Explorativstudie

Zum Stand der Präventionsansätze im Extremkampfsport

Mixed Martial Arts im Spannungsfeld von verbandlicher und sportlicher Entwicklung, wirtschaftlichem Wachstum, erhoffter gesellschaftlicher Anerkennung und extrem rechter Gewalt

Robert Claus und Olaf Zajonc

2 Der Abdruck von Auszügen des Textes „Gewalt – Zur Entwicklung der Gewalt und Gewaltforschung“ von Gunter A. Pilz erfolgt mit freund- licher Genehmigung des Autors.

Impressum

Forschung und Redaktion: Robert Claus und Olaf Zajonc

V.i.S.d.P.: KoFaS gGmbH, Oberstraße 13a, 30167 Hannover

Layout: Christoph Löffler / [email protected]

Lektorat: Stephan Lahrem

Auflage und Art der Veröffentlichung: Online

Veröffentlichung: September 2019

Die Explorativstudie „Zum Stand der Präventionsansätze im Extrem- kampfsport“ ist im Rahmen des Modellprojekts „Kicks für Alle!“ im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Fa- milie, Senioren, Frauen und Jugend erarbeitet und durch die Amadeu Antonio Stiftung, Deutscher Fußball-Bund, die Deutsche Sportjugend, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Koordinationsstelle Fanprojekte sowie die Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte in Nordrhein-Westfalen gefördert worden.

Die Veröffentlichungen stellen keine Meinungsäußerung des BMFSFJ oder des BAFzA dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der Autor/die Auto- rin bzw. tragen die Autoren/die Autorinnen die Verantwortung.

3 1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen und Forschungsstand 2.1 Gewalt 2.2 (Extrem-)Kampfsport 2.3 Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) und extreme Rechte 2.4 Prävention

3. Das Feld: MMA in Deutschland 3.1 MMA - ein moderner Extremkampfsport auf (weltweitem) Vormarsch 3.2 Umfänge und Verbandsstrukturen 3.3 Events, Medien und Sponsoren 3.4 Die MMA-Debatte

4. Interviews 4.1 Themenfelder und Fragenkatalog 4.2 Kurzvorstellung Interviewpartner*Innen

5. Ergebnisse der Interviewanalyse 5.1 Kurzdarstellung der MMA-Verbände 5.2 Kurzvorstellung Veranstalter der Eventreihe We love MMA 5.3 Entwicklung und Status des MMA 5.4 Rahmen und Regelungen im MMA 5.5 Probleme und Herausforderungen Sicht der MMA- Verbände 5.6 Wirkungen von MMA 5.7 MMA und Gewalt(-kompetenz) 5.8 Extrem rechte Phänomene und Gegenstrategien der MMA-Organisationen 5.9 Die Debatte um MMA als Sport 5.10 Die Debatte um eine Aufnahme in den DOSB

6. Forschungsdesiderata

7. Fazit

8. Interview G.A. Pilz

9. Literatur und Quellen

10. Glossar

4 1 Einleitung Von diesem wachsenden Fitness- und Kampfsport- markt wollen extrem rechte Organisationen ebenfalls Wer sich mit Kampfsport in Deutschland beschäf- profitieren und erkennen dort Potenzial für ihre Sze- tigt, trifft auf ein sehr unübersichtliches Feld, das Au- ne. Denn Gewalt ist ein grundlegendes Element ext- ßenstehende nur schwer durchblicken. Dies liegt zum rem rechter Ideologie. Dementsprechend interessant einen daran, dass Kampfsport lediglich ein Oberbegriff ist für Neonazis die im Kampfsport und insbesondere für ein ganzes Bündel verschiedener Teildisziplinen im MMA vermittelte Gewaltkompetenz. Zumal sich im und Stilarten ist, die vom klassischen Boxen überJiu Rahmen einschlägiger Kampfveranstaltungen Nach- Jitsu1, Muay Thai bis hin zu den modernenMixed wuchs für die Szene rekrutieren und die Vernetzung Martial Arts (MMA)2 reichen. Zum anderen sind die vorantreiben lassen. Über die Vermarktung eigener jeweiligen Kampfsportarten sehr unterschiedlich orga- Bekleidungsmarken werden nicht zuletzt die eigenen nisiert: Während beispielsweise Boxen und asiatische Strukturen finanziert. Budo-Kampfsportarten bzw. -künste wie Judo, Karate oder Taekwondo weitgehend in Strukturen des Vereins- Beispielsweise hat sich die jährlich stattfindende ex- sports organsiert sind, agieren die Anbieter von Kickbo- trem rechte Veranstaltung Kampf der Nibelungen (KdN) xen auf einem freien Angebotsmarkt und sind dement- seit 2013 zu einem Event entwickelt, bei dem Kämpfe sprechend kaum zentral strukturiert. In der Folge – man im Boxen, Kickboxen sowie MMA stattfinden und das kennt es vom Profiboxen – gibt es in allen Gewichtsklas- vierstellige Zuschauerzahlen militanter, zumeist männ- sen parallel mehrere Titelträger, die von verschiedenen licher Neonazis erreicht. Auf der Homepage zur Ver- Verbänden und Eventveranstaltern ausgerufen werden. anstaltung wird die freiheitlich demokratische Grund- ordnung als „faules politisches System“ (Kampf der Dabei hat sich das gesamte Feld des deutschen Nibelungen 2019) bezeichnet und das Kampftraining Kampfsports in den vergangenen 20 Jahren enorm wei- für den Straßenkampf bzw. den „politischen Umsturz terentwickelt und ausdifferenziert. Die größte Verände- am Tag X“ nur wenig kaschiert propagiert. rung betrifft das zu großen Teilen auf dem freien Markt organisierte MMA – in Deutschland eine Zeit lang Die Veranstalter des KdN sind nicht Mitglied in ei- Freefight genannt. Das Besondere am MMA ist der nem der bestehenden Kampfsportverbände und auf Umstand, dass zahlreiche Kampftechniken verschie- organisatorischer Ebene politisch isoliert. Doch trai- dener Kampfstile Verwendung finden dürfen. In An- nieren Kämpfer und Coaches, die beim KdN antraten lehnung an die antike olympische Idee derPankration und vielfach für politische Gewalttaten verantwort- treten im MMA Kämpfer*innen aus zahlreichen unter- lich sind, auch inGyms, die keineswegs Teil der ext- schiedlichen Kampfsportarten, u.a. Kickboxen, Boxen, rem rechten Szene sind. Darüber hinaus sind diverse Ringen oder Karate, zum vergleichenden Wettkampf in extrem rechte Kampfsportgruppen im Windschatten einem Käfig ( Octagon Cage) an. des KdN gegründet bzw. aktiver geworden und stehen neonazistischen Kameradschaften sehr nah, so z.B. das Im Windschatten der US-amerikanischen Promotion- mittlerweile vorgeblich aufgelöste „Adrenalin 381“ aus FirmaUltimate Fighting Championship (UFC) boomt Braunschweig, die „Baltikkorps“ aus Mecklenburg-Vor- MMA mittlerweile weltweit und hat das Profi-Boxen in pommern oder auch „Knockout 51“ aus Eisenach (Mo- Bezug auf Einschaltquoten und Preisgelder längst über- bit 2019). Die von diesen Gruppen in den Trainings- holt. Die MMA-Märkte in Brasilien, Japan, Russland räumen erworbene Gewaltkompetenz wird aktiv auf die und Polen sind in den letzten Jahren enorm gewachsen Straße getragen, wie ein Video von den rechten Aufmär- und auch in Deutschland nimmt das öffentliche Interes- schen in Chemnitz im Spätsommer 2018 zeigt. Zu sehen se merklich zu. Wenngleich MMA-Events hierzulande ist dort, wie ein extrem rechter Kampfsportler einen be- (noch) keine Hallen mit fünfstelligen Zuschauerzahlen helmten Polizisten mit einemDouble Leg Takedown zu füllen – wie es in den USA seit Jahren der Fall ist – so Boden reißt (Wolf 2019). Derlei im MMA und Kampf- steigt die Zahl der Pay-per-Views in den Onlinemedien sport erlernbare Techniken kommen zur Anwendung konstant an. im Kampf mit politischen Gegner*innen, sie erfahren damit eine politische motivierte Zweitnutzung. Umso Parallel zu dieser Entwicklung des MMA in Rich- besorgniserregender, dass im extrem rechten thüringi- tung Mainstream bleibt es sportpolitisch und -ethisch schen Kampfsportverein „Barbaria Sportgemeinschaft in Deutschland stark umstritten. Der Deutsche Olympi- e.V.“ – dessen Kämpfer beim KdN antraten – auch Trai- sche Sportbund (DOSB) positionierte sich 2009 gegen ning für Kinder und Jugendliche angeboten wird (Mobit MMA und bezeichnete es als „Pervertierung der Werte 2019). Ebenso tut es die extrem rechte Partei „III. Weg“ des Sports“. Diese Kritik kommt auch zum Ausdruck (Wolf 2019). in der Empfehlung der bayerischen Landesmedienan- stalt, MMA-Kämpfe nicht im Free-TV zu senden. Dem All dies beschreibt anschaulich eine höchst gefährli- Wachstum des MMA in Deutschland tat all das keinen che Entwicklung, die sich auch auf die Jugendkulturen Abbruch, zumal der Ausschluss aus dem Free-TV im des deutschen Fußballs auswirkt: In den dortigen Fans- Zeitraum 2010 bis 2014 mittels Internetmedien leicht zu zenen hat Gewalt eine lange Geschichte und spielte in umgehen war. der Entwicklung der Kurven stets eine viel diskutierte

1 Die mit einemmarkierten Bezeichnungen sind im Glossar am Ende der Studie erläutert. 2 Die Mixed Martial Arts werden im Text abgekürzt als MMA bezeichnet. Trotz unterschiedlicher Ausgestaltung und Regelungen in der Praxis und des Plurals im Begriff werden sie hier im Text als ein Kampf- bzw. Bewegungsphänomen verstanden.

>>> Link zum 5 Inhaltsverzeichnis Rolle. In den 1980er- und 1990er-Jahren dominierten Um Antworten auf die Frage nach dem Stand der gewaltbereite Hooligans, seit den 2000er-Jahren Ultras Präventionsarbeit zu erhalten, haben wir im Zeitraum die Fankurven. Zugleich haben sich die Fanszenen über eines Jahres anschauliches Wissen über die Akteure, den die Jahrzehnte politisch ausdifferenziert: Heute agieren Organisationsgrad des MMA und die bestehenden Ver- neben Gruppen, die sich als unpolitisch verstehen, anti- netzungsstrukturen sowie die Situation der Prävention diskriminierende, sich politisch links verortende sowie von Gewalt und menschenfeindlichen Einstellungen rechte Fans in den Blöcken. Innerhalb dieser vielschich- im Feld des MMA in Deutschland zusammengetragen. tigen Entwicklungen erleben extrem rechte Hooligans Zu diesem Zweck führten sie umfangreiche Recherchen in jüngster Zeit ein Revival – sichtbar wird dies u.a. an durch und interviewten mehrere Expert*innen. Über den medial bekannt gewordenen und strafrechtlich ver- diese initiierten bundesweiten Dialogprozesse wurden folgten Aktivitäten der Cottbusser Hooligans um die Personen für die Situation sensibilisiert, die an zentra- kampfsporterfahrene, vorgeblich aufgelöste Gruppe len Stellen im MMA, im organisierten Sport und in der „Inferno“ (Fröhlich 2019). Im Vergleich zu früheren Sportpolitik agieren. Die Ergebnisse der mehrmonati- Generationen verfügen sie heute über ein deutlich hö- gen Arbeiten ermöglicht Einblicke in die Verbands- und heres Gewaltpotenzial. Ihre Kampfkraft entwickeln Eventstrukturen des MMA sowie in die Sportpolitik sie nicht zuletzt durch intensives und systematisches zweier Parteien und in die Verbandspolitik des organi- Kampfsporttraining. sierten Sports in Deutschland. Sie liefern Informatio- nen, die eine gute Grundlage für die Einschätzung der Wenngleich Fußball und Kampfsport gänzlich unter- Situation bilden und die zur Findung von Strategie- und schiedliche Felder darstellen, stehen beide Bereiche in Lösungsansätzen beitragen. Letztendlich werden damit Anbetracht dieser Entwicklungen in einem neuartigen erste Handlungsmöglichkeiten für die Prävention von spannungs- und konfliktgeladenen Zusammenhang. Gewalt und menschenfeindlichen Einstellungen im Zukünftig müssen demnach neue Herausforderungen MMA identifiziert, die zukünftig im Kampfsportsektor hinsichtlich der Gewaltprävention bewältigt werden. genutzt werden können. Ihre Anwendung kann eben- Die aus den bisherigen Beobachtungen und Analysen falls die bestehende (sport-)politische Debatte um MMA der Gewaltentwicklung im Fußball und seinen Fansze- und dessen gesellschaftliche Verantwortung mit Wissen nen resultierenden Fragen dürfen dabei nicht unbearbei- anreichern und befördern. Und sie lassen sich ein Stück tet bleiben. weit über MMA hinaus auch auf andere Kampfsport- disziplinen transferieren. Dementsprechend fokussieren wir in dieser Explora- tivstudie nicht auf die eingangs skizzierte Entwicklung Die gebündelten Ergebnisse dieser Explorativstudie extrem rechter Gewalt – hierzu gibt es weiterführen- werden wie folgt präsentiert: In einem ersten Schritt de Quellen im Literaturverzeichnis, die beim Lesen werden zentrale Forschungsstände in den Bereichen stets im Hinterkopf behalten werden sollten. Vielmehr Gewalt(-prävention), (Extrem-)Kampfsport, Gruppen- konzentrieren wir uns auf die Strukturen des MMA in bezogene Menschenfeindlichkeit und extreme Rechte Deutschland, deren gesellschaftliche Verantwortung (Kap. 2) umrissen und damit der Theorierahmen zur und möglichen Lösungsansätze, um der politischen Erörterung des Themas abgesteckt. Im Anschluss daran Zweitnutzung der im MMA – und Kampfsport generell wird das Feld des MMA in Deutschland skizziert (Kap. – erlernbaren Fähigkeiten vorzubeugen. Im Zentrum 3), werden die Themenfelder bzw. der Fragenkatalog der des Projekts stand somit die Frage: Wie ist es um Prä- Interviews erläutert und wird die Auswahl der Inter- vention von Gewalt und gruppenbezogenen menschen- viewpartner*innen begründet (Kap. 4). Anschließend feindlichen Einstellungen bzw. extrem rechten Einflüs- folgen der analytische Hauptteil (Kap. 5), der sich im sen im MMA bestellt? Auf der Suche nach Lösungen Kern auf die Analyse der geführten Interviews stützt, für die aufgezeigten Probleme und angedeuteten Auf- und die knappen Ausführungen zu den im Laufe des gaben helfen weder Entrüstung noch (Sport-)Kultur- Projekts identifizierten Forschungsdesiderata (Kap. 6). pessimismus. Pauschalurteile wie die Annahme einer Die zentralen Ergebnisse werden abschließend in einem zunehmend wertfreien, zerfallenden Gesellschaft, in der Fazit zusammengefasst (Kap. 7). Ein Interview mit dem marodierende Jugendszenen aus Spaß und zur Reizbe- Gewaltforscher Gunter A. Pilz (Kap. 8), ein Literatur- friedigung Gewalt ausüben, greifen hier ebenfalls nicht. und Quellenverzeichnis (Kap. 9) und ein Glossar (Kap. 10) zu den verwendeten Fach- bzw. Szenebegriffen run- Deshalb möchten wir mit der vorliegenden Explora- den die Explorativstudie ab. tivstudie zu einer konstruktiven Debatte beitragen. Sie ist das Ergebnis eines einjährigen praxisbezogenen Pro- Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre zu ei- jekts der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene nem wichtigen gesellschaftlichen und sportpolitischen Soziale Arbeit (KoFaS), das im Rahmen des Bundespro- Themenzusammenhang, der bisher nicht bearbeitet gramms „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums worden ist. Diese Explorativstudie dient hoffentlich für Familie, Senioren, Frauen und Jugend umgesetzt einer sehr notwendigen, weitreichenden und konstruk- wurde. tiven Debatte um das Verhältnis von Kampfsport zur Demokratie.

>>> Link zum 6 Inhaltsverzeichnis 2 Theoretische Grundlagen setzungen zur Gewaltanwendung schaffen“. Theunert unterscheidet dabei je nach Art der Machtmittel zwi- und Forschungsstand schen situativen und generellen Machtverhältnissen: „In Die Kernbegriffe dieser Explorationsstudie: Gewalt, situativen Machtverhältnissen ist die Ungleichverteilung Kampfsport, Gruppenbezogene Menschenfeindlich- von Machtmitteln primär situationsspezifisch geprägt, keit, extreme Rechte sowie Prävention sind Bestand- in generellen Machtverhältnissen dagegen langfristig teil teilweise langjähriger universitärer und öffentlicher und eindeutig zugunsten eines Parts geregelt und meist (Fach-)Debatten. Die knappe Darstellung ihrer zent- gesellschaftlich sanktioniert.“ ralen theoretischen Grundlagen und des Forschungs- stands in diesem Kapitel soll den Theorierahmen für die Damit wird aber auch gleich auf die beiden zentralen in dieser Studie zu erörternden Themen abstecken. Eine Dimensionen der Gewalt verwiesen: die personale und ausführliche Diskussion der höchst ausdifferenzierten, die strukturelle Gewalt, wobei personale Gewalt die Di- kritischen und teils widersprüchlichen Argumentatio- mension bezeichnet, in der Gewalt von Personen aus- nen kann an dieser Stelle jedoch nicht erfolgen; Litera- geht, „strukturelle Gewalt die Dimension, in der Gewalt tur zur vertieften Beschäftigung mit den hier verhandel- von den Strukturen eines Gesellschaftssystems ausgeht“ ten Themen findet sich am Ende der Studie. (Theunert 1987: 41).

2.1 Gewalt Bedeutsam an dieser Bestimmung des Gewaltbegrif- fes ist, dass hierzu die sozialen Bedingungen, die Gewalt In seinem Artikel „Gewalt – Zur Entwicklung der fordern und/oder erzeugen, mit berücksichtigt werden, Gewalt und Gewaltforschung“ (Pilz 2001) im „Hand- dass, wie Horn zu Recht gefordert hat, die Wirkungszu- wörterbuch Psychologie“ umreißt der Gewaltforscher sammenhänge zwischen Sozialstruktur und Verhalten und Soziologe Gunter A. Pilz wesentliche Grundannah- aufgedeckt werden. men der Gewaltforschung, auf denen auch diese Explo- rationsstudie fußt. Formen der Gewalt

Mit ihrer Unterscheidung zwischen situativen und ge- nerellen Machtverhältnissen überwindet Theunert zu- Zum Gewaltbegriff sätzlich den engen Blick auf Gewalt in interpersonellen Beziehungen und erweitert ihn auf Gewaltverhältnisse, Ähnlich der Aggressionsforschung plagt sich auch die die in den gesellschaftlichen Strukturen verankert und Gewaltforschung mit dem Problem der exakten, opera- nicht an konkrete handelnde Individuen gebunden sind. tionalen Begriffsbestimmung herum. Mit Narr (1973: 15f.) bietet sich ein Gewaltbegriff an, der „die Auswahl Die weitestgehende Differenzierung von Gewalt der Phänomene nicht von vornherein begrenzt, wie der nimmt Galtung vor, wenn er zwischen physischer und auf physische Gewalt/Vergewaltigung allein abgestellte psychischer Gewalt, zwischen negativer und positiver Begriff“, der andererseits aber natürlich auch nicht so Einflussnahme, zwischen objektbezogener und objekt- weit ausgedehnt werden darf, dass er zum ‚Unbegriff‘ loser, zwischen personaler und struktureller, zwischen wird. Diesem Anspruch wird die Gewaltdefinition von manifester und latenter sowie intendierter und nicht-in- Theunert (1987: 40) als „Manifestation von Macht und/ tendierter Gewalt unterscheidet. oder Herrschaft, mit der Folge und/oder dem Ziel der Schädigung von einzelnen oder Gruppen von Men- Galtung (1990) macht zusätzlich auf eine weitere Form schen“ am ehesten gerecht. Gewalt liegt nach dieser De- der Gewalt aufmerksam: die kulturelle Gewalt. Diese finition immer dann vor, ‚wenn als Folge der Ausübung Gewalt tötet zwar nicht und macht auch niemanden von Macht oder Herrschaft oder von beidem oder als zum Krüppel, aber sie liefert Rechtfertigungen für Ge- Folge von Macht und Herrschaftsverhältnissen Men- walt, schafft Entlastung für das soziale Gewissen. Die schen geschädigt werden‘. kulturelle Gewalt bringt zwei gewaltfördernde Selbst- konzepte hervor: a) das Selbstkonzept der Selbstbehaup- Erstes Bestimmungskriterium für Gewalt ist dem- tung: Bei diesem Selbstkonzept befinden sich die Ge- nach für Theunert die „bei dem oder der Betroffenen walttäter (vornehmlich mit niedrigem Bildungsniveau) feststellbare Folge, die durch Gewalt bewirkte Schä- in der Defensive und finden ihre Selbstbehauptung da- digung […]. Das Ziel der Gewaltausübung tritt gegen- durch, dass sie sich in Gruppen zusammenschließen und über der Folge in den Hintergrund, es ist sekundäres dort ihre eigene Kraft finden; b) das Selbstkonzept der Bestimmungskriterium“. Dies hat auch zur Folge, dass Selbstdurchsetzung, das der machiavellistischen Orien- die in den klassischen Theorien zentrale Kategorie der tierung entspricht, alles daranzusetzen, die eigene Ein- „Intention“, die das Augenmerk auf den „Täter“ lenkt, zigartigkeit durchzusetzen. Als Beispiel nennt Galtung relativiert wird. Die Opfer der Gewalt gelangen stärker die rechtsextreme Ideologie der Ungleichheit, deren ex- in den Blick. tremste Form die Theorie vom „Herrenvolk“ darstellt. Dabei geht Galtung davon aus, dass wenn strukturelle Zweites Bestimmungskriterium für Gewalt ist, dass Gewalt institutionalisiert und kulturelle Gewalt verin- sie an die „Ausübung oder Existenz von Macht und nerlicht ist, die Gefahr steigt, dass sich auch die persön- Herrschaft gebunden ist. Macht und Herrschaft grün- liche, direkte Gewalt verfestigt. Der Begriff der kultu- den auf die Verfügung über Machtmittel, die die Voraus- rellen Gewalt öffnet vor allem den Blick auf die Werte

>>> Link zum 7 Inhaltsverzeichnis und den oft beklagten Werteverfall moderner Industrie- schlüsseln, die sich hinter gewalttätigen Äußerungen gesellschaften, die entsprechende Legitimationen für verbergen, der muss die Alltags- und Lebenswelten der die personale wie kollektive, politisch motivierte Gewalt Menschen kennen, berücksichtigen und eben auch än- liefern (Ellbogenmentalität, Recht des Stärkeren). dern, zumindest erträglicher gestalten. Denn das Ver- halten von gewalttätig agierenden Menschen, „resultiert Um die historische Spezifität des Gewaltbegriffes bes- durchwegs aus ihren Lebenserfahrungen und ihren Ver- ser fassen zu können, ist eine weitere Unterscheidung suchen, mit diesen ihren Erfahrungen und Eindrücken in expressive Aggression und instrumentelle Gewalt er- umzugehen“. Daher werden sich Änderungen in deren forderlich. Expressive Aggression meint ein aggressives Verhalten kaum erzielen lassen, wenn ich mich ausrichte Verhalten, das lustvoll ausgeführt und erlebt wird, das auf die Probleme, die Menschen machen. […]. (Krafeld ohne Belastungen des sozialen Gewissens erfolgt, d.h. 1992: 500). den kulturellen, gesellschaftlichen oder situations- bzw. schicht-, auch geschlechtsspezifisch tolerierten Gewalt- Dabei wird es m.E. Aufgabe künftiger Forschungs- standards entspricht. Instrumentelle Gewalt hingegen vorhaben sein, weniger der Frage nach den Ursachen meint ein aggressives Verhalten, das weniger einem lust- und Bedingungen der Gewalt nachzugehen, als viel- betonten Ausleben aggressiver Bedürfnisse entspricht, mehr der Frage nach den Ursachen und Bedingungen, sondern ein genau kalkuliertes, geplantes, rational ein- die Menschen (noch) davon abhalten, trotz belastends- gesetztes Verhalten ist, das die gesellschaftlich tolerier- ter Lebens- und Alltagswelten gewalttätig zu handeln. ten Gewaltstandards im Interesse eines übergeordneten Es gilt, die sozialen und persönlichen Schutzfaktoren Zieles (z.B. des Erfolges) bewusst überschreitet nach herauszuarbeiten, die die negativen Wirkungen von le- dem Motto: der Sieg heiligt die Mittel. bensweltlichen Problemen abmildern oder gar aufheben können. Dies scheinen vor allem die gesellschaftlichen Verflechtung von sozialen Institutionen zu sein, die Menschen Halt (seelischer Strukturen und Gewalt Halt), Geborgenheit, Möglichkeiten der Entfaltung ge- ben und sichern, die die vielen alltäglichen psychoso- Die Gewaltforschung macht uns darüber hinaus be- zialen Belastungen quasi abfedern und damit für viele sonders auf die Verflechtungen sozialer Strukturen und Menschen erträglich und verarbeitbar machen. individuellen Handelns aufmerksam. Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag, die Lücke der psychologischen Aggressionsforschung zu schließen, die Selg (1974: 51) wie folgt beschreibt: „Das Geflecht von wechselseitigen 2.2 (Extrem-)Kampfsport Abhängigkeiten zwischen individuellem Verhalten, So- zialisationsagenten, sozialer Schicht und sozialem Sys- Mit unserer gezielten Auswahl fachlicher Einschät- tem in Bezug auf aggressives Verhalten deutlich heraus- zungen zum Kampfsport lenken wir den Blick bewusst zuarbeiten, ist eine Aufgabe, die dringend anzugehen auf bestehende Zusammenhänge mit den Dimensio- ist“. […] nen der Aggression und Gewaltausübung. Zudem lo- ten wir das Spannungsfeld bestehender Potenziale und Tedeschi et al. (1974) machen auf einen weiteren wich- Risiken des Kampfsports im Allgemeinen und seiner tigen Aspekt aufmerksam, indem sie mit dem Begriff extremen Varianten – als eine (neue) Kategorie von der „coervive power“ eine verstärkte soziale Perspektive Extremkampfsportarten – im Besonderen aus. für die Untersuchungen über schädigendes Verhalten er- öffnen. Folgt man diesem Gedanken, so gilt es, neben Wir sind uns bewusst, dass dieser spezifische und so- den gesellschaftlichen, sozialen Bedingungen vor allem mit zugleich verengende Blick den Eindruck entstehen die bestehenden Machtverhältnisse und Machtbalancen lassen kann, dass es sich beim Kampfsport – und insbe- bei der Diskussion der Ursachen und Bedingungen ge- sondere bei seinen extremen Varianten, wie dem MMA walttätigen Handelns jeweils mit zu reflektieren. Hier – grundsätzlich oder ausschließlich um ein besonders eröffnet sich der Aggressions- und Gewaltforschung ein problematisches Feld handelt. Eine per se defizitorien- wichtiges, dringend zu bearbeitendes Forschungsfeld. tierte Sicht auf Kampfsport und MMA liegt uns jedoch fern. Der gezielte Blick auf Risiken und Gefährdungen Folgerungen für Forschung erscheint uns jedoch erforderlich und deshalb legitim und Prävention zu sein, um Antworten zu finden auf die Fragen, die in den kritischen Debatten zum MMA und seinen Be- Der Schlüssel zur Gewalt liegt entsprechend in der ziehungen zu extrem rechten Phänomenen aufgeworfen Umwelt, in den strukturellen Bedingungen der Lebens- werden. welt der Menschen begründet. Unter dieser Perspekti- ve können dann gewalttätige Handlungen, die gesell- Aggression und Gewalt schaftlich betrachtet verwerflich, unsinnig und unsozial erscheinen, durchaus Sinnhaftigkeit und eine gewisse In allen Kampfsportarten gibt es Dimensionen der ‚Normalität‘ bekommen. Damit sollen Gewalthandlun- Aggression und Gewaltausübung, die im Zusammen- gen nicht entschuldigt werden. Aber: Wer adäquat und hang stehen mit der „Vorbereitung auf ernste Gefechte präventiv mit gewalttätigen Menschen umgehen will, unter Einsatz der eigenen physischen Integrität, im mili- der muss sich die Mühe machen, zu verstehen, weshalb tärischen und zivilen Kontext“ (Wetzlar 2014: 58). Den- sie gewalttätig werden, der muss die Botschaften ent- noch oder gerade deswegen können im Kampfsport sehr

