UNSERE FUSSBALL-HELDEN FUSSBALL HELDEN UNSERE DIE LEGENDÄRSTEN SPIELERDER WELT HERAUSGEGEBEN VON ALFREDDRAXLER INHALT

DIE

Kann sich noch immer BALLKÜNSTL ER über jedes Tor freuen: SÜDAMERIKAS Real-Torjäger PELÉ Der beste Fußballer aller Zeiten. Schon mit 17 war er Weltmeister 14 Spaniens Journalisten nennen ihn „den Außerirdischen“ 20 TEÓFILO CUBILLAS, , DIDÍ, NÍLTON SANTOS 24 JOSÉ LEANDRO ANDRADE Der Läufer aus Uruguay war der erste Popstar des Fußballs 26 Brasiliens Fußballkönig der Moderne 30 DIEGO ARMANDO MARADONA Der Gute und der Böse. Er tanzte mit dem Ball 32 , , , 36 Er dribbelte alle aus und verlief sich 38

DIE DIE ENDSPIEL-HELDEN TORJÄGER

HELMUT RAHN CRISTIANO RONALDO RUDI VÖLLER Er ist der Mann, der 1954 aus dem Hintergrund schoss 44 Der Inbegriff einer Tormaschine. 2016 erfüllte er sich einen Traum 64 Ein Kultkicker wie nur noch 88 , LUCIEN LAURENT, ROMARÍO, Ein Elfmeter machte ihn weltberühmt 46 JOE GAETJENS, ADEMIR, ERNST Der eine war ein Egoist, der andere kam als Aushilfe 90 WILLIMOWSKI 68 SANDOR KOCSIS, OLEG SALENKO, Zehn Jahre dauerte seine lange Reise 48 GUILLERMO STÁBILE, OLEG BLOCHIN, HAKAN SÜKÜR 92 WM-Torschützenkönige in den wilden Dreißigerjahren 70 , , , ALFREDO DI STÉFANO TONI TUREK, MARIO GÖTZE 50 Die Helden aus den bewegten Fünfzigerjahren 94 Der Mann aus Kamerun fand die Eckfahne zum Tanzen 72 , RONALDO ABÉDI PELÉ, , Bis zum EM-Finale hatten beide wenig Freude, dann umso mehr 52 Er wusste, wo der Ball hinrollt und hinmuss 96 SAMUEL ETO’O, DIDIER DROGBA 74 , Der heimliche Chef beim EM-Titelgewinn 1996 54 GERD MÜLLER Mit Fuß, Brust, Hintern. Im Liegen, Sitzen, Fallen 76 Die größten italienischen Stürmer 100 , JÜRGEN KLINSMANN, THOMAS MÜLLER WAYNE ROONEY, , JORGE LUIS BURRUCHAGA , NORMAN WHITESIDE 102 Mit ihren Toren machten sie Argentinien zum Weltmeister 56 Sie kämpften sich in die Herzen der Zuschauer 80 TOTO SCHILLACI, , JUAN ALBERTO SCHIAFFINO, K.-H. RUMMENIGGE, , RAÚL, 104 HÉCTOR CASTRO, RAIMONDO ORSI 58 DIETER MÜLLER, 82 , H.-J. KREISCHE, VAVÁ, LUIS SUÁREZ, ANGELOS CHARISTEAS, JÜRGEN SPARWASSER, 84 JAIRZINHO 106 GEOFF HURST, 60 Demut und Fairness und viele Salti 86 Der Meister der Finten und fiesen Tricks 108 Ganz verliebt in den WM-Pokal: Andreas Brehme 1990

10 DIE TORHÜTER Die Katze von Anzing: im Tor des FC Bayern. Ins Tor fand Mit 40 Jahren endlich Weltmeister 148 er nur durch Zufall HARRY GREGG, , PAT JENNINGS, PETER SHILTON 152 FRANTISEK PLANICKA, LEW JASCHIN Ein Meister der Robinsonaden und ein Revolutionär 154 SEPP MAIER Die Katze von Anzing wollte eigentlich Torjäger werden 156 , Zwei Kölner in jungen Jahren schon ganz oben 158 Immer weiter, immer weiter 160 Ein Mann für die besonderen Momente 162 , EDWIN VAN DER SAR, JÜRGEN CROY, 164 , Die Rekordspieler aus Italien und Spanien 166

