Vormärz-Handbuch
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Sonderdruck aus: Vormärz-Handbuch Herausgegeben von Norbert Otto Eke im Auftrag des Forum Vormärz Forschung AISTHESIS VERLAG Bielefeld 2020 Philosophie: Hegel’sche Schule, durch Nachschriften überliefert waren, in ein gut les- Links- und Rechtshegelianer, bares Buch verwandelt hat, schrieb bereits 1828, also noch zu Hegels Lebzeiten und vermutlich mit dessen Jung- und Althegelianer Zustimmung: Zwischen den literarischen Autoren des ‚Vormärz‘ und Cartesius, Spinoza, Kant und Fichte forderten wohl der zeitgenössischen deutschen Philosophie, beson- Bekenner aber keine mitarbeitende Schüler; im Principe ders derjenigen Hegels und seiner Schüler, gab es viele der gegenwärtigen Philosophie [damit ist die Philosophie Berührungen: Heinrich Heine, um nur ein prominen- Hegels gemeint; N. W.] dagegen liegt es, sich in Betreff auf tes Beispiel zu wählen, hörte bekanntlich noch Hegels Breite und Mannigfaltigkeit des zu bezwingenden Stoffes Vorlesungen (vgl. z. B. Lefebvre 1986, 31-50), war in nicht ohne die Hülfe mannigfach begabter Mitarbeiter Berlin mit Eduard Gans befreundet (Waszek 1998), vollenden zu können. (zitiert nach Ziemer 1994, 33) den er einmal den „Oberhegelianer“ nannte (Heine, HSA, Bd. 20, 273) und der wenig später tatsächlich Gut dokumentiert ist, dass sich Hegel, besonders in einflussreiche Editionen von Hegels Rechts- und sei- seiner letzten Wirkungsphase, die dreizehn Jahre ner Geschichtsphilosophie vorgelegt hat; später ging er an der Universität Berlin (1818-31), großer Lehrer- freundschaftlich mit Karl Marx um, als sich dieser ca. folge erfreuen konnte. Manche Studenten kamen nur 18 Monate in Paris aufhielt (Victor 1951; Höhn 32004, wegen ihm nach Berlin, hörten seine Vorlesungen 127-130 u. ö.), auch zankte er sich mit Arnold Ruge, über mehrere Semester und wurden oft treue Anhän- schrieb selber eine Geschichte der Religion und Philoso- ger. So ging etwa David Friedrich Strauß, der wenig phie in Deutschland usw. Gemeinsam war den dama- später mit seinem Leben Jesu (1835-1836) radikal in ligen Literaten und Philosophen auch eine Lebenswelt die protestantische Theologie des 19. Jahrhunderts mit ihrem geschichtlichen Hintergrund (wozu neben eingriff, im Jahre 1831 eigens nach Berlin, um bei die politischen Impulse aus Frankreich, wie der Juli- Hegel zu studieren. Seine Enttäuschung war groß, als revolution, sicher auch die gesellschaftlichen Trans- der Philosoph nach nur wenigen Vorlesungswochen formationen traten, die hier nur mit den Stichworten am 14. November 1831 völlig unerwartet verstarb. ‚Industrialisierung‘ und ‚soziale Frage‘ angesprochen Mit einem Wortspiel tröstete er sich aber in einem werden können) und einem Erwartungshorizont. Sie Brief an einen Jugendfreund bald über den Verlust teilten auch viele Erfahrungen, wie beispielsweise das hinweg: „hier ist Hegel zwar gestorben, doch nicht Ableben einer ganzen Generation von Geistesgrößen ausgestorben“ (Strauß 1895, 8). Was Strauß mit dem im Verlaufe weniger Jahre (Hegel starb 1831, Goethe „nicht ausgestorben“ meinte, war die Fortführung des 1832, Wilhelm von Humboldt 1835), die bis dahin das Hegel’schen Denkens durch einen