Erstveröffentlichung in: Journal 25. denkenden Bevölkerung Rechnung Jahrbuch des Kreises Mettmann getragen wird.“ (2005/2006), S. 115-119: Dieser Zeitungsartikel war in der Ratinger Stadtgeschichte schon lange bekannt, doch konnte die Ärztin, von Erika Münster-Schröer welcher hier die Rede ist, viele Jahre lang nicht identifiziert werden. Auch Der Weg einer jüdischen Zeitzeugenbefragungen trugen nicht Kinderärztin in die USA: Dr. Hilde zur Klärung bei. Der Zufall wollte, dass Bruch - Therapeutin von im Jahr 2001 eine Anfrage an das Magersucht und Bulimie Ratinger Stadtarchiv gerichtet wurde. In dieser wurde, unter Berufung auf Am 5. April 1932 erschien in der eine in den USA erschienene Zeitung „Ratinger Biographie, um Auskunft über die Beobachter“, von der NSDAP amerikanische Psychiaterin Hilde herausgegeben, der folgende Artikel: Bruch nachgesucht, die 1932/33 als „Etwas für das Wohlfahrtsamt. Es gibt Kinderärztin in der Stadt praktiziert in Ratingen eine Kinderärztin, welche haben sollte. „Unlocking the golden eine Jüdin ist. Diese Kinderärztin ist cage“, so der Titel eines 1996 in nun bisher noch bei keiner Kasse Kalifornien erschienenen Buches über zugelassen, sondern sie erhält nur ihre sie, half uns tatsächlich weiter. Ihr Patienten vom Wohlfahrtsamt Lebenslauf ist insofern als zugewiesen, von der Privatkundschaft exemplarisch anzusehen, als er den abgesehen, die aber dank des Werdegang einer jungen Frau nationalsozialistischen beschreibt, die sich die in Deutschland Aufklärungsfeldzuges mit jedem Tag damals noch neuen Möglichkeiten geringer wird. Wir verlangen nun vom eines akademischen Studiums zunutze Ratinger Wohlfahrtsamt, dass es machte. Mit dem Aufkommen des gemäß eines Erlasses sofort der Nationalsozialismus fand dieser jüdischen Ärztin jede Zuwendung Lebenslauf ein jähes Ende: Hilde entzieht. Wir hoffen, dass diese kurze Bruch wanderte bereits 1933 Notiz genügt, um das Wohlfahrtsamt gezwungenermaßen zunächst nach darauf zu bringen, dass es sich an England, 1934 von dort in die USA allgemeine höhere Anweisungen hält. aus. Ihr Schicksal als Emigrantin Grundsätzlich hätten wir folgendes zu erwies sich, trotz des Entkommens aus einer jüdischen Ärztin in Ratingen zu Nazi-Deutschland, als ein steiniger sagen. Für die paar Juden, die wir in Weg, der neben dem Erfolg auch Ratingen haben, ist eine besondere Erfahrungen des Scheitern in sich jüdische Ärztin wohl nicht nötig, und barg. dass eine jüdische Ärztin deutsche Sebastian Haffner schrieb in der Kinder behandeln soll, das ist auf „Geschichte eines Deutschen“, wer keinen Fall nötig, schon deshalb, weil etwas über den epochalen Einschnitt wir hier in Ratingen sehr tüchtige des Jahres 1933 wisse wolle, der Kinderärzte haben. Wenn dem müsse Biographien lesen, und zwar Prozentanteil der Ratinger Juden nach nicht die von Staatsmännern, sondern gerechnet würde, so müsste der von unbekannten Privatleuten. hiesigen Jüdin sofort ihre weitere Wer also war Hilde Bruch, die am 15. Betätigung hier in Ratingen untersagt Oktober 1932 als Kinderärztin eine werden. Wir hoffen, dass auch hier in Praxis am Ratinger Marktplatz nächster Zeit der Ratinger deutsch eröffnete? Geboren wurden sie 1904 als Tochter eines Viehhändlers in Dülken. Dieser Beruf wurde in unserer von jüdischen Inhabern erfolgten, blieb ländlich geprägten Region häufig von auch sie nicht verschont. Zwei Juden ausgeübt. 