>>> Link zum 8 Inhaltsverzeichnis wohl hoch zivilisierte, geistige oder spielerische Formen die spezifischen Wettkampfregeln in mehrerlei Hin- des Kampfes zum Vorschein kommen. Viele Fachleute sicht komprimiert und in Richtung einer konfrontativen vertreten deshalb die Ansicht, dass Kampfsport nicht Eins-gegen-eins-Situation zugespitzt. Diese besondere per se destruktiv ist und in kultivierter Form und nach Gestaltung und die daraus resultierende Grundstruktur klaren Spielregeln risikobefreit, sinnvoll und notwendig führen zu einem Erscheinungsbild nahezu aller Kampf- auf mehreren Ebenen in unserer Gesellschaft betrieben sportarten, das eine große Nähe zum realen Kampf- werden kann (vgl. Binhack 1998). In einigen Fachkrei- geschehen aufweist. Dabei sind es im Wesentlichen die sen herrscht zudem weitgehend Einigkeit darüber, dass unterschiedlichen Regelungen, der jeweilige Abstrak- die Zusammenhänge von Aggression und Gewalt mit tionsgrad von Kampf- und Bewegungstechniken sowie kämpferischen Sportarten einer äußerst differenzierten das Maß an Ritualisierungen und Etiketten, die zum sachlichen Erörterung bedürfen, weil Aggression und einen das Kampfhandeln der Kämpfer*innen bestim- Gewalt komplexe Phänomen seien, die nicht eindimen- men und zum anderen die vielfältigen künstlerischen, sional betrachtet werden können und dürfen und Ag- spielerischen, sportiven oder technik- und/oder anwen- gression zwar mit Gewalt (violence) in vielfacher Weise, dungsorientierten Kampfstile prägen. aber nicht zwingend verbunden sei (vgl. Bloem et al. 2004: 118). Die zunehmende Verschärfung oder Radikalisierung des sportiven Kampfes im Kampfsport findet u.a. dann Trotzdem lautet eine häufig erörterte Frage in diesem statt, wenn das Regelsystem Beschädigungstenden- Themenkomplex, inwiefern die Entstehung von gewalt- zen fördert. Dies ist der Fall, wenn Regeln den vollen tätigem Verhalten in ursächlichem Zusammenhang mit ungeschützten Körperkontakt und/oder Siege durch den unterschiedlichen Kampfsportarten steht. Hierzu Knock-out der Gegner*innen ermöglichen und damit ist zunächst darauf zu verweisen, dass Gewalt erst im den Kampf zugleich weg von der sportlich-spielerischen komplexen Zusammenspiel von Person, Umwelt und oder künstlerisch-abstrakten Handlungsebene in Rich- Wertegefügen entsteht (siehe Kap. 2.1). Gesellschaft- tung der Wirklichkeitsebene verschieben. Die starke liche, mediale, familiäre und schulische Risikofakto- Ausrichtung dieser extremen Formen des Kampfsports ren – die sowohl auslösend wie auch hemmend wirken am wirklichen Kampfgeschehen hat zur Folge, dass die könnten – sind (mit-)verantwortlich dafür, ob sich aus Merkmale echter gewalttätiger Auseinandersetzungen vorhandenen Aggressionspotenzialen tatsächlich ge- in hohem Maße ausgeprägt werden. Entsprechend zielt walttätiges Verhalten entwickelt oder nicht. Vor diesem der „Beschädigungskampf“ (Junk/Manzel 1999) auf Hintergrund ist die vereinfachende, einseitige und defi- das schnelle Ausschalten der Gegner*innen ab. Um in zitäre Frage, ob Kampfsport generell gewalttätig macht, diesem Kämpfen siegreich sein zu können, müssen die oder die simple Behauptung, dass einzelne Kampfsport- Kämpfer*innen u.a. dafür bereit sein, Kampftechni- arten einen besonderen gewaltfördernden Charakter ken mit hoher Trefferwirkung und voller ungebremster besitzen, weder überprüfbar noch im Sinne einer diffe- Energie einzusetzen (vgl. Binhack 1998). renzierten und reflektierten Diskussion zielführend (vgl. von Saldern 2004: 59f.). Vollkontakt-Kampfsportarten – beispielsweise das Profi-Boxen, das Kickboxen sowie moderne Varianten Extremkampfsport: eine (neue) wie dasK-1 und MMA, in denen Kampftechniken Kategorie des Kämpfens in der zahlreicher anderer Kampfstile kombiniert eingesetzt Nähe zum „echten Kampf“ werden dürfen –, besitzen die beschriebene große Nähe zum echten, kriegerischen Kampf. Das durch Speziali- Über lange Jahre hinweg wurde die Gesamtheit kämp- sierung radikalisierte sportive Kampfgeschehen führt ferischer Stilarten sowohl in fachlichen Diskussionen zu Situationen, in denen Aggressivität und Gewalthan- als auch im alltäglichen Sprachgebrauch in die beiden deln in hohem Maß entstehen (müssen). Schwerwie- Gattungen Kampfsport und Kampfkunst unterteilt. Um genden Verletzungen und insbesondere die endgültige Kampfstile oder -systeme hinsichtlich ihrer spezifischen Vernichtung (der Tod) der Kampfgegner*innen werden Wirkungen unterscheiden und einstufen zu können, ist durch die Kombination aus Regeln, dem Eingreifen der diese grobe Zweiteilung jedoch unzureichend. Zudem Schiedsrichter*innen sowie dem Fairplay-Verhalten der führt die Weiter- und Neuentwicklung von Stilen inner- Kämpfer*innen verhindert. In diesen Kampfsportarten halb der Kampfsportlandschaft – wie am Beispiel des werden also günstige Vorrausetzungen geschaffen, um MMA zu sehen ist – zur Notwendigkeit eines deskrip- Kampftechniken zu erlernen, die jenseits der durch Re- tiven Systems, dass differenziertere – von einzelnen geln geschützten sportiven Räume zum Einsatz kom- Kampfsport- bzw. -kunstarten unabhängige – Unter- men können. Diese Verwendung kann als „Zweitnut- scheidungen ermöglicht. Bei unserer Explorationsstu- zen“ (Weinheim 1991) der im sportiven Zusammenhang die stützen wir uns deshalb auf das „Kategorie-Modell erlernten Kampftechniken bezeichnet werden. kämpferischer Bewegungsformen“ von Zajonc (2010: 152 u. 2013: 46f.) das einen stilartenunabhängigen Dif- Kampfsport zwischen Potenzialen, ferenzierungsansatz liefert und in dem die Kategorie des Risiken und Anforderungen Extremkampfsport gegenüber anderen Kategorien des Kämpfens abgrenzt wird. Kampfsport birgt im Vergleich zu anderen Sportar- ten – trotz aller inszenierten Begrenzungen durch Re- Im Kampfsport wird das sportliche Geschehen im glementierungen und Gebote – tendenziell immer die Vergleich zu anderen Sportarten grundsätzlich durch Gefahr der Eskalation. Kampfsport kann sich konst-

>>> Link zum 9 Inhaltsverzeichnis ruktiv und förderlich im Sinne eines ethisch-moralisch Insbesondere der dem Kampfsport inhärente Zweitnut- begründbaren Anliegens auswirken, kann aber auch Ge- zen der dort erlernbaren Kampftechniken, die sowohl zu walt freisetzen und als Handlungsmuster legitimieren Zwecken der Selbstverteidigung und dem Schutz ande- (vgl. Binhack 1998). Diese sich im Kampfgeschehen im rer eingesetzt als auch zur Macht- und Gewaltausübung Kampfsport äußernde Ambivalenz gilt auch in Bezug ge- bzw. missbraucht werden können, stellt ein konkre- auf die Trainierenden. So stehen seit jeher den kritischen tes Gefahrenpotenzial dar. Dies gilt in erhöhtem Maße, Warnungen vor Gefahren und Risiken des Kampfsports wenn der Kampfsport in Milieus angeboten wird, in de- Überlegungen entgegen, die die Chancen und Möglich- nen ohnehin gewalttätige Strukturen bestehen und hohe keiten von Kampfsport in Bezug auf selbst- und sozial- Gewaltaffinität das Verhalten prägt. Zu berücksichtigen erzieherische, (sozial-)pädagogische oder gewaltpräven- sind diesbezügliche Erkenntnisse aus der Aggressions- tive Potenziale hervorheben. psychologie. Diese weisen darauf hin, dass Kampfsport im Kontext kultureller Aggressionsmuster stehe, die der Empirische Belege sowohl für negative als auch für Praktizierende mitbringt und die durch bestimmte Im- positive Wirkungen wurden bis dato jedoch nur in ge- pulse innerhalb bestimmter Arten von Kampfsporttrai- ringem Umfang beigebracht. Ergebnisse einer Metastu- ning eventuell verstärkt werden könnten (vgl. Bloem et die von Bloem et al. (2004: 114) deuten allerdings ein- al. 2004: 117). deutig darauf hin, dass nicht alle Kampfsportarten bzw. -künste gleichermaßen selbst- und sozialerzieherische Aus ebendiesen Gründen werden aus fachlicher Per- sowie gewaltpräventive Potenziale besitzen und per se spektive Regelungen für Kampfsportangebote zur Ge- geeignet sind, um die gewünschten positiven psychoso- waltprävention oder Selbstverteidigung in der Jugend- zialen Veränderungen zu erzielen. Ihrer Ansicht nach ist arbeit als dringend notwendig erachtet (vgl. Zajonc in erster Linie das Training sogenannter traditioneller 2012: 42ff.). Dafür müssten zum einen sozialarbeite- Formen der Kampfkunst in der Lage, entsprechende rische Konzepte derartiger Kampfsportprojekte den Effekte zu bewirken. Moderne Varianten des Kampf- Anforderungen einer qualitativen Gewaltprävention sports, in denen der Wettkampfmoment zentral ist, entsprechen und zum anderen Übungsleiter*innen und könnten dagegen sogar das Gegenteil bewirken, wie z.B. Trainer*innen ihre personalen Kompetenzen und Qua- eine Zunahme an Aggression. lifikationen verantwortungsvoll einsetzen, insbesondere wenn sie Menschen mit dem Hang zur Gewalt Kampf- Die Autor*innen der Studie mahnen zudem an, dass sportunterricht geben. Nur wenn sowohl der konzep- vor dem Hintergrund sozialpsychologischer Aggres- tionelle Inhaltsaspekt als auch der personale Kompe- sionsforschung und dem breiten Spektrum klinischer tenzaspekt sichergestellt sei, könne Kampfsporttraining Erkenntnisse die weitverbreitete Transformations- bzw. dazu beitragen, einen verantwortungsvollen Umgang Katharsishypothese der Aggressionsverarbeitung (durch mit Aggressionen zu erlernen, und den erhofften Frie- Kampfsport), nach der der aggressive Stau einer un- densbeitrag zielgerichtet leisten. gefährlichen – weil kontrollierten – Abfuhr bedürfe, dringend kritisch überprüft und revidiert werden müs- se. Statt kathartischer Aggressionsabfuhr befördere Kampfsport unter Umständen eher aggressives Verhal- Weitere Forschung zum Thema MMA ten. (vgl. ebd.: 117). Insbesondere eine „kampfzentrier- te, aggressive Praxis von martial arts bietet ein Risiko, Bis dato sind die Verbindungen zwischen MMA und aggressive Potenziale, Prädispositionen, Gewaltbereit- der rechtsextremen Szene in Deutschland nicht systema- schaft aufzubauen und zu verstärken“ (ebd.). tisch untersucht worden. Die einzige größer angelegte (internationale) empirische Feldstudie zu MMA, die sich Einmütigkeit besteht zudem in der Annahme, dass ebenfalls mit der Beziehung von Gewalt und MMA be- sich das dem Kampfsport zugeschriebene Potenzial zur schäftigt (van Bottenburg/Heilbron 2006), richtet den Förderung psychosozialer Gesundheit und zur Persön- Fokus allerdings auf Zusammenhänge und Wirkun- lichkeitsentwicklung bzw. zur Erziehung und Wertever- gen der gestiegenen Medienpräsenz und zunehmender mittlung nicht per se entfaltet. Wie jede andere Sportart Kommerzialisierungsprozesse. kann sich auch Kampfsport bzw. Kampfkunst, je nach Inszenierung und Gestaltung sowie je nach kulturel- Das Sportinformationsportal SURF des Bundesinsti- len und politischen Einflussnahmen, sowohl fördernd tuts für Sportwissenschaft (BISP) verzeichnet zum heu- als auch schädigend auf die (psychosoziale) Gesund- tigen Forschungsstand insgesamt 53 Einträge zu MMA heit der Trainierenden auswirken (Huber 1999). Die- bzw. Ultimate Fighting. Diese beziehen sich überwiegend sen Erkenntnissen stehen pauschalisierende Aussagen auf Beiträge in internationalen Fachpublikationen (ins- von Kampfsportverbänden, Trainer*innen und Sport- gesamt 45). Sechs von sieben der im BISP aufgelisteten politiker*innen entgegen, die die positiven persönlich- Beiträge zum MMA finden sich in der Schriftenreihe keits- und sozialförderlichen und gewaltpräventiven der Kommission „Kampfkunst und Kampfsport“ der Wirkungen von Kampfsport betonen, was jedoch dem Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs). tatsächlichen Forschungsstand kaum entspricht und Die dort verhandelten Themen betreffen die histori- daher kritisch hinterfragt werden muss, zumal im Zu- schen Ursprünge bzw. die olympische Tradition des sammenhang mit der Ausübung von Kampfsport auch MMA (Rödel 2013), die Frage, was am MMA Sport ernsthafte Gefahren gesehen werden (Goldner 1992; ist (Staack 2013) und wie Risiken und Verletzungen in Kuhn 1994; Kilias 2009). MMA-Events kontrolliert und kommerzialisiert werden

>>> Link zum 10 Inhaltsverzeichnis (Meyer 2014). Ferner befassen sie sich mit Mechanismen ungleichwertige Einstellungen und tragen mit ihren von Gewaltdynamiken am Beispiel des MMA (Staack eigenen Meinungen dazu bei, Ungleichwertigkeiten zwi- 2014), mit der Frage, inwieweit MMA als mögliche Stra- schen sozialen Gruppen – erkennbar in systematischer tegie der (Re-)Souveränisierung von Männlichkeit zu Privilegierung und Diskriminierung – aufrechtzuerhal- verstehen ist (Bredereck 2015), oder mit dem Vergleich ten oder, umgekehrt, abzubauen?“ (Zick et al. 2016: 13) zwischen MMA und anderen Kampfsportstilen (Köhler 2017). Sowohl die vom BISP aufgelisteten Fachbuchbei- Um diese Aspekte zu erforschen, wurden 2016 über träge als auch die empirische Feldstudie von Van Bot- 2.000 Personen im Alter von über 16 Jahren zu ihren tenburg und Heilbron befassen sich nicht mit dem The- Einstellungen befragt. Themen waren u.a. Rassismus, ma dieser Explorativstudie bzw. berühren nur einzelne Sexismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Mus- Aspekte davon. limfeindlichkeit, die Abwertung von Sinti und Roma, Asylsuchenden, homosexuellen sowie Trans*Menschen, wohnungslosen und langzeitarbeitslosen Menschen so- wie Menschen mit Behinderung (ebd.: 37). Die Befür- 2.3 Gruppenbezogene wortung von Etabliertenvorrechten, die 30,3 % positiv Menschenfeindlichkeit beurteilten (ebd.: 107), wurde ebenfalls erfasst. und extreme Rechte Exemplarisch lassen sich die Ergebnisse wie folgt zu- Die Forschungen zu extrem rechten Einstellungen sammenfassen: Der Aussage „Es leben zu viele Auslän- und Organisationen füllen ganze Bücheregale. Um es der in Deutschland“ stimmten 2014 20,2 Prozent eher, an dieser Stelle übersichtlich und auf die Themen dieser 16,9 Prozent voll und ganz zu (Zick et al. 2014: 68). 2016 Explorationsstudie fokussiert zu halten, werden exem- änderten sich die Zahlen leicht auf 17,1 und 17,6 Prozent plarisch die bisherigen Ergebnisse der Forschungen zu (Zick et al. 2016: 44). Die antisemitische Aussage „Juden Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (in Bezug haben in Deutschland zu viel Einfluss.“ beispielsweise auf den Sport) sowie zum Kampfsport in der extremen teilten 2016 4,5 Prozent eher und 4,3 Prozent voll und Rechten skizziert. ganz (ebd.: 44f.). 2019 wiederum stimmten 54,1 Pro- zent der Abwertung von asylsuchenden Menschen zu Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Zick et al 2019: 4). 12,5 Prozent bejahten Tendenzen zu Chauvinismus, 3,3 Prozent befürworteten eine rechts- Die Forschungen des Bielefelder Instituts für interdis- autoritäre Diktatur und 2,5 Prozent verharmlosten den ziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung zu Gruppen- Nationalsozialismus (ebd.: 2). bezogener Menschenfeindlichkeit (im Weiteren GMF) gehören zu den führenden Untersuchungen diskrimi- GMF im Sport nierender Einstellungen in Deutschland. 2002 erhob das Team von Wilhelm Heitmeyer hierzu erstmals Daten. Studien, die sich gesondert mit GMF im Sport be- Veröffentlicht unter dem Titel „Deutsche Zustände“, schäftigen, liegen mit Ausnahme der Untersuchung werden sie seit 2014 im zweijährigen Turnus gemeinsam des Sports in Sachsen von Hannes Delto und Petra mit der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht. Die Tzschoppe (2015) nicht vor (vgl. Claus 2019). Die bei- zentrale Annahme hinter den Studien ist, dass sich ab- den Wissenschaftler*innen haben bis dato die einzige wertende bzw. feindliche Einstellungen gegenüber Min- quantitativ und qualitativ repräsentative Studie zu GMF derheiten und weniger machtvollen Gruppen aus einer im Sport vorgelegt. Zu diesem Zweck führten sie 2013 Ideologie der Ungleichwertigkeit bzw. Ungleichheit spei- eine umfangreiche Untersuchung im sächsischen Ver- sen und verschiedene Formen der Diskriminierung so einssport durch, der insgesamt 605.000 Mitglieder in miteinander verbunden sind. 4.500 Vereinen umfasst (Delto/Tzschoppe 2015: 11). In Rahmen der Studie untersuchen die Autor*innen die Deshalb gehen die Autor*innen der Studie zentral den einzelnen Dimensionen von GMF und schlüsseln die Fragen nach: „Wie radikal und extrem, wie exklusiv der Ergebnisse detailliert nach Sportarten und Eigenschaf- inklusiv ist die Stimmung in Deutschland? Was sehen ten (Geschlecht, Alter etc.) der Befragten auf. In Bezug und empfinden die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie auf Gewaltakzeptanz kommen sie zu folgenden Ergeb- auf die Gruppen schauen, deren Gleichwertigkeit in nissen (vgl. ebd.: 72): Frage gestellt wird? Und inwieweit vertreten sie selbst

>>> Link zum 11 Inhaltsverzeichnis Tab. 1: Gewaltbilligung im Sport

Prozentualer Anteil der Befragten, die Überhaupt Voll und Anzahl Eher nicht Eher wie folgt zustimmten: nicht ganz Antworten

Aggressionen gehören im Sport dazu. 32,2 41,7 20,9 5,2 1419

Gewaltausbrüche müssen im Sport hin- 62,7 31,4 4,4 1,5 1419 genommen werden.

Demzufolge betrachtet ein Viertel aller Befragten Gewaltbereitschaft als eine zentrale Säule von GMF Aggressionen als normal im Sport und 5,9 Prozent tole- findet sich im Binnenraum des Sports somit in nennens- rieren Gewaltausbrüche. Zur Erläuterung dessen halten werter Häufung wieder. die Autor*innen der Studie fest: Für die Aspekte „Demokratiekritik“ und „Demokra- „Mit dem aggressiven Durchsetzen der eigenen Interessen in tiefeindlichkeit“ lauten die Ergebnisse der Studie (ebd.: sportlichen Auseinandersetzungen kann eine individuelle An- 67ff.): erkennung in der eigenen Gruppe verbunden sein.“ (ebd.: 73)

Tab. 2: Demokratiekritik und Demokratiefeindlichkeit im Sport

Prozentualer Anteil der Befragten, die wie Überhaupt Voll und Anzahl Eher nicht Eher folgt zustimmten: nicht ganz Antworten

Demokratiekritik

Politiker umgehen bestehende Gesetze, wenn 4,1 16,5 45,5 33,9 es um ihre Vorteile geht. 1285

Die Demokratie in Deutschland führt eher zu faulen Kompromissen als zu sachgerechten 5,2 28,7 44,0 22,1 1275 Entscheidungen.

Demokratiefeindlichkeit

Unter bestimmten Umständen ist eine Diktatur 48,6 32,8 14,2 4,4 1270 die bessere Staatsform.

Die Demokratie ist die beste Staatsform (hier: 4,2 16,7 48,2 30,9 1271 Prozentsatz der Ablehnung).

Demzufolge finden sich demokratiefeindliche Ein- lieus den Sport betreiben. Letztlich kommt die Studie zu stellungen in verschiedenen Abstufungen in der Grö- dem Ergebnis, dass GMF auch im Sport und unter den ßenordnung von insgesamt rund 20 Prozent, also einem Sporttreibenden zu finden sei. Es wird betont: Fünftel der befragten Sportler*innen. Gleichzeitig er- teilt eine deutliche Mehrheit einer Diktatur eine Absage „Je wichtiger die Werte Fairness, Toleranz, Solidarität und und spricht sich klar für Demokratie aus. Respekt im Sport sind, desto weniger werden Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, Frauen und Schwarze abgewertet. Fremdenfeindlichkeit als eine Facette von GMF ist der Die Annahme, dass Werte im Sport mit menschenfeindlichen Studie zufolge am stärksten in den Sportarten Billard, Einstellungen in Beziehung stehen, kann empirisch bestätigt Kegeln und Schießen zu finden, gefolgt von Badmin- werden“ (ebd.: 66). ton, Tennis, Tischtennis und Fußball; verhältnismäßig gering trat sie im Basketball, Handball und Volleyball Dieser Befund korrespondiert insgesamt mit den auf (ebd.: 23). Es ist zu vermuten, dass die erhobenen Ergebnissen, zu denen andere Studien außerhalb des Werte stark davon abhängen, welche Personen und Mi- Sports gelangt sind (vgl. Heitmeyer 2002–2012).

