Wahlplakat 1933

Ein Beitrag zur Umbenennung der lüneburger hindenburgstrasse ______

Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort 4 Einleitung 5 Hindenburg – ein Ehrenbürger der Stadt Lüneburg 6 Exkurs: „Unserem Reichspräsident und Führer im Weltkrieg Hindenburg, und , dem Führer der deutschen Politik … ein dreifaches Heil!“ 10

Von der Gartenstraße zur Hindenburgstraße I 15

Von der Hindenburgstraße zur Gartenstraße 17

Von der Gartenstraße zur Hindenburgstraße II 19

Exkurs: Oskar Heideborn - ein Exponent des Lüneburger Bürgertums nach 1945 20

Der Hindenburg-Mythos im Spiegel der Lüneburger Presse nach 1945 33

Thesen und Gegenargumente zur historischen Bedeutung Hindenburgs in den Leser/-innenbriefen der Landeszeitung 40

Chronologie: 55 - Hindenburg - eine preußisch-deutsche Militaristenkarriere 55 - Hindenburg – vom „Kandidaten der Republikgegner“ 57 zum Wegbereiter des deutschen Faschismus - Hindenburgs Unterstützung beim Aufbau und an der Festigung 57 des faschistischen Machtapparats

Herausgeber: Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Kreisvereinigung Lüneburg, Gewerkschaftshaus, Heiligengeiststraße 28, 21335 Lüneburg [email protected]; www.vvn-bda-lg.de

Druck: Campus-Copy Lüneburg Auflage: 250

Lüneburg, April 2014

Wir bedanken für die finanzielle Zuwendung zur Erstellung dieser Broschüre beim „Verein der Bundestagsfraktion DIE LINKE e. V.“

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Liebe Leserin! Lieber Leser! Nachdem 1947 nicht so sehr durch innere Ein- sicht, sondern mehr durch äußere Vorschrift (Anordnung der Alliierten) die Hindenburg- „Historische, personengebundene Straßen- straße wieder ihren ursprünglichen Namen und Gebäudenamen wollen zurecht an hervor- (Gartenstraße) erhielt, dauerte es nur lediglich ragende Persönlichkeiten erinnern, ihre ge- fünf Jahre, bis 1952, als erstmals wieder eine schichtliche Bedeutung würdigen und auch auf rechtsbürgerliche Mehrheit im Rat der Stadt ihr vorbildhaftes Wirken aufmerksam machen. dominieren konnte und die erste „Amtshand- Die Straßen- und Gebäudenamen werden so- lung“ dieser neuen Rechtskoalition machte dann zumeist Teil einer politischen „Alltagskul- deutlich, dass an die politische Symbolgebung tur“, werden Begriffe, die durch den notwendi- des Jahres 1933 angeknüpft werden sollte. Es gen Gebrauch in die Alltagssprache eingehen. ist wohl bundesweit ein Novum, dass in einer Zugleich symbolisieren die Namen aber auch Stadt ein und derselbe Straßenzug somit zum den „Zeitgeist“ ihres Benennungsdatums, sie zweiten Male nach Hindenburg benannt wurde. stehen stellvertretend für die politischen Ab- sichten ihrer Benenner. Mit dieser Schrift wird versucht, einen antifa- Genauso verhält es sich auch mit der Be- und schistischen Beitrag zur derzeitigen lokalpoliti- Umbenennung der Hindenburgstraße. Hinden- schen Debatte um die Umbenennung der Hin- burg – dieser Name stand für die Benenner im denburgstraße zu leisten. Wir verzichten da- Rat der Stadt Lüneburg (ob Nazis im Jahre rauf, nochmals das militärisch-politische Wir- 1933 oder Rechtskonservative 1952) für den ken des Namenspatrons zu beschreiben (das „Wegbereiter der nationalen Erhebung“ und ist in der Literatur nachlesbar), sondern setzen den „Befreier des deutschen Ostens“… (für an der lokalpolitischen Debatte an, wobei in den) Geist des Militarismus und Krieges, des zwei vertiefenden Exkursen das politische Um- Revanchismus und des deutschen Faschismus feld des „Zeitgeistes“ der Jahre 1933 und 1952 …“ in Lüneburg beschrieben wird. Diese Worte sind zu finden in einer Schrift un- serer Vereinigung, in der wir unsere Forderung nach einer Umbenennung der Hindenburg- Ein erstes Kapitel widmet sich der Diskussion straße untermauerten – im Jahre 1987, also um die Lüneburger Ehrenbürgerschaft Hin- vor über einem Vierteljahrhundert. Diese For- denburgs (auf die mehrfach von konservativer derung fand im Rat der Stadt Lüneburg bis Seite positiv zur Begründung des Straßenna- heute keine Mehrheit. mens hingewiesen wurde), ein von Mythen umranktes Feld lokaler Erinnerungspolitik. Der Hinweis auf den „Zeitgeist“ der jeweiligen Straßenumbenennung nach Hindenburg In den weiteren Kapiteln folgt eine Darstellung scheint uns aus mehreren Gründen wichtig, der Diskussionen um die jeweilige Umbenen- weil er die ungebrochene Kontinuität des auto- nung der Hindenburg-/Gartenstraße, wie sie je- ritär-militaristischen Denkens innerhalb der Lü- weils im Rat der Stadt Lüneburg geführt wurde, neburger Führungsriege erkennen lässt – von eingeleitet mit einigen Worten über die politi- der Weimarer Republik bis weit in die bundes- schen Mehrheitsverhältnisse im Stadtparla- republikanischen Zeiten hinein. Es war die ment. erste „Amtshandlung“ des Magistrats der Stadt Lüneburg nach den Märzwahlen 1933, die als Eine besondere Rolle bei der Meinungsbildung symbolisch bedeutungsvollen, politischen Akt der Bevölkerung kommt sicherlich der lokalen aus der Gartenstraße die Hindenburgstraße Presse zu, in den Jahrzenten ab 1945 noch machte. Dass mit dieser Straßenumbenen- sehr viel stärker als heute. Aus diesem Grunde nung der Reichspräsident Hindenburg nicht wurde die Lüneburger Landeszeitung darauf etwa als ein „langjähriges demokratisches hin durchgesehen, welches Bild sie in den letz- Staatsoberhaupt“ geehrt wurde, sondern aus- ten Jahrzehnten von Hindenburg zeichnete schließlich in seiner Funktion als Wegbereiter und mit welchen Methoden sie einen Hinden- des deutschen Faschismus, ist an der Begrün- burg-Mythos verbreitete. Das Ergebnis dieser dung 1933 zu erkennen und daran, dass diese Durchsicht wurde in einem weiteren Kapitel be- Namensgebung niemals zuvor im Rat der schrieben. Stadt zur Debatte stand.

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______Dass aber auch dieses Blatt den „kurzen Früh- ling des Antifaschismus“(Bloch) erlebte, sei zur „Ehrenrettung“ dieser Zeitung hier hervorgeho- ben: Am 19. März 1946 veröffentlichte die LZ einen redaktionellen Meinungsbeitrag über die Rolle Hindenburgs, der an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lässt (siehe Kasten rechts). Undenkbar, dass sich die LZ-Redaktion heut- zutage in dieser eindeutigen Weise äußern würde. Kaum ein anderes kommunalpolitisches Thema stand in den letzten Jahren/Jahrzehn- „… Das bringt uns auf den Fall Hindenburg. ten derart im Mittelpunkt der LZ-Leserbriefspal- Dieser wird von vielen, allzuvielen Deutschen ten wie die Diskussion um die NS-Vergangen- heit der Stadt und insbesondere die Umbenen- immer noch als positive Figur deutscher Ge- nung der Hindenburgstraße. Obwohl mehrfach schichte angesehen. Für eine Erkenntnis der von der Redaktion als beendet erklärt, flammte Zusammenhänge und eine brauchbare Beur- sie immer wieder auf. Die Argumente der Le- teilung unserer Zukunft muss diese Anschau- serbriefschreiber/-innen, soweit sie der Beibe- haltung des Straßennamens mit Bezug auf die ung revidiert werden… Rolle Hindenburgs dienten, haben wir in einem Es war bekannt, dass Hindenburg ein kaiser- weiteren Kapitel als Thesen formuliert und die- treuer, in reaktionärsten Anschauungen befan- sen Thesen die historischen Sachverhalte ge- genübergestellt. gener, zu demokratischer Führerschaft unge- Ein Dank geht an dieser Stelle an Herrn Jobst eigneter Mann war. Dennoch wurde er zweimal Müller, der die überwiegende historische Re- Reichspräsident. Mit Hilfe seiner charakterlo- cherche zu diesem Kapitel geleistet hat. sen Berater wurde er der Wegbereiter der Bar-

Argumente und Fragen der genannten Leser- barei in Deutschland… briefautoren/-innen, die auf eine scheinbar Verlorene Kriege werden in Deutschland schwierige Praktikabilität der Straßenumbe- schnell vergessen. Das deutsche Volk ließ sich nennung abzielen (Adressenänderung der An- wohner/-innen) sind zwar auch ernst zu neh- von seinen geschlagenen Feldherren sogar men, finden aber hier keinen Eingang, weil beschuldigen, der Front heimtückisch den be- diese Probleme bei jeder anderen Straßenum- rüchtigten „Dolchstoß“ beigebracht zu haben. benennung auch gelöst werden können Es vergaß sich so sehr, dass es Hindenburg (ebenso wie bei einem Wohnortwechsel der Bewohner dieser Straße) und wir uns in dieser zum Präsidenten der Republik machte. Schrift ausschließlich mit der Frage auseinan- Man achtet ein Staatsoberhaupt. Man achtet dersetzen, ob eine politische Figur wie Hinden- es aber nicht über Gewissen und Erkenntnis burg einen ehrenden Straßennamen verdient. hinaus. Hindenburg war einer der Schädlinge Eine chronologische Kurzübersicht über das in deutscher Geschichte. Ein Präsident, … der Wirken Hindenburgs als Militär, als Politiker ein Amt führte, das er mit Fug und innerem und in seiner Verantwortlichkeit für den Aufbau Recht nicht verwalten konnte, der ein Kabinett und die Festigung des faschistischen Machtap- der Totengräber deutscher Freiheit in Eid parats schließt diese Schrift in einem letzten Kapitel ab. nahm, das noch nicht einmal in den Verhand- lungen der Parteien zustande gekommen war, Zwei Exkurse haben wir in diese Schrift einge- war unmöglich. fügt zum Weiterlesen und zur vertiefenden In- formation: Hindenburgs Rolle zu durchschauen wird eine der bittersten Aufgaben für uns Deutsche wer- 1. Um der Frage ansatzweise auf den Grund den, weil es bedeutet, den personifizierten Irr- zu gehen, welche Interessen und welche örtli- tum deutscher Haltung zu Deutschland wie zur chen Bevölkerungsgruppen ab 1930 die rechtskonservative Politik unterstützten, die Welt einzusehen und zu überwinden.“

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______schließlich auch in Lüneburg in einen Hinden- Ein Dank geht ebenfalls an den Kollegen burg-Hitler-Pakt mündete, wird der Beschrei- Hans-Jürgen Brennecke für Mitarbeit an der bung der Geschehnisse um den 7. April 1933 Endredaktion dieser Schrift. (Umwidmung der Gartenstraße in Hindenburg- straße) ein Exkurs vorangestellt mit dem Titel „Unserem Reichspräsident und Führer im Nicht bedanken können wir uns leider bei ei- Weltkrieg Hindenburg, und Adolf Hitler, dem nem/r Grafiker/-in für die Gestaltung dieser Führer der deutschen Politik … ein dreifaches Schrift, denn mangels hinreichender finanziel- Heil!“. Bei diesem Zitat handelt es sich um ei- ler Mittel musste auch diese Broschüre mit un- nen Auszug aus der Rede des NS-Oberführers seren recht amateurhaften PC-Kenntnissen Hasse, die er vor einer großen Menschen- selber layoutet werden. Um der nächsten ge- menge auf dem Lüneburger Marktplatz hielt. planten Schrift (über die Lüneburger Gestapo- Das Ereignis, dass hier von Rechtskonservati- Opfer, die im Sommer 2014 erscheinen soll), ven und Nazis auf ihrer „vaterländische Kund- ein „professionelleres Gesicht“ geben zu kön- gebung“ befeiert wurde, war die Tat Hinden- nen, bitten wir um eine kleine (oder je nach burgs zwei Tage zuvor am 30 Januar 1933, die Geldbeutel größere) Spende auf unser Konto: Ernennung Hitlers zum Kanzler des Deutschen VVN-BdA Lüneburg, Konto-Nr. 77172 bei der Reiches. Sparkasse Lüneburg. Besten Dank dafür.

2. Um zu verstehen, welche „Zeitgeist“-Verhält- Lüneburg, April 2014 nisse ab den 1950-er Jahren in Lüneburg vor- herrschten, die es bereits sieben Jahre nach Faschismus und Krieg möglich machten, Sym- bolfiguren für die Geschehnisse um 1933 wie Hindenburg über eine Straßenbenennung die Ehre zu erweisen, wird in einem weiteren Exkurs das politische Wirken ei- nes der lokalen Protago- nisten des „Kalten Krie- ges“, Oskar Heideborn, in seinem Umfeld vorge- stellt. Heideborn begrün- dete im Jahre 1952 im Rat der Stadt für seine Partei den entsprechen- den Antrag. Wahrscheinlich stellt die Auseinandersetzung mit dieser eigenen Vergan- genheit für die Konserva- tiven heute das größte Hindernis dar, einer Um- widmung der Hinden- burgstraße zuzustim- men.

Wir bedanken uns für die problemlose Zurverfü- gungstellung der benötig- Am Internationalen Frauentag 1994 widmeten Frauengruppen der Gewerk- ten Quellen beim Archiv schaften und des Heinrich-Böll-Hauses (Katzenstraße) einige nach „militan- der Stadt Lüneburg und für die Einsichtnahme in ten Männern“ benannte Straßen um. (LZ v. 9. März 1994) die diversen Jahrgänge der LZ beim Archiv der Landeszeitung und bei der Ratsbücherei. 5

______Hindenburg - ein Ehrenbürger der nicht die Rede) und setzte am 15. d. M. ein Stadt Lüneburg entsprechendes Bewerbungsschreiben auf. Obwohl offiziell nach dem Tode einer Per- Begründet wurde die Andienung dieser son deren Ehrenbürgerschaft bei der Stadt Ehrenbürgerschaft nicht mit besonderen Lüneburg erlischt, zeigt eine Auflistung der Verdiensten dieser Person für die Stadt Lü- „Ehrenbürger der Hansestadt Lüneburg“ neburg, sondern lediglich mit seiner mehr- heute auch den Namen „Generalfeldmar- fachen Anwesenheit zu Verwandtenbesu- schall “ an. Zur Erklä- chen, die auf ein Interesse an dem Woh- rung benennt die Homepage der Stadt Lü- nort dieser Verwandten, an der Stadt Lü- neburg: „Nach § 29 Abs. 1 des Niedersäch- neburg, ausgedehnt wurden. sischen Kommunalverfassungsge- setzes (NKomVG) kann Personen, die sich um die Stadt besonders verdient gemacht haben, das Eh- renbürgerrecht verliehen werden.“ Zwar wird durch diesen Hinweis nicht deutlich, welche Gründe vor 1945, also vor der Bildung des Lan- des Niedersachsen, für die Zuerken- nung einer Ehrenbürgerschaft vor- gelegen haben mussten, aber die Annahme ist sicherlich gerechtfer- tigt, dass es die gleichen oder ähnli- Hindenburg zu Besuch bei seinen Verwandten 1917 che waren. im Lüner Weg: (v.l.n.r.) Rittmeister von Pentz, Frau von Pentz, Frau von Hindenburg, Paul von Hinden- Da auf dieser Liste der Lüneburger Ehren- burg, Frau von Brockhusen (Foto:Bundesarchiv) bürger für den Nächstplatzierten, nämlich Otto Telschow (Lüneburgs NSDAP-Gaulei- ter), die Aberkennung seiner Ehrenbürger- Anlässlich eins Besuchs bei seiner Tochter rechte ausdrücklich benannt wurde („Die „Frau Rittmeister von Pentz“ (natürlich Ehrenbürgerwürde wurde mit Ratsbe- war nicht Hindenburgs Tochter Annema- schluss vom 22. Februar 2007 aberkannt.“) rie, sondern deren Ehemann Christian von ist anzunehmen, dass Hindenburgs Ehren- Beruf „Rittmeister“) habe Hindenburg der bürgerschaft weiterhin Gültigkeit besitzt. Stadt ein Interesse entgegengebracht, Als Grund für Hindenburgs Ehrenbürger- habe sich gar das Rathaus zeigen lassen schaft erwähnt diese Auflistung für das und verweilte drinnen „in stiller Einsam- Jahr 1918: „ … für seine Verdienste im 1. keit“. „Ihre Frau Gemahlin hat auch in den Weltkrieg, wurde als Sieger von Tannen- gegenwärtigen schweren Kriegsjahren die berg geehrt.“ Stadt häufig mit der Ehre des Besuchs ge- Tatsächlich beschloss der Magistrat zu würdigt,...“, wobei unerwähnt blieb, dass Kriegs- und Kaiserzeiten, nämlich am 6. die genannte Ehefrau Gertrud (geborene August 1918, mit Zustimmung des Bürger- von Sperling) wegen des Besuchs bei ihrer vorsteher-Kollegiums Hindenburg die Eh- Tochter im Lüner Weg gar nicht anders renbürgerschaft anzubieten (von einem konnte, als Lüneburger Boden zu betreten. „Sieger von Tannenberg“ war allerdings „Im Hinblick auf diese Umstände und die

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______Beziehungen, die die Familie Ihrer Tochter Wenn Hindenburg z. B. wegen seiner ver- mit der Stadt, als dem Garnisonsstandorte wandtschaftlichen Beziehungen Lüneburg Ihres Herrn Schwiegersohnes, aufweist, besuchte (etwa im Mai 1920), wurde er glauben die städtischen Kollegien es wa- hier nicht offiziell empfangen, sondern le- gen zu dürfen, Eurer Exzellenz, dem genia- diglich vom Oberbürgermeister Dr. len Heerführer in diesem gewaltigen Welt- Schmidt (DVP-Sympathisant) begrüßt, wo- kriege, in Dankbarkeit für die dem Vater- für Hindenburg sich bei ihm bedankte mit lande geleisteten unsterblichen Ver- einem Gastgeschenk in Höhe von zweitau- dienste die Ehrenbürgerschaft der Stadt send Mark nicht aus seiner eigenen Geld- Lüneburg anzubieten. Im Falle der An- börse, sondern aus „ … mir zur Verfügung nahme unseren Antrages würden wir uns stehenden Mitteln durch die Hannover- beehren, die Urkunde über die Verleihung sche Bank.“ in gebührender Form und Ausstattung Eu- rer Exzellenz nach Friedensschluss zu Lediglich die örtliche Rechtsaußen-Presse, überreichen.“ das „Lüneburger Tageblatt“ wagte sich zu dieser Zeit bereits hervor und kritisierte Hindenburg antwortete als Chef des Gene- ein Jahre später in einem Artikel vom 30. ralstabs des Feldheeres „aus dem Felde“ Juli 1921, dass Hindenburgs Ehrenbürger- vom „Großen Hauptquartier Seiner Majes- brief noch immer nicht ausgefertigt sei. tät des Kaisers und Königs“, nämlich aus Außerdem sei Hindenburg wieder in Lüne- dem luxuriösen „Hotel Britannique“ im burg gewesen (sein Interesse richtete sich belgische Spa am 18. August 1918, be- neben dem Verwandtenbesuch auf eine dankte sich freundlich, grüßte alle Lüne- Bezirkstierschau) und wurde auch diesmal burger Bürger und wünschte der Stadt lediglich vom Oberbürgermeister zum Be- „weiteres Blühen und Gedeihen nach eh- such des Rathauses eingeladen, wo ihn renvollem Frieden ... Ich werde mich Prof. Reinecke (Museumsleiter und Antire- glücklich schätzen, nach getaner Kriegsar- publikaner) begleitete. Dass Hindenburg beit meinen tiefempfundenen Dank per- nicht offiziell empfangen werde, sei „un- sönlich wiederholen zu können.“ würdig für die Stadt“. Daraufhin erst wur- den mit Beschluss der Finanzkommission Zwar brachte nicht ihn selber, dafür aber vom 10.10.1921 die Mittel für die Herstel- Deutschland und halb Europa seine lung des Ehrenbürgerbriefs bewilligt. „Kriegsarbeit“ in die Katastrophe und auch von einem weiteren „Blühen und Gedei- Mit der Wahl Hindenburgs als Kandidaten hen“ der Stadt Lüneburg und ihrer Bewoh- des antirepublikanischen „Reichsblocks“ ner konnte nicht die Rede sein angesichts zum Reichspräsidenten am 26. April 1925 der bitteren Armut und der toten Ver- änderten sich die Zeiten: Keine 14 Tage wandten, den dieser Krieg für die überle- darauf beschloss der Lüneburger Magist- bende Bevölkerung brachte. Aber das bür- rat, Hindenburg bei seinem nächsten Be- gerliche Lüneburg blieb antirepublikanisch such Lüneburgs eine „ehrende Kundge- und militaristisch orientiert, wenngleich bung“ zuteilwerden zu lassen, sandte ihm wegen der regierenden Sozialdemokraten (am 15. Mai) ein „Treuetelegramm“ zu, zunächst noch in zeitgemäß defensiver Art bedankte sich bei Hindenburg vorausei- und Weise. lend für seine „ … treue Mitarbeit an dem großen Werk der Wiederaufrichtung unse-

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______res deutschen Vaterlandes ...“ und be- wurde von lautstarken öffentlichen Pro- schloss am selben Tage, einen Ausschuss testen einer Ansammlung von Hinden- einzurichten, der für einen kommenden burg-Gegnern an der Altenbrücker Tor- Hindenburg-Besuch die genannte vater- straße begleitet, die sich bei einem Fackel- ländische Kundgebung vorbereiten solle. zug der örtlichen Turner und Feuerwehr Einladungen zum Zwecke der Bildung ei- mit diesen Hindenburgfans eine kleine nes solchen Ausschusses (für den 19. Mai) Prügelei lieferten. (LZ v. 16.2.2013) Es ist gingen an insgesamt 32 Vereine und Orga- anzunehmen, dass das Reichspräsidialamt nisationen, überwiegend an die zahlrei- von der Lüneburger Provinzposse erfuhr chen Krieger- und Soldatenverbände und und den höchsten Repräsentanten des an die bürgerlichen Turnvereine, auch an Staates lieber heraushalten wollte aus der den Lüneburger Allgemeinen Deutschen Gemengelage überbordenden militaris- Gewerkschaftsbund (ADGB), von dem al- tisch-monarchistischen Eifers und republi- lerdings durch seinen Vorsitzenden eine kanischen Widerstands. Absage aus speziellen Gründen erfolgte: Das Interesse Hindenburgs an der Stadt „An den Magistrat der Stadt Lüneburg Lüneburg erlahmte vollends, als seine Auf die Anschrift v. 15. d. M. betreffend ei- Tochter mit Ehemann und Kindern die Of- ner Begrüßung des Herrn Reichspräsiden- fizierswohnung am Lüner Weg verließ, um ten in Lüneburg, teilen wir mit, dass wir es im benachbarten Meding im dortigen ablehnen müssen, in Gemeinschaft ausge- großzügig geschnittenen, ehemaligen sprochener Monarchisten den Einrichtun- Amtsrichterhaus heimisch zu werden. Nun gen der deutschen Republik zu huldigen. gab es für Hindenburg kaum einen Grund Wir werden daher auch keinen Vertreter mehr, seinen Fuß auf den Boden Lüne- zu der Besprechung am 19.5. entsenden. burgs zu setzen. Reinhard Hackbarth“

Nach aufgeregt-vaterlän- dischen Diskussionen in der konservativen Öffent- lichkeit über die Form des Empfangs Hindenburgs bei einem möglichen Lü- neburg-Besuch und nach an- und abgesagten Be- suchsterminen wünschte Hindenburg schließlich (wahrscheinlich entnervt), in Lüneburg nicht in der großen Öffentlichkeit zu erscheinen, sondern in der Privatwohnung seines Schwiegersohn im kleinen Paul von Hindenburg im Kreise der Familie von Pentz in Medingen vor dem Hintereingang des Amtsrichterwohnhauses: Schwiegersohn Rahmen ein Grußwort zu hören, was dann Christian v. Pentz, Tochter Annemarie v. Pentz (geb. von Hinden- im Juli 1925 geschah. Dieser Besuch aber burg), Christa v. Pentz und die Enkelkinder Sabine, Bernd-Dieter und Victoria. (www.aefl.de)

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______Lediglich 1928 war dies nicht zu vermei- im Rathaus zusammen traf, um sich nach den, denn in diesem Jahr feierte seine En- Hindenburgs Tod eine Trauerrede von kelin ihre Konfirmation in der Klosterkir- Oberbürgermeister Dr. Schmidt anzuhö- che Lüne. ren: „ ...Wohl steht er vor un- serem geistigen Auge als der große Soldat, der ge- niale Schlachtenlenker, der ragende Fels in der Sturmflut des Zusammen- bruchs und schließlich der weise Staatsmann, der das Steuer des umbran- denden Reichsschiffes in der sicheren Hand hielt, und dessen staatsmänni- sche Größe endlich die Zügel der Regierung in die Hände des Mannes legte, vom dem allein noch Ret- Hindenburg (hinter ihm Enkelin Christa Maria von tung und Wiederaufrich- Pentz) beim Verlassen der Lüner Klosterkirche 1928 tung des Reiches zu hoffen war, unseres (Foto: LZ/ Sammlung Hajo Boldt) Führers...