DIE DIE DIE EDELMÄNNER DAUERBRENNER BALLKÜNSTL ER EUROPAS Ein Meister Kamerad, Mensch. Dirigent. Das personifi zierte Wunder von Bern 114 in der Selbst- Sein Siegeswille war der Motor für eine Weltkarriere 170 vermarktung: UWE SEELER Zlatan GÜNTER NETZER, Begeistert auch ein halbes Menschenleben nach Karriereende noch 118 Ibrahimovic Die großen Dirigenten vom Rhein 174 Wichtiger als jeder Sieg ist ihm die Fairness 124 , , 176 Von 1954 bis 1973 LOTHAR MATTHÄUS Der Nordire führte ein Leben wie im Rausch 178 im Trikot von Auf sein 150. Länderspiel hätte er gern verzichtet 130 Manchester United: FERENC PUSKAS, Bobby Charlton , KARL-HEINZ KÖRBEL, Dem einen fehlte die Leichtigkeit, der andere lebte von ihr 180 , 134 EUSÉBIO ZLATAN IBRAHIMOVIC Mit dem Instinkt eines Raubtieres 182 Ein Provokateur mit der Vorliebe für Fallrückzieher 136 MATTHIAS SINDELAR, OLDRICH , GIUSEPPE NEJEDLY, JOSEF MASOPUST 184 BERGOMI, , SILVIO PIOLA, 138 Eleganz, Stil, Ästhetik 186 Das Roma-Trikot ist seine zweite Haut 140 ZINÉDINE ZIDANE Ein Abgang in Schande 188 STAN MATTHEWS, , STEVEN GERRARD 142 LUÍS FIGO, ANDRÉS INIESTA, , 190 CAFÚ, , , MÁRIO ZAGALLO, ANTONIO CARBAJAL 144 Seine eigentliche Berufung fand er erst als Trainer 192

11 Das Jahrhunderttor von (M.) im WM-Viertelfi nale 1986 gegen England: Nach 50- Meter-Solo überwindet er Torwart Peter Shilton zum 2:0. Links: Terry Butcher

DIE BALLKÜNSTL ER SÜDAMERIKAS 12 PELÉ

Der beste Fußballer aller Zeiten. Als der Brasilianer sein 1000. Tor erzielte, läuteten im ganzen Land die Glocken. Dreimal wurde er Weltmeister, trug Schuhgröße 38.

LIONEL MESSI

Wenn Spaniens Journalisten über den Argentinier schreiben, huldigen sie ihm: Sie nennen ihn „König Leo“, „ET – der Außerirdische“ oder schlicht „Gott“.

JOSÉ LEANDRO ANDRADE Der Läufer aus Uruguay war der erste Popstar des Fußballs. Er verdiente sein Geld als Tangotänzer in Paris. 1930 trieb er sein Team zum ersten WM-Titel.

GARRINCHA

Der Wunderdribbler aus Brasilien war der unum- schränkte Held der WM 1962. Kein Gegner war ihm auf BALLKÜNSTL ER dem Platz gewachsen. Aber später verlief er sich. PELÉ ERSAT ZGOTT DER ARMEN Mit 17 Jahren war er das erste Mal Weltmeister, mit 29 Jahren das dritte Mal. Er schoss 1281 Tore. Er hat den Traum der Menschen aus den Favelas gelebt. Von ganz unten stieg er zum besten Fußballer aller Zeiten auf