>>> Link zum 12 Inhaltsverzeichnis Inwiefern die gemessenen Einstellungen dazu führen, Waren laut Haberlandt (2013) noch vor Jahren kaum dass Menschen extrem rechte Parteien wählen, extrem strategische Aktivitäten der extremen Rechten im Sport rechten Gruppen angehören oder sich anderweitig ex- zu verzeichnen, investiert die Szene heute gezielt in den trem rechts organisieren, muss gesondert betrachtet Bereich des Kampfsports. So erläuterten die Organisa- werden. Denn auf einer Einstellungsebene verdichten tor*innen des in Sachsen seit 2018 stattfindenden Tiwaz sich in der extremen Rechten die Ideologie der Un- im Interview mit der extrem rechten Dortmunder Zeit- gleichwertigkeit (Rassismus, Sexismus, Homo-, Inter- schrift N.S. heute: und Transfeindlichkeit, Abwertung von Menschen mit Behinderung und Wohnungslosen, Verharmlosung des „Seinen eigenen Körper fit zu machen, sollte […] für jeden Nationalsozialismus) mit einer fundamentalen Gewalt- unter uns eine Selbstverständlichkeit darstellen. Kampfsport ist akzeptanz (vgl. Stöss 2007; Nandlinger 2008). Inwie- dafür geradezu prädestiniert, hier wird Körperbeherrschung, weit diese von extrem rechten Akteuren abgerufen und Disziplin und Konzentration vermittelt. Weiter wird durch mobilisiert werden kann, hängt von den Strategien, An- Kampfsport die Wehrhaftigkeit gestärkt und das Selbstbewusst- geboten und Agitationen der extrem rechten Organisa- sein positiv beeinflusst. Wichtige Eigenschaften in den stürmi- tionen ab. In Bezug auf Parteien sind dies z.B. die Natio- schen Zeiten, gerade für Nationalisten“ (N.S. heute 2019: 44). naldemokratische Partei Deutschlands (NPD), der III. Weg oder zu großen Teilen die Alternative für Deutsch- Die politische Intention ist unverkennbar, die Szene land (AfD). Darüber hinaus sind es Kameradschaften hat den Wert von Kampfsport für die eigenen Strategien oder ähnliche Strukturen sowie Bewegungen – von der erkannt. Es geht um Training für den politischen Stra- Identitären Bewegung bis hin zu Pegida. ßenkampf und Umsturz. Demzufolge ist das Wachstum der Organisationen in den letzten Jahren kein Zufall. Extreme Rechte und (Kampf-)Sport Der KdN entstand 2013, seit 2017 boomt er geradezu mit seinen Events, Seminaren und internationalen Rei- Extrem rechte Hooligans haben insbesondere bei Be- sen.3 wegungsphänomenen wie Pegida eine zentrale Rolle gespielt und vielfach in deren Ordnungsdiensten mit- Die Zusammenhänge mit der allgemeinen Kampf- gewirkt. Die Partei III. Weg wiederum bietet mit seiner sportszene – insbesondere MMA – sind vielseitig: Denn „AG Körper und Geist“ auf seinen jährlichen Sommer- extrem rechte Kämpfer treten nicht nur bei genuin ext- festen auch Kampfsport als Bühnenprogramm an. Im rem rechten Events an, sondern stehen zuweilen auf den Hinblick auf diese Bandbreite an Organisationen und Fightcards gängiger Veranstalter, die offenbar zu wenig Einstellungen verwenden wir den Begriff „extreme Berührungsängste mit der Szene haben bzw. über eine Rechte“, um damit die Gesamtheit rechtsradikaler und zu geringe Sensibilität gegenüber der Thematik verfü- rechtsextremer Organisationen zu fassen (vgl. Braun et gen (vgl. Claus 2018). al. 2015). Es existieren jedoch keine Zahlen darüber, wie viele Im subkulturellen Bereich sind dies extrem rechte extrem rechte Kampfsportler*innen auf Wettkampf- Konzertveranstalter sowie Kampfsportorganisationen. niveau trainieren. Dies ist nicht die einzige Daten- und Beispielhaft seien hier der Kampf der Nibelungen (KdN) Informationslücke in Bezug auf die Zusammenhänge sowie das sächsische Tiwaz sowie die Bekleidungsmar- von (Kampf-)Sport und extrem rechter Gewalt. Ein ken White Rex, Greifvogel und Black Legion zu nennen. Forschungsteam um Gunter A. Pilz verfasste 2009 eine Der Forschungsstand hierzu ist allerdings übersichtlich. Expertise unter dem Titel „Rechtsextremismus im Sport Robert Claus hat auf die Entwicklungsgeschichte des – In Deutschland und im internationalen Vergleich“, die Hooliganismus hingewiesen, insbesondere auf dessen 2014 erneut aufgelegt wurde. Hierfür sammelten die Professionalisierung innerhalb des Kampfsportes hin- Forscher*innen medial bekannt gewordene Vorfälle, gewiesen (Claus 2017), die vom rechten Rand der Szene führten Experteninterviews und versandten Fragebö- durch eben jene Turniere vorangetrieben wird, und das gen an insgesamt 26 im DOSB organisierte Sportver- internationale Netzwerk beschrieben, das von Frank- bände (von denen nur acht antworteten). Die Analyse reich bis nach Russland, von Schweden und Italien bis der Fragebögen ergibt ein uneinheitliches Bild: in die Ukraine reicht (Claus 2018). „Aus den erhaltenen Rückmeldungen ist ersichtlich, dass Letztlich ist Gewalt ein fundamentales Element ex- außer beim Deutschen Fußball-Bund und beim Deutschen trem rechter Weltanschauung, die auf dem Recht des Schützenbund keine innerverbandlichen Meldesysteme instal- Stärkeren und einer Ideologie der Ungleichheit basiert. liert sind und dass diese nicht ausreichen, um detailliert über Dies findet seinen Ausdruck auch im Geschäft mit dem rechtsextreme Vorfälle innerhalb von Vereinen […] Auskunft Kampfsport – eigenen Kleidungsmarken und Kampf- erhalten zu können. Keiner der Bundes- bzw. Dachverbände, sportschulen, professionalisierten Events und interna- die sich zur Expertisenanfrage äußerten, sieht sich aufgrund tionalen Vernetzungen. Denn hierdurch wird die Szene der vorhandenen Meldesysteme in der Lage, gesicherte Aussagen finanziert und vernetzt sowie Nachwuchs über eine ge- über die Situation innerhalb der Vereine zum Themenfeld zu walttätige Erlebniswelt gewonnen (ebd.; vgl. auch BMI geben“ (Behn/Pilz et.al. 2014: 41). 2019: 65ff.).

3 Der Blog www.runtervondermatte.noblogs.org klärt seit 2017 detailreich über extrem rechte Kämpfer*innen und Turniere auf (vgl. auch WDR 2018; Martus/Unger 2019; Zidan 2019).

>>> Link zum 13 Inhaltsverzeichnis Darüber hinaus listen die Opferberatungsstellen für Sekundärprävention sind z.B. Streetwork-Projekte oder Betroffene rechter Gewalt länderspezifisch Vorfälle in Anti-Aggressivitäts-Trainings. Die tertiäre Prävention akribischer Arbeit auf (VBRG 2019a). 2018 zählten sie wendet sich an diejenigen, die bereits straffällig gewor- allein in Ostdeutschland 1.212 Angriffe mit 1.789 Be- den sind. Ziel ist es, durch Resozialisierung von Straf- troffenen (VBRG 2019b). Dabei muss von einer hohen entlassenen, Täter-Opfer-Ausgleich, soziale Trainings- Dunkelziffer ausgegangen werden. In den Dokumen- kurse u.a. eine erneute Straffälligkeit zu verhindern (vgl. ten zu einzelnen Fällen finden sich auch Hinweise auf Gugel 2006: 33f.). kampfsporterfahrene Täter*innen, zumeist Männer. Leider liegen jedoch keine Zahlen dazu vor, wie viele In Bezug auf die Prävention von menschenfeind- der Täter*innen kampfsportlich ausgebildet sind. Eben- lichen Einstellungen und extrem rechten Einflüssen so gibt es keine Daten darüber, wie viele extrem rechte hält Johannson (2012: 3) fest, dass sich strukturbezo- Aktivist*innen Kampfsport betreiben oder gar ein ei- gene Prävention darauf ausrichten kann, existierende genes Gym führen. Die Zusammenhänge von Kampf- Umweltbedingungen und organisatorische Settings so sport und extrem rechter Gewalt bleiben größtenteils zu verändern, dass sie eine „Risikoeindämmung bzw. ein Dunkelfeld. -minimierung intendieren“. Dies ist für den Bereich der Kampfsportstrukturen relevant. Zudem wird in jünge- 2.4 Prävention: Grundannahmen ren Forschungen darauf hingewiesen, dass Geschlecht und Anforderungen – insbesondere traditionelle Männlichkeitskonstruktio- nen – und extrem rechte Gewalt eng miteinander ver- Nachfolgend werden zentrale Grundannahmen und knüpft sind, weshalb die Kategorien „Männlichkeit“ Anforderungen der Prävention von Gewalt und men- und „Weiblichkeit“ stärker in den Fokus der Präventi- schenfeindlichen Einstellungen benannt, die für die onsarbeit gerückt werden müssen (vgl. u.a. Claus et al. Durchführung von Projektmaßnahmen im Sinne der 2010; Stuve 2010; Radvan 2013; Debus/Laumann 2014; Qualitätssicherung relevant sind. Hechler/Stuve 2015).

Dimensionen der Gewaltprävention Typologisierung der Gewalt und der Gewaltbegriff Die Weltgesundheitsbehörde regt an, Maßnahmen und Programme zur Gewaltprävention anhand der bei- Damit der Begriff Gewaltprävention nicht lediglich den Dimensionen Zeit (primäre, sekundäre, tertiäre Ge- eine schlagwortartige Verwendung als Containerbegriff waltprävention) und Zielgruppe (z.B. Strategien für je- findet, bedarf er einer inhaltlichen Profilierung. In der dermann, Täter*innen, Opfer, Hochrisikogruppen etc.) Annahme, dass gewalttätiges Handeln seinen Ursprung zu unterscheiden (vgl. WHO 2004: 7). Heiner Keupp in gesellschaftlichen Bedingungen hat und in direktem (1976: 158ff.) unterscheidet Gewaltprävention zudem in Bezug sowie in Abhängigkeit zu strukturellen Lebens- drei Stufen (vgl. auch Johannson 2012: 2): bedingungen entsteht und geschieht, muss Gewaltprä- vention deshalb sowohl individuelles Verhalten als auch • Primäre Gewaltprävention setzt vor dem Auftreten die kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Be- von Gewalt oder menschenfeindlichen bzw. diskrimi- dingungsebenen berücksichtigen. nierenden Verhalten an, um gewaltförmige Einstel- lungen und Verhaltensweisen erst gar nicht entstehen Gewaltprävention benötigt zudem einen differenzier- zu lassen. Hierbei geht es um Bildung und Sensibili- ten und kritischen Gewaltbegriff. Dieser muss sich auf sierung. die strukturell-institutionellen Zusammenhänge, die kulturellen Hintergründe, auf eine differenzierte Situati- • Sekundäre Prävention setzt an, wenn sich erste Ten- ons- und Problemanalyse und die Erhebung des Ist-Zu- denzen von Gewalt oder menschenfeindlichen Ein- stands beziehen. Ferner bedarf Gewaltprävention der stellungen zeigen. Sie zielt sowohl auf den struk- Nachfrage, um welche Form(en) der Gewalt es in Pra- turellen und interaktionellen Kontext als auch auf xisprojekten zur Gewaltprävention gehen soll und wel- Einstellungs- und Verhaltensänderung ab, z.B. kon- che Ursachen und Bedingungen vorliegen (vgl. Gugel textbezogene (präventiv-soziale) sowie individuums- 2006: 14f.). Maßnahmen, die die Reduzierung von Ge- bezogene (präventiv-personale) Maßnahmen der walt in ihrer konzeptionellen Ausgestaltung ausschließ- Früherkennung und Behandlung von Problemen und lich auf der individuellen Verhaltensdimension im Blick Gefährdungen. haben und nicht zusätzlich das komplexe Geflecht personaler, struktureller und kultureller Faktoren (vgl. • Tertiäre Gewaltprävention setzt an, wenn verfestigte Galtung 1975) einbeziehen, werden der Wirklichkeit der Formen von Gewalt oder menschenfeindlichen Ein- Zusammenhänge gewalttätigen Handelns nicht gerecht stellungen auftreten. Sie zielt vornehmlich mit korrek- und eignen sich nicht oder nur bedingt als Angebot der tiv-personalen Interventionen auf die Verhaltensmo- Gewaltprävention (vgl. WHO 2002: 215). difikation ab. Auf der primären Ebene wird mit allen gearbeitet. Auf Berücksichtigung theoretischer Grundlagen der Ebene der sekundären Prävention wird mit einge- grenzten Zielgruppen bzw. konkret gefährdeten Perso- Pilz verweist in seinem eingangs zitierten Beitrag (sie- nen gearbeitet und die Verhinderung spezieller krimi- he 2.1) bereits auf allgemeine Anforderungen für die neller Gelegenheitsstrukturen angestrebt. Typisch für Gewaltprävention. Er hebt hervor, dass diesbezügliche

>>> Link zum 14 Inhaltsverzeichnis Maßnahmen nicht (allein) die Verhaltensebene fokussie- Beschlüsse der Sportorganisationen (DOSB) und staat- ren, sondern dass insbesondere die strukturellen Bedin- licher Institutionen zum MMA erläutert. gungen der Lebenswelt der Verhältnisse gewalttätiger Menschen – und somit die Verhältnisebene – berück- 3.1 MMA – ein moderner sichtigt werden müssen. Extremkampfsport (weltweit) Gugel (2006) bestätigt diese grundlegende Einschät- auf dem Vormarsch zung zum Verständnis der Ursachen und Funktionen MMA ist eine Vollkontaktsportart, die Elemente von Gewalt und präzisiert mit Blick auf die Durchfüh- unterschiedlicher Kampfsportdisziplinen miteinan- rung von Maßnahmen in der Praxis die hierfür erforder- der verbindet. Erlaubt sind Kampftechniken aus dem lichen Anforderungen. Ein Präventionskonzept müsse Standkampf (z.B. Boxen und Kickboxen), Griff- und hiernach auf einer festen Theorie aufsetzen und auf Wurftechniken (z.B. Judo) sowie Bodenkampf (z.B. gesicherte Erkenntnisse zurückgreifen, die Auskunft Grappling). Die zentrale Idee dahinter ist, durch die darüber geben, welche Wirkfaktoren Gewalt verhin- Kombination der Disziplinen einen technisch und kör- dern können (vgl. ebd.: 16). Einbezogen werden müsse perlich höchst anspruchsvollen Kampfsport zu kreieren. dabei spezielles Fachwissen über Motive, Ursachen und MMA hat verschiedene Vorläufer, u.a. das brasilianisch Zusammenhänge in den verschiedenen Bezugswissen- geprägte Va l e Tu d o (Alles ist erlaubt). schaften, z.B. der Sozialpsychologie, der psychologi- schen Aggressionsforschung, den Kommunikations- Die gladiatorenhafte Inszenierung des Kampfgesche- und Erziehungswissenschaften und der Friedens- und hens im MMA ist im Vergleich zu traditionellen asia- Konfliktforschung (vgl. ebd.: 35). Relevante Grund- tischen Kampfsportarten stark ausgeprägt. Gekämpft lagenkenntnisse dieser Wissenschaftsfelder betreffen wird in einem achteckigen Käfig Octagon),( dessen Git- u.a. Annahmen über die Rolle der Jugend in der Gesell- ter vor allem dem Schutz der Kämpfer*innen vor Ver- schaft, Kenntnisse der Zusammenhänge von Aggressi- letzungen dienen. Ringrichter*innen überwachen die on und Gewaltentwicklung, geschlechtsspezifische Be- Kämpfe, die zwischen drei und fünf Runden je drei dürfnisse von Mädchen und Jungen oder interkulturelle Minuten dauern. Sollte keine*r der Kämpfer*innen in Hintergründe bestimmter Zielgruppen. der regulären Kampfzeit k.o. gehen oder zur Aufgabe gezwungen werden, entscheiden drei Punktrichter*in- In Anlehnung an die Erkenntnisse der Weltgesund- nen den Kampf. Vor, während und nach den Kämpfen heitsbehörde (vgl. WHO 2002: 23ff.) kann angenommen überwachen Ringärzt*innen den physischen Zustand werden, dass Gewaltprävention vor allem dann wirksam der Athlet*innen. werden kann, wenn u.a.: Über Jahre hinweg haben Veranstalter eigene Regel- • so früh wie möglich mit Maßnahmen begonnen und werke aufgestellt, bis in den USA 2009 die Unified Rules Langfristigkeit angestrebt wird, of MMA (UFC 2018) festgelegt und staatlich anerkannt wurden, die im Kern besonders gefährliche Techniken • positives Verhalten gestärkt wird, auflisten und verbieten. Heute beziehen sich nahezu alle • multifunktionale Mehrebenen-Strategien angewendet Veranstalter weltweit auf diesen Regelkatalog. werden, International tauchte MMA zu Beginn der • gemeinsam gehandelt wird und Netzwerke gebildet 1990er-Jahre das erste Mal durch die „Ultimate Fight- werden und ing Championship“ in den USA auf. Seitdem gibt die gleichnamige US-amerikanische Firma Ultimate Fighting • Evaluation ein Teil des Projektes ist. Championship (UFC) weltweit den Takt im MMA an. Die UFC ist unbestritten der Marktführer im MMA, veran- 3 Das Feld: MMA in Deutschland staltet monatlich mehrere Profievents und ist aktuell die finanziell führende Veranstaltungs- und Promotion Fir- Wenn wir im Rahmen unserer Explorationsstudie ma im Kampfsport weltweit.4 Neben den MMA-Events MMA in Deutschland betrachten, geht es dabei weni- ist sie u.a. beteiligt an der Entwicklung von MMA-Cas- ger um die sport-, körper- und bewegungsbezogenen tingshows und eines eigenen MMA-Spiels für die PlayS- Aspekte oder den athletischen Wettbewerb. Im Vorder- tation. grund stehen eher das soziale, politische und wirtschaft- liche System bzw. die Organisationsstrukturen sowie In Deutschland erreichte MMA um die Jahrtau- die Entwicklungsgeschichte des MMA in Deutschland. sendwende (damals noch als Freefight bezeichnet) erst- Dementsprechend werden in diesem Kapitel zentrale mals eine größere Öffentlichkeit. Seitdem hat sich die Entwicklungsschritte vom MMA als Sport in Bezug MMA-Landschaft stark ausdifferenziert. Auf Breiten- auf Athlet*innen, Medien, Sponsoren und Events be- sportebene nehmen Menschen am Training teil, aber schrieben. Zudem werden die gesellschaftliche und nur selten an Wettkämpfen (Cage-Fights). Diese finden sportpolitische Debatte um MMA skizziert und zentrale entweder auf Amateurebene oder der semiprofessionel-

4 Die UFC war zudem als Sponsor federführend an der Gründung der MMA-Weltverbandes IMMAF (International Mixed Martial Arts Fede- ration) beteiligt. Die IMMAF ist der größte MMA-Verband mit über 60 nationalen Verbänden und unterstützt den weltweiten Aufbau des MMA-Breitensportfundaments mit Turnieren, die in öffentlichen Hallen stattfinden können. Die deutsche MMA-Szene zollt den Leistungen der UFC großen Respekt und ist zugleich durch die US-amerikanische Organisation stark geprägt.

>>> Link zum 15 Inhaltsverzeichnis len bzw. Event-/Veranstaltungsebene statt. Eine reine Teams, Einzelpersonen und Kampfsportschulen als Profisportebene des MMA existiert in Deutschland GmbHs, KGs. Die GEMMAF ist Mitglied im interna- nicht. tionalen MMA-Verband, der International Mixed Martial Arts Federation (IMMAF). MMA ist seit Anbeginn an eine Domäne männlicher Kampfsportler. Frauenkämpfe wurden lange Zeit kon- Hinsichtlich der Bedeutung und des Bekanntheits- sequent abgelehnt. 2013 führte die UFC den weltweit grads ist die Grappling and Mixed Martial Arts Association ersten MMA-Kampf von Frauen durch. Seitdem wächst e .V. (GAMMAA²)7 ein weiterer wichtiger MMA-Ver- der Anteil von Kämpferinnen im Breitensportbereich band in Deutschland. Die Zahl ihrer Verbandsmitglie- und auf Turnierebene weltweit an. In Deutschland ma- der liegt seit 2015 beständig zwischen 10 und 15, die chen öffentliche Frauenkämpfe zuweilen bis zu zehn sich über ganz Deutschland verteilen und von denen die Prozent der Kämpfe einer Veranstaltung – der Fightcard meisten als eingetragener Verein geführt werden. Mit- – aus. glieder sind Teams und Einzelpersonen, z.B. Betreiber von Kampfsportschulen, die meist nebenberuflich als 3.2 Umfänge und Verbandsstrukturen Veranstalter und Event-Promoter agieren sowie Trai- ner*innen und Kampfrichter*innen. Die GAMMAA² Zahlen und statistische Daten zum MMA in Deutsch- arbeitet eng zusammen mit der Firma together Promotion land liegen nicht vor, da es weder von staatlicher, noch GmbH, die als kommerzieller Veranstalter/Promoter der von verbandlicher Seite aus eine Auflistung gibt , wel- MMA-Eventreihe We love MMA auftritt (siehe Kap. 5.2). che Institutionen in Deutschland in welchem Umfang MMA-Training anbieten.5 Somit existiert derzeit keine Neben den beiden MMA-Fachverbänden GEMMAF verlässliche und bundesweit repräsentative Quelle, um und GAMMAA² gibt es die German Amateur MMA Fede- Auskunft darüber zu erlangen, wie viele Menschen ration (GAMMAF), die im Jahr 2019 für einige Monate MMA in wie vielen Gyms und bei wie vielen Trai- mit der GEMMAF fusionierte. Darüber hinaus zeigen ner*innen ausüben bzw. wie viele MMA-Events unter sich weitere kleinere Verbandsstrukturen, deren Ak- welchen Bedingungen und Auflagen stattfinden.6 Allein tionsradius stellenweise nur auf die lokale Ebene bzw. vage Schätzungen von Expert*innen lassen die Vermu- die Ausrichtung einzelner Veranstaltungen beschränkt tung zu, dass die Anzahl MMA- anbietender Organi- bleibt. sationen im niedrigen vierstelligen Bereich bundesweit liegen müsste. Ohne belastbare Statistiken zur Anzahl Die Beziehung der unabhängig voneinander agie- und zum Umfang der MMA-Angebote ist auf Basis der renden Verbände GEMMAF und GAMMAA² sowie Feldbeobachtungen zu vermuten, dass sich die Zahl der weiterer MMA-Zusammenschlüsse ist von unterschied- Athlet*innen im MMA in der Größenordnung mehrerer lichen Vorstellungen zur Gestaltung von Kämpfen und Zehntausend bewegt. Veranstaltungen geprägt. In Bezug auf die angewandten Regeln für Wettkämpfe besteht heute jedoch eine weit- Die Strukturbildung durch interessenvertretende gehende Übereinstimmung. Stellenweise wird zusam- Fach- oder Dachverbände des MMA erfolgte ab Mitte mengearbeitet, z.B. bei der Vermittlung von Kontakten der 1990er-Jahre. 1994 gegründet, war die Free Fight As- oder Kämpfer*innen für Turniere. sociation (FFA) der erste deutsche Verband für MMA im Amateurbereich, der im selben Jahr den ersten MMA- Resümierend kann festgestellt werden: In Deutsch- Event in Deutschland veranstaltete. Das Regelwerk des land gibt es zahlreiche MMA-Kampfsportschulen und Verbands, der im Jahr 2007 bundesweit 33 Kampfsport- Veranstalter kleinerer MMA-Turniere und -Events, schulen als Mitglieder zählte, beinhaltete Richtlinien für die zusammengenommen das Gros der gesamten Kämpfe und Schutzbestimmungen (z.B. den Einsatz MMA-Landschaft von Trainierenden und Veranstal- von Ringärzten) und lieferte die Grundlagen für Stan- tenden ausmachen. Diese Landschaft ist bislang nicht dards auf MMA-Amateurveranstaltungen in Deutsch- vermessen worden und befindet sich zudem im steti- land und anderen europäischen Ländern. Die FFA löste gen Wandel. Wenngleich bis dato keine exakten Daten sich 2013 auf. über den Gesamtumfang vorliegen, sieht es so aus, als ob ein Großteil deutscher Kampfsportschulen in denen Der größte Verband im Bereich Amateur- und Ju- MMA-Training schwerpunktmäßig oder als Teil des Ge- gendarbeit in der bundesdeutschen Landschaft des samtprogramms angeboten wird, weder gemeinwohlori- MMA ist aktuell die German Mixed Martial Arts Federa- entiert als Sportverein noch über Verbände organisiert tion e .V. (GEMMAF). Die GEMMAF hat derzeit rund ist. Zahlreiche Anbieter – wenn nicht sogar die Mehr- 45 Verbandsmitglieder im gesamten Bundesgebiet von zahl – sind kommerziell geführte Sportschulen, die ihre denen aktuell zehn Kampfsportschulen als eingetrage- Dienste auf einem freien und ungeregelten Kampfsport- ner Verein geführt werden. Die anderen Mitglieder sind markt anbieten.

5 Schwierigkeiten bei der Erhebung entsprechender Zahlen hängen zudem mit der Definition von MMA zusammen. Durch die Mischung von Kampftechniken unterschiedlicher Kampfsportarten im MMA besteht eine unscharfe Trennlinie zwischen unterschiedlichen Trainings- und Wettkampfformen, die im Kampfsportsektor angeboten werden. Während zahlreiche Gyms sich auf MMA-Training spezialisiert haben, un- terbreiten andere Gyms MMA-ähnliche Angebote, beispielsweise indem Kampfsportarten wie Boxen und Muay Thai kurzerhand kombiniert werden. 6 Solche Daten zu erheben hätte die vorhandenen Ressourcen zur Erstellung dieses Dossiers weit überschritten. 7 Schreibweise mit hochgestellter Zahl zwei.

>>> Link zum 16 Inhaltsverzeichnis 3.3 Events, Medien und Sponsoren Auf sportpolitischer Ebene wird die Debatte um MMA in Deutschland zumeist erregt geführt – sofern Ähnlich unübersichtlich und in Bewegung wie die sie denn überhaupt geführt wird. Wie so oft, wenn es Breitensport- und Amateurwettkampfebene ist die deut- um das Phänomen der Gewalt geht, machen auch hier sche Veranstaltungslandschaft von semiprofessionellen Bezeichnungen wie Brutalität und Sittlichkeit die Run- Kämpfen im MMA dar. Neben der größten kommer- de. So positionierte sich der renommierte Boxkommen- ziellen Eventserie We love MMA, die Hallen mit Zu- tator Werner Schneyder am 19. Mai 2009 wie folgt in der schauerzahlen im mittleren vierstelligen Bereich füllt, Frankfurter Allgemeinen Zeitung: existieren weitere Veranstaltungsreihen, wie z.B. die Respect Fighting Championship, die German MMA „Es werden Rippen eingetreten, wo sich einer schon nicht Championship (GMC),8, die Nova FC und die Fair mehr wehrt. Man nimmt Krüppelhaftigkeit und Todesfolge in Fighting Championship (Fair.FC). Kauf. Wenn eine Gesellschaft die öffentliche Propagierung dieser Gewalt durch missverstandene Liberalität in Kauf nimmt, dann Veranstalter von MMA-Kämpfen und Eventreihen macht sie sich schuldig. Es gibt nur eine Möglichkeit: Man muss erscheinen genauso schnell auf der Bildfläche wie sie diesen Wahnsinn verbieten.“ von ihr wieder verschwinden. Beispielsweise hatten sich Mitte der 2010er-Jahre die von rechten Hooligans do- Eine ablehnende Haltung nahm seinerzeit ebenfalls minierte Leipziger Imperium Fighting Championship (IFC) der DOSB ein und beschloss auf einer Präsidiumssit- und das Berliner Sprawl and Brawl aufgemacht, unter die zung im November 2009: Top drei der deutschen MMA-Veranstalter vorzustoßen. Beide Veranstalter stellten ihre Eventaktivitäten jedoch „Ultimate Fighting als Teil der sogenannten Mixed Martial 2016 bzw. 2017 ohne jegliche öffentliche Erklärung ein. Arts ist kein Sport. Er widerspricht grundlegend dem allgemei- nen Sportethos und der Sportdefinition des DOSB. Das Prä- Die deutsche MMA-Szene hat ihre eigenen Medien- sidium begrüßt die allgemeinen Anstrengungen der Politik in plattformen und -partner. Als bundesweite Newspage Bund, Ländern und Kommunen, der Verbreitung von Ultimate dient die Seite www.kaefiggefluester.de und www.sherdog.com Fighting Einhalt, zu gebieten und ruft die Mitgliedsorganisa- präsentiert umfangreiche Statistiken zu MMA-Kämp- tionen des DOSB auf, eine Pervertierung der dem Sport im- fen. manenten Werte durch Mixed Martial Arts nicht zuzulassen“ (DOSB 2009). Der Fernsehsender ProSieben überträgt die Events der amerikanischen UFC und die BILD-Zeitung betreibt Wenige Tage später betonte die deutsche Sportminis- eine Kooperation mit der Firma togehter promotion (Event- terkonferenz die Unverletzlichkeit der Person sowie den reihe: We love MMA). RanFIGHTING.de vertreibt Ti- Jugendschutz und schloss sich der Position des DOSB ckets für das online verfügbare Pay-per-View und auch an (vgl. Sportministerkonferenz 2009). E-Plus ist als Sponsor von MMA-Events aktiv. Nam- hafte Sportartikelhersteller sind auf dem MMA-Markt Die damaligen Beschlüsse haben bis heute Gültigkeit nicht aktiv, was den Einfluss extrem rechter Labels und begründen damit automatisch den Ausschluss von begünstigt. Im Zusammenhang mit der Veranstaltung MMA aus der staatlichen Sportförderung. Mit einem kleinerer regionaler Fight Nights treten jenseits der gro- Verbot oder bundesweit einheitlichen Richtlinien zur ßen Medienpartner und Sponsoren insbesondere Lokal- Handhabung von MMA wurde dieser Beschluss jedoch redaktionen sowie u.a. Autohäuser, Bars und Brauereien nicht hinterlegt. In der Folge war es im föderalen Ge- in Erscheinung. flecht der jeweiligen Kommunal- und Landespolitik den unterschiedlich agierenden kommunalen Jugendämtern 3.4 Die MMA-Debatte überlassen, Wege im Umgang mit MMA-Veranstaltun- gen zu finden. Entsprechend unterschiedlich sind Be- MMA ist in Deutschland seit jeher höchst umstrit- richte der Veranstalter über Auflagen zu ihren Events in ten. Viele Kämpfe enden blutig und hinterlassen einen den jeweiligen Bundesländern. brutalen Eindruck. Vor diesem Hintergrund zog die Landesmedienanstalt Bayern im Jahr 2010 die Erlaub- Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass es interna- nis zur Übertragung von MMA-Kämpfen gegenüber tional ebenfalls keinen einheitlichen Umgang mit dem dem Deutschen Sportfernsehen zurück. Wenngleich Phänomen MMA gibt. Beispielsweise waren MMA-Ver- Pro7MAXX im September 2016 trotzdem ein interna- anstaltungen und selbst das Training in Frankreich über tionales Groß-Event der UFC aus den USA in Ober- Jahre hinweg verboten, während in Polen und Russland hausen übertrug, so ist dieser Sachverhalt in Anbetracht Eventhallen bei MMA-Kämpfen mit mehreren zehntau- der medialen Entwicklungen der letzten Jahre letztend- send Zuschauer*innen gefüllt sind. In Schweden wiede- lich nicht weiter von Bedeutung. Denn seit einigen Jah- rum ist zwar das Berufsboxen verboten, MMA jedoch ren überträgt www.ranfighting.de in Deutschland Turnie- erlaubt. Die Vergabe von Veranstaltungslizenzen eines re als Pay-Per-View im Internet und auf YouTube sind dortigen Verbandes führte dazu, den Einfluss halböf- MMA-Kämpfe – vom russischen Lokal- bis zum ameri- fentlicher Turniere stark zu limitieren. Ein umfassender kanischen Megaevent – leicht zu finden. Vergleich zum Umgang mit MMA in Europa steht in- dessen noch aus.

