Lüdenscheider Gedenkbuch Für Die Opfer Von Verfolgung Und Krieg Der Nationalsozialisten 1933-1945

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Lüdenscheider Gedenkbuch Für Die Opfer Von Verfolgung Und Krieg Der Nationalsozialisten 1933-1945 Lüdenscheider Gedenkbuch für die Opfer von Verfolgung und Krieg der Nationalsozialisten 1933-1945 Gräberfeld der Kriegsopfer auf dem neuen evangelischen Friedhof 1. Auflage: Lüdenscheid, den 8. Mai 2005 2. überarbeitete und ergänzte Auflage: Lüdenscheid, den 1. Sptember 2007 Herausgeber: Bündnis für Toleranz und Zivilcourage - gegen Gealt und Fremdenfeindlichkeit, Friedensgruppe Lüdenscheid Autoren: Heiner Bruns, Hans-Werner Hoppe, Dieter Saal, Matthias Wagner 2. Auflage zusätzlich: Gerhard Großberndt, Dieter Hohaus Mit freundlicher Unterstützung des Stadtarchivs Lüdenscheids und Heinrich Wilhelm Thoma für Fotoarbeiten Satz / Layout: Janis Benscheidt „Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen.“ (Deuteronomium (5. Mose), 30;19 - Einheitsübersetzung) Reichsjustizminister Dr. Otto Georg Thierack über eine Besprechung mit dem Chef der SS und der Gestapo Heinrich Himmler am 18. September 1942: „…2. Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausgeliefert die Sicherungsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über 3 Jahre Strafe, Tschechen oder Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des Reichsjustizministers…” (Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher Bd. XXVI, S. 201 f) Inhaltsverzeichnis Vorwort 7 1. Opfer der Zwangssterilisation und Euthanasie 1.1 Einleitung 9 1.2 Lebensbild: Fritz Schulte 10 1.3 Die 55 Opfer der Euthanasie aus Lüdenscheid 12 1.4 Lied: Euthanasie 13 2. Jüdische Lüdenscheider 2.1 Einleitung 14 2.2 Familie Koopmann: Vier Schicksale von 114 jüdischen Lüdenscheidern 15 2.3 Walter Süskind 16 2.4 Die jüdischen Opfer aus Lüdenscheid 17 2.5 Lied: Kristallnacht in Lüdenscheid 18 3. Verfolgung und Ermordung von Lüdenscheider Kommunisten 3.1 Einleitung 19 3.2 Die 10 ermordeten Lüdenscheider Kommunisten 19 3.3 Die inhaftierten Lüdenscheider Kommunisten 20 4. Lüdenscheider Sozialdemokraten und Gewerkschafter 4.1 Zeittafel 21 4.2 Die inhaftierten Sozialdemokraten und Gewerkschaftler aus Lüdenscheid 22 5. Lüdenscheider Christen 5.1 Die Bibelforscher 23 5.2 Die Evangelischen Gemeinden 24 5.3 Die Katholischen Gemeinden 24 6. Zwangsarbeiter in Lüdenscheid und Häftlinge des Arbeitserziehungslagers Hunswinkel 6.1 Einleitung 25 6.2 Ein Fremdarbeiter aus dem Arbeitserziehungslager Hunswinkel 28 6.3 Gedicht: IN MEMORIAM 29 6.4 Kurzgeschichte 29 6.5 Ballade von den schrecklichen Geschenhissen im Lager Hunswinkel 31 6.6 Verstorbene Fremdarbeiter und Gefangene des Arbeitserziehungslagers Hunswinkel 33 7. Fahnenflüchtige und „Wehrkraftzersetzer“ 7.1 Einleitung 41 7.2 Die ermordeten Fahnenflüchtigen und „Wehrkraftzersetzer“ 43 7.3 Lied: Fahnenflucht 43 8. Soldaten und zivile Kriegsopfer aus Lüdenscheid 8.1 Einleitung 45 8.2 Karl Schulte: Einer der gefallenen Lüdenscheider Soldaten 46 8.3 Die gefallenen Lüdenscheider Opfer 48 8.4 Unvollständige Liste der aus politischen und rasistischen Gründen zur Haftstrafe Verurteilten 115 9. Nachwort 122 10. Quellenangaben 123 - 7 - Vorwort ... damit keiner mehr in den Ordnungs-, Rassen- und Kriegswahn marschiert. BDM-Mädchen 1933 am Straßenstern (Stadtarchiv Lüdenscheid) Ca. 3.500 Menschen aus und in Lüdenscheid-Stadt sichtigt, notwendige Ergänzungen und Berichtigun- und Lüdenscheid-Land (1940: insgesamt ca. 57.000 gen in einem der nächsten Verwaltungsberichte mit- Einwohner) starben, also 6 % oder jeder 17. Ein- zuteilen.