Regierungspräsidium Abteilung Arbeitsschutz und Umwelt Frankfurt, den 18. August 2020 Az.: IV/F 41.1-100i-0843 Bearbeiter/in: Dieter Binder Durchwahl: 27 14 – 2923 E-Mail: [email protected]

Altlast Teerfabrik Lang in am Information für Beteiligte (Stand: August 2020)

1. Ausgangssituation Zwischen 1914 und 1929 betrieb die Fa. Gustav Lang auf dem ca. 18.000 m² umfassenden Areal am Nordring in Offenbach-Kaiserlei eine chemische Fabrik für Teerprodukte. Innerhalb des relativ kurzen Betriebszeitraums kam es zu massiven Einträgen an Teeröl in den Unter- grund. Bei Boden- und Grundwasseruntersuchungen seit 1991 wurde festgestellt, dass der Untergrund sehr stark mit Teeröl kontaminiert ist. Die Mächtigkeit der teerölverunreinigten Bodenhorizonte beträgt mehrere Meter und reicht bis auf die Basis des oberen Grundwasserleiters. Dabei hat sich das schwere Teeröl zum großen Teil als Phase auf dem grundwasserstauenden Rupelton in ca. 8-10 Metern Tiefe horizontal sowohl nach Norden zum Main hin als auch nach Süden ausgebreitet, so dass auch angrenzende Grundstücke betroffen sind. Hauptschadstoffe dieser Teerölkontamination sind Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Heterozyklische Kohlenwasserstoffe (NSO-Het), einkernige aromatische Kohlenwasserstoffe (BTEX) und Phenole sowie sonstige für Teerölschäden typische Schadstoffe. Die Menge an teerölverunreinigtem Boden beträgt nach Berechnungen ca. 64.000 Tonnen.

Daneben liegen in der zuoberst liegenden Auffüllung auffüllungstypische Schadstoffe wie Schwermetalle und PAK vor. Eine Verlagerung in tiefere Schichten wurde nicht festgestellt.

Die teeröltypischen Schadstoffe finden sich auch im Grundwasser in sehr hohen Konzentrationen wieder. Betroffen ist vor allem das Grundwasser des oberflächennahen Grundwasserleiters, das einen Flurabstand von 3-4 Metern aufweist. Hier hat sich eine Schadstofffahne vom Schadensherd in Richtung Süd bis Südwest ausgebildet. Die Schad- stoffkonzentrationen im Grundwasser liegen bis zu 10.000-fach über den zum Vergleich heranzuziehenden Geringfügigkeitsschwellenwerten (GFS-Werten). Eine Beeinträchtigung tieferer Grundwasserleiter im Tertiär und im Rotliegenden wurde, wenn auch in sehr viel geringerem Maße, ebenfalls festgestellt. Hier wird das Gefährdungspotenzial jedoch als gering eingeschätzt.

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2. Sanierungskonzept – Funnel & Gate a) Grundlagen In einer Variantenstudie aus dem Jahr 1997 wurden mögliche Sanierungsverfahren aufge- zeigt und verglichen. Die Studie wurde 1999 um die Variante Funnel & Gate-System ergänzt. Dieses zeigt das günstigste Verhältnis aus Effektivität und Kosten und wurde daher als günstigste Methode ausgewählt.

Parallel wird seit 2001 die Abschöpfung der mobilen Anteile der Teerölphase in regel- mäßigen Abständen durchgeführt. Bis 2015 wurden so mehr als 7.000 Liter Teerölphase abgeschöpft.

Nach dem Prinzip des Funnel & Gate-Systems wird der natürliche Grundwasserabstrom durch eine quer verlaufende unterirdische Barriere (Funnel) gefasst und durch definierte Durchlässe (Gates) geleitet. In diesen wird das verunreinigte Grundwasser aufbereitet, so dass dieses gereinigt vom Standort abströmen kann.

Im vorliegenden Fall musste eine neue Technologie zur Abreinigung organischer Misch- kontaminationen entwickelt werden. Dies schien mit einer Kombination aus biologischem Abbau und Adsorption von Schadstoffen möglich.

b) Pilotanlage und Erprobungsphase Nach erfolgreichen Voruntersuchungen im Labor und vor Ort wurde im Jahr 2006 mit dem Bau der ersten Ausbaustufe des Funnel & Gate-Systems begonnen, das im April 2007 in Betrieb genommen wurde. Diese erste Ausbaustufe besteht aus 2 ca. 30 m langen und ca. 10 m tiefen Leitwänden (Funnel), die den natürlichen Grundwasserabstrom durch einen definierten Durchlass leiten, der den Bioreaktor enthält (Gate), in dem die Schadstoffe mikrobiell abgebaut werden. Im Rahmen des vom Bund geförderten Forschungs- und Entwicklungsvorhabens, das im September 2009 beendet war, konnte aufgezeigt werden, dass das System mit einigen Modifikationen erfolgreich betrieben werden kann. Im weiteren Verlauf und unter Einsatz weiterer Fördermittel konnten die Reinigungsleistung, der Betrieb und somit auch die Betriebskosten optimiert werden.

c) Erweiterung des Funnel & Gate-Systems

Im Gutachten des Büros CDM vom 04.05.2011 werden 11 Hauptvarianten (teilweise mit Untervarianten) ausführlich beschrieben. Mittels eines numerischen Grundwassermodells wurde für alle Varianten abgeschätzt, welche Grundwassermengen und Schadstofffrachten wegen einer Um- bzw. Unterströmung der Leitwände durch das Funnel & Gate-System nicht erfasst werden können. Weiterhin wurden Kriterien zur grundsätzlichen Machbarkeit (z. B. Verfahrenssicherheit, Systemflexibilität, erwartete Konflikte bei der Umsetzung) sowie zum Platzbedarf, dem Aufwand bei der Errichtung und zum Betriebs- und Überwachungsaufwand beschrieben. Zusätzlich wurden die Investitions- und Betriebskosten für die einzelnen Varianten abgeschätzt. Mittels der Kosten-Barwert-Methode wurden die voraussichtlichen

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Kosten für die nächsten 50 Jahre prognostiziert. Im Ergebnis fiel die Entscheidung auf eine Variante mit 1 Gate (der vorhandenen Anlage), verkürzten Leitwänden und je 1 Förder- brunnen am westlichen sowie am östlichen Ende der Leitwände. Die gewählte Variante vereint einen hohen Erfassungsgrad des verunreinigten Grundwassers mit hoher Betriebs- sicherheit und Flexibilität bei sich ändernden hydraulischen Bedingungen im Grundwasserleiter. Nach inzwischen erfolgreich durchgeführtem Probebetrieb wurden 2017 die unterirdischen Leitwände soweit in östlicher und westlicher Richtung verlängert, dass sie mit Unterstützung von randlich positionierten Förderbrunnen den gesamten Grundwasserabstrom der Altlast erfassen können. Im Rahmen der Errichtung der gesamten Anlage wurde diese an die neuen Verhältnisse angepasst. Nach erfolgreichem Probebetrieb der auf den endgültigen Zustand erweiterten Anlage, ist diese nun dauerhaft zu betreiben und muss, wie auch das Grundwasser im Bereich der Altlast, regelmäßig überwacht werden. Als begleitende Maßnahme soll die 2001 begonnene Teerölabschöpfung zur effektiven Reduzierung des Schadstoffinventars weiter- geführt werden.

3. Behördliche Maßnahmen

Am 28. April 1993 wurde die HIM GmbH, Biebesheim, vom Land Hessen mit der Erkundung und Sanierung der Altlast beauftragt. Die Übertragung des Vorganges „Teerfabrik Lang“ erfolgte, da ein sanierungspflichtiger Verursacher nicht herangezogen werden konnte und eine Heranziehung der gutgläubigen Eigentümer (Zustandsstörer) unter dem Regime des damals gültigen Hessischen Altlastengesetzes (HAltlastG) nicht möglich war. Seither wurden in Abstimmung mit der Bodenschutzbehörde zahlreiche Untersuchungen des Bodens und des Grundwassers durchgeführt, die detailliert die massive Verunreinigung des Bodens und des Grundwassers aufzeigen. Mit mehreren altlastenrechtlichen Bescheiden des Regierungspräsidiums Darmstadt wurden zwischen 1993 und 1996 die Grundstücke des ehemaligen Betriebsgeländes der Teerfabrik Lang aufgrund massiver Boden- und Grundwasserkontaminationen durch PAK, BTEX, Phenole und Schwermetalle als Altlast festgestellt. Die Altlastenfeststellungen auf dem ehem. Betriebsgelände umfassen die damaligen Grundstücke im Flur 5: Flurstück 18/2, Flurstück 38/6, Flurstück 38/4 (inzw. geteilt in Flurstücke 38/9 und 38/10), Flurstück 356/6 Als Forschungs- und Entwicklungsprojekt wurde die gewählte Sanierungsmethode mit Zuschüssen des Bundes in Höhe von insgesamt 685.000 € gefördert. Das Forschungs- vorhaben wurde mit Zuwendungsbescheid des BMBF vom 08.05.2002 genehmigt und dauerte von 2002 bis September 2009. Der von der HIM GmbH vorgelegte Rahmen-Sanierungsplan vom 15.10.2003, mit dem die Sanierung mittels Funnel & Gate-System beantragt wurde, wurde mit Datum vom 4.4.2005

- 4 - - 4 - vom Regierungspräsidium Darmstadt beschieden. Dieser bodenschutzrechtliche Rahmen- bescheid regelt die Sanierungsziele für das Grundwasser und sieht nach einem erfolgreichen Probebetrieb des Prototyps bereits den Ausbau mittels Verlängerung der Leitwände und Implementierung eines weiteren Bioreaktors in einem 2. Durchlass vor. Für den Fall des Misserfolgs wurde das zweitgünstigste, geeignete Sanierungsverfahren, nämlich die Errichtung einer Kammerdichtwand, die den Standort vollständig umschließt, festgelegt. Nach erfolgreichem Betrieb der Pilotanlage und Entscheidung der Variante zum endgültigen Ausbau wurden mit Schreiben vom 3. April 2012 die Zustandsverantwortlichen zur Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 HAltBodSchG sowie zur Anordnung der Sanierung gemäß § 13 Abs. 1 BBodSchG angehört. Mit bodenschutzrechtlichem Änderungs- und Ergänzungsbescheid vom 20.10 2016 wurde der beantragten Erweiterung der Funnel & Gate-Anlage zum endgültigen Ausbau zugestimmt (s. Anlage 2). Kommt ein öffentlich-rechtlicher Vertrag mit einer/m Pflichtigen nicht zustande, erlässt das Land Hessen dieser/m gegenüber zur Regelung der Sanierungspflicht einen Kostenbescheid sowie eine entsprechende Anordnung nach § 10 Abs. 1 bzw. § 13 BBodSchG.

Zur Beschleunigung des Sanierungsverfahrens und der effizienten Koordination des Verwaltungshandelns werden die erforderlichen Zulassungsentscheidungen bei der zuständigen oberen Bodenschutzbehörde gebündelt (Zuständigkeitskonzentration).

4. Kostenbetrachtung unterschiedlicher Sanierungsverfahren Die im beschiedenen Rahmensanierungsplan von 2003 dargestellte Kostenberechnung auf der Basis der Variantenstudie aus den Jahren 1997 und 1999 belegt, dass das vorliegende Funnel & Gate-System im Vergleich mit anderen möglichen Sanierungsverfahren das günstigste ist. Dieser Vergleich wurde im Jahr 2009, nach den Erfahrungen aus dem Probe- betrieb der Pilotanlage und auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse und Berechnungen erneut vorgenommen. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl in der ursprünglichen Kostenermittlung vor Durch- führung des Pilotprojekts als auch in der aktualisierten Berechnung das Funnel & Gate- System das bei Weitem günstigste Sanierungsverfahren darstellt, sowohl hinsichtlich der Investitionskosten als auch bei Betrachtung der Folgekosten (i. W. Betriebskosten) der kommenden 50 Jahre. Durch den Wegfall eines zweiten ursprünglich geplanten Bioreaktors und den Verzicht auf eine Aktivkohlestufe werden zusätzlich Kosten gegenüber der ursprünglichen Planung eingespart. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es sich nicht wie bei einer Aushubsanierung um die Entfernung von Schadstoffen aus dem Boden, sondern um eine Sicherung handelt, die langfristig betrieben werden muss. Das Funnel & Gate-System stellt jedoch eine langfristige und effektive Sicherung dar, da der Schadstoffaustrag in das abströmende Grundwasser für die meisten Schadstoffe dauerhaft voraussichtlich bis unter die GFS-Werte gesenkt und dadurch eine weitere Verunreinigung des Grundwassers unterbunden werden kann. Somit wird die Mindestanforderung an eine

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Altlastensanierung bzw. -sicherung, nämlich die Beseitigung einer Gefahr, mit dem geringst möglichen Kostenaufwand erreicht.