Hilde Bruch – Der Andere Weg in Der Psychotherapie Der Essstörungen „And the Person Within“
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
SP URENS UCHE Werner Lausecker Hilde Bruch – Der andere Weg in der Psychotherapie der Essstörungen „and the person within“. Eine biografische und psychotherapeutische Spurensuche und ein aktueller Ausblick1 uss man heute bereits nach den Spuren Therapie der Essstörungen andeuten und, drittens, der 1904 in Deutschland geborenen und fokussiert auf die Lebensgeschichte, die Ausbildungs- 1984 in den USA verstorbenen Hilde wege und die Emigration von Hilde Bruch eingehen. Bruch suchen? Ich kannte den Namen – Der Text schließt mit einem aktuellen Ausblick. Hilde Bruch. Aus Gründen, die ich nicht In der Zeit ihrer größten Resonanz und Anerkennung Mnachvollziehen kann, war er für mich einerseits mit in den 1970er und 80er Jahren galt Hilde Bruch als eine, Sympathie und Wertschätzung besetzt, aber irgendwie vielleicht die weltweit führende, Expertin zur Behand- auch mit „antiquiert“ und „überholt“. Wenn ich mich lung und Psychotherapie der Essstörungen. Theodore für meine therapeutische Arbeit gezielt über Essstö- Lidz hielt in seinem Vorwort zu „Conversations with rungen informieren wollte, griff ich zu aktueller Lite- Anorexics“ (dt.: „Das verhungerte Selbst. Gespräche ratur. Durch mein spezifisches Interesse an der mit Magersüchtigen“) 1987 fest: „Als diese in früheren Geschichte der Psychoanalyse und der Systemischen Zeiten seltene Störung [die Anorexia nervosa W.L.] bei Familientherapie in ihrem Zusammenhang – nicht in jungen Frauen häufiger wurde, ja fast epidemische ihrer Abgrenzung – bin ich auf Hilde Bruch aufmerk- Ausmaße erreichte, war Hilde Bruch aufgrund ihrer sam geworden. Ich bin bei meinen Recherchen einer Vertrautheit mit dem Zustand in der Lage, Arbeits- ungemein interessanten und für mich wegweisenden bündnisse mit Patientinnen herzustellen, die nicht be- Psychotherapeutin begegnet. Und ich habe eine unge- reit waren, bei anderen eine Behandlung aufzunehmen mein berührende Lebensgeschichte kennengelernt. oder sinnvoll in einer Therapie mitzuarbeiten. Sie galt Ich werde im Folgenden erstens Hilde Bruch als Psy- bald als höchste Autorität auf diesem Gebiet; sie erhielt chiaterin und Psychotherapeutin vorstellen, zweitens, aus allen Teilen der Welt Überweisungen, wurde mit die nahen psychoanalytischen Ausgangspunkte und zahllosen ratsuchenden Briefen „eingedeckt“ und war die sich entfernenden psychotherapeutischen Wege als Vortragsrednerin, Lehrerin und Autorin für wissen- von Hilde Bruch und Mara Selvini-Palazzoli in der scha!liche und populäre Beiträge sehr gefragt.2 Hier sind bereits einige der Merkmale angesprochen, 1 Der Text ist die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Vortrags, der die in ihrem Zusammenhang eine Vorstellung der Be- unter dem Titel „Hilde Bruch. Eine biografische und psychotherapeutische deutung von Hilde Bruch im damals zeitgenössischen Spurensuche“ auf der von „intakt - Therapiezentrum für Menschen mit Essstörungen“ veranstalteten Fachtagung zum Thema „Und was nun? Schwierige Phasen im Therapieprozess“ am 26. 1. 