So wird er im Gedächtnis der Lebenden Den Honoratioren und dem Rat der Stadt fortwirken als lichte Gestalt, die uns aus blieb trotz aller Anstrengungen, Hinden- dem Dunkel empor führte, als der gewal- burg am Ort als „dem genialen Heerführer tigste Kriegsmann, der 4 Jahre hindurch (im) gewaltigen Weltkriege, in Dankbarkeit den Heerbann des deutschen Volkes von für die dem Vaterlande geleisteten un- Sieg zu Sieg führte und ihn unbesiegt der sterblichen Verdienste die Ehre zu erwei- Heimat wiedergab, als der getreue Eckart, sen“, lediglich die Möglichkeit, ihm im der der Hydra deutscher Zwietracht immer Jahre 1927 eine „Hindenburgspende“ in wieder das geifernde Haupt abschlug, bis Höhe von 3.000 Reichsmark zu überwei- der Mann kam, der das Schwert aus seiner sen und regelmäßig per Telegramm zum Hand entgegennahm und der Schlange Geburtstag zu gratulieren. endgültig den Rest gab…“ (Stadtarchiv Lü-

neburg, Rep 200 G Nr. 11) Das änderte sich allerdings ab Ende Januar

1933, nachdem der „geniale Heerführer“ Dass sich Hindenburg „um die Stadt be- als Reichspräsident Adolf Hitler und der sonders verdient gemacht haben“ soll und NSDAP die Macht übertrug und dieses Er- ihm deshalb begründet das Ehrenbürger- eignis dazu führte, dass die Gartenstraße recht zustehe (s. Homepage der Stadt Lü- in „Hindenburgstraße“ umbenannt wurde. neburg) ist aus alledem nicht zu erkennen. Zu Ehren des Wegbereiters des Faschis- Als „Totengräber der Weimarer Republik“ mus wurde von nun an keine öffentliche ist Hindenburg, wie bereits bei Otto Tel- Lobhudelei ausgelassen wie etwa jene am schow geschehen, die Ehrenbürgerschaft 7.8.1934, als das Lüneburger Bürgertum schnellstens abzuerkennen. 9

______Exkurs: „Unserem Reichspräsident Bürgertum Lüneburgs mitgeholfen, die und Führer im Weltkrieg Hinden- Weimarer Demokratie zugunsten nationa- burg, und Adolf Hitler, dem Führer listisch-faschistischer Politik zu zerschla- gen. Der Hitler-Hindenburg-Pakt beseitigte der deutschen Politik … ein dreifa- auch am Ort alle noch existierenden Vor- ches Heil!“ behalte gegenüber der NS-Bewegung und führte zum Aufschwung der Nazi-Partei. Die Erosion des republikanischen Gedan- Hindenburgs Ansehen beim konservativen kens ab 1930 wird auch in Lüneburg deut- Bürgertum wurde nunmehr auf Adolf Hit- lich an der Radikalisierung des Bürgertums ler übertragen. Der alte Feldmarschall und im Zuge der Wirtschaftskrise ab 1929. So- der junge Gefreite, der Repräsentant des wohl in der Beamtenschaft, in Justiz und alten und des neuen Deutschland, die Verwaltung (sehr stark traditionell wilhel- Stellvertreter für die Vergangenheit preu- minisch orientiert), bei den Honoratioren ßischer Tugenden und für die Zukunft aus der Intelligenz (als Beispiel sei Muse- umsleiter Dr. Reinecke genannt), dem Kleinbürgertum mit seinen Traditionsorga- nisationen (etwa dem Schützenverein und der Feuerwehr), dem bürgerlichen Sport- wesen (im Unterschied zu den Arbeiter- Sportvereinen), der örtlichen Presse (Lü- neburgsche Anzeigen und Lüneburger Ta- geblatt), den diversen Kriegerverbänden (sowie die örtliche selber) und dem Wirtschaftsblock (Industrie- und Han- delskammer, insbesondere Handwerks- kammer und Arbeitgeberverband) wurden diese Radikalisierungstendenzen sichtbar. Zentrale Identifikationsfigur mit zum Teil divergierenden Bezugspunkten war und blieb Reichspräsident Hindenburg, zumal nachdem er als „Krisenlöser“ am 30. Ja- nuar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Lüneburgsche Anzeigen vom 21.4.1933

Aus Gründen, die alle mit den Forderun- gen dieses Bündnisses aus NSDAP und völkisch- deutschen Siegeswillens, Hinden- Kampffront kompatibel waren (Abwehr burg und Hitler wurden stets im Doppel- sozialistischer Politik, Herstellung einer pack genannt und gefeiert, ob auf Reichs- wirtschaftlichen Stärke unter Ausschaltung ebene (kulminierend im „Tag von Pots- hemmender Faktoren wie der Gewerk- dam“) oder in der Lüneburger Provinz, ins- schaftsbewegung, ein Großdeutschland in besondere in der Zeit nach der Macht- den Vorkriegsgrenzen, eine neue militäri- übertragung bis zu den Kommunalwahlen, sche Macht, eine deutsche Volksgemein- vom 30. Januar bis zum 12. März 1933, schaft, eine „erwachenden Nation“ zur Er- wie die hier genannten Aktionen zeigen: reichung dieser Ziele u. a.) wurde vom 10

______sem 30. Januar 1933 ist die Zeitenwende eingetreten.‘ Die ruhmreiche Vergangen- heit des deutschen Volkes reicht sich an diesem Tag mit der zukunftsfrohen Bewe- gung des Frontsoldatentums und des Nachwuchses aus diesem Soldatentum die Hand … Unserem Reichspräsident und Führer im Weltkrieg Hindenburg, und Adolf Hitler, dem Führer der deutschen Politik … ein dreifaches Heil!“ Mit einer weiteren Ansprache von Stahlhelm-Gau- führer Reith wurde die Kundgebung been- Am „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 wurde in det mit einem „Gelübde, mit anzufassen der „Ruhmeshalle Preußens“, der dortigen Garnisons- beim deutschen Aufbau mit der nationa- kirche, eine „Versöhnung des preußischen Geistes mit len Regierung mit Hindenburg für ein gro- der neuen Bewegung“ (Goebbels) öffentlichkeitswirk- ßes, freies, starkes und geachtetes sam zelebriert, das Bündnis zwischen deutschen Mili- Deutschland.“ Ein Zapfenstreich beendete tarismus, Monarchismus und Faschismus. Reichspräsi- dent Hindenburg erschien nicht als Repräsentant der die Kundgebung. Republik, dessen ersten Staatsmann er war, sondern mit Marshallstab in seiner kaiserlichen Militäruniform, Der öffentliche Aufruf in den Lüneburg- verbeugte sich vor der leeren Kaiserloge und be- schen Anzeigen zum „Tag der erwachen- schwor das wilhelminische Preußen. den Nation“ (dem Tag der entscheidenden Reichstagswahlen am 5. März 1933) mit Bereits am Abend des 1. Februar 1933 marschierte die „nationale Bewegung“ aus Hindenburg- und Hitlergetreuen mit 800 Lünebur- gern/-innen (wie die LA am 2.2.1933 berichtete) bei einem Fa- ckelmarsch durch Lüneburgs Stra- ßen und NS-Oberführer Hasse er- klärte bei einer „vaterländischen Kundgebung“ auf dem Marktplatz vor dem Rathaus: „Am 30. Januar, als der greise Feldmarschall des Weltkrieges den jungen Frontsol- daten und Volksführer Adolf Hitler mit der Führung der Politik und der Regierung in Deutschland be- auftragte, ist im Buch der deut- schen Geschichte ein neues Kapi- tel begonnen, von dem spätere Zeiten, wenn wir längst im Grabe modern, künden werden: ‚An die-

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______der Aufforderung, die rechtskonservative nis das Hindenburgsche Deutschland re- und die Nazibewegung zu unterstützen präsentierten, sei hier auf den Kreiskrie- durch die Beteiligung an einem Aufmarsch gerverband verwiesen, in dem die einzel- sowie durch die Stimmabgabe, („Auch in nen Kriegervereine Lüneburgs organisiert Lüneburg nimmt das nationale Deutsch- waren, überwiegend militaristisch-monar- land die Macht endgültig in Besitz“) zeigt chistisch orientiert. wie kein zweites Dokument, dass die ver- Der Kriegerverband stellte im politischen schiedenen Abteilungen des Lüneburger Leben der Stadt einen erheblichen Bürgertums sich hinter die Hindenburg- Machtfaktor der Rechtsaußen-Kräfte dar, und Hitlerbewegung stellten zur Zerschla- der mit dem 30. Januar 1933 seine Erfül- gung der Weimarer Republik. lung fand: Vom Verein ehemaliger Gar- disten ( Vors.: A. Lauenstein, Kaufmann) Kurz vor den Reichstagswahlen wurde am über den Marineverein (Vors.: Korvetten- 9. März 1933 massenwirksam an der Be- kapitän a. D. Koch) zum Deutschen Offi- zirksregierung Am Ochsenmarkt, am Land- ziers -Bund (Vors.: General a. D. v. Bor- ratsamt und am Johanneum sowohl die ries), vom Verein der Kampfgenossen hindenburgische als auch die hitlersche von 1870/71 und dem Verein ehemaliger Symbolik gezeigt und geehrt:„Tausende Artilleristen (Vors.: Architekt Edwin Reith) wohnen dem erhebenden Schauspiel bei über den Verein ehem. Jäger und Schüt- … Unter dem Klängen des Präsentiermar- zen (Vors.: Kaufmann Karl Lüdemann) sches stiegen an den Masten das Haken- und dem Verein ehem. Kolonialtruppen kreuzbanner und die alte schwarz-weiß- und Kolonialdeutscher (Vors.: Stadtober- inspektor Wilhelm Soltmann) bis zum rote Flagge empor, flatterten lustig im Verein ehem. 77er (Vors.: Ad. Schlachta), Frühlingswind als ein Zeichen dafür, daß von der Vereinigung ehem. Offiziere des auch für das junge, nationale Deutschland Dragoner Regiments Nr. 16 (Vors.: der Frühling angebrochen. Ehrfürchtig Oberstlt. a. D. Seip) über den Hannover- grüßte die Menge die Fahnen und stimmte schen Kriegerverein (Vors.: Fabrikbesit- begeistert ein in das von SA-Oberführer zer Lauenstein) bis zum Bund der Front- Hasse ausgebracht Sieg-Heil auf den alten soldaten (Stahlhelm), der vom Geschäfts- Reichspräsidenten, die Männer der neuen führer der Rechtsaußen-Zeitung „Lüne- Reichsregierung und das deutsche Vater- burger Tageblatt“ in der Apotheken- land. Wie ein Treueschwur erklang brau- straße, Otto Ackermann, mit angeleitet send das Deutschlandlied zum Himmel...“ wurde. (Lüneburgsche Anzeigen vom 10.3.1933) Die Ziele dieser Lüneburger „Kreiskrieger“ waren lange vor dem 30. Januar 1933 bekannt: Be- reits am 10.3.1932 erklärte deren Verbandsfunktionär Oemken (Stahlhelm) zu den Lüneburgsche Anzeigen vom 10.3.1933 Absichten der Kriegerver- bands-Bemühungen unumwunden: Adolf Hitler „… solle seine Sendung erfüllen … Als eine dieser Abteilungen mit bedeutsa- gegen die rote Front, gegen den Sozialis- men Anhang, die in ihrem Selbstverständ- mus (die SPD, d. V.) und den Kommunis- mus“. 12

______an Hindenburg, Hitler, Papen („unser Waf- fengefährte“) und Seldte („der Frontsol- dat, Schöpfer und Führer des Stahl- helms“), stets die besonderen Verdienste Hindenburgs hervorhebend:

„Unsere Wünsche und Hoffnungen, die wir heißen Herzens gehegt haben …, unser hohes Ziel, dem seit anderthalb Jahrzehn- ten unser Streben und ernste Arbeit galt – es wurde erreicht, schneller als wir zu hof- fen gewagt! Die letztvergangenen Wochen und Tage sind Grundsteine und zugleich Meilensteine der gewaltigen deutschen Erhebung – die elementare Wucht ihres Geschehens wird sich mit ehernem Griffel in die Tafeln der deutschen Geschichte eingraben und für alle Zeiten in den Her- zen deutscher Männer lebendig bleiben! … Hindenburg, unser Führer aus großer Zeit, dessen ehrwürdige geschichtliche Gestalt als Verkörperung aller deutschen Tugen- Wahlplakat der NSDAP zur Reichstagswahl den und als verheißungsvolles Symbol im März 1933, s. S. 50 (Bundesarchiv) stolzer deutscher Vergangenheit hinein- Ein Beispiel für die synonyme Bedeutungs- ragt in unsere Gegenwart, sie mit kraftvol- setzung auf die Personen Hindenburg/Hit- ler Hand meisternd und umbildend … ler, für dieses Bündnis des alten wilhelmi- In tiefer Bewegung, freudigem Stolz und nischen mit dem neuen antirepublikani- nie erlöschendem Dank grüßen wir diese schen Deutschland bietet der „Bund zur deutschen Männer und die nationale Re- Pflege der Kameradschaft unter den ehe- gierung, grüßt der Bund 16. Dragoner die maligen Angehörigen des 2. Hannover- heiligen Farben des alten Reiches und das schen Dragonerregiments Nr. 16“. Freiheitsbanner der deutschen Erhebung, die vereint über unsern Landen wehen!“ Dieser Krieger-Traditionsverein wurde im Jahre 1920 gegründet in der „Garnisons- Auch die erste Bundestagung dieses Dra- stadt Lüneburg“ und angeleitet von sei- goner-Traditionsvereins nach der Macht- nem Vorsitzenden (ab 1933: „Führer“), übertragung, die im September 1933 im Rittmeister und Oberstleutnant a. D. An- Lüneburger Schützenhaus stattfand, stand ton Karl Seip. Auf einer Sonderseite ihrer vollends im Zeichen der Eingliederung in Zeitschrift „Die Bundes-Nachrichten“ ver- die nationalistische Bewegung, des rück- öffentlichte dieser Traditionsverein unmit- blickenden Dankes an den alten General- telbar nach der Machtübertragung und feldmarschall und der zukünftigen Erwar- den März-Wahlen (unter der Überschrift tung an Reichskanzler Hitler, das Ver- „30. Januar und 5. März 1933“) ihren Dank mächtnis Hindenburgs auszufüllen, zu rea- lisieren.

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______daß wir uns nicht umzustellen brauch- ten, wir brauchen uns nur einzugliedern in die große deutsche Front. Vor dieser Front stehen die Führer; steht der Gene- ralfeldmarschall des großen Krieges, steht der Mann, der zum Gründer des Dritten Reichs, zum Vollender des Rei- ches Bismarks geworden ist. Wir 16. Dra- goner danken Ihnen und blicken in Ver- trauen zu ihnen auf. Wir danken ihnen, daß neben dem Sturmbanner des Drit- ten Reiches die alte schwarz-weiß-rote Fahne über Deutschland flattert. Wir danken dem Kanzler, daß er … uns be- freit hat von der Verherrlichung der Zahl, der Mehrheit, dem Parlamentarismus, befreit hat von der östlichen Pest des Bolschewismus und seiner blutigen Vor- frucht, dem Kommunismus. Wir danken endlich, und das scheint das Größte, daß er Millionen deutscher Menschen wie- der national, zu deutsch fühlenden Men- schen gemacht hat. Zu diesem vielfälti- gen Dank gesellt sich die Hoffnung und der Glaube, daß sich alles Gewollte ver- Dragoner-Zeitung „Die Bundes-Nachrichten“ vom Oktober 1937 wirklicht. Zwei Dinge sind es vor allem: die Zerreißung des Versailler Schanddiktats Über Seips Ansprache am Vortag des Bun- und – eng damit verbunden – die Schaf- destages, auf dem Begrüßungs-Kamerad- fung eines starken deutschen Heeres, ge- schaftsabend, berichten die „Die Bundes- stützt auf den Eckpfeiler der allgemeinen Nachrichten“: Wehrpflicht, ausgerüstet mit allen Waffen. Eines wissen wir: ohne ein starkes Heer „Der diesjährige Bundestag, so betonte er gibt es keine Macht! Die Wohlfahrt, das u. a., steht unter einem besonderen Zei- Gedeihen des Volkes ruht einzig und allein chen. Das große Ziel deutscher Erhebung, auf den Spitzen seiner Bajonette. Alles, der Befreiung vom Novemberverrat, ist er- was wir können und vermögen, geloben reicht. Es hat sich wieder einmal gezeigt, wir einzusetzen für diese Ziele. Unter die- daß Männer die Geschichte machen. Aber ser Hoffnung soll diese Tagung, soll unser dazu muß die Zeit reif sein! Die alten Sol- Bund stehen. In diesem Sinne begrüße ich daten haben dieses Ziel stets im Auge ge- euch, 16. Dragoner. In diesem Sinne heißt habt. Sie haben auch einen, wenn auch es: Deutschland heil! kleinen und bescheidenen, Anteil an dem gegenwärtig Erreichten, weil sie alles, was Begeistert stimmten die Versammelten sie konnten, eingesetzt haben für dieses ein, begeistert wurde das Deutschland- Ziel. Ohne Überhebung können wir sagen, und das Horst-Wessel-Lied gesungen.“

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______Von der Gartenstraße zur Amtsenthebung von Lehrkräften gefor- Hindenburgstraße dert, auch die des Direktors des Johanne- ums, Dr. Hackmann. Ebenfalls wurde als Die längst nicht mehr demokratischen TOP gefordert: „Benennung geeigneter Kommunalwahlen zum Bürgervorsteher- Straßen oder Plätze der Stadt mit den Na- Kollegium Lüneburgs vom 12. März 1933 men des Reichspräsidenten und des brachten für das rechtskonservative politi- Reichskanzlers.“ sche Lager ein gewünschtes Ergebnis: SPD und KPD verloren an Zuspruch, sämtliche Zu Beginn der Sitzung wurde zunächst ein Stimmen der „Bürgerlichen Einheitsliste“ Schreiben des Bürgermeisters Richter vor- (die zuvor noch mit der SPD koalierte) und getragen, der die Zuständigkeit für die der „Liste der Mitte“ gingen an die NSDAP überaus wichtigen Polizeiangelegenheiten und die „Kampffront Schwarz-weiß-rot“, besaß und wegen „nationaler Unzuverläs- die beide nun gegenüber den Arbeiterpar- sigkeit“ in die Kritik der Nazis geraten war. teien über eine Mehrheit von 20 zu 11 Richter erklärte zu einer Absetzungsforde- Stimmen verfügte (die Deutsch-Hannover- rung der NSDAP-Gauleitung beim Regie- sche Partei gewann einen Sitz). Dezimiert rungspräsidenten mit der „Anschuldi- wurde die Anzahl der Oppositionssitze zu- gung“, er sei Mitglied der SPD gewesen: dem durch die Verhaftung der beiden „Ich gebe hiermit die dienstliche Erklärung KPD-Mandatsträger mit Hilfe der Hinden- ab, daß ich weder der SPD, noch über- burgschen Schutzhaft-Verordnung bereits haupt zu einer linksgerichteten Partei oder vor Konstituierung des neu gewählten Organisation jemals in Beziehung gestan- Stadtparlaments, der Mandatsniederle- den oder solche Beziehungen gesucht gung des SPD-Abgeordneten Bierwisch habe. Ich bin immer ein Mann nationaler und (ab 18. April) von Dr. Schwartz und Gesinnung gewesen und werde es blei- Ernst Braune und der späteren Verhaftung ben.“ Dennoch wurde Richter noch im sel- weiterer SPD-Mitglieder. ben Jahr abgelöst von Dr. Mohrmann.

Die Tagesordnung der ersten Sitzung des Die Begrüßung und Ansprache an den Bürgervorsteher-Kollegiums (unterzeich- neuen Gemeinderat durch Oberbürger- net vom Bürgervorsteher-Wortführer Dr. meister Dr. Schmidt ließ keinen Zweifel an Dressler, dem „Fraktionsvorsitzenden“ der der NS-Orientierung dieses Gremiums auf- NSDAP) für Freitag, den 7. April 1933 ver- kommen: „Meine Damen und Herren! Die zeichnete neben bestimmter Formalia aus- nationale Erhebung, die wie ein Frühlings- schließlich (als Nachtrag für die zunächst sturm durch Deutschland gebraust ist, hat vorgesehene Tagesordnung) Anträge der auch in der Zusammensetzung unserer NSDAP. Diese reichten von antijüdischen städtischen Körperschaften wesentliche Maßnahmen (Erlass eines Schächtverbots Veränderungen mit sich gebracht … der in Lüneburg) über die Bevorzugung des Sturm des Hitler-Frühlings … die neue Handwerker-Klientels der NSDAP bis zur Gruppe, die das neue, junge und … bes- Säuberung des Apparats der Stadtverwal- sere Deutschland erkämpft … Wir haben tung von unliebsamen Bediensteten im aber das unbedingte Vertrauen in die Sinne der NSDAP. Bei der Diskussion neue Reichsregierung … Unsere Aufgabe wurde dieser Punkt ausgeweitet und die ist es, im Rahmen und im Sinne der neuen Ordnung des Reiches und seiner Ziele in unserem Bereich an dem Wiederaufbau 15

______mitzuarbeiten. Lassen Sie uns in dieser sie auch an die alten Wahrzeichen Lüne- Stunde geloben, mit ernstem Willen und burgs, Mons, Pons, Fons anknüpfe. Gegen in zäher, zielbewusster, sachlicher Arbeit die Benennung des Kurparkes hat er prak- dem Führer des neuen Reichs … zu folgen tische Bedenken, da der Kurpark doch zu … Lassen Sie uns einig sein in dem Gedan- eng mit dem Sole- und Moorbad verbun- ken: Alles für Deutschland!“ den sei und eben „Kur“-Park bleiben müsse. Weitere Dokumente über diese Sitzung Bv. Lütchens (NSDAP.) meint, daß die Aus- des Rates der Stadt (Bürgervorsteher-Kol- sprache über den Antrag nur Anregungen legium) sind im Archiv der Stadt Lüneburg für den Magistrat (vergleichbar mit dem (B 5 Nr. 40 Bd. 11) nicht zu finden. Viel- heutigen Verwaltungsausschuss des Rates, leicht hat man diese „kompromittieren- d. V.) geben solle, der dann die Beschlüsse den“ Papiere, wie viele andere auch, nach zu fassen habe… Bürgermeister Richter ist 1945 entfernt. mit dem Vorschlag, die Lindenstraße als eine der schönsten Straßen in Hitler- Eine andere Quelle benennt die Wortmel- Straße umzubenennen, einverstanden. dungen und die Diskussion über die beab- Bv. Dr. Baustaedt („Kampffront“, d. V.) sichtigte Namensgebung von Straßen oder teilt die Bedenken hinsichtlich des Kur- Plätzen, die „Lüneburgschen Anzeigen“ parks. Dr. Dreßler meint, man solle Stra- vom 8. April 1933: ßen mit indifferenten Namen, wie Linden- straße oder auch die Gartenstraße, die ih- „In der Umbenennung der Straßen macht ren Namen heute zu Unrecht führe, umbe- Bv. (Bürgervorsteher, d. V.) Dr. Dreßler na- nennen. mens der NSDAP. den Vorschlag, den Kur- Bv. Goretzki (NSDAP) regt hierzu weiter park in Hindenburgpark und die Linden- an, den Finkenberg … in Horst-Wessel- straße in Adolf-Hitler-Straße umzubenen- Berg umzubezeichnen. nen. Der Oberbürgermeister meint, … Finken- Der Oberbürgermeister (Dr. Schmidt , d. berg sei aber eine katastermäßige Be- V.) bemerkt, daß er sich ebenfalls schon zeichnung, die nicht geändert werden Gedanken über eine Ehrung des Reichs- könne. Dagegen erklärte sich der Oberbür- präsidenten und des Reichskanzlers ge- germeister einverstanden, daß die Straße macht habe. Er habe den Gedanken aufge- Finkenberg: Horst-Wessel-Straße genannt nommen, die beiden Brücken, die vom würde. Das Weitere wird dem Magistrat Bahnhof aus in die Stadt führten mit den überlassen.“ Bezeichnungen „Hindenburg-Brücke“ und „Adolf-Hitler-Brücke“ zu versehen und die Am 8. April 1933 beschloss der Magistrat, Namensschilder in künstlerischer Weise die Lindenstraße in Adolf-Hitler-Straße, dort aufzustellen. Finkenberg in Horst-Wessel-Straße und die Bv. Dr. zu Jeddeloh („Kampffront“, d. V.) Gartenstraße in Hindenburgstraße umzu- unterstützt die Anregung des Oberbürger- benennen. meisters auf das Wärmste. Er findet die Idee der Brü- ckenbenen- nung geradezu großartig, da Lüneburgsche Anzeigen vom 8. April 1933

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Von der Hindenburgstraße zur Alliierte Kontrollratsdirektive Nr. 30

Gartenstraße vom 13. Mai 1946:

Bei den ersten Kommunalwahlen nach der „Der Kontrollrat verfügt wie folgt: Befreiung, 1946, wurde nach dem „engli- schem System“ gewählt, d.h. es galt ein I. Von dem Zeitpunkt des Inkrafttre- Mehrheitswahlrecht. Dieses erbrachte für tens dieser Direktive an ist untersagt die Sozialdemokraten eine deutliche und als gesetzwidrig erklärt … die Mehrheit von 23 Sitzen. Es folgte mit wei- sonstige Zurschaustellung von … tem Abstand die CDU mit 6, die Deutsche Straßen- oder Landstraßenschildern, Partei mit 2 sowie die FDP und die KPD mit … die darauf abzielen, die deutsche militärische Tradition zu bewahren je einem Sitz. (LZ v. 15.1.1986) und lebendig zu erhalten, den Milita-

rismus wachzurufen oder die Erinne- Nachdem bereits am 14. Mai 1945 auf An- rung an die nationalsozialistische weisung der Militärinstanzen vom einge- Partei aufrechtzuerhalten, oder ihrem setzten Bürgermeisters Drape einige Nazi- Wesen nach in der Verherrlichung Straßennamen rückbenannt wurden von kriegerischen Ereignissen beste-

(Adolf Hitler-Straße, Legion-Condor- hen. Untersagt und als gesetzwidrig

Straße, Schlageterstraße, Otto-Telschow- erklärt ist ferner … der Anschlag oder Wall, Dietrich-Eckart-Straße, Horst-Wes- sonstige Zurschaustellung an Gebäu- sel-Straße), sollten auf der Sitzung des Ra- den oder anderen Bauten von Ge- tes der Stadt am 3.4.1947 weitere Straßen genständen der obenerwähnten Art… umbenannt werden. Die entsprechenden Vorgaben wurden durch die Alliierte Kon- II. Sämtliche bestehenden … Stra- trollratsdirektive Nr. 30 vom 13. Mai 1946 ßen- oder Landstraßenschilder, (s. a. Zonenpolitikanweisung Nr. 39 vom Wahrzeichen, Gedenktafeln oder Ab- 22.8.1946) gesetzt. zeichen einer Art, deren Planung, Entwurf, Errichtung, Aufstellung, An-

schlag oder sonstige Zurschaustel-

lung § I dieser Direktive untersagt, Die Niederschrift über diese ordentliche, sind bis zum 1. Januar 1947 vollstän- öffentliche Sitzung des Rates der Stadt Lü- dig zu zerstören und zu beseitigen. … neburg am 3. April 1947 notiert:

V. a) Die Ausdrücke „militärisch" und

„Pkt. 6a der Tagesordnung: "Militarismus" sowie der Ausdruck

„kriegerische Ereignisse" im Sinne Der Oberstadtdirektor gibt bekannt, daß dieser Direktive beziehen sich auf infolge Zonenpolitikanweisung Nr. 39 der Kriegshandlungen nach dem 1. Au- Kontrollkommission alle Straßenbezeich- gust 1914 zu Lande, zu Wasser oder nungen nazistischen oder militaristischen in der Luft und auf Personen, Organi- Ursprungs zu entfernen sind. Hiernach sationen und Einrichtungen, die mit müssen eine Anzahl Straßennamen in Lü- diesen Handlungen in unmittelbarem neburg geändert werden. Herr Oberstadt- Zusammenhange stehen.“ direktor verliest den vom Verwaltungsaus- schuß vorgeschlagenen Beschlußentwurf wie folgt:

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______‚Die nachbenannten Straßen in Lüneburg Ratsherr Wallbaum (SPD) führt aus, daß werden mit sofortiger Wirkung wie folgt mit der Abänderung der Bezeichnung Hin- umbenannt: denburgstraße über Hindenburg kein Schlieffenkaserne in Peter Schulzstraße, Werturteil abgegeben werden solle. Er Bülowstraße in Georg Böhmstraße, Luden- wolle sich kein Werturteil über Hinden- dorffstraße in Hans Steffensweg, Hinden- burg anmaßen. Die Geschichte würde burgstraße in Gartenstraße, Landrat Alb- einst darüber urteilen (Zwischenruf rechtstraße in Wacholderweg.‘ Schwalbach: „hat sie schon“). Ratsherr Wallbaum ist der Ansicht, daß alle Kriegs- Der Oberbürgermeister eröffnet die Aus- gedanken aus unseren Köpfen ausgemerzt sprache. werden müssen, wozu auch gehört, daß die Bezeichnung Hindenburgstraße ver- Ratsherr Dr. Dieckmann (alteingesessener schwindet. Bei der Benennung von Stra- Lüneburger; zunächst Staatsanwalt, dann ßennamen müssen wir uns davor hüten, Rechtsanwalt; vordem NSDAP, jetzt CDU, die Namen von Politiker zu wählen. In die- d. V.) ist der Ansicht, daß Straßennamen ser Beziehung sollte man erst die Ver- nur dann geändert werden sollten, wenn dienste abwarten. Er hält den alten Na- ein wirklich dringendes Bedürfnis dafür men Gartenstraße für passend und zweck- vorliegt… (Er) sieht keinen Grund, die Be- mäßig. zeichnung Hindenburgstraße abzuändern. Hindenburg habe zwar Fehler gemacht, Der Oberstadtdirektor teilt mit, daß nach wovon sich jedoch niemand freisprechen der Zonenpolitikanweisung Nr. 39 die Be- könne. Er sei jedoch unbestreitbar der Be- zeichnung Hindenburgstraße verschwin- freier des deutschen Ostens im Kriege den muß, so daß sich eine Debatte dar- 1914/18 gewesen, und insbesondere die über erübrigt. Ostflüchtlinge würden die Namensände- rung der Hindenburgstraße nicht billigen. Da weitere Wortmeldungen nicht vorlie- gen, nimmt der Oberbürgermeister die Ratsherr Schwalbach (KPD) kann sich den Abstimmung vor … Ausführungen des Ratsherrn Dr. Dieck- mann nicht anschließen… Um den Faschis- Es wird festgestellt, daß der Beschlußent- mus und Militarismus aus den Köpfen der wurf angenommen ist, und zwar für die Bevölkerung, insbesondere der Jugendli- Hindenburgstraße/Gartenstraße gegen 4 chen, zu entfernen, muß der Name Hin- ablehnende Stimmen, für die übrigen Stra- denburgstraße verschwinden. Außerdem ßen einstimmig.“ (Stadtarchiv Lüneburg, sei zu bedenken, daß Hindenburg der To- VA 2 102424) tengräber der Demokratie gewesen sei, der Mittelsmann zwischen der Weimarer Republik und dem Faschismus. Auch die Verdienste Hindenburgs im Weltkrieg könne er nicht gelten lassen. Wir hätten genug Männer, die sich um den Frieden und die Demokratie verdient gemacht hät- ten.

