Sollte der Kaiser selbst diesen Namen dem neuen Papst gegeben haben, liegt der Verdacht nahe, daß er sich dann aus Unkenntnis ins eigene Fleisch geschnitten hat, denn Papst Silvester I. erhielt gemäß der Silvesterlegende das Pri- vileg Konstantins des Großen, weil dieser aus Ehrfurcht vor dem hI. Petrus von Rom an den Bosporus wechselte. Der wahre Grund für die Namenswahl dürfte das 5ilvesterpatrozinium der bedeutenden Abtei Nonantola bei Modena gewesen sein, deren Abbatiat Kaiser Otto 11.982 dem Johannes Philagathos zwecks Reform des Klosters aufgetragen hatte+". Johannes XVI. hatte dort auch nach seiner Absetzung noch einen guten Ruf, zumal das vom Langobardenkönig Aistulf gegründete Kloster angeblich stark griechisch orientiert gewesen sein soll. Am 25. März 997 setzte Otto Ill. dort den Abt Leo von S. Bonifazio e 5. Alessio zum Abt ein 200. Da

256 FUHRMANN,Konstantinische Schenkung (wie Anm. 248), S. 132f. Stimmen hier spätrömisches und langobardisches Recht überein? 257 Vg!. UHLlRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 121f. und S. 266f.; vg!. auch ZIMMERMANN,Papst- urkunden (wie Anm. 96), Bd. 1, Nr. 180 (mit Vorbemerkung) und Bd. 2, Nr. 354. 258 Vg!. WERNERGoEZ, Zur Erhebung und ersten Absetzung Papst Gregors VII., in: Römische Quartalsschrift 63, 1968, S. 135 f., wobei offen bleiben muß, ob der Papstname schon vor der Papstreform des 11. Jahrhunderts von den Wählern gegeben wurde. Im 10. Jahrhundert setzte sich die zugefügte Ordnungszahl gleichnamiger Päpste durch; siehe PAULRABIKAUSKAS,Papst- name und Ordnungszahl, in: Römische Quartalsschrift 51, 1956, S. 2. Ebenfalls FRIEDRICH KRÄMER,Über die Anfänge und Beweggründe der Papstnamenänderungen im Mittelalter, ebd., S. 159-161. Die Namensänderung war bei Pontifikatsantritt schon üblich, siehe BERND-ULRICH HERGEMÖLLER,Die Geschichte der Papstnamen. Münster 1980. 259 MGH DOli. 283; dort auch die Nennung des Patroziniums. Zum Datum siehe UHLlRZ,Jahr- bücher (wie Anm, 18), S. 235 f. Vg!. FRIED,Theophanu und das Reich (wie Anm. 188), 5.148. 260 MGH DO Ill. 237. Zur Verifizierung des Abtes Leo siehe UHLlRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 296, Anm. 48. Laut JEAN-MARIESANSTERRE,Le monachisme byzantin a , in: Settimane di studio dei Centro Italiano di studi sull'alto medioevo XXXIV/2, Spoleto 1988, S. 740f., war der Konvent von S. Bonifazio in den neunziger Jahren des 10. Jahrhunderts lateinisch orientiert und Abt Leo (ebd., Anm. 108) ein Lateiner. 322 Odilo Engels

Gerbert/Silvester sich als Erzbischof von Ravenna um die Reform des Klosters sehr bemüht hatte, schien die Entlehnung des Patroziniums nicht abwegig261; konnte sie zugleich doch auch als ein Triumph des Kaisers über das für ihn ärgerliche Zwi- schenspiel des Johannes Philagathos auf dem päpstlichen Stuhl verstanden wer- den. Denkbar indessen ist natürlich auch, daß der Kaiser von anderer Seite zu der Namengebung veranlaßt und damit auf üble Weise hinters Licht geführt worden ist; angesichts des Papstnamens Silvester konnte er sich schmeicheln, als der neue Konstantin in Erscheinung treten zu können, der die Romana ecclesia, mater omnium ecdesiarum= durch Güterausstattung erneuere=", wahrscheinlich ohne zu ahnen, daß er sich dann auch nach dem Vorbild des großen Konstantin von Rom zu entfer- nen habe264• Von Silvester II. selbst kann das von Kardinaldiakon Johannes hergestellte Prachtexemplar dem Kaiser im Januar 1001auf der von Rom nach Ravenna verleg- ten Synode=' nicht mit der Intention vorgelegt worden sein, dem Restitutionsan- spruch der römischen Kirche zu entsprechen. Dafür stellte Otto seine Zuneigung zum Papst (pro amore ipsius domni Siluestri pape) in der Schenkung der acht Grafschaf- ten viel zu sehr heraus, die mit seiner erregten Empörung über den Täuschungsver- such auffallend kontrastiert. Das angebliche Privileg Konstantins des Großen von Rom nach Ravenna trotz der ungeplant schnellen Abreise (in Eigeninitiative eines kurialen Beamten?) mitgeführt zu haben, diente allenfalls unter anderem dem Zweck, territoriale Restitutionsansprüche durch einen Hinweis auf eine überragen- de Autorität zu untermauern; es ist in der Hauptsache aus der konkreten Situation des Aufstandes der Römer zu verstehen, die sich wohl gegen die allzu direkte Herr-