2018 im Kardinal König 2 Theodore Lidz, Vorwort, In: Hilde Bruch, Das verhungerte Selbst. Haus in 1130 Wien gehalten wurde. Gespräche mit Magersüchtigen, Frankfurt/M. 1998 (1990), 7–14, 11f. 14 SYSTEMIS CHE NOT IZEN 01/18 Feld der Behandlung und Psychotherapie der Essstö- grammatisch für die Art der Therapiebeziehung, die rungen geben. Vieles von dem im Folgenden Ausge- Hilde Bruch als heilsam erkannte: „Die therapeutische führten wird heute vielleicht als selbstverständlich Aufgabe besteht darin, der anorektischen Patientin bei angesehen. Hier geht es darum aufzuzeigen, dass diese ihrer Suche nach Autonomie und selbstbestimmter Einsichten bereits in den Arbeiten Hilde Bruchs zu Identität zu helfen“ und ihre Wahrnehmung für Ge- finden sind, womit ihre bedeutenden innovativen fühle und Impulse zu schärfen.5 Bruch kritisierte eine Fähigkeiten unterstrichen werden. Aber die Beschäfti- damals weitverbreitete therapeutische Haltung, Ano- gung mit Hilde Bruch kann auch dazu führen, heute rektikerinnen als unehrlich zu betrachten. Darin sah Neues zu entdecken oder wiederzuentdecken. sie einen entscheidenden Grund für viele gescheiterte therapeutische Bestrebungen.6 In Bruchs Sicht konnte HILDE BRUCH ALS PSYCHIATERIN die magersüchtige Patientin entscheidende Fortschrit- UND PSYCHOTHERAPEUTIN te machen, „wenn sich zwischen ihr und dem Thera- peuten eine warmherzige, menschliche Beziehung Hilde Bruch arbeitete als Pädiaterin, Psychiaterin, psy- entwickelt und wenn ihr verbaler Austausch die Of- choanalytisch orientierte und ausgebildete Psychothe- fenheit und Direktheit der gewöhnlichen Konversati- rapeutin und zunehmend anerkannte Spezialistin über on annimmt. Daher der […] Titel [‚Conversations‘ W.L.] Jahrzehnte mit Menschen, die überwiegend lange Er- ‚Gespräche mit Magersüchtigen.‘“7 fahrungen mit Essstörungen und vielen gescheiterten Therapieversuchen hinter sich hatten.3 Dabei ist die THEORIE UND KRANKHEITSKONZEPTION Formulierung „Menschen mit Essstörungen“ wichtig DER ANOREXIE UND POSITIONIERUNG und eben nicht die Reduktion auf Krankheitsbilder, IN UND ZU DEN ZEITGENÖSSISCHEN Symptome oder familiale Kommunikationsformen. PSYCHOANALYTISCHEN ANSÄTZEN Das kommt auch bereits in ihrem grundlegenden Buch „Essstörungen – Zur Psychologie und Therapie von In ihren früheren Arbeiten sah Hilde Bruch drei Merk- Übergewicht und Magersucht“ zum Ausdruck, das male als charakteristisch an: „die beinahe wahnhafte 1991 auf Deutsch erschien. Der Englische Originaltitel Fehlwahrnehmung des Körpers (gestörtes Körperbild), bringt ihr wichtigstes Anliegen präziser zum Aus- Konfusion hinsichtlich körperlicher Empfindungen druck: „Eating Disorders. Obesity, Anorexia nervosa und ein alles umfassendes Gefühl von Unzulänglich- and the Person Within.“ keit.“ Später fasste sie diese Merkmale unter dem Be- griff eines „defekten Selbstkonzepts“ zusammen, „der BEHANDLUNGSPRAXIS UND Angst vor innerer Leere oder Schlechtigkeit, vor etwas, THERAPIEBEZIEHUNG das unter allen Umständen verborgen bleiben muss.