2012-03-09 Norbert Glanzberg Überarb 2.Txt
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1 Hochzeitstag Norbert Glanzberg und das Protokoll eines gescheiterten Projekts Von Ed Stuhler URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. DeutschlandRadio Sendung: 9. März 2012 /DLF 1 2 01 Musik : Demo „Zusammen leben“ (O-Ton ev. techn. überarbeiten) Gisela: „Zusammen leben“, Augenblick, der Text, ich hab ihn jetzt nicht hier. Also, wir wollen es so aufnehmen: Eine Strophe … und alle Strophen … Glanzberg: Willst du die Musik haben? Gisela: Nee, den Text brauch ich, den hab ich jetzt nicht Gl.: Hast du ihn? G.: Nee. Gl.: Hier, dann nimm ihn … Vorspiel, (Gisela setzt zu früh ein) Gl: Zu früh Zusammen leben „Als wir uns fanden, vor etlichen Jahren …“ Refr. als Duett (dem Erzählertext unterlegen) Erzähler 1 November 1984. In Pariser Nobelvorort Neuilly sitzt ein Mann an seinem Klavier und probt mit einer Sängerin Lieder, die er komponiert hat. Der Komponist heißt Norbert Glanzberg. Die Frau ist Gisela May, die weltbekannte Brecht- Interpretin. An diesem Tag entsteht eine Demokassette, nicht zur Veröffentlichung bestimmt, sondern als Arbeitsgrundlage für Gisela May und den nicht minder berühmte Wiener Burgschauspieler und Sänger Michael Heltau. Was Glanzberg aufnimmt, sind die Songs eines Zwei-Personen- Musicals, dessen Libretto ich im Jahr zuvor geschrieben habe. 01 Musik : Demo „Weißt du noch“ Erzählerin 2 Das Stück heißt „Hochzeitstag“: Christine, Schauspielerin, und Henry, Akademiker, wollen wie immer im Kreise der Familie ihren Hochzeitstag feiern – in diesem Jahr den dreißigsten. Ihre drei erwachsenen Kinder sagen jedoch nacheinander ab. Plötzlich befindet sich das Paar in einer Ausnahmesituation, die dazu führt, dass die beiden über ihr Leben und ihre Beziehung nachdenken – Szenen einer Ehe. Der Versuch, sie auf die Bühne zu bringen, wird Szenen einer unmöglichen Realisierung provozieren, Szenen der schwierigen Zusammenarbeit eines Ostberliner Librettisten mit einer Ostberliner Schauspielerin, einem Wiener Schauspieler und einem Pariser Komponisten. 2 3 01 Musik Ansage: Hochzeitstag. Norbert Glanzberg und das Protokoll eines gescheiterten Projekts von Ed Stuhler 04 Gisela May Ich hatte in Paris einen Abend mit Brecht-Songs. Und am Ende dieser Vorstellung kam er zu mir in die Garderobe, hatte drei, vier Noten von Liedern bei sich und sagte: Ich bin Norbert Glanzberg, ich habe Berlin verlassen müssen als Jude und lebe jetzt hier in Frankreich. Und es wäre nett, wenn sie sich diese Lieder mal anschauen würden - 05 Musikakzent: Vorspiel „Ich bin ein kleiner Koffer“ Erzählerin 2 Es ist das Frühjahr des Jahres 1984, als Norbert Glanzberg in Gisela Mays Garderobe steht. Die Lieder, die er ihr an diesem Tag anbietet, sind Vertonungen deutscher Texte – etwas, was er seit vielen Jahren nicht mehr getan hat. In der Bibliothek des Pariser Goethe-Institutes war ihm ein Buch in die Hand gefallen, das ihn faszinierte, eine Anthologie mit dem Titel: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Unter dieser Zeile Paul Celans, hatte der Lyriker Bernd Jentzsch Gedichte jüdischer Autoren veröffentlicht. Viele hatten den Holocaust nicht überlebt. 