8 Trotz des Namens ist die Germann MMA Championship nicht die offizielle deutsche MMA-Meisterschaft.

>>> Link zum 17 Inhaltsverzeichnis 4 Interviews beziehen sich auf den Umgang der Organisation mit etwaigen Vorfällen mit extrem Rechten (Kämpfer*in- Neben umfangreichen Recherchearbeiten (Literatur, nen, Sponsoren etc.) und die daraus resultierenden Internet, Vor-Ort-Besuche) beruhen die Ergebnisse der Maßnahmen zur Prävention von Diskriminierung. vorliegenden Explorativstudie im Kern auf der Analyse • Das Themenfeld „Positionen, Wünsche, Forderungen von Interviews mit Vertreter*innen aus der MMA-Sze- und Perspektiven“ bietet die Möglichkeit, Botschaften ne sowie der Sportpolitik und des organisierten Sports an jeweils andere zu adressieren. In diesem Zusam- in Deutschland. Die Wahl der Interviewpartner*innen menhang werden kurz- bzw. langfristige Vorhaben war das Ergebnis von Vorrecherchen und erfolgte unter und Perspektiven sowie mögliche Partnerschaften Berücksichtigung der im Projektkonzept definierten und/oder erforderliche Unterstützung erörtert. Teilziele der Explorationsstudie. Vor diesem Hinter- grund wurden Personen identifiziert, deren subjektiven Sichtweisen tendenziell für vier unterschiedliche Per- 4.2 Kurzvorstellung der spektiven auf das Feld MMA im Zusammenhang mit Interviewpartner*innen dortigen Tendenzen zu Gewalt, Diskriminierung und Rechtsextremismus bzw. deren Prävention in Deutsch- Clemens Werner (Jahrgang 1992) ist Präsident der land stehen. Nachfolgend werden die Themenfelder 2013 gegründeten German Mixed Martial Arts Federation und der Fragenkatalog skizziert und die Interviewpart- (GEMMAF) und dort zuständig für die Vorstands- ner*innen kurz vorgestellt. leitung. Er ist als Kampfrichter auf internationalen MMA-Turnieren tätig. 4.1 Themenfelder und Fragenkatalog Lutz Heyden (Jahrgang 1964) ist Vizepräsident der Die Themenfelder der leitfadengestützten Interviews 2013 gegründeten German Mixed Martial Arts Federation mit Expert*innen berücksichtigen den Projektauftrag (GEMMAF) und dort zuständig für die MMA-Natio- und den aktuellen Forschungsstand. Die Fragenkata- nalmannschaft. Er ist ehemaliges Vorstandsmitglied im loge wurden für die jeweiligen Interviewpartner*innen Berliner Karateverband und früherer Bundestrainer im hinsichtlich der Themen- und Schwerpunktsetzung an- Vollkontakt-Karate. gepasst. An die Abfrage personenbezogener Daten zum Beginn der Interviews schlossen sich Fragen zu folgen- Sabine Schmidt (Jahrgang 1980) ist 2. Vorsitzende den Themenfeldern an: der 2013 gegründeten Grappling and Mixed Martial Arts Association e.V. (GAMMAA²) und dort tätig als Supervi- • Fragen zum Themenfeld „Strukturen und Profile in sorin für die Einhaltung des Regelwerks bei Veranstal- der Landschaft des MMA“ beziehen sich auf Rol- tungen sowie für die Kampfrichterausbildung. len und Aufgaben, die die MMA-Verbände für ihre Mitglieder erfüllen bzw. übernehmen, die Mitglie- Michael Behrendt (Jahrgang 1969) ist Begründer derstruktur der Organisation und deren Aufnahme- und Ehrenvorsitzender der Grappling and Mixed Mar- kriterien sowie die Entwicklungen innerhalb der Ver- tial Arts Association e.V. (GAMMAA²); er ist außerdem bandslandschaft. Im Fokus stehen zudem Umfänge im Vorstand der Kampfsportschule Köpenick e.V. und Profile der Mitglieder, die Gyms und die Turnier- und blickt auf eine langjährige Wettkampfkarriere als szene im MMA sowie formale Vorgaben und Rege- MMA-Kämpfer im semi-professionellem Bereich zu- lungen in Bezug auf MMA-Angebote, -Trainertätig- rück. keiten und -Turniere. Ferner werden Einschätzungen der Interviewpartner*innen zur Entwicklung und Marcus Wortmeier (Jahrgang 1979) ist Gründer, In- Vernetzung sowie etwaige bestehende Herausforde- itiator und Veranstalter der 2009 gegründeten marken- rungen und Probleme des MMA erkundet. rechtlich geschützten Kampfsportserie We love MMA; er ist Geschäftsführer der (Konzert-)Veranstaltungsfirma • Das Themenfeld „Gewalt(-prävention) im MMA“ Together Promotion GmbH () und in dieser Funktion setzt sich zusammen aus Erörterungen von bestehen- hauptverantwortlich für die Durchführung von We love den Wertvorstellungen und Einschätzungen zum Ge- MMA-Veranstaltungen in Deutschland, Österreich und fahrenpotenzial von Kampfsport (personale „Aufrüs- der Schweiz. tung“ und „Zweitnutzen“ erlernter Kampftechniken) und von Maßnahmen zur Prävention von Gewalt im Philipp Beitzel (Jahrgang 1983) ist Mitarbeiter der MMA. Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) bei der Deut- schen Sportjugend (dsj) als Jugendorganisation des • Im Mittelpunkt des Themenfeldes „Gruppenbezoge- Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Die ne Menschenfeindlichkeit und extreme Rechte“ stehen KOS begleitet die bundesweit 60 sozialpädagogischen Fragen zum Einfluss von extrem Rechten und zu kon- Fanprojekte in ihrer Arbeit mit jungen Fußballfans und kreten Vorfällen in Bezug auf Diskriminierung und ist als bei der dsj angesiedelte Organisation auch zustän- extrem rechte Gewalt innerhalb der Mitgliedsorgani- dig für Sportszenen.9 sationen und auf Turnieren des MMA. Weitere Fragen

9 Das Interview wurde von der Geschäftsführung der dsj inhaltlich autorisiert.

>>> Link zum 18 Inhaltsverzeichnis Detlef Pilger (Jahrgang 1955) ist ehemaliger Lehrer und seit 2013 Bundestagsabgeordneter der SPD für den Wahlkreis Koblenz. Er ist Mitglied des Sportausschus- ses im Deutschen Bundestag und sportpolitischer Spre- cher der SPD-Bundestagsfraktion.

Eberhard Gienger (Jahrgang 1951) ist ehemaliger olympischer Kunstturner und Sportlehrer. Seit 2001 ge- hört er dem Deutschen Bundestag an, seit 2013 ist er Mitglied in dessen Sportausschuss. Er ist sportpoliti- scher Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Sport und Ehrenamt.

>>> Link zum 19 Inhaltsverzeichnis 5 Ergebnisse der Interviewanalyse Aufgaben, Leistungen und Selbstverständnis

In diesem Kapitel stellen wir die zentralen Ergebnisse Die selbstdefinierten Aufgaben und Leistungen beider der Interviewanalyse vor. Nach Kurzdarstellungen der Verbände differieren hinsichtlich ihrer Arbeitsschwer- MMA-Verbände und des Veranstalters der Eventreihe punkte und in Bezug auf ihre jeweiligen Mitglieder. We love MMA geben wir die Einschätzungen der Inter- viewpartner*innen zur Entwicklung und dem Status German Mixed Martial Arts des MMA sowie den dort bestehenden Regelungen und Federation (GEMMAF): etwaigen Herausforderungen aus Sicht der MMA-Ver- bände wieder. Daran anschließend werden Antworten • Dem MMA-Sport eine Struktur geben, indem ein- auf Fragen zu den Auswirkungen von MMA, der im heitlich Regularien (Unified Rules of MMA) in ganz MMA zu erwerbenden Gewalt(-kompetenz) und dort Deutschland durchgesetzt und etabliert werden. auftretenden extrem rechten Phänomenen bzw. den Gegenstrategien der MMA-Organisationen vorgestellt. • Organisation eigener (offener) Veranstaltungen (regi- Einschätzungen zu den Debatten um MMA als Sport onale/nationale Meisterschaften) auf Basis eines ein- und seine Aufnahme in den DOSB schließen das Ka- heitlichen Regelwerks (Unified Rules), mit ausgebil- pitel ab. deten Punktrichter*innen, Bluttests, Ringärzt*innen und gegebenenfalls Sicherheitspersonal, auf denen 5.1 Kurzdarstellung der MMA- sich Athlet*innen sicher messen können. Verbände GEMMAF und GAMMAA² • Hilfestellung beim Aufbau und bei der Entwicklung Aufnahmebedingungen und Mitgliederzahl einfacher Gym-Turniere – hin zu regionalen/nationa- len Meisterschaften.

Die Mitgliedschaft in den beiden Verbänden können • Durchführung von Offiziellen-Ausbildungen; Aus- natürliche oder juristische Personen (Einzelpersonen, bildung von Punktrichter*innen, damit Athlet*innen Teams, Vereine, Gyms bzw. Firmen) beantragen. Hin- unter sicheren Bedingungen kämpfen können. sichtlich der Aufnahmebedingungen ähneln sich beide Verbände: Um Mitglied zu werden, reicht es im Wesent- • Zurverfügungstellung sicherheitsrelevanter Informa- lichen aus, die zentralen Grundlagen der Wettbewerbe tionen (welche Bluttests?) und Richtlinien. anzuerkennen (z.B. das Regelwerk, Bluttest bei Turnie- ren). Grundsätzlich gibt es nur geringe Hürden bzw. • Schaffung von Möglichkeiten und Rahmenbedingun- keinerlei Nachweispflichten oder Lizenzierungsanfor- gen zum Sammeln erster Erfahrungen und zur siche- derungen. ren Entwicklung der Athlet*innen; Amateuren die Möglichkeit geben, um sich sicher in einem geregelten In beiden Verbänden werden Mitglieder auf Basis Umfeld miteinander messen zu können. standardisierter formaler Abläufe aufgenommen, er- gänzt durch persönliche Gespräche mit den Antrag- • Vergünstigungen für Mitglieder, Hilfestellung für stellern und Erkundigungen im MMA-Netzwerk und Mitgliedsschulen und Netzwerkbildung. Internet. In der Regel bestehen enge Bekanntschaftsver- hältnisse zu den „handverlesenen“ Mitgliedern. Auf den Grappling and Mixed Martial Arts (seltenen) Fall, dass Recherchen zu Antragsteller*innen Association e.V. (GAMMAA²): Auffälligkeiten ergeben, reagieren beide Verbände mit Nachfragen bzw. der Ablehnung von Anträgen. Ein • Rahmen und Strukturen geben und vor allem das Re- Anspruch zur „Einflussnahme auf Interessenten“ wird gelwerk weiterentwickeln und über dessen Einhaltung nicht erhoben. wachen.

Die Vertreter*innen beider MMA-Verbände können • Informationsplattform für Mitglieder, als „helfende nur eine ungefähre Zahl der Mitglieder (oder Kunden) Struktur“. ihrer jeweiligen Verbandsmitglieder nennen. Exakte • Übergreifende Vermittlungs- und Netzwerkarbeit auf Aussagen über die Anzahl der MMA-Trainierenden, die Nachfrage. verbandlich organisiert sind für sie nicht möglich (sie- he dazu auch Kap. 3.2), weil Abfragen hierzu lediglich • Arbeitsschwerpunkte sind die sportliche Strukturie- zum Zeitpunkt des Eintritts in den Verband erfolgen rung (Turniere veranstalten, Leute in Wettkämpfe und Mitgliederstatistiken nicht kontinuierlich geführt schicken) und der Schutz der Athlet*innen und deren werden. Zudem kommen Dopplungen bei den Mitglied- Gesundheit. schaften vor, da beispielsweise eine Promotionsfirma quasi auch als Team auftauchen kann oder MMA-Teams • Angebot für Einzelmitglieder: (ehrenamtlich geleiste- von Vereinen nur als einzelnes Mitglied geführt werden. te) Aus- und Fortbildungen in den Bereichen Wett- kampfteilnahme, Kampfrichter*in und medizinische Betreuung.

>>> Link zum 20 Inhaltsverzeichnis • Angebote für den Promoter/Veranstalter der Event- eigenen Eventreihe eng mit diesem MMA-Verband und reihe We love MMA: Betreuung und Ausbildung der weiteren Akteuren aus der MMA-Kampfsportszene zu- Kampfrichter*innen, Stellung des Kampfgerichts, sammen. Bei den gemeinsam mit dem Verband GAM- Überwachung der Einhaltung des Regelwerks und MAA² durchgeführten Veranstaltungen besteht eine Gesundheitsschutz der Kämpfer*innen (Organisa- strikte Aufgabentrennung: Während die Geschäftsfüh- tion und Stellung der medizinischen Betreuung durch rung der together Promotion für kaufmännische Aufgaben Ärzte) während der Veranstaltungen. und die Vermarktung verantwortlich ist, übernimmt der Verband die Wettkampfdurchführung, darunter Vor dem Hintergrund, dass MMA in Deutschland das Wertungsgericht und die Aufsicht über die Kämpfe. noch eine sehr junge Kampfsportart ist und es erst we- Gemeinsame Basis ist das Regelwerk der UFC (Unified nige Strukturen und Informationsnetzwerke gibt, ver- Rules of MMA), das der Verband übernommen hat. Mit stehen die Vertreter*innen beider Verbände ihre Ver- der Übertragung der Kampfrichteraufgabe an den Ver- bandsarbeit in erster Linie als Dienst am Sport und als band will die together Promotion sicherstellen, dass Kämpfe Dienstleister für die Athlet*innen und die Gyms. Ein- neutral bewertet und beaufsichtigt werden. Die Auswahl hellig formulieren sie die Selbstverpflichtung, bestehen- der Turnier-Kämpfer*innen und das Zusammenstellen de Strukturen und Rahmenbedingungen hinsichtlich der Fightcard obliegt allerdings der Firma together Promo- Qualität und Sicherheit im MMA stabilisieren und wei- tion, die zu diesem Zweck eng mit zwei sogenannten terentwickeln zu wollen. Sie möchten damit zur sport- Matchmakern zusammenarbeitet, die über langjährige lichen Entwicklung und dem Schutz für Athleten*innen Erfahrungen im Kampfsportsektor sowie gute Bezie- und Institutionen im MMA-Amateurbereich beitragen hungen zu (kommerziellen und gemeinwohlorientier- und zugleich das seit langer Zeit negativ geprägte Image ten) Gyms und Trainer*innen – auch auf internationaler von MMA verbessern. Ebene – verfügen. 5.2 Kurzvorstellung Veranstalter 5.3 Entwicklung und Status des MMA der Eventreihe We love MMA Meilensteine und Umfänge Seit 2010 führt das im Bereich Live-Entertainment tätige PR-Unternehmen together Promotion GmbH mit Sitz Als positive Meilensteine der Entwicklung von MMA in Berlin die 2009 gegründete und markenrechtlich ge- in Deutschland erachten die Interviewpartner*innen schützte Eventserie We love MMA in Deutschland, Ös- der MMA-Verbände die gesteigerte mediale Präsenz und terreich und der Schweiz durch. Bis dato fanden insge- die Möglichkeit, MMA-Kämpfe im Internet und im Pay- samt 48 We love MMA-Events mit insgesamt mehreren TV sehen zu können. In Hinsicht auf die professionelle zehntausend Zuschauer*innen statt. Die Eventserie Eventebene von MMA gelten der erste Event der UFC wird seit 2019 per Livestream auf den Internetplattfor- im Jahr 2009 in Deutschland, die Verpflichtung des men BILD.de und E-Plus übertragen. In der Vergan- ersten deutschen MMA-Kämpfers und die Einführung genheit bestand eine Partnerschaft mit der Pay-TV-On- von Frauenkämpfen durch die UFC als bahnbrechend. lineplattform ranFighting.de. Auf der Ebene des Amateursportbereichs gilt das gute Together Promotion wurde durch den weltweiten Erfolg Abschneiden deutscher MMA-Kämpfer*innen bei den der UFC und ihre erste Veranstaltung in Deutschland Europa- und Weltmeisterschaften 2018 als impulsge- im Jahr 2009 (siehe auch Kap. 5.3) dazu angeregt, das bend. US-amerikanische Konzept der UFC zu kopieren und mittels der eigenen Eventserie We love MMA mit vor- Als bedeutsame negative Meilensteine gelten der Be- nehmlich nationalen Sportlern auf den deutschen schluss der Sportministerkonferenz im Jahr 2009, der Markt zu übertragen. Da zum damaligen Zeitpunkt u.a. zu enormen Problemen bei der Anmeldung von MMA-Kämpfe in Deutschland weitgehend in Kampf- Hallen (z.B. für regionale Meisterschaften) geführt hat, sportschulen und unter Ausschluss einer größeren Öf- und das 2010 von der Landesmedienanstalt in Bayern fentlichkeit stattfanden, entwickelte together Promotion das ausgesprochene TV-Verbot, durch das MMA-Kämpfe Konzept der Eventserie We love MMA, das „Sportlern quasi aus dem deutschen Fernsehen verbannt wurden. eine seriöse Bühne“ bieten und MMA-Kämpfe für Zu- schauer*innen in den „besten Hallen deutschlandweit“ Grundlegende Übereinstimmung besteht bei allen In- zugänglich machen sollte. We love MMA-Veranstaltun- terviewpartner*innen darüber, dass MMA in Deutsch- gen haben seitdem in (von privat oder von der öffent- land in den letzten Jahren an Popularität gewonnen lichen Hand betriebenen) Veranstaltungsorten stattge- und Wachstum erfahren hat. Als Beispiele hierfür wird funden, wie z.B. in der Mercedes-Benz-Arena in Berlin, die gestiegene Zahl von Anbietern, dort Trainierenden der Barclaycard-Arena in , im Olympiapark („Es schießen Vereine oder Interessengruppen aus dem München oder auf dem Messegelände . Boden, hat man den Eindruck.“) und (öffentlichen) MMA-Veranstaltungen genannt: Togehter Promotion ist laut eigener Aussage an einer engen und kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Partner*in- „Es gibt an jedem Wochenende ungefähr eine MMA-Ver- nen aus dem MMA-Bereich interessiert. Vor diesem Hin- anstaltung in Deutschland, in verschiedensten Größen, sei es in tergrund ist die Firma seit 2013 Mitglied der GAMMAA² kleinen Hallen, sei es in Kampfsportschulen, die als sogenannte (siehe Kap. 5.1) und arbeitet bei der Durchführung der Haus-Galas laufen, sei es in großen Hallen“ (Wortmeier).

>>> Link zum 21 Inhaltsverzeichnis Zur Frage, wie viele Menschen in Deutschland MMA Tritt- und Hebeltechniken, Ringen und Bodenkampf) betreiben, können die Verbände jedoch keine belast- sehr viel passiere. Obwohl es mindestens ebenso viele baren Statistiken mit konkreten Angaben beibringen Regeln wie z.B. im Judo gebe, stelle sich MMA für die (siehe dazu auch Kap. 3.2 und 5.1), weder was die Zahl Zuschauer*innen gleichzeitig weniger kompliziert dar. der aktiven Wettkämpfer*innen noch was die Zahl der Während Laien manchmal nicht verstünden, warum wer Trainierenden betrifft. Die Schätzungen der Verbände in einem Judo-Kampf gewonnen hat, sei das im MMA gehen hierzu weit auseinander: Sie bewegen sich zwi- weitaus offensichtlicher. Die Menschen wären zudem an schen 20.000 Personen, die relativ regelmäßig MMA den Wirkungen von Selbstverteidigungstechniken bzw. trainieren und von denen drei bis fünf Prozent an Wett- -fähigkeiten interessiert, etwa welcher Kampfstil der kämpfen teilnehmen würden (GEMMAF), und einer bessere sei und welche Kampftechniken am effektivsten „sechsstelligen Zahl“, von der „dreieinhalb bis vierein- funktionierten. MMA sei zudem „sauber“: Es gebe kei- halb Tausend“ aktiv MMA-Kämpfe bestreiten würden ne Dopingskandale und keine abgesprochenen Kämpfe. (GAMMAA²). Auch für die Athlet*innen sei MMA zunehmend Eine ungefähre Auskunft über die Anzahl von attraktiv geworden. So böten MMA-Veranstaltungen Kampfsport-Gyms, die MMA-Training anbieten, liefer- öffentliche Plattformen, auf der sie sich einem breiten te eine ausführliche verbandsinterne Internetrecherche Publikum präsentieren könnten. Für viele sei dies der der GEMMAF zum Zweck der Mitgliederakquise im Anreiz sich zu beteiligen („da möchte ich auch mal Jahr 2017. Damals gab es rund 300 solcher Gyms, heu- drinstehen, das möchte ich machen“). Für Kampf- te müssten es, so die Einschätzung, bereits mindestens sportler*innen sei das Interesse am MMA insbesonde- 500 sein, wobei es eine schwer zu beziffernde Grauzone re deshalb hoch, weil sie sich in jedem Bereich (Stand, gebe. Together Promotion nimmt als Anhaltspunkt ihrer Übergang und Boden) spezialisieren könnten und ihre Schätzung den Umfang ihres Adressenpools. Allein im spezifischen individuellen Fähigkeiten nicht durch das Stadtgebiet von Berlin gebe es hiernach 250 Kampf- Regelwerk eingegrenzt würden. sportschulen, die MMA oder ähnliche Kampfsportarten anbieten würden. Und schließlich betonen die Verbandsvertreter*innen das große Interesse und die ihrer Meinung nach „un- Erklärungsansätze bedarfte Herangehensweise der Jugendlichen“. Im Ver- gleich zu anderen Kampfsportarten sei MMA sehr viel Gründe für das gestiegene Interesse an MMA in jünger und ziehe eine jüngere Zielgruppe (18 bis 35 Jah- Deutschland sehen die Interviewpartner*innen auf re) an, die vorurteilsfrei an das Thema MMA herangehe. mehreren Ebenen: Junge Menschen würden sehen, was in der UFC passie- re, und dort Vorbilder finden: „Da gibt es ja auch große Nach Ansicht der MMA-Verbandsvertreter*innen hat deutsche Kämpfer und die [Jugendlichen; d. Verf.] wol- sich die Situation durch die dauerhafte Verfügbarkeit len ihnen nacheifern“ und „gehen fleißig ins Training von MMA-Kämpfen im Pay-TV bzw. im Internet stark und wollen dann auch UFC-Kämpfer werden“. gewandelt. Infolge der gestiegenen Präsenz auf medialer Ebene könnten heute viel mehr Menschen MMA-Kämp- Die Einschätzungen von Phillip Beitzel (dsj/KOS) fe sehen als in der Vergangenheit. Marcus Wortmeier stimmen in dieser Hinsicht mit denen der Verbandsver- von together Promotion bestätigt, dass sich langsam auch treter*innen weitgehend überein: größere Medienplattformen (z.B. ProSiebenSat1 Me- dia Group) für den MMA-Markt öffnen würden: „Wir „Die Zugänge sind natürlich einfacher geworden durch das strahlen per Livestream aus, haben unseren Content im Internet. Es wächst in Märkten, die ja durchaus für deutsche, Internet, es ist, ebenso wie die UFC, immer verfügbar.“ hauptsächlich Jugendliche interessant sind. […] Und es bietet Die einfache Verfügbarkeit führe dazu, dass Menschen mit Sicherheit auch – wenn man es selber sportlich ausüben will schnell an Informationen und Bilder kommen, mehr – einen anderen Erlebnisfaktor als andere Kampfsportarten, Eindrücke erhalten und die Sichtbarkeit gesteigert wird. weil es viel mehr aufgeladen ist mit Action. Du erlebst mehr und MMA öffne sich somit einem Massenpublikum. Großen du hast, glaube ich, viel mehr Facetten, die dieser Sport bedient Einfluss auf die Situation in Deutschland habe zudem als ein anderer Kampfsport, der sich auf eine Kampfsporttech- die internationale Entwicklung, insbesondere in den nik fokussiert.“ USA, in Kanada, Brasilien und Japan. In den USA sei MMA bereits Mainstream und habe einen hohen Stel- Ganz anders die Positionen der interviewten Sport- lenwert. Die dortigen Top-Athlet*innen seien mindes- politiker. Sie assoziieren die Entwicklungen von MMA tens so bekannt wie die Fußballnationalmannschaft in mit adrenalingesteuertem, lustbasiertem und exzessivem Deutschland. Dadurch wiederum ändere sich nach und Handeln von Menschen in Gewaltszenen: nach das Image, dass sehr negativ war. „MMA ist natürlich eine extreme Kampfsportart und bietet Die Verbandsvertreter*innen sehen in der beson- auch Adrenalin. Wer so auf die Art und Weise einen Adrena- deren sportspezifischen Gestaltung des MMA einen linschub sich besorgen will, der bekommt den sicher geboten. […] Grund für die zunehmende Popularität. So sei MMA es gab immer Szenen, die im Gewaltzentrum agiert haben und eine zuschauerorientierte und zuschauerattraktive die Freude an Gewaltszenen gehabt haben. Ausübung eigener Kampfsportart, in der u.a. aufgrund der Kombination Gewalt oder auch das Empfinden, ich sage mal, das Prickeln der verschiedenen Stile und Kampftechniken (Schlag-, von der Szene in sich, das Schauen von diesen Gewaltexzessen.