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______Von der Gartenstraße zur Das Protokoll notiert: Hindenburgstraße II „Bürgermeister Heideborn: Ich persönlich In den folgenden Jahren verlor die SPD bei bin von vielen Heimatvertriebenen als den Kommunalwahlen zwar ihre absolute auch Einheimischen gebeten worden, Mehrheit (es wurde ab 1947 nach dem doch endlich einmal die Gartenstraße wie- heutigen Verhältniswahlrecht gewählt), der in Hindenburgstraße umwandeln zu aber angesichts des Einflusses alliierter In- lassen, wie sie ja auch früher geheißen teressen hielten sich die Rechtskräfte noch hat. zurück in ihrem Bemühen um die Umdeu- Es war mir eine Genugtuung, daß unser Al- tung deutscher Geschichte und bei deren terspräsident, Herr Braune, uns erklären öffentlicher und alltagstauglicher Präsen- konnte, daß die damaligen Stadtväter tation. diese Umbenennung auf Zwang, auf Be- Diese taktische Zurückhaltung wurde 1952 fehl des Engländers haben machen müs- nach den Kommunalwahlen am 9. Dezem- sen. Ich bin mir bewußt, daß wahrschein- ber d. J. aufgegeben nach dem Einzug des lich kein Deutscher seinerzeit eine derar- „Block der Heimatvertriebenen und Ent- tige Maßnahme allein von sich aus getrof- rechteten“, BHE (später „Bund …“) in den fen hätte. Über den Namen HINDENBURG Rat der Stadt und mit der Bildung eines noch weiter zu sprechen, erübrigt sich Rechtsblocks. Die Sitzverteilung ergab nun wohl … für die SPD: 13 Mandate, BHE: 6, Deutsche Für uns Ostdeutsche bedeutet Hindenburg Partei (DP): 5, FDP: 4, Mittelstandsblock: der Befreier Ostdeutschlands und vor al- 3, CDU: 4 Mandate. Zum Oberbürgermeis- lem Westpreußens, damals im ersten ter wurde vom Rat der Stadt Rechtsanwalt Weltkriege, als er durch die Vernichtungs- Peter Gravenhorst (DP) gewählt, zum Bür- schlacht bei Tannenberg die Russen schlug germeister Oskar Heideborn (BHE). und weit über die deutschen Grenzen hin- aus wieder nach Rußland beförderte. Zu dieser Zeit galt nach wie vor die Alli- Damals waren schon Hunderttausende un- ierte Kontrollratsdirektive vom 13. Mai serer Landsleute im Osten genauso auf 1946 (s. S. 17), die der Hindenburgstraße dem Treck wie heute, wenn auch nicht in ihren Namen verbot. Das Grundgesetz be- dem Ausmaße. Ich persönlich bin wohl der stimmte im Artikel 139, dass diese Rechts- einzige gewesen, glaube ich, der damals vorschriften weiterhin ihre Gültigkeit be- die Schlacht bei Tannenberg mitgemacht sitzen. hat…. Ich habe jedenfalls die Schreckens- Die politische Praxis widersprach auch in bilder von Anfang an gesehen; ich habe diesem Punkte der Verfassung: gesehen, wie die Trecks und die Züge über die Weichsel hinausgingen und gehört, Bereits zur ersten Sitzung des neugewähl- wie der Name Hindenburg von uns allen, ten Rates am 10.12.1952 brachten auch von dem gesamten deutschen Volke, Gerhard Prott (Gaststättenkaufmann, als Befreier des Ostens genannt wurde. Ich BHE) und Oskar Heideborn (Bürgermeis- will nicht nur seine militärischen Ver- ter, Regierungsrat a. D., BHE) den Antrag dienste preisen, sondern ihn auch als ein: „Die jetzige Gartenstraße – frühere Staatsmann hinstellen; denn Hindenburg Hindenburgstraße – ist wieder in „Hinden- ist ja tatsächlich der zweite Reichspräsi- burgstraße“ umzubenennen.“ dent nach Friedrich Ebert geworden;

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______Ebert, der in unseren Augen auch als glän- Exkurs: Oskar Heideborn – zender Staatsmann gilt und damals die ein Exponent des Lüneburger schweren Zeiten gut überwunden hat. Als Bürgertums nach 1945 Ebert gestorben war, erging nun die

Stimme an Hindenburg, er solle sich zur Antragsteller auf Rück-Umbenennung des Verfügung stellen, in einem Alter, in dem Straßenzuges in „Hindenburgstraße“ war man sich sonst zur Ruhe setzt. Er war sei- O. Heideborn (BHE), ein Mann, dessen po- nerzeit in Hannover. Hannover, die Haupt- litische Herkunft und sein Wirken Auf- und Residenzstadt, hat ihm eine Villa in schluss über die Veränderung des politi- der Hindenburgstraße, die ja in Hannover schen Klimas in jener Zeit gibt. heute noch Hindenburgstraße heißt, ge- schenkt, und er hat den Ruf des Volkes an- O. Heideborn wurde 1889 in Ostpreußen genommen und wurde mit überwiegender geboren, absolvierte die Oberrealschule, Mehrheit damals zum Reichspräsidenten erlangte beim Militärdienst die Offiziers- gewählt. Daß es ihm nicht gelungen ist, so qualifikation und begann seine berufliche die Schritte zu lenken, wie man es durch- Tätigkeit noch bei der „Königlich-Preußi- weg hätte verlangen können, lag an sei- schen Zollverwaltung“. Im 1. Weltkrieg nem Alter. Es ist wohl klar, wäre Hinden- brachte er es bis zum Kompanie- und Ba- burg damals etwas jünger gewesen, wäre taillonsführer. Nach Kriegsende kehrte die Schicksalswendung in Deutschland Heideborn in die Reichszollverwaltung zu- heute eine andere. Aber die Verdienste rück und stieg dort sehr schnell auf: Er dieses Mannes stehen hoch da. Wenn in wurde zunächst stellvertretender Landes- der heutigen Zeit der Diskriminierungen zolldirektor im Memelgebiet, dann u. a. und der Difformierungen (Schreibweise im Leiter der Zollschule in Berlin und in Ham- Original, d. V.), die vor allem unsere Solda- burg. Während der Nazi-Zeit wurde er Lei- ten angeprangert hat, sogar unsere Geg- ter im Hauptzollamtsbezirk Lyck (Ostpreu- ner an uns denken, weil sie uns brauchen, ßen), einer Stadt, in der die NSDAP bereits so halte ich die Zeit für gegeben, die Um- bei den Novemberwahlen 1932 66,3 % der benennung der Gartenstraße vorzuneh- Stimmen erhielt (Reichsdurchschnitt: 33,1 men. Vor allem wir Ostvertriebene wollen %). Er wurde dort höchster Verwaltungs- durch diesen Antrag den Mann ehren, der beamter der seinerzeit personell größten nicht nur einer der größten Deutschen ist, Zollstelle des Deutschen Reiches mit rund sondern auch der Ehrenbürger der Stadt 1600 Beamten und Angestellten und Lüneburg. Ich glaube wohl kaum, daß je- brachte es hier bis zum Regierungsrat. (LZ mand eine gegenteilige Haltung zeigt, und 3.4.1951) Diese Leitungsfunktionen wurde ich hoffe, daß mein Antrag ziemlich voll- bereits ab 1933 „nur mit bewährten Natio- zählig angenommen wird.“ nalsozialisten besetzt“, die „alle Entschei-

dungen nur nach nationalsozialistischen Karl Markwart spricht sich namens der Grundsätzen treffen … (Die Leitungen der SPD-Fraktion gegen die Umbenennung Hauptzollämter haben) die Gewähr natio- aus. nalsozialistischen Denkens und Handelns

(zu) bieten…“ (Anordnung Reichsfinanzmi- „Der Vorsitzende … stellt Annahme (des nisterium) Die Zollämter spielten u. a. eine Antrags) fest: 16 Stimmen dafür, 13 Stim- zentrale Rolle bei der Verfolgung der Ju- men dagegen.“

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______den und der „Arisierung“ ihres Vermö- geregelt wurde) und sich ganz seiner poli- gens, sie lieferten die nötigen Instrumente tischen Verbands- und späteren Parteitä- und Mittel. tigkeit widmen.

Vor der Einnahme Ostpreußens durch die In Lüneburg traf er auf ein breites Klientel Rote Armee flüchtete Heideborn nach Be- mit gleichem oder ähnlichem Lebenshin- kanntgabe des Fluchtbefehls vom 21. Ja- tergrund: Immer mehr Flüchtlinge und nuar 1945 mit Frau und seinen beiden Umsiedler erreichten die Stadt (1939: Söhnen per Seetransport über die Ostsee 35.000 Einwohner, Ende 1945: 53.000, und gelangte nach Lüneburg, wo er zu- September 1950: 58.000 Einwohner), nächst in der Julius-Wolff-Straße 3 unter- mussten mit der katastrophalen Situation kam. Die große Wohnung dort diente zu- (Hungersnot, Obdachlosigkeit u.a.) fertig vor als Büro der Auslieferungsstelle Nie- werden, die auch hier als Auswirkung des dersachsen des Zentralverlags der NSDAP Nazi-Krieges herrschte. und wurde nun zur gemeinsamen Unter- Es gründeten sich fortan bei dieser Bevöl- kunft für den Staatsanwalt Walter Gerken kerungsgruppe Interessensgemeinschaf- und für Oskar Heideborn mit ihren Fami- ten, denen sich Heideborn anschloss und lien. Bereits 1948 konnte Heideborn diese dort sehr schnell in die jeweiligen Vor- Wohnung verlassen und mit seiner Familie stände aufstieg. in eine großzügig geschnittene Wohnung Öffentlich bekannt wurde Heideborn zu- Am Werder 13 ziehen, die er sich nicht nächst am 10.8.1949 durch eine von ihm mehr mit einer anderen Familie teilen aufgesetzte, etwas mysteriöse Anzeige in musste. Am 25. Juni 1953 stellte er bei der der Landeszeitung, in der er als „Flüchtling Stadt Lüneburg einen Bauantrag für den Heideborn“ denjenigen eine hohe Beloh- „Neubau eines Einfamilienhauses mit Ein- nung versprach, die ihm seine „auf dem liegerwohnung“ in der Langenstraße 20 Wege Ochtmissen – Lüneburg verlorene (Nähe Kreidebergsee), der umgehend ge- gold. Uhr und Militärrock“ wieder zurück nehmigt wurde, ließ sich das Haus dank bringen würden. zahlreicher öffentlicher Zuschüsse bauen Zwei Monate später erschien sein Name und wohnte dort in exklusiver Wohnlage, ein weiteres Mal in der Landeszeitung, in umgeben von Nachbarn aus dem höheren einem Bericht über die Jahrestagung der Bürgertum der Stadt (von Podewils, von Lüneburger „Aufbaugemeinschaft“. Solche Ruckmich, Toltzin, Sevecke u.a.). Aufbaugemeinschaften bildeten sich sei- nerzeit an verschiedenen Orten mit dem Hier in Lüneburg wurde er nach kurzer Ziel, über Eingaben an den Rat der Stadt, Entnazifizierungsprozedur (Heideborn Positionierung der Verbandsmitglieder an wurde als „nicht belastet“ eingestuft) zum dafür einflussreiche Stellen, öffentliche Regierungsrat z.Wv. (zur Wiederverwen- Aufrufe etc. die Behebung der Wohnungs- dung) erklärt und konnte, da keine pas- not zu forcieren und zu gestalten und ins- sende Stelle für ihn bereitstand, mit 61 gesamt ihre Lebenssituation zu verbes- Jahren als „verdrängter Angehöriger … sern. In Lüneburg wurde ein Stadtverband aufgelöster Dienststellen" im frühen Alter der Aufbaugemeinschaft am 31. Juli 1948 bereits Ruhestandsbezüge beziehen (was von Pastor Schulz-Rakwitz gegründet, dem dann 1951 auch per 131-er-Bundesgesetz ein gutes Jahr später bereits 1.200 Fami- lien, also einige tausend Personen insge- samt, angehörten. 21

______Zunächst konzentrierten sich die Vereins- Vertriebenen“), der die Funktion der Auf- mitglieder ausschließlich auf diese Ziele baugemeinschaft übernahm und noch des „Aufbaus in der neuen Heimat“, zumal stärker in den politischen Raum hinein- die Gründung von „Vertriebenenverbän- wirkte mit seiner Forderung nach der Wie- den“ mit ihrer politischen Ausrichtung zu- derherstellung eines Großdeutschland. nächst noch durch ein Koalitionsverbot Auch hier wurde Oskar Heideborn sofort untersagt war. Sehr schnell aber gingen tätig als Sprecher der Abteilung Lüneburg- ihre Aktivitäten weit darüber hinaus und Stadt dieses Verbandes. Loeffke wurde die Forderung auch nach einem „Rück- Sprecher im Landkreis Lüneburg. kehrrecht in die alte Heimat“ wurde zu- nehmend lauter. Über die Versammlung der Aufbauge- Dieser Doppelcharakter kommt deutlich in meinschaft vom 10. Oktober 1949 be- der Überschrift eines längeren LZ-Artikels richtet die LZ weiter: vom 10.10.1949 zum Ausdruck, in dem über die Jahreshauptversammlung der Lü- „ ‘Gebt uns den geliebten Heimatboden neburger Aufbaugemeinschaft berichtet wieder, von dem ihr uns gegen alle wird, die gemeinsam mit einem „Tag der menschliche Satzung, gegen alles Heimat“ im Schützenhaus begangen göttliche Recht hinausgetrieben habt!‘, wurde (s. Kasten rechts): rief der Vorsitzende der Aufbauge- meinschaft im Landkreis Lüneburg, „‘Gebt uns die Heimat wieder!‘ Der Tag Forstmeister Loeffke, am Freitag im der Heimat in Lüneburg — Aufbaugemein- Schützenhaus aus,…. Die Einmütig- keit des Gedankens an die Heimat, so schaft gegen Barackenwohnungen“ fuhr der Redner fort, mache alle Ver-

triebenen stark für die Zukunft … Oskar Heideborn wurde auf dieser Ver- Scharf wandte sich Loeffke gegen die sammlung (mit immerhin 700 Personen) Worte des Ministerpräsidenten von zum 2. Vorsitzenden des Stadtverbandes Nordrhein -Westfalen, Arnold, der von der Aufbaugemeinschaft gewählt – der Be- der Möglichkeit eines Zusammenle- ginn seiner politischen Karriere. Mit den bens von Polen und Deutschen im weiteren Vorstandsmitgliedern Elsner und gleichen Raum gesprochen habe. Manske verband ihn fortan eine lange Nicht, wer seine Heimat behalten will, währende politische Freundschaft, insbe- sagte Loeffke, treibe Nationalismus, sondere auch mit Forstmeister Loeffke (bis sondern wer sich über göttliches und zu einem bestimmen Zeitpunkt), dem Vor- menschliches Recht hinwegsetze. 4 sitzenden des Landkreis-Verbandes der Millionen ermordete und verhungerte Aufbaugemeinschaft, einem ebenfalls aus Ostdeutsche gäben der Flüchtlingsbe- Ostpreußen stammenden Forstmeister, wegung das moralische Recht, vor al- der wie Heideborn nach schneller Entnazi- ler Welt ihre Forderungen anzumel- den. Mit einer Minute schweigenden fizierung zum Beamten z. Wv. erklärt Gedenkens an die Heimat und die zu- wurde und ebenfalls über viel Zeit für rückgebliebenen Toten schloß Loeffke seine politische Tätigkeit verfügte. seine Ansprache, die mehrmals vom Beifall der Menge unterbrochen wor- Ein halbes Jahr später bereits war auch in den war.“ Lüneburg eine Unterabteilung des „Zent- ralverbandes vertriebener Deutscher“ ge- gründet (ein Vorläufer des „Bundes der 22

______Auffällig ist für diese Zeit um die Mitte des tung dieses Rechtsaußen-Klientels. Folge- Jahres 1950 mit dem Beginn des Kalten richtig agitierte Heideborn auf der ge- Krieges die veränderte Argumentation der nannten Veranstaltung des ZvD gegen alle Verbandsfunktionäre: Wurden zunächst politischen Bestrebungen, die sich gegen noch die Beschlüsse der Alliierten negiert eine baldige „Regermanisierung“ der ehe- mit einem „Recht auf Heimat“ der Lüne- maligen deutschen Ostgebiete stellen burger Flüchtlinge und Umsiedler, welches könnten. sich durch „menschliche Satzung und gött- Dem damaligen Bundes-Flüchtlingsminis- liches Recht“ begründe, so finden jetzt ak- ter Lukaschek (ein Politiker des vormaligen tualisierte und „zeitgemäße“ Argumentati- Zentrums und NS-Verfolgter) warf Heide- onen Gehör. Auf einer Versammlung der born vor, die Interessen des ZvD nicht hart Lüneburger Gruppe des „Zentralverbandes genug zu vertreten und der „Finanzminis- vertriebener Deutscher“ (ZvD) Anfang Juni ter Dr. Schäffer (CSU-Politiker, zuvor KZ- 1950 gab der Sprecher seinem Referat den Häftling in Dachau, d. V.) sei … ein Mann, Titel „Mehr Preußentum!“ und unterstrich der mit allen Mitteln hintertreibe, daß den „die Rolle des Deutschtums im Osten als Vertriebenen ihr Recht zuteil werde.“ Bollwerk gegen das Vordringen Asiens … Der Redner erntete starken Beifall, als er Den Bestrebungen zahlreicher ehemaliger den Wert des „echten Preußentums" bei Flüchtlinge und Umsiedler, angesichts der der Wiederherstellung einer staatlichen allgemeinen Notsituation Deutschland zu und gesellschaftlichen Ordnung in verlassen und im Westen oder in Übersee Deutschland hervorhob.“(LZ v. 3.6.1950) eine neue Heimat zu finden, hielt er mit völkisch-deutscher Intention der „Ostland- Hier zeigte sich bereits eine Argumentati- ritter“ entgegen: „‘Es gibt für uns nur eine onserweiterung: Die Forderung nach Rück- Auswanderung aus Westdeutschland: Zu- übersiedlung der Lüneburger Flüchtlinge rück in die ostdeutsche Heimat.‘ (Bei- und Umsiedler nach Polen und in die Sow- fall.)“(LZ v. 3.6.1950) jetunion wurde begründet mit der Not- wendigkeit, im Osten des Landes einen Bereits im Januar 1950 konstituierte sich deutschen Vorposten gegen das Vordrin- nach Aufhebung der Parteienlizensierung gen „asiatischer“ Eindringlinge zu schaf- durch die Alliierten ein „Block der Heimat- fen. Interessant ist die aggressive Wort- vertriebenen und Entrechteten“(BHE) un- wahl, die in deutlicher Kontinuität zur fa- ter ihrem Vorsitzenden Waldemar Kraft schistischen Propaganda vorgetragen (zuvor Ehren-Hauptsturmführer der allge- wurde. An das Himmlersche Leitmotiv des meinen SS, Geschäftsführer der „Reichsge- „ewigen Kampfes germanischer Helden sellschaft für Landbewirtschaftung in den gegen asiatische Untermenschen" (Peter eingegliederten Ostgebieten“, später Mi- Longerich: Heinrich Himmler. Biographie. nister für Sonderaufgaben im 2. Adenauer- 2008, S. 278 f.) wird hier unmittelbar an- Kabinett) in Kiel, der bereits einige Mo- geknüpft und dieses in die politisch-aktu- nate später aus dem Stand heraus bei den elle Debatte getragen. Verschärft wird Landtagswahlen in Schleswig-Holstein 23,4 diese Argumentation, ebenso wie der % der Stimmen erringen konnte. Im Au- Rückgriff auf die kaiserliche Geschichte gust d. J. gründete sich daraufhin im Alten Deutschlands („Mehr Preußentum!“), in Brauhaus auch in Lüneburg ein Stadt- und den nächsten Jahren im Zuge der Auswei- ein Kreisverband dieser äußerst aggressi-

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______ven Bündnisorganisation, deren Forderun- und Vermißtenangehörigen“, der Kriegs- gen darin gipfelten, „daß die Verpflichtung beschädigtenverband und andere mehr. für die Wiedergutmachung bei den Urhe- bern des Flüchtlingselends liege, die dieses Zu ihnen stießen zahlreiche Vereinigungen Unrecht durch das Potsdamer Abkommen ehemaliger NS-Wehrmachtsabteilungen bestätigten.“(LZ v. 7.8.1950) mit dem früheren Garnisonsstandort Lü- neburg. (vergl.: VVN-BdA Lüneburg, Eilt Gegenüber dem bislang tätigen ZvD bot herbei, ihr alten Krieger, Lüneburg 2013). der BHE den Lüneburger Rechtsaußen Da sich auch viele Einheimische durch die mehrere Vorteile zur Bündelung ihrer poli- erzwungene Aufnahme von ehemals Ost- tischen Ziele: Zum einen war es ihnen nun- deutschen in ihre Wohnungen ebenfalls mehr möglich, ihren politischen Einfluss als „entrechtet“ betrachteten, stellten durch die Teilnahme an den Wahlen aus- auch sie ein Wählerreservoir für den BHE zuweiten und über die Parlamente direkt dar. Auch in ihrem Interesse lag die Rück- umzusetzen. Zum anderen erweiterten sie kehr dieses Personenkreises in die ehema- ihr politisches Reservoirs weit über das ligen Ostgebiete, wovon sie sich eine Ent- bisherige Vertriebenenmilieu hinaus. Als spannung auf dem Wohnungsmarkt er- „entrechtet“ nämlich begriffen sich z. B. hofften. auch alle ehemals in der weitläufigen Nazi- Administration und in der NS-Wehrmacht Folgerichtig besetzte der am 4. August tätigen Personenkreise, in Lüneburg eine 1950 in Lüneburg gegründete BHE seine mehrtausendköpfige Wählerschicht, für Vorstandsposten mit den Vorständlern die sich der BHE als Interessensvertretung des ZvD, Heideborn (Stadtkreis), Loeffke anbot. (Landkreis), Regierungsdirektor z. Wv. Schnuhr (Verbaost-Vorsitzender), Sette- Neben den Flüchtlingen und Umgesiedel- korn (Reichsbund der Kriegs- und Zivilbe- ten mit ihren spezifischen, aus der Notlage schädigten) mit der Perspektive, Vertreter geborenen Interessen und dem weiten weiterer Verbände wie z. B. die NS-Berufs- Geflecht an Organisationen entwickelten soldaten in den Vorstand aufzunehmen, sich Anfang der 50-er Jahre zahlreiche Ver- was auf der Mitgliederversammlung im bände, die sich für eine Anerkennung als Oktober d. J. auch geschah. durch den Krieg oder die Nachkriegspolitik der Alliierten Benachteiligten und „Ent- Auf der eine Woche später stattfindenden rechteten“ stark machten. Zum ZvD, den Mitgliederversammlung des Verbaost weiteren, ausdifferenzierten Flüchtlingsor- wurde diese Funktion des BHE als Sam- ganisationen wie z. B. dem „Verband der melbecken ausführlich dargelegt, als Hei- heimatvertriebenen Beamten, Angestell- deborn (1. Vorsitzender des ZvD und des ten und Arbeiter“ (Verbaost; Bundesvor- BHE Stadt Lüneburg) erklärte „daß sich der sitzender Walter Kühn trat bereits 1933 in BHE zum Vorkämpfer nicht nur der Hei- die NSDAP ein, wurde später Mitbegrün- matvertriebenen, sondern auch aller ent- der der FDP, Sprecher der Landsmann- rechteten Einheimischen, besonders der schaft Westpreußen und Vorständler des Kriegsbeschädigten, mache.“ Schnuhr Deutschen Beamtenbundes) traten nun (Verbaost-Vorsitzender) stellte auf dieser zahlreiche weitere Verbände wie der „Ver- Versammlung fest „daß nur einzelne Abge- band der Heimkehrer, Kriegsgefangenen ordnete in den Parteien sich bemüht hät-