“ Diese Ergänzungen und Berichtigungen wohner. Von den Geburtsjahrgängen 1921-25 ka- sind bis heute nicht erfolgt. men ungefähr die Hälfte aller Männer ums Leben. Das „Lüdenscheider Gedenkbuch“ des Bündnisses Da in dem Gebiet der heutigen Stadt Lüdenscheid für Toleranz und Zivilcourage - gegen Gewalt und (d.h. der alten Stadt Lüdenscheid und der Gemeinde Fremdenfeindlichkeit, des Lüdenscheider Arbeits- Lüdenscheid-Land) weniger als 1 % der Gebäude kreises der Gesellschaft für christlich-jüdische zerstört wurden und weniger als 100 Bürger ihr Le- Zusammenarbeit Hagen und der Friedensgruppe ben verloren, war der Mehrheit hier die Katastrophe Lüdenscheid versucht diese Lücke zu schließen. nicht so bewusst wie in Städten, die zu 70 % zerstört Die Verfasser gehen davon aus, dass die vorgeleg- wurden. Das war einer der Gründe dafür, dass hier ten Angaben Ungenauigkeiten und Fehler enthalten die Mehrheit das Kriegsende (13.4.1945) und die können. Das Stadtarchiv Lüdenscheid und die He- nachfolgende Notzeit als Niederlage und weniger rausgeber sind für quellenmäßig gesicherte Ergän- als Befreiung von Krieg und Terror wahrnahm. zungen dankbar. Nach dem Krieg musste die große Not überwunden, Wenn die Opfer der Verfolgung und des Krieges die Wirtschaft wieder aufgebaut und die Gegenwart der Nationalsozialisten im Dunkel des Vergessens gemeistert werden. Zwar veröffentlichte die dama- verschwinden, sterben sie zum zweiten Mal. Den lige Stadt Lüdenscheid 1958 ein Verzeichnis von tausendfachen Tod der Opfer des Nationalsozialis- 1.612 Kriegstoten und Vermissten mit dem Hinweis mus totzuschweigen bedeutet, verantwortungslos auf weitere 300 Vermisste, aber viele Lüdenscheider zu sein. Deshalb ist die Dokumentation wichtig. Sie Opfer fehlten, die der Euthanasie, die der Juden, die dient der Erinnerung an die Zerbrechlichkeit des der politisch Verfolgten und die der Zwangsarbeiter Friedens, des Zusammenlebens und der Menschen- in den Fabriklagern, die des Arbeitserziehungsla- würde damals, heute und morgen. gers Hunswinkel (Hunswinkel lag auf dem Gebiet Dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge der Gemeinde Lüdenscheid-Land des Amtes Lü- e.V. danken wir für die Erlaubnis zur Veröffentli- denscheid) und die von Lüdenscheid Land. Damals chung von ergänzenden Daten über die gefallenen endete die Liste mit dem Satz: „Es ist daher beab- Soldaten. - 7 - - 8 - - 9 - 1. Opfer der Zwangssterilisation und Euthanasie 1.1 Einleitung Seit dem späten 19. Jh. übertrugen immer mehr mindestens 209 Lüdenscheidern und Lüdenschei- Wissenschaftler die Vererbungs- und Evolutions- derinnen an. Sie wurde meistens im städtischen lehre von Gregor Mendel und Charles Darwin auf Krankenhaus operativ oder durch Bestrahlungen die Entwicklung der Menschen. durchgeführt. In Deutschland wurden ca. 400.000 Deren Entwicklung werde angeblich von der Rasse Menschen