Berlin, 8. Juli 2016

Eng verwoben Durch den Erwerb von eng mit dem Erfolg der -Weberei verknüpften Teilnachläs- sen der Künstlerinnen Benita Koch-Otte, Gunta Stölzl und Gertrud Arndt sowie des Bau- häuslers Alfred Arndt konnte das Bauhaus-Archiv Berlin die kostbaren Sammlungen dau- erhaft sichern und ihr Auseinanderreißen verhindern. Die Kulturstiftung der Länder unterstützte den Ankauf der vier Nachlasskonvolute, die als Dauerleihgaben bereits seit Jahrzehnten mit dem Sammlungsbestand des Bauhaus-Archivs verwoben sind.

Als sich Gertrud Arndt 1923 am Bauhaus einschrieb, um den von ihr erhofften Platz im Architekturkurs der renommierten Hochschule zu ergattern, hatte sie bereits zwei Jahre in einem Erfurter Architekturbüro gelernt. Nach dem obligatorischen Vorkurs fand sie sich jedoch in der Textilwerkstatt wieder – ein Schicksal, das sie mit vielen ambitionierte Bau- häuslerinnen teilte: „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitver- treib“, soll Oskar Schlemmer einst gesagt und mit dem spöttischen Reim die Haltung des männlich dominierten Bauhaus-Kollegiums gegenüber Frauen zum Ausdruck gebracht haben. Doch Gertrud Arndt, Benita Koch-Otte, Gunta Stölzl und viele andere Künstlerin- nen am Bauhaus, die sich in die sogenannte Weiberklasse verdrängt sahen, emanzipierten sich rasch von der Geringschätzung ihrer männlichen Meister und Kommilitonen: Ihr Ta- lent und Innovationsdrang machten die Weberei zur produktivsten und finanziell erfolg- reichsten Werkstatt am Weimarer Bauhaus. Mit den erworbenen Nachlässen gehen Zeug- nisse dieses Erfolgs nun dauerhaft in die Sammlung des Berliner Bauhaus-Archivs ein.

Gertrud Arndt (1903–2004) entdeckte trotz oder gerade wegen des verwehrten Architek- turstudiums ihre Begabung im Umgang mit Textilien, unter der Werkstattleiterin Gunta Stölzl entwickelte sie sich zu einer der wichtigsten Weberinnen. Der im Nachlass enthalte- ne, in kräftigen Garnen handgeknüpfte „Wandbehang in Rottönen“ von 1926 – heute eine Bauhaus-Rarität – belegt Arndts Können, farbenfrohe Streifenstoffe waren ihre Spezialität. Als eine der ersten am Bauhaus begann sie auch mit dem Medium Fotografie zu experi- mentieren. Ihre 32 als vintage prints erhaltenen „Maskenfotos“, die Selbstporträts der Künstlerin mit unterschiedlichen Kostümen und facettenreicher Mimik zeigen, scheinen die Taktiken feministischer Kunst der Nachkriegskunst vorwegzunehmen. Darüber hinaus verschaffen weitere Materialien – darunter grafische Blätter aus Arndts Vorbauhauszeit, Skizzen und Aufzeichnungen aus dem Unterricht bei Klee und Kandinsky, Entwürfe für Webstoffe sowie fotografische Porträts ihrer Mitstudenten – Einblicke in die verschiedenen künstlerischen Bereiche, mit denen sich Gertrud Arndt beschäftigte. Ergänzt wird ihr Kon- volut durch Nachlassmaterial ihres Mannes Alfred Arndt (1898–1976), der ebenfalls am Bauhaus Weimar studierte und später als Lehrer für Architektur im Bauhaus tätig war. Schon als Student betreute Alfred Arndt den Bau des Hauses des Volkes im thüringi- schen Probstzella – ein maßgebliches Projekt des Neuen Bauens. Nach seiner Lehrtätigkeit in Dessau kehrte er 1932 nach Probstzella zurück, wo er als Reklamegrafiker arbeitete. Er- halten sind Arbeiten von Alfred Arndt aus allen Phasen seines künstlerischen Schaffens, darunter aufschlussreiche Übungen aus dem Bauhaus-Unterricht, freie Zeichnungen und Druckgrafiken ebenso wie Architekturpläne für das Haus des Volkes und typografische Designs seiner Werbeplakate. Besonders besticht sein Gemälde „Thüringische Landschaft“ von 1925. Arndt ließ aus neben- und übereinander geschobenen Farbflächen die schemati- sierte Ansicht eines Dorfes entstehen.