14 ERSAT ZGOTT DER ARMEN

er Ball wurde Pelé im Strafraum halbhoch zugespielt. Er nahm ihn mit der Brust an, ließ ihn auf den Bo- Dden tropfen, hob ihn über seinen Gegen- spieler, umkurvte diesen blitzschnell, zog den Ball mit dem Knie wieder in seinen Bann und schoss ihn, ohne dass er noch einmal den Rasen berührte, volley ins Tor. Es war, als hätte sich Rastelli, der le- gendäre Jongleur, ein Fußballtrikot über- gestreift. 49 737 Augenzeugen im Råsun- da-Stadion von Stockholm beobachteten am 29. Juni 1958 die filigrane Darbietung im Strafraum der Schweden. Die meisten mit Entsetzen, die wenigsten mit enthusi- astischer Freude. Aber alle ahnten in die- sem Moment das Gleiche: Hier war einem 17-jährigen schmächtigen Burschen, gera- de 1,71 Meter groß, nicht nur ein unglaub- liches Tor gelungen, hier spielte ein kom- mender Weltstar vor. In den internationa- len Statistiken wird das Tor später so no- tiert: 3:1 Pelé (55. Minute). Als Pelé in der 90. Minute seinen zwei- ten Treffer im Spiel und seinen sechsten im Turnier erzielte, verstummten die schwedischen Zuschauer vor Bewunde- rung. Es war der wunderbare Schluss- punkt eines großen Auftritts. 5:2 gewann Brasilien das Spiel, das Finale um die Weltmeisterschaft. Über viele Fußballer erzählt man sich Wunderdinge. Im Gegensatz zu den meis- ten anderen hat Pelé die Wunder wirklich vollbracht. Mit seinem atemberaubenden Auftritt in Stockholm legte er den Grund- stein für eine Karriere, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte: Weltmeister 1958 mit 17 Jahren. Weltmeister 1962 mit Heldenverehrung: Am 21. Juni 21 Jahren. Weltmeister 1970 mit 29 Jah- 1970 wird Pelé vom Rasen des ren. Edson Arantes do Nascimento, wie ­Aztekenstadions in Mexiko-Stadt Pelé mit vollem Namen heißt, wurde getragen. Jeder will ihn berühren. Nach dem 4:1 gegen Italien ist er zum dritten Mal nach 1958 und 1962 Weltmeister 15 PELÉ

der beste Fußballer aller Zeiten, sam- Angefangen hatte die Karriere, die nächst „Gasolina“ (Benzin) gerufen. Trai- melte nicht nur WM-Trophäen, sondern ­einen Schuhputzerjungen zum Multimil­ ner Waldemar de Brito hatte das Talent mit dem FC Santos auch Cupsiege, Lan- lionär machte, in dem Dorf Três Corações für den Clube Atlético Baurú entdeckt, für des- und Regionalmeisterschaften in Se- im Bundesstaat Minas Gerais, 250 Kilo- den Pelé mit 14 Jahren seinen Einstand in rie. Er wurde mit seinem Verein Klub- meter nördlich von São Paulo. Nach meh- der ersten Mannschaft gab. „Passen Sie und Südamerika-Meister. reren Umzügen landete die Familie in gut auf den Jungen auf. Er ist ein Ge- Doch Pelés Markenzeichen waren Baurú. Dort gründete Dico, so wurde der schenk Gottes“, sagte Brito ahnungsvoll nicht Titel, sondern Tore, Tore, Tore. Von kleine Edson von seinen Eltern genannt, zu Pelés Mutter. Bald wurde der FC San- 1957 bis 1965 war er ohne Unterbrechung bald eine eigene Mannschaft: den Klub tos auf ihn aufmerksam. Die nächsten brasilianischer Torschützenkönig. Er soll „Setimo de Sétembro“ (7. September). Stationen verliefen wie im Zeitraffer: Ju- in 1363 Spielen 1281 Treffer erzielt haben. Aus dieser Zeit stammt auch der Name gendmannschaft, Liga-Reserve, Stamm- Soll. Es kursieren auch andere, leicht ab- Pelé. Noch heute streiten sich die Leute platz in der ersten Elf. 1957 Debüt in der weichende Zahlen. Pelé war nicht nur der über den Ursprung dieser weltberühmten Nationalmannschaft im Alter von 16 Jah- Schrecken aller Torhüter, sondern auch Buchstabenkombination. Eine