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Mitt . Mus. Nat.kd. Berl., Geowiss. Reihe 2 (1999) 155-158 19 .10.1999

Ein Lacertilier (, ) aus dem Oberen Jura von Tendaguru (Tansania)

Annette Broschinskil

Mit 2 Abbildungen

Zusammenfassung

Seit einigen Jahren werden die Funde großer Wirbeltiere aus der oberjurassischen Fossilfundstelle Tendaguru in Tansania durch diverse Mikrovertebraten ergänzt. Diese konnten durch gezieltes Schlämmen von Sedimentmaterial gewonnen werden (Heinrich, mündl. Mitt .), das während der Tendaguru-Expeditionen von 1908 bis 1913 gewonnen wurde. Durch ein isoliertes Kieferfragment kann der Erstnachweis eines paramacellodiden Lacertiliers im Afrika südlich des Äquators (bei 10° südlicher Breite) geführt werden . Dieser Fund rundet das Bild der sehr weiten Verbreitung dieser erfolgrei- chen mesozoischen Echsengruppe ab.

Schlüsselwörter: Mesozoische Lacertilia, Paramacellodidae, Paläogeographie, Oberjura, Afrika.

Abstract

Recently, there have been additional microvertebrate finds within the known macrovertebrate fauna of the Upper locality Tendaguru in Tanzania. This resulted from the processing of sediment samples, which had been collected during the Tendaguru Expeditions in between 1908 and 1913 (Heinrich, pers. Comm.). An isolated jaw fragment from a paramacellodid is the first record of this family within the African continent below the equator (10° degrees Southern latitude) . The occurence of this successful Mesozoic lizard group in Tendaguru reflects a greater global distribution than known to date.

Key words: Mesozoic Lacertilians, Paramacellodidae, Palaeogeography, Upper Jurassic, Africa .

Einleitung saurierfundstellen heraus, auch wenn der vorlie- gende Einzelfund noch keine Aussagen über Innerhalb der basalen Scincomorpha im Bereich Häufigkeiten ermöglicht. Oberjura/Unterkreide aus verschiedensten Fund- stellen dominieren die osteodermal gepanzerten Paramacellodiden, eine offensichtlich sehr erfolg- Systematischer Teil reiche Familie. Diese ist mittlerweile für die Nordkontinente durch Funde recht gut belegt. Merrem, 1826 Für die Südkontinente des ehemaligen Gondwa- Scincomorpha Camp, 1923 na-Komplexes kann dieser Nachweis nun eben- Paramacellodidae Estes, 1983 falls durch das unten beschriebene Fundstück er- bracht werden. Dies ist insbesondere für das typicus: Hoffstetter, 1967 Verständnis der Ausbreitungsmechanismen von Eingeschlossene Gattungen: Paramacellodus Hoff- Bedeutung; die heute