zwangsweise sterilisiert, dabei starben bestimmt. Mit dieser Weltanschauung gründete Dr. ca. 6.000 Menschen. Ploetz 1905 die einflussreiche „Gesellschaft für Dass die Zwangssterilisation mit dem Kriegsbeginn Rassenhygiene“. Bereits 1908 wurden in der deut- in Lüdenscheid nicht endete, zeigt folgender schen Kolonie Südwestafrika alle Mischehen ver- Bericht. Frau Lenelore Volkenrath, Am Willigloh boten bzw. für nichtig erklärt und den betroffenen 4, schrieb nach 63 Jahren am 16.8.2007 folgende Deutschen die bürgerlichen Rechte aberkannt. Erinnerung auf: Mit der Verachtung von fremden Völkern und des Im Sommer 1944 wurde ich zur DRK- Rechts auf Leben im Ersten Weltkrieg, in dem Schwesternhelferin im damaligen Städtischen ca. 10 Mio. Menschen ihr Leben lassen mussten, Krankenhaus an der Philippstraße ausgebildet. verstärkte sich die Missachtung von Menschen mit Ich kam auf die Station „Äußere Männer“, d.h. Behinderungen. auf die chirurgische Station. Damals waren Mehr als die Hälfte von ihnen starben an den Fol- Männer und Frauen noch getrennt untergebracht. gen der mangelhaften Ernährung und Pflege in den Die Hauptstation befand sich im 1. Stock, aber psychiatrischen Kliniken Deutschlands 1914-1918. Schwerkranke, Frischoperierte oder Patienten, Adolf Hitler las in seiner Haftzeit das Lehrbuch die zur Operation vorbereitet wurden, waren im „Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygie- Parterre untergebracht, wo 12 Betten standen. ne“ von Bauer-Fischer-Lenz. In dessen dritter Auf- Eines Tages hatte ich in dem unteren Krankensaal lage schrieb Prof. Lenz: „Die Frage der Erbqualität zu tun und sah, wie Schwestern und/oder Pfleger ist hundertmal wichtiger als der Streit um Kapita- lismus oder Sozialismus und tausendmal wichtiger als der um Schwarz-Weiß-Rot oder Schwarz-Rot- Gold.“ Am 14. Juli 1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verkündet. Es ermög- lichte die Zwangssterilisation. Für deren systematische Durchführung wur- den 1934 die städtischen Gesundheitsämter in Deutschland verstaatlicht und mit der Anlage der Erbgesundheitskarteien beauftragt. In ihnen sollten tatsächliche und vermeintliche Erbkranke erfasst werden. Die Willkür der Einteilung wird Das alte Krankenhaus an der Philippstraße darin deutlich, dass die bekannteste Erbkrankheit (Stadtarchiv Lüdenscheid) - Bluter - nicht erfasst wurde, während soziale Auf- (vielleicht auch ein Arzt) sich bemühten, einen fälligkeit und Trunksucht in dieser Kartei erfasst Patienten zu beruhigen und festzuhalten. Er war wurden. Die Konsequenzen für die Registrierten ein kräftiger, prächtiger junger Mann mit leicht waren die Zwangssterilisation oder das Eheverbot dunkler Haut und schwarzen Haaren, der sich und ab dem 1.9.1939 die Ermordung, die Euthanasie ganz wild gebärdete. Ich konnte mir keinen Reim genannt wurde. daraus machen und hörte nachher auf der Station: Auf Veranlassung des Gesundheitsamts in Lüden- „Ein Zigeuner – er ist zur Sterilisation hier.“ Die scheid, Altenaer Str. 5 (neben der damaligen Post Operation stand wohl bevor. Sterilisation? Mit und heutigen Musikschule) ordnete das Erbgesund- meinen damals 19 Jahren war ich noch ziemlich heitsgericht in Hagen die
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