1977 Und Die RAF
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APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 40±41/2007 ´ 1. Oktober 2007 1977 und die RAF Christian Semler Die radikale Linke und die RAF Bettina Ræhl Die RAFund die Bundesrepublik Anne Siemens Die Opfer der RAF Eckhard Jesse Ursachen des RAF-Terrorismus und sein Scheitern Tobias Wunschik Baader-Meinhof international? Helmut Kury Mehr Sicherheit durch mehr Strafe? Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament Editorial Die Historisierung der Roten Armee Fraktion (RAF) ist in vollem Gange. Die Biographien der Tåter und ihre Motive sind lange bekannt; der ¹Mythos RAFª ist entzaubert. Nun rçcken die Opfer des deutschen Linksterrorismus stårker ins æffentliche Bewusstsein. Anfang dieses Jahres entbrannte zudem eine De- batte çber die Begnadigung der letzten verurteilten RAF-Terro- risten. Viele Fragen sind noch offen. Wer hat Generalbundesan- walt Siegfried Buback im April 1977 erschossen? Und wer ist fçr die Morde und anderen Gewalttaten der 1980er und 1990er Jahre verantwortlich? Dabei geråt auch die DDR in den Blick, ge- wåhrte die Staatssicherheit doch in den 1980er Jahren steckbrief- lich gesuchten Terroristen Unterschlupf. Von der Entfçhrung bis zur Ermordung des Arbeitgeberpråsi- denten Hanns Martin Schleyer und den Selbstmorden der inhaf- tierten RAF-Galionsfiguren in Stuttgart-Stammheim im Herbst 1977 vergingen sechs Wochen. Dazwischen lagen die Flugzeug- entfçhrung der ¹Landshutª und die Befreiung der Geiseln in Mogadischu. Die alte Bundesrepublik hatte im so genannten Deutschen Herbst ihre schwerste innenpolitische Krise zu be- stehen. Der Rechtsstaat lieû sich nicht erpressen. Bundeskanzler Helmut Schmidt blieb hart, Regierung und Opposition rçckten zusammen. Kænnen die Reaktionen des Staates wåhrend der ¹bleiernen Zeitª vor 30 Jahren als Rezepte dafçr dienen, den globalen si- cherheitspolitischen Gefåhrdungen zu begegnen? Lauschangriff, Rasterfahndung und Kontaktsperre haben das Sanktionsreper- toire des Rechtsstaates beståndig erweitert. Mit der aus Sicher- heitserwågungen erfolgten Preisgabe verbriefter Freiheitsrechte steht indes auf dem Spiel, was den Rechtsstaat im Kern aus- macht. Hans-Georg Golz Christian Semler gung nicht in Frage kommen. Das Gnadenge- such wurde verworfen. Die radikale Linke Der Angriff der Konservativen und der ¹Bildª-Zeitung auf das Recht zur freien Meinungsåuûerung auch eines Verurteilten und die RAF hatte nicht nur das taktische Ziel, eine Be- gnadigung zu verhindern. Offensichtlich diente die Intervention auch dem Versuch, Essay die Gegnerschaft zum Kapitalismus und zum ¹imperialistischen Weltsystemª per se mit terroristischen Aktionen in Verbindung nfang dieses Jahres schien es so, als zu bringen. Solche Anwçrfe sind zum einen A wçrde die dreiûigjåhrige Wiederkehr des gegen globalisierungskritische Organisatio- Schreckensjahres 1977 zum Anlass fçr Ge- nen wie Attac gerichtet, deren Analysen denkroutine. Der ¹linke Terrorismusª der zwar nichts mit Klars Holzschnitzerei zu RAF schien zwischen den Buchdeckeln eines tun haben, wohl aber in kritischer Absicht zweibåndigen, dick- ¹das Ganzeª der kapitalistischen Welt be- leibigen Werkes seine treffen. Den