Version ren und gleich das erste Tor beim 1:2 ge- aller Statistiker, die ihm 92 Hattricks zu- ­besagt, dass Edson den Namen eines von gen Argentinien vor 160 000 Zuschauern. schreiben. ihm verehrten Torwarts nicht richtig aus- Wie verkraftete ein Wunderknabe mit Als er in seinem 909. Spiel in Rio de sprechen konnte. Er sagte immer „Pelé“ der Schuhgröße 38 diesen kometenhaften Janeiro am 19. November 1969 gegen Vas- statt „Bile“. Die jugendlichen Mitspieler Aufstieg, ohne Allüren zu zeigen? Die co da Gama – ausgerechnet per Strafstoß sollen das lustig gefunden haben und ver- Antwort ist einfach: Pelé, der Junge aus – sein 1000. Tor erzielte, läuteten im gan- passten ihm den Spitznamen „Pelé“. An- einfachen Verhältnissen, hatte Charakter. zen Land die Kirchenglocken. dere behaupten, im Kino sei damals ein Und Charisma. Er verlor nie den Boden Bei Pelés Schuss herrschte Totenstille Film gelaufen, in dem ein afrikanischer unter den Füßen, typisch für Menschen im Stadion von Maracanã. Nachdem es Stamm Pelé geheißen habe. Der bis heute aus Minas Gerais. „Mineros essen still vollbracht war, sank er demütig auf die so Gerufene kann keinen überzeugenden und leise“ heißt ein brasilianisches Knie, Tränen kullerten über sein Gesicht. Beitrag zur Klärung des Sachverhalts leis- Sprichwort. Die Menschen im Stadion taten es ihrem ten, nur so viel: „Ein Pfarrer hat mir mal Pelé war zwar immer der Beste, der Idol gleich, die ganze Nation weinte vor gesagt, dass der Name im Alten Testa- Eleganteste, der Dynamischste, aber auch Glück. Präsident Emilío Garrastazu Mé­ ment vorkomme und ‚Chance‘ bedeute.“ einer der Bescheidensten. Er schrieb Au- dici rief einen Feiertag aus, die brasiliani- Übrigens: Beim FC Santos, für den togramme in Serie, wich keiner Reporter- sche Post druckte eine Sonderbriefmarke. Pelé von 1956 bis 1974 die Stiefel schnür- frage aus, hatte sich auf dem Fußball­ Der Schriftsteller Jorge Amado ver- te, wurde er wegen seiner Ausdauer zu- rasen, über den er mal tänzelte, mal ewigte die Geschichte vom 1000. Tor in ­einem wunderbaren Bilderbuch. In „Bola und der Torhüter“ wird der Name Pelé nie genannt. Doch jeder weiß, wer mit dem „großen Fußballkönig“ gemeint ist, der TOTENSTILLE BEIM vor seinem 1000. Treffer steht. Bola, der Ball – im Portugiesischen weiblich – hat sich ausgerechnet in einen Fliegenfänger 1000. TOR. DANN SINKT ER verliebt, der dank ihrer Anhänglichkeit zum Startorwart aufgestiegen ist und im Kasten steht, als Pelé sein Jubiläumstor DEMÜTIG AUF DIE KNIE erzielen soll. Der entflammte Ball will nicht in die Maschen und sinkt dem Tor- wart schließlich glücklich in die Arme. Brasiliens Stürmerstar muss sein 1000. Tor ein anderes Mal erzielen. Die Moral der Geschichte: Um Pelé dreht es sich ­immer, auch wenn er nicht genannt wird. Und nur die Kraft der Liebe ist es, die den Fußballkönig aufhalten kann. Nicht nur die heimischen Radio- und Fernsehsender verkündeten das Jubilä- Das sagenumwobene um, das zuvor nur dem deutschstämmi- Tor zum 3:1 im WM-­ Finale 1958 gegen gen Brasilianer Artur Friedenreich und Schweden. Pelé dem Österreicher Franz „Bimbo“ Binder (2. v. l.) jubelt, der Ball gelungen war. Die frohe Botschaft vom liegt rechts im Tor. Der 1000. Tor verbreitete sich weltweit. Nur WM-Gastgeber ist die US-amerikanischen Blätter huldigten geschlagen. Kurz vor am nächsten Tag anderen Helden: den Ende erzielt Pelé den Astronauten Conrad und Bean, denen die 5:2-Endstand zweite Mondlandung geglückt war.