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______ten, den Ansprüchen der vertriebenen Be- Daszum „Großtreffen niedersächsischen aller Kriegsgeschädigten“ Landtag. Für diese amten und Angestellten des öffentlichen (KundgebungWahlen wurde auf Heideborn dem Marktplatz, von seinem „Heimatgot- BHE Dienstes gerecht zu werden. Die stärkeren tesdienste“im Wahlkreis in der 56 St.(Lüneburg Marienkirche-Stadt) und als Kan-im Kalk- Exponenten dieser Parteien hätten sich berggrund,didat aufgestellt Treffen und der in„Ostdeutschen der LZ nun nicht Jugend“ aber als Feinde der Vertriebenen und als innur der lediglichLambertihalle) als „Heimatvertriebener“, am 28. August kann als Feinde der sozialen Gerechtigkeit erwie- das bedeutendste politische Ereignis des Jahres sen.“ Die LZ berichtet weiter: „ Unter leb- 1950 angesehen werden: haftem Beifall gab die Versammlung ihre Zustimmung zu dem Vorschlag des Red- Die Redner: allesamt vormalige Nationalsozia- ners, die Vertretung der Forderungen der listen: Forstmeister Loeffke, s.o.; Oberbürger- vertriebenen und entrechteten Beamten meister Dr. Müller, ehemaliger Lüneburger dem … BHE anzuvertrauen.“ NSDAP -Mann, Geschäftsführer der Kreishand- werkerschaft; Dr. Gille, Mitglied der NSDAP- Zugunsten einer Aktion des BHE verzichte- Gauleitung Ostpreußen ten sogleich die Verbaost-Mitglieder auf eine geplante eigene Aktion (Protestkund- Die Kundgebungsteilnehmer/-innen: etwa 4.000 gebung am 26. August): „Ein Großtreffen überwiegend männliche Personen, d. h. ca. 20% aller Kriegsgeschädigten“ wurde für den der entsprechenden (und relevanten) Bevölke- 27.8. geplant, wo der führende Funktionär rungsgruppe Lüneburgs, die, wie die LZ be- des BHE, Dr. Gille, sprechen sollte. merkte, die Redner häufig durch ihren Beifall unterstützten. Zwar spielte der BHE Anfang 1951 mit Hei- deborn an der Spitze auf der parlamentari- Die Reden: schen Bühne in Lüneburg noch keine Rolle, „Unter dem Beifall der 4000 forderte auch Dr. aber er nutzte die Zeit bis zu den anste- Mül ler die Rückgabe der ostdeutschen Gebiete.“ henden Wahlen, um seine Klientel weiter „In äußerst scharfen Formulierungen wandte an sich zu binden durch seine Mitglied- sich der Redner (Loeffke) gegen mehrere Politi- schaft und zur Einflussnahme auf die Be- ker … und warnte davor, die Masse der besitzlo- setzung von Funktionsposten: Beim „Bund sen Vertriebenen in die Anarchie und das Chaos der Vertriebenen - Vereinigte Landsmann- einer bolschewistischen Politik zu drängen.“ Lo- schaft, Kreisverband Lüneburg-Stadt“, effke forderte die Remilitarisierung der Bundes- eine Vereinigung mit immerhin 3.000 Mit- republik und gleichzeitig die Rehabilitierung der gliedern, die sich am 12. Mai 1951 in das deutschen Soldaten und Generale sowie die Vereinsregister eintragen ließ mit Elsner, Herstellung der Souveränität Deutschlands und von Schnackenburg, Kowaldt und Kretsch- die Anerkennung der deutschen Grenzen – aller- mann an der Spitze, war Heideborn als dings nicht jener von 1945 oder von 1939 oder Mitglied und Redner ebenso zu finden wie 1937, sondern der Grenzen von 1914. „Loeffkes bei der im Juni 1951 gegründeten „Ar- Rede wurde mehrfach von Beifall unterbro- beitsgemeinschaft Preußen“ (ein Zusam- chen.“ menschluss der Landsmannschaften West- Dr. Gille: „Die Vertriebenen würden nichts for- und Ostpreußens), deren Vorstands-Beisit- dern, was nicht auch im gesamtdeutschen Inte- zer er wurde. resse zu vertreten wäre. Die Frage der Rückgabe der ostdeutschen Heimat sei eine Frage des Die erste Gelegenheit, in den parlamenta- Rechts und der Gerechtigkeit.“ (LZ v. 28.8.1950) rischen Raum hineinwirken zu können, ergab sich im Mai 1951 bei den Wahlen 25

______zum niedersächsischen Landtag. Für diese (DP) und der Lüneburger Mittelstands- Wahlen wurde Heideborn von seinem BHE block (LMB)) zu einer Wahlgemeinschaft im Wahlkreis 56 (Lüneburg-Stadt) als Kan- zusammen und hatten damit Erfolg (sie er- didat aufgestellt und in der LZ nun nicht reichten dadurch 12 statt bisher 5 Sitze), nur lediglich als „Heimatvertriebener“, aber die CDU kandidierte für sich und ver- sondern ebenfalls als „Frontkämpfer bei- lor 2 Sitze (jetzt mit 4 Sitzen vertreten). der Weltkriege“ und als „Kriegsbeschädig- Wahlsieger war die SPD mit 13 (statt bis- ter“ vorgestellt und beworben (LZ v. her 14) Sitzen, die nach wie vor die größte 3.4.1951). Fraktion bilden konnte. Wahlgewinner aber wurde der BHE, der aus dem Stand Heideborn mit seinem BHE blieb aber in heraus 6 Sitze gewinnen und mit seinen der Stadt Lüneburg chancenlos vor allem ca. 22 % der Wählerstimmen die CDU deshalb, weil sich der Rechtsblock mit sei- überholen und nun im Kräftespiel der nen vielen Kandidaten (alles vormalige Rechtsparteien gegen die Sozialdemokra- NSDAP-Parteigänger) aufsplitterte mit Dr. tie eine entscheidende Rolle spielen Paul Müller, Rechtsanwalt für die Nieder- konnte. deutsche Union, (einem Zusammenschluss von CDU und Deutscher Partei); Reinhold Noch deutlicher für den BHE votierten die Kreitmeyer, Oberst a. D. für die FDP; Kurt Wähler/-innen im Landkreis: Im Kreistag Matthaei, Lüneburgs Nazi-Regierungsprä- bildete der BHE die zweitstärkste Fraktion sident (nun a. D.) für die Sozialistische mit 11 Abgeordneten hinter der Wahlge- Reichspartei; Gernot Peters, Rechtsanwalt meinschaft CDU/DP mit 17 Sitzen. Bei den für die Deutsche Soziale Partei. Zwar er- örtlichen Gemeinderatswahlen in den 57 hielt der BHE (gemeinsam auf einer Wahl- Dörfern im Landkreis Lüneburg erhielten liste mit dem Gesamtdeutschen Block) lan- die Kandidaten des BHE sogar die meisten desweit 14,9, % der Wähler/-innenstim- Stimmen, insgesamt 14 264, die zweitplat- men und war damit drittstärkste Partei, zierte Deutsche Partei erhielt den Zu- aber in Lüneburg konnte der Kandidat der spruch von 13 858 Wählern/-innen. SPD (Ernst Braune) das Rennen machen. Möglich wurde dieser Wahlerfolg für den Wie stark sich die Rechtsaußenströmung äußerst aggressiv auftretenden BHE eben- 1951 etablieren konnte wird ersichtlich an falls durch eine Wahlwerbung „von ganz dem hohen Stimmenenteil für die einige oben“ und dem christlichen Segen: Die na- Jahre später als NSDAP-Nachfolgepartei tionalistische Welle wurde, wie bereits vor verbotene „Sozialistische Reichspartei“ im 1933, auch jetzt wieder von großen Teilen Stadtkreis Lüneburg und daran, dass im der örtlichen Kirche getragen: Pastor Kupt- Landkreis Lüneburg der Kandidat dieser sch etwa referierte auf einer Wahlver- Partei, der Landwirt Gustav Rabeler aus sammlung des BHE noch kurz vor den Reinstorf, neben Braune in den Landtag Wahlen in den ersten Novembertagen zu- gewählt wurde. gunsten dieser Partei: „‘Die Heimatvertrie- benen und Entrechteten seien verpflich- Bei den folgenden Kommunalwahlen für tet, ihre Schicksalsgemeinschaft weiter den Rat der Stadt im November 1952 aufrechtzuerhalten‘ erklärte Pastor Kupt- schlossen sich zwar einige Abteilungen des sch auf einer in Hohls Gaststätte abgehal- Rechtsblocks (die FDP, die Deutsche Partei tenen BHE-Wahlkundgebung. Nur durch Einigkeit, führte er weiter aus, werde es 26

______den Vertriebenen möglich werden, die tion“ gewählt, andererseits durch Stimm- Vorbedingungen für eine wirtschaftliche enthaltung der Mehrheitsfraktionen (und Eingliederung und für eine spätere Wie- mit den Stimmen von SPD und KPD) aber dergewinnung der alten Heimat herbeizu- der Kandidat der stärksten Fraktion (Hill- führen.“ (LZ v.7.11.1952) mer, SPD) zum Bürgermeister gewählt.

Darüber hinaus führte das im November Zum Oberbürgermeister wurde nun im 1951 eingeleitete Verfahren zum Verbot Jahre 1952 der Kandidat des Rechtsblocks, der faschistischen Sozialistischen Reichs- Rechtsanwalt Gravenhorst (Deutsche Par- partei, die bei den Landtagswahlen d. J. tei) gewählt und die Frage der Besetzung noch 11 % der Wähler/-innenstimmen er- des Bürgermeisterpostens machtpolitisch zielen konnte, dem BHE viele weitere beantwortet: Bei dieser Wahl enthielten Wähler/-innenstimmen zu. Zwar stellte die sich jetzt die rechten Parteien nicht der SRP für die Lüneburger Kommunalwahl Stimme, um die Wahl des SPD-Kandidaten noch schnell eine Ersatzliste unter dem (Ernst Braune) möglich zu machen, son- Namen „Unabhängiger Kommunalpoliti- dern sie stellten einen Gegenkandidaten scher Einheitsblock“ auf, aber diese wurde auf und brachten diesen ins Amt: Bürger- trotz aller Proteste nicht zur Wahl zugelas- meister wurde Oskar Heideborn (BHE). sen, wovon der BHE erheblich profitierte. In einem längeren Portrait wurde der neue Neben Oskar Heideborn zogen nun im No- Bürgermeister Oskar Heideborn am vember 1952 für den BHE Kaufmann 3.12.1952 der LZ-Leser/-innenschaft vor- Gerhard Prott, Oberförster z. Wv. Julius gestellt nunmehr als Verfolgter durch die Mertens, Geschäftsführer Karl Lueder, gewalttätigen Eindringlinge in Ostpreußen, Oberst a. D. Böhm und Kaufmann Karl die Rote Armee, und als verantwortungs- Wilink in den Rat der Stadt Lüneburg ein bewusster Volkssturm-Mann: „Im März und bildeten gemeinsam mit den Vertre- 1945 lief auf der Höhe von Rügen das tern der weiteren Rechtsparteien (Mittel- deutsche Vorpostenschiff „Heluan" mit standsblock, FDP, CDU, DP) eine Mehrheit rund 1500 Ostpreußenflüchtlingen an im Stadtparlament. In langwierigen inter- Bord in gespenstischer Nacht auf ein fraktionellen Verhandlungen einigte sich Wrack. Einer jener Menschen, die dem der Rechtsblock auf eine Personalpolitik, Tod — dem sie glücklich entronnen zu sein die dem BHE einen bedeutenden Einfluss glaubten — in diesen Augenblicken wieder sichern sollte auch dadurch, dass von der näher waren denn je (war) … Oskar Heide- bisherigen parlamentarische Praxis abge- born. (Er) will seine schneidende Stimme wichen wurde, den Kandidaten der stärks- (in Zukunft) in der Ratsrunde erheben … ten Fraktion mit dem Bürgermeisterpos- Für den 63jährigen mit dem massigen ten zu versehen. Als im Jahr zuvor z. B. Schädel und Gardemaß (ist es) eine Bin- durch den Weggang des Oberbürgermeis- senwahrheit, daß er damit eine hohe Ver- ters Dr. Paul Müller (er wurde Stadtdirek- antwortung … trägt. Das Verantwortung- tor in Soltau) eine Neuwahl von Oberbür- tragen ist ihm immer Aufgabe gewesen: germeister und Bürgermeister notwendig ganz gleich, ob als Bataillonskommandeur wurde, wurde zwar einerseits der Ober- bei den Yorckschen Jägern Im ersten oder bürgermeister (Dr. Dieckmann, Rechtsan- beim Volkssturm im zweiten Weltkrieg …“ walt, CDU) von der „regierenden Koali-

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______Heideborn blieb bis 1955 (mit einer einjäh- Landeszeitung vom 28.5.1953 rigen Unterbrechung) Bürgermeister und wurde für lange Jahre Senator. Konkurrenz „Alte Soldaten rücken zusammen - „Ar- war zunächst nicht zu befürchten, da die beitsgemeinschaft soldatischer Ver- faschistische SRP im Oktober 1952 verbo- bände und Kameradschaften" für Stadt- ten wurde und die örtlichen Nationalsozia- und Landkreis listen sich überwiegend dem BHE ange- schlossen und zumeist erst sehr viel später Die in Lüneburg vertretenen soldati- zur CDU oder (später gegründeten) NPD schen Verbände und Kameradschaften wechselten. Bekannteste Ausnahme ist haben sich zu einer Arbeitsgemeinschaft der Lüneburger Nazi-Oberbürgermeister zusammengeschlossen und werden Wetzel, der in der FDP Aufnahme fand und künftig ihre gemeinsamen Interessen in der nächsten Legislaturperiode Ratsherr auch gemeinsam vertreten. und Fraktionsvorsitzender dieser Partei werden konnte. Der ohne Vorstand gebildeten Gemein- schaft gehören unter anderem folgende Gruppen an: Notgemeinschaft ehemali-

ger Wehrmachtsangehöriger, Heim- Oskar Heideborn nutzte sein Amt als Bür- kehrerverband, Marinekameradschaft, germeister und später als Senator im KG 26, Reiter 13, Kyffhäuserbund, Hilfs- Sinne der Zielvorstellungen des BHE nach gemeinschaft ehemaliger Fallschirmjä- außen durch diverse offizielle Ansprachen ger, Kriegerkameradschaft Melbeck im als Repräsentant der Stadt bei den Jahres- Kyffhäuserbund, Der Stahlhelm, Kame- treffen, Mitgliederversammlungen, Kund- radschaft ehemaliger 16er Dragoner so- gebungen, etc. der vielen „Rückkehrer- wie der Volksbund Deutsche Kriegsgrä- und Vertriebenenvereinigungen“, der NS- berfürsorge. Beamtenschaft, der „Notgemeinschaft ehemaliger Berufssoldaten“ sowie weite- Der Zusammenschluß ist auf Anregung rer traditionell rechtskonservativer Institu- des Vorsitzenden der Marinekamerad- tionen und Vereinigungen wie dem Schüt- schaft, J. Scheidt, zustande gekommen. zenverein, dem Roten Kreuz, dem Techni- Die Arbeitsgemeinschaft umfaßt auch schen Hilfswerk, den Jägervereinen (Hei- die Gruppen des Landkreises Lüneburg. deborn war selber Hobbyjäger), der Sprecher aller Verbände betonten, daß Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, dem trotz der Verschiedenartigkeit eine Reihe örtlichen Museumsverein, etc. wesentlicher Aufgaben mit besseren Er- Es verging zu dieser Zeit kaum ein Wo- folgen gemeinsam gelöst werden könne. chenende, an dem kein „vaterländisches“ Als Grundlagen für die künftige Zusam- Event stattfand (und zumeist von einer menarbeit stellte die Arbeitsgemein- mehrhundertfachen Menschenschar be- schaft auf ihrer ersten Tagung im „Sand- sucht wurde), welches mit mindestens ei- krug" folgende Punkte in den Vorder- nem Grußwort (häufig mit einer längeren grund: 1. Streng überparteilicher Charak- Ansprache) der Stadt Lüneburg ausgestat- ter; 2. Pflege der Kameradschaft; 3. För- tet wurde, das Heideborn überbrachte derung der Berufsbelange und Beratung (vergl.: VVN-BdA Lüneburg, Lüneburger in allen Versorgungsfragen; 4. allge- „Gedenkkultur“, Ein Beitrag zur Diskussion meine Betreuung.“ (LZ vom 28.5.1953) über die Gedenkanlage an der früheren Synagoge“, Lüneburg 2013). 28

______Auch andere Großereignisse wurden im Front im Kampf gegen die bolschewisti- völkischen Sinne umgebogen wie etwa bei sche Idee ständen, hätten die Verpflich- den 1000-Jahr-Feiern der Stadt Lüneburg tung, dafür zu sorgen, daß der Anspruch im Jahre 1956: Dort begrüßte Senator Hei- auf die verlorenen Gebiete nicht an der O- deborn die ostpreußischen Gruppen des der-Neiße-Linie ende. … Wir Heimatver- Regierungsbezirkes Lüneburg bei ihrer triebenen haben den Ehrgeiz, als beson- Kundgebung in „Meyers Garten", wo „sich ders staatsbewußte Bürger jeder Bundes- rund 1200 Heimatvertriebene aus vielen regierung, gleich welcher Parteirichtung, Teilen Niedersachsens eingefunden hat- zu dienen. Aber hier, wo es um unseren ten“ (LZ v. 14.5.1956), um sich die gehar- deutschen Heimatboden geht, sind unse- nischte Kritik an der Vergabe des Karls- rer Loyalität Grenzen gesetzt!" preises der Stadt Aachen an den Ex-Premi- Wahlkampf pur für den BHE auf einer erminister Winston Churchill anzuhören, Jahrtausendfeier der Stadt Lüneburg. die „mehrfach von starkem Beifall unter- brochen wurde“, denn dieser sei „mit- Auch selbst die Rückkehr von kriegsgefan- schuldig an der Austreibung von 13 Millio- genen Soldaten aus der Sowjetunion nen Deutscher und habe im Jahre 1944 wurde zum Anlass genommen, nicht etwa vor dem englischen Unterhaus von der darüber dankbar zu sein und ebenfalls Vertreibung als der ‚zufriedenstellendsten über die etwa 20 Millionen toten Sowjet- und dauerhaftesten Methode‘ gespro- bürger nachzudenken, die der Nazi-Krieg chen“. Und auch der amtierende Außen- gekostet hatte, sondern es wurde als anti- minister von Brentano (CDU) bekam bei bolschewistisches Großereignis gefeiert: der Lüneburger Jahrtausendfeier einiges zu hören, denn dieser hatte kurz zuvor Als Ende 1952 trotz aller nationalistischen beim früheren Kriegsgegner in England Propaganda eine geplante Flaggende- zwar erklärt, dass „in der Frage der jetzt monstration an den Häusern der Stadt zur besetzten ost-deutschen Provinzen von Begrüßung von einigen „Heimkehrern“ keiner deutschen Regierung erwartet nach Heideborns Meinung nicht ausrei- (werden könne), daß sie auf den Anspruch chend befolgt wurde, denunzierte er diese auf diese Gebiete und damit auf das Hei- Lüneburger/-innen als „Etappenhelden matrecht der Vertriebenen verzichtet“, und Heimatkämpfer“, also als Personen, aber es zugleich für möglich gehalten, die sich bei der Führung des faschistischen „daß das deutsche Volk eines Tages vor Krieges zurückgehalten hätten. Zugleich die Frage gestellt wird, ob es auf diese Ge- benutzte er unter Hinweis auf die notwen- biete zu verzichten bereit ist, um dadurch dige Fürsorge für diese zurückgekehrten die siebzehn Millionen Deutschen In der Soldaten Redewendungen aus dem Wör- Sowjetzone zu befreien oder ob es dies terbuch der Nationalsozialisten. Z. B. pro- nicht tun will, nur um einen problemati- pagierte er einen „Sozialismus der Tat“ schen Anspruch auf die Ostgebiete auf- und bezog sich damit auf das „Winterhilfs- recht zu erhalten."(Ostpreußenblatt v. werk des Deutschen Volkes" (WHW) der 2.5.1956). Nazis, welches den „ Einsatz des NS-Staa- Hier kannte die Empörung und Beschimp- tes zur Milderung der Folgen von Arbeits- fung der konservativen Bundesregierung losigkeit und Armut“ vor Augen führen keine Grenzen durch die Ex-Ostpreußen: sollte. Wer 1936 für das WHW spendete, „Die Landsmannschaften, die in vorderster erhielt u.a. eine mit dem Konterfei Fried- richs des Großen versehene Türplakette 29

______mit der Aufschrift „Seid Sozialisten der Zur Politik des BHE Tat“. Die dem preußischen König zuge- schriebene Fürsorglichkeit für alle Bevöl- „Die Politik des BHE konzentrierte sich haupt- kerungsschichten werde nun von den Na- sächlich auf zwei Forderungen: „Lebensrecht tionalsozialisten als „Sozialismus der Tat“ im Westen“ und „Heimatrecht im Osten“. Un- umgesetzt, so die NS-Propaganda, die hier ter dem ersten Begriff wurde die Interessen- Heideborn wieder aufleben ließ. (LZ politik der Vertriebenen verstanden, die milli- ardenschweren Lastenausgleichsprogramme, 22.10.52) die Wohnungsbauprogramme und die alltägli- chen Unterstützungen. Ideologische Klammer Als Mitglied des Rates der Stadt profilierte der Partei bildete die im konservativen Lager sich Heideborn als typischer Scharfma- der frühen Bundesrepublik übliche Beschwö- cher. Die Studenten beschimpfte er an- rung des christlichen Abendlands und der da- lässlich einer Debatte über „zunehmenden mit untrennbar verbundene Antikommunis- mus. Hinter dem propagierten „Heimatrecht“ Hundekot auf Lüneburgs Straßen“, indem bündelte sich ein weites … Gebiet von Ziel- er auch ihnen vorwarf, ebenfalls die Stra- vorstellungen, zentral war jedoch die Wieder- ßen zu verdrecken, weil sie mit besoffe- herstellung des Reiches in den Grenzen von nem Kopf explosionsartig überall hin kot- 1937. In seinem Programm wandte sich der zen würden und den vom Panzerlärm ge- BHE auch an die Opfer des Bombenkrieges, beutelten Bewohnern der Straßen um die Geschädigte der Währungsreform oder ehe- malige Beamte, die nach 1945 im Rahmen Scharnhorst-Kaserne (heute: Universität) der Entnazifizierung entlassen worden waren. ließ er ihre Forderung nicht durchgehen, Der BHE spielte eine zentrale Rolle bei der dass die schweren Panzerfahrzeuge in ei- Beendigung der Entnazifizierung und der be- ner entfernter gelegenen Kaserne statio- ruflichen Wiedereingliederung ehemaliger Na- niert werden sollten. tionalsozialisten, die aufgrund ihrer Vergan- genheit berufliche Probleme bekommen hat- Insgesamt war Heideborn ein Interessens- ten. In seinen Reihen fanden sich viele ehe- malige NSDAP-Mitglieder, die, wie Kraft und vertreter seiner rechtsradikalen Klientel, Oberländer , auch die Führung der Partei stell- stieß dabei aber immer wieder an imma- ten.“ (wikipedia, Februar 2014) nente Grenzen: Zunächst bemühte er sich erfolgreich um die vorrangige Besetzung von städtischen Funktionsträgern mit sei- haus“ in der Gartenstraße/Hindenburg- nen Parteigängern insbesondere in der straße). Auch den Erweiterungsplänen für weit verzweigten Bürokratie der Lasten- das hiesige Krankenhaus stand er ableh- ausgleichs- und Versorgungsstellen und nend gegenüber und begründete begründete dies mit der desolaten sozia- dies ideologisch-politisch: „Bei der erhoff- len Lage dieses Rechtsaußen-Personen- ten Wiedervereinigung wäre ein neues kreises. Krankenhaus möglicherweise nur halb be- Als typischer Marktradikaler votierte er legt." (LZ v. 18.10.1956) immer wieder für den Abbau des Perso- nals und des Aufgabenumfangs der Stadt- Als typisch für den damaligen Grundkon- verwaltung. Den Vorstellungen über einen sens des bürgerlichen Lüneburg in Sachen späteren Bau eines Hallenbades stimmte „Osterweiterung“ kann ein Leserbrief ge- er zunächst nicht zu („Eine Sauna muss rei- nannt werden, der am 24.10.1956 in der chen“), auch nicht den geplanten Restau- LZ veröffentlicht wurde und Heideborns rierungsarbeiten für das Rathaus (der Rat Einsparungsintentionen zwar grundsätz- der Stadt tagte seinerzeit noch im „Logen- 30