Begnadigungsgegnern kam es Christian Semler endgçltige Ruhe ge- aber auch darauf an, geschichtspolitisch zu Geb. 1938; Aktivist des Sozialis- funden zu haben. wirken, indem sie den antiimperialistischen tischen Deutschen Studenten- Wolfgang Kraushaar, Kampf der Linken in den 1960er und bundes (SDS); Mitgründer der der nimmermçde 1970er Jahren in die Nåhe terroristischer maoistischen Kommunistischen Chronist, hatte es her- Gewalt rçckten oder ihm zumindest eine Partei Deutschlands (KPD); ausgegeben. Aber die sympathisierende Wahlverwandtschaft mit Mitarbeiter der ¹tageszeitungª letzte Ruhe der RAF der RAF attestierten. Solche Auffassungen (taz), Postfach 610229, war Schein. Die Unto- grassieren auch im linksliberalen Milieu. So 10923 Berlin. ten, sie sind mitten kam den Autoren der ¹Sçddeutschen Zei- [email protected] unter uns. Jetzt kann tungª beim Abhæren der Bånder des man die Gespenster Stammheimer Prozesses die Einsicht, der sogar hæren ± auf den Tonbåndern des Stamm- Angeklagte Baader argumentiere der Form heimer Prozesses, deren Texte allerdings seit nach sachlich ± und befinde sich ¹ganz auf langem bekannt sind. der Hæhe des (damaligen) zeitgenæssischen Imperialismus-Geschwafelsª. Die Debatte um die Begnadigung des ehe- maligen Terroristen Christian Klar hatte die Wenn wir çber das seinerzeitige Verhåltnis Geisterbeschwærung eingeleitet. Konservati- der Linken zur Gewalt reden, gilt es, zwei ve Politiker bedrångten den Bundespråsiden- Gemeinplåtze zu beachten. Der eine betrifft ten, entgegen geltendem Recht die Begnadi- ¹die Linkenª. Im Folgenden steht die antiim- gung von einem vorgångigen Reuebekenntnis perialistische und antikapitalistische Linke im Klars und von einer Entschuldigung bei den Zentrum, wie sie im Sozialistischen Deut- Hinterbliebenen seiner Mordtaten abhångig schen Studentenbund (SDS) versammelt war zu machen. Ganz so, als ob solchen Gesten bzw. aus ihm hervorging. Das Bild der Au- eines Menschen, der im Gefångnis sitzt, ir- ûerparlamentarischen Opposition war jedoch gendeine moralische oder politische Bedeu- viel bunter. Zum zweiten gilt es, das Verhålt- tung zukomme. Besonders hysterische Reak- nis zur Gewalt nicht als ein fçr allemal fest- tionen in der Boulevardpresse und bei Politi- stehend, sondern im Rahmen eines histori- kern rief eine in der ¹Jungen Weltª schen Prozesses zu betrachten. Halten wir abgedruckte Gruûbotschaft Klars hervor, die fest, dass die erste Phase der Studentenbewe- aus seinem ¹Antiimperialismusª kein Hehl gung bis zum gewaltsamen Tod von Benno machte. Obwohl sich in Klars Erklårung Ohnesorg am 2. Juni 1967 gånzlich im Zei- keine Spur eines Aufrufs zu irgendeiner Ak- chen des ¹zivilen Ungehorsamsª stand. Ge- tion, geschweige denn zur Gewaltanwendung meint sind kalkulierte Regelçbertretungen fand, enthielt sie nach Meinung des bayeri- um eines als hæher bewerteten Rechtsguts schen Innenministers die Quintessenz des willen, also Verteidigung der Meinungsfrei- RAF-Terrorismus. Daher dçrfe eine Begnadi- heit auf dem Campus oder Protest gegen den APuZ 40±41/2007 3 amerikanischen Krieg in Vietnam. Es ging um kalation polizeilicher Gewalt eskalierte auch Sitzstreiks, Besetzungsaktionen, Blockaden, die Gegenwehr und mit ihr ein Begriff