261 Gerberts Nachfolger als Erzbischof von Ravenna wurde der Abt Leo von Nonantola, siehe AUGUSTOVASINA,Gerberto arcivescovo di Ravenna, in: Gerberto, scienza, storia (wie Anm. 255), 5.269. 262 So in der Arenga von MGH DO Ill. 389. 263 Es ist die alte, fast durch die ganze Forschung hindurch zu beobachtende Begründung, so eARL Lux, Papst Silvesters II. Einfluß auf die Politik Kaiser Ottos Ill., Breslau 1898, S. 53; oder PIERRE RICHE,Gerbert d' Aurillac, Le pape de l'an rnil, Paris 1987, S. 203 (wieso ein Erzbischof zum Papst konsekriert werden muß - so auch Vasina [wie Anm. 260]- ist unerfindlich). 264 Vgl. das Privileg Johannes' XIII. vom 20. April 967 zur Errichtung der Kirchenprovinz Magde- burg (JL3715; Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg, Bd. 1, bearb. von FRIEDRICHISRAELund WAlTERMÖllENBECK,Magdeburg 1937, Nr. 52), wo OttoI. als augusto imperaiore, a Deo coronato cesare magno et ter benedicto gepriesen wird, der Rom, das Haupt des Erdkreises, und die univer- sale Kirche errettet und ihr einstiges Ansehen wiederhergestellt habe. Wegen seiner Verdienste um die Erhöhung der römischen Kirche stehe Otto in einer Reihe mit Konstantin dem Großen und Karl dem Großen (tertius post Constantinum), deshalb werde Magdeburg kraft Autorität des Apostelfürsten Petrus und in der Vollmacht, mit der die Päpste ehedem Konstantinopel her- ausgestellt hätten, erhöht. Vgl. dazu gewisse Vorbehalte bei HORSTFUHRMANN,Einfluß und Ver- breitung der pseudoisidorischen Fälschungen (MGH Schriften 24/2), Stuttgart 1973, S. 392 f. Es ist nicht unwichtig, daß Magdeburg im Grunde als Ottos Konstantinopel zu einem Zeitpunkt bezeichnet wurde, als das Konzil zu Ravenna den Kaiser zur Restitution des Exarchats veran- laßte; mehr als die Hälfte aller dort anwesenden Bischöfe stammte aus den Kirchenprovinzen Rom und Ravenna. Vg!. WOlTER,DieSynoden (wieAnm. 13), S. 91-98. 265 Vg!. WOlTER,Die Synoden (wie Anm. 13), S. 197-200. Dort auch die Korrektur des Konzilortes gegenüber UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 350. Die Generalsynode in Rom war zum Osterfest geplant, mußte aber nach der Flucht von Kaiser und Papst am 16. Februar in Ravenna stattfinden, weil an eine Rückkehr nach Rom noch nicht zu denken war. Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 323 schaft des Kaisers aufbäumten, zumal der noch nicht lange zurückliegende Auf- stand des Crescentius nicht ohne breiteren Anhang hatte stattfinden können. Eine größere Beweiskraft hatte das Constitutum Constantini für die Grafschaften in der Pentapolis nicht besitzen können, da es über die Dotierung der römischen Kirche mit kaiserlichen Gütern nur sehr allgemeine Aussagen macht=", während das sog. »Ottonianum«, das auf der römischen Krönungssynode im Februar 962 von Ottol. dem Papst Johannes XII. ausgestellte »Pactum«, u.a. den Exarchat und die Pentapolis mit Namen unter den Besitztiteln der römischen Kirche nennt=". Es muß 1001in Ravenna ebenfalls vorgelegt worden sein und dürfte zur Verärgerung des Kaisers beigetragen haben, sofern Otto Ill. erfahren haben sollte, daß der Kar- dinaldiakon Johannes auch vom Ottonianum eine für den dauernden Verbleib in Rom bestimmte Kopie - ebenfalls mit Goldtinktur auf Purpurgrund - angefertigt hatte. Ihr Kernstück war die Pippinische Schenkung von 754, die schon 774 anläß- lieh des Karlsbesuches in Rom als Ausdruck eines Paktes zwischen dem Papst und dem Frankenherrscher angesehen wurde=", Gleichfalls in sie eingeflossen ist die 269 »Constitutio Romana« von 824 • Ob auch das Pactum Karls des Kahlen vorgele- gen hat, muß offen bleiben; jedenfalls erwähnt ihn Otto Ill. 1001 in seinem Diplom, wobei ihm ein chronologischer Irrtum unterlaufen zu sein scheint 270. Es erübrigt sich, auf die Krönungssynode im Mai 996 einzugehenö": der an- gebliche Dissens zwischen dem Kaiser und Papst Gregor V.wegen der verweiger- ten Rückgabe noch unerfüllter Restitutionswünsche im Exarchat Ravenna ist noch nicht einmal wahrscheinlich 272. Sollte Otto Ill. schon 996 das Ottonianum zur Be- stätigung vorgelegt worden sein, was nicht auszuschließen ist, und er wie seiner- zeit sein Großvater hinsichtlich einiger Restitutionswünsche nicht sofort reagiert haben, dann bestätigt das zusätzlich den Überraschungseffekt, von einer Manipu- lation der Kurie erstmals 1001 erfahren zu haben. In der Tat ist seine Reaktion aus dieser Situation zu verstehen; er zweifelte nicht nur die Gültigkeit der Rechts- grundlagen an, sondern muß auch eine Gefährdung seiner eigenen Herrschaftsbe- fugnis gesehen haben. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit der Kaiser die Rechtsgrundlagen auf Grund von Vermutungen anzweifelte, die er aus den Moti- ven der Kurie, das beanstandete Prachtexemplar herstellen zu müssen, folgerte, ohne sich die Mühe zu machen, den ursprünglichen Rechtsstand zu ergründen. Maßgebend für sein Verhalten dürfte der unbedingte Wunsch gewesen sein, seine kaiserliche Herrschaft über Rom nicht antasten zu lassen. Das kommt in der Bemer-