>>> Link zum 22 Inhaltsverzeichnis Ich kann mir schon vorstellen, dass es da einen gewissen Markt „Ich habe bei jeder Veranstaltung mit mindestens zwanzig für gibt, dass es da auch eine Anhängerschaft für gibt“ (Pilger). Kämpfern zu tun, manchmal noch mehr. Und ich gehe jedes Mal raus und denke mir, Gott, was für angenehme Menschen. Die Zudem werden Bezüge zu Gewalt in Medien herge- sind knochenhart. Die sind gebildet. Die sind höflich. Die sind stellt und ein voyeuristischer Reiz an echten Gewalt- eloquent. Die sind sozialkompetent.“ handlungen als Grund für die Attraktivität genannt: Laut den Vertretern der GEMMAF unterscheide sich „Aber es gibt auch ein starkes Interesse an Filmen, die Ge- die Klientel im Amateurbereich von der im Wettkampf- walt verherrlichen. Und so etwas dann einmal in natura zu bereich auf semiprofessioneller Ebene drastisch. Wäh- sehen, so quasi Gladiatorenkämpfe, wo nicht gleich der Tod rend auf Amateurebene deutlich mehr Student*innen eines Kämpfers die Folge ist, wo alle möglichen Kampfformen unter den Athlet*innen anzutreffen seien, würden für zusammenkommen, da kann ich mir schon vorstellen, dass das Kämpfe auf MMA-Eventebene häufig Athlet*innen Interesse auslöst“ (Gienger). nach ihrer Durchsetzungsfähigkeit ausgesucht:

MMA wird somit zum Symptom für die Verrohung „Da tummeln sich oft, wer gerne schlägt. Nicht nur, ja, natür- zerfallender und zunehmend zerrissener Gesellschaften lich nicht nur, es gibt auch da andere.“ erklärt. MMA gibt Anlass zum Kulturpessimismus, und die Schaukämpfe dienen als Beleg dafür, was in der Ge- Die Personen, die in einer Sportschule trainieren, so sellschaft alles im Argen liegt. die Einschätzung, könne man zudem in der Regel dem Betreiber zuordnen: Menschen und Milieus „Die passen zusammen. Und wenn man jetzt eine von den Die obigen Einschätzungen, was die unbedarfte He- Sportschulen nimmt, die wir zum Beispiel nicht aufnehmen wür- rangehensweise und das Interesse der Jugendlichen den, dann werden da andere Leute trainieren.“ betrifft, legen nahe, dass MMA eine moderne Art des Kampfsports ist, die für Jugendliche und junge Er- Auch die Zusammensetzung der Trainierenden in Be- wachsene sehr attraktiv ist. Tatsächlich wird das durch- zug auf Nationalität, Ethnizität und Herkunft sei weit- schnittliche Alter der MMA-Trainierenden auf der Brei- gehend der jeweiligen Sportschule geschuldet: tensportebene auf Anfang 20 geschätzt. Von ihnen sind die meisten männlich – insbesondere im aktiven Wett- „Wir haben hier in Berlin Kampfsportschulen, die sind eth- kampfbereich. Im Breitensportbereich ist der Anteil nisch zentriert, ganz klar. Meines Wissens gibt es keine rein von MMA-Kämpfer*innen in den letzten Jahren jedoch deutsch ethnisch zentrierte Sportschule in Berlin. Aber es gibt enorm angestiegen. Nach Schätzungen der GEMMAF eben Sportschulen, in denen, wenn der Besitzer aus der Türkei gibt es im Durchschnitt ca. 20 Prozent weibliche Teil- kommt, dann zu 80, 90 Prozent die dort trainieren aus der nehmer*innen in gemischten MMA-Trainingskursen. Türkei kommen. Kommt der aus dem arabischen Raum, wird Zudem ist die Einrichtung reiner Frauenkurse zu ver- da hinterher in der Kabine Arabisch gesprochen.“ zeichnen. Einig sind sich die Verbandsvertreter*innen in ihrer Auch die Veranstalter nehmen die MMA-Eventszene Einschätzung, dass die MMA-Szene eine „ganz, ganz in Bezug auf die Geschlechterverteilung differenziert bunte Mischung“ von Personen mit unterschiedlicher wahr. Während die Angebote von We love MMA auf im Nationalität und Herkunft sei. Da in der Regel „eine Onlinegeschäft und im Bereich Social Media zu 90 Pro- Menge Ausländer in den Kursen“ seien, zeigt man sich zent von Männern wahrgenommen würden, sehe die überzeugt davon, dass MMA – so wie auch andere Verteilung bei den Hallenveranstaltungen gänzlich an- Sportarten – große Leistungen für die Integrationsfä- ders aus. Die meisten Ticketkäufer*innen seien Frauen, higkeit von Menschen erbringen würde. die für ihre Männer Tickets kaufen würden. 5.4 Rahmen und Regelungen Bei Fragen nach den Menschen und Milieus im MMA kommen die Verbandsvertreter der GEMMAF vor al- Bei den Fragen an die MMA-Verbandsvertreter*in- lem auf das negative Image des MMA und die damit nen zu den bestehenden formellen Strukturen im Sinne häufig einhergehenden Vorurteile gegenüber den Akti- von Rahmenbedingungen, Regelungen und Vorgaben ven zu sprechen. Dieses Bild entspreche nicht der Reali- Lizenzierungen im MMA in Deutschland wurden so- tät: wohl institutionelle als auch personale Aspekte erörtert.

„Die drei Frauen, die wir jetzt in der Nationalmannschaft Kampfsport-Gyms kämpfen lassen, studieren alle hier in Berlin an einer Elite- universität Medizin. Sind also nicht die Tätowierten, Vorbe- Auf die Frage, wer ein Kampfsport-Gym betreiben straften.“ und dort MMA-Training anbieten darf, bestätigen die Verbandsvertreter*innen die den Interviews vorange- Michael Behrendt von der GAMMAA² gibt seine per- gangenen Rechercheergebnisse, dass es in dieser Hin- sönlichen Eindrücke aus der langjährigen Turnierpraxis sicht von den MMA-Anbieter*innen in Deutschland wieder: keinerlei Vorgaben gibt:

>>> Link zum 23 Inhaltsverzeichnis „Es gibt keine Einschränkungen, es gibt es keine Regelungen. „JEDER darf ein MMA-Event veranstalten. Jeder sieht Jeder kann ein Gym eröffnen. […] Weder das Vereinsregister natürlich: Hurra, hurra, die Halle ist voll bei ‚We love MMA‘. noch irgendeine andere Institution verlangt ein Führungszeug- Und […] wir kriegen immer wieder Anrufe, nach dem wir ei- nis, verlangt Kampfsportlizenzen, verlangt irgendwas.“ nen Event in einer Stadt gemacht haben, kriegt die Halle in der Woche da drauf oder in den 14 Tagen drauf, drei bis fünf An- Die MMA-Szene wird in diesem Zusammenhang von fragen: ‚Wir möchten jetzt auch einen MMA-Event machen.‘ den Verbandsvertreter*innen als ein sich selbstregulie- Von Menschen, die nichts damit zu tun haben.“ rendes System gesehen, da hier grundsätzlich zwar jeder Angebote unterbreiten könne, man allerdings persön- lich kompetent sein müsse, um sich in der MMA-Szene Teilnahmebedingungen einen Platz zu erkämpfen („Wir haben sehr gute Gyms. Wir haben sehr gute Trainer. Das ist quasi ein offener Die Vorgaben und Teilnahmebedingungen für Wett- Markt. Der reguliert sich dann auch.“). kämpfe und Turniere sind im Hinblick auf die beiden Ebenen der Amateure und der Semiprofessionellen un- Wettkämpfe und Turniere terschiedlich: Die für die Teilnahme an Semi-Pro-Wett- kämpfen der Veranstaltungsreihe We love MMA beste- Da der Wettkampf, das öffentliche Sich-miteinan- henden Regularien schreiben Volljährigkeit vor. Zudem der-Messen beim MMA ebenso wie bei anderen Sportar- müssen Kämpfer*innen mit einem ärztlichen Attest ten eine zentrale Rolle spielt, ist von Interesse, wer unter nachweisen, dass sie gesund sind, und zusätzlich am Tag welchen Bedingungen MMA-Turniere in Deutschland der Veranstaltung einen Bluttest beibringen, der belegt, veranstalten, an diesen teilnehmen – oder nicht teil- dass sie keine Hepatitis A, B, C oder HIV haben. Dro- nehmen – darf. Die Verbandsvertreter*innen bestätigen gentests erfolgen – aus Kostengründen – nur, sofern ein im Interview auch in diesem Fall unsere vorherigen Re- Verdachtsmoment besteht. chercheergebnisse, nämlich dass es für die Ausrichtung von MMA-Kämpfen weder bundesweit einheitliche Hinsichtlich der sportiven Eignung der Kämpfer*in- gesetzliche Regelungen noch Vorgaben vonseiten der nen vertraut der Eventveranstalter Wortmeier den Ein- Verbände für ihre Mitglieder gibt. Diese seien vollstän- schätzungen der Trainer*innen: dig „frei in der Gestaltung“, so die Vertreter*innen der GAMMAA², die ihren Verband diesbezüglich „weni- „Der Trainer ist jeden oder jeden zweiten Tag mit dem Sport- ger lizenzierend oder limitierend“, sondern eher in der ler auf der Matte. Und der Trainer entscheidet in der Regel auch Funktion als ratgebende und informationsvermittelnde darüber. Der bekommt einen Gegner vorgeschlagen, dann re- „Anlaufstelle“ sehen. In der Regel sei es so, dass Perso- cherchieren die mal über den Gegner, schauen sich ihn im Video nen, die ein Turnier ausrichten wollen, auf den Verband an und entscheiden dann: Okay, das traue ich meinem Mann zukommen und hierzu Beratungsleistungen abrufen: oder meiner Kämpferin zu oder eben nicht zu. Und DA werden „Erstling, ja. Und er ruft dann an und sagt: ‚Leute, passt dann die Entscheidungen getroffen, im Bereich des Matchma- auf! Ich brauche Hilfe. Ich brauche ein Kampfgericht. ker.“ Wie mache ich das am besten?‘ Und dann leistet man dort Hilfe.“ In direktem Zusammenhang mit der Frage, wer an Wettkämpfen und Turnieren teilnehmen darf, steht die Wenngleich allgemein gültige, einheitliche bundes- Frage, wer unter welchen Bedingungen von der Teilnah- weite gesetzliche Regelungen für die Veranstaltungen/ me an MMA-Turnieren ausgeschlossen wird? Hierzu Events nicht bekannt sind, so gibt es anscheinend län- verweisen die Verbandsvertreter*innen der GAMMAA² derbezogene Vorgaben. Die Verbandsvertreter*innen auf die bestehenden Regularien. Diese würden festle- der GAMMAA² geben dazu an: gen, dass Personen, die bei vorherigen Veranstaltungen negativ aufgefallen sind und gegen bestimmte Grund- „Unten im Süden […] gibt es die Vorgabe der Landesregie- sätze verstoßen haben, von der Teilnahme an Turnieren rung, die besagt: Ja, könnt ihr machen, aber folgende Techniken und Großveranstaltungen ausgeschlossen werden. Die lasst ihr raus! Und das heißt, wir dürfen dort veranstalten, aber Regelungen würden vom Veranstalter intensiv kommu- nur in einer abgespeckten Version.“10 niziert und seien inzwischen weitreichend bekannt. Ver- stöße würden zudem offen kommuniziert: „Da machen Marcus Wortmeier von togehter Promotion hält es aus wir auch gar keinen Hehl daraus, dass Leute, die gegen Perspektive des kommerziellen Eventveranstalters für bestimmte Grundlagen verstoßen, auf dem nächsten problematisch, dass keinerlei Regelungen für die Veran- Turnier nichts zu suchen haben.“ Letztendlich würden staltung von MMA-Events bestehen. Er berichtet von Kämpfer*innen zur Teilnahme an Großveranstaltungen zahlreichen Nachfragen interessierter Personen, die sich quasi eingeladen („gematcht“) und diejenigen von ih- vom Erfolg der We love MMA-Eventserie inspirieren las- nen, die gegen bestehende Regelungen verstoßen wür- sen, jedoch keinerlei Erfahrung mit der Durchführung den zukünftig eben nicht mehr angesprochen. von MMA-Veranstaltungen und den diesbezüglichen Anforderungen besitzen:

10 Die angedeutete Handhabung bezog sich auf Bayern und Baden-Württemberg.

>>> Link zum 24 Inhaltsverzeichnis Die Vertreter*innen der GEMMAF² formulieren ordnung kann Altersbegrenzungen, Zeitbegrenzungen diesbezüglich ebenfalls klare Grenzen: oder andere Auflagen beinhalten, wenn dadurch die Gefahrdung ausgeschlossen oder wesentlich gemindert „Da gucken wir durchaus auf die schwarze Liste, sagen nein, wird. Dazu Marcus Wortmeier von togehter Promotion: also wir hatten hier einen Vorfall letztes Mal. Oder wir hatten einen Vorfall bei einer anderen Veranstaltung. Das kann auch „Für die Events haben wir uns selbst von Beginn an eine sein, ja. Der Kämpfer bekommt keine Startberechtigung.“ Regel auferlegt. Das ist kein Muss. Einlass ab 18. Das gilt für Sportler, Beteiligte, Arbeitspersonal et cetera. Wir wissen auch, Die Matchmaker seien aufgrund ihrer Szenekundigkeit dass das nicht alle machen.“ und guten Vernetzung stets über problematische Kämp- fer*innen informiert. Zudem versuche man diesbezüg- lich mit anderen Veranstalter*innen der Szene so gut es Qualifizierung und persönliche ginge zusammenzuarbeiten. Eignung von Trainer*innen

Regelungen zum Alter Antworten der Verbandsvertreter*innen auf Fragen zu bestehenden Ausbildung- und Qualifizierungsstruk- Im Amateurbereich dürfen Jugendliche ab 14 Jah- turen für Trainer*innen im MMA machen deutlich, dass ren unter Einhaltung bestimmter Rahmenbedingun- beide Verbände auf diesem Gebiet bislang keinerlei An- gen an MMA oder MMA-ähnlichen Wettkämpfen gebote vorhalten. So würden aktuell Traineraus- und (Allkampf ) teilnehmen. Erforderlich seien hierfür, -fortbildungen bzw. die Vergabe von Trainerscheinen so die Verbandsvertreter*innen der GEMMAF², eine lediglich durch einzelne Gyms erfolgen. Die GEMMAF „superschwere Schutzausrüstung“ und ein angepasstes erkennt für sich allerdings die Notwendigkeit, eine ge- Regelwerk, „um das Schadenpotenzial“ zu reduzieren. staffelte Trainerausbildung zu entwickeln, die als „Qua- Da erfahrungsgemäß auf Turnieren im Amateurbereich litätsstandard“ in der MMA-Szene etabliert werden soll: gerade Jugendliche starten wollten, müssten die Teilneh- mer*innen den Verantwortlichen zudem ein Sportattest „Es braucht einen Qualitätsstandard innerhalb von Deutsch- und eine Erlaubnis der Eltern vorlegen. Erwachsene land, damit man weiß, wo ich hingehen kann, wo es sicher ist zu Teilnehmer*innen müssten stets ihre Krankenversiche- trainieren oder wo ich lieber wegbleiben sollte.“ rungskarte vorlegen. Um die in Deutschland etablierten Standards einzu- Grundsätzlich empfehlen die Verbandsvertreter der halten, soll die zukünftige Trainerausbildung der GEM- GEMMAF, Jugendlichen die Teilnahme an Trainings- MAF in Anlehnung an die des DOSB gestaltet werden kursen erst mit 16 Jahren zu ermöglichen und sie nur auf und unterschiedliche Lehrgangsstufen beinhalten. Bei Basis langjähriger Kampfsporterfahrung an Wettkäm- der Qualifizierung der Trainer*innen im MMA seien pften teilnehmen zu lassen. Umso mehr man die Wett- neben sportlichen vor allem pädagogische Aspekte zu kämpfe im jungen Alter fördere, desto mehr werde das berücksichtigen: Alter im MMA nach unten gehen. Auf internationaler Ebene werde derzeit die Weiterentwicklung von Jugend- „Diese Vorbildrolle des Kampfsporttrainers ist für jemand, turnieren intensiv vorangetrieben. Der internationale der nicht Kampfsport macht, schwer zu verstehen. Also die Kin- MMA-Dachverband erprobe ein Regelsystem für -15 bis der, Jugendlichen, die wollen so werden wie ihr Trainer. Man 18-Jährige, das jedoch weit weg von dem sei, was man hat einen pädagogischen Griff, über den sich jeder Lehrer freu- unter MMA verstehe („Kein k.o.-Schlag zum Gesicht en würde […]. Das ist eine große Chance, aber eben auch ein erlaubt und solche Sachen“). Nach der Erprobung auf großes Risiko. Und deswegen kann ich nur dazu raten, wenn internationaler Ebene würde sich die GEMMAF ent- man jemanden als Trainer einstellt, sich den lieber einmal mehr scheiden, ob das Regelsystem auch in Deutschland zur anzugucken.“ Anwendung kommen kann. Man stehe der Einführung positiv gegenüber, da der internationale Verband vor- Schwierigkeiten beim Aufbau einer Qualifizierungs- sichtig agiere. ebene für Trainer*innen dagegen sehen dagegen die In- terviewpartner*innen von der GAMMAA², die sich da- Das derzeitige Jugendschutzgesetz enthält zwar keine bei ausschließlich auf den sportlichen Aspekt beziehen: speziellen Regelungen zur Teilnahme von Kindern und Jugendlichen an MMA-Training und -Wettkämpfen, „Die Leute trainieren international erfolgreiche Kämpfer. doch die Veranstalter von MMA-Events müssen sich an Was für ein Beweis, dass er es kann, gibt es denn noch?“ – „Ich die allgemeinen Bestimmungen zu Jugendgefahrdungen würde mich nicht wagen.“ – „Der macht seit seinem sechsten bei Veranstaltungen und Betrieben nach § 7 des Jugend- Lebensjahr Kampfsport. Der hat Allkampfweltmeister hervor- schutzgesetzes richten. Hiernach sind die zuständigen gebracht. Dem werde ich jetzt nicht sagen: ‚Und weil ich dir das Behörden dazu befugt, Veranstalter oder Gewerbe- jetzt erlaube, darfst du trainieren!‘ Und so sollte das auch kein treibenden die Anwesenheit von Kindern und Jugend- anderer handhaben.“ lichen nicht zu gestatten, wenn von einer öffentlichen Veranstaltung oder einem Gewerbebetrieb eine Ge- Beim Thema Traineraus- und -fortbildung bzw. per- fährdung für das körperliche, geistige oder seelische sönliche Eignung drängt sich die Frage auf, was jemand Wohl von Kindern oder Jugendlichen ausgeht. Die An- vorweisen muss, wenn er/sie Kampftechniken im MMA

>>> Link zum 25 Inhaltsverzeichnis vermitteln will. Im MMA ist es ähnlich wie in anderen Damit deutet sich an, dass die Nichtzugehörigkeit des Kampfsportsektoren auch: Jenseits der rein sportprakti- MMA zum organisierten Sport in direktem Zusammen- schen Techniküberprüfungen von Trainer*innen gibt es hang mit Aspekten von Prävention und Schutz gegen- keine verbandsinterne (oder -externe) Instanz zur Über- über der unerwünschten Einflussnahme von extrem prüfung der persönlichen Eignung zur Vermittlung kör- rechts orientierten Personen im Feld des MMA steht. pergefährdender Kampftechniken gibt. 5.5 Probleme und Herausforderungen Ein Führungszeugnis ist nicht erforderlich. Einschät- aus Sicht der MMA-Verbände zungen der GEMMAF gehen dahin, dass „grundsätz- lich in den Vereinen und in den Sportschulen oft oder Als eine der großen Herausforderungen für MMA sehr oft ein erweitertes Führungszeugnis von ihren fest in Deutschland betrachten die Verbandsvertreter der angestellten Trainern verlangt“ werde. Weder die GEM- GEMMAF, das bestehende negative Image des MMA MAF noch die GAMMAA² haben jedoch diesbezüglich zu verändern, das „wie ein Schatten über dem Sport“ Vorgaben in ihren Statuten verankert. liege und dessen Weiterentwicklung behindere. Sie kri- tisieren in diesem Zusammenhang die Medien und Poli- Es besteht zudem Unklarheit über die gesetzlichen tiker*innen, deren öffentliche Darstellungen des MMA Regelungen: „Die [Führungszeugnisse; d. Verf.] dürfen sich „vom wirklichen Sport drastisch“ unterscheiden wir nicht erheben, glaube ich“ und „ob man es nach der würden. Ihrer Einschätzung nach sei die Gesprächs- Datenschutzverordnung überhaupt noch machen darf, bereitschaft von Politiker*innen und Verantwortungs- weiß ich nicht“. träger*innen „sehr schlecht“. Sie würden erwarten, dass Politiker*innen sich über diejenigen Dinge Wissen Einer etwaigen direkten Überprüfung der persönli- aneignen, zu denen sie Einschätzungen abgeben und chen Eignung stehen die Vertreter der GEMMAF skep- Entscheidungen treffen. Sie hoffen, dass dies in naher tisch gegenüber: Zukunft geschehe und damit auch die negativen Folgen bisheriger Entscheidungen beseitigt würden. So gebe es „Eine Charakterprüfung beispielsweise, die wird man nicht infolge politischer Entscheidungen enorme Probleme durchsetzen können, wenn man die Leute nicht kennt. […]. So bei der Anmietung öffentlicher Hallen und Sponsoring wie immer, man kann nicht in die Köpfe sehen, aber man sollte sei im MMA heute so gut wie unmöglich. Die Verbands- sie eben kennen.“ vertreter der GEMMAF glauben zudem, dass MMA u.a. auch durch das (Nicht-)Handeln der Politik und der Die Vertreter*innen der GAMMAA² weisen in die- Presse „in die Tiefgarage verdrängt worden“ sei: sem Zusammenhang (erneut) auf selbstregulierende Funktionen innerhalb des Binnenraums des MMA hin: „Wenn eine Sportart erstmal mit einem Schmuddelimage be- legt worden ist, dann hat sie erstmal eine Phase, in der auch nur „Die Szene ist klein und sie ist überschaubar. Man kennt die dort hingehen, die dieses Schmuddelimage suchen. Damit ver- sich. Wenn sich jetzt Person XY hinstellt und sagt: ‚Leute, stärken wir es wieder und so weiter und so weiter. Aber in erster passt auf, ich bin neu in die Stadt gezogen. Ich mache hier ein Linie wurde es ja wirklich verdrängt, aufgrund von mangelnder eigenes Gym auf. Ich unterrichte MMA‘, dann kennt man den Fach- und Sachkenntnis.“ und sagt, ja, kann ich mir vorstellen, ist bestimmt ein guter, oder, nie gehört.“ Man suche deshalb nun nach einem Hebel, um die „schwarzen Schafe zu verdrängen“, die sich eben da- Beim Thema Führungszeugnis spielt die Nichtzuge- durch hätten etablieren können und „jetzt in dieser Sze- hörigkeit der MMA-Verbände zum organisierten Sport ne relativ mächtig sind“. Fehlen würden diesbezüglich eine Rolle. Phillip Beitzel (dsj/KOS) erklärt, dass die be- klare staatliche Reglementierungen und sogar Lizensie- stehenden Regelungen der Jugendarbeit bzw. -hilfe auch rungen: auf Sportvereine übertragen wurden, die Mitglieder des organisierten Sports in Deutschland sind und von ihnen „Wenn man es vergleicht mit Italien, Schweden oder Portu- umgesetzt werden müssen. Wie es sich hinsichtlich der- gal, dort ist es klar staatlich reglementiert und unterstützt. In jenigen Sportorganisationen verhält, die keine Mitglie- Schweden ist Berufsboxen verboten, MMA erlaubt. Und da der im organisierten Sport in Deutschland sind – so wie haben die Verbände eben kein Verdrängungsproblem, sondern die MMA-Verbände – weiß Beitzel jedoch nicht: die haben eindeutig die Macht, solche Scheunenturniere, solche Garagenkämpfe zu unterbinden. Da muss man von dem Ver- „Wenn du dir als Verband diese Vorgabe selber nicht gibst, band eine Lizenz bekommen und ohne diese Lizenz passiert dann weiß ich nicht, ob der Staat da momentan irgendwie hand- einfach nichts. Und dann ist diese bestimmte Klientel, die wir lungsfähig ist und sagt oder sagen kann: Pass mal auf, bei euch eigentlich, glaube ich, da sind wir uns alle einig, gar nicht auf sind vier Trainer angemeldet. Ihr bietet auch Training für unter einer Bühne. Auch nicht auf der Bühne hier bei uns, solange die 16-Jährige oder wie auch immer an. Zeigt uns mal das Füh- Verbände die Optionen des Deutschen Sportbundes oder irgend- rungszeugnis von diesen Personen.“ welche anderen Machtmechanismen versagt bekommen haben, werden wir Zuschauer dieser Verhältnisse.“

