Mentale Verursachung Und Mereologische Erklärungen. Eine Einfache Lösung Für Ein Komplexes Problem
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Arno Ros: Mentale Verursachung und mereologische Erklärungen. Eine einfache Lösung für ein komplexes Problem. Anschrift des Vf.: Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Institut für Philosophie Postfach 4120 39016 Magdeburg Tel. (0391) 67.16567 (Universität), 039361/96795 (privat) e-mail: [email protected] Ros_Mentale_Verursachung, 2 1. Einleitung1 Der Ausdruck „mentale Verursachung“ wird in der neueren philosophischen Diskussion zumeist in einem sehr umfassenden Sinne gebraucht. Es gibt jedoch gute Gründe dafür, zwischen zwei Verwendungsweisen dieses Ausdrucks, einer engeren und einer weiteren, zu unterscheiden. „Mentale Verursachung“ im engeren Sinne bezeichnet alle jene Fälle, in de- nen psychische Aktivitäten eines Individuums Veränderungen in seinem Körper, und Geschehen im Körper eines Individuums Veränderungen in seiner psychi- schen Verfassung hervorzurufen scheinen. Wenn die Vorstellung einer angstbe- setzten Situation eine Erhöhung des Noradrenalinspiegels im Blut des betreffen- den Individuums mit sich bringt, oder wenn die Einnahme eines aus Hanf (canna- bis sativa) gewinnbaren Stoffs beruhigend wirkt, Schmerzen verringert sowie zu gesteigertem Appetit, stärkeren Gefühlen und intensiveren Sinnesempfindungen führt, hat man es mit Beispielen für diese Art von mentaler Verursachung zu tun. Mit dem weiteren Gebrauch des Ausdrucks „mentale Verursachung“ hinge- gen sind, abgesehen von dem soeben Genannten, auch noch jene Fälle gemeint, in denen jemand aufgrund zuvor von ihm realisierter psychischer Aktivitäten zum Vollzug einer weiteren psychischen Aktivität oder zum Vollzug einer Handlung gelangt. Wer es für richtig hält, auch in diesem weiteren Sinne von mentalen Verursachungen zu sprechen, würde beispielsweise sagen wollen, dass gewisse Überlegungen, die jemand angestellt hat, ihn dazu „verursacht“ hätten, sich zum Kauf einer bestimmten Sorte Kaffee zu entscheiden und diesen Kauf dann auch tatsächlich zu tätigen. Probleme mit dem im weiteren Sinne verstandenen Begriff der mentalen Verursachung Ob der weitere Gebrauch des Ausdrucks „mentale Verursachung“ sinnvoll ist, ist allerdings fraglich. Mit der Rede von „Verursachungen“ ist in solchen Zusam- menhängen die Überzeugung verbunden, dass die in psychologischen Erklärungen erörterten Beziehungen zwischen den psychischen Phänomenen und den Hand- lungen eines Menschen, beziehungsweise die in solchen Erklärungen angespro- chenen Beziehungen zwischen den psychischen Phänomenen eines Menschen allein, in allen wesentlichen Punkten den Beziehungen gleichen, welche innerhalb kausaler – „Ursachen“ und „Wirkungen“ thematisierender − Erklärungen für das Eintreten physischer Geschehen erörtert werden. Und das aber ist, trotz häufiger gegenteiliger Behauptungen in der neueren Literatur, in Wirklichkeit nicht der Fall. Zwar ist nicht zu bestreiten, dass psychologische und kausale Erklärungen ei- ne Reihe von Gemeinsamkeiten aufweisen. Verwunderlich ist dies freilich nicht: Schließlich dienen beide Erklärungen dazu, das Eintreten von im weiteren Sinne 1 Ich danke Henning Moritz für Hinweise und Kritik. Ros_Mentale_Verursachung, 3 zu verstehenden Geschehen verständlich zu machen. Bedeutsamer ist, dass es abgesehen von diesen Gemeinsamkeiten auch eine Reihe spezifizierender Diffe- renzen zwischen ihnen gibt. So gilt zum Beispiel: Wenn wir von Ursachen benen- nenden kausalen Erklärungen sprechen, meinen wir damit Fälle, in denen es bei einem bestimmten Gegenstand zu einer Veränderung gekommen ist, ohne dass dieser Gegenstand zu dieser Veränderung selber beigetragen hat. Wenn wir hingegen psychologische Erklärungen heranziehen, haben wir Fälle im Auge, in denen es bei einem Individuum zu einer Veränderung gekommen ist, zu der dieses Individuum im Regelfall sehr wohl in einem mehr oder weniger großen Ausmaß selber beigetragen hat. Tatsächlich fassen wir die Handlungen eines Individuums ja als Aktivitäten auf, die nicht einfach „ablaufen“ oder dem betreffenden Indivi- duum „widerfahren“, sondern als Aktivitäten, welche dieses Individuum „selber hervorbringt“. Begriffliche Eigenheiten so auffälliger Art sind ein deutliches Indiz dafür, dass wir in einigen Teilen unserer alltagsweltlichen Unterscheidungspraxis mit Konstellationen eines wesentlich anderen Typs rechnen als dort, wo wir von Ursache-Wirkung-Beziehungen sprechen. Nicht umsonst sagen wir eben nicht, dass jemand sich zum Kauf von Kaffee einer bestimmten Sorte entschieden habe, weil vorausgegangene Überlegungen diese Entscheidung verursacht hätten; wir sagen vielmehr, dass diese Überlegungen der Grund für diese Entscheidung gewe- sen seien. Dieser Differenzierung aber würde man nicht gerecht werden, wollte man auch im Hinblick auf