16 BIOGRAFIE

Geboren am 23. Oktober 1940 in Três Corações (Brasilien). 1956 bis 1974: 1114 Spiele und 1088 Tore für den FC Santos, elfmal brasilianischer Meister. 1975 bis 1977: 111 Spiele und 65 Tore für Cosmos New York, 1977 Meister der North American Soccer League. 1957 bis 1971: 92 Länderspiele und 77 Tore für Brasilien. 1958: Erste WM-Teilnahme und mit 17 Jahren jüngster Weltmeister aller Zeiten. 1962: Weltmeister, Gewinn der Copa Libertadores (Südamerika-­Meisterschaft). 1963: Gewinn Copa Libertadores. Der 17 Jahre alte Pelé 1969: 1000. Tor der Karriere. kurz vor der WM in 1970: Weltmeister. Schweden. Er trägt die 1971: Abschied aus der offizielle Teamkleidung – Nationalmannschaft. Strickware. Auf dem 1977: Karriereende am 1. Oktober. Beutel seine Nummer 10. Sie begleitete Pelé seine gesamte Karriere

Anlauf zum 1000. Tor: Auch über die Grenzen Am 19. November hinaus beliebt: Pelé 1969 erzielt Pelé (l.) begrüßt bei der WM im Spiel gegen Vasco 1962 in Chile weiß da Gama per Elfmeter gekleidete Schülerin­ seinen Jubiläums­ nen. Das Turnier treffer. Landesweit endet mit Tränen. läuten die Glocken, Pelé verletzt sich der Präsident ruft in der Vorrunde, kann ­einen Feiertag aus nur noch zuschauen

17 ABITUR MIT 30 BESTANDEN Als Pelé von seinen Eltern und Freunden noch „Dico“ gerufen wurde, hasste er die Schule. Lernen? Ein Fremdwort für den fußballverrückten Jungen, der seine Freizeit am liebsten mit dem Ballspiel und Faulenzen ver- brachte – wenn er von seiner Mutter nicht zum Geldverdienen auf die Straße geschickt wurde. Weil der Lohn des Vaters selten ausreichte, um die Familie ausreichend zu versorgen, musste Pelé die Haushaltskasse als Nussverkäufer und Schuhputzer aufbessern. Als er mit zwölf Jahren die Schule abbrach, verschaffte ihm sein Vater einen Ausbildungsplatz bei einem Schuster, wo Pelé aber nur sporadisch erschien. Pelé bejubelt sein 1:0 im Nur wenige Jahre später bereute WM-Finale 1970. Jairzinho er sein Desinteresse an Bildung und feiert den Torschützen, es ist Beruf. Er quälte sich mit Selbst- Brasiliens 100. Treffer bei vorwürfen, verfluchte seine Faulheit einer­ Weltmeisterschaft und begann während der Europa- reisen des FC Santos, an seinem Bildungsdefizit zu arbeiten. Pelé beschäftigte sich mit Literatur, las Sachbücher und lernte Sprachen. Ein bisschen Spanisch, Italienisch und Französisch. In dieser Zeit fand er auch Interesse an der englischen Sprache, was sich anderthalb Jahrzehnte später bei seinem Wechsel zu Cosmos New York als überaus hilfreich erweisen sollte. Noch auf dem Höhepunkt seiner Karriere besuchte Pelé Abendkurse und bestand sein Abitur 1970 im Alter von 30 Jahren.

Giganten des Welt- Immer unter Der Schein trügt: Pelé fußballs: Uwe Seeler Beobachtung: Pelé mit dem Jules-Rimet-­ (l.) und Pelé 1962 im Umkleideraum des WM-Pokal 1962. Er beim Gastspiel des FC FC Santos 1960. ­lächelt bei seiner zwei- Santos im Hamburger Er ist schmal, misst ten Weltmeisterschaft nur 1,71 Meter nur für die Fotografen

