1. Die Entwicklungsdienste
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Nach Ölkrise und Kanzlerwechsel 1. Die Entwicklungsdienste Im weiteren Verlauf der 1970er und 1980er Jahre hat sich das am Beispiel der AGEH skizzierte Modell eines Fachdienstes auch beim Deutschen Entwicklungs- dienst und den Diensten in Übersee durchgesetzt. Die Arbeit konzentrierte sich in erster Linie auf die im Einzelfall gestellte Aufgabe der Anwerbung, Vorberei- tung und Vermittlung bzw. Entsendung von qualifizierten Fachkräften ent- sprechend den Anforderungen der Partner in der Dritten Welt und erst in zweiter Linie auf die weniger greifbaren sozial- und gesellschaftspolitischen Folgen ihres Einsatzes. Diese Schwerpunktsetzung prägt bis heute die Arbeit der drei großen deutschen Entwicklungsdienste.1 Entscheidend für diese Entwicklung war die Erkenntnis der jeweiligen Verant- wortlichen, dass den eigenen Ressourcen und damit auch Wirkungschancen Grenzen gesetzt blieben. Nach der Ölkrise und dem damit verbundenen Ende des über zwanzigjährigen Wirtschaftsbooms musste hart um jede weitere Erhöhung des Etats gerungen werden. Der DED hatte das rauere Klima schon anlässlich der Entscheidungen des Haushaltsausschusses vom Februar 1974 zu spüren bekom- men. Er blieb bis zu seinem Umzug nach Berlin 1977 unter Druck, Stellen einzu- sparen und seine Arbeit rationeller zu verrichten.2 Nachdem die Steuerreform vom Januar 1975 das Kirchensteueraufkommen und damit auch den Anteil des kirchlichen Entwicklungsdienstes verringert hatte, sah man auch bei den DU ein, dass die fetten Jahre vorbei waren. Bis zum Herbst 1975 revidierten Leitungsteam, Vorstand und Mitgliederversammlung die Ausbaupläne von 1970. Bis 1980 wollte man nur noch das Erreichte verteidigen und den Etat an Inflation und Tariferhö- hungen anpassen. Die anhaltende strukturelle Arbeitslosigkeit schreckte zudem viele geeignete Bewerber davor ab, sich auf das biographische Risiko eines mehr- jährigen Aufenthalts in der Dritten Welt abseits der beschleunigten technischen Innovation einzulassen.3 1 Wobei die DU Ende der 1990erJahre ihre Unabhängigkeit verloren haben und im Evangelischen Ent- wicklungsdienst (EED), dem integrierten Gesamthilfswerk im Rahmen der EKD, aufgegangen sind. 2 Zur Vorgeschichte vgl. Kapitel V.3.b). Zum weiteren Verlauf s. Protokoll des DED-VR vom 12. 12. 1974, im DED-Archiv, Bd. „Niederschriften VR 1/74-6/75", Protokolle des DED-VR vom 10.3., 26. 5., 2. 9. und 8. 12. 1975 sowie vom 2. 11. 1976, im LHÜ-Archiv, Bestand DED-Verwaltungsrat, und Der zuständige BMZ-Referent, Micha, an den DED betr. Rahmenvorstellungen der Gesell- schafter zur Reorganisation des Deutschen Entwicklungsdienstes vom 6. 8. 1975, im LHÜ-Archiv, Bestand DED-Gesellschafterversammlung. 3 Protokolle der Vorstandssitzungen vom 21. 4. und 25. 8. 1975, im DÜ-Archiv, Bd. „DÜ-Vorstand Sitzungen 1969-1983", Protokoll des LT vom 14. 5. 1975, im DÜ-Archiv, Bd. „DÜ-Leitungsteam 1975-1979", und Protokoll der Mitgliederversammlung vom 22.-23.9. 1975, im DÜ-Archiv, Bd. „DÜ-Mitgliederversammlungen 35.^16. 1974-1978". 