266 Constitutum Constantini, ed. HORSTFUHRMANN,MGH Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum separatim editi 10, c. 13. 267 MGH Constitutiones I, 12. Darunter finden sich Besitztitel, die zu erfüllen der Kaiser auch bei gutem Willen gar nicht in der Lage gewesen wäre. 268 Vg!. ODlLOENGELS,Zum Rombesuch Karls des Großen im Jahr 774, in: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung 52,1992, 5.15-24. 269 MGH Capitularia regum Franeorum I, 161; vg!. BOSHOF,Ludwig der Fromme (wie Anm. 50), 5.161, zur Erneuerung des Freundschaftsbündnisses von 816 und 817 ebd., 5.137. 270 MGH DO Ill. 389. Vg!. EDMUNDE. STENGEL,Die Entwicklung des Kaiserprivilegs für die römi- sche Kurie 817-962, in: Historische Zeitschrift 134, 1926, S. 216-241; HELMUTBEUMANN, OUol. (wie Anm. 81), S. 93. 271 Vg!. UHLIRZ,Jahrbücher (wie Anm. 18), S. 215. 272 Vg!. ALTHOFF,Otto Ill. (wie Anm. 191), S. 85 f. und GÖRICH,Otto Ill. (wie Anm. 190), S. 228-231. 324 Odilo Engels

kung zum Ausdruck, pro amore saneti Petri damnum Siluestrum, magistrum nostrum papam elegimus et Deo valente ipsum serenissimum ordinavimus et creaoimus-"; es ent- spricht spiegelverkehrt der Überzeugung des byzantinischen Gesandten Leo von Synada, den Papst ein- oder absetzen zu können, weil Rom dem Basileus gehöre274• Der Rombezug Ottos Ill. hatte ein starkes kirchenreformerisches Motiv 275; wenn man Liudprand von Cremona Glauben schenken darf276, spielte es auch 962 schon für Otto I.eine Rolle. Daneben muß das Kaisertum aber auch als Identitätsmerkmal für das Gesamtreich ein gewisses Gewicht besessen haben; zumindest garantierte es bestimmten Großen gegenüber die Überordnung der sächsisch-liudolfingischen Herrscherfamilie. Gewiß nicht zufällig reduzierte König Heinrich Il. sichtlich den Rombezug seines Vorgängers, offenbar weil er den Anspruch des liudolfingischen Seitenzweiges auf die Krone als erfüllt ansehen konnte. Um den Kreis unserer Überlegungen zu schließen, sei abschließend noch ein- mal auf den Unterschied zwischen territorialem Herrschaftsbezug und personaler Herrschaftsausübung aufmerksam gemacht. Der römische Dukat und der südlich davon gelegene Teil Italiens sind geradezu beispielhaft für das Fortleben alter Rechtszustände mit entsprechenden Ansprüchen aus verschiedenen Zeitstufen, die sich unentwirrbar überlappen, aber noch lebendig genug waren, um ein labiles Ge- füge in Bewegung zu bringen. Die Römer unter Crescentius II. hatten geglaubt, in einer Art Grauzone zwischen östlichem und westlichem Anspruch zur Selbstherr- schaft zurückkehren zu können, wie sie vor der Kaiserkrönung Ottos I. bestanden hatte, und des kaiserlichen Beistandes nur auf einen Hilferuf hin zu bedürfen, ohne sich um theoretische Rechtsgrundlagen kümmern zu müssen, wie es im 12. Jahr- hundert erforderlich schien 277. Vermutlich deshalb tauchen gleich nach der Nieder- schlagung dieses Aufstandes in Rom Ämtertitel nach dem Vorbild des byzantini- schen Hofes auf, so als ob Otto Ill. das Bedürfnis gehabt habe, seine personale Herr- schaftsausübung mittels Brückenschlag zur antiken Vergangenheit der Stadt zu untermauern. Ihre Bedeutung indes ist überschätzt worden und ihre Deutung, wie auch die so mancher Selbstbezeichnung des Kaisers, harrt noch überzeugender Aufhellung s". Jedenfalls haben sie zur Stabilisierung der kaiserlichen Autorität

