Lothar Kreyssig Den Aufruf „Für Die Hungernden“ Und in Dem Diese Initiative Entstanden Ist
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
INKOTA-Geburtstagsbrief 50 Jahre Aktionsgemeinschaft für die Hungernden Liebe Leserinnen und Leser! Mit diesem Geburtstagsbrief erinnern wir an die Grün- dung einer der ersten entwicklungspolitischen Organisa- Vor 50 Jahren, im Sommer 1957, initiierte Präses Dr. tionen in Deutschland und den ökumenischen Kontext, Lothar Kreyssig den Aufruf „Für die Hungernden“ und in dem diese Initiative entstanden ist. Immer wieder begründete damit die „Aktionsgemeinschaft für die begegnen wir dabei Dr. Lothar Kreyssig, dessen Sehnsucht Hungernden“ (AfH). Aus dieser gemeinsamen Wurzel der nach Gerechtigkeit und konkretes Handeln weiterhin Ökumene für die Weltverantwortung entstanden später Inspiration und Vorbild sein können. in Ost und West Organisationen mit unterschiedlichem Wir bedanken uns bei den AutorInnen und Fotografen Profil. für ihre Mitarbeit. Freuen würden wir uns, wenn dieses Im Ostteil des Landes lud die AfH 1971 zu einer Tagung 50-jährige Jubiläum eine Debatte über Ziele und Moti- in Halle/Saale ein, aus der sich später das INKOTA-netz- vation unseres Engagements entfachen würde. Beiträge werk entwickelte, das sich bis heute seiner Wurzel AfH für den INKOTA-Brief sind willkommen. eng verbunden fühlt. Im Westteil wurde 1973 die AfH in die aktiv arbeitende Aktionsgemeinschaft Solidarische Eine anregende Lektüre wünschen Annette Berger, Welt (ASW) umbenannt. Hans-Joachim Döring und Michael Krämer. Gesinnung erweist sich durch die Tat 50 Jahre „Aktionsgemeinschaft für die Hungernden“ – ein folgenreicher Aufbruch aus ökumenischer Ungeduld / Joachim Garstecki Die Gründung der „Aktionsgemeinschaft für Kreyssigs, seine ab 1953/54 formulierte Idee nationaler Selbstbestimmung, politisch wie die Hungernden“ (AfH) im Sommer 1957 der „Ökumenischen Diakonie“, einer selbst- wirtschaftlich, konfrontiert worden. Die Re- 7HE6;BG;4EE8LFF<:HA7E<6; ´??8E 4A- losen ökumenischen Initiative zugunsten der alität des Hungers in der Welt und der Skan- gloff ist eingebettet in eine ökumenische Hungernden in der Welt, „vom Kopf auf die 74?78EHA:?8<6;8AHA7HA:8E86;G8A)8EG8<- )BE:8F6;<6;G8HA7B;A8F<8A<6;GMHI8EFG8- Füße“ zu stellen. In einer großen gemein- lung der Güter bestärken ihn in der Überzeu- ;8A &<8J4E74FIBE?HÂ:?8GMG8?<87<A8<A8E samen Aktion der im Ökumenischen Rat der gung, dass die christlichen Kirchen, wenn sie langen Kette von vergeblichen Bemühungen Kirchen (ÖRK) zusammengeschlossenen dem christlichen Liebesgebot folgen wollen, evangelischen Kirchen und der katholischen ihr Denken und Handeln konsequent an die- Kirche sollte eine organisatorische Struktur sen weltpolitischen und ökonomischen He- weltweiter Hilfe für die Hungernden aufge- rausforderungen ausrichten müssen. Es müs- baut werden mit dem Ziel, „anhaltenden se, mit „Bereitwilligkeit zur Selbstentäuße- 58EÃHHA78?8@8AG4E8A 4A:8?