Schülerkreis. Tat- intellektuelle Leben beherrscht hatten. sächlich besuchte Strauß nach Hegels Tod die Lehr- Dass viele Denker der Gegenwart an die Jung- veranstaltungen von mindestens vier Berliner Hoch- hegelianer angeknüpft haben, verleitet dazu, den zeit- schullehrern, die Hegel nahestanden: Philipp Konrad genössischen Rang dieser Strömung zu überschätzen. Marheineke, Leopold von Henning, Eduard Gans und Keineswegs war die Philosophie zur Zeit des Vormärz Karl Ludwig Michelet. Die Liste von Hegelianern, die insgesamt eine „vormärzliche Philosophie“ im quali- noch zu Lebzeiten des Philosophen oder wenig spä- tativen Sinne, dass sie inhaltlich die Märzrevolution ter Hochschullehrer geworden waren und, oftmals gefördert und vorbereitet hätte (vgl. Jaeschke 2003, unter Benutzung von Hegels (Lehr-)Büchern, dessen 501f.). Im Gegenteil: In den 1830er und 1840er Jah- Lehren verbreiteten, war indessen noch länger und ren waren die restaurativen Kräfte, auch innerhalb der sollte mindestens ergänzt werden um (geordnet nach Philosophie, sicher stärker als die radikalen Kritiker. den Geburtsjahrgängen): Georg Andreas Gabler, Her- mann Friedrich Wilhelm Hinrichs, Heinrich Gustav Hotho, Karl Rosenkranz, Wilhelm Vatke und Bruno Schulbildung – Indizien und Erklärungen Bauer – auch Ludwig Feuerbach könnte dazugezählt werden, denn nach zweijährigem Studium (1824-26) Nicht jeder Philosoph wird zum Haupt einer Schule. bei Hegel lehrte er kurzfristig in Erlangen. Ein unmittelbarer Schüler Hegels, Heinrich Gustav Dass die genannten Berufungen von Hegelschü- Hotho, der dadurch bekannt blieb, dass er Hegels Vor- lern in Berlin und an anderen preußischen Univer- lesungen über die Ästhetik, die nur fragmentarisch und sitäten möglich wurden, hing unter den damaligen Philosophie: Hegel’sche Schule, Links- und Rechtshegelianer, Jung- und Althegelianer 373 Verhältnissen auch stark vom Hof und dessen Minis- seiten seiner Schüler. Schon in seiner auf den 29. Mai terien ab. Schon für Hegels Berufung von Heidelberg 1833 datierten „Vorrede“ zur Neuauflage von Hegels nach Berlin hatte der neue (ab 1817) und eigentlich Grundlinien der Philosophie des Rechts bringt Eduard erste Kultusminister Preußens, Karl vom Stein zum Gans diese apologetische Tendenz nicht nur expli- Altenstein, der zum Umfeld des Staatskanzlers von zit zum Ausdruck, sondern sie wird geradezu eine Hardenberg und damit zu den Reformpolitikern Grundintention seiner Darstellung (vgl. Hegel, Werke, gehörte, die entscheidende Rolle gespielt (Meist 1979, Bd. 8, 1833, IX-XI). bes. 49). In Berlin eingetroffen, gelang es Hegel, in Andere Beispiele für die Verteidigung Hegels rei- eine persönliche Beziehung zu Altenstein zu treten. chen bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts. Eine Verstärkt wurde diese noch durch Johannes Schulze, Broschüre von Karl Rosenkranz führt das Wort „Apo- der als hoher Beamter, heute einem Staatssekretär logie“ stolz im Titel: Apologie Hegels gegen Dr. R. Haym vergleichbar, im Ministerium Altensteins wirkte, (Rosenkranz 1858). Ausgeprägt apologetische Züge gleichzeitig aber ein treuer Hörer (1819-1821) und trägt auch das von Karl Ludwig Michelet zum hun- dann ein enger Vertrauter Hegels wurde. Dass Alten- dertsten Geburtstag