Hooligans Sind Zurück
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Robert Claus Die Hooligans sind zurück. Seien es die „Hooligans gegen Salafsten“, wieder erstarkte Gruppen in den Fankurven oder die russischen Schläger, die während der EM 2016 für massive Ausschreitungen sorgten. Robert Claus beleuchtet die zentralen Entwicklungen, Verbindungen in die Rockerszene und die Erfndung der Ackermatches. Dabei nimmt er auch den Kampfsport, geschäftliche Beziehungen, politische Hooligans Einstellungen und internationale Netzwerke der Hooligans in den Blick. Hooligans Eine Welt zwischen Fußball, Zu Wort kommen: ehemalige und aktive Hooligans, Neonazi-Aussteiger, Kampfsportler, Kenner des osteuropäischen Hooliganismus sowie der Gewalt und Politik Rockerszene, Berater von Opfern rechter Gewalt, Polizisten und Politiker, Fanarbeiter, Wissenschaftler, Fußballfans und weitere Experten. Robert Claus liefert eine diferenzierte Analyse und spannende Reportagen der gewalttätigen und teils rechtsextremen Szene, über die viel zu wenig bekannt ist. Robert Claus ISBN 978-3-7307-0354-0 VERLAG DIE WERKSTATT VERLAG DIE WERKSTATT VERLAG DIE WERKSTATT C-Hooligans.indd 1 29.08.17 10:18 Inhalt Vorwort von Gerd Dembowski ......................................... 6 Vorwort von Julia Düvelsdorf ......................................... 9 Hooligans – eine ausdiferenzierte Szene .............................. 12 Einleitung 40 Jahre Hooliganismus ........................................... 30 Kurze Geschichte der Fußballgewalt in Deutschland „Es gab viele gewaltbereite Fußballfans, aber keine organisierte Szene“ ....... 56 Interview mit Frank Willmann über Hooligans und Fußballgewalt in der DDR Hooligans altern ................................................ 63 Eine Bewegung zwischen Geschäften, Einigkeit und Spaltung Training, Gruppenkampf und Straßengewalt ........................... 80 Hooligans erfinden „den Acker“ „Die Verstrickungen der polnischen Hooligans zur Mafa sind groß“ .......... 105 Interview mit Thomas Dudek über Hooligans in Polen, Russland und der Ukraine Gewaltbereit und gut organisiert ................................... 116 Hooligans und rechte Ultras Hooligans professionalisieren ihre Gewalt ............................ 131 Über Kampfsport und Mixed Martial Arts „Mixed Martial Arts ist Sport und Event: Jede Veranstaltung braucht ihre Dramaturgie!“ ............................................. 149 Interview mit Frank Burczynski über die Entwicklung von MMA in Deutschland Wessen Kurve? (mit Pavel Brunßen) .................................... 156 Hooligans und Ultras in den Fanszenen Arbeitsfeld und Taktgeber: die Fans ................................. 163 Arbeit gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung im Fußball „Gewalt ist ein gesellschaftlich-institutionelles System“ .................. 169 Interview mit Narciss Göbbel Fazit ........................................................ 174 Danksagung .................................................. 187 Quellenverzeichnis ............................................. 188 Vorwort Von Gerd Dembowski Manager für Vielfalt und Antidiskriminierung der FIFA Der Ursprung des Fußballs europäischer Prägung ist die Gewalt. Er ent- sprang ihr nicht plötzlich, sondern schrittweise. Mittelalterlicher Massen- fußball entstand als Reaktion auf zunehmende Selbstbeherrschung, auf sich entwickelnde Rollen und Charakterpanzer im sogenannten Zivili- sationsprozess seit dem zehnten Jahrhundert. Der postmoderne Fußball wiederum, wie wir ihn heute kennen, ist domestizierte und institutionali- sierte Gewalt, kontrollierte Emotion, ritualisierte Aggression – die „Über- führung der Gewalt in eine Kunstform“, wie es Horst Bredekamp für den Florentiner Fußball bis 1739 trefend formuliert. Christoph Bausenwein beschreibt die Genese des Fußballspiels, den darauf begründeten Fußball- sport mit seinem Appendix, den Zuschauerkulturen seit den historischen Vorformen des Fußballs, dem mittelalterlichen „Folk Football“ der briti- schen Inseln sowie dem auf öfentlichen Plätzen volksfestartig zelebrierten Florentiner Calcio, als ritualisiertes „Mittel der Konfiktbewältigung sess- haf gewordener Gemeinschafen“. Im Vergleich zum mittelalterlichen Massenfußball ist die Gewalt im heutigen Fußball und in seinen Fankulturen jedoch ein Pappenstiel. Denn er war regellos, ohne Teilnehmerbegrenzung. Mit der Nacht als Halbzeit, versuchten die männlichen Bewohner des einen Stadtteils den unkaputt- baren Ball zum mitunter kilometerweit entfernten Tor des anderen Stadt- teils zu bugsieren. Verbote und die parallele Entwicklung von verregelten Spielen zunächst in den besseren Gesellschafen bis hin zum heutigen Fußballsport haben die Teilnehmerzahl schrittweise verringert, die Mög- lichkeiten zum Ausdruck von Gewalt dezimiert. Der Zivilisationsprozess