1923 legte sie an der uniformierte Vertreter der NSDAP „Staatlichen Studienanstalt“ in zogen vor ihrer Praxistür am Ratinger Mönchengladbach ihr Abitur ab und Marktplatz auf, die ihre Patienten am begann das Studium der Medizin, ein Betreten des Wartezimmers hinderten. Weg in einen derjenigen In den folgenden Tagen bedrängten akademischen Berufe, die häufig von immer wieder lokale „Nazigrößen“ die Juden gewählt wurden: Arzt oder junge Kinderärztin, so dass diese bald Rechtsanwalt. Diese Entscheidung aufgab. Sie zog sich zu ihrer Mutter wurde häufig getroffen, weil solche nach Dülken zurück, die ihr riet, es dort freiberuflichen Tätigkeiten nicht mit noch einmal mit einer Praxis zu dem Staatsdienst verknüpft waren. versuchen. Hilde Bruch erkannte Denn standen viele der jedoch sofort, dass, obwohl ihre Beamtentätigkeiten aufgrund der Familie lange dort ansässig war, es formalen rechtlichen Gleichstellung auch hier keinen Platz mehr für sie zwar auch Juden offen, so gab es geben würde. Sie dachte an doch vielfach Behinderungen durch Emigration und nutzte im Juli 1933 einen verbreiteten Antisemitismus. einen Kinderheilkundekongress in Hilde Bruch studierte in Würzburg, , um die Möglichkeiten zu München und Köln, promovierte 1929 sondieren. Mehrere Monate arbeitete in Freiburg und leistete ihr praktisches sie dort an einem jüdischen Jahr in Düsseldorf an der Frauenklinik Wöchnerinnenhospital, doch fühlte sie der Städtischen Krankenanstalten ab. sich dort als Ärztin fachlich Doch blieb sie nur sechs Monate, weil unterfordert. Bessere Chancen sah sie sie dort als Jüdin starken in den USA: Ein jüdischer Kollege, Anfeindungen ausgesetzt war. Sie ging Jack Schloss, der ebenfalls durch die nach Kiel und dann nach Leipzig an Nationalsozialisten mit seiner Praxis eine Kinderklinik, doch änderte sich an gescheitert war, hatte eine Stelle in der feindseligen Haltung ihr gegenüber einem medizinischen Labor in Boston nichts. Sie wurde von der überwiegend gefunden. So konnte sie die männlichen Ärzteschaft als lästige aufwendigen Visabeschaffungen und Konkurrentin um knappe Stellen das Stellen von amerikanischen begriffen. So sah sie ihre einzige Bürgen bis Ende September 1934 so Chance, ihren Beruf auch ausüben zu weit vorbereiten, dass sie – aus können, darin, eine eigene Praxis Kostengründen per Frachtschiff – in aufzumachen. Ihr Bruder stellte ihr ein die „neue Welt“ aufbrechen konnte. Darlehen von 5000 Mark zur Zuvor hatte sie sich von ihrer Familie in Verfügung, und sie konnte innerhalb Dülken verabschiedet. von drei Monaten über 30 Patienten in Sie konnte in Boston beruflich Ratingen gewinnen, so dass die neue zunächst schnell Fuß fassen, denn Praxis auf einem guten Weg zu sein ihre fachliche Vorbildung wurde von schien. Doch die Machtergreifung der den amerikanischen Behörden Nationalsozialisten am 30. Januar anerkannt, und wegen ihres 1933 setzte dieser Entwicklung bald Aufenthaltes in England entfiel sogar ein Ende. Wie argwöhnisch die neue die ansonsten übliche englische Kinderärztin schon vorher beäugt Sprachprüfung. Hier zeigte sich, dass worden war, zeigt der eingangs zitierte es eine kluge Entscheidung gewesen Zeitungsartikel. Am 1. April 1933, ein war, so früh fortzugehen, denn ab Tag, an welchem vielerorts 1936 wurde für Emigranten in den USA Boykottmaßnahmen gegen Geschäfte eine sehr anspruchsvolle medizinische Fachprüfung erforderlich, wenn sie USA auswandern, was sich zu diesem eine Approbation erlangen wollten. Zeitpunkt wegen der vielen Flüchtlinge Hilde Bruch hatte einen guten Start. und einer restriktiven Sie widmete