18 PELÉ

sprintete, auf dem er die Lederkugel schleppte sich zur Seitenlinie. In Windes­ beharkt, geschubst, getreten, brutal aus­ streichelte wie kein anderer, trotz unge­ eile bildete sich ­eine Traube um den An­ geschaltet. Seine schlimmsten Gegner zählter Stollenschuh-Attentate meist im geschlagenen. Trainer und Ärzte redeten ­hießen Jetchev (Bulgarien) und Morais Griff. Meist: 1965 brach er dem Hambur­ auf Pelé ein, beschwichtigten, untersuch­ (Portugal). Ein ungarischer Zerstörer be­ ger Willi Giesemann im Länderspiel „mit ten, massierten ihn. Er biss auf die Zähne, findet sich nicht auf der Liste, weil Pelé da voller Absicht das Schienbein, stieg mit hielt durch und stand doch verloren auf schon verletzt fehlte. Die englische Zei­ seinen Stollen drüber“, wie Vorstopper dem Platz, auf dem die Tschechoslowaken tung Daily Mirror empörte sich: „Ein Kö­ , einige Male Gegenspieler plötzlich den König ausspielten, als wäre nig wurde abgeschlachtet!“ Pelés, erzählt. „Diese Aktion passte über­ er ein Bettelmann. Brasilien schied aus, und Pelé schwor haupt nicht zu ihm. Pelé habe ich außer­ Kein Tag verging danach mehr ohne sich: Nie wieder spiele ich eine WM! halb des Spielfeldes als absolut gutmüti­ neue Krankenstandsmeldungen. Der Glücklicherweise wurde er wortbrüchig. gen Menschen wahrgenommen.“ Mannschaftsarzt nach der Vorrunde: „Im 1970 in Mexiko war er wieder dabei, und Schon in jungen Jahren stieg er zum Halbfinale ist er wieder fit.“ Pelé nach die Fußball-Welt bestaunte seine Kunst. Ersatzgott für die dunkelhäutige Bevölke­ dem Viertelfinale: „Vielleicht bin ich im „Im Endspiel saß ich auf der Tribüne und rung im Schmelztiegel Brasilien auf, wo Endspiel dabei.“ Und nach dem Halbfi­ sah die beste Nationalelf Brasiliens aller es zwar wenig Rassismus, aber viel Armut nale: „Ich werde heulen, wenn ich im Fi­ Zeiten“, erzählt Willi Schulz, „trotz Welt­ gab. Pelé lebte den Traum der Favela-Be­ nale zusehen muss. Ich hoffe, es geht.“ klassespielern wie Rivelino, Carlos Alber­ wohner: Von weit unten kommend, stieg Er musste heulen. Als Brasilien mit to, Brito und Jairzinho, Tostão und Gerson er zum Star und Millionär auf. Zum 65. dem 3:1 gegen die Tschechoslowakei stach Pelé aus dem Team heraus und er­ Geburtstag am 23. Oktober 2005 gratu­ ­seinen zweiten WM-Titel holte, saß Pelé lebte in Mexiko seinen absoluten Höhe­ lierte die FAZ: „Pelé hatte immer die Aus­ in Hut und Mantel auf der Tribüne. punkt.“ Er führte sein Team als Dirigent strahlung funkelnder Vitalität, stark wie Pelé verließ Chile als verschlossener, in und 1:0-Torschütze im Finale gegen Italien ein Baum, geschmeidig wie ein Panther; sich gekehrter Mann. Doch in Brasilien (4:1) zum dritten WM-Titel. Das Foto, wie einer, dem alles gegeben ist.“ sangen Menschen immer noch: „Schwarz Pelé nach dem Kopfballtor in der 18. Mi­ Aber auch Panther sind verwundbar, ist der Kaffee, schwarz ist Pelé. Gut ist der nute von Jairzinho hochgehoben wird, die wie sich bei der Weltmeisterschaft 1962 in Kaffee, gut ist Pelé. Allah ist Allah, und Hand zur Faust geballt, ist weltberühmt. Chile zeigte. Nach 25 Minuten im zweiten Mohammed ist sein Prophet. Aber Allah Es war Brasiliens 100. Treffer bei einer Vorrundenspiel gegen die Tschechoslowa­ im Fußball, das ist Pelé.“ Weltmeisterschaft. Nach dem Endspiel am kei verletzte er sich bei einem raffinierten Vier Jahre später in England erlebten 21. Juni wurde Pelé von jemandem aus der Drehschuss das rechte Knie. Pelé humpel­ die Zuschauer die Fortsetzung seines Masse jubelnder Betreuer und Zuschauer te und versuchte, sein Knie zu beugen, WM-Dramas. In der Vorrunde wurde er geschultert und vom Platz getragen. Ein Jahr nach dem dritten WM-Titel verabschiedete sich Pelé aus der National­ elf. Die brasilianische Zeitung „O Globo“ wählte ihn im selben Jahr vor Muhammad PELÉ LEBT AUF KLEINEM Ali zum „Jahrhundert-Athleten“. Pelé feierte noch viele Abschiede. 1974 vom FC Santos, 1977 von Cosmos New FUSS, TRÄGT NUR York, wo er mit seinem einstigen Gegner Franz Beckenbauer einen kongenialen Mitspieler gefunden hatte. Als 40 Kame­ SCHUHGRÖSSE 38 ras Pelés sportliches Finale weltweit über­ trugen und 75 000 Zuschauer im Stadion von East Rutherford (New Jersey) „good­ bye!“ riefen, flüsterte er in die Mikrofone: „Ich widme dieses Spiel allen Kindern der Welt.“ Tränen kullerten über sein Gesicht. Tränen der Trauer und Rührung. 1985 gratulierte die Fifa Pelé zum 45. Geburtstag mit den Worten: „Durch ihn wurde der Fußball zur Kunst.“ Die Bewohner seines Geburtsortes Três Corações hatten ihn schon viel früher ge­ ehrt: 1971 enthüllten sie eine Statue für ihn. Für sie ist Pelé unsterblich. Abschied vom Erst im höheren Alter streifte Pelé sei­ Profifußball: Pelé ne Bescheidenheit ab, ohne sein freundli­ 1977 bei Cosmos ches Wesen zu verlieren. Einmal sagte er: New York mit Giorgio „Die dänische Königin hat mich vor Kur­ Chinaglia (l.) und zem eingeladen, weil sie sich sehr geehrt Franz Beckenbauer (r.) fühlen würde, den einzigen vom Volk ge­ krönten König zu treffen.“