290 Nach Ölkrise und Kanzlerwechsel Der zweite Trend, vor dem auch der DED und die DU ihre Augen nicht ver- schließen konnten, war der wachsende Unwille der Partner in den Entwicklungs- ländern, die mal offene, mal subtile Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten, die mit der Entwicklungshilfe einherzugehen pflegte, weiter hinzunehmen. Wäh- rend die Partnerschaftsdiskussion die DU schon länger umtrieb, brach sie im DED erst bei der Mitarbeiterkonferenz im Dezember 1974 mit voller Kraft aus.4 Das Ergebnis war annähernd das gleiche. Wo immer man den Bedarf, den die Partner anmeldeten, systematisch untersuchte, kam man zu dem Ergebnis, dass diese möglichst qualifizierte und berufserfahrene Kräfte wünschten, die sich in die Strukturen der Entwicklungsländer integrieren, ihren fachlichen Aufgaben nach- kommen und sich ansonsten möglichst zurückhalten sollten. Ein Bericht des Lei- tungsteams der DU vom Oktober 1976 urteilte zu Recht, das laufe auf „eine Art Professionalisierung des Entwicklungshelfers" hinaus.5 Aus dieser Einsicht zogen die DU in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre fol- gende Konsequenzen: Man akzeptierte das Niveau von 70 bis 80 Vermittlungen pro Jahr als gleichsam natürliche Größe und kehrte somit zum „Gesetz der klei- nen Zahl" zurück. Die auf die Bundesrepublik zielende Idee vom Entwicklungs- dienst als Wehrdienstersatz und Avantgarde eines umfassenden Friedensdienstes wurde außer in Einzelfällen nicht wieder aufgegriffen. Daran änderte auch die Novelle des Entwicklungshelfergesetzes vom Juni 1976 nichts, die durch die Heraufsetzung der Freistellungsgrenze auf 30 Jahre den Bedenken der Dienste gerecht zu werden suchte.6 Schließlich wiesen die Hauptamtlichen der DU den Wunsch nach regelmäßigen Treffen zur Binnenorganisation und Mitbestimmung der aktiven Fachkräfte, den ein Vorbereitungskurs im April 1977 anmeldete, reso- lut zurück. Derartige Strukturen würden die von den Partnern erwünschte Inte- gration gefährden und seien daher grundsätzlich abzulehnen.7 Auf die kurz darauf artikulierte Mitbestimmungsforderung der Rückkehrer reagierten die Organe der DU dagegen ganz nach dem Vorbild der AGEH. Bis 1979 erhielten die Ehemaligen je einen Sitz in der Mitgliederversammlung, den Projektausschüssen der Geschäftsstelle und des Vorstands sowie im Bildungsaus- schuss. Mehr hatten sie auch gar nicht gefordert, womit eine weitere Parallele zur Situation bei der AGEH einige Jahre zuvor sichtbar wird.8 4 Zu den DU vgl. Kapitel III.3.d) und IV4.b). Zum DED s. Diverse Protokollfragmente zur und Be- schlüsse der Mitarbeiterkonferenz vom 8.-14.12. 1974, im DED-Archiv, Bd. „Mitarbeiterkonfe- renz 1974 2". 5 Protokoll der Mitgliederversammlung vom 22.10. 1976, im DÜ-Archiv, Bd. „DÜ-Mitgliederver- sammlungen 35.-46. 1974-1978". Zu ähnlichen Erkenntnissen beim DED s. DED-Brief, Gerd Marmann, „Entwicklungsdienst im Wandel", Juli-September 1976, oder Bericht des Beauftragten für Kamerun, Cirsovius, über das Ergebnis der Befragung der dortigen Partner im Protokoll der Regionalkonferenz Westafrika in Bobo-Dioulasso/Obervolta vom 30. 11.-3. 12. 1976, im DED- Archiv, Bd. „Stabsstelle Grundsatz Regionalkonferenzen 1976/77". 6 DU, Helmut Hertel und Eberhard le Coutre, „15 Jahre Dienste in Übersee", Dezember 1975, und Protokoll des LT vom 20. 10. 