Der Himmel Über Berlin Ist Weit, Und Besonders Am Rand, Im Südwesten
Das Atmen der Welt Ernst von Siemens Musikpreis 2011 an Aribert Reimann Von Volker Hagedorn Der Himmel über Berlin ist weit, und am Rand, im Südwesten, wird er transparent. Aribert Reimann blickt von hier bis zur Ägäis und bis nach Lanzarote, er sieht aber in der Nähe auch immer noch den Feuerschein über Potsdam. Hier oben fliegen die Zeiten zusammen, beim Blick durch große Fenster über den Grunewald hinweg. Ein geräumiges Turmzimmer, über eine Wendeltreppe erreichbar. Still ist es über den gelbweißen Blättern, die auf dem Schreibtisch und auf dem Diwan liegen, weder chaotisch noch pedantisch, sie scheinen gerade erst hereingeschwebt zu sein, skizzenhaft mit zarten Bleistiftnoten versehen. Indessen bleibt es nicht still in diesen Noten. Ein Kind wird schreien, ein Neugeborenes, dessen Mutter just gestorben ist, „das Schreien hört überhaupt nicht auf, es ist ein Akkord, der sich aufschichtet, immer mehr und stärker wird“, gebaut aus schrillen Spaltklängen von Holzbläsern. Diesen Klang hat Aribert Reimann schon in dem Moment gehört, als er den Text las. Welchen Text? Das bleibt vorerst sein Geheimnis, ohnehin sind Einblicke in so frühen Stadien nur sparsam zu gewähren. Der Komponist ist also wieder aufgebrochen, auf neuen Wegen, kein Jahr, nachdem ihn Medea verlassen hat. Wer ihn im Herbst 2009 erlebte, erschöpft, erfüllt, erleichtert nach drei Jahren mit dieser Frau, die ihn mit den Worten „Gebt Raum!“ in ihre 2500jährige Geschichte gerissen hatte, ahnte, dass diese Oper große Wirkung haben würde. Dass dem Komponisten hier, gut dreißig Jahre nach seinem internationalen Durchbruch mit Lear, der ferne, andere, weibliche Gegenentwurf zu jenem König gelungen war. Eine unauslotbare Gestalt, die, anders als Lear, umso stärker wird, je weniger Ausweg es gibt.
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