19 1997 debütierte er in der italienischen Nationalelf, 2017 fliegt er noch immer: der unverwüstliche Gianluigi Buffon. Und: Er ist noch immer weltklasse

DIE TORHÜTER 146 DINO ZOFF

Mit 40 Jahren wurde der Italiener endlich Weltmeister. Als ältester Spieler aller Zeiten. 1982 war das. Die Eierkur seiner Oma Adelaide machte ihn stark.

LEW JASCHIN

In 78 Länderspielen kassierte der Russe nur 70 Gegentore. Seine Landsleute nannten ihn „schwarze Spinne“. Er erfand das Torwartspiel neu.

SEPP MAIER

Die „Katze von Anzing“ wollte eigentlich Stürmer werden, im Tor stieg er zum Welt- klassemann auf, wurde Weltmeister. Er prägte die große Ära des FC Bayern.

MANUEL NEUER

Vor der WM 2010 wurde er die Nummer 1 der deutschen Nationalelf und ist seitdem praktisch konkurrenzlos. Der TORHÜTER Bayern- Profi ist ein Mann für die ganz großen­ Augenblicke. OLIVER KAHN IMMER WEITER, IMMER WEITER

Der „Titan“ war besessen von seinem Siegeswillen, wurde achtmal Deutscher Meister. Leider patzte er in seinem größten Spiel