>>> Link zum 26 Inhaltsverzeichnis Probleme im Binnenraum des MMA sehen die Ver- 5.6 Wirkungen von MMA bandsvertreter der GEMMAF bei Titelkämpfen und bei der Turniergestaltung im Allgemein, da im kommer- Beide Interviewpartner aus der Sportpolitik sehen be- ziellen Bereich mehrere Eventserien nebeneinander be- züglich potenzieller Wirkungen von MMA ausschließ- stehen würden: lich Gefährdungen, Risiken und Schadenspotenzial. Sie vertreten beide den Standpunkt, dass Effekte des „MMA rutscht in genau die Situation rein, wie das beim MMA-Trainings sowohl auf die Kämpfenden als auch Kickboxen, beim Boxen ist, es gibt UNZÄHLIGE Titel. auf die Allgemeinheit ausschließlich negativer Natur Jeder Verband hat einen Titel, jeder Veranstalter macht einen sind. So würde ihrer Einschätzung nach im MMA kein Titel. Es ist für den Zuschauer völlig unbegreiflich, was da pas- Fairnessverhalten gelebt werden: sier t .“ „Fairness gegenüber dem anderen, die kann ich da jetzt nicht Was die Auswirkungen kommerzieller Eventserien so erkennen. Fairness für mich zum Beispiel bedeutet […], im Profi- und Semiprofi-Bereich auf die MMA-Szene in wenn sofort der Schiedsrichter einschreitet. Das kann ich da Deutschland betrifft, so äußern sich die Interviewpart- nicht so erkennen“ (Gienger). ner*innen unterschiedlich. Vertreter*innen der GAM- MAA² und der together Promotion GmbH ordnen der kom- merziellen Eventserie We love MMA positive Effekte zu: „Da muss es im Prinzip fair zugehen, es muss nach Regeln zugehen. […] Ich kann aber nur wenig Regelwerk erkennen“ „Together Promotion […] hat es geschafft […] MMA einen (Pilger). positiven Anstrich zu geben. Herr Wortmeier hat es geschafft, sowohl mit dem Auftreten als auch mit der strikten Durchorga- Zudem schätzen sie die Gefahr von Gesundheitsschä- nisation dieser Veranstaltung das Ganze publikumswirksam den im MMA als sehr hoch ein, da „man da eben alles zu machen. Also publikumswirksam für das Nicht-Fachpub- mit allen Sportarten einsetzen darf, alles nutzen darf likum, das nicht dorthin geht, um blutige Gesichter zu sehen, und es keine Tabus bei der Beschädigung des mensch- sondern das sagt, davon haben wir mal was gehört, die Veran- lichen Körpers“ gebe. Unterfüttert wird die Annahme, staltung wirkt nett. Da gehen wir jetzt mal hin, da gucken wir dass das Ausüben von MMA große gesundheitliche Ri- uns das mal an“ (GAMMAA²). siken berge, mit dem Verweis auf medizinische Experti- sen. Danach müsse man annehmen:

„Mit unseren 47, 48 Veranstaltungen, die wir jetzt gemacht „Stöße gegen den Kopf und vor allem das zweite Mal, wo haben, haben wir einfach State of the Art vorgelegt. Wir ha- man ein Schädelhirntrauma bekommt und dies nicht als solches ben gezeigt, wie viel Events man machen kann. Wir waren die erkennt oder es ignoriert, sind gefährlich. Und bekommt man Ersten, die das bundesweit gemacht haben, und wir waren die ein zweites Mal einen Schlag drauf, dann ist die Wahrschein- Ersten, die in große seriöse Hallen damit gegangen sind. Und lichkeit, dass dies zu bleibenden Verletzungen führt oder gerade wir sind auch da wieder Vorreiter, wir sind jetzt die Ersten, die zum Tode relativ groß.“ einen Medienpartner wie BILD gefunden haben, die das Ganze per Livestream ausstrahlen“ (Wortmeier). Deswegen wünsche man sich „dann auch nicht, dass dies [MMA; d. Verf.] von Kindern betrieben“ wird. Die Vertreter der GEMMAF dagegen sehen in den Vermarktungsstrategien und der Gestaltung kommer- In völligem Gegensatz zur rein negativen Einstu- zieller MMA-Eventreihen eher negative Auswirkungen fung der interviewten Sportpolitiker formulieren die für die Amateursportszene: MMA-Verbandsvertreter*innen eine große Palette aus- schließlich positiver Wirkungen und Effekte des MMA „Dann haben natürlich Leute die Federführung übernom- auf die Trainierenden, die sich nur geringfügig von men, die eben nicht wie wir aus dem Sportbereich kommen und denen anderer Kampfsportarten unterscheiden würden. sportpolitische Erfahrung besitzen, […]. Und das hat die gan- ze Sache drastisch verändert. Dann kamen die zum Zuge, die Die positiven Wirkungen betreffen die Gesund- eben mit Geld und Sponsorentum versucht haben, große Ver- heitsförderung („Das hält richtig fit, die körperlichen anstaltungen zu erzeugen, die heute auch im Fernsehen gezeigt Anforderungen sind sehr hoch und machen Spaß“) je- werden .“ doch vor allem die Charakterformung und Persönlich- keitsbildung. Nach Ansicht der Verbandsvertreter der Die kritische Selbstreflexion der Verbandsvertreter GEMMAF habe MMA „definitiv einen erzieherischen mündet in die Feststellung, dass man als Amateurver- Einfluss“, da hier Spielregeln beigebracht und der Re- band versuchen müsse, eine Vereinheitlichung und die spekt im Umgang miteinander geschult würden. Auf Bündelung von Strukturen zu erreichen. Hierzu gehör- den Trainingspartner und auf seine Umwelt müsse man ten die Vereinheitlichung der Regeln bzw. die Durch- aufpassen, Verantwortung übernehmen und lernen, sich setzung internationaler Regeln und die Entwicklung des anderen gegenüber unter- bzw. überzuordnen. gemeinsamen Bewusstseins der Szenen, das man „ein Sport“ sei. Wenn man eine Zusammenarbeit und Pro- Ausgangspunkt hierfür sei das intensive körperliche fessionalisierung der Szene erreichen würde, könne sich Erleben und der direkte Kontakt im Zweikampf, der dadurch automatisch das Image des MMA verbessern. dazu beitrage, das Miteinander anders erleben und die Wirkung der eigenen Handlung auf den anderen unmit-

>>> Link zum 27 Inhaltsverzeichnis telbar spüren zu können. Sicherheit und das selbstsiche- „Ich hatte ja gesagt, dass es für mich auch um die Interes- re Auftreten werde gefördert, sodass „das selbstsichere senlagen geht. Das heißt, um dieses Einverständnis. Wenn ich Kind“ in Konfliktsituationen anders aufgestellt sei und sage, zwei Athleten treten sich gegenüber und sind einverstan- Problemlösungsstrategien sowie eine positive Streitkul- den, sie treten an zu diesem Ringen unter den Voraussetzungen, tur entwickeln könne. Letztendlich trage das Training, dann ist es für mich ein Wettkampf, aber halt keine Gewalt“ in dem man körperliche Grenzerfahrungen macht und (GEMMAF). Gefühle von Angst oder Mut erlebt, dazu bei, dass das individuelle Sicherheitsgefühl erhöht und in der Folge Zivilcourage gezeigt werde. „Nein. Es ist ein sportliches Regelwerk, unter dem sich zwei Leute treffen, die sich einig sind, was passieren kann“ (GAM- Diese Einschätzung deckt sich mit der der Vertre- MAA²). ter*innen der GAMMAA². Sie sehen im MMA eine gute Möglichkeit, „Sozialkompetenz in Reinkultur“ er- werben zu können, da „die Leute wissen, was sie an- „Nein. Also, nein. […] Wenn man sagt, MMA ist gleich richten können“, und daraus verantwortungsbewusstes Gewalt, dann würde man diesen Willen, jemanden zu verlet- Handeln entwickeln würden. Kampfsportschulen und zen, in den Vordergrund stellen. Aber eigentlich, wenn über- Sportteams im Allgemeinen würden damit heutzutage haupt bei dem Turniersport, dann ist der Wille zu gewinnen da. „die Erziehungsarbeit leisten, die gesellschaftliche Ins- Und wenn man dafür die Verletzung billigend in Kauf nimmt, titutionen nicht mehr zu leisten bereit oder in der Lage nimmt man sie in Kauf“ (GEMMAF). sind.“ Dort werde „nicht nur Verhalten“, sondern wür- den „wirklich Werte“ vermittelt. Dem steht die Einschätzung aus sportpolitischer War- Wie kaum an einer anderen Stelle der Interviewana- te entgegen. So kritisiert der sportpolitische Sprecher lyse fällt auf, wie stark die jeweiligen Einschätzungen der SPD, Detlef Pilger, MMA als einen extremen „Ge- der Interviewpartner*innen im Widerspruch zuein- waltauswuchs im Sport“. Er verbindet MMA mit einer ander stehen. Dabei gibt es Wissensdefizite gegenüber gesellschaftlichen „Art von Verrohung“ und präzisiert: Sachlagen und Darstellungen, die sowohl in positiver als auch in negativer Richtung zuspitzen oder überhöhen. Bestehende fachliche Einschätzungen werden – sofern „Also früher gab es immer so eine Hemmschwelle, dass man überhaupt berücksichtigt – stellenweise allein im Sinne gesagt hat, aus meiner Jugend: ‚Wenn einer am Boden liegt, ist es eigener Ansichten interpretiert und/oder verallgemei- vorbei, dann ist Ende.‘ Und heute tritt man weiter. Also so eine nernd transferiert. So stellt sich z.B. die Frage, warum Verrohung der Gesellschaft. Das kann so ein Baustein sein.“ gesundheitsgefährdende Aspekte von Beschädigungs- kämpfen zwar in die Debatte über MMA vonseiten der Sportpolitik eingebracht werden, wenn diese Probleme Eine im Vergleich dazu zurückhaltende Position nachweislich für andere Vollkontaktkampfsportarten nimmt der interviewte Vertreter der KOS/dsj, Phillip – insbesondere für das Profi-Boxen – im gleichen oder Beitzel, ein: sogar im größeren Maß bestehen, ohne dass dies in der Vergangenheit sportpolitisch Folgen gehabt hat. „In der eigenen Definition ist es ja auch schon eine Voll- Auffällig ist zudem, dass die Verbände häufig die kontaktsportart, die ja auch zumindest im Profibereich dann Übertragung der im Kampfsport erzielbaren erzieheri- irgendwie ungeschützt stattfindet, also klar mit einem gewissen schen und persönlichkeitsbildenden Leistungen auf den Schutz, aber meines Wissens nach kämpfen die Kämpfer jetzt Alltag unterstellen, was bislang jedoch nur unzureichend nicht mit einem Kopfschutz. Das heißt, es können ja durch- belegt ist und in Anbetracht der spezifischen Gestaltung aus trotz aller Vorsichtsmaßnahmen da irgendwie Verletzungen des MMA auch nicht per se behauptet werden kann. passieren, die aus einer Gewaltausübung resultieren, aber ande- rerseits gehen diejenigen, die diesen Sport dann ausüben, ja auch 5.7 MMA und Gewalt(-kompetenz) ohne Druck in diesen Konflikt.“

Vor dem Hintergrund der fachlich begründeten An- nahme, dass MMA einerseits immer Gefahr läuft, Ge- Er erweitert zudem den Blick auf den gesamten walt freizusetzen und/oder als Handlungsmuster zu legi- Kampfsportsektor und der dort grundsätzlich bestehen- timieren, und andererseits MMA nicht per se destruktiv den Notwendigkeit der Wertevermittlung zum Schutz sein muss (siehe Kap. 2.2), wurden in den Interviews die vor Gewaltentstehung: Zusammenhänge von MMA und Gewalt(-kompetenz) erörtert. „Natürlich kannst du mit jeder Kampfsportart rausgehen Zur Frage, ob MMA Gewalt ist, nehmen die Vertre- und Gewalt ausüben. Aber es müssen ja auch die Werte vermit- ter*innen der MMA-Verbände eine einheitliche Position telt werden, und da sind wir dann auch wieder bei den Grund- ein. Sie tendieren dazu, Handlungen im MMA nicht als werten des Sports allgemein: dass du Sport in einem sportlichen Gewalt einzustufen und betonen insbesondere die Frei- Wettbewerb betreibst und den nicht dazu nutzt, um Gewalt willigkeit der Kämpfer*innen, sich auf eine gefährliche gegenüber anderen auszuüben in einem Kontext, der kein sport- Situation ein einem durch Regeln geschützten sportli- licher Wettbewerb ist.“ chen Kontext einzulassen:

>>> Link zum 28 Inhaltsverzeichnis Neben der allgemein gehaltenen Erörterung der Fra- „Also hier in Berlin ist mir auch kein Fall bekannt. Es gab ge, inwieweit MMA als Gewalt zu verstehen ist, wurden früher mal eine Kickbox-Schule, die hatte einen gewissen Ruf in im Interview ebenfalls die Aspekte des Zweitnutzens von diese Richtung. Und was daraus geworden ist, weiß ich gar nicht Kampftechniken (siehe Kap. 2.2) und die im MMA zu genau. Aber es ist berechenbar gering. Hier in Berlin passiert es, erlangende Gewaltkompetenz thematisiert. Die Ver- glaube ich, auch nicht“ (GAMMAA²). treter*innen der GAMMAA² deuten in diesem Zusam- menhang auf ein rein potenzielles Gefährdungsrisiko hin: „Die Frage in solchen Fällen ist doch die, ob die Leute sich aufgerüstet haben, um hinterher kriminell zu werden. Oder ob Leute, die aufgerüstet sind, das was sie gelernt haben durch Zu- „Ja, in der Lage, ja. Also die Leute, die MMA trainieren fall oder mit krimineller Energie missbrauchen. Dem ist meiner […] sind körperlich in mindestens guter Form, wenn nicht in Meinung nach, präventiv von Verbandsseite her kaum vorzu- Topform. Und sie sind von Leuten, die sich lange darüber Ge- beugen“ (GAMMAA²). danken gemacht haben, geschult, ein Höchstmaß von Effizienz zu erreichen […]. Und wenn man daraus also ableiten möchte, Verbindungen zwischen Gewaltausübung und dem dass sie gefährlicher sind, dann würde ich das sogar unterschrei- Trainieren von MMA – wenn auch nur vonseiten eini- ben. Wobei diese Gefährlichkeit eine potenzielle ist.“ ger weniger Personen – werden damit weitgehend be- stritten. Es bleibt offen, inwieweit diese Einschätzung den Tatsachen entspricht, ob sie eine Schutzfunktion Sie vertreten in diesem Zusammenhang die These, darstellt, um das Image von MMA zu verbessern oder dass die Zunahme des Gefährdungspotenzials und der nicht weiter zu schädigen oder ob womöglich bestehen- personalen Gewaltkompetenz gleichzeitig und auto- de Sachverhalte nicht realistisch und fundiert bewertet matisch eine Art Schutzfunktion hervorbringt, die werden (können). MMA-Kämpfer*innen von etwaigen Gewalthandlun- gen per se abhalte: Die – bereits an anderen Stellen angedeuteten – be- grenzten Kontrollmöglichkeit und präventiven Funk- tionen der Verbandsarbeit gegenüber ihren Mitgliedern „Von einem MMA-Kämpfer hätte ich auf der Straße die regen allerdings in mehrerlei Hinsicht zum kritischen wenigste Angst. Nicht, weil ich mir ganz sicher bin, dass er mir Nachdenken an. Zum einen stellen sich Fragen, inwie- nichts tun kann. Der kann mir sehr wohl was tun, und zwar fern die etablierten Kampfsportverbände diesbezüglich wahrscheinlich besser als die meisten anderen. Aber er wird es in der Lage sind, mehr zu leisten, und wenn dies der nicht tun. […] Nein. Also im Gegenteil. Weil denen nämlich Fall wäre, mittels welcher Maßnahmen und Vorgehens- ganz genau beigebracht wird, was du damit anrichtest. Dem weisen, von denen die MMA-Verbände lernen könnten? wird bewusst gemacht, was für ein Schaden passiert, wenn du Zum anderen wirft die selbstkritische Einschätzung der dort technisch sauber reingehst. Also wie gesagt, maximale Effi- Vertreter*Innen der beiden MMA-Verbände die Frage zienz. Das machst du nicht bei Leuten auf der Straße.“ auf, inwieweit das Problem der Einflussnahme und ef- fektiven Kontrolle, was den missbräuchlichen Einsatz von Kampftechniken betrifft, auch bei anderen Kampf- Zudem postulieren sie eine bestehende „Hürde“ in sportarten bzw. den etablierten Kampfsportverbänden Form hoher Anforderungen an die personalen Hand- besteht. lungskompetenzen von MMA-Trainierenden (z.B. Aus- dauer, Selbstdisziplin, Fähigkeiten zur Planung und 5.8 Extrem rechte Phänomene Zeiteinteilung): und Gegenstrategien der „Es gibt ein proportionales Verhältnis von dem Gewaltpoten- MMA-Organisationen zial und der Fähigkeit, sich zu disziplinieren. Weil, ohne die Auch im Hinblick auf extrem rechte Phänomene im Fähigkeit, sich zu disziplinieren, erreicht man dieses Gewalt- MMA wurde in den Interviews danach gefragt, in- potenzial nicht oder nur bis zu einer bestimmten Stufe. Das wiefern Vorfälle mit extrem rechten Kämpfer*innen heißt, Mutter Natur, Gott, der Allmächtige, wer auch immer, bekannt sind, wie mit diesen umgegangen wird und hat möglicherweise dafür gesorgt, dass die technisch wirklich ge- inwiefern hierzu vorbeugende Maßnahmen entwickelt fährlichen Leute am ehesten in der Lage sind, auch die Füße wurden. Bei der Analyse der Antworten wurde deutlich, stillzuhalten, was ich als persönlich sehr angenehm empfinde.“ dass auch hier sinnvollerweise zwischen den Ebenen des Amateursports und der Profievents sowie in Bezug Letztendlich geben die Vertreter*innen beider auf jeweilige Handlungsmöglichkeiten und Verantwor- MMA-Verbände an, dass sie keinen (GEMMAF) bzw. tungsbereiche unterschieden werden muss. nur einen einzigen Fall (GAMMAA²) benennen könn- ten, bei dem MMA-Kämpfer*innen Kampftechniken Vorweggenommen werden kann: Obwohl die Fragen jenseits sportiver Zusammenhänge zur Gewaltausübung zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und ext- angewendet haben und wo sie auf irgendeine Art und remer Rechter im MMA einen Schwerpunkt der Inter- Weise interveniert haben oder intervenieren mussten: views bilden sollten, fielen die Antworten ausweichend und somit der diesbezügliche Analyseteil eher gering „Davon ist mir jetzt genau ein Fall bekannt. Also mehr aus. Schließlich ging es – wie so oft im Sport – um die würde mir tatsächlich nicht einfallen. Und in dem Fall ist dieser Frage, wo die Grenzen der Verantwortung des Sportbe- Mensch vom Staat abgeurteilt worden“ (GAMMAA²). triebs bzw. der Sport-Eventveranstalter liegen.

>>> Link zum 29 Inhaltsverzeichnis So erklärte Markus Wortmeier, dass er den Einfluss Zudem seien die Möglichkeiten der Verbände zur extrem rechter Veranstalter nicht bemessen könne und Überprüfung sehr begrenzt, wie die Vertreter der er Aktivitäten extrem rechter Kämpfer ausschließlich GEMMAF zugeben: „Es ist auch generell für einen der Presse entnehme: Verband wie uns – begrenzte Ressourcen – schwer, so etwas überhaupt zu recherchieren und zu kontrollieren.“ „Für uns scheint das aber eine absolute Parallelwelt zu sein. Mittlerweile sei man bei Turnieren, auf denen man zwar Da werden Kämpfernamen kolportiert, die ich vorher noch nie nicht den Matchmaker, aber die Ringrichter*innen stel- gehört habe und die uns in fast zehn Jahren noch nicht über den le, dazu übergegangen, sich die Fightcard vorab schicken Weg gelaufen sind.“ zu lassen. Beim Training selbst habe man noch keine Vorfälle gehabt. Zudem wurde 2019 ein Code of Conduct Die Vertreter der GAMMAA²halten hierzu fest: veröffentlicht, der allen Mitgliedern zugänglich gemacht wird. Darin heißt es u.a.: „Kampfsport zieht logischerweise Leute an, die eine gewis- se Gewaltaffinität haben, gar keine Frage. Dass man dabei „Never use the sport as a stage to communicate manchmal auch einen faulen Apfel im Korb hat, das ist un- political, religious or other worldviews. The GEM- bestritten.“ MAF distances itself from any kind of extremism and strives for a separation of sport and other phe- Gleichzeitig betonen sie, dass MMA-Sportler*in- nomena. The GEMMAF focuses on the public image nen den olympischen Gedanken und die Regeln des of MMA. Therefore, such situations should not arise Fairplay anerkennen und dies Extremismus ausschlie- and should be ensured by the possible measures tak- ße. Der Einfluss, den diese Leute [extrem Rechte; d. en by the GEMMAF (e.g. background checks of ath- Verf.] hätten, erstrecke sich genau so weit, wie sie per- letes, prohibition of inappropriate signs and walk-in sönlichen Einfluss hätten, und zwar nicht nur auf die music). MMA-Kämpfer*innen, sondern auf alle anderen Leute, die dieser Gesinnung seien. Dass dabei möglicherwei- se noch der eine oder andere MMA-Kämpfer dabei sei, Respect the rights, dignity and worth of every per- wäre in dem Fall tatsächlich ein Zufall. son involved in MMA.

Nur auf einen Fall und dessen Auswirkungen gehen sie gesondert und kritisch ein. Dabei geht es um einen Show respect towards others means to show tol- nicht namentlich genannten Kämpfer in einem nicht na- erance and to treat everyone equally regardless of mentlich genannten Gym, der zu einem früheren Zeit- their gender, age, race, language, socioeconomic punkt Mitglied in einer mittlerweile verbotenen Partei status, ethnic origin, disability, or religion and to war. In diesem Fall seien laut Interviewpartner*innen respect their rights and dignity“ (GEMMAF 2019b). dem gesamten Team eines Gyms von der Stadt die „Existenzrechte“ entzogen worden: „Aber halt durch In öffentlichen Interviews grenze man sich zudem diesen einen Menschen neunzig Leute, die alle trainie- von Extremismus ab. Sollten Veranstalter dennoch ex- ren, alle ein Miteinander haben, die teilweise dort ihr trem rechte Kämpfer*innen engagieren – „in einer Ge- Zuhause haben, die zu entwurzeln“. Dies halten sie für gend, in der ein rechter Kämpfer viele Karten verkauft“ eine grundlegend falsche Reaktion. An dieser Stelle und –, versuche man, die negative Wirkung auf die Außen- anderen gerät das Interview zu einem Ringen um an- darstellung anzusprechen, und drohe damit, zukünftig gemessenes Handeln, Wahrheiten, Interpretationen und keine Folgeveranstaltung zu unterstützen. Fakten. Dem Veranstalter der Eventreihe We love MMA ist Tendenziell scheuen sich die Interviewpartner*innen, die negative Außenwirkung von etwaigen Vorfäl- konkrete Fälle zu benennen oder auf sie einzugehen. len durchaus bewusst, weshalb man darum bemüht Stattdessen versuchen sie grundsätzlich, den Sport un- sei, diese vorbeugend zu verhindern. So sei man dazu politisch zu halten: übergegangen, den Kämpfer*innen eine Liste von 100 Musiktiteln anzubieten, aus der sie sich ihren Einlauf- „Wir wollen eigentlich diese ganzen politischen Sachen, reli- song auswählen können. Musik erst vor Ort zu checken, giösen Sachen allemal so weit es geht ausblenden. […] Natürlich erst recht nicht-deutsche Lieder, sei viel zu kompliziert, legen wir bei jedem Turnier in der Regelabsprache Wert darauf, sagt Wortmeier. Deutlich betont er, dass extrem rechte dass keine politischen Äußerungen, keine politischen Gesten er- Kämpfer*innen zu engagieren, der eigenen Professiona- laubt sind“, lisierung und Marktorientierung entgegenstehe:

sagen die Vertreter der GEMMAF. Sie hätten aller- „Wir waren sehr, sehr früh einer der Ersten, die in seriöse dings von Schwierigkeiten bei Profiturnieren gehört: Hallen gegangen sind. Und da wir versucht haben, das größer „Tätowierungen sind durchaus ein Problem. Es gibt aufzuziehen und auch im SEHR frühen Schritt schon eine immer wieder mal Fälle, wo dann irgendwie Sachen TV-Kampagne gemacht hatten, können wir uns das nicht leis- abgeklebt oder geairbrusht werden.“ In ihrem eigenen ten. Also wir hatten TV-Spots auf ProSieben, bevor wir zu Amateurbetrieb trügen alle Kämpfer*innen T-Shirts, RanFIGHTING sind. Jetzt sind wir auf BILD.de. Und weshalb kaum Tattoos zu sehen seien. auch da gab es natürlich Prüfungen. Und wir tun alles, damit wir nicht in eine dieser Ecken geschoben werden können.“