______lich lobte, aber hinsichtlich der Begrün- „ostpolitischen Zielen“ des BHE, worauf dung Bedenken anmeldete: „Ein dankens- dieser mit einer ideologischen Aufrüstung werter Anfang scheint mir von Herrn Bür- antwortete - die allerdings auch immer germeister Heideborn gemacht zu sein, in- mehrheitsfähig war: dem er den Krankenhauserweiterungsbau Zum einen wurden Institutionen des Re- in Frage stellte. Dazu möchte ich aber vanchismus errichtet, die unterschiedliche doch zu überlegen geben, ob nicht — Zielgruppen ansprachen: Das Ostpreußen- selbst bei einer baldigen Wiedervereini- museum und das Brömse-Haus (Sitz der gung — die Vertriebenen mittleren Alters Carl-Schirren-Gesellschaft) sollten die und die Alten, die gerade des Krankenhau- Rückkehrwilligkeit in bestimmte geogra- ses besonders bedürfen, zu einem großen phische Regionen forcieren, die Errichtung Teil hier bleiben werden, und man eher er- der Ostdeutschen Akademie unter NS- warten muß, daß die Jugend an die großen Volkstumstheoretiker Max Hildebert Aufgaben des Aufbaues in diesen Ländern Böhm sollte auch für die Aufrechterhal- geht.“ tung dieser Absicht vor allem bei jungen Im Grunde weisen diese Bedenken des Le- Leuten dienen. serbriefschreibers auf ein Grunddilemma Dass dieses tatsächlich gelang, wird durch des BHE hin: die Wirkung dieser Institutionen belegt. Alle ihre Aktivitäten zur Verbesserung der LZ-Chefredakteur H. Pless berichtete z. B. sozialen Lage ihres politischen Anhangs in der Ausgabe vom 2.3.1957 unter der Ti- boten zugleich die Voraussetzungen zur telzeile „Sie lernen den Osten im Westen Aufhebung ihres Ziels, der „Rückübersied- lieben - Heimatvertriebene Studenten lung in den Osten“. wollen einmal wieder zurück“ über ein Se- Der vehemente Kampf des BHE gegen die minar junger Leute in der Ostdeutschen Pläne des Rates der Stadt zum Beispiel, im Akademie: „30 von den 35 Studenten be- seinerzeit noch nicht bebauten Bereich kannten sich zur Rückkehr in eine Heimat, des Roten Feldes Notbaracken für die die sie nicht kennen können, die sie aber Flüchtlinge und Übersiedler zu errichten, hier im Westen lieben gelernt haben.“ brachte zwar insofern Erfolg, als dass da- rauf verzichtet und stattdessen Siedlungs- Zum anderen bediente sich der BHE des häuser im Stadtrandgebiet gebaut wurden gesamten Arsenals des Rechtsaußen-Po- (Kreideberg, Zeltberg, Bockelsberg), wo pulismus, der von der Forderung nach ei- dieser Personenkreis eine Unterkunft ner Wiederherstellung der Ehre der NS- fand. Gleichzeitig aber führte diese res- Wehrmacht (einschließlich der Waffen-SS) pektable neue Wohnsituation, die sie zu- über ein Publikationsverbot für „Das Tage- dem über die Aufnahme von Krediten und buch der Anne Frank“ bis zur Freilassung anderer Verpflichtungen an die „ neue der im Nürnberger Kriegsverbrecherpro- Heimat“ band, zu einer Abnahme des indi- zess verurteilten Nazi-Mörder („der in tra- viduellen Rückübersiedlungswunsches vor gischer Verstrickung Schuldiggeworde- allem bei jenen Neubürgern, deren Wohn- nen“) reichte. situation sich jetzt deutlich gegenüber der früheren verbessert hatte und die recht Außenpolitische Umstände, die Integra- bald auch über ein einträgliches Auskom- tion „der kleineren Leute“ unter den men verfügten. Alle diese „Integrationser- Flüchtlingen und Umgesiedelten in das Lü- folge“ der „kleinen Leute“ standen in neburger Leben, die Entwicklung der CDU deutlichem Dissens zu den beabsichtigten zur „Volkspartei“ bei Übernahme der BHE- 31

______Zielsetzung und zunehmend des Personals September 1963, als er auf einer Massen- sowie die Tatsache, dass ein Teil des BHE- kundgebung als Sprecher der Stadt Lüne- Anhangs sich anderen Ortes endgültig nie- burg (Oberbürgermeister Trebchen war derließ, führten schließlich zur Reduzie- zwar anwesend, erhielt aber kein Rede- rung der BHE-Wähler/-innenschaft. recht) das Absingen der ersten Strophe Beantwortet wurde diese Entwicklung mit des Deutschlandliedes („Von der Maas bis einer Erweiterung des BHE-Mitglieder- an die Memel …“) anmahnte und durch- spektrums durch die Aufnahme des Ge- setzte. Heideborns Rede brachte ihm zwar samtdeutschen Blocks (nunmehr: eine Leserbriefkritik ein: „Der Inhalt dieser GB/BHE). Heideborn ließ sich auch hier … politischen Rede, gehalten von Senator zum Vorsitzenden des Stadtverbandes Heideborn, kann nur schlicht als provozie- wählen und im April 1960 zum Kommunal- rend und instinktlos bezeichnet werden“. wahl-Kandidaten küren auf Platz 1 seiner Andererseits wurde im selben öffentlichen Liste im Wahlkreis A. Im Frühjahr 1961 Schreiben die „Integrität der CDU-Bemü- wurde Heideborn wieder in den Rat der hungen um die Wiedergewinnung unserer Stadt gewählt, jetzt für den GB/BHE. Ostgebiete an(erkannt)“ und „das Recht Im Juni 1961 fusionierte der Stadt- und unserer Vertriebenen auf ihre Heimat“ be- der Landkreisverband des GB/BHE mit der tont. Unterzeichnet war dieser Leserbrief Deutschen Partei und schloss sich zu ei- vom Vorstand des SPD-Unterbezirks Lüne- nem „Kreisverband DP/BHE Lüneburg“ zu- burg. (LZ v. 21.9.1963) sammen mit Heideborn, Loeffke, Oberst- leutnant a. D. von Arnim (Häcklingen) und Tragisch gestaltete sich Heideborns Able- Rechtsanwalt Harms (DP) an der Spitze. ben im Jahre 1968 – vielleicht aber auch recht symptomatisch für jene Zeit des Einige Monate später, im November 1961, Wandels, als das Amt des deutschen Vize- verließ Heideborn sehr schnell und ohne kanzlers und Außenministers mit Willy Absprache seine Partei in Richtung CDU, Brandt nun mit einem ehemaligen Nazi- nahm sein Ratsmandat selbstverständlich Widerständler besetzt war und die „68-er mit und vergrößerte dadurch die Anzahl Jugend“ antifaschistisch aufbegehrte: Als der Sitze der CDU-Fraktion, wofür er von „harter Hund“ galt Heideborn auch als seinen „alten Kämpfern“ wie Karl Lueder Mitglied jener Lüneburger Kommission, vom BHE als „Fahnenflüchtiger“ betitelt die über die Anträge junger Männer auf wurde - in seinen Militaristenkreisen ein Befreiung vom Wehrdienst bei der Bun- ehrenrühriges Schimpfwort. Fortan deswehr zu entscheiden hatte. Seine An- brachte Heideborn sein rechtsradikales sicht von „deutscher Manneszucht“ und Ansehen und Fachwissen in die CDU ein, dem „Waffendienst am Volke“ stand den bot z. B. „Sprechstunden für Heimatver- Interessen der Pazifisten regelmäßig ent- triebene und Flüchtlinge an jedem Mitt- gegen und setzte sich bis dahin überwie- woch von 11.00-12.00 in der CDU-Ge- gend durch. Anfang Juli 1968 erlitt Oskar schäftsstelle An der Münze 10“ gemein- Heideborn in Lüneburg während einer sol- sam mit seinem Parteifreund Mertens an chen Verhandlung des „Beschwerdeaus- (LZ v. 12.7.1963). schusses für Wehrdienstverweigerer“ über die Anerkennung oder Ablehnung eines Er war weiterhin öffentlichkeitswirksam Kriegsdienstverweigerers einen tödlichen revanchistisch tätig – jetzt für die örtliche Schlaganfall. CDU – etwa beim „Tag der Heimat“ im 32

______Der Hindenburg-Mythos im Spiegel 19.d.M. berichtete unter dem Titel „Zwi- der Lüneburger Presse nach 1945 schen Irrtum und Schuld“. Das ehrliche Bemühen des LZ-Chefredak- Nachdem am 15.1.1946 von den zuständi- teurs Ernst Riggert, sich mit den NS-Mit- gen englischen Offizieren an die Presse- läufer- und Täterfiguren auseinander zu leute W. Bergmann, Bumann, Distelmann, setzen, wird deutlich an einem längeren Wiesemann und Riggert eine Lizenz zur ge- Kommentar desselben Tages, in dem er, meinsamen Herausgabe einer Zeitung er- bezugnehmend auf aktuelle Geschehnisse teilt wurde, erschien vom nächsten Tage während des Nürnberger Prozesses, über an bereits die „Lüneburger Landeszeitung“ Reichspräsident Paul von Hindenburg (zunächst noch „LL“ abgekürzt), die nicht schreibt (s. Kasten S. 4): nur regionale Alltagsnachrichten verbrei- tete, sondern sich auch sehr ausführlich „Das bringt uns auf den Fall Hindenburg. und ernsthaft auseinandersetzte mit der Dieser wird von vielen, allzuvielen Deut- Nazi-Vergangenheit. Als Chefredakteur im schen immer noch als positive Figur deut- sehr kleinen Redaktionsstab wirkte zu die- scher Geschichte angesehen. Für eine Er- ser Zeit Ernst Riggert, ein eher konservati- kenntnis der Zusammenhänge und eine ver Sozialdemokrat und Ex-Häftling des brauchbare Beurteilung unserer Zukunft Konzentrationslagers Neuengamme. muss diese Anschauung revidiert werden.“

Lange Artikel über die Rolle von NS-Orga- Für seine angestrebte Revidierung des nisationen und Einzelpersonen dominier- Hindenburg-Bildes konnte Riggert nicht ten das teilweise lediglich 4 bis 6-Seiten mehr lange kämpfen. Bereits Ende dessel- starke Blatt, häufig mit Bezug auf die lau- ben Jahres protestierten einflussreiche re- fenden NS-Prozesse oder die Rehabilitie- gionale Verbände und Organisationen ge- rungsversuche einstiger NS-Größen. Be- gen diesen Kurs der LZ. Anfang Januar sondere Beachtung fand dabei das Entna- 1947 empfahl der Verein des Niedersäch- zifizierungsverfahren von Hindenburg- sischen Landvolks in Uelzen seinen Mit- Sohn Oskar, welches wegen dessen Woh- gliedern und Mitgliedsverbänden eine Ab- nortes Medingen in Uelzen durchgeführt bestellung der LZ mit dem Argument: „Ei- wurde und deshalb auch starke regionale gene Berichte und Aufsätze von Mitarbei- Beachtung fand. In acht ausführlichen Arti- tern der Lüneburger Landeszeitung wer- keln wurde über dieses Verfahren berich- den von der hiesigen Landbevölkerung in tet. Es kamen Sachverständige zu Wort zunehmendem Maße als unsachlich, ja, wie der damalige Reichsregierungs-Press- geradezu als feindselig empfunden“(LZ v. echef Zechlin (ein gebürtiger Lüneburger) 5.1.1948), womit auf Riggert gezielt und selbst dem Rechtsbeistand des Oskar wurde. von Hindenburg, Rechtsanwalt Dr. von Der Verlag antwortete darauf nicht jour- Langsdorff, wurde im radaktionellen Teil nalistisch, sondern „marktgerecht“: Rig- der Zeitung Platz zur Stellungnahme einge- gert musste seinen Platz als Chefredakteur räumt. Das Verfahren endete Mitte März 1949 räumen. Nach Aufhebung der engli- 1946 mit einer skandalträchtigen Einstu- schen Lizensierungsvorschriften trat Erich fung des Oskar von Hindenburg in Gruppe von Stern wieder in den LZ-Verlag ein und IV („Mitläufer“), über die das Blatt am mit Helmut C. Pless wurde ein NS-Kampf- flieger mit der Chefredaktion betraut, der einen rechtskonservativen Zuschnitt des 33

______Blattes aufbaute und diesen über Jahr- häufig einen befreundeten Lüneburger zehnte prägen sollte. Forstmeister zur Jagd besuchte.“(17.3.60)

Es folgte in den Jahrzehnten darauf in der - Paul Vogel, dem zum 80. Geburtstag gra- LZ eine ausschließlich positive Darstellung tuliert wird, war bis 1945 in Lüneburg als und Deutung sowohl des alten Paul von Musikstabsfeldwebel beim Militär tätig: Hindenburg sowie seiner Lüneburger/Me- „Unvergessen bleibt ihm die Beerdigung dinger Nachkommen durch die Veröffent- des Reichspräsidenten v. Hindenburg am lichung diverser Portraits von mehr oder Tannenbergdenkmal — auch dort durfte weniger bekannten Zeitgenossen, in deren er die Trauermusik spielen.“ (11.6.76) Lebenslauf eine Begegnung mit Hinden- burg - und sei sie auch noch so rudimentär - Über Oberförster Heinrich Willner, eben- - eingearbeitet wurde. Eine Art „Hofbe- falls als Portrait zum 80. Geburtstag, richterstattung“ im Sinne der heutigen yel- schreibt die LZ: „Landesweit bewährte er low-press über „das Haus derer von Bene- sich damals in mehreren Förstereien in der ckendorf und von Hindenburg“ war in der Bekämpfung des Wildereiunwesens. Mit LZ ebenso zu finden wie jede Art von posi- Erfolg. Und das erkannte sogar Reichsprä- tiv unterlegter Information über Eigenar- sident Paul von Hindenburg an. Er verlieh ten und Charakterzüge des Paul von Hin- dem verdienten Forstmann einen Ehren- denburg aus dritter Hand bis hin zur Funk- hirschfänger, ein großes Waidmesser.“ tionalisierung seines militärischen Nym- (24.1.83) bus‘ zur „Wiederherstellung der Ehre der Wehrmachtssoldaten“ durch die Bundes- - Aus den Lebensläufen von Werner und wehr im traditionellen Garnisonsstandort Walter Gundlach: „Erinnerungen werden Lüneburg. wach. Als kleine Pökse turnten sie im MTV — und einmal sogar dem alten Hinden- burg vor.“ (31.12.1983) - Am 22.1.1959 veröffentlichte die LZ ein Portrait des Scharnebeckers Fuhrunter- Positive persönliche Erinnerungen eines nehmers Hermann Röper, der beim Militär bestimmten lokalen Personenkreises do- als Fahrer „den Standortältesten, Major minieren sehr stark das veröffentlichte Henneberg von den 16er Dragonern, und Bild über Hindenburg, wie es auch in ei- als besondere Auszeichnung den alten Ge- nem häufig abgedruckten Foto zum Aus- neralfeldmarschall von Hindenburg, wenn druck kommt (s. S. 35), welches an die dieser seinen Schwiegersohn, den Ritt- „gute alte Zeit“ und an die Freude über meister von Pentz, besuchte“, durch die Hindenburgs besondere Beziehungen zu Gegend kutschieren durfte. Lüneburg erinnern soll. Es zeigt Hinden- burg 1922 zu Besuch bei der Musterturn- - Ein weiteres Portrait stellte den Friseur schule des MTV. Auf dem Schoß von MTV- O. Horch vor: „Eine sehr prominente ge- Turnlehrer Heinrich Frehse (links neben schichtliche Persönlichkeit, der Otto Horch Hindenburg) sitzt Hindenburgs Enkelin damals die berühmte Bürstenfrisur und Christa Maria von Pentz, vor Hindenburg den Schnurrbart stutzte, ist der spätere kniet Frehses Sohn. Untertitelt wurde der Reichspräsident Paul von Hindenburg ge- Abdruck dieser Fotos häufig mit anerken- wesen, der damals als Kommandierender nenden Worten über den „Sieger von Tan- General in Hannover stationiert war und nenberg“. 34

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Hindenburg zu Besuch in Lüneburg bei seiner Enkeltochter beim MTV

Worüber die LZ nicht berichtet, waren Hin- sah“ ohne weiteren Anmerkungen abge- denburgs Dankesworte nach vollzogenen druckt wurden: Leibesübungen, die bereits 1922 den Weg in den nächsten Krieg vorzeichneten: „Hal- „13. November 1933: Gestern war Wahl! tet daran fest …: In einem gesunden Kör- Volkswahl! Ja, mein liebes Vaterland ist er- per lebt auch eine gesunde Seele, und wacht! Ganz Deutschland stand geschlos- eine gesunde Seele ist das, was heute dop- sen hinter Adolf Hitler. Wir sind einig, ja, pelt nötig ist. Das gilt allen! Und für die einig! … Jungen füge ich hinzu: Ihr seid dazu beru- 5. August 1934: Vorgestern hatten wir in fen, uns das einst wiederzuholen, was uns der Aula die Übertragung von der Trauer- verloren gegangen ist. Ich meine damit feier für den verstorbenen Reichspräsiden- nicht nur die Landesteile, die uns genom- ten Paul von Hindenburg, es war sehr fei- men sind, ich meine vor allen Dingen auch erlich, wenn es auch manchmal im Laut- moralische Eigenschaften: Zucht und Ord- sprecher knackte und zischte. Die Ouver- nung im Innern, Würde und Aussehen türe zu „Coriolan" von Beethoven hat nach Außen. Solange es Menschen gibt, mich richtig ergriffen.“ werden auch Taten mit Recht verlangt werden. Zu Taten braucht man einen ge- sunden Körper und den habe ich hier ge- Im Sinne einer Hofberichterstattung schil- funden.“ derte die LZ besondere Ereignisse im Fami- lienleben derer von Hindenburg aus Medi- Eine Form, Lebenserinnerungen nicht nur ngen. Gleich mehrere lange Artikel wid- rückblickend unkritisch vorzustellen, son- mete die Zeitung der Hochzeit der Hinden- dern sie auch unkommentiert zu veröf- burg-Enkelin „Gertrud von Beneckendorf fentlichen, praktizierte die LZ z. B. am und von Hindenburg in der alten Kloster- 3.1.1981 auf einer Sonderseite „Die Frau“, kirche in Medingen mit Herrn Max-Erd- wo die Tagebucheintragungen der Schüle- mann Graf von Roedern-Simstorf, Angehö- rin der Wilhelm-Rabe-Schule Elsa v. riger eines bekannten schlesischen Adels- Hitzacker unter der Überschrift „Wie sie es geschlechtes, durch Superintendenten 35

______Stünkel aus Bevensen … Sie ist die älteste Ein weiterer LZ-Artikel vom 18.9.1952 über die ge- Tochter des einzigen Sohnes Oskar des nannte Hochzeit lässt kein Klischee aus: ehemaligen Reichspräsidenten, der in Me- dingen wohnt. Eine Schwester weilt zur „Im Kloster wurden sie getraut. Hindenburgs Enkelin Zeit in England, um sich in der englischen heiratete in Medingen Sprache zu vervollkommnen, und die Strahlende Sonne ließ alles golden erscheinen, jüngste Schwester ist bei Hildesheim auf Herbstblumen und das bunte Laub in der Kloster-Kir- einem Gut. Familie von Hindenburg er- che. Die Wipfel der hohen, alten Bäume sangen, und freut sich in Medingen großer Beliebtheit. die Glocken jubelten, als, wie schon kurz berichtet, Besonders wird allgemein anerkannt, daß die Sekretärin Gertrud von Beneckendorff und Hin- die Töchter gleich nach dem Kriege durch denb urg mit dem Landwirt Max Erdmann Graf von Roedern zum Altar schritt. Das ganze Dorf, allen vo- Arbeit in der Gärtnerei Eggers in Bevensen ran die Hindenburg-Leute aus Ostpreußen, standen selbst ihr Geld verdienten.“(13.9.1952) Spalier, um „ihre Motte“ zu sehen, die von jung und alt ob ihrer Frische und Natürlichkeit geliebt wird. Still und einfach begingen sie das hohe Fest, doch er- Weitere LZ-Artikel berichteten immer wie- füllt von dem Glück, trotz aller Härte des Schicksals, der ausführlich über Familienereignisse eine neue Heimat gefunden zu haben. Ein bezau- derer von Hindenburgs, sowohl über über- berndes Fleckchen Erde ist Medingen. Der Wind regionale Ereignisse (3.8.54, Seite 1: „Ge- summt über dem Riester und trägt den würzigen denkfeier am Grabe Hindenburgs“), als der Duft der Felder hinüber bis in das alte Haus, das dem neukonstituierte Nazi-Verein „Der Kyff- Amtsgericht gegenüber die Hindenburgs beherbergt. häuserbund“ „am Grabe Paul von Hinden- Besinnlichkeit und Stille sind beisammen. Hier leben der Sohn des ehemaligen Reichspräsidenten, Gene- burgs in der St.-Elisabeth-Kirche in Mar- ral Oskar von Hindenburg mit Gattin und seinen vier burg in einem Festgottesdienst des zwan- Kindern Gertrud, Helga, Hubertus und Mädi. Und in zigsten Todestages des ehemaligen Medingen mit ihnen 10 der 30 Familien, die mit dem Reichspräsidenten (gedachte). An dem Hindenburg -Treck im März 1945 ankamen. Sie alle Gottesdienst nahm auch der Sohn des sind erfüllt von Achtung und Liebe zu ihrer Neude- ehemaligen Generalfeldmarschalls, Oskar cker Gutsherrschaft… von Hindenburg, teil. Der Vorsitzende des Aber auch von den Heidjern werden sie verehrt. Er- Kyffhäuserbundes, General a. D. Reinhard, innerung en werden wach an den Reichsmarschall, legte am Grab einen Kranz nieder.“ Zwei wenn Oskar von Hindenburg durch die Straßen geht. Monate später berichtete die LZ ausführ- Besonders wird auch „Motte“ geliebt. Als sie nach lich, dass diese Grabkirche zu Ehren Hin- der Trauung im Saal des Klosters stand, der von der Aebtissin für das hohe Fest zur Verfügung gestellt denburgs neu hergerichtet werden soll: worden war, kamen immer mehr, um ihr Glück zu „Die Gesamtkosten sollen sich auf etwa wünschen. Sie, die an diesem Tag jeden trüben Ge- 150.000 Mark belaufen. … Hindenburgs danken bannen wollte, wurde immer wieder an die Sarkophag kam 1945 in den Wirren des verlorene Heimat erinnert. Und trotz des schmerzli- Kriegsendes aus dem ostpreußischen Tan- chen Gedenkens war sie froh und dankbar für jeden nenberg-Denkmal nach Marburg.“ (LZ v. Gruß und jedes Zeichen der Zusammengehörigkeit … 19.10.1954) Und als die Glocken sangen und die Sonne fröhliche Kringel auf die Steinfliesen vor dem ehrwürdigen Kloster malte, gab Superintendent Stünckel-Beven- sen dem Paar Gottes Segen. Tränen drückten sich verstohlen aus vielen Augenpaaren, und aus freudi- gem Herzen fielen alle mit ein in den Dankgesang.“

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______Ebenfalls berichtete die LZ mehrfach und („Oberst a. D. Christian von Pentz, Schwie- ausführlich über den Tod und die Beerdi gersohn des Generalfeldmarschalls von gung des Oskar von Hindenburg, der wäh- Hindenburg, ist siebzigjährig in Hannover rend einer Kur in 1960 starb gestorben.“) und ergänzt: „Als ‚uns und in Medingen beigesetzt wurde: Krischan‘ wird er vielen Lüneburgern und „Unter den Trauergästen waren u. a. Ge- Bauern unserer Heidekreise unvergessen neralfeldmarschall a. D. von Manstein und bleiben.“ Minister a. D. von Keudell.“ Dass es sich Selbst damalige Inserate wurden nochmals bei diesen Herren zum einen um einen ho- publiziert wie jenes aus dem Jahre 1922, hen Nazi-Offizier handelt (Armee- und in der „die glückliche Geburt eines Töch- Heeresgruppen-Oberbefehlshaber) der terchens (von) Christian v. Pentz, Rittmeis- 1949 als Kriegsverbrecher verurteilt wurde ter im Reiter-Regiment 13, und Annemarie (und nach kurzer Haft eine Karriere als in- v. Pentz, geb. v. Beneckendorff und v. Hin- offizieller Berater für die neu aufgestellte denburg“ angezeigt wurde. Bundeswehr machte) und zum anderen um einen hohen Funktionär der rechtsra- In der Form der Annotation und werten- dikalen und antisemitischen Deutschnatio- den Einbettung Hindenburgs in bestimmte nalen Volkspartei (DNVP), der sich für eine historische Gegebenheiten ist er zu finden Koalition mit der NSDAP eingesetzt hatte, mal als „schwacher Greis“ (Buchvorstel- verschwieg die LZ. lung „Die große Katastrophe“), der in ei- nem anderen Artikel vom Pressechef der Aber selbst nach dem Ableben der direk- Reichsregierung, Walter Zechlin, vor Be- ten Hindenburg-Nachfahren und der Auf- ginn seines täglichen Vortrags mit dem lösung des „Hauses Hindenburg“ in Medi- neuesten Witz aufgeheitert werden ngen versorgte die LZ ihre Leser/-innen- musste, um dessen Aufmerksamkeit zu er- schaft mit nachgereichten Erinnerungen. reichen. Dann wurde er wieder als rüsti- ger, witziger Rentner vorgestellt (Buchbe- In einer gesonderten Rubrik mit dem Titel sprechung: Walter von Molo, Seh ick so „Alltag von gestern“ notierte die Zeitung aus?, Kleine Geschichten von Hindenburg, während der 70er-Jahre als Remake noch- 28.6.57), auf jeden Fall aber immer als mals bereits zuvor in der LZ publizierte Er- „Volksheld der Schlacht von Tannen- eignisse: Hindenburg in Lüneburg 1922 berg“(LZ v. Pfingsten 1981). beim MTV („Feldmarschall Hindenburg wohnte mit seiner Tochter und seinem Chefredakteur Pleß fragt gar in einem Arti- Schwiegersohn einem Schauturnen der kel „Damals vor 30 Jahren …“: „Aber geht Mädchen- und Knabenabteilungen des das Leben nicht seinen normalen Gang? MTV bei, an dem auch seine Enkelkinder Müssen nicht „Späne fallen, wo gehobelt aktiv mitwirkten“, LZ vom 29.4.1972), Hin- wird?" Geht es nicht überall bergauf? Hat denburg in Lüneburg 1925 zur Taufe sei- dieser Hitler, dem der mit Lüneburg per- nes Enkelkindes („Reichspräsident von sönlich so eng verbundene Reichspräsi- Hindenburg … wurde von Oberbürger- dent v Hindenburg doch — seine Enkelkin- meister Dr. Schmidt und einer hundert- der turnen im MTV — so sichtbar Ver- köpfigen Menge begrüßt.“,17.7.74). Ein trauen schenkt, nicht Erfolge? (LZ vom Artikel aus dem Jahre 1952 wurde noch- 30.1.1963) ohne diese Frage kritisch zu be- mals am 1.3.1977 in Erinnerung gerufen antworten.