sich als neue Aufgabe der Einwanderungspolitik als sehr schwer psychiatrischen Forschung, die in den erwies. Ernst und dessen Frau Else USA gegenüber Europa noch sehr im gelang dies nur auf einem Rückstand lag. Ein Schwerpunkt war abenteuerlichen Umweg über die dabei die Schizophrenie. Allerdings internationale Zone von Shanghai. Die war die Arbeitsbelastung bald so hoch, Mutter Hilde Bruchs erreichte 1941 die dass sie selbst unter Schlaflosigkeit zu USA. Ihre Schwester Auguste war leiden begann. Sie dehnte die Arbeit 1939 mit ihrem Mann und ihrer Tochter auf die Abende und Wochenenden aus in die Niederlande, nach Winterswijk, und zog schließlich ganz auf das geflohen und glaubte sich in Klinikgelände. 1935 unternahm sie Sicherheit. Die Familie wurde 1942 in einen Suizidversuch, der wohl das Lager Westerbork gebracht und verdeutlicht, wie ausweglos sie sich in nach Sobibor deportiert, wo sie am 28. der neuen Heimat fühlte. Nach sechs Mai 1943 umgebracht wurden. Ihr Monaten konnte sie die Arbeit wieder Bruder Rudolf, der als Viehhändler aufnehmen und befasste sich intensiv noch 1939 mit seiner Frau Selma in mit den Problemen von „dicken“ Kempen war, schaffte, nach dem Kindern und der Bekämpfung der Ausbruch des Krieges am 1. Esssucht. Sie absolvierte ab 1941 in September, die Ausreise nicht mehr. bei Adolf Meyer, dem Anfang Dezember 1941 wurde er, damals bekanntesten amerikanischen zusammen mit Frau und Tochter Ilse Psychiater, und bei Frieda Fromm- vom Krefelder Hauptbahnhof aus über Reichmann, der Ehefrau Erich Düsseldorf-Derendorf in unbeheizten Fromms, ebenfalls aus Deutschland Eisenbahnwaggons in das Ghetto von geflohen, eine vertiefende Riga deportiert, dessen 43 000 psychiatrische Ausbildung. Das Thema lettische Juden am Tag zuvor „Essstörungen“ begleitete sie in ihren umgebracht worden waren. Die Spuren wissenschaftlichen Arbeiten ihr der übereilten Räumung, Blut, weiteres Leben lang. Eines ihrer eingefrorene Essensreste, wichtigsten Arbeiten ist das auch ins zurückgelassene Brillen waren dort Deutsche übersetzte Buch „The unübersehbar. Ernst starb im Ghetto golden cage: The enigma of Anorexia einige Monate später an Thypus. Nervosa“ (1978). Ihre Produktivität Selma und Ilse wurden 1943 nach wurde überschattet durch die Auschwitz gebracht und dort ermordet. Parkinsonsche Krankheit, die 1973 bei Ihr Sohn Herbert hatte schon vorher ihr zum Ausbruch kam. Von 1984, dem flüchten können. Hilde holte ihn 1946 Jahr ihres Todes an, verleiht die in die USA und adoptierte ihn. Mehrere Universität jährlich den „Hilde ihrer Bücher widmete sie den getöteten Bruch Award for Excellence in Mitgliedern ihrer Familie. Sie erinnerte “ an einen graduierten sich gern an ihre Kindheit in Dülmen - Mediziner. wenn sie auch nach außen alles Was wurde aus der Familie Hilde Deutsche abzulehnen schien. Bruchs, während sie in den USA In Ratingen hatte es nach der arbeitete? Schließung ihrer Praxis im April 1933 Eine ihrer Schwestern, Erna, wanderte lange Jahre keine Kinderärztin noch 1933 nach Palästina aus, ihre gegeben. Brüder Artur und Ernst wollten 1938, nach dem Novemberpogrom, in die

Literatur: Joanne Hatch Bruch, Unlocking the golden cage. An Intimate Biographie of Hilde Bruch, M.D., Carlsbad (California) 1996; Hermann Tapken, Von der Ratinger Kinderärztin zur prominenten amerikanische Wissenschaftlerin – Hilde Bruch, ein jüdisches Schicksal, in: Ratinger Forum 8. Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Ratingen 2003, S. 170- 215.