05 Musik : Gisela May „Ein Koffer spricht“ (Vorspiel im vorigen Erzählertext einblenden) Ich bin ein kleiner Koffer aus Frankfurt am Main, und ich suche meinen Herrn, ja, wo mag der wohl sein? Der Herr trug einen Stern, und er war alt und blind, und er erhielt mich gut, als wäre ich sein Kind. (die letzten beiden Zeilen im folgenden O-Ton ausblenden) 3 4 06 Gisela May 3. „Der kleine Koffer“, oder – die … andern hab ich jetzt nicht unbedingt im Kopf, wie die hießen, aber es war eben spürbar, dass er sie als Deutscher komponiert hat, in Frankreich lebend. Aber innerlich war er eben ein deutscher Jude. 05 Musik : „Ein Koffer spricht“ (im vorigen O-Ton einblenden ab 02.10) Ich bin ein kleiner Koffer aus Frankfurt am Main, und ich suche meinen Herrn, ja, wo mag der wohl sein? (Bis zum Schluss des Liedes – Beifall im folgenden O-Ton ausblenden) 07 Gisela May Er hatte dann … gemerkt …, dass ich … seine Musik … wirklich ganz wunderbar fand und auch in meine Programme, wenn ich also nicht nur einen reinen Brecht- Abend gab, auch in meine Programme mit aufgenommen habe, einige seiner Lieder, und auch dann zum Teil auch Publikum nach der Vorstellung kam zu mir: Wer ist denn das? Und dieser „Kleine Koffer“, das hat uns ja so bewegt, wer ist denn der Komponist? 08 Musik : Glanzberg „Suite Yiddish“ Erzählerin 2 Als Gisela May Glanzberg kennen lernt, ist er Mitte Sechzig. Geboren wurde er 1910 in Galizien, in einem kleinen Städtchen namens Rohatyn. Als er ein Jahr alt ist, ziehen seine Eltern nach Würzburg. 09 Norbert Glanzberg 1 Mein Vater …, der fuhr jede Woche auf Reisen mit nem kleinen Koffer und verkaufte die Spirituosen und Weine usw. Und er hat mir mal … eine Mundharmonika mitgebracht … Musikakzent Suite Yiddish 09f Norbert Glanzberg Bei Geburtstagen und Festen, jüdischen Festen, wurde ich auf einen Tisch gehoben, weil ich so klein war, und musste meine Mundharmonika-Kunststücke vorführen. Und da hat mir meine Mutter folgendes erzählt: Da gab es … ein Kino damals, das hieß Lu-Li, Lu-Li, es war ein UFA-Kino. Und die Stummfilme wurden doch immer von einem kleinen Orchesterchen begleitet. Und da soll ich mal zu meiner Mutter gesagt 1 Die Interviewpassagen mit Norbert Glanzberg entstammen zwei Sendungen der Bayerischen Rundfunks von Gerd Liedtke und Astrid Freyeisen 4 5 haben, ich saß auf ihren Schoß: Mama, warum weint die Musik und warum lacht die Musik? Musikakzent Suite Yiddish Erzählerin 2 Glanzberg wird später viel Musik schreiben, die weint und lacht. Doch vorerst besucht er das Würzburger Konservatorium und findet mit achtzehn eine Stelle als Korrepetitor am Stadttheater. Ein Jahr später wechselt er ans Aachener Theater, wo er mit Alban Berg und Béla Bartòk musiziert, erzählt sein Sohn Serge Glanzberg: 10 Serge Glanzberg 7. Er hatte eine Freundin da, die eine Tänzerin war. Und die Tänzerin wollte nach Berlin gehen … zu eine Probe im Admiralspalast. Und Norbert war niemals in ein großes Stadt wie Berlin. Er war 19 Jahre alt, … sie waren sehr verliebt, sie sind zusammen nach Berlin gefahren mit dem Zug. Es gab die Probe mit der Leiter der Admiralpalast, der Komponist und der Orchest-Dirigent. Und nach die Probe mit die Tänzerin den Komponist hat gefragt den Klavierspieler Norbert: Bitte eine Minute, können wir zusammen sprechen? …Wenn sie wollen, sie fängen an nächste Woche hier in Admiralspalast, weil … wir brauchen zwei Orchesterleiter für jeden zweiten Tag. … Erzählerin 2 Der Komponist, der ihn entdeckt, ist niemand Geringeres als Emmerich Kálmán, der Schöpfer der „Csardasfürstin“. 