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______Eingebettet in einen derart positiv besetz- Brisanz gewannen, den geplanten nächs- ten Kontext berichtete die LZ über aktuelle ten Waffengang gen Osten. Hierzu gehörte Ereignisse sowohl im Rückgriff auf milita- zunächst eine öffentliche Relegitimierung ristisch-expansionistische Politik als auch der Nazi-Wehrmacht im Lebenslauf der zu deren Fortsetzung: „alten Kämpfer“: Mit zunehmendem Stolz Da wird am 30.7.54 eine „Hindenburg-Ge- und eingeforderter Anerkennung stellten denkstunde an der Zonengrenze“ ange- sich die „Wehrmachtveteranen“ vor und kündigt, die „zum 20. Todestage des ehe- so wurden sie in der Lüneburger Presse maligen Reichspräsidenten von Hinden- dargestellt. burg“ vom (Ex-)Naziverein „Kyffhäuser- bund“ veranstaltet wird. Da wird am Was in den ersten Nachkriegsjahren noch 12.10.1959 über eine Tagung des „Thorner schamhaft verschwiegen wurde, wird nun Kreistages“ in der Patenstadt Lüneburg als Ausdruck des alten und neuen NS- berichtet (der ehemals deutschen, jetzt Wehrmachtsgeistes als Teil der Lebensbio- polnischen Stadt Torun wurde die Existenz graphie zahlreich zur Schau gestellt wie einer eigenen Selbstverwaltung aberkannt etwa durch Polizeihauptmeister Willi und diese durch einen „Thorner Kreistag“ Lemke, dem am 9.5.1978 zum 40-jährigen ersetzt, der jetzt in Deutschland/Lüneburg Dienstjubiläum in der LZ gratuliert wird im Exil tätig war), der in sein Lüneburger mit dem Hinweis auf seine frühere Tätig- „Vertriebenenarchiv“ eine Fotokopie „des keit im „Kampfgeschwader Hindenburg“. von der Stadt Thorn ausgestellten Ehren- Was die LZ unterschlägt: Dieses Kampfge- bürgerbriefes für den verstorbenen schwader flog ehedem „Vergeltungsan- Reichspräsidenten von Hindenburg“ ein- griffe“ auf London und Coventry, warf ihre brachte und diese Lüneburgs Bürgermeis- todbringenden Bomben ab und war eben- ter Dr. Bötcher überreichte. Und schließ- falls beteiligt an den Luftangriffen auf lich werden immer wieder mit der „Heim- Leningrad gegen die dort eingekesselte Zi- ins-Reich“-Forderung Artikel veröffent- vilbevölkerung. Die Belagerung dieser licht, die jene heimzuholenden Landstri- Stadt durch die Nazi-Wehrmacht dauerte che beschreiben wie am 8.10.64 ein Be- vom 8. September 1941 bis zum 27. Ja- richt über das polnische Ostroda: „Ende nuar 1944. „Etwa 1,1 Millionen zivile Be- August 1914 hat hier Hindenburg in der wohner der Stadt verloren infolge der Blo- ersten der großen Vernichtungsschlachten ckade ihr Leben. Die meisten dieser Opfer die überlegene russische Narew-Armee verhungerten. Der Massentod durch Ver- zerschlagen. Im mächtigen Tannenberg- hungern wurde von den Deutschen gezielt denkmal, in dem der Feldmarschall und herbeigeführt und ist in diesem Ausmaß spätere Reichspräsident mit seiner Gattin weltweit beispiellos.“(wikipedia, Februar beigesetzt war, bewahrte das Land die Er- 2014) innerung an die letzte seiner großen Schlachten.“ Begleitet wurde diese Politik der „Wieder- herstellung der Ehre der Wehrmachtssol- Auffällig ist für diese Zeit, dass diese re- daten“ durch eine bewusste Integration vanchistischen Forderungen nicht lediglich des Nazi-Soldatentums in die Traditionsli- auf der politischen Bühne vorgetragen nie der neuen Militärformation nicht nur wurden, sondern diese durch die Einbezie- personell, sondern auch strukturell: Durch hung „historischer Vorbilder“ auf das All- die Konstituierung von sogenannten Pa- tagsleben und das Militär ihre besondere tenschaften der Bundeswehr für die zu 38

______früheren Zeiten hier ansässigen Militärein- „Munster. Die feierliche Übergabe der heiten wurde eine Geschichte der Garni- Feldzeichen von fünf Kavallerieregimen- sonsstadt Lüneburg geschrieben und prak- tern, die an der Schlacht von Tannenberg tiziert, die von der „Hindenburg-Eskad- 1914 teilgenommen haben, stand im Mit- ron“, über die Lüneburger Dragoner und telpunkt eines Traditionstreffens aller Pan- das Reiterregiment 13 bis zur Nazi-Wehr- zer - und Panzer-Grenadier-Divisionen der macht und zur Bundeswehr reichte. Viel- alten deutschen Wehrmacht in Munster. fach und begeistert berichtete die Landes- Das Treffen fand in der Kampftruppen- zeitung jeweils ausführlich über die „Fah- schule II in Munster Ost statt. Alle 26 Pan- nenweihen“ und andere Rituale in den Lü- zer -Divisionen und fünf von zwölf Panzer- neburger Kasernen, bei denen diese unge- Grenadier -Divisionen der alten Wehrmacht brochene militärische Traditionslinie abge- waren vertreten, als sich rund 200 ehema- feiert wurde etwa vom örtlichen Panzer- lige Soldaten, Abordnungen ehemaliger Grenadierbataillon der Theodor-Körner- Panzer -Einheiten aus dem ganzen Bun- Kaserne. desgebiet, darunter 28 frühere Offiziere im Generalsrang, einfanden.

Das Treffen stand im Zeichen der Kame- Sehr ausführlich und positiv berichtete die radschaft zwischen den alten Soldaten und Landeszeitung fortan über die weiteren In- Kriegs teilnehmern der Wehrmacht und den tegrationsbemühungen der NS-Wehr- Soldaten der jungen Bundeswehr, im Zei- macht in die Bundeswehr, die nun auch in chen einer Tradition, deren sich die Bun- ihrer NS-Apologetik eine neue Qualität er- deswehr nicht zu schämen braucht. reichten, auch wenn es sich um organi- Höhepunkt dieses Treffens war die Über- sierte Großevents in benachbarten Ort- gabe alter Regimentszeichen, der die ehe- schaften handelte: maligen Soldaten beiwohnen konnten. Der Hier wurde auf „Hindenburgs Militärer- Kommandeur der Kampftruppenschule II, folge“ bei der Schlacht von Tannenberg Brigadegeneral Drews, übergab die vom Bezug genommen und diese Militaristen- Generalinspekteur der Bundeswehr den tat als Anlass von Aufmärschen von Nazi- Truppenschulen anvertrauten alten Feld- Militär und Bundeswehr positiv gewürdigt. zeichen an den Leiter der Lehrgruppe A, Oberst von Kleist. Es handelt sich um die Am 20.11.1963 berichtete die LZ z. B. über Nachbildungen von Standarten früherer Kavallerie-Regimenter, die 1914 an der einen solchen Massenaufmarsch in der Schlacht bei Tannenberg teilgenommen Hindenburgkaserne in Munster, der be- haben. Diese Feldzeichen wurden 1934 nannt wurde als „Traditionstreffen aller am Grabe des Feldmarschalls von Hinden- Panzer- und Panzer-Grenadier-Division der burg im Tannenbergdenkmal aufgestellt. alten deutschen Wehrmacht“: „Das Tref- Nach der Sprengung des Denkmals wur- fen stand im Zeichen der Kameradschaft den die Feldzeichen 1945 nach West- zwischen den alten Soldaten und Kriegs- deutschland in Sicherheit gebracht und teilnehmern der Wehrmacht und den Sol- nach Instandsetzung 1962 der Bundes- daten der jungen Bundeswehr, im Zeichen wehr übergeben.“ (LZ vom 20.11.63) einer Tradition, deren sich die Bundes- wehr nicht zu schämen braucht.“ (siehe 1. Bundeswehr-Brigadegeneral Werner Kasten rechts) Bei den an diesem Militaris- Drews wurde in Rastenburg/Ostpreußen tenspektakel beteiligten genannten Bun- geboren, brachte es in der Wehrmacht bis deswehroffizieren handelt es sich um: zum Stabsoffizier der 11. Panzer-Division. 1951 wurde er Mitarbeiter des „Amt 39

______Blank“, einer Einrichtung, die im Gehei- Thesen und Gegenargumente zur men die Aufstellung neuer deutscher historischen Bedeutung Hinden- Streitkräfte plante. Ab 1962 war er Brig.- burgs in den Leser/-innenbriefen Gen. in Munster, stieg anschließend bis zum Befehlshaber des Territorialkomman- der Landeszeitung dos Süd in Mannheim auf und erhielt 1971 das Große Verdienstkreuz des Verdienst- Im Anschluss an bestimmte Initiativen und ordens der Bundesrepublik Deutschland. Aktionen zur Umbenennung der Lünebur- ger Hindenburgstraße berichtete darüber 2. Bundeswehr-Generalinspekteur Fried- jeweils die Presse (Hamburger Abendblatt, rich Foertsch wurde Ende 1943 General- LZ, lünepost). Daraufhin antworteten sehr stabschef der 18. Armee. Am 1. Juni 1944 viele Bürger/-innen mit Stellungnahmen in wurde er zum Generalmajor befördert und den Leser/-innen/briefspalten der Zeitun- stieg im Januar 1945 zum Generalstabs- gen. Auch trugen die Politiker/-innen im chef der Heeresgruppe Kurland auf. Am Rat der Stadt und im Kulturausschuss ihre 29. Juni 1950 wurde er als Kriegsverbre- Meinung vor – mit Ausnahme der Partei cher zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, „Die Linke“ ablehnend. Auch bei einer Po- da ihm vorgeworfen wurde, dass „die ihm diumsdiskussion der örtlichen SPD zum unterstellten Truppen und Verbände die Thema „Lüneburger Erinnerungskultur“ Städte Pskow, Nowgorod und Leningrad am 11.10.2012 kam diese Frage zur Spra- zerstört“ hätten. Foertsch bekannte sich che. Eine Umbenennung der Hindenburg- als nicht schuldig, da er die besagten Be- straße wurde von den eingeladenen Fach- fehle (Artilleriebeschuss etc.) als notwen- referenten (Dr. Lamschuss, Leiter des dig erachtet habe. 1955 wurde er aus dem Deutschen Salzmuseums und Frau Prof. Gefängnis entlassen. 1956 trat Foertsch Bussiek, Lehrstuhlinhaberin für das Fach wieder als Generalmajor in den Dienst bei Geschichte an der Lüneburger Universität) der neu geschaffenen Bundeswehr ein. abgelehnt.

3. Oberst Wilhelm von Kleist entstammt Als Argumente für eine Beibehaltung die- einem pommerscher Uradel. Als Kompa- ses Straßennamens wurden Gründe be- niechef und Regimentsadjutant nahm er nannt, die das politische und/oder militäri- am Überfall auf Polen und an der Verwüs- sche Wirken des Paul von Hindenburg po- tung der Sowjetunion teil. 1943 war er sitiv besetzen und auf eine vorbildhafte nach abgeschlossener Generalstabsausbil- historische Bedeutung Hindenburgs zielen dung als I a in der Führung einer Division oder aber ihn von Vorwürfen entlasten. tätig. 1944 wurde er von der britischen Die Anteilnahme an diesen Fragen und das Militärmacht gefangen genommen und Engagement der LZ-Leser/-innenschaft 1947 entlassen. Ab 1952 war er Mitarbei- war in den letzten Jahren ungewöhnlich ter des „Amt Blank“, nach Errichtung der groß. Mehrfach erklärte die Redaktion die Bundeswehr 1955 zum Oberstleutnant er- Debatte als beendet, aber sie flammte nannt, anschließend Kommandeur des wieder von neuem auf und wurde fortge- Panzerbataillon 84 in Lüneburg. 1967 setzt: Etwa 35 Debattenteilnehmer/-innen wurde er Brigadegeneral und stellvertre- äußerten sich öffentlich für eine Beibehal- tender Divisionskommandeur in Hanno- tung des jetzigen Straßennamens. ver.

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______Diese Argumente, die auf sehr unter- bei Allenstein“ (26. – 30. August 1914) die schiedliche Aspekte des Wirkens Hinden- russischen Militäreinheiten zurückzudrän- burgs hinweisen, sollen hier nicht im gen. Diese Schlacht wurde auf Wunsch Wortlaut wiedergegeben werden. Wir ha- Hindenburgs in „Schlacht bei Tannenberg“ ben sie im folgenden Text zusammenfas- umbenannt. So konnte die vorher eben- send als Thesen formuliert und mit einer falls als „Schlacht bei Tannenberg“ be- ausführlichen Entgegnung versehen. zeichnete Niederlage der Ritter des Deut- schen Ordens gegen die Polnisch-Litaui- sche Union im Jahre 1410 letztlich sieg- These I: reich beendet werden. Hindenburg hat sich als „Befreier des Os- tens“, „Sieger von Tannenberg“ und groß- Am 1. November 1914 wurde mit „Ober- artiger Militär Verdienste und Respekt er- Ost“ (Oberbefehlshaber Ost) eine neue worben. Kommandobehörde gebildet, an deren Spitze Hindenburg und Ludendorff stan- Am 1. August 1914 erklärte das deutsche den, welche sich bald zu einem militärisch- Kaiserreich Russland den Krieg, am 3. Au- politischen Zentrum der Verfechter einer gust folgte die Kriegserklärung an Frank- offensiven deutschen Kriegführung und reich. Das deutsche Militär begann seine expansionistischen Kriegszielplanung ent- Kriegsaktivitäten zunächst im Westen mit wickelte. Nachdem die deutschen Truppen 7 Armeen, besetzte völkerrechtswidrig das große Gebiete im Osten erobert hatten, neutrale Belgien und drang anschließend wurde das Militärverwaltungsgebiet Ober- in Frankreich ein. In einem zweiten Schritt Ost unter Leitung des Oberbefehlshabers sollte der Angriff auf Russland erfolgen der gesamten deutschen Streitkräfte im (Schlieffen-Plan). In der Erwartung, dass Osten gegründet. Die deutsche Militärad- die russischen Militärs eine längere Zeit ministration umfasste schließlich Teile des zur Mobilisierung benötigten und nicht so- heutigen Polen, Litauen und Lettland. Die- fort kampfbereit seien, wurde diese Mili- ses Gebiet wurde zu einem Modell für die tärtaktik begründet und lediglich eine Ar- deutsche Besatzungspolitik ausgebaut. mee (unter Führung von Generaloberst von Prittwitz) im Osten stationiert. Am 29.8.1915 wird von Hindenburg Chef Tatsächlich aber war das russische Militär des Feldheeres. Mit Ludendorf in der in der Lage, dem deutschen Angriff zuvor Obersten Heeresleitung (OHL) verantwor- zu kommen und mit 2 Armeen einen Teil tet er eine faktische Militärdiktatur. Ostpreußens zu besetzen. Nun wurde von Reichskanzler Bethmann-Hollweg setzte Prittwitz abgesetzt und der pensionierte „… auf Hindenburg als militärische Galli- General der Infanterie Paul von Hinden- onsfigur. Ein fataler Fehler, denn mit Hin- burg mit Generalmajor Erich Ludendorff denburg setzte sich die Illusion des Sieg- als Chef des Stabes eingesetzt, um ein wei- friedens als Handlungsmaxime endgültig tere militärische Niederlagen im Osten zu durch.“(Prof. H. Münster, LZ v. 3.1.2014) verhindern. Auf Grund verschiedener mili- Diese faktische Militärdiktatur brachte tärtaktischer Fehler seitens der zaristi- weitreichende Folgen für die Zivilbevölke- schen Militärführung und auf der Grund- rung wie z. B. den kriegsbedingten „Hun- lage eines von Ludendorf ausgearbeiteten gerwinter“ 1916/1917: Hindenburg ent- Plans war Hindenburg mit seinen Kräften warf den nach ihm benannten Plan, das in der Lage, in der sogenannten „Schlacht 41

______„Vaterländische Hilfsprogramms zur Zu- Hindenburg ließ am 19. Juli 1917 die vom sammenfassung aller Kräfte der Wirt- Reichstag veranlassten Friedensvorgesprä- schafts- und Arbeitspolitik“, der zum Tode che Erzbergers scheitern und verantwor- von über 700.000 Zivilisten durch Hunger tete mit dem „Frieden von Brest-Litowsk“ und Folgeerkrankungen der Unterernäh- (3.3.1918) weitere Auseinandersetzungen rung führte. Dieser Plan verfügte, dass 2/3 mit der Sowjetunion: Bei diesem Friedens- aller Nahrungsmittel zur Verlängerung des schluss konnte vor allem die deutsche Krieges dem Heer zugeführt werden muss- Oberste Heeresleitung (OHL) ihre Vorstel- ten. Der deutschen Zivilbevölkerung blieb lungen hinsichtlich einer territorialen Neu- nur 1/3 zum Leben. Überwiegend Kinder, gliederung der ehemals russischen Ge- Alte und Frauen in den Großstädten des biete durchsetzen. Die Regierung der Sow- Deutschen Reiches starben. jets unterzeichnete den Vertrag angesichts Auch mussten Frauen in der Industrie die der deutschen militärischen Drohung un- zur Front abkommandierten und gefalle- ter Protest (Russland verlor durch diesen nen Männer ersetzen und für Niedriglöhne Friedensvertrag 26 % seines damaligen eu- arbeiten, die zur Versorgung ihrer Kinder ropäischen Territoriums). Spätere Kon- nicht ausreichten. Hindenburg selber flikte um diese Gebiete waren damit vor- erging es hingegen prächtig. Etwa zur sel- programmiert. ben Zeit beschrieb er sein Wohlbefinden mit den Worten: „Der Krieg ist mir wie Hindenburg musste die Aussichtslosigkeit eine Badekur bekommen.“ (Küchenmeis- der militärischen Lage spätestens am 14. ter, Vera und Klaus: Bilder aus dunkler August 1918 erkannt haben, als die OHL Zeit, Berlin 1984, S. 28). auf der Konferenz von Spa zur Einsicht kam, dass die Initiative im Krieg nicht mehr wiedergewonnen werden könne. Dennoch setzte er alles daran, weiterzukämpfen und op- ferte – selbst unter militärischen Gesichtspunkten völlig überflüs- sig – weiterhin das Leben von vielen tausend Soldaten auf den Schlachtfeldern Frankreichs. Auch die 14-Punkte-Forderungen der USA zur Beendigung des Krieges (Verhandlungen am 3. und 4. Oktober 1918) lehnten Hindenburg und Ludendorf ab und setzten die Fortführung des Krieges durch.

An den Friedensverhandlungen am 7. November 1918 mit dem französischen Marschall Foch Speiseplan Hauptquartier Ost vom 2.10.1917 (OHL) über einen Waffenstillstand zwischen den (V. und K. Küchenmeister, Bilder …, S. 28) Alliierten und dem Deutschen Reich nimmt Hindenburg nicht teil. Er weigert 42

______sich, die militärische Verantwortung zu wilder politischer Leidenschaften und tö- übernehmen, die Niederlage einzugeste- nenden Redensarten unsere ganze frühere hen und überließ dies den Politikern unter staatliche Auffassung unter sich vergra- Führung von Matthias Erzberger (Vorsit- ben, anscheinend alle heiligen Überliefe- zender der katholischen Zentrumspartei). rungen vernichtet. Aber diese Flut wird sich wieder verlaufen. Dann wird aus dem Hindenburgs massenwirksame Position ewig bewegten Meere völkischen Lebens und Propaganda, das deutsche Militär sei jener Felsen wieder auftauchen, an den im I. Weltkrieg „im Kampfe unbesiegt“ ge- sich einst die Hoffnung unserer Väter ge- blieben und lediglich „von hinten er- klammert hat und auf dem fast vor einem dolcht“ (Dolchstoßlegende) worden, be- halben Jahrhundert durch unsere Kraft des gründete in den folgenden eineinhalb Vaterlandes Zukunft vertrauensvoll be- Jahrzehnten den Hass des gesamten Mili- gründet wurde: Das deutsche Kaisertum!“ tärs und rechten Bürgertums auf die Revo- lution von 1918 und vor allem auf die Re- Am 27. November 1927, sieben Jahre spä- publik. Alle einschneidenden Kriegsfolgen, ter und nunmehr als Reichspräsident, ver- vom Hunger der Bevölkerung bis zum Ver- fasste Hindenburg einen Brief an Wilhelm sailler Vertrag, wurden den als „Novem- II, dem es an Untertanengeist nicht man- berverbrechern“ titulierten demokrati- gelt und der belegt, dass Hindenburg vor schen Akteuren angelastet. Damit legte seiner Kandidatur zum Reichspräsidenten Hindenburg den ideologisch-politischen sogar die Einwilligung des einstigen Mo- Grundstein nicht nur für die folgende Er- narchen eingeholt hatte: mordung der „Novemberverbrecher“ (wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, „Euer Majestät lege ich die inständige Matthias Erzberger), sondern auch für die Bitte zu Füßen, davon überzeugt sein zu Ablehnung des „Systems der Sozialdemo- wollen, dass ich wie immer, so auch in den kratie“ (Weimarer Republik), bis er damaligen unglücklichen Tagen lediglich schließlich mit Hitler den konsequentesten bemüht gewesen bin, Schaden und Nach- Bekämpfer dieser Republik am 30. Januar teil vom Haupte meines Kaisers abzuwen- 1933 zum Reichskanzler ernannte. den. Nur aus diesem Grunde musste ich nach gewissenhafter Prüfung schweren Herzens wohlgemeinten, aber nach Lage These II: der Dinge unausführbaren Ratschlägen Hindenburg war nach 1918 kein Monar- Anderer widersprechen und einen, wie ich chist mehr, sondern lediglich noch durch glaubte, vorübergehenden Aufenthalt in freundschaftlich-persönliche Bezüge mit Holland als bestes Mittel für oben erwähn- dem ehemaligen Herrscherhaus verbun- ten Zweck empfehlen. Von Eurer Majestät den. mißverstanden zu werden, ist mir altem Soldaten der größte Schmerz. Darum bitte Die Bedeutung des Kaisertums für Hinden- ich vorbeugend daran zu erinnern zu dür- burg im Jahre 1920 lässt sich im Abschluss- fen, dass ich mein jetziges dornenvolles kapitel seiner in diesem Jahr veröffentlich- Amt nach langen Sträuben erst übernom- ten Erinnerungen ablesen: Er lässt keinen men habe, nachdem man mich bei der Zweifel an seiner monarchistischen Orien- Ehre fasste und ich die Einwilligung Eurer tierung: „Gegenwärtig hat eine Sturmflut Majestät versichert habe. So verbleibe ich bis in ein nicht mehr fernes Grab in Treue 43

______und Ehrgefühl als Eurer Kaiserlichen und Von den Historiker/-innen wird diese Königlichen Majestät alleruntertänigster Reichspräsidentenwahl von 1925 überwie- Hindenburg, Generalfeldmarschall.“ gend als „empfindliche Niederlage der de- mokratischen Republik“ gedeutet – so die Hindenburg war Zeit seines Lebens über- Formulierung von Eberhard Kolb. (in: Wei- zeugter Monarchist, zudem ein dem marer Republik, S. 81). Adels- und militärischen Kastendünkel ver- Ursula Büttner kommentiert: „Im Sieg des hafteter Gegner der parlamentarischen Generalfeldmarschalls über den Kandida- Demokratie, der sich lediglich aus selbst- ten der Demokraten kam symbolisch zum auferlegter „preußischer Pflichterfüllung“ Ausdruck, wie erfolgreich sich die Anhä- in ein republikanisches Amt wählen ließ nger der alten Ordnung vom Schock der mit dem Ziel, diese Republik in eine völ- Revolution erholt hatten und wie sehr die kisch-nationalistische, autoritär-diktato- Republikaner seither in die Defensive ge- risch regierte Staatsform umzuwandeln. raten waren.“ (in: Weimar. Die überfor- derte Republik 1918–1933, S. 348) Auch Heinrich August Winkler hält den These III: Sieg Hindenburgs für einen „Volksent- Hindenburg war als Reichspräsident ein scheid gegen die parlamentarische Demo- „getreuer Hüter der verfassungsmäßigen kratie“ (in: Weg nach Westen, S. 460). Ordnung“ und „ehrlicher Repräsentant Hans Mommsen spricht ebenfalls von ei- der Demokratie“. ner „Niederlage der Republik“ (in: Ver- spielte Freiheit, S. 247). Paul von Hindenburg wurde am 26. April 1925 im zweiten Wahlgang zum Reichs- Den sozialen Kreisen, denen Hindenburg präsidenten gewählt und damit die Abkehr entstammte – Militär und Großlandwirt- von der Ergebnissen der Revolution von schaft – öffnete sich durch die Wahl Hin- 1918 im höchsten Staatsamt besiegelt, wie denburgs wieder eine exklusive Tür zur seine Unterstützer erklärten. Staatsspitze. Eine „Machtkamarilla“ Die konservative Kreuzzeitung notierte: (Wildt) um den Reichspräsidenten, eben- „Wir haben zwar keinen Kaiser mehr - der falls diesem Milieu zugehörig, baute das Repräsentant des deutschen Volkes ist Reichspräsidentenamt nach und nach zu aber nicht mehr identisch mit dem Reprä- einem Machtzentrum aus, das gegen den sentanten der Revolution im November Reichstag gerichtet war. Von diesem Amt 1918. Es steht vielmehr ein Führer an der aus sollten – so Detlev Peukert „fortan im- Spitze des Reiches, der, hervorgewachsen mer wieder offene und verdeckte Versu- aus preußisch-deutscher Geschichte, sie che ausgehen, die politische Achse der Re- verkörpernd und bewahrend, in eine bes- publik nach rechts zu verschieben, die Ele- sere Zukunft weist.“ mente autoritärer Regierungsweise zu ver- Graf Westarp, Chef der größten Unterstüt- stärken und so mittelfristig die Vorausset- zerpartei, der DNVP, äußerte sich im zungen für eine entsprechende Verfas- Reichstag folgendermaßen:„ Die 14,6 Mil- sungsänderung zu schaffen.“ (in: Weima- lionen, die am 26. April unserer Parole ge- rer Republik, S. 212) folgt sind, haben damit ein Bekenntnis ab- gelegt, ein Bekenntnis zu dem Gedanken Diese Zielsetzung nennt auch Hindenburg der Führerpersönlichkeit, ein Bekenntnis selber (in seinem politischen Testament zu jener Vergangenheit, die vor 1918 lag.“ vom 11. Mai 1934) in der Rückschau: „Von 44