ie Bayern standen der Beste zu sein. „Kein Profi auf der Welt setzte er 2002 zum Würgegriff an und mit dem Rücken zur arbeitet härter an sich als der Olli“, sagte malträtierte 2004 mit seinen Pranken die Wand. Zwei Jahre nach sein früherer Mitspieler Giovane Elber. Nase von Miroslav Klose. dem Trauma von Barcelona, als sie gegen Bezeichnend: Als Kahn 1999 die erste Kahn polarisierte, war für gegnerische Manchester United durch zwei Gegentore seiner drei Auszeichnungen als Welttorhü- Anhänger das geborene Feindbild. Wenn er Din der Nachspielzeit noch die sicher ge- ter erhielt, versprach er seinem größten bei Auswärtsspielen das Feld betrat, flogen glaubte Champions-League-Trophäe aus Förderer und Mentor Sepp Maier, nun oft Bananen in Richtung seines Tores, der Hand gaben (1:2), drohte ihnen am 23. „noch mehr zu trainieren“. Affenlaute schallten durch die Arena. 2000 Mai 2001 die nächste Horrornacht. 2:2 Unvergessen bleibt auch seine Rolle im traf ihn in Freiburg gar ein Golfball an der stand es zwar erst im Elfmeterschießen spektakulären Saisonfinale 2000/01: Als Schläfe und hinterließ eine riesige Platz- ­gegen den FC Valencia, die Spanier hatten die Bayern in der 90. Minute gegen den wunde. „Kahn gehört in den Käfig und aber noch einen Versuch mehr, weil Bay- HSV mit 0:1 in Rückstand gerieten und die weg“, kommentierte Robert Wieschemann, erns Paulo Sérgio gleich den ersten Elfme- Meisterschale verloren schien, war es Aufsichtsratschef des 1. FC Kaiserslautern. ter über das Tor geschossen hatte. Kahn, der voller Adrenalin seine erstarrten Doch es gab Momente, da war Kahn der Doch im Münchner Tor stand ein Mitspieler zum Weitermachen motivierte. Held der Nation. Bei der WM 2002 führte Mann, der sich nicht erneut in sein Schick- Ja, er peitschte sie an. Bayern glich in der er Deutschland praktisch im Alleingang sal ergeben wollte: Oliver Kahn. Angetrie- vierten Minute der Nachspielzeit aus und ins Finale gegen Brasilien und wurde als ben von den bitteren Erinnerungen und gewann doch noch den Titel. Wie ein Der- bester Spieler des Turniers mit dem Golde- der eisernen Zuversicht, so etwas nicht wisch rannte Kahn zur Eckfahne, riss sie nen Ball ausgezeichnet. Aber ausgerechnet noch einmal durchmachen zu müssen, aus der Verankerung, fiel auf den Rücken im Endspiel erlebte er den bittersten parierte der Mann, den sie ­„Titan“ nann- und jubelte. Entrückt von dieser Welt. Moment seiner Karriere: Beim Stande von ten, die Elfmeter von Zlatko Zahovic, Manchmal trieb ihn sein Eifer schier in 0:0 ließ er einen Weitschuss von Amedeo Carboni und Mauricio Pellegrino den Wahnsinn. Dann konnte Kahn seine prallen und legte so Ronaldo den Ball zum und wurde zum Helden. 25 ­Jahre nach Emotionen nicht mehr zügeln, vergriff sich 1:0 vor. Die Vorentscheidung, Brasilien ge- dem letzten Triumph (1976) ­gewann an Gegenspielern: Dem Dortmunder Heiko wann schließlich 2:0. Nach der Partie kau- Bayern wieder den Henkelpott. Herrlich knabberte er 1999 an der Wange, erte Kahn minutenlang am Torpfosten. „Wir wären nie Champions-League- Stéphane Chapuisat flog er im gleichen „Es gibt in dieser Situation keinen Sieger geworden ohne die Leistung von Spiel mit gestrecktem Bein in Kung-Fu- Trost“, stammelte er mit Tränen in den Au- Kahn auf dem Platz und dem Charakter Manier entgegen, gegen Thomas Brdaric gen und gewann ausgerechnet im Moment und Willen, den er ausstrahlt. Er hat das der Schwäche ungeheure Sympathie in personifizierte Bayern-Gen und war der seiner Heimat. Es sollte seine einzige Welt- wichtigste Spieler in den letzten Jahren“, meisterschaft als Nummer 1 bleiben. Bei blickte ­Bayerns Vorstandsvorsitzender der Heim-WM 2006 musste er wie schon Karl-Heinz Rummenigge kurz vor Kahns bei der EM 1996 sowie den WM-Endrun- Karriereende­ im Jahr 2008 auf die Nacht den 1994 und 1998 auf der Bank Platz neh- von Mailand zurück. men. Das Trainerteam um Jürgen Klins- Das personifizierte Bayern-Gen – damit mann und Joachim Löw hatte sich gegen meinte Rummenigge Kahns unbändigen ihn und für den großen Rivalen Jens Siegeswillen. Er lebte das auf dem Fußball- Lehmann entschieden. Für Kahn, schon platz aus, was er einmal so ausdrückte: 36 Jahre alt, brach eine Welt zusammen. „Immer weiter, immer weiter.“ Ob als Ta- Dennoch bewies er wahre Größe. „Es lent bei seinem Heimatverein Karlsruher geht nicht um Oliver Kahn oder persönli- SC (1975 – 1994) oder in seiner 14-jährigen che Belange, sondern um etwas viel Größe- Ära beim FC Bayern (1994 – 2008) mit acht res, die WM in Deutschland“, verkündete Meistertiteln (-Rekord), sechs er. Beim 3:1-Sieg gegen Portugal im Spiel Pokalsiegen, dem Gewinn des Uefa-Cups um Platz drei, seinem ersten Turnier- 1996 und besagtem Champions-League- einsatz 2006, stand er das 86. und letzte Titel – Kahn war vom Ehrgeiz besessen, 2008 zum achten Mal Deutscher Meister: Bayerns Kapitän Kahn Mal im deutschen Tor.

160 IMMER WEITER, IMMER WEITER

BIOGRAFIE

Geboren am 15. Juni 1969 in ­Karlsruhe. 1987 bis 1994: 128 Ligaspiele für den Karlsruher SC. 1994 bis 2008: 429 Spiele für den FC Bayern, Meister 1997, 1999, 2000, 2001, 2003, 2005, 2006 und 2008, Pokalsieger 1998, 2000, 2003, 2005, 2006 und 2008, Uefa-Cup-Sieger­ 1996, Champions-­League-Sieger 2001, Weltpokalsieger 2001, Welt- tor ­hüter 1999, 2001 und 2002. 1993 bis 2006: 86 Länderspiele, 1996 Europa- meister (ohne Einsatz), 2002 Vize- weltmeister, 2006 WM-Dritter.

Der Held von Mailand: Oliver Kahn lässt seinen Emotionen nach dem dritten gehaltenen Elfmeter im Champions- League-Final­ e 2001 freien Lauf. Bayern gewinnt mit dem 6:5 n. E. gegen Valencia nach 25 Jahren wieder den Henkelpott