solche Fälle von mentalen Verursachungen sprechen. Nun sind einmal eingespielte Unterscheidungsgewohnheiten selbstverständ- lich nicht sakrosankt. Und da es auch heute noch, trotz langjähriger Bemühungen, schwer fällt, genauer zu explizieren, worin eigentlich der rational nachvollziehba- re Kern dessen liegt, dass Handlungen, und zumindest zum Teil auch psychische Aktivitäten, uns als Aktivitäten gelten, die von ihrem jeweiligen Träger „selber hervorgebracht“ werden, liegt die Versuchung nahe, dafür zu plädieren, von die- sen Eigenheiten unserer Alltagspsychologie einfach abzusehen.2 Aber wer so vorgeht, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er ein bestimmtes, in unserer herkömmlichen Begrifflichkeit steckendes Rätsel nicht gelöst, sondern lediglich handstreichartig beiseite geschoben hat.3 2 So zum Beispiel D. Davidson (1971). 3 Die aktuell weit verbreitete „kausalistische“ Interpretation der Beziehung zwischen den psychischen Phänomenen eines Menschen und seinen Handlungen – die ihren prominentesten philosophiehistorischen Vorläufer in David Hume hat − ist insbesondere durch Carl Gustav Hem- pels Aufsatz „Rational Action“ (1961/1962) sowie Donald Davidsons Aufsatz „Actions, Reasons, and Causes“ (1963) geprägt worden. Eine kurz darauf entwickelte Gegenposition zu dieser Auffas- sung findet sich in G. H. von Wrights Explanation and Understanding (1971). Zum Verhältnis zwischen dem Ansatz Davidsons und dem von Wrights vgl. G. Keil (2007). Zu einem neueren Vorschlag, die Rede vom „Hervorbringen“ von Handlungen und die damit zusammenhängenden Eigenheiten psychologischer Erklärungen systematisch verständlich zu machen, s. A. Ros (2005, Teil V). Auf einen Teil dieses Vorschlags greife ich im Abschnitt 3 dieses Aufsatzes zurück. Ros_Mentale_Verursachung, 4 Probleme mit dem im engeren Sinne verstandenen Begriff der mentalen Verursachung Probleme wirft freilich auch der im engeren Sinne verstandene Begriff der menta- len Verursachung auf, jener Begriff also, der ausschließlich dazu dient, auf Bezie- hungen zwischen den psychischen und den körperlichen Phänomenen eines Indi- viduums aufmerksam machen zu können. Allerdings sind diese Probleme anders gelagert als die, welche mit der weiteren Fassung dieses Begriffs verknüpft sind. Befürworter des im weiteren Sinne verwendeten Begriffs der mentalen Verur- sachung sprechen sich dafür aus, Fälle, die wir alltagsweltlich nicht als kausale Beziehungen interpretieren, gleichwohl als solche zu verstehen. Wobei sie diese Auffassung im Übrigen häufig mit der Behauptung begründen, dass es nur so möglich sei, bei einem Individuum eintretende psychische Veränderungen und von ihm vollzogene Handlungen in einer rationalen, wissenschaftlichen Standards genügenden Weise zu erklären. Dass es im engeren Sinne verstandene mentale Verursachungen – kausale Be- ziehungen zwischen den psychischen Phänomenen eines Individuums und Abläu- fen in seinem Körper − tatsächlich gibt, entspricht hingegen durchaus bereits unserem alltagsweltlichen Selbstverständnis: Wir haben in der Regel keine Be- denken, zu sagen, dass Angstvorstellungen bei dem jeweiligen Individuum kör- perliche und die Einnahme gewisser chemischer Substanzen psychische Verände- rungen verursachen können. Nur scheinen in diesem Fall Überlegungen, die eng mit einem bestimmten Verständnis wissenschaftlich-rationaler Zugänge zur Welt verknüpft sind, zu dem Schluss zu nötigen, dass es dergleichen Ursache-Wirkung- Beziehungen in Wirklichkeit gar nicht geben kann. Die Schwierigkeit, mit der man es hier zu tut hat, lässt sich in besonders über- sichtlicher Form als ein Trilemma zwischen drei Grundannahmen darstellen, die allein für sich genommen plausibel zu sein scheinen, in Verbindung mit den je- weiligen beiden anderen Annahmen gesehen aber zu Widersprüchen führen: 1. Prinzip von der Existenz im engeren Sinne verstandener mentaler Verursachungen: Es gibt Fälle, in denen ein Individuum mit seinen psy- chischen Aktivitäten Veränderungen in seinem Körper hervorruft; und es gibt Fälle, in denen Veränderungen im Körper eines Individuums dessen psychische Verfassung beeinflussen. 2. Prinzip von der Bereichsspezifität von Erklärungen: Veränderungen von Gegenständen eines bestimmten Gegenstandsbereichs sollten immer nur dadurch erklärt werden, dass man sich auf Einflussnahmen bezieht, die von Gegenständen desselben Gegenstandsbereichs ausgehen. 3. Prinzip von der Bereichsdifferenz zwischen psychischen und materiel- len Phänomenen: Die psychischen Eigenschaften und Aktivitäten eines Individuums gehören einem anderen Bereich von Gegenständen an als die materiellen Eigenschaften und Aktivitäten, die seinem Körper zuzurechnen sind. Ros_Mentale_Verursachung, 5 Unter diesen drei Prinzipien verdient insbesondere das Prinzip von der Be- reichsspezifität von Erklärungen besondere Beachtung.4 Historisch gesehen hängt dieses