<AE86;G8E rung“, ein gemeinsames Handeln der ganzen Weise zueinander zu bringen“ (Kreyssig Christenheit sein, das die Kirchen aus ihrer 1953). Selbstgenügsamkeit herausführt. In der Konsequenz dieser Überlegungen nutzte Kreyssig seinen Aufenthalt in den USA, Ökumenische Erfahrungen um die Idee der „Ökumenischen Diakonie“ in Schon 1953 und besonders unter dem Ein- 8FCE6;8A@<G8<AÃHFFE8<6;8A8FCE6;F- druck der 2. Weltkonferenz des ÖRK 1954 in partnern aus Kirche und Gesellschaft zu er- Evanston/USA, die zum Thema „Christus – die örtern. Wie konkret er die praktische Umset- B99AHA:78E*8?G^8?8:<8EG84HFÛÓÙ <G- zung seines Plans verfolgte, geht unter an- gliedskirchen aus 48 Ländern zusammen- derem daraus hervor, dass er mit dem State führte, hatte das Projekt „Ökumenische Dia- Department in Washington, mit dem Natio- konie“ in Kreyssigs Denken Gestalt angenom- nalen Kirchenrat der USA in New York und men. Als Delegierter in Evanston und durch @<G8<AÃHFFE8<6;8A)8EGE8G8EA78E(& 4@8- F8<A8 <G4E58<G<A78E&8>G<BA) 7<8´58E74F rikanischen Farmer in Philadelphia „verhan- )8E;?GA<F78E;E<FG8AMHE#B?<G<>HA7MH78A delt“ und „überall grundsätzliche Zustim- großen Weltproblemen handelte, war er ganz mung gefunden“ hat. In verschiedenen Aus- unmittelbar mit der sozialen Lage der Ent- arbeitungen hat Kreyssig ab Ende 1954 seine wicklungsländer und mit deren Streben nach Lothar Kreyssig – Visionär der Nord-Süd-Arbeit )BEFG8??HA:8A74E´58EA<878E:8?8:G J<874F I )BE;458A9HA>G<BA<8E8AFB??G8 8F6;499HA: dunklen Brüder“ nahm Kreyssig einen wei- Weltkrieg, die sich systematisch den Heraus- der benötigten Erzeugnisse unter Weltmarkt- teren Anlauf. Er präsentierte gemeinsam mit forderungen der Not in der Dritten Welt preis, verbilligte Transportkosten, garantierte E<6; ´??8E 4A:?B9978AH9EH9T´E7<8 FG8??G8A <89JHE78MH8<A8@"EG<AG8A- :8E86;G8)8EG8<?HA:IBE"EGHAG8EH9F<6;G Hungernden“ – das Gründungsdokument der siver Auseinandersetzung von ökumenischen einer gemeinsamen ökumenischen Instanz 9 4E<A;8<G8F T*<E5<GG8A4??8 7<8@<G Gruppen und Initiativen mit Fragen der Ge- aller beteiligten Kirchen. uns den Ruf hören, für die Hungernden ein rechtigkeit zwischen Nord und Süd. Dass es so weit nicht kam, lag weniger an E8:8?@<:8F"C98EMH5E<A:8A <A@4?<A den Schwierigkeiten der praktischen Umset- 78E*B6;8I8EM<6;G8AJ<E4H98<A8 4;?M8<G Entwicklungspolitische Perspektiven zung, als vielmehr am Fehlen grundsätzlicher oder halten sie in besonders bescheidener Bereitschaft zu einer so weitgehenden ge- *8<F8 -H7<8F8E-8<G:878A>8AJ<E78E <G- E8LFF<:;4G4HFF8<A8E&<6;G8<A<:8 4FG- meinsamen Aktion, an mangelndem „poli- menschen, die in Leid und Entbehrung leben. be, ja Standards für entwicklungspolitische tischen Willen“ der angesprochenen Kirchen ´EF<8F4@@8?AJ<E J4FJ<E7HE6;)8EM<6;G Arbeit im ökumenischen Horizont formuliert. 4?FB 49´E:458FI<8?8E>?EHA:8A 7<8 auf eine Hauptmahlzeit ersparen.“ Zu den Zum einen schlug er vor, direkte Paten- Unentschlossenheit der angefragten Kir- Erstunterzeichnern des Aufrufs gehörten ne- schaften zwischen Gebern und Empfängern chenführer, die den Kairos des Handelns, von ben Freunden Kreyssigs aus der Bekennenden der kirchlichen Hilfe aufzubauen. Sie sollten Kreyssig als „gewissensnotwendig“ erkannt, Kirche unter anderem Heinrich Albertz, Willy die Anonymität eines seelenlosen Spenden- nicht sehen konnten oder GE4AF98EF4HFF6;?<88AHA7 8A- wollten; den „typisch protestan- F6;8AHA@<GG8?54E<A7<8)8E4AG- tischen Widerstand“, der ihm wortung füreinander nehmen. ÛØßÔ58<*<??8@)<FF8E]GBB9G Das war Ausdruck einer geist- dem Generalsekretär des ÖRK in ?