______… 1925 an, … bin ich nicht müde gewor- Zusammensetzung der deutschen Völker- den, die innere Einheit des Volkes und die bundsdelegation und gab ihr direkte Ver- Selbstbesinnung auf seine besten Eigen- handlungsanweisungen. schaften zu fördern. Dabei war mir be- --- Ende 1926 verhinderte Hindenburg ein wußt, daß das Staatsgrundgesetz und die Ausführungsgesetzt zum Artikel 48, das Regierungsform, welche sich die Nation in seine Diktaturvollmachten einschränken der Stunde großer Not und innerer Schwä- sollte. Gerade im Notfall sei es geboten, che gegeben (die Weimarer Verfassung, d. schrieb er am 26.November an Reichs- V.), nicht den wahren Bedürfnissen und Ei- kanzler Marx, „dem Reichspräsidenten genschaften unseres Volkes entsprachen. freie Hand zu lassen in der Wahl und in Die Stunde mußte reifen, wo diese Er- der Durchführung der Abwehrmaßnah- kenntnis Allgemeingut wurde.“ men. Der Gesetzesentwurf würde im Reichstag sicher zu schweren Kämpfen Für diese an den „wahren Bedürfnissen führen.“ und Eigenschaften unseres Volkes“ orien- --- Hindenburg beschloss 1930, die regie- tierte Politik Hindenburgs seien folgende rende Große Koalition unter Kanzler Her- Beispiele genannt: mann Müller (SPD) durch eine rechtskon- servative und antiparlamentarische Regie- --- Hindenburg brachte 1925 einen Gesetz- rung zu ersetzen. Die Gelegenheit hierzu entwurf der SPD zur Beschränkung der An- ergab sich, nachdem die Große Koalition sprüche der 1918 abgesetzten (nicht ent- an der Frage des Beitragssatzes zur Ar- eigneten) Fürstenhäuser auf Rückgabe ih- beitslosenversicherung zerbrochen war. res Vermögens bzw. Entschädigung zu Fall, Am 29. März 1930 berief Hindenburg indem er ihn für verfassungsändernd er- Heinrich Brüning (Zentrum) zum Reichs- klärte, obwohl die Weimarer Verfassung kanzler eines Minderheitskabinetts, ohne auch entschädigungslose Enteignungen das Parlament zu konsultieren. zum Wohle der Allgemeinheit mittels ein- Damit begann die Zeit der Präsidialkabi- facher Gesetze zuließ. Das Volksbegehren nette, in denen der jeweilige Kanzler der KPD zur entschädigungslosen Enteig- hauptsächlich vom Vertrauen des Präsi- nung der Fürsten, dem sich die SPD und denten abhängig sein sollte. Ganz gelang Gewerkschaften anschlossen, und das in die geplante Ausschaltung des Parlaments der Bevölkerung auf große Resonanz stieß, indes nicht, da der Reichstag die von der nannte der Reichspräsident „einen be- Regierung gemäß Artikel 48 der Reichsver- denklichen Vorstoß gegen die Grundlagen fassung erlassenen Notverordnungen je- der Moral und des Rechts“, und duldete derzeit aufheben konnte. Als er das im die Verwendung dieses Zitats auf den Pla- Juni 1930 tat, löste Hindenburg den katen der Gegner des Volksbegehrens Reichstag kurzerhand auf. (DNVP, BVP, DVP, Zentrum und der Kir- --- „Preußenschlag“ 1932: Der „Freistaat chen). Preußen“ war seit 1920 von einer Koali- --- 1925/26 überschritt der Reichspräsi- tion („Preußenkoalition“) aus SPD, Zent- dent den Artikel 45 der Weimarer Verfas- rum und Deutscher Demokratischer Partei sung, der ihm lediglich die völkerrechtliche regiert worden, die bei den Landtagswah- Vertretung des Deutschen Reiches zuwies, len am 24. April 1932 ihre Mehrheit verlor. indem er sich unmittelbar in die Außenpo- Nach dem formalen Rücktritt der gesam- litik einmischte: Er nahm Einfluss auf die ten bisherigen Landesregierung – des Ka- binett Braun III – blieb diese gemäß Artikel 45

______59 der Landesverfassung zunächst ge- von Hindenburgs, dieser gewalttätige Ein- schäftsführend im Amt. Diese Lage ähnelte griff (der militärischen Ausnahmezustand der anderer Länder (Bayern, Sachsen, Hes- wurde erlassen, der Einsatz der Reichs- sen, Württemberg und Hamburg), mit de- wehr gegen die Landespolizei angedroht) nen sich die Reichsregierung jedoch nicht in die originären Rechte des preußischen befasste. Rechnerisch möglich war in Landesparlaments „symbolisiert den un- Preußen eine Mitte-Rechts-Regierung aus bedingten Willen der alten wilhelmini- NSDAP (162 Sitze) und Zentrum (67 Sitze) schen Eliten zur Zerstörung der Republik.“ mit einer Mehrheit von 229 Sitzen. Zusam- (Volker Weiß, Der vergessene Putsch, in: men mit den 31 Sitzen der DNVP hätte jungle word Nr. 29 vom 19. Juli 2012) diese Koalition sogar 260 von 423 Sitzen gehabt. Eine solche Koalition strebte Reichskanzler im Einver- These IV: ständnis mit Hindenburg an, obwohl sie Hindenburg war ein seriöser Reichspräsi- für diese Fragen, die in die Kompetenz des dent, der stets selbstlos tätig war, nie das Landes Preußen und nicht des Reiches ge- eigene Wohlergehen im Auge hatte und hörten, absolut nicht zuständig waren. Die alle Anmutungen der Selbstbereicherung NSDAP aber wollte Papen und Hindenburg ablehnte. nicht folgen, sie beanspruchte die Macht für sich allein. Nun blieben als Alternativen Im Jahre 1915 wurde Hindenburg, der zu- die Bildung einer Linksregierung, wie sie vor in Hannover in der Villa Köhler zur Anfang der 20-er Jahre in Sachsen und Miete wohnte (die ihm allerdings erlassen Thüringen bereits existierten, die Bildung wurde) zum Ehrenbürger dieser Stadt er- einer Minderheitenregierung der „Preu- nannt und ihm wurde ein Grundstück ßenkoalition“ und damit die geschäftsfüh- samt einer Villa in der Bristoler Straße im rende Regierung zunächst im Amt zu be- Zooviertel geschenkt. Hindenburg nahm lassen oder Neuwahlen anzusetzen. Diese dankend an und blieb ab 1921 in Hanno- Entwicklung wollten Papen und Hinden- ver, bis er vier Jahre später Reichspräsi- burg nicht zulassen. Sie planten, die dent wurde und im Berliner Reichspräsi- Reichswehr in Preußen einzusetzen und dentenpalais residierte. einen Reichskommissar zu ernennen. Schon am 14. Juli hatte Reichspräsident Hindenburg erhielt 1927 seinen früheren Paul von Hindenburg auf Wunsch Papens, Familienbesitz Gut Neudeck zurück, nach- der ihn zu diesem Zweck mit dem Innen- dem Lina von Hindenburg, die Witwe von minister Gayl in Neudeck aufgesucht Hindenburgs Bruder, das alte hindenburg- hatte, eine undatierte Notverordnung un- sche Gut Neudeck wegen hoffnungsloser terzeichnet, durch die er den Reichskanz- Überschuldung nicht halten konnte und es ler zum Reichskommissar für Preußen be- im Herbst 1927 zum Verkauf anbot. Zu sei- vollmächtigte und ihm damit die Amtsent- nem 80. Geburtstag am 2. Oktober 1927 hebung der geschäftsführenden preußi- wurde es Hindenburg geschenkt. Die Gel- schen Regierung ermöglichte. Hindenburg der dafür (insgesamt 1 Million Reichs- überließ Papen sogar die Wahl des Zeit- mark) hatte sein Gutsnachbar und Freund punktes, von der Vollmacht Gebrauch zu Elard von Oldenburg-Januschau vor allem machen, der dafür den 20. Juli auswählte. bei Mitgliedern des „Reichsverbandes der Dieser „Preußenschlag“ von Papens und Deutschen Industrie“ und des „Reichsland- bundes“ gesammelt (Gerd R. Ueberschär, 46

______Winfried Vogel: Dienen und Verdienen. sein Gut angrenzenden Landfläche der Do- Hitlers Geschenke an seine Eliten. Frank- mäne Langenau wurden ihm überschrie- furt 1999). Um die Erbschaftssteuern nicht ben. Zelebriert wurde dieser „Dank des zahlen zu müssen, überschrieb Hinden- Führers an Hindenburg“ auf dem „Tag von burg das Gut sogleich auf seinen Sohn Tannenberg“ am 27. August 1933, wo in Oskar. einem großangelegten Staatsakt an dem „Ort des Ursprungs seines Ruhms“ Hin- Die bereits 1926 von der Reichsregierung denburg als „Befreier Ostpreußens“ gefei- beschlossenen kreditpolitischen Maßnah- ert wurde und mit einem Händedruck die men („Allgemeine Grenzhilfe“), die auf ihm zugesprochene militärische Kompe- eine Um- und Entschuldung der großen tenz und sein Charisma als „Retter“ auf Güter vor allem in Ostpreußen zielten, den neuen Führer Hitler übergehen wurden in den Folgejahren massiv ausge- sollte.(vergl.: Jeske von Hoegen, Genese weitet und 1930 durch das „Ostpreußen- und Funktion des Hindenburg-Mythos, gesetz“ (welches durch eine Notverord- Köln 2008, S. 403) nung verstärkt wurde), 1931 durch das „Osthilfegesetz“ ergänzt. Hindenburg setzte sich stark ein für die Begünstigun- These V: gen der ostelbischen , nahm Ein- Hindenburg hatte zum 30. Januar 1933 fluss auf den Gesetzgebungsgang und de- gegen seine eigene Überzeugung keine ren Umsetzung. In einer Untersuchung der andere Wahl, als Hitler zum Reichskanzler als „Osthilfeskandal“ benannten Vorgänge zu ernennen. wurde bekannt, dass die landwirtschaftli- chen Großbetriebe mit 60% der staatli- Spätestens ab 1930 torpedierte Hinden- chen Zuwendungen begünstigt wurden burg politisch gezielt Reichstagsbeschlüsse (davon allein mit 37,6% die Besitzer der durch Auflösung des Parlaments und Ent- größten Güter mit Flächen über 2000 Mor- lassung unangenehmer Regierungen, gen), wovon in erster Linie der ostelbische setzte Minderheitskabinette ein. Dazu er- Freundeskreis um Hindenburgs profitierte. klärt Prof. Michael Wildt in der Schrift „In- Der Freund und Gutsnachbar Hinden- formationen zur politischen Bildung“ der burgs, Oldenburg-Januschau, der zuvor die Bundeszentrale für politische Bildung (Nr. Schenkung des Guts Neudeck an Hinden- 314/2012): „Die Verwandlung der parla- burg organisierte, erhielt auf diese Weise mentarischen Republik in ein autoritäres 620.000 Reichsmark. Präsidialsystem lässt sich nicht zuletzt an der rückläufigen Zahl der Plenarsitzungen Bei dieser gegenseitigen finanziellen Be- erkennen.“ (1931 = 41; 1932 = 13 Sitzun- vorzugung der Hindenburg-Kreise blieb es gen) nicht: Durch Gesetz vom 27.8.1933 (wel- chem rückwirkend zum 1.7.1933 Geltung Wildt stellt folgendes klar: „Die Ernennung verliehen wurde) wurde Hindenburg mits- Hitlers war keinesfalls unvermeidlich; poli- amt seiner Nachkommen von der Zahlung tische Alternativen gab es durchaus. Aber von Landes- und Reichssteuern für sein Papen und sein Förderer Hindenburg Gut Neudeck befreit und er zur selben Zeit glaubten, die NS-Bewegung als Massenun- mit einer weiteren Schenkung des Landes terstützung für einen nationalkonservati- Preußen bedacht; 5000 Morgen der an ven, autoritären Machtstaat benutzen …

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______zu können. Die parlamentarische Demo- Zu seinem regelmäßigen Tagesablauf ge- kratie hatten sie bereits aufgegeben. hörte die sorgfältige Durchsicht jener Wenn es noch einmal zu Wahlen, nun- Rundfunk- und Zeitungsmeldungen, die mehr mit der vereinten Rechten, kommen seine Politik und sein Image betrafen. sollte, die dann auf einen Sieg hoffte, soll- Hindenburgs Sohn Oskar erklärte anläss- ten dies die letzten freien Wahlen in lich der LZ-Berichterstattung über die Vor- Deutschland (am 5. März 1933) sein…“ In bereitung seines Entnazifizierungsverfah- aller Offenheit bekräftigte Hindenburg die- rens in Uelzen am 12.12.1947 in der LZ: sen Wunsch, indem er betonte, „hoffent- „Der Reichspräsident erfreute sich bis in lich zum letzten Mal einen Stimmzettel die letzte Lebenszeit hinein voller geistiger abgeben“ zu müssen. Klarheit.“ „Die Auffassung Oskar von Hin- denburgs, daß sein Vater geistig völlig klar war, bekräftigt (auch) der frühere Reichspressechef Dr. Zechlin.“(LZ v. 5.1.1948) Auch zahlreiche Zeitzeugen und Histo- riker beschreiben Hindenburgs Geisteszustand auf diese Weise. (vergl. „Arte“-Fernsehsendung vom 8.1.2013 über Hindenburg)

Hindenburg (am Fenster)nimmt eine Parade der SA ab Hindenburg nutzte alle zu seiner (Bundesarchiv) Zeit verfügbaren Medien und Anlässe

(auch privater Natur) aktiv für seine Pub- These VI: lik-Relations- und Imagepflege, war im Hindenburg war 1933 alt, krank und senil rechtskonservativen Lager eine Art Me- gewesen, habe unter dem Einfluss seines dien-Star. Ähnlich wie Adenauer später Sohnes Oskar „keinen Durchblick“ mehr wirkte Hindenburg auch im hohen Alter als gehabt, als er Hitler die Macht übertrug. intelligenter politischer Akteur. Auch

durch seine öffentlichen Verlautbarungen Zahlreiche Aussagen und Hinweise von ist belegbar, dass er die Maßnahmen der Verwandten und engen Mitarbeitern Hin- Hitler-Diktatur positiv kommentierte und denburgs widerlegen diese Legendenbil- er hat dieses auch in seinem politischen dung, die nach 1945 zur Entlastung des Testament abschließend bekräftigt. rechtskonservativen Spektrums entwickelt wurde: Im äußeren Erscheinungsbild Der Stuttgarter Ordinarius Wolfram Pyta stellte sich Hindenburg zwar dar als seriö- machte in seiner 2007 erschienenen Bio- ser und etwas behäbiger, großwüchsiger graphie Hindenburgs plausibel, dass Hin- Mann mit Bart, Zylinder oder Pickelhaube denburg stets „Herr über die Entscheidung und wollte damit „Ruhe und Sicherheit“ blieb“, Hitler zum Reichskanzler eines Ka- ausstrahlen. Bis zum Tode (er starb an ei- binetts der nationalen Konzentration zu ner organischen Erkrankung) aber war er ernennen: „Der Reichspräsident hatte Pa- auch nach ärztlichen Befunden geistig sehr pen ausdrücklich ermächtigt, in dieser rege und agil geblieben. Auch Hitler und Richtung zu verhandeln, nun war es an seine Helfer mussten ihn stets unterrich- ihm, das Ergebnis dieser Absprachen zu ten und konsultieren. bestätigen oder zu verwerfen. Niemand 48

______hat Hindenburg in diese Entscheidung hin- Massenorganisationen standen gegen Hit- eingeredet. Einflüsterungen und Einfluss- ler. Überdies fehlte es nicht an besorgter nahmen haben nicht den Ausschlag gege- Kritik an der Rechtsentwicklung unter Hin- ben bei dieser Aktion, die der Reichspräsi- denburgs Präsidentschaft in der europäi- dent allein zu verantworten hatte und die schen Presse und der Weltöffentlichkeit, er vor allen Dingen auch allein durchfüh- die auch in Deutschland bekannt war. ren wollte. Hindenburg besaß ein starkes Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass herrscherliches Selbstverständnis, mit der „Zeitgeist“ keine Alternative zum Hit- dem es sich nicht vereinbaren ließ, ausge- ler-Hindenburg-Pakt zuließ, denn die poli- rechnet die Ernennung Hitlers zum Reichs- tische (und kulturelle) Opposition bot un- kanzler und damit eine politische Wei- übersehbar eine nicht-nationalistische chenstellung von größter Tragweite aus Handlungsalternative an. der Hand zu geben. Dass Hitler ihm von dritter Seite eingeredet wurde … entbehrt … jeder quellenmäßig verbürgten Grund- These IIX: lage.“ (Bericht des Stuttgarter Stadtarchivs Hindenburg hat nach der Machtübertra- anlässlich der Aberkennung der Ehrenbür- gung an Hitler das „Heft des Handelns“ gerschaft für Hindenburg im Juli 2008) aus der Hand verloren und der Formie- rung des deutschen Faschismus machtlos zusehen müssen. These VII: Der „Zeitgeist“ entschuldigt Hindenburg, Hindenburg hat als Reichspräsident bis zu weil Anfang der 30er Jahre eine domi- seinem Tode alle Gesetze und Verordnun- nante politisch-kulturelle Hegemonie vor- gen der Nazis zu verantworten, von der herrschte, die für sein Handeln keine Al- Notverordnung „Zum Schutz des deut- ternative zuließ schen Volkes", welche die Versammlungs-, Rede- und Pressefreiheit für die antifa- Die damaligen Wahlergebnisse zeigen, schistische Opposition drastisch ein- dass die politischen Auffassungen und schränkte über die Notverordnung „Zum Leitbilder bis zur gewalttätigen „Gleich- Schutz von Volk und Staat", welche die schaltung“ gespalten waren. Hitler und Grundrechte der Weimarer Verfassung Hindenburg wollten die „Volkseinheit“ aufhob, die „Schutzhaft“ (sowie die Errich- und einen völkischen Staat unter Ausschal- tung von Konzentrationslager) einführte tung der zahlreichen sozialdemokrati- und damit die Verhaftung tausender füh- schen, kommunistischen und bürgerlichen render Mitglieder der politischen Opposi- Opposition herbeiführen. tion ermöglichte bis zum „Gesetz über die Die Ideen der anderen Parteien und „Mili- Neuordnung des Reichs“, welches eine eus“, getragen von Humanismus, Demo- zentralistische Machtentfaltung der Nazis kratie, Pazifismus, Sozialismus und Ethik ermöglichte. Wenngleich eine formale Zu- waren überall präsent. Die Warnungen vor stimmung des Reichspräsidenten bei allen Hindenburg („Wer Hindenburg wählt, Gesetzes- und Verordnungsvorhaben nicht wählt Hitler; wer Hitler wählt, wählt mehr notwendig war (Hindenburg hatte Krieg!“) waren rational begründet und un- dieses Recht teilweise auf Hitlers Kabinett überhörbar. Der größte Teil der Intellektu- übertragen), so gab es in keinem Falle ei- ellen, Literatur und Theater, Kunst und vor nen öffentlichen Widerspruch Hinden- allem die Arbeiterbewegung mit ihren burgs. In seinen zahlreichen Interviews, 49

______Stellungnahmen und Veröffentlichungen These IX: hat sich Hindenburg niemals kritisch über Hindenburg kann für die Verbrechen Hit- diese Maßnahmen der Nazis geäußert, lers nicht verantwortlich gemacht wer- sondern sich auch durch sein öffentliches den, denn 1933/1934 habe er den späte- Auftreten (z.B. am „Tag von Potsdam“) in ren Krieg und die Judenverfolgung noch den Dienst der Nazis gestellt. Deutlich nicht vorhersehen können. wird diese massive Unterstützung der Na- zis durch Hindenburg u.a. auch durch Natürlich ist die Frage danach hypothe- seine Begründung für die Auflösung des tisch, wie sich Hindenburg zu einem späte- Reichstages am 14. Oktober 1933 und die ren Zeitpunkt verhalten hätte. Es kann Ausschreibung von „Neuwahlen“. Für aber dargelegt werden, wie er die Vorbe- diese Reichstagswahl am 12. November reitung auf den nächsten Krieg und die 1933 war ausschließlich eine nationalsozi- Phasen der Judenverfolgung während sei- alistisch dominierte Einheitsliste zugelas- ner Lebenszeit beurteilt hat. sen. Alle anderen Parteien waren zu die- sem Zeitpunkt bereits verboten. Diese Der deutsche Angriffskrieg begann nicht Wahlen sollten nun, so erklärte Reichsprä- erst 1939, sondern mit seiner Planung, sident Hindenburg am 14.10.1933, ledig- über die auch Hindenburg informiert war, lich noch „ … dem deutschen Volk Gele- ohne einen Einspruch zu erheben und für genheit bieten, … seiner Verbundenheit die er als Reichspräsident mitverantwort- mit der Reichsregierung Ausdruck zu ge- lich war. ben.“ (RGBl. I, S. 729) In diesem Sinne Bereits 1925 wurde auf Betreiben des stellte er sich bei der Wahlwerbung der Chefs der Heeresleitung, General Hans von NSDAP und Adolf Hitler zur Verfügung. Seeckt, dem Truppenamt die Planungsauf- gabe gestellt, ein Kriegsheer mit bis zu drei Millionen Mann aufzustellen. Die 102 Divi- sionen, die bei Kriegsbeginn 1939 bereit- standen, wurden damals detailliert ge- plant und durch diese Vorbereitung hat Hitler binnen sechs Jahren die stärkste Landmacht des Kontinents bilden können.

Die Verbrechen der Wehrmacht wurden schon damals konzipiert: „Hemmungen ir- gendwelcher Art darf es nicht geben ... Die Meinung der Welt gilt wenig, wenn die Be- freiung winkt ... Ein auf das Äußerste zu steigender Haß darf vor keinem Mittel der Sabotage, des Mordes und der Verseu- chung zurückschrecken - Gas und Rauch, Bakterien, elektrische Fernlenkung und Zündung, Aviatik." General v. Seeckt sprach 1925 aus, worum es bei der Schaf- fung des Großen Heeres ging: „Wir müs-

Plakat für die inszenierten Wahlen im Nov. 1933 sen Macht bekommen, und sobald wir (Bundesarchiv) 50

______diese Macht haben, holen wir uns selbst- gebeugt werden. Ausrottung des Marxis- verständlich alles wieder, was wir verloren mus (SPD und KPD, d. V.) mit Stumpf und haben." Stiel. Einstellung der Jugend u. des ganzen Volkes auf den Gedanken, daß nur d. Hindenburg, der in der Reichswehr großes Kampf uns retten kann u. diesem Gedan- Ansehen genoss, ebnete Hitler den Weg ken gegenüber alles zurückzutreten hat. zum Militär als wichtigstem Bündnis- (Verwirklicht in d. Millionen d. Nazi-Be- partner und Mittäter für die Pläne der Na- weg. Sie wird wachsen.) Ertüchtigung der zis. Diese herausragende Rolle, die der Jugend u. Stärkung des Wehrwillens mit al- Reichswehr zugemessen wurde, wird da- len Mitteln. Todesstrafe für Landes- u. ran deutlich, dass bereits wenige Tage Volksverrat. Straffste autoritäre Staatsfüh- nach dem 30. Januar 1933 eine Zusam- rung. Beseitigung des Krebsschadens der menkunft von NSDAP-Führungspersonen Demokratie! … mit den Befehlshabern des Heeres und der 3. Wirtschaft! … Im Siedeln liegt einzige Marine am 3. Februar 1933 im Berliner Mögl. … da Lebensraum für d(eutsches) Bendler-Block stattfand, wo Hitler sein Volk zu klein. … Programm vortrug, über das Hindenburg 4. Aufbau der Wehrmacht wichtigste Vo- auf Amtswegen informiert wurde. raussetzung für Erreichung des Ziels: Wie- Dieses Programm erfüllte alle Wünsche dererringung der pol. Macht. Allg. Wehr- der Heeresführung: Keine Duldung des Pa- pflicht muß wieder kommen. Zuvor aber zifismus, Todesstrafe für Landesverrat, Be- muß Staatsführung dafür sorgen, daß die seitigung des „Krebsschadens der Demo- Wehrpflichtigen vor Eintritt nicht schon kratie", Wehrertüchtigung der Jugend, all- durch Pazif., Marxismus, Bolschewismus gemeine Wehrpflicht, vor allem aber „die vergiftet werden oder nach Dienstzeit die- Wiederherstellung der deutschen Macht" sem Gifte verfallen. und „Eroberung neuen Lebensraumes im Wie soll pol. Macht, wenn sie gewonnen Osten und dessen rücksichtslose Germani- ist, gebraucht werden? … Eroberung neuen sierung." (s. C. Dirks / K: H. Janssen: "Der Lebensraumes im Osten u. dessen rück- Krieg der Generäle - Hitler als Werkzeug sichtslose Germanisierung. der Wehrmacht", Berlin 1999). Wehrmacht ist wichtigste … Einrichtung d. Staates.“ (Quelle: Walther Hofer (Hrsg.), Der Natio- Hitler spricht am 3.2.1933 vor den Befehls- nalsozialismus, S. 180f; aus: NS-Archiv, Do- habern des Heeres und der Marine kumente zum Nationalsozialismus) (Stichwortprotokoll eines Teilnehmers) Indem Hindenburg als verantwortlicher Ziel der Gesamtpolitik allein: Wiederge- Reichspräsident und Hüter der Weimarer winnung der pol. Macht. Hierauf muß ge- Verfassung am 30.1.1933 Deutschland den samte Staatsführung eingestellt werden faschistischen Horden auslieferte, nahm er (alle Ressorts!). alle Konsequenzen in Kauf und ermög- 1. Im Innern. Völlige Umkehrung der ge- lichte alle furchtbaren Folgetaten der Na- genwärt. innenpol. Zustände in D. Keine ziverbrecher. Die Zerschlagung der Demo- Duldung der Betätigung irgendeiner Gesin- kratie, der Austritt aus dem Völkerbund nung, die dem Ziel entgegensteht (Pazifis- und die Vorbereitung des Krieges wurden mus!). Wer sich nicht bekehren läßt, muß zugleich mit schrecklichen Terror- und Mordaktionen vom ersten Tag nach der 51