übertrug sich auf die Ballspiele, die eigentlich zu seiner Verarbeitung auf- gekommen waren. Rannten, traten und schlugen die Massen früher selbst mit, wurden sie im Zuge der Entwicklung des Fußballs an den Spielfeld- rand verdrängt. Doppelt entkoppelt, bildeten Menschen Zuschauerkul- turen, die die versportete Gewalt auf dem Spielfeld und das Prinzip von „Wir“ gegen „die Anderen“ auf den Rängen symbolisch nachvollziehen, bis hin zu den nur noch seltenen Massengewaltphänomenen einerseits und den konstant kleinen gewaltförmigen Hooligangruppen und Teilen der Vorwort 7 Ultragruppen andererseits. Aus dem Spiel gedrängt, fand die Gewalt ihren Weg auf die Zuschauerränge oder die Zuschauertrefpunkte oder auf die Anreise zu den Spielen. Im Laufe der Spezialisierung von Sicherheitsmaßnahmen wurde und wird Gewalt auch dort verstärkt eingedämmt. Zumindest so lange, bis Zuschauerkulturen kreativ darauf reagieren und immer wieder neu spezialisierte Nischen für gewaltförmiges Handeln entstehen. In diesen Nischen formiert sich Gewalt z. B. mittels durchdachterer Organisations- formen von kleinen oder Teilen von Zuschauergruppen, gewaltförmiger Rufe und Banneraufschrifen, Social-Media-Einträgen und Videoclips, des Vertriebs von hooliganafner Kleidung, Fitnesstraining und zum Teil Mixed Martial Arts als Grundlage von kommerziell organisierten Hooli- gankämpfen. Auch die schrittweise zugenommene Brutalisierung des Calcio Sto- rico kann als eine spezialisierte Nische, ja sogar als ofzialisierte Form der Gewaltausübung bezeichnet werden. Vier männliche Stadtteilteams mit je 27 Spielern zelebrieren diese Körperverletzung mit Ball alljährlich im Juni auf den Stadtplätzen von Florenz. Und das ungleich brutaler, als es ihre Wurzeln im 15. Jahrhundert zulassen. In einer regellosen Mischung aus Gladiatorenkampf, Massenfußball und auch Hooliganismus fnden diverse historische Gewaltrepräsentationen im Calcio Storico perpetu- iert wieder zueinander. Würde man die Interviews seiner Protagonisten in der 2010 erschienenen Dokumentation „Florence Fight Club“ aus dem Zusammenhang reißen, könnten sie auch ins Hooliganmilieu passen. Genauso wie die Spieler des Calcio Storico konstituieren gewalttätige Fans, Ultras und insbesondere Hooligans das, was sie gern auch mal als „alte Werte“ bezeichnen. Diese kennzeichnen sich durch hegemonial männliche Ausformungen von trennscharfen Identitäten, ihrer Performanz, ihrer unmissverständ- lichen Manifestation, ihrer konstant wiederkehrenden Repräsentanz. Bestandteile davon sind die Selbstbestimmung in einem imaginierten Freiraum und stets fexible Aushandlungsprozesse zwischen Individuen und Kollektiven. Aufallend ist das Bedürfnis nach Gruppenidentitäten mit einem deutlichen „Wir“ hier und „die Anderen“ dort, nach sozial- mächtigen wie personenfxierten Hackordnungen, nach Pejorisierung und Diskriminierung als Abgrenzungstechniken. Es geht um ein Patch- work aus Autoritarismus, „Destruktivität und Zynismus“ und „Projek- tivität“ (Teodor W. Adorno), territorialem – häufg weißem – Über- legenheitsdenken und Sozialdarwinismus, soldatischem Kämpferideal, Sozialchauvinismus, Antiintellektualismus, Überdrehung kapitalistisch geprägter Ellenbogenmentalität und einer entsprechenden, auf Selbst- 8 Vorwort beweisung angelegten Körperfokussierung. Die sich so konstituierenden „alten Werte“ beinhalten und zelebrieren symbolisch wie physisch immer die Akzeptanz von Gewalt. Doch genug mit diesem Begrifsgeschwader. Robert Claus macht das anders. Er arbeitet eher erzählerisch, passa- genweise tief aus dem Feld heraus. So zeigt sein Buch detailliert, wie solch hegemonial männlich überdüngtes Lebensgetue immer wieder und in neuen Formen die Straße hinuntergerollt kommt, den Weg freimachend für regressive Lebensweisen und Politiken mit archaischen, vormodernen, antidemokratischen Zügen mitsamt ihren Widersprüchen, Lernfähig- keiten und Winkelnischen. Um dies herauszuarbeiten, geht Claus nah ran und rein. Aus den so gesammelten Einblicken und Aussagen entstehen Abbildungen. Erst darauf basierend können Claus und auch die Lesenden dieses Buchs kühl analysieren und distanziert verstehen. Wenn mehr gewollt ist, als die Welt verschieden zu interpretieren, dann ist ein stän- diges Neuverstehen doch so sehr die Grundlage für eine stets emanzipa- torische Positionierung und Veränderung. Dieses Buch ist ein Angebot zu einem solchen Verständnis, nicht aber zur Akzeptanz von Gewalt. Zürich, 10. Juli 2017 Gerd Dembowski Über Kampfsport und Mixed Martial Arts Hooligans professionalisieren ihre Gewalt Die Zuschauer drängeln sich im August 2016 durch den schmalen Gang im Leipziger „Kohlrabizirkus“ – einem ehemaligen Markt. Die Halle ist voll, nicht ausverkauf, aber gut gefüllt. Scheinwerfer projizieren das Logo der Imperium Fighting Championship (IFC) an die Decke der dunklen Kuppel.