“8 Das Konzept eines „defekten Selbstkonzepts“ lässt aus Hilde Bruch entwickelte und praktizierte als Psycho- heutiger Sicht an Heinz Kohuts Selbstpsychologie und therapeutin eine besondere Fähigkeit im Aufbau und Donald Winnicotts „falsches Selbst“ denken. Doch das in der Gestaltung von Therapiebeziehungen, die von waren, soweit meine Kenntnis reicht, nicht die für Kolleg*innen und Klient*innen/Patient*in- Hilde Bruch wesentlichen Bezugspunkte. nen als alleinstehend beschrieben wurde. Vielmehr arbeitete sie als Zeitgenossin Ko- Eine gute Therapiebeziehung war bereits huts mit eigenem theoretischem und thera- damals die wichtigste Arbeitsgrundlage peutischem Anspruch, der aus anderen Hilde Bruchs. Eine diesen Umstand veran- Quellen schöpfte, zweifellos aber zu vielen schaulichende Erinnerung einer Patientin Parallelen mit Kohut führte. Die beiden für an Hilde Bruch als Therapeutin findet sich Hilde Bruch wichtigsten psychoanalyti- in dem bereits erwähnten Buch „Das ver- schen Lehrer waren Frieda Fromm-Reich- hungerte Selbst. Gespräche mit Magersüch- mann und Harry Stack-Sullivan. Ich werde tigen“, das 1988 posthum erschien. Hilde MAG. WERNER darauf im Zusammenhang mit Hilde Bruchs LAUSECKER ist Bruch starb 1984, unmittelbar nachdem sie Historiker und Emigration aus Deutschland und ihrem per- sich dieses Buch trotz schwerer Erkrankung Psychotherapeut in sönlichen und professionellen Ankommen noch abgerungen und eine Rohversion fer- Ausbildung unter in den USA noch näher eingehen. Mit Sulli- tigdiktiert hatte.4 Der Titel, im Englischen – Supervision (SF); Mit- van und Fromm-Reichmann ist auch Hilde „Conversations with Anorexics“ – ist pro- arbeiter der Persönlichen 5 Bruch, Das verhungerte Selbst, 1998, 23. Betreuung beim 6 Ebd. 25f. 3 Bruch, Das verhungerte Selbst, 1998, 28. Verein LOK - Leben 7 Ebd. 27. 4 Lidz, Vorwort, 1998, 8. ohne Krankenhaus in 8 Ebd. 20. Wien SYSTEMIS CHE NOT IZEN 01/18 15 WERNE R LAU SECKER Bruchs Verortung in der zeitgenössischen Psychoana- Fromm-Reichmann ha"e ihr schon 1948 abgeraten, in lyse der USA der 1940er und 50er Jahre umrissen: „Sul- einem Vortrag den Begriff „Selbst-System“ zu verwen- livan und Fromm-Reichmann hatten einen interperso- den. Fromm-Reichmann befürchtete, Bruch würde nellen Zugang in die Psychoanalyse eingebracht, aber Zweifel und Missfallen der vorherrschenden Autoritä- sie wurden damals als Abweichler gesehen und vom ten hervorrufen, wenn sie die Wichtigkeit des Selbst Mainstream nicht akzeptiert“, wie Robert S. Waller- herausstrich. Bruch erinnert sich in dem Zusammen- stein rückblickend feststellte. Alles, was als Entfer- hang an viele Gespräche der beiden Immigrantinnen, nung vom Fokus auf das Intrapsychische angesehen was wohl „die Amerikaner“ sagen würden. „Who cares?“ worden war, wurde automatisch ausgegrenzt und als meinte Bruch, „I care“ antwortete Fromm-Reichmann. Tendenz in Anlehnung an Melanie Klein gesehen. Das Im Blick auf die 1982 gegenwärtigen „erregten Diskus- änderte sich erst zu Beginn der 1980er Jahre mit dem sionen über die ‚neue‘ [alle Anführungszeichen hier Erscheinen des Buches von Greenberg und Mitchell.9 und im Folgenden im Original W.L.] Psychologie des Wallerstein bezieht sich hier auf Greenberg, Jay R., and Selbst“ habe sie „eine definitive Déjà-vu Erfahrung, Stephen A. Mitchell, Object Relations in Psychoana- weil die Worte und Konzepte so ähnlich sind. Der Be- lytic Theory. Cambridge, MA 1983. griff ‚Empathie‘ [der für Kohut grundlegend wurde Für Hilde Bruch waren nicht theoretische Positionie- W.L.] wird als die Basis einer ‚neuen Technik‘