______Machtübergabe umgesetzt zur Ausschal- Die unter Hindenburg und Hitler erlasse- tung der Kriegsgegner, wie dies Hermann nen Gesetze und Verordnungen wider- Göring in einer öffentlichen Rede am 3. sprechen grob allen zivilisatorischen März 1933 ausführte: „ Meine Maßnah- Rechtsgrundsätzen Europas, brechen völ- men werden nicht angekränkelt sein durch kerrechtliche Verträge und gefährden den irgendwelche juristischen Bedenken. Weltfrieden. Die Juristen in aller Welt wur- Meine Maßnahmen werden nicht ange- den aufgefordert, „ … gegen eine Justiz, kränkelt sein durch irgendeine Bürokratie. die eine Herausforderung des Rechtsbe- Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, wußtseins der zivilisierten Welt darstellt, hier habe ich nur zu vernichten und auszu- zu ihrer Ehrensache zu machen.“(Rund- rotten, weiter nichts … Einen solchen schau über Politik, Wirtschaft und Arbei- Kampf führe ich nicht mit polizeilichen terbewegung, Nr. 76, S. 2916, Basel 1935) Mitteln. Das mag ein bürgerlicher Staat getan haben. Gewiß, ich werde die staatli- chen und polizeilichen Machtmittel bis Dass im Kern der Nazi-Ideologie ein biolo- zum äußersten auch dazu benutzen, gisch-rassistisch definierter Antisemitis- meine Herren Kommunisten, damit Sie mus proklamiert wurde, war sowohl Hin- hier nicht falsche Schlüsse ziehen, aber denburg als auch jedem interessierten den Todeskampf, in dem ich Euch die Zeitgenossen wohlbekannt. In Hitlers Faust in den Nacken setze, führe ich mit „Mein Kampf“ war die Wahnvorstellung denen da unten, das sind die Braunhem- von der „jüdisch-bolschewistischen Welt- den. In Zukunft … kommt in diesen Staat verschwörung“ und die daraus abgeleitete nur mehr hinein, wer aus den nationalen Forderung nach der Vernichtung des Ju- Kräften stammt.“(Prof. M. Wildt, in: Bun- dentums als „Parasiten und Ungeziefer“ deszentrale für politische Bildung, Infor- nachzulesen. Auch in Hindenburgs Adels- mationen …, Nr. 314, 2012, S. 30 f) kreisen und in der eigenen Familie exis- tierte ein latenter Antisemitismus, ebenso Dass die Hitler-Regierung bereits zur bereits im kaiserlichen Heer: Begründet Amtszeit Hindenburgs auf einen Krieg zu- mit der französischen „Affäre Dreyfuß“ steuerte, war nicht nur durch Aufschriften (1895) wurde während des 1. Weltkrieges an den Häuserwänden zu lesen („Wer Hit- gegen „jüdische Drückeberger“ in der ler wählt, wählt Krieg!“), sondern wurde Etappe und an der Front gehetzt, die jüdi- durch zahlreiche weltweite Protestkund- schen deutschen Soldaten waren während gebungen und Stellungnahmen betont. ihrer Dienstzeit antisemitischen Diskrimi- nierungen durch Vorgesetzte ausgesetzt. Der Internationale Juristenkongress in Pa- Hindenburg hat zu keiner Zeit als Vorge- ris (31.11. – 1.12.1935), an dem 300 hoch- setzter dazu Stellung genommen. (vergl.: rangige Juristen aus 15 Ländern teilnah- Bundeszentrale für politische Bildung, In- men und der die „Rechtszustände in formationen … Nr. 307, 2010, S. 47) Deutschland“ thematisierte nach dem Reichstagsbrand-Prozess (September bis Über die antisemitischen Ausfälle im Vor- Dezember 1933), insbesondere die Ent- feld des ersten reichsweit organisierten wicklung des Strafrechts, die Lage der Ju- Boykotts berichteten die Tageszeitungen: den und die politische Justiz in Deutsch- „Kurz nach Adolf Hitlers Ernennung zum land, kam in seinem Abschlussbericht zu deutschen Reichskanzler am 30. Januar folgendem Ergebnis: 52

______1933 begannen bereits die Angriffe auf jü- Plakate forderten: „Deutsche! Wehrt dische Geschäfte und Betriebe. … Ab Ende euch! Kauft nicht bei(m) Juden! …“ Andere Februar 1933 griffen SA-Trupps erneut jü- Uniformierte derselben Gruppen verbrei- dische Geschäftsinhaber an, plünderten teten diese Parolen auch mit Sprechchö- ihre Läden, misshandelten ihre Inhaber, ren und Lautsprecherwagen in den Stra- verschleppten und ermordeten einige da- ßen.“ (wikipedia, Februar 2014) von. Nach den Reichstagswahlen vom 5. März, … nahmen solche unorganisierten Boykottaufruf der NSDAP Übergriffe zu. Bis Ende März wurden jüdi- vom 1. April 1933: sche Geschäfte, Arzt- und Anwaltspraxen in einigen deutschen Großstädten zwangs- „Kauft nicht in jüdischen Geschäf- weise geschlossen, mehrere Inhaber be- ten und Warenhäusern! raubt und vertrieben. Am 9. März nahmen SA-Angehörige im Berliner Scheunenvier- tel Dutzende osteuropäischer Juden fest Geht nicht zu jüdischen Rechts- und misshandelten sie in den Kellern ihrer anwälten! Stationen. In Magdeburg besetzten SA-An- gehörige jüdische Geschäfte, Kaufhäuser Meidet jüdische Ärzte! und Hotels und schikanierten deren Kun- den oder Gäste. Am 11. März 1933 organi- Zeigt den Juden, daß sie nicht un- sierte die nationalsozialistische Führung gestraft Deutschland in seiner des Freistaates Braunschweig … den soge- Ehre herabwürdigen und be- nannten „Warenhaussturm“. In Kiel wurde schmutzen können! am 12. März der Rechtsanwalt Wilhelm Spiegel ermordet. In Straubing wurde am 15. März der jüdische Händler Otto Selz Wer gegen diese Aufforderung entführt und ermordet. In Göttingen wur- handelt, beweist damit, daß er auf den am 28. März … jüdische Läden und die Seite der Feinde Deutschlands örtliche Synagoge angegriffen und beschä- steht. digt… Am 9. März forderte Hitler gemäß früherer deutschnationaler Forderungen Es lebe der ehrwürdige General- von Reichsminister Frick eine „bewusst feldmarschall aus dem großen völkische Gesetzgebung“ gegenüber den Kriege, der Reichspräsident Paul osteuropäischen Juden mit einem Einwan- von Hindenburg! derungsverbot und Teilausweisungen nicht eingebürgerter Juden. Am 16. März befolgte Frick die Anweisung mit einem Es lebe der Führer und Reichs- sinngemäßen Runderlass an alle Landesre- kanzler Adolf Hitler! Es lebe das gierungen…. Am 1. April 1933, … an eini- deutsche Volk und das heilige gen Orten schon am Abend vorher – stan- deutsche Vaterland!“ den überall in deutschen Städten unifor- mierte, teils auch bewaffnete SA-, HJ- und (Bundeszentrale für politische Bildung, In- Stahlhelm-Posten vor jüdischen Geschäf- formationen … Nr. 314/2012, S. 39) ten, Arztpraxen und Anwaltskanzleien und Bereits eine Woche nach diesen antisemi- hinderten etwaige Kunden den ganzen Tag tischen Ausschreitungen trat das „Gesetz lang daran, diese zu betreten. Schilder und 53

______zur Wiederherstellung des Berufsbeam- auch in geradezu typischer Ausformung tentums“ (am 7. April 1933) in Kraft, wel- Hindenburgs völkische Weltanschauung: ches die politischen Gegner und die Juden Ein guter Deutscher habe männlich, Kämp- aus dem Staatsdienst ausschloss: „Be- fer und Soldat zu sein, sein Leben opferbe- amte, die nicht arischer Abstammung sind, reit dem Volke und seiner Führung zu sind in den Ruhestand zu versetzen." (§ 3, überantworten. Für alle anderen Staats- Abs. 1) Dieser „Arier“-Vorschrift wurde bürger haben die verfassungsgemäßen eine Ausnahme-Klausel beigegeben für Grundrechte ausnahmslos keine Gültig- „Beamte, die bereits seit dem 1. August keit. 1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Vom 1. Februar 1933 bis zu Hindenburgs Reich oder für seine Verbündeten ge- Tod am 2.8.1934 wurde in ca. 90 Erlassen, kämpft haben oder deren Vater oder Verordnungen und Gesetzen die staatliche Söhne im Weltkrieg gefallen sind." (§ 3, Verfolgung der deutschen Juden „gere- Abs. 2) Hindenburg soll sich für die Auf- gelt“. nahme dieser Ausnahmeregelung in das Gesetz in einen Brief an Hitler vom 4.4.1933 eingesetzt haben, was häufig als Hinweis auf Hindenburgs Widerstand ge- gen den Regierungs-Antisemitismus in- terpretiert wird. In Wirklichkeit aber be- deutete diese Regelung lediglich eine Ausnahme auf Zeit, denn irgendwann konnte dieser Personenkreis nicht mehr im Berufsleben stehen, sodass auch Hin- denburg bewusst gewesen sein musste, dass dennoch eine „ausnahmslose Arisie- rung“ des Beamtentums erfolgen würde. Zum anderen aber dokumentiert diese Intervention Hindenburgs Menschenbild: Hindenburg und Hitler auf dem Weg zur Nazi- Feier am 1. Mai 1933 im Berliner Lustgarten, Gleichberechtigtes Mitglied seines völki- einen Tag vor der Zerschlagung der Gewerk- schen Nationalstaates durfte nur sein, wer schaften. Die Auflösung des ADGB machte einst den Eid auf den Kaiser abgelegt hatte den Weg frei zur Umsetzung des bekannten oder wer für das monarchistische und in Punkt 4 des 25-Punkte-Programms der Deutschland in den Krieg gezogen oder NSDAP von 1920 festgelegten Ausschlusses wer kämpfende männliche Angehörige der jüdischen Bevölkerung aus der deutschen Staatsbürgerschaft: „Staatsbürger kann nur verloren hatte. Dass mit dem Verlust sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse weiblicher Angehöriger im Krieg kein Ver- kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne bleib im Beamtenstatus begründet wer- Rücksichtnahme auf die Konfession. Kein Jude den konnte, zeigt hier sowohl eine Gering- kann daher Volksgenosse sein.“ (Foto: Bun- schätzung der weiblichen Kriegsopfer als desarchiv)

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______Chronologie:

Hindenburg - eine preußisch-deutsche Militaristenkarriere

1847 Paul von Beneckendorff und von Hindenburg wird als Sohn einer altpreußi- schen Adelsfamilie in Posen geboren. 1866 Hindenburg absolviert die Hauptkadettenanstalt und zieht als Secondeleut- nant in den preußisch- österreichischen Krieg. 70/71 Hindenburg nimmt am deutsch- französischen Krieg teil. 1872 Hindenburg wird Oberleutnant. 1877 Hindenburg wird zum Hauptmann befördert. 1881 Hindenburg wird Generalstabsoffizier der in Königsberg stationierten 1. Preu- ßischen Division. 1884 Hindenburg übernimmt eine Kompanie des Infanterieregiments 58. 1885 Major Hindenburg wird führender Militarist im Großen Generalstab in Berlin, wird Generalstabsoffizier des 111. Armeekorps. 1888 Hindenburg wird Chef der „Abteilung A“ (Fußtruppen) im Allgemeinen Kriegs- department. 1891 Hindenburg wird Oberstleutnant. 1893 Hindenburg übernimmt in Oldenburg das Kommando des Infanterieregiments 91. 1894 Hindenburg wird Oberst. 1896 Hindenburg wird zum Generalstabschef im VIII. Armeekorps in Koblenz ernannt. 1897 Hindenburg wird Generalmajor 1900 Hindenburg wird Generalleutnant und Kommandeur der 28. Division in Karlsruhe. 1903 Hindenburg wird als General Kommandeur des IV. Armeekorps. 1911 Hindenburg lässt sich in den Ruhestand versetzen, denn „Krieg steht nicht in Aussicht". Eine seiner letzten Amtshandlungen bestand in der Anweisung an die zivilen Behörden seines Generalkommandos, Listen von Kriegsgegnern an- zulegen, die im Kriegsfalle vorsorglich verhaftet werden sollten. 1914 Mit Beginn des I. Weltkrieges kehrt Hindenburg in den aktiven Militärdienst zurück. Mit Ludendorff als Stabschef befehligt er die 8. Armee, die „bei Tan- nenberg“ (Ostpreußen) einen Sieg über die dortigen zaristischen Truppen er- ringt. Diese „Schlacht" wurde von der chauvinistischen Propaganda als Beweis für die „Unbesiegbarkeit des deutschen Heeres" dargestellt. Je länger der Krieg andauerte, der als „Spaziergang nach Paris von August bis Weihnachten 1914" begonnen wurde, desto dringender brauchte die Kriegspropaganda den Rückgriff auf den „Sieg von Tannenberg". Hindenburg wurde so zur Symbolfi- gur des erfolgreichen deutschen Militarismus. Hindenburg wird Generalfeld- marschall.

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______1916 Hindenburg und Ludendorff treten mit diktatorischen Vollmachten an die Spitze der obersten Heeresleitung und verwandeln Deutschland in ein Mili- tärzuchthaus. 1917 Kriegsziele im Osten: Ludendorff: „Ein Frieden, der nur den Status quo ge- währleistet, würde bedeuten, daß wir den Krieg verloren hätten. Im Osten hat ein solcher Frieden nie zur Diskussion gestanden." Im Einklang mit einer auf das Baltikum abzielenden Erklärung des "Alldeutschen Verbandes", die „ ... entschieden davor warnt, bei etwaigen Verhandlungen das Selbstbestim- mungsrecht der Völker anzuerkennen“, erläutert Hindenburg seine Okkupati- onsabsichten: „Wir brauchen Litauen zur Sicherung unserer Grenzen. Es muß fest an uns gekettet werden. Kein selbständiger Staat, sondern Personalunion mit Preußen. Kurland dito ... Der Besitz von Estland (ist) militärisch erwünscht ... Ich will für den nächsten Krieg gegen Rußland den Raum für die Bewegun- gen des deutschen linken Flügels sichern." „Große Schlacht von Frankreich": Zwischen dem 21.3. und dem 5.4. lässt Hin- denburg eine Großoffensive durchführen. Ergebnis: ca. 400.000 Tote und Ver- wundete. Eine zweite Offensive am 9.4. brachte ca. 100.000 Tote. Drei weitere Offensiven (Ende Mai bis Mitte Juni) endete ebenfalls für die deutschen Militaristen erfolglos, für die deutschen und französischen Solda- ten mit einem Blutbad. 1918 Nach der Großoffensive der Entente (8.8.) fordert Hindenburg als Gegenge- wicht zu den 260.000 US-Soldaten, die monatlich an der Westfront eintrafen, die 268.000 deutschen Achtzehnjährigen des Jahrgangs 1900 einzuziehen und auf den Schlachtfeldern zu opfern. Nach der Flucht von Kaiser Wilhelm II. nach Holland und der Ausrufung der bürgerlich-parlamentarischen Republik betrachtete sich Hindenburg als „Treu- händer des Kaisers". Heeresleitung unter Hindenburg und Groener maßgeblich an der blutigen Nie- derwerfung der sozialistischen Novemberrevolution beteiligt. Hindenburg ord- net die Bildung von Bürgerkriegs-Heeresgruppen an und verspricht deren Rückführung nach Deutschland mit dem Ziel, „unter Leitung des Kriegsminis- teriums die Operation gegen die Aufstandsgebiete planmäßig durchzuführen." 1919 Dieser Plan muss im Januar 1919 endgültig aufgegeben werden. Hindenburg orientiert sich jetzt auf den raschen Aufbau der sich formierenden weißgardis- tischen Freiwilligenverbände. Diese machten Berlin zum Schlachtfeld. Am 15. Januar 1919 ermordeteten Offiziere der Garde-KavallerieSchützendivi- sion Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Der unmittelbare Organisator die- ser Morde, Waldemar Pabst, wurde später von Hindenburg für diese Bluttat zum Major befördert. Hindenburg scheidet zum zweiten Mal aus dem aktiven Militärdienst aus. Er wählte Hannover, das ihn im September 1918 zum Ehrenbürger ernannt und ihm im Zooviertel eine Villa geschenkt hatte, zu seinem Alterssitz.

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______Hindenburg – vom „Kandidaten der Republikgegner“ zum Wegbereiter des deutschen Faschismus

März 1925 Hindenburg wird als „Kandidat der Republikgegner" im zweiten Wahlgang zum Reichspräsidenten gewählt. Mai 1926 Hindenburg erlässt eine neue Flaggenordnung. Neben der Reichsflagge Schwarz-Rot-Gold dürfen jetzt die Auslandskonsulate die alte "Kaiserflagge" Schwarz-Weiß-Rot hissen. 1930-32 Das Kabinett Brüning (Zentrum) regiert, von Hindenburg unterstützt, mit Hilfe des Art. 48 (Notverordnungen des Reichspräsidenten) der Weimarer Verfas- sung. Ausschaltung des Parlaments. 1.1.1932 Notverordnung: Lohnkürzungen, Kürzungen der Invaliden-und Unfallrenten Anfang 32 Wahlkampf für die Wahl des Reichspräsidenten. 12.1.: KPD-Losung: „Wer Hin- denburg wählt, wählt Hitler! Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!"; 27.2.: Aufruf der SPD zur Wahl Hindenburgs. Losung: „Schlagt Hitler, wählt Hindenburg!" 10.4.1932 Wiederwahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten im zweiten Wahlgang 21.4.1932 Hindenburg lehnt ein Gnadengesuch für Carl von Ossietzky ab. Ossietzky tritt am 10.5. 1932 eine Haftstrafe „wegen Landesverrats" an, wird am 22.12.auf- grund der Weihnachtsamnestie entlassen, am 28.2. 1933 erneut verhaftet, in verschiedenen Konzentrationslagern interniert und stirbt am 4.5.38 an den Folgen der KZ-Haft. 30.5.1932 Rücktritt Brünings als Reichskanzler auf Betreiben von Hindenburg 14.6.1932 Notverordnung, die u.a. die Aufhebung des SA- und SS-Verbots beinhaltet. Notverordnung: Senkung der Sozialleistungen (Kürzung der Arbeitslosen- und Wohlfahrtsunterstützung) 28.6.1932 Hindenburg setzt die Uniform- und Demonstrationsverbote gegen die SS und SA in einigen Ländern außer Kraft 20.7.1932 Absetzung der sozialdemokratisch geführten Preußischen Regierung mit Billi- gung Hindenburgs 4.9.1932 Notverordnung: Senkung der Sozialleistungen, Senkung des Arbeitslohns Ab 18.1.33 Hindenburg verhandelt mit Parteiführern über die Bildung einer Reichsregie- rung. Hitler fordert diktatorische Vollmachten. Hindenburg beauftragt Hitler mit der Regierungsbildung. 30.1.1933 Berufung der Hitler-Hugenberg-Papen-Regierung durch Hindenburg.

Hindenburgs Unterstützung beim Aufbau und an der Festigung des faschistischen Machtapparats

30.1.1933 Hindenburg ernennt Hitler zum Reichkanzler 1.2.1933 Hindenburg löst den Reichstag auf und setzt Neuwahlen fest. 2.2.1933 Demonstrationsverbot für die Opposition 4.2.1933 Notverordnung Hindenburgs „Zum Schutz des deutschen Volkes": drastische Einschränkungen der Versammlungs-, Rede- und Pressefreiheit für die antifa- schistische Opposition. 57

______8.2.1933 Beschluss über die Vorrangigkeit der Bedürfnisse der Reichswehr vor denen für zivile Maßnahmen bei der Vergabe von öffentlichen Mitteln. 12.2.1933 Blutsonntag von Eisleben: 500 SA-Leute richten auf einer Versammlung der Roten Hilfe ein Blutbad an. 17.2.1933 „Schießerlass Görings": Bei Zusammenstößen dürfen die Staatsorgane mit der Schusswaffe gegen Antifaschisten/-innen vorgehen. 24.2.1933 SA, SS und Stahlhelm werden „Hilfspolizei". 27.2.1933 Reichstagsbrand wird als Vorwand für eine Terrorwelle gegen Nazi-Gegner benutzt 28.2.1933 Hindenburg erlässt die Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat": Auf- hebung der Grundrechte der Weimarer Verfassung, verschärfte Strafbestim- mungen, Einführung der „Schutzhaft“; Verhaftung tausender führender Mit- glieder der politischen Opposition. 7.3.1933 Verbot des sozialde- mokratischen "Reichs- banners" und der „Ei- serne Front" 9.3.1933 Regierung erklärt die Reichstagsmandate der KPD für ungültig. Haftbefehle gegen alle kommunistischen Abgeordneten. NSDAP erhält dadurch die absolute Mehrheit im Reichstag. Kein Schutzhaftbefehl für den Lüneburger A. Eggebrecht Protest der bürgerlichen Parteien. 12.3.1933 Hindenburg erklärt die Schwarz-Weiß-Rote (Kaiserfahne) und die Hakenkreuz- fahne anstelle der Schwarz-Rot-Goldenen der Republik zu offiziellen Reichsfar- ben. 20.3.1933 Errichtung des KZ-Dachau. 1933 werden ca. 150.000 Menschen verschleppt. 21.3.1933 „Tag von Potsdam" 24.3.1933 Reichstag beschließt das „Gesetz zur Behebung der Not in Volk und Staat" ge- gen die Stimmen der SPD- Fraktion, die durch Verhaftungen bereits dezimiert wurde. Die Hitler- Regierung wird ermächtigt, Gesetze ohne Reichstagszustim- mung zu erlassen. 31. 3.1933 Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich wird erlassen: Umbil- dung der Länderparlamente entsprechend der Reichstagsmehrheit. 1.4.1933 Boykott aller jüdischen Geschäfte durch die SA 7.4.1933 „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", Entlassung von „po- litisch unzuverlässigen" und „nicht-arischen" Beamten. Unternehmer erhalten gesetzliche Möglichkeit, Arbeiter und Angestellte bei „Verdacht staatsfeindli- cher Tätigkeit" zu entlassen.

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______25.4.1933 „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen", Ein- schränkung des Schul- und Hochschulbesuchs für jüdische Schüler/-innen. 26.4.1933 Errichtung der „Geheimen Staatspolizei" (Gestapo) in Berlin 28.4.1933 Wiedereinführung der 1928 abgeschafften Militärgerichtsbarkeit 1. 5 .1933 „Tag der nationalen Arbeit" 2.5.1933 Zerschlagung der Gewerkschaften und ihrer Nebenorganisationen (Arbeiter- wohlfahrt, Konsumvereine, Arbeiterturn- und bildungsvereine u.a.) 10.5.1933 Bücherverbrennungen durch die NS-Studentenorganisation und NSDAP. Allein in Berlin werden 500 t Bücher „von Marx bis Tucholsky" beschlagnahmt. 16.5.1933 Gründung der "Deutschen Arbeitsfront" (DAF) als Nazi-Zwangsorganisation für Arbeiter und Angestellte. 22.5.1933 Verbot der SPD 1. 6.1933 „Gesetz zur Verhinderung der Arbeitslosigkeit": Arbeitsbeschaffungspro- gramm auf Kosten der Arbeiter und Angestellten zugunsten der Unterneh- men. 21. 6 .1933 Köpenicker Blutwoche: 91 Opfer des SA- Terrors 27.6.1933 Selbstauflösung der übrigen Parteien außer der NSDAP. 14.7.1933 „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien"; „Gesetz zur Verhinderung erb- kranken Nachwuchses"(Erbgesundheitsgerichte, Zwangssterilisationen). 1. 8.1933 Erste Todesurteile der faschistischen Justiz (gegen 4 Kommunisten) voll- streckt. Bis Ende 1933 lassen die Nazis auf diese Weise 66 Antifaschisten er- morden. Einrichtung der „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten" (Napola) zur Züch- tung faschistischer Herrenmenschen. 22.9.1933 „Reichskulturkammergesetz": Unterordnung von Kunst, Presse, Rundfunk un- ter das NS-Regime 29.9.1933 „Reichserbhofgesetz". § 13: „… Bauer kann nur sein, wer deutschen oder stammesgleichen Blutes ist.“ 1.12.1933 „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat" 2.12.1933 Hindenburg schafft Soldaten-Eidesleistung auf die Verfassung ab. 20.1.1934 „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit": Errichtung des Führerprinzips in den Betrieben zugunsten der Unternehmer 30.1.1934 Gesetz über die Neuordnung des Reichs, Auflösung der Länder und zentralisti- sche Machtentfaltung der Nazis 16.2.1934 Einrichtung der Filmprüfstelle in Berlin 20.2.1934 Das Hakenkreuz wird zum Abzeichen an den Uniformen der Reichswehr 16.4.1934 Errichtung der Prüfstelle für „nationalsozialistisches Schrifttum" 24.4.1934 Einrichtung des "Volksgerichtshofs" 31 5.1934 Schießbefehl für Polizei und Hilfspolizei (SA und SS) auf antifaschistische Flug- blattverteiler und Plakatkleber 20.7.1934 Die SS wird selbständige Organisation 2.8.1934 Hindenburg stirbt. Hitler wird „Staatsoberhaupt".

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______Paul von Hindenburg über Adolf Hitler:

„Ich danke all denen, die in selbstloser Vaterlandsliebe an dem Werk des Wie- deraufstiegs mitgearbeitet haben. Mein Kanzler Adolf Hitler und seine Bewe- gung haben zu dem großen Ziele, das deutsche Volk über alle Standes- und Klassenunterschiede zur inneren Einheit zusammen zu führen einen entschei- denden Schritt von historischer Tragweite getan. Ich weiß, daß vieles noch zu tun bleibt, und ich wünsche von Herzen, daß hinter dem Akt der na- tionalen Erhebung und des völki- schen Zusammenschlusses der Akt der Versöhnung steht, der das ganze deutsche Vaterland umfaßt. Ich scheide von meinem deutschen Volk in der festen Hoffnung, daß das, was ich im Jahre 1919 er- sehnte, und was in langsamer Reife zu dem 30. Januar 1933 führte, zu voller Vollendung der geschichtlichen Sen- dung unseres Volkes reifen wird.“ (Hindenburgs politisches Testament, zit. nach : Jeske von Hoegen, Genese und Funktion des Hindenburg-Mythos, Köln 2008, S. 415)

Adolf Hitler über Hindenburg:

„Es ist der letzte Triumpf des alten Heeres, daß das nationale Deutschland im Jahre 1925 keinen besseren Kandidaten fand, als den Soldaten und Generalfeldmarschall des Weltkrieges. In seinem Namen wurde der Bund geschaffen, der die stürmischen Kräfte der Erhebung verband mit den bes- ten Kräften der Vergangenheit. Als Reichs- präsident wurde der Generalfeldmarschall Pompöses Staatsbegräbnis für Hindenburg Schirmherr der nationalsozialistischen Revo- in der neu erbauten Gruft im monumenta- len „Tannenberg-Denkmal“(Fotos: Bun- lution und damit der Widergeburt seines desarchiv) Volkes.“ (Hitler im August 1934 bei der Trauerfeier und Beisetzung Hindenburgs im „Tannenberg-Denkmal“, zit. nach: Gert von Benneckendorf und von Hindenburg, Paul von Hindenburg, Vom Kadetten zum Reichspräsidenten, Leipzig 1935)

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