Béla Tarr: Eine Arbeitsbibliographie 2014
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Repositorium für die Medienwissenschaft Caroline Amann; Ludger Kaczmarek; Christian Wehmeier; Olaf Möller Béla Tarr: Eine Arbeitsbibliographie 2014 https://doi.org/10.25969/mediarep/12793 Veröffentlichungsversion / published version Buch / book Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Amann, Caroline; Kaczmarek, Ludger; Wehmeier, Christian; Möller, Olaf: Béla Tarr: Eine Arbeitsbibliographie. Westerkappeln: DerWulff.de 2014 (Medienwissenschaft: Berichte und Papiere 159). DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/12793. Erstmalig hier erschienen / Initial publication here: http://berichte.derwulff.de/0159_14.pdf Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Creative Commons - This document is made available under a creative commons - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0/ Attribution - Non Commercial - No Derivatives 4.0/ License. For Lizenz zur Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu dieser Lizenz more information see: finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Medienwissenschaft: Berichte und Papiere 159, 2014: Béla Tarr. Redaktion und Copyright dieser Ausgabe: Hans J. Wulff u. Ludger Kaczmarek. ISSN 2366-6404. URL: http://berichte.derwulff.de/0159_14.pdf. Letzte Änderung: 20.8.2014. Béla Tarr: Eine Arbeitsbibliographie Zusammengestellt von Caroline Amann, Ludger Kaczmarek und Christian Wehmeier Mit einer Einleitung von Olaf Möller Inhalt: Tarrs: Die Erfahrung von Gegenwart und Gemein- Einleitung schaft, Dauer und Raum angelegentlich einer Prä- Bibliographie sentation schwarzweißer Bilder und einiger weniger Bücher Klänge, die mal Worte sind und mal Töne und mal Artikel Musik. Sátántangó, dieses Antiepos vom Zerfall Artikel und Rezensionen zu den einzelnen Filmen einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossen- schaft in spät- bis postkommunistischen Zeiten, be- steht im Wesentlichen aus Plansequenzen, die auch Einleitung mal zehn, zwölf Minuten lang sein können. Die we- nigsten davon wirken forciert, im Sinne von: Alles Auch die Bäume, der Weg, der Regen und die hat sich nach der Kamerabewegung zu richten. Viele Nacht strömten Ruhe aus – das Kino des Béla haben sogar etwas recht Spontanes, so als hätte es Tarr (*) vorab eine gewisse Abmachung darüber gegeben, von Olaf Möller was in etwa in den folgenden Szenen passieren solle, aber auch nicht mehr – sodass die Kamera im Au- Tarr Béla ist der international einflussreichste mittel- genblick der Aufnahme das Geschehen ganz direkt europäische Filmemacher der Nach-1989er-Dekaden erforschen kann. Das heißt: Die Darsteller „führen“ – was nicht heißt, dass sein Schaffen allgemein ge- die Kamera. Selten nur hat man den Eindruck, dass läufig und regelmäßig zu sehen wäre, ganz im Ge- sie sich einem Regie- und damit einem Kamerakon- genteil. Davon abgesehen: Wenn die Leute vom zept unterwerfen. Der Gesamteindruck ist eigen-, ja Schaffen Tarrs schwärmen, der Radikalität seiner widersinnig: Einerseits ist da eine mächtige Luftig- Ästhetik, dann reden sie in Wirklichkeit eigentlich keit in jedem Moment, andererseits wirken die ein- immer nur von einem Film: Sátántangó (1994), ein zelnen Szenen wie versiegelt; einerseits hat das et- rund siebeneinhalb Stunden langes Monument, das was brachial Veristisches, andererseits etwas Ab- damals, noch während seiner ersten internationalen straktes am Rande zum Transzendentalen – Spiritu- Vorführung bei der Berlinale 1994, zum Axiom alität für eine Zeit nach Gott. einer ästhetischen Spätmoderne akklamiert worden Tarrs Eltern waren beide beim Theater beschäftigt: war. Wobei kaum jemand Sátántangó je zu sehen Der Vater als Bühnenbildner, die Mutter als Souf- bekam, was daran liegt, dass sich Kinos nur in Aus- fleuse. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte der 1955 nahmefällen dazu aufschwingen, solche Normen- in Pécs geborene Béla eine Karriere als Schauspieler sprenger zu zeigen. Freilich gibt es DVD-Veröffent- anstreben sollen. Mitte der 1960er war er sogar ein- lichungen; da sieht und hört man zwar was, nur ge- mal in einer TV-Produktion zu sehen; interessiert hat lebt hat man Sátántangó so nicht. Wie auch, wenn ihn das aber anscheinend nicht – zumindest blieb’s weder der Film selbst atmet noch eine Menschen- bei diesem einen Auftritt (Mitte der 1980er kehrte er masse oder zumindest -menge um einen herum, und denn doch noch einmal vor die Kamera zurück, für man mit ihr? Und darum geht es bei diesem Brocken den großen Jancsó Miklós). filmgewordenen Lebens, überhaupt dem Schaffen Béla Tarr // Medienwissenschaft, 159, 2014 /// 2 Was Tarr wollte, war Regie führen, auf diese Weise wurde auch der Komponist Vig Mihály, dessen mi- mit der Wirklichkeit arbeiten. Seine ersten Amateur- nimalistisch-serielle