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Benita Koch-Otte, Teppichentwurf für das Direktorenzimmer von , 1923; Bau- haus-Archiv Berlin © Stiftung Bethel, Bielefeld

Geometrische, aus Bleistiftlinien konstruierte, in Gelb über Rot bis Grau aquarellierte Formen: Benita Koch-Otte (1892–1976) galt wie Gunta Stölzl als äußerst begabte Webe- rei-Schülerin am Bauhaus. Ihre Teppich-Entwürfe – darunter die kostbare Vorlage für den verschollenen Teppich des Weimarer Direktorenzimmers von Walter Gropius – sprechen die Formensprache berühmter Bauhaus-Lehrer wie Johannes Itten und Lyonel Feininger. In den strahlenden, aufeinander abgestimmten Farben der freien Arbeiten Koch-Ottes fin- det sich insbesondere der Einfluss Paul Klees wieder. Doch auch die eigene künstlerische Handschrift, mit der sie sich als eine der prägendsten Textilgestalterinnen des 20. Jahrhun- derts etablierte, wird im insgesamt neun Knüpfproben und 116 Papierarbeiten umfassen- den Nachlasskonvolut sichtbar. Von der ersten Idee hin zur Übertragung der Entwürfe in die komplexen technischen Knüpfanweisungen bis zu ihrer Realisierung – an Koch-Ottes Blättern lässt sich der Entstehungsprozess eines Teppichs in Gänze ablesen.

Der Schritt vom traditionellen Knüpfhandwerk hin zum Industriedesign gelang am Bau- haus vor allem dank Gunta Stölzl (1897–1983). Als einzige Frau erklomm sie die Riege der Bauhaus-Meister; die unter ihren Lehrmethoden entstandene Designsprache der Textilien beeinflusste maßgeblich die neue, vom Bauhaus proklamierte Wohnkultur und bewirkte eine grundsätzliche Aufwertung der Textilkunst. Im erworbenen Konvolut befinden sich 43 vintage prints unterschiedlicher Fotografen, die eindrücklich das Leben am Bauhaus doku- mentieren: Abgebildet sind Stölzls Kommilitonen und Kollegen, darunter auch das Ehe- paar Schlemmer, dem die Bauhäuslerin freundschaftlich verbunden war. Die vertrauensvol- le Beziehung der beiden belegen auch die 40 erhaltenen Briefe Oskar Schlemmers an seine Kollegin aus den Jahren von 1925 bis zu seinem Tod 1943. Darüber hinaus bildet Gunta Stölzls Tagebuch, das sie 1919 zu schreiben begann, einen Höhepunkt im Nachlass: Au-

Seite 3, Pressemitteilung vom 8. Juli 2016 thentisch und ungefiltert beschreibt die junge Frau auf 167 Seiten das Leben und Arbeiten während der wenig dokumentierten Frühzeit am Bauhaus. Ausstellungsunterlagen, Zeug- nisse, Korrespondenzen mit Studierenden und Freunden, sowie einzelne Aufnahmen der Bauhaus-Fotofragen T. Lux Feiniger, Lucia Moholy und Judit Kárász ergänzen das wertvol- le Konvolut der Meisterin.

Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Wüstenrotstiftung und der Rudolf-August Oetker-Stiftung gelang es dem Bauhaus- Archiv nun, die eng mit dem Kernbestand der Sammlung verwobenen Nachlasskonvolute zu sichern. Rare Unterrichtsdokumente aus den Bauhauskursen wie sie beispielsweise im Konvolut von Alfred Arndt und Benita Koch-Otte enthalten sind, erlauben der Bauhaus- Forschung Einblicke in die unterschiedlichen Lehrmethoden der Meister. Von ersten Skiz- zen über realisierte und unvollendete Entwürfe, Knüpfproben und -anleitungen, bis hin zum fertigen Teppich geben die Materialien aus den Nachlässen zudem wertvolle Auskünf- te über die Techniken und Arbeitsweisen der vier Künstler/innen. Die Selbstporträts Ger- trud Arndts, das Tagebuch Gunta Stölzls und freundschaftliche Briefe unter den Bauhäus- lern dokumentieren außerdem Privates aus dem Künstlerleben am Weimarer Bauhaus. Durch den Ankauf für die international größte Sammlung zum Bauhaus bleiben die vier künstlerischen Positionen in ihrem ursprünglichen Kontext erhalten und können somit die Forschung um die Weimarer Bauhauszeit weiterhin entscheidend bereichern.

Johannes Fellmann, Leiter Kommunikation Tel +49 (0)30 / 89 36 35 29, [email protected]

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