>>> Link zum 30 Inhaltsverzeichnis Während es bei anderen Eventreihen öfter zu Vor- tionen in ihrer Skepsis einig. Detlef Pilger (SPD) sagt fällen komme, kenne er, Wortmeier, keine Vorfälle bei hierzu: seiner eigenen Veranstaltungsreihe. Die Eventreihe We love MMA sieht er hinsichtlich der bis dato getroffenen „Für mich hat es mit Sport wenig zu tun. Also Sport be- präventiven Maßnahmen als Vorreiter unter den Veran- inhaltet für mich immer den Respekt vor dem Gegner, eine Be- staltern. Darüber hinaus wünscht er sich Unterstützung grenzung der Gewalt – was ja auch im Boxsport durch Ring- aus der Politik: richter und Formalien gegeben ist. Von daher tue ich mir mit der Qualifikation als Sport sehr schwer. Ich würde zunächst „Regularien kann es ja geben auf Basis von Gesetzen. Da mal sagen, das ist eine Ausübung von Gewalt und hat direkt ist dann theoretisch die Politik gefordert, und häufig gibt es bei für mich mit Sport wenig zu tun.“ den Politikern noch eine Verweigerungshaltung, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.“ Allerdings gibt Pilger zu, dass ihm hierzu die Einsicht ins Regelwerk fehle und er zudem nur wenig Regeln er- Erneut wird deutlich, dass die sportlichen und die kenne. politischen Debatten um MMA kaum voneinander zu trennen sind und deren jeweiligen Aspekte im Zusam- Neben der Thematik der (fehlenden) Regelungen ge- menhang diskutiert werden müssen. rät somit erneut der Aspekt der Werteorientierung im MMA bzw. der Wirkungen durch MMA in den Fokus Letzten Endes ergibt sich ein ambivalentes Gesamt- der Debatte, in dessen Verlauf MMA mit den Begriffen bild. Einerseits streiten alle Interviewten mehr oder we- wie Verrohung und extremer Gewaltauswuchs assoziiert niger stark ab, von extrem rechten Vorfällen Kenntnis wird. Eberhard Gienger teilt diese Perspektive: oder diese gar erlebt zu haben. Andererseits wird ein Bedarf gesehen, z.B. durch die Regulierung der Einlauf- „Es sind ja viele verschiedene Sportarten, die da zusammen- musik, präventiv zu wirken, um solchen Vorkommnis- genommen werden. Für mich ist es insofern Sport, als dass hier sen vorzubeugen. Zugleich sind sich alle Vertreter*innen Bewegung dabei ist, und ich glaube, das Training, das da durch- der MMA-Verbände sowie der Eventveranstalter darin geführt wird, ist durchaus eines der härtesten Trainings, die man einig, dass der sportliche Grundgedanke von MMA sich so vorstellen kann. Aber diese verschiedenen Sportarten extrem rechten Aktivitäten entgegenstehe und ihnen haben mit Sport und vor allem mit den Werten des Sports, die vorbeuge. Ob diese Einschätzung für die Trainingsan- ja auch noch zu betrachten sind, dann meines Erachtens nichts gebote zutreffend ist, konnten wir im Rahmen unserer mehr zu tun.“ Explorativstudie jedoch nicht erkunden. Deshalb solle man MMA nicht dadurch fördern, in- Jenseits dieser weitgehend auf den Trainings- und dem man ihren Institutionen den Status der Gemeinnüt- Wettbewerbsbereich der eigenen Mitglieder beschränk- zigkeit gewährt. Auch Gienger fordert, „dass man ein ten Sicht dürfen zentrale Aspekte zum Thema extreme Regelwerk einführt, dass bestimmte Verhaltensmuster Rechte im Kampfsport nicht aus den Augen verloren dann reduziert“, und schlussfolgert: werden: Zum einen sind die Verbände nicht repräsen- tativ für den gesamten MMA-Betrieb in Deutschland. „Also wenn natürlich in diesem Zusammenhang die Bereit- Zum anderen geht die Frage nach extrem rechter Ge- schaft vorhanden wäre, ein gewisses Wertegerüst im Bereich walt im, durch und mit Kampfsport weit über die Be- MMA einzuführen, wäre das sicherlich ein großer Schritt nach reiche Training und Turniere hinaus. Denn wie in den vorne.“ vorangegangenen Kapiteln mehrfach angedeutet, stel- len sich drängende Fragen zur nicht-sportiven, politisch Die Aussage macht deutlich, dass den Sportpolitikern motivierten Zweitnutzung von Kampftechniken zum die bestehenden MMA-Regeln und insbesondere die Zweck der körperlichen Aufrüstung für den Straßen- Unified Rules of MMA der UFC weitgehend unbekannt kampf und von Angriffen auf politische Gegner. Auf sind. Letztlich führt ihre durchgehend ablehnende Hal- diesbezügliche Fragen nach den Risiken der Zweitnut- tung dazu, dass MMA bislang weder in einem sportpoli- zung von im Kampfsport erlernbaren Fähigkeiten durch tischen Gremium des Bundestages noch bei einer der extrem Rechte Personen gab es in den Interviews kaum regierenden Parteien – CDU/CSU und SPD – Thema Antworten. Als konkrete Fälle in den Interviews zur war. Sowohl Pilger als auch Gienger geben offen zu, Sprache kommen, sollte MMA damit keinesfalls assozi- dass MMA bislang bundespolitisch keine Bühne gebo- iert werden, damit sein Image nicht (zusätzlich) beschä- ten werden sollte: digt wird. „Wir haben es [im Rahmen der Debatte im Sportaus- 5.9 Die Debatte um MMA als Sport schuss; d. Verf.] aber […] damals abgelehnt, um ebendieser Form des Sporttreibens und vor allem des Wettkampfes kein Die Frage, ob MMA zukünftig sowohl sportpolitische Tableau, kein Podium zu bieten“, als auch finanzielle Unterstützung erhalten wird, hängt nicht zuletzt von der Einschätzung ab, inwiefern MMA sagt Eberhard Gienger. vonseiten des organisierten Sports und der Sportpolitik in Deutschland als Sportart betrachtet wird. Wenngleich „Man will natürlich den Akteuren auch nicht ein Forum niemand abstreitet, dass MMA Athletik ist und als ver- bilden, um auch nochmal eine bundespolitische Präsenz zu er- gleichender Wettkampf stattfindet, stehen im Zentrum möglichen. Es wären sicherlich Medienvertreter dann vor dem der Diskussion vor allem sportethische Aspekte. Darauf Ausschuss da und die hätten die Möglichkeit, auch medienrele- bezogen sind sich die Vertreter der politischen Institu- vant aufzutreten. Also man will solchen rechten Gewaltszenen,

>>> Link zum 31 Inhaltsverzeichnis sage ich jetzt auch mal sicherlich verkürzt, im Prinzip keine Der DOSB und die Deutsche Sportjugend entschei- Plattform bieten“, den also anhand eigener Kriterien, welche Verbände und Sportarten sie als Mitglieder aufnehmen. Dies geschieht meint Detlef Pilger und setzt damit die gesamte bun- anhand sportethischer sowie struktureller Aspekte. desdeutsche MMA-Szene in verallgemeinernder Weise in Beziehung zu rechten Gewaltszenen. Hierbei entstehen zweierlei Probleme. Zum einen ge- raten Fragen der Unverletzbarkeit der Person ins Zent- Angesichts solcher Haltungen und Wertungen bekla- rum der Diskussion. Zum anderen ist MMA weitgehend gen sich die MMA-Organisationen einhellig über die nicht verbandlich organisiert. Voraussetzung für eine mangelnde politische Gesprächsbereitschaft: Mitgliedschaft im DOSB ist jedoch, dass der MMA-Ver- band repräsentativ für seine Sportart und Mitglied in „Die öffentliche Darstellung unterscheidet sich von dem wirk- der Hälfte aller Landessportbünde (LSB) ist – das wä- lichen Sport drastisch […], wir brauchen eine Änderung der ren acht an der Zahl. Bislang ist dies in keinem LSB Wahrnehmung in der Politik, in den Medien. […] Aber in der Fall. Zudem muss eine bundesweite Mitgliederzahl erster Linie wurde es [MMA; d. Verf.] wirklich verdrängt von 10.000 Sportler*innen nachgewiesen werden. Dies aufgrund von mangelnder Fach- und Sachkenntnis.“ sollte eigentlich über die Mitgliedschaft im Sportver- ein geschehen, doch sind MMA-Athlet*innen oftmals Der Eventveranstalter Wortmeier hebt zudem die sei- keine Vereinsmitglieder, sondern zahlende Kunden der ner Ansicht nach fehlende Anerkennung und Unterstüt- Kampfsport-Franchises und Gym-Betreiber auf einem zung hervor und meint damit die Sportorganisationen: freien Markt.

„Man muss auch sehen: Diese ganzen Gyms, die mit den Eine Mitgliedschaft der MMA-Organisationen in den Sportlern sieben Tage auf der Matte stehen, die Trainer, die ihr LSB sowie im DOSB und deren Jugendorganisation Leben dafür geben und trainieren, die erfahren gegenüber an- hätte jedoch positive Effekte für das MMA: Zum einen deren Sportarten von offizieller Seite keinerlei Unterstützung.“ würden sich dadurch lokale und regionale Finanztöpfe der Sportförderung erschließen, zum anderen könn- Generell teilen alle interviewten Vertreter*innen der ten die Angebote des Fortbildungsprogrammes der MMA-Verbände sowie der Eventveranstalter von We dsj – Schulungen und Workshops auch zu den Themen love MMA den Wunsch nach einer deutlich erhöhten Antidiskriminierung und Arbeit gegen rechte Gewalt – Gesprächsbereitschaft seitens der Politik. Zudem wün- genutzt werden. Philipp Beitzel von der KOS/dsj gibt schen sie Zugang zu Fördertöpfen, eine Änderung der hierzu zu bedenken: Beschlusslagen des DOSB und der Sportministerkonfe- renz sowie der Kriterien zur Vergabe öffentlicher Hal- „Nimmt man so eine Sportart mit auf, jetzt mal in die Zu- len für MMA-Turniere. kunft gedacht, und hat einen Zugriff auf gewisse Dinge und kann da Dinge mitgestalten? Oder sagt man: Also da holen 5.10 Die Debatte um eine wir uns unter Umständen die Probleme mit rein, die auf andere Aufnahme in den DOSB Sportarten ausstrahlen können oder den gesamten organisierten Sport in Misskredit bringen. Da müssen die vielleicht erstmal Die Deutsche Sportjugend ist der größte Jugendver- intern ihre, nennen wir es in Anführungsstrichen, Hausaufga- band in Europa und besitzt das jugendpolitische Man- ben erledigen.“ dat des DOSB. Dabei agiert sie parteipolitisch, religiös und weltanschaulich neutral. Die Deutsche Sportjugend Hier wird erneut deutlich: Es braucht eine Gesamt- bündelt die Interessen von rund zehn Millionen Kin- debatte unter Beteiligung von Sportinstitutionen, Poli- dern, Jugendlichen und jungen Menschen im Alter bis tiker*innen und repräsentativen Vertreter*innen des 26 Jahre, die in über 90.000 Sportvereinen in 16 Landes- MMA, in der es um die Anerkennung des MMA als sportjugenden, 53 Jugendorganisationen der Spitzenver- Sport und zugleich um die Erörterung von Standards bände und zehn Jugendorganisationen der Sportverbän- im MMA gehen muss: de mit besonderen Aufgaben organisiert sind. Damit ist die dsj der größte freie Träger der Kinder- und Jugend- „Es ist uns natürlich auch bekannt, dass der Sport beispiels- hilfe in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Deutsche weise in rechtsextremen Kreisen beliebt ist. Sollte man Mitglied Sportjugend 2019). werden wollen im DOSB oder in der dsj, dann muss dazu eine Haltung entwickelt werden. […] Du kannst zumindest Struk- Das Verhältnis zwischen Sportpolitik und den Sport- turen schaffen, damit gerade Jüngere, die diesen Sport ausüben institutionen beschreibt Pilger so: wollen, in Strukturen reinkommen, die auf einem vernünftigen demokratischen Fundament fußen. […] Da geht es auch „Der DOSB, die großen Sportverbände entscheiden selbst- darum, dass deine Trainer im Gym eine entspre- ständig darüber, welche Sportarten sie akzeptieren als Sport. chende Schulung dazu haben, nicht nur eine sport- Gesetzliche Rahmen hingegen setzen wir, natürlich auch den fachliche, in welcher Art und Weise diese Sportart Rahmen der Spitzensportförderung. Wie entwickelt sich der oder diese Kampfsportart dann vermittelt wird.“ Deutsche Olympische Sportbund im Hinblick auf Spitzensport- förderung, Leistungszentren, Kaderbildung, Schwerpunktdiszi- Phillip Beitzel bringt die zentralen Notwendigkeiten plinen? Das entscheiden wir mit, weil wir Geldgeber sind, aber mit seiner Aussage zu den Perspektiven des MMA im der Sport in sich ist autonom.“ organisierten Sport auf den Punkt.

>>> Link zum 32 Inhaltsverzeichnis 6 Forschungsdesiderata Sie ist kaum erschlossen und es deutet sich an, dass problematische Grauzonen vorhanden sind und neue Die Analyse der Ergebnisse unserer Untersuchung entstehen. Insgesamt gibt es in Deutschland auf meh- bietet Ansätze für weiterführende Forschungen, die den reren Ebenen bislang keinen angemessenen Umgang Umfang der hier vorliegenden Explorativstudie weit mit MMA. Das war und ist in anderen (europäischen übersteigen, die aber an anderer Stelle fortgeführt wer- und außereuropäischen) Ländern ähnlich. Der dortige den sollen, um für zukünftige Maßnahmen eine empiri- Status quo, was (staatliche) Regelungen und die damit sche Grundlage zu schaffen. Folgende Forschungsdesi- gesammelten Erfahrungen betrifft, kann Impulse für derata können wir an dieser Stelle benennen: Vorgehensweisen und Maßnahmen hierzulande liefern. Die fachliche Bestandsaufnahme der internationalen Si- Bestimmung personaler und institutioneller An- tuation und die Exploration dortiger Vorgehensweisen forderungen zur Gewaltprävention im deutschen erscheinen deshalb sowohl inhaltlich als auch im Sinne Kampfsport der Effizienz sinnvoll.

Die Ergebnisse dieser Explorationsstudie bestätigen Evaluation des Einsatzes von (Extrem-)Kampf- die bisherigen Annahmen fachlicher Diskussionen zur sport in der Arbeit mit (gewaltaffinen) Jugendgrup- zentralen Rolle der Anleiter*innen, Trainer*innen und pen in Fußballfanszenen Meister*innen im Kampfsportsektor, wenn es um die Vermittlung von Haltungen und Werten u.a. zum The- In der Geschichte der sozialpädagogischen Arbeit mit ma Gewalt geht. Erforderlich scheint es hiernach zu gewaltaffinen Fußballfans gab es mehrfach Ansätze, sein, exemplarisch zu eruieren, inwieweit z.B. Zusam- Kampfsportangebote als unterstützende Maßnahmen menhänge zwischen Geschlecht bzw. Männlichkeits- zu unterbreiten. Die Evaluation dieser Ansätze kann da- normen bzw. Kampfsport und Gewalt(-prävention) für bei helfen, drängende Fragen zu beantworten: Welche die Praxis der Verantwortlichen von Gyms und Anbie- Bedarfe der jugendlichen Klientel Sozialer Arbeit liegen tern sowie für Kampfsportverbände von Belang sind. in Hinsicht des Kampfsports vor? Was sind die Hinter- Zudem wäre es interessant zu erfahren, inwieweit ent- gründe und wie kann/muss Soziale Arbeit darauf reagie- sprechende fachlich begründete Wissensbestände Ein- ren? Letztendlich stellt sich die Frage, was angeboten gang in die Handlungskonzepte der verbandlichen Aus- werden kann und wie die Gestaltung von Kampfsport- bildung und Qualifizierung finden. projekten aussehen müsste, um gezielt die gewünschten Effekte erreichen und bestehende Risiken und Gefähr- Internationale Recherche zum Status Quo und zu dungen verhindern zu können. bestehenden Regelungen des MMA

Die Landschaft von Gyms, Verbänden, Sponsoren und Regularien in der noch jungen Extremkampfsport- art MMA in Deutschland ist äußerst unübersichtlich.

>>> Link zum 33 Inhaltsverzeichnis 7 Fazit Für die Bereiche der Sportpolitik, des organisierten Sports und des MMA bedeutet dies: Die Gesamtanalyse der Teilergebnisse – in den einzel- nen Unterkapiteln – deutet auf eine äußerst ambivalente 2009 wurde aus politischer Warte eine harsche Ableh- Situation beim Thema Prävention von (extrem rechter) nung des MMA formuliert. Seither hat sich kein bundes- Gewalt im MMA in Deutschland hin. Die Ambivalenz politisches Sportgremium mehr mit MMA beschäftigt. drückt sich aus in einer Häufung von Widersprüchen Im Feld des MMA hat sich jedoch seitdem vieles geän- und Gegensätzlichkeiten, die nicht zuletzt mit grund- dert: Die Regeln und Rahmenbedingungen im MMA sätzlichen sportstrukturellen bzw. -politischen Fragen wurden weiterentwickelt und dadurch u.a. die Sicherheit und Perspektiven zusammenhängen. der Athlet*innen erhöht. MMA hat enorm an Populari- tät gewonnen und ist in der Mitte unserer Gesellschaft Zunächst muss ernüchternd festgestellt werden, dass angekommen. Eine zunehmend größer werdende Zahl es in denjenigen Bereichen des MMA, die Teil unserer an Gyms bietet MMA an, der (internationale) Markt Untersuchungen waren, quasi vollumfänglich an kon- wächst kontinuierlich und die deutschen Veranstalter zeptionellen Ansätzen, pädagogischen Maßnahmen reagieren auf den Bedarf und haben sich professiona- oder (Aus-/Fort-)Bildungsangeboten und Netzwerken lisiert. Parallel hierzu ist das mediale Interesse – insbe- zur Prävention von (extrem rechter) Gewalt mangelt. sondere auf den nicht-traditionellen, digitalen Kanälen Gleichzeitig herrscht im MMA (wie im Übrigen noch – stetig angestiegen, sodass MMA heute für zahlreiche immer in vielen Bereichen des organisierten Sports) junge Menschen ein normaler Teil des Kampfsports ist. die weitgehend irrtümliche Annahme vor, dass sich Nicht zuletzt wird MMA aus externer fachlicher Pers- Gewaltprävention per se über das reine Ausüben von pektive zwar differenziert gesehen, kritisch betrachtet, (Kampf-)Sport realisieren würde. MMA wird in diesem jedoch keineswegs per se als destruktiv eingeschätzt. Zusammenhang als ein sich selbst regulierendes sporti- Aufseiten der Sportpolitik herrscht über all das jedoch ves Systems innerhalb eines unpolitischen Binnenraums großes Unwissen vor. Letzten Endes werden sport- und dargestellt, in dem grundsätzlich die erforderlichen per- innenpolitische Gremien nicht umhinkommen, sich ak- sonalen Kompetenzen vorliegen, die sowohl im Sport- tiv mit MMA und seinen Verbandsvertreter*innen zu betrieb als auch der wertebildenden Arbeit mit jungen beschäftigen. Menschen und zur Prävention von Gewalt wirken würden. Diesem geäußerten Selbstverständnis stehen Zwar hat der Beschluss des DOSB aus dem Jahr 2009, allerdings eigene implizite Hinweise auf erforderliche in dem MMA als „Pervertierung der Werte des Sportes“ Qualitätsstandards in Anbetracht bestehender Risiken abgelehnt wird, noch immer Bestand, doch finden be- und Problemlagen im MMA entgegen. Für deren Ent- reits eine innerverbandliche Debatte zum Thema MMA stehung wird die Politik verantwortlich gemacht und für und erste Gespräche mit Vertreter*innen der GEM- deren Bekämpfung werden staatliche Eingriffe und Re- MAF statt. Zentrale Punkte dieser Erörterungen betref- gulierungen gefordert. fen sowohl strukturelle Aspekte (z.B. Mitgliederzahlen und -status oder der Aufbau von Landesverbänden) als Sich widersprechende Aussagen der Vertreter*innen auch sportethische Aspekte. In Bezug auf Letzteres ist der MMA-Verbände und der Sportpolitik gibt es eben- die Prävention von Gewalt und GMF für den DOSB ein falls hinsichtlich der Einschätzung von bestehenden großes Anliegen. Es steht hierzu die Frage im Raum, Regelungen und zum Fairplay-Verhalten im MMA. Of- inwiefern perspektivisch Schulungsangebote des orga- fenkundig bestehen große Wissensdefizite auf allen Sei- nisierten Sports für Vertreter*innen des MMA geöffnet ten, die zu einseitigen oder sogar de facto falschen Situ- werden könnten. Der verbandsinterne Diskussions- und ationsbeschreibungen und Annahmen führen müssen. Entscheidungsprozess vollzieht sich letztendlich ent- lang folgender Tatsache: Die (Nicht-)Zugehörigkeit des Vor diesem Hintergrund lässt sich ein zentrales Er- MMA zum organisierten Sport steht in direktem Zu- gebnis dieser Explorationsstudie formulieren: Es be- sammenhang mit den möglichen Leistungen zu Präven- steht die dringende Notwendigkeit für Austausch und tion und Schutz gegenüber der unerwünschten Einfluss- Wissensvermittlung sowie für eine gemeinsame Struk- nahme von extrem rechts orientierten Personen im Feld tur- und Strategieentwicklung. Es braucht den konstruk- des MMA. tiven Dialog zwischen kommunalen, länderweiten und bundespolitischen staatlichen sowie nichtstaatlichen Die noch junge Entwicklungsgeschichte der Organisationen, die gemeinsam mit den Akteuren und MMA-Verbände in Deutschland ist geprägt von Interes- Organisationen des Kampfsportsektors präventiv gegen senkonflikten, Ausdifferenzierungsprozessen, Konkur- extrem rechte Einstellungen und Diskriminierungen et- renz und Kämpfen um Macht und Deutungshoheit. In was tun. Die Komplexität der Zusammenhänge deutet der Folge unterscheiden sich die Handlungsansätze auf darauf hin, dass Vertreter*innen von Sportpolitik und Ebene des Breitensport- bzw. Amateurbetriebs in vieler- aus Sportverbänden, aus der Fanarbeit, von Bildungs- lei Hinsicht von der Ebene semi-professioneller Events. und Beratungsträgern sowie aus der Wissenschaft mit Diese beiden Ebenen des MMA stehen weitgehend ne- den Akteuren im Kampfsport eng zusammenarbeiten beneinander und sind nicht unter einem gemeinsamen müssen, um die aktuellen Herausforderungen gemein- Dach vereint. Dementsprechend zeigt sich die Land- sam zu bewältigen. schaft des MMA nach außen hin weitgehend uneinheit- lich, zergliedert und durchsetzt von schwer einschätz-

>>> Link zum 34 Inhaltsverzeichnis baren Grauzonen. Die Tatsache, dass viele Gyms und vention im klassischen Sinne, die von der Breite der in Eventveranstalter auf dem freien Markt – und nicht als diesem Feld bestehenden Organisationen getragen wird. (gemeinnützige) Vereine – organisiert sind, vermindert zudem die Repräsentativität der Verbände. Aufgrund Schlussendlich bedeutet dies für uns als Autoren die- ihres geringen Organisationsgrades und der geringen ser Explorationsstudie, dass folgende Aspekte zukünftig Repräsentativität sind die bis dato geschaffenen ver- berücksichtigt werden sollten: bandlichen Strukturen des MMA nicht ausreichend kompatibel mit den Kriterien, die eine Aufnahme in den • Um die Prävention von Gewalt und GMF im MMA organisierten Sport ermöglichen. voranzubringen, braucht es Formate und Foren, durch die die Lücken an Austausch und Wissen über Die Verbandsvertreter der GEMMAF haben diese Si- extrem rechte Gewalt, die durch diese Explorations- tuation erkannt und die Herausforderung angenommen. studie deutlich geworden sind, geschlossen werden. Sie arbeiten daran, sowohl die Qualitäts- und Sicher- • Die verbandliche Strukturentwicklung und die De- heitsbelange als auch die Verbandsstrukturen im MMA weiterzuentwickeln und somit dem Sport und den dort batte um die Anerkennung von MMA als Sport sowie agierenden Menschen mehr gesellschaftliche Anerken- die Entwicklung von Strategien gegen extrem rechte nung zu verschaffen. Mit diesem strukturbildenden An- Gewalt müssen Hand in Hand gehen. liegen der Bündelung und Vereinheitlichung dringen sie • Zukünftige Entscheidungen zur Debatte um die An- bislang jedoch weder im eigenen Binnenraum noch bis erkennung von MMA als Sport werden von der Fra- zur Sportpolitik oder den traditionellen Medien durch. ge begleitet sein, wie Demokratie und Prävention in In Bezug auf die Prävention von extrem rechter Gewalt einem Bereich des Sports gefördert werden kann, der wurden sowohl beim Veranstalter der MMA-Serie We von den Institutionen des Sports und der Politik nicht love MMA als auch beim MMA-Verband GEMMAF als Sport anerkannt wird. erste Maßnahmen und Regularien verankert, die z.B. das Auftreten extrem rechter Personen und das Zeigen • Die in vielen Bereichen des medialen und politischen extrem rechter Symbole auf Events verhindern sollen. Betriebes beobachtbare, grundlegend ablehnende Zudem wurde mit dem Code of Conduct eine Art Leitbild Haltung gegenüber MMA stellt für die konstruk- erarbeitet. tive Arbeit im Bereich der Prävention von Gewalt und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein Diese Maßnahmen sind erste gute Ansätze einer Hemmnis dar. strukturorientierten Prävention, doch gilt es, diese deut- lich auszubauen. Angesprochen ist damit zum einen die Sollen der Austausch und die Wissensvermittlung so- Sensibilisierung gegenüber dem potenziellen Risiko der wie die Struktur- und Strategieentwicklung im Zusam- Zweitnutzung der im Kampfsport erlernbaren Techniken. menspiel der Akteure der Sportpolitik, des organisierten Zum anderen geht es um die Entwicklung einer Stra- Sports und des MMA zukünftig erfolgreich umgesetzt tegie, wie sich gegen extrem rechte Einflüsse gewehrt werden, müssen diese Punkte bearbeitet werden. werden kann. Kurzum: MMA braucht eine Primärprä-

>>> Link zum 35 Inhaltsverzeichnis 8 Interview mit Gunter A. Pilz Sie wirken erst, wenn wir an den Problemen ansetzen, die junge Menschen haben, und die jungen Menschen Gunter A. Pilz ist Soziologe und war Professor an der auch merken, dass ihre Probleme ernst genommen wer- Leibniz Universität Hannover. Er forschte Zeit seines den. Nur dann öffnen sie sich für Angebote zur Ver- Lebens zu Fankulturen, Sport und Gewalt. Zudem ist er haltensänderung. Daran hat sich bis heute nichts ge- Mitbegründer des Fanprojekts Hannover. Wir sprachen ändert. Letztlich geht es um Verhaltensselbstkontrolle, mit ihm über die Gewaltentwicklung in den Fußballfan- Konfliktbewältigung, andererseits aber auch um Ver- szenen, über Ansätze zur Prävention und politische Ein- mittlung von Lebensperspektiven, Schaffen von (Frei-) flüsse im Kampfsport. Räumen zur Selbstentfaltung und einer positiven Identi- tätsfindung.

Welche Rolle hat Kampfsport in den Fanszenen der 80er- und 90er-Jahre gespielt? Welche Funktionen kann Kampfsport in der Ge- waltprävention erfüllen? Kampfsport war bei den Hooligans der 80er- und 90er-Jahre bereits weitverbreitet. Allerdings noch nicht Ich würde da nicht von Kampfsport, der ja immer in Form des damals noch nicht existenten MMA, son- auch mit „Vernichten“ und Beschädigen zu tun hat, dern der asiatischen Kampfkünste wie Karate, Kung- sondern lieber von Kampfkünsten sprechen, bei denen Fu, Thai-Boxen, mit denen sich die Hooligans für den Selbstdisziplin, Selbstkontrolle und die sogenannte Streetfight fit machten. Etikette eine wichtige Rolle spielen. Durch eine ent- sprechend verantwortliche Vermittlung können Men- schen lernen, mit Aggressionen umzugehen, Selbstbe- herrschung, Respekt, Rücksichtnahme und Höflichkeit Wie hat sich das Thema Fanszenen, Gewalt und erlernen, ihr Selbstwertgefühl stärken und somit eine Kampfsport seither entwickelt? positive Identität entwickeln. Ich habe deshalb schon in den 80er-Jahren gefordert, dass die sogenannten sanften Mit dem Aufkommen der Ultras Ende der 90er-Jahre Kampfkünste wie Ringen und Judo zum Pflichtbestand- und dem Abflauen des Hooliganismus ließen die in den teil des Schulsports gehören sollten, damit junge Men- 80er- und 90er-Jahren üblichen Straßenkämpfe an fast schen früh lernen, mit ihren Aggressionen verantwor- jedem Fußballwochenende erheblich nach. Die Kämpfe tungsvoll umzugehen. verlagerten sich an sogenannte Drittorte, meist weit weg von den Stadien und städtischen Räumen.