Walls of Sound als eigenständi- filme gestaltete er als Teenager, in den frühen 1970- ge Elemente neben den Bildern und sonstigen Klän- ern. Diese waren offenbar so außerordentlich, dass gen dahinfließen, sowie der Kameramann Fred Kele- sich das Balázs-Béla-Studio für ihn zu interessieren men (der für Tarr seine eigene Regiekarriere mehr begann. Das Balázs-Béla-Studio (kurz: BBS) war oder weniger aufgegeben hat). eine Freistatt innerhalb der ungarischen Filmkultur: Was das Schaffen Tarrs über die ästhetischen Ent- Gegründet 1959, war es allein dazu da, dass junge wicklungen wie politischen Umbrüche hinweg eint, Filmemacher „ihre“ Kurzspiel- und -dokumentarfil- ist eine tiefe Faszination für Zerfallsprozesse: In Fa- me realisieren konnten, frei von allem Druck. Das miliennest (Családi tüzfészek) darf eine Familie BBS erwies sich als ein derartiger Erfolg, dass das nicht auseinandergehen, können ihre vielen Mitglie- Studio in den späten 1960ern expandieren konnte: der keine eigenen Wohnungen finden. Sie müssen Zum einen begann man mit der Produktion von alle zusammenleben – und leben sich so dabei inner- Langfilmen, zum anderen wurde eine eigene Abtei- lich auseinander. In Szabadgyalog [The Outsider] lung für Avantgardekino eingerichtet. Zu dieser Zeit gehen Menschen zugrunde, vielleicht auch, weil Un- entwickelte sich im BBS auch die sogenannte Buda- garn nichts Sinnstiftenderes anzubieten hatte, da- pester Schule: Regisseure wie Dárday István oder mals. In Panelkapcsolat [The Prefab People] merkt Szalai György versuchten, Spielfilme allein mit do- ein Paar, dass es sich immer weniger zu sagen hat – kumentarischen Mitteln zu drehen – gearbeitet wur- der Kauf von Haushaltsgeräten und Möbeln soll die de mit Verlaufsskizzen und Laiendarstellern, Hand- seelische Leere füllen –, und auch den Menschen in kameras und Direktton. Als Vergleichsgröße wird Verdammnis (Kárhozat) ergeht es ähnlich, nur ist oft John Cassavetes herangezogen, angemessener hier schon klar, dass es um den Stillstand einer gan- aber wären Jean Rouch und Allan King – ersterer zen Lebensweise geht. Bei Sátántangó kommt es arbeitete stets mit Schauspielern, letzterer nicht un- schließlich zum kollektiven Stillstand, der sich in bedingt, was eher den Budapester Idealen entspricht. der Aufteilung des Films in zwölf Tanzschritte – Das Kino Dárdays sowie der anderen Protagonisten sechs vor, sechs zurück – ausdrückt. Danach? Stag- der Budapester Schule war eine Art Befreiungs- nation: In Werckmeister harmóniák (Die werckmeis- schlag: Das BBS hatte seine erste Dekade durch eine terschen Harmonien, 2000) und A londoni férfi vergleichsweise gletscherne Gestaltungsweise mit (2007) scheint Tarr zu versuchen, Sinn allein aus der einem mächtigen Zug zur Allegorie kultiviert – mit Ästhetik heraus zu schöpfen, mit eher durchwachse- der ward nun gebrochen, so gründlich wie nur mög- nen Ergebnissen. Tarrs Lösung für seine Schaffens- lich, indem man alles künstlerisch unbotmäßig Ge- krise zwischen Eurokoproduktionswahnsinn (die wollte verweigerte. Tarrs Frühwerk – Familiennest Realisierung von Der Man aus London [A londoni (Családi tüzfészek, 1979), Szabadgyalog (1981) und férfi] wurde zum Albtraum, da sich mittendrin der Panelkapcsolat (1982) – entstand im Idiom der Bu- hochverschuldete Produzent das Leben nahm) und dapester Schule, nach Tarr-eigenen Vorlagen. Die immer stärkeren Selbstzweifeln (was soll man ei- Filme sind lang, ihr Tonfall ist insistierend – irgend- gentlich noch sagen?) ist angemessen extrem: In wo zwischen Schrei und Seufzer. dem von vielen nicht mehr erwarteten Meisterwerk Mit den beiden transitorischen Werken Herbstalma- Das Turiner Pferd (A torinói ló) versinkt die Welt nach (Öszi almanach, 1985) und Verdammnis (Kár- langsam in der Dunkelheit, am Ende ist allein hozat, 1988) verliert sich Tarrs Lebenswut – das Da- Schwärze, schließlich Stille. Das Turiner Pferd soll sein tritt sich fest, kontempliert wird mehr seine Tarrs letzter Film sein. Schlüssig wär’s. Dauer als sein Sinn. Herbstalmanach (Öszi alma- (*) Anm. d. Red.: Das Ungarische folgt hinsichtlich der nach) ist dabei von besonderer Relevanz, da Tarr Reihenfolge von Personennamen dem sog. “eastern or- hier zum ersten Mal mit dem Schriftsteller Kraszna- der”, d.h. der Nachname steht an erster Stelle, es folgt der horkai László zusammenarbeitete, der seither alle Vorname (also “Tarr Béla” statt “Béla Tarr”). Diesem Vorlagen für seine Werke verfasste beziehungsweise Prinzip folgt auch der Einleitungstext. die narrativen Rahmenbedingungen absteckte (Tarr und Krasznahorkai weisen immer wieder darauf hin, dass die Bücher bei den Drehs selbst oft keine Rolle spielen – die zuvor geschriebenen Szenen werden Bibliographie vor Ort neu und wieder erfunden. Krasznahorkai ist für Tarr so wichtig, dass er ihn, neben seiner Gattin Pentelényi,