des Philosophen vorgelegte kleine stein und Schulze Hegel und in ihrer Berufungs- Buch: Hegel der unwiderlegte Weltphilosoph: eine politik auch seiner Schule bis zum Ende ihres Wirkens Jubelschrift (Michelet 1870). (Altenstein trat 1839 zurück und starb im Mai 1840; Neben die Apologie tritt als Indiz für die Existenz Schulze verlor unter Friedrich Wilhelm IV., König seit einer Hegel’schen Schule auch eine Art Institutionen- Juni 1840, und Altensteins Nachfolger Friedrich Eich- bildung. Unter den damals geschaffenen Institutionen, horn an Einfluss) wohlwollend gegenüberstanden, welche die Schulbildung im Innern förderten und kann nicht bezweifelt werden: die bis zum Ende der nach Außen sichtbarer machten, ist an erster Stelle 1830er Jahre relativ starke institutionelle Position der die Zeitschrift Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik Hegel’schen Schule erklärt sich nicht zuletzt durch die (1827-1846) zu nennen (vgl. Gans 1836a, Schlawe schützenden Hände, die Altenstein und Schulze über 1959, Jamme 1994). Hegel selbst trug sich schon seit sie hielten. dem Beginn seiner akademischen Laufbahn in Jena, Diese Konstellation führte schon in den 1820er als er gemeinsam mit Schelling das ephemere Kriti- Jahren zu dem Vorwurf, man müsse „Anhänger von sche Journal der Philosophie herausgab (1802-1803), Hegel“ sein, wie Friedrich Schleiermacher schon mit dem Wunsch, wieder über eine eigene Zeitschrift im März 1823 schrieb (HBZ, 258), um unter die- zu verfügen. Erst in Berlin, auf dem Höhepunkt seiner sem Ministerium einen Ruf oder eine Beförderung Laufbahn, wurde ihm dieser Wunsch erfüllt und zwar zu erhalten. Ob dieser Vorwurf berechtigt war (die in erster Linie durch seinen Schülerkreis, so besonders wichtigsten Belege in HBZ, z. B., 243, 258) oder der durch Gans, der ein Konzept ausarbeitete und den sei- Frustration erfolgloser Bewerber entsprang, kann nerzeit führenden Verleger Johann Friedrich Cotta hier nicht erschöpfend beantwortet werden. Bedenk- davon überzeugte (Waszek 1994), dann auch durch lich stimmt allerdings die Tatsache, dass der Vorwurf Leopold von Henning, der als Generalsekretär die zunächst von Hegels wichtigsten Gegnern in Berlin, Tagesgeschäfte derJahrbücher von 1828 bis zu ihrem Friedrich Carl von Savigny und Schleiermacher arti- Ende auf sich nahm. Die Jahrbücher erschienen ab kuliert wurde, die gewiss nicht unparteiisch waren. 1827, konnten sich 20 Jahre lang halten und ihr hohes Versuche eine idealtypische Definition von ‚Schule‘ Niveau verhalf ihnen zu Respekt und Leserschaft. bereitzustellen und sie auf die Hegel’sche Schule anzu- Im Grunde wurden mit den Jahrbüchern gleich zwei wenden (vgl. Eßbach 1988, 89-117) heben hervor, Institutionen geschaffen, nicht nur eine Zeitschrift, dass es sich bei einer ‚Schule‘ um eine „wissenschaftli- sondern auch die herausgebende „Sozietät für wissen- che Gemeinschaft“ handelt, die sich um eine „zen trale schaftliche Kritik“ (deren Statuten bei Hogemann 1994, Figur schart“ (Tiryakian 1981, 43) und zumindest 88-92). Diese Sozietät wurde in drei Klassen gegliedert: Kernthesen und zentrale Werte dieser Gründerfigur 1) Philosophie, Theologie, Rechts- und Staatswissen- teilt, ehe sie diese Inhalte an weitere