1976, im DÜ-Archiv, Bd. „DÜ-Leitungsteam 1975-1979". Zur No- velle des EhfG s. Gesetzesdokumentation Nr. VII425, im PA, und Die entsprechenden Unterlagen des BMZ, im BArch, B 213, Bd. 5285 und 5287. 7 Resolution der Teilnehmer des 49. Vorbereitungskurses der DU vom April 1977, und Stellung- nahme der Geschäftsleitung dazu vom 8.8. 1977, im DÜ-Archiv, Bd. „DÜ-Grundsatzpapiere 1971-1984". 8 Verhandlungsvorschlägc des Rückkehrer-Sonderseminars vom 17.-19.2. 1978 betr. Rückkehrer- vertreter als DÜ-Gesprächspartner, im DÜ-Archiv, Bd. „Rückkehreraktivitäten DU und andere 1. Die Entwicklungsdienste 291 An einigen Eigenarten hielten die Dienste in Übersee dagegen trotz der pro- grammatischen Annäherung der drei Entwicklungsdienste aneinander seit Mitte der 1970er Jahre fest. So blieb das demokratisierte Leitungsteam das Zentrum der Entscheidungsfindung. Auch sahen die DU die Bewusstseinsbildung in Deutsch- land weiterhin als eine ihrer Aufgaben an, der sie sich mit dem Überseeregister und den entwicklungspolitischen Zentren widmeten. Zumindest, was die Höhe der dafür ausgegebenen Mittel anging, blieb es jedoch bei diesen insgesamt recht bescheidenen Ansätzen. In dieser Hinsicht kann von der im Dezember 1970 be- haupteten Gleichrangigkeit mit der Vermittlungsarbeit keine Rede sein. Beim Deutschen Entwicklungsdienst, der sich zu Beginn der 1970er Jahre am weitesten auf das Konzept des Entwicklungsdienstes als politische Aufgabe ein- gelassen hatte, dauerte der Prozess der Normalisierung naturgemäß länger. An seinem Anfang stand die Spaltung der relativ einheitlichen Front, die die Mitarbei- ter in Sachen Mitbestimmung gebildet hatten. Nach dem Inkrafttreten des offi- ziellen Mitbestimmungsmodells Anfang 1973 bildeten sich drei verschiedene Gruppen: eine Minderheit, die bis in die späten 1980er Jahre hinein ebenso hart- näckig wie vergeblich versuchte, noch mehr Mitbestimmung durch Blockaden und andere Aktionen durchzusetzen;9 eine weitere Minderheit, die zunehmend genervt auf die „Nabelschau" des „Mitbestimmungsrituals" reagierte und in ihr vor allem eine Verschwendung von Zeit und Geld sah;10 schließlich die Mehrheit, die zum Beispiel bei den Mitarbeiterkonferenzen von 1974 und 1977 pflichtschul- dig daran erinnerte, dass noch nicht alle Forderungen von 1971 erfüllt seien, und die über das fehlende Engagement der neuen, unpolitischeren Helfer klagte, sich praktisch aber mit dem Erreichten zufrieden gab und wieder der „Tagesroutine" zuwandte.11 Noch deutlicher fiel die Fraktionierung der DED-Mitarbeiter in der ab 1974 einsetzenden Partnerschaftsdebatte aus. Während die einen forderten, die eigenen entwicklungspolitischen Vorstellungen und auch die Mitbestimmung müssten zu- 1967-1985", Protokoll der Mitgliederversammlung vom 9.-10.10. 1978, im DÜ-Archiv, Bd. „DÜ-Mitgliederversammlungen 35.^16. 1974-1978", Die Sprecherin der DÜ-Rückkehrer, Höcklin, an den Vorstand der DU vom 16. 1. 1979, und Auszüge aus dem Protokoll der Vor- standssitzung vom 22.1. 1979 und dem Protokoll des LT vom 8.5. 1979, im DÜ-Archiv, Bd. „Rückkehreraktivitäten DU und andere 1967-1985". * Berichte über mehrere Blockadeversuche im Protokoll der Regionalkonferenz Ostafrika in Nai- robi/Kenia vom 24.-27. 9. 1975, im DED-Archiv, Bd. „Stabsstelle Grundsatz Regionalkonferen- zen RK Ostafrika,