273 MGH D 0 Ill. 389. Der Kaiser hatte Gregor V.ohne Beachtung der Bestimmungen des Ottonia- nums zum Papst eingesetzt; Silvester 11.gegenüber scheint er ebenso gehandelt zu haben. 274 Siehe oben Anm. 228. 275 Vg!. GÖRICH,Otto 111.(wie Anm. 190), S. 237-250. 276 Liudprand von Cremona, Legatio (wie Anm. 82), S. 177-179. 277 Vg!. GorrFRIED KOCH,Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herr- schaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert, Wien 1972, Kap. VI; ODlLOENGELS,Stauferstudien. Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert, Sigmaringen 21996,S. 263-281. 278 Vg!. die gegen ScHRAMM,Kaiser, Rom und Renovatio (wieAnm. 189), S. 112f., und ebd., Bd. 2, S. 17-33, über den »byzantinischen Hofstaat« Ottos Ill, gerichteten Äußerungen von GÖRICH, Otto Ill. (wie Anm. 190), S. 250-256, und ALTHOFF,Otto Ill. (wie Anm. 191), S. 120 f. - Zur Erwei- terung der Intitulatio durch Devotionsformeln siehe ScHRAMM,ebd., S. 141-146 und S. 157-160. Er bringt die Formel servus Jesu Christi mit der Pilgerfahrt Ottos Ill. zum Grab des hI. Adalbert in Gnesen in Verbindung und deutet sie als entscheidenden Beitrag zur Ausbreitung des christ- lichen Glaubens (so auch FRIED,OltoIII. [wie Anm. 208), S. 82, mit Anm. 6, und ALTHOFF, Otto Ill, [wie Anm. 191], S. 136), während er Ottos Formel servus apostolorum, die seit dem Januar Überlegungen zur ottonischen Herrschaftsstruktur 325 nicht beigetragen. Selbst im Regnum Italicum, in dem Otto Ill. als Enkel Adelheids ein Erbrecht hatte geltend machen können, war mit Arduin von Ivrea bereits ein neuer Herrscher erhoben, bevor die Leiche des unverheiratet Verstorbenen die Al- pen überquert hatte.

1001 schrittweise Eingang in die Benutzung seitens der Kanzlei fand, mit der Schenkung DO Ill. 389 und ihrer noch unzureichenden Interpretation (einschließlich der Fehldeutungen hinsicht- lich des Umfeldes) in Verbindung bringt. Unabhängig von Otto Ill. sollte man die beiden Devo- tionsformeln erst in ihrer verzweigten Überlieferung verfolgen, bevor man sie zur Erklärung ihres Gebrauchs durch die ottonische Kanzlei heranzieht. Die asturischen Herrscher des 8. und 9. Jahrhunderts nämlich benutzten das Wort [amulus, König Alfons Il, (792-842) jedoch betitelte sich nach 800 als serous Christi. Vg!. HELMUTScHLUNK,EI arte asturiano en torno aI800, Actas del simposio para el estudio de los codices de »Comentario al Apocalipsis« de Beato de Lieba- na, Bd. 2, Madrid 1978, S. 136-164. CLAUDIOSANCHEZ ALBORNOZ,ebd., Bd. 1, S. 27, macht dar- auf aufmerksam, daß bei den Westgoten auch Mönche die Bezeichnung serous Christi führen konnten. Vg!. ferner z.B, die Bezeichnung der Mönche Clunys (servorum Dei ibi commanencium) in der Gründungsurkunde der Abtei, Recueil des chartes de l'abbaye de Cluny, ed. ALEXANDRE BRuEL,Bd. 1, Paris 1876, Nr. 112,S. 127. Solche Beobachtungen könnten den Gebrauch des Titels durch Otto Ill. in seiner Bedeutung relativieren.