<6;8A)8E5<A7HA:MJ<F6;8A78A Genf, entgegenschlug; Zweifel an Partnern und gab „dem Nächs- der Realitätstüchtigkeit seiner ten“ in Not ein menschliches ehrgeizigen Pläne, eigene Uner- Gesicht. fahrenheit im Umgang mit den Weiter bestand Kreyssig da- Kirchenbürokratien, die für die rauf, alle Hilfe so zu organisieren, Sache gewonnen werden sollten, dass sie, in heutigen Begriffen und nicht zuletzt das politische formuliert, als „Hilfe zur Selbst- Klima des Kalten Krieges, das für hilfe“ angenommen werden eine wirklich weltumspannende, kann. Sie sollte den Hungernden block-übergreifende ökume- helfen, „eine eigene Existenz- nische Aktion nach Kreyssigs grundlage zu gewinnen“. Kreys- )BEFG8??HA:8A>4H@E9B?:F4HF- sig benutzte 1957 in diesem Zu- sichten zu bieten schien. Die sammenhang erstmals den Be- maßgeblichen kirchlichen Gre- griff „nachhaltig“ (engl. „sustai- mien winkten ab. Resigniert nable“), als er von der „Weltauf- F6;E<85 8E A78 ÛØßÔ T*4;E- gabe Nummer eins“ sprach, „den scheinlich bin ich auch von An- Hungernden nachhaltige, ihnen 58:<AA9´E-<8?8FB8AGÃ4@@54E selbstverfügbare Nahrungsquel- len zu erschließen“. Wenn man weil ich für die Schwierigkeiten Seit den 30er Jahren wirtschaftete Lothar Kreyssig auf seinem Hof in Hohen- 78E)8EJ<E>?<6;HA:>8<A8A?<6> ferchesar ökologisch und nachhaltig sich vor Augen führt, dass die habe.“ Kategorie „Nachhaltigkeit“ in der E4A7G "GGB&H;E EAFG8@@8EHA78<AM ökumenischen Diskussion erst in den 80er Galinski. Inspiriert wurde Kreyssig zu dieser Jahren in den Zusammenhang der Entwick- Weitermachen „in getroster A<G<4G<I87HE6;7<88A:?<F6;8T <FF 4 @84? lungszusammenarbeit rückt, darf man Kreys- Verzweiflung“ Aktion“, die bereits seit Anfang der 50er Jah- sig mit Fug und Recht als einen frühen Pro- Trotz dieser Ernüchterung hat Lothar Kreyssig E8@<G8?7 74F4HF78@)8EM<6;G4H98<A8 tagonisten der Forderung nach „nachhaltiger versucht, das Projekt Ökumenische Diakone 4;?M8<GCEB*B6;8>4@ >BA>E8G8<?9FCEB- Entwicklung“ bezeichnen, lange bevor dieser @<G>?8<A8E8E ´AM8J8<G8EMHGE8<58A <8 jekte in Entwicklungsländern unterstützte. Begriff in der einschlägigen Debatte gängig traditionelle Kirchentagskollekte für die Drit- Für den ungeduldigen Pragmatiker Kreyssig JHE78 &6;?<8?<6;ÂA78GF<6;<AE8LFF<:F G8*8?GJHE784H9F8<A8A)BEF6;?4:;<A8EFG- gehörte es zum ökumenischen Lernen, '8KGIB@8E5FGÛØßÔ78E>´;A8)BEF6;?4: mals 1956 auf dem Frankfurter Kirchentag 5E4H6;54E8#E4K<F58<FC<8?89´E8<:8A8)BE;4- 74FFT)8EGE8G8E78E=´7<F6;8A8@8<A78^<A erbeten und brachte auf einen Schlag 84.000 ben zu adoptieren. Im Handumdrehen waren das erhoffte Gremium der Ökumenischen 8<A ÛØß×58F6;?BFF7<8 &LAB78 7<8 ÛÒß ÚÚÚ 58<F4@@8A ÛØßØFG4EG8G874AA Diakonie „hinzuzubitten seien“. Das muss Kollekte zum Erntedankfest künftig in allen die erste Aktion „Brot für die Welt“. beim Stand der jüdisch-christlichen Bezie- Kirchen in Deutschland für die Dritte-Welt- Der Aufruf „Für die Hungernden“ ist ein ;HA:8A <GG878EßÚ8E4;E89´E4??8&8<G8A Arbeit und Entwicklungsprojekte zu verwen- Beleg für die bewundernswerte Fähigkeit schlechthin illusionär gewirkt haben, aber den – Kreyssig hatte die Weichen für diesen Kreyssigs, sich durch Erfahrungen des Schei- für Kreyssig lag es in der Konsequenz