1931 startet Glanzberg eine furiose Karriere im glitzernden pulsierenden Berlin. 11 Musik : Comedian Harmonists „Hasch mich ” (Vorspiel im vorigen Erzählertext einblenden – im folgenden O-Ton ausblenden) (Chanson für Edith 10.34) 12 Norbert Glanzberg 8. Mit 20 Jahren war ich bei der UFA angestellt als Komponist, Anfänger, und schrieb schon Musikfilme, da waren, da sangen nämlich die Comedian Harmonists ein dummes Chanson „Hasch mich, mein Liebling, hasch mich“. Und ich schrieb einen ersten Film mit … Billy Wilder, man nannte damals Billy Wilder, Wilder (deutsche Aussprache) und dann mit Max Ophüls und mit Erich Kästner und hatte gute Kritiken. 5 6 Zitator Glanzberg (liest fremdes Zitat über sich) „Der in der Aufführung so auffallend gelungene neue Schwank der UFA- Produktion macht auch durch seine schmissige Schlagermusik aufhorchen. Norbert Glanzberg heißt der neue Mann, dessen Lieder man gleich mitsingen kann. Er geht ins Ohr, sein Rhythmus wirkt verführerisch. Der bisher unbekannte Komponist kann sich gleich neben die bewährtesten Namen stellen. Die illustratorischen Absichten wirken wie bester Holländer. Dieser Glanzberg hats im Handgelenk. Solche Musik ist im Kino hochwillkommen. Filmkurier, März 1931. Musik Vergiss nicht, dass du Jude bist 13 Norbert Glanzberg 9. Man merkte schon seit 1931/32, es roch nach etwas. … Und die UFA vermied es, jüdische Leute zu engagieren. Dann hatte ich die Ehre, der Goebbels war damals der Gauleiter, Gauleiter in Berlin, mit seiner Zeitung „Der Angriff“. Und da schrieb er einen Artikel über die verjudete UFA und dieser kleine galizianische Jude Norbert Glanzberg nimmt auch von den Deutschen das Brot weg – das stand in der Zeitung. Zitator Glanzberg (liest fremdes Zitat über sich) „Die UFA-Tonfilmkomponisten sind sämtlich Juden; die Herren May, Meisel, Grabowski, Heymann, Glanzberg, Hollaender, Gilbert, Erwin Strauß usw. Deutsche Literatur, Zeitungen und Filme müssen nur von deutschen, fühlenden Menschen redigiert werden.“ „Der Deutsche Film“, Zeitung der NSDAP, am 15. Juli 1932. Musik Vergiss nicht, dass du Jude bist 14 Gisela May 10. Er erzählte … wie er … von einem Tag zum andern Berlin verließ als Jude, der so schnell wie möglich raus musste. … Dass seine Wirtin am Bahnhof stand, als er von irgendeiner Probe kam … und sagte, Herr Glanzberg, kommen sie auf gar keinen Fall in ihre Wohnung zurück. Sie sind in Lebensgefahr. Zitator Glanzberg „Die Gestapo erwarte mich in meiner Wohnung. Ich konnte nur noch unversehens kehrtmachen und mit dem nächsten Zug nach Paris fliehen. So kam der vormalige, hoffnungsvolle Korrepetitor aus Aachen in seine zweite 6 7 Großstadt. Ein Flüchtlingsheim irgendwo zwischen Clichy und Belleville nahm