Wo liegen andererseits Grenzen der Sozialen Ar- beit mit gewaltaffinen Jugendlichen? Die damaligen wie heutigen Fanszenen waren und sind sehr männerdominiert. Was haben Ge- Die Grenzen liegen eindeutig da, wo es nur um die walt und Männlichkeit in Fanszenen miteinander Vermittlung von Kampftechniken, um Beschädigungs- zu tun? kämpfe geht, da hier junge Menschen „ihre Fähigkeiten zur Gewaltausübung lediglich ausweiten“ und fit für Traditionell werden mit „Männlichkeit“ Härte gegen den Straßenkampf gemacht werden. Kämpfen mit pä- sich und andere, Durchsetzungsvermögen, Risikobe- dagogischen Zielsetzungen kann durch entsprechend reitschaft, Kompromisslosigkeit verbunden und inso- ausgebildete und verantwortungsbewusste Personen so fern bilden Männlichkeit und Gewalt eine Symbiose. gesehen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Die Fanszenen selbst sind und waren eine Männerwelt, Gewaltprävention leisten. Die Frage, ob Kampfkunst/ in der Gewalt als Mittel der Durchsetzung eigener In- Kampfsport zu Gewalt führt, hängt ganz entscheidend teressen durchaus akzeptiert, zum Teil sogar gefordert von den Trainer*innen/Meister*innen, der Art des wurde und wird. Kampfsports (Kommentkampf wie Ringen, Judo. Kara- te-Do, Aikido versus Beschädigungskampf wie Boxen, Kickboxen, MMA) und den individuellen Orientierun- gen der Kampfsporttreibenden ab. Welche Präventionsmaßnahmen wurden zum Thema Gewalt in Fanszenen über die Jahrzehnte entwickelt? Welche soziale Verantwortung hat der Kampf- Angebote von Erlebnis- und Abenteuersport, Cool- sport disziplinenübergreifend? ness- und Anti-Aggressivitäts-Trainings, Befähigung zur Konfliktbewältigung. Maßnahmen zur Stärkung des Ich glaube, dass die wichtigste Aufgabe ist, sich ei- Selbstbewusstseins. Aber insgesamt musste man auch nerseits der Gefahren, die mit der Ausübung und Ver- erkennen, dass Maßnahmen zur Gewaltprävention we- mittlung von Kampfsport verbunden sind, bewusst zu nig bewirken, wenn sie an den Problemen (sprich dem werden. Andererseits aber auch die Chancen der Ge- Gewalthandeln) ansetzen, die junge Menschen machen. waltprävention durch und mit Kampfkunst offensiv zu

>>> Link zum 36 Inhaltsverzeichnis vertreten. Um einen unreflektierten Umgang mit der Wie kann sich der Kampfsport stärker gegen ext- Kampfkunst in der Jugendarbeit, den Gefahren der ge- rem rechte Einflüsse positionieren? wollten oder ungewollten Vorbereitung auf den Straßen- kampf zu begegnen, um vor allem Kampfkunstschulen, Ich denke, hier wird es vor allem auch darauf ankom- die nur das „schnelle Geld“ machen wollen, wirksam men, dass man sich eindeutig gegen Rechtsextremismus, zu begegnen, scheint mir die Einrichtung von gewalt- jede Art von Diskriminierung wendet und sich zu Fair- präventiven Kampfkunstnetzwerken dringend geboten. ness, Respekt und Achtung der Menschen bekennt so- Die Angebote und vor allem die Folgen der Vermittlung wie ein festes Netzwerk der Kampfkunstanbieter und von Kampfkünsten müssen einer stetigen Überprüfung, der gewaltpräventiven Sozialen Arbeit errichtet. um nicht zu sagen Kontrolle unterzogen werden. Im Sinne einer freiwilligen Selbstkontrolle – angelehnt an die Medienwirtschaft – gilt es nicht nur für die Ausbil- dung qualifizierter, verantwortungsbewusster Kampf- Wir danken für das Gespräch. kunstlehrer*innen und -Meister*innen Verantwortung zu übernehmen, sondern auch den verantwortungsbe- wussten Einsatz von Kampfkünsten in der Gewaltprä- vention ständig zu überwachen.

>>> Link zum 37 Inhaltsverzeichnis 9 Literatur von Cottbus. In: Tagesspiegel, 11.4.2019. Abrufbar unter: www.tagesspiegel.de/berlin/razzia-bei-rechts- • Behn, S./Harzer, E./Lynen van Berg, H./Selmer, N./Pilz, extremen-so-gefaehrlich-ist-das-braune-netz-von-cott- G. A. (2014). Rechtsextremismus im Sport in Deutsch- bus/24201834.html; letzter Zugriff am 12.9.2019. land und im internationalen Vergleich. Köln. 2. Auflage. • Galtung, J. (1990). Cultural violence. In: Journal of peace • Binhack, A. (1998). Über das Kämpfen – zum Phänomen research 27, 2, S. 291 ff. des Kampfes in Sport und Gesellschaft. Frankfurt/New York. • Goldner, C. (1992). Fernöstliche Kampfkunst. München.

• Bloem, J./Moget, P.C.M./Petzold, H. G. (2004). Budo, • Gugel, G. (2006). Gewalt und Gewaltprävention – Aggressionsreduktion und psychosoziale Effekte: Fak- Grundfragen, Grundlagen, Ansätze und Handlungsfel- tum oder Fiktion? Forschungsergebnisse – psycholo- der von Gewaltprävention und ihre Bedeutung für Ent- gische und neurobiologische Konzepte – Modelle. In: wicklungszusammenarbeit / Günther Gugel. Institut für Integrative Therapie – Zeitschrift für vergleichende Psy- Friedenspädagogik Tübingen e.V. Tübingen. chotherapie und Methodenintegration. 30. Jg., Heft 1–2, S. 101–149. • Haberlandt, N. (2013). Rechtsextreme Strategien im Sport. Berlin. • BMI – Bundesministerium des Innern, für Bau und Hei- mat (2019). Verfassungsschutzbericht 2018. Berlin. • Hechler, A./Stuve, O. (2015). Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts. Opladen. • Braun, S./Geisler, A./Gerster, M. (2015). Strategien der extremen Rechten. Wiesbaden. • Heitmeyer, W. (Hrsg.) (2002–2012): Deutsche Zustände. Frankfurt. • Bredereck, B. (2015). Mixed Martial Arts als Strategie zur (Re)Souveranisierung von Mannlichkeit? In: A. Mar- • Huber, W. (1999). Sport als Kult – Sport als Kultur. In: O. quardt/P. Kuhn (Hrsg.), Von Kämpfern und Kämpferin- Gruppe (Hrsg.), Einblicke. Aspekte olympischer Sport- nen – Kampfkunst und Kampfsport aus der Genderper- entwicklung. (S. 13–22). Schondorf. spektive – Kampfkunst und Kampfsport in Forschung und Lehre 2014. (S. 133–142). Hamburg. • Johansson, S. (2012). Rechtsextremismuspravention und Demokratieförderung in den Feldern der Padagogik, der • Claus, R. (2017). Hooligans. Eine Welt zwischen Fußball, Beratung und Vernetzung: eine kurze Begriffseinordnung Gewalt und Politik. Göttingen. und -abgrenzung. Kontaktstelle BIKnetz – Präventions- netz gegen Rechtsextremismus. Berlin. • Claus, R. (2018). Der extrem rechte Kampfsportboom. Bonn. Abrufbar unter: www.bpb.de/politik/extremis- • Junk, H./Manzel, P. (1999). Kampfkunst und Gewalt- mus/rechtsextremismus/279552/der-extrem-rech- prävention aus der Sicht eines Aikido-Meisters und eines te-kampfsportboom; letzter Zugriff am 6.8.2019. Psychologen. In: A. Böttger (Hrsg.), Jugendgewalt und kein Ende – Hintergründe, Perspektiven – Gegenstrate- • Claus, R. (2019). Rechtsextremismus und Sport – zum gien. Heft der Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen. Stand der Forschung. In: R. Becker/S. Schmitt (Hrsg.), Hannover. Beratung im Kontext Rechtsextremismus. (S. 163–181). Frankfurt. • Keupp, H. (1976). Abweichung und Alltagsroutine. Die Labeling-Perspektive in Theorie und Praxis. Hamburg. • Claus, R./Lehnert, E./Müller, Y. (2010). „Was ein rech- ter Mann ist …“ Männlichkeiten im Rechtsextremismus. • Kilias, M. (2009). Jugenddelinquenz im Kanton St. Gal- Berlin. len. Bericht zuhanden des Bildungsdepartements und des Sicherheits- und Justizdepartements des Kantons St. Gal- • Debus, K./Laumann, V. (2014). Rechtsextremismus, Prä- len Kriminologisches Institut, Universität Zürich. vention und Geschlecht. Berlin. • Köhler, C. (2017). Martial Arts als Ökonomien der Ge- • Delto, H./Tzschoppe, P. (2015). Wir und die Anderen. walt und ethisches Lernfeld – Feldbericht zur „Gewalt“ in Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Sport in den Capoeiras und Mixed Martial Arts. In: S. Körner/L. Sachsen. Leipzig. Istas (Hrsg.), Martial Arts and Society. Zur gesellschaft- lichen Bedeutung von Kampfkunst, Kampfsport und • Dollase, R./Kliche, T./Moser, H. (1999). (Hrsg.). Politi- Selbstverteidigung. (S. 101–110). Hamburg. sche Psychologie der Fremdenfeindlichkeit. Opfer – Täter – Mittäter. Weinheim/München. • Krafeld, F. J. (1992). Eskalation der Gewalt gegen Aus- länder - und was tun? In: deutsche jugend, Heft 11, S. • Elias, N. (1977). Über den Prozeß der Zivilisation (2 Bde). 500–502. Frankfurt. • Kuhn, H. (1994). Kampfkunst in der Jugendarbeit. Mo- • Fröhlich, A. (2019): So gefährlich ist das braune Netz detrend, „Erlebnispädagogik“ oder sinnvolle Möglich-

>>> Link zum 38 Inhaltsverzeichnis keit zur Selbstverwirklichung und Gewaltprävention? In: • Staack, M. (2014). Praktiken der Gewalt? Randall deutsche jugend, Heft 11, S. 488–497. Collinsʼ Konzept der Confrontational Tension/Fear in der Analyse des Kampfsporttrainings. In: S. Liebl/P. • Martus, T./Unger, C. (2019). Rechtsausleger im Kuhn (Hrsg.), Menschen im Zweikampf – Kampfkunst Ring. In: Hamburger Abendblatt. Abrufbar un- und Kampfsport in Forschung und Lehre 2013. (S. 169– ter: https://interaktiv.abendblatt.de/rechte-kampf- 175). Hamburg. sportler/?fbclid=IwAR1xs7DK_jAFvtq7R- vHL1qYJ8tVD-Nb6ca0pWb5JZX4jQ906ISN5St- • Stöss, R. (2007). Rechtsextremismus im Wandel. Fried- PHVYA; letzter Zugriff am 6.8.2019 rich-Ebert-Stiftung. Berlin.

• Meyer, M. (2014). Kontrolle, Suche und Kommerzia- • Stuve, O. (2010). Geschlechterreflektierende Arbeit mit lisierung von Risiko und Verletzungen in UFC-Events. Jungen als Prävention gegen rechtsextremistische Ein- In: S. Liebl/P. Kuhn (Hrsg.), Menschen im Zweikampf stellungen und Handlungsmuster. In: R. Claus/E. Lehn- – Kampfkunst und Kampfsport in Forschung und Lehre ert/Y. Müller (Hrsg.), „Was ein rechter Mann ist …“ 2013. (S. 245–254). Hamburg. Männlichkeiten im Rechtsextremismus. (S. 226–236). Berlin. • Mobit Thüringen (2019): Im Kampf für die „völkische Wiedergeburt“: Extrem rechte Kampfsportstrukturen • Tedeschi, J.T. et al. (1974). Reinterpretation of research in Thüringen. Abrufbar unter: www.endstation-rechts. on aggression. In: Psychological Bulletin 81 (9) 1974, S. de/news/im-kampf-fuer-die-voelkische-wiedergeburt-ex- 540–562. trem-rechte-kampfsportstrukturen-in-thueringen.html; letzter Zugriff am 12.9.2019. • Theunert, H. (1987). Gewalt in den Medien – Gewalt in der Realität. Opladen. • Nandlinger, G. (2008). Wann spricht man von Rechts- extremismus, Rechtsradikalismus oder Neonazismus ...? • Van Bottenburg, M./Heilbron J. (2006). De-Sportization Bundeszentrale für politische Bildung. Abrufbar unter: of Fighting Contests: The Origins and Dynamics of No www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremis- Holds Barred Events and the Theory of Sportization. In: mus/41312/was-ist-rechtsextrem?p=all; letzter Zugriff International Review for the Sociology of Sport 2006, am 10.9.2019. 3–4, S. 259–282.

• Narr, W. (1973). Gewalt und Legitimität. In: Leviathan, • Von Saldern, M. (2004). Macht Kampfsport gewalttätig? 1, S. 7–42. In: U. Neumann/M. von Saldern/R. Pöhler/P. Wendt (Hrsg.), Der friedliche Krieger – BuDō als Methode der • Pilz, G. A. (1994). Jugend, Gewalt und Rechtsextremis- Gewaltprävention. (S. 56–72). Marburg. mus. Möglichkeiten und Notwendigkeiten politischen, polizeilichen, (sozial-)pädagogischen und individuellen • Weinheim, W. (1991). Das Kampfsportlexikon. Berlin. Handelns. Münster. • Wetzlar, S. (2014). Vergleichende Kampfkunstwissen- • Pilz, G. A. (2001). Stichwort Gewalt. In: Wenninger, G. schaft als historisch-kulturwissenschaftliche Disziplin (Red.): Lexikon der Psychologie. Band 2: F bis K. (Buch – Mogliche Gegenstände, notige Quellen, anzuwenden- und CD-ROM). Heidelberg. de Methoden. In: S. Liebl/P. Kuhn (Hrsg.), Menschen im Zweikampf – Kampfkunst und Kampfsport in For- • Radvan, H. (2013). Gender und Rechtsextremismusprä- schung und Lehre 2013. (S. 57–66). Hamburg. vention. Berlin. • WHO (2002) Worldreport on Violence and Health. Ge- • Rödel, C.-J. (2013). Kampfsport in olympischer Tradi- neva. tion? Das antike Pankration und die modernen Mixed Martial Arts. In: S. Happ/O. Zajonc (Hrsg.), Kampfkunst • WHO (2004) Handbook for the Documentation of Inter- und Kampfsport in Forschung und Lehre 2012. (S. 61– personal Violence prevention programms. Geneva. 70). Hamburg. • Wolf, M. (2019): Der Dritte Weg: Die Nazi-Hooligans • Schwind, H.-D./Baumann, J. u.a. (1990). (Hrsg.). Ursa- und ihre Jugendsport-Propaganda. WDR Sport inside chen, Prävention und Kontrolle von Gewalt (Bde I–IV). vom 4.9.2019. Abrufbar unter: www1.wdr.de/media- Berlin. thek/video/sendungen/sport-inside/video-der-drit- te-weg-die-nazi-hooligans-und-ihre-jugendsport-pro- • Selg, H. (1974). Menschliche Aggressivität. Göttingen. paganda-100.html; letzter Zugriff am 12.9.2019.

• Staack, M. (2013). Sport oder Spektakel? – Ansätze einer • Zajonc, O. (2010). Kämpfen als Gewaltprävention? Ein Reflexion von Mixed Martial Arts. In: S. Happ/O. Zajonc Umriss. In: M. von Saldern (Hrsg.), Meisterung des Ichs. (Hrsg.), Kampfkunst und Kampfsport in Forschung und Budo zur Gewaltprävention? (S. 151–171). Norderstedt. Lehre 2012. (S. 131–138). Hamburg.

>>> Link zum 39 Inhaltsverzeichnis • Zajonc, O. (2011). Bedingungen des Kämpfens als Mittel – Feindselige Zustände. Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin. zur Gewaltprävention. In: P. Kuhn/H. Lange/T. Leff- ler/S. Liebl (Hrsg.), Kampfsport und Kampfkunst in For- • Zick, A./Küpper, B./Berghan, W. (2019). Verlorene Mitte schung und Lehre 2011. (S. 175–188). Hamburg. – Feindselige Zustände. Friedrich-Ebert-Stiftung. Kurz- zusammenfassung der Ergebnisse. Berlin. • Zajonc, O. (2013). Kämpfen als Mittel zur Gewaltpräven- tion – Bedingungen, Anforderungen und Perspektiven. • Zidan, K. (2019). Kampf der Nibelungen: Ger- In: S. Happ/O. Zajonc (Hrsg.), Kampfkunst und Kampf- man neo-nazis are combining far-right po- sport in Forschung und Lehre 2012. (S. 37–50). Hamburg. litics with MMA. Abrufbar unter: www. bloodyelbow.com/2018/6/14/17464004/german-neo-na- • Zick, A./Klein, A. (2014). Fragile Mitte – Feindselige Zu- zis-combining-far-right-politics-mma-kairm-zidan-fea- stände. Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin. ture-news?fbclid=IwAR2zjB__h1-f-vHpDIhJWlom- r3abaHhGU5S_b5rhWxm9fJZDs0dFnyTOJSQ; letzter • Zick, A./Küpper, B/Krause, D. (2016). Gespaltene Mitte Zugriff am 6.8.2019

Quellen • Sportministerkonferenz (2009). Mixed Martial Arts (Ul- timate Fighting/Extreme Fighting). Beschluss der 33. • Der Kampf der freien Männer (2019). In: N.S. heute. Aus- Sportministerkonferenz am 19./20. November 2009 in gabe 14, März/April 2019, S. 42–44. Dortmund. Lübeck/Travemünde.

• Deutsche Sportjugend (2019). Selbstdarstellung und • UFC (2018). Unified Rules of MMA. Abrufbar unter: Leitbild. Abrufbar unter: www.dsj.de/deutsche-sportju- www.ufc.com/unified-rules-mixed-martial-arts; letzter gend/selbstdarstellung-und-leitbild; letzter Zugriff am Zugriff am 6.8.2019. 6.8.2019. • VBRG – Verband der Beratungsstellen für Betroffe- • Deutscher Olympischer Sportbund (2009). Mixed Martial ne rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt Arts. TOP 11 der 29. Sitzung des DOSB-Präsidiums am e.V. (2019a). www.verband-brg.de; letzter Zugriff am 3.11.2009 in Köln. 13.8.2019

• GEMMAF (2019a): www.gemmaf.de/fusion-gem- • VBRG – Verband der Beratungsstellen für Betroffe- maf-gammaf-erfolgreich; letzter Zugriff am 6.8.2019. ne rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (2019b). 2018 registrierten Opferberatungsstellen eine • GEMMAF (2019b). Code of conduct. Berlin. Zunahme rechter Gewalt auf 1.212 Angriffe allein in Ostdeutschland und Berlin. Abrufbar unter: www.ver- • Kampf der Nibelungen (2019): www.kampf-der-nibelun- band-brg.de/pm-vbrg-jahresstatistik-2018-rechte-gewalt; gen.com/start/; letzter Zugriff am 12.8.2019. letzter Zugriff am 13.8.2019.

• LOTTA – antifaschistisches Magazin aus NRW (2018): • WDR (2018). Extrem gewaltbereit. Kampfsport in der Schwerpunkt Kampfsport. Ausgabe 69. Abrufbar unter: rechten Szene. Abrufbar unter: www1.wdr.de/dasers- www.lotta-magazin.de/tag/kampfsport te/monitor/videos/video-extrem-gewaltbereit-kampf- sport-in-der-rechten-szene-100.html; letzter Zugriff am • Runter von der Matte (2017): www.runtervondermatte. 6.8.2019 noblogs.org; letzter Zugriff am 12.9.2019.

>>> Link zum 40 Inhaltsverzeichnis 10 Glossar

Allkampf (Jitsu) Grappling Allkampf-Jitsu ist eine Kampfsportart mit Selbstvertei- (engl.: Griffmethoden, Griffkampf) ist ein Element vie- digungscharakter. ler Kampfsportarten und beinhaltet Hebel, Würfe, zu Boden bringen, Aufgabegriffe, Würgegriffe und andere Double leg Takedown Haltegriffe jeglicher Art. Die verschiedenen Techniken ist eine Technik im MMA, die das Ziel verfolgt, die haben zum Ziel, den Gegner in eine für ihn unvorteil- Gegner*in aus der Balance und zu Boden bringen, in- hafte Position zu bringen und ihn anschließend be- dem mit beiden Armen die Beine des Gegners umfasst wegungsunfähig zu machen und/oder zur Aufgabe zu werden. zwingen. Grappling kann auch mit Schlägen und Tritten verbunden werden. Extremkampfsport Der von Zajonc (2010, 2011 u. 2012) angeregte stilarten- Gym unabhängige Differenzierungsansatz untergliedert die (engl: Fitnessstudio) ist eine moderne Bezeichnung für Gesamtheit kampfsportlicher und kampfkünstlerischer Kampfsportschulen. Stilarten und Bewegungsformen in enger Anlehnung an die phänomenologische Analyse der Merkmale einer Jiu Jitsu Formalstruktur des menschlichen Kampfes von Axel (japan.: die sanfte Technik) ist eine japanische Kampf- Binhack (vgl. 1998, S. 21–42). Seine formalsoziologische kunst der waffenlosen Selbstverteidigung. Analyse liefert den theoretischen Bezugsrahmen des Kategorie-Modells von Zajonc, der Kampfsport und K-1 Kampfkünste in sechs Kategorien unterteilt: ist eine japanische Kampfsportorganisation, die ihr ei- 1. Kämpfen als klassisch-traditionelle Kunst genes Kampfsport-Regelwerk mit dem Ziel entwickelt hat, Kämpfer*innen aus verschiedenen Kampfkünsten 2. Kämpfen als westlich-moderne Kunst sinnvoll gegeneinander antreten lassen zu können. K-1 3. Kämpfen als Sport ist keine eigene Kampfsportart. Im K-1 messen sich Vertreter*innen verschiedener Kampfsportarten, und 4. Kämpfen als Kampfspiel halten sich dabei an die gemeinsamen Regeln. Nicht zu- 5. Kämpfen als Extremsport lässig sind z.B. das Clinchen oder der Einsatz von Ellbo- gen (z.B. aus dem Muay Thai) und Würfe (z.B. aus dem 6. Kämpfen als (Selbst-)Verteidigung. Judo). (Quelle: Wikipedia) Kämpfen als Extremsport findet hiernach angepasst an westliche Sportnormen statt und weist eine große Nähe Martial Arts zum echten, kriegerischen Kampf auf. Die Art des ist ein Sammelbegriff für die Gesamtheit aller Kampf- sportlichen Kampfes in Extremkampfsportarten zielt künste auf das schnelle Ausschalten des Gegners ab. Dazu ist die Entwicklung effektiver Kampftechniken erforder- Matchmaker lich, die zum Zweck der maximalen Beschädigung des stellen die Paarungen eines Kampfsportevents zusam- Kampfgegners eingesetzt werden (Beschädigungs- oder men und orientieren sich dabei an den Leistungen der Vernichtungskampf). Merkmale des Kampfgeschehens Kämpfer*innen, der Attraktivität der Kampfpaarung sind einseitige, übergeordnete und tendenzielle Sieg- und/oder lokalen Bedingungen. Sie sind breit vernetzt, orientierung, starke Zielgerichtetheit, die eine schnellst- haben einen Überblick über Gyms und wettkampforien- mögliche Beendigung des Kampfes anstrebt, starke tierte Athlet*innen. Wirklichkeitsausrichtung und maximale Trefferwirkun- gen bei wenigen Regelungen des Kampfes. Mixed Martial Arts (engl.: gemischte Kampfkünste, kurz MMA) ist eine Fightcard Vollkontakt-Kampfsportart. Die Kämpfer*innen bedie- Programm eines Kampfsportevents, in dem die Paarun- nen sich sowohl der Schlag- und Tritttechniken (Stri- gen der Kämpfer*innen aufgelistet sind. Zumeist ist sie king) des Boxens, Kickboxens, Taekwondo, Muay Thai in eine Undercard – das Vorprogramm – und eine Main- und Karate als auch der Bodenkampf- und Ringtech- card – das Hauptprogramm – unterteilt. niken (Grappling) des Brazilian Jiu-Jitsu, Ringens, Judo und Sambo. Techniken aus anderen Kampfkünsten Fight Nights werden ebenfalls benutzt. Dass auch im Bodenkampf (engl.: Kampfnacht) ist eine Szenebezeichnung für geschlagen und zum Teil getreten werden darf, ist das Kampfevents. Hauptunterscheidungsmerkmal zu anderen Vollkon- taktsportarten. (Quelle: Wikipedia) Freefight (engl.: Freier Kampf). Namen, ist der Namen, unter dem MMA MMA in Deutschland zur Jahrtausendwende bekannt Übersetzt in etwa gemischte Kampfkünste. war. International wird diese Bezeichnung kaum ver- wendet.

>>> Link zum 41 Inhaltsverzeichnis Muay Thai UFC (deutsch: Thaiboxen) ist eine Kampfkunst und der Na- (Abkürzung für Ultimate Fighting Championship) ist tionalsport Thailands. Das Muay Thai entwickelte sich eine US-amerikanische Mixed-Martial-Arts-Organisati- über Jahrhunderte aus den traditionellen Kampfkünsten on und der weltweit größte Veranstalter von MMA-Tur- Thailands und fand im 20. Jahrhundert weltweit Ver- nieren und deren Übertragung im Fernsehen. breitung. (Quelle: Wikipedia) Octagon Cage Unified Rules of MMA ist ein robuster Kunststoffkäfig (1,80 m hoch und 9,10 ist das weltweit anerkanntes Regelwerk für MMA m im Durchmesser) in dem MMA-Kämpfe stattfinden. Kämpfe. Die Konstruktion dient der Gleichberechtigung der Kämpfer*innen und ihrem Schutz. Das Käfig-Szenario Vale Tudo steht im Zusammenhang mit dem martialischen Image (portug.: alles ist erlaubt) gilt als Vorläufer des MMA. des MMA. Vale Tudo ist ein sportlicher Vollkontaktkampf, bei dem im Vergleich zum modernen Mixed Martial Arts Pankration z.B. auch Kopfstöße und voller Ellenbogeneinsatz er- ist eine altgriechische Kampfkunst, auch Allkampf oder laubt sind und die Kämpfe allein von den Kämpfer*in- Gesamtkampf genannt. Erstmals nachweisbar bei den nen entschieden werden. Es werden keine Handschuhe 33. Olympischen Spielen (648 v. Chr.). (Quelle: Wikipe- getragen und es gibt auch keine Punktewertung oder dia) Runden. Ebenfalls gibt es kein Regelwerk wie z.B. die Unified-Regeln des MMA-Sports. (Quelle: Wikipedia)

Autoreninformationen

Robert Claus, geboren 1983 in Rostock, hat Europäi- sche Ethnologie und Gender Studies in Berlin, Buenos Aires und Istanbul studiert. Er arbeitet seit 2013 bei der KoFaS, forscht und publiziert zu den Themen Extre- me Rechte und Sport, Fankultur und Hooliganismus, Männlichkeiten und Antidiskriminierung. 2017 veröf- fentlichte er das Buch „Hooligans. Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik“ im Verlag die Werkstatt.

Olaf Zajonc, geboren 1967 in Hannover, hat Sozial- pädagogik, Sportwissenschaft und Soziologie in Han- nover studiert. Er ist Begründer des ’IcanDo-Instituts für Sport & Soziale Arbeit’ Hannover (2002) und Mit- begründer der KoFaS (2012). Seine Arbeits- und For- schungsschwerpunkte sind u.a. Gewaltprävention im und um Sport, Kampfsport und Kampfkunst sowie kör- per-, sport- und bewegungsbezogener Soziale Arbeit.

>>> Link zum 42 Inhaltsverzeichnis