der nicht genehmigte Demos, illegale Plakatak- Militanz, der im erfolgreichen Widerstand tionen, Sachbeschådigungen vermittels Farb- gegen die Polizeigewalt seinen Ursprung eierwurf und vieles mehr, meist Importe aus hatte. Militanz meinte, sich nicht widerstands- den USA. Gewaltanwendung war sorgsam los verprçgeln oder festnehmen zu lassen. Das dosiert, wie bei der Stærung des Straûenver- Problem dieser und anderer verwandter Be- kehrs oder dem Úffnen von Rektoratstçren. griffe war, dass sie von Gegnern wie von An- Varianten zivilen Ungehorsams waren die po- hångern der Linken im Sinn bewaffneter Ak- litischen Happenings. Das Problem all dieser tionen missverstanden werden konnten. Bis Aktionen war, dass auf Seiten der Staatsmacht zur Krise und zur Auflæsung der Studenten- und der Medien der Mitspieler fehlte. Es bewegung 1969/70 konnte zum Gewaltkom- wurde ein Antagonismus aufgebaut, dem es plex innerhalb der Linken keine Klårung er- auf Ausgrenzung ankam. reicht werden. Dazu wåre eine Denkpause nætig gewesen. Fçr Leute, die das Eisen Nach dem Fanal des 2. Juni 1967 verloren schmieden wollten, so lange es glçhte, war das die linken studentischen Aktionen die Leich- kein akzeptabler Vorschlag. tigkeit der ersten Phase. Unter dem Eindruck der drohenden Notstandsgesetzgebung ziel- Den Schwierigkeiten der Gewaltdiskussion ten sie nun darauf ab, polizeiliche Reaktionen versuchte die in Gruppen und Bçnde zerfal- im Ûbermaû zu provozieren und damit das lende radikale Linke seit 1970 mit dem tradi- ¹wahre Gesichtª einer Repression zu zeigen, tionellen Utilitarismus der kommunistischen die sich nicht mehr um die Grenzen des Bewegung beizukommen. Danach galt jede Rechtsstaats schert. Die antiimperialistischen, Gewalt als legitim, die das Proletariat bei sei- hauptsåchlich gegen den Krieg der Amerika- nem Emanzipationskampf voranbringt. Revo- ner in Vietnam gerichteten Demos und Ak- lutionåre Gewalt sollte ¹Gewalt durch die tionen wollten sich jetzt in einen internatio- Massenª sein. Deshalb wurde der individuelle nalen Rahmen einordnen und begriffen sich Terror abgelehnt ± nicht nur, weil der Zeit- als Bestandteil eines weltweiten Befreiungs- punkt fçr Gewaltanwendung nicht reif, son- kampfs. Dieses Gefçhl internationalistischer dern weil es die Ausgebeuteten selbst sein soll- Gleichzeitigkeit setzte beispielsweise die Er- ten, die sich ¹den alten Dreckª vom Hals stçrmung der Zitadelle von Hue durch den schaffen mçssten. Da die ¹revolutionåren Vietcong in zeitliche Beziehung zur (miss- Massenª auf sich warten lieûen, taugte das glçckten) Besetzung von Amerika-Håusern Kriterium ausschlieûlich zur Abgrenzung von hier in Deutschland. Aber trotz aller militan- der RAF. Deshalb kritisierte die RAF den ten Rhetorik gab es keine Forderungen, ¹Massenopportunismusª der Linksradikalen. Kampfformen der Befreiungsbewegungen auf Deutschland zu çbertragen. Sollte die Gewalt Mittel zum Zweck der Emanzipation sein, oder war sie selbst ein Unter amerikanischen Soldaten in Berlin emanzipatorischer Akt? Viele der radikalen wurde fçr die Desertion geworben, aber war Linken in der Bundesrepublik feierten den es noch zulåssig, auch amerikanische Militår- ¹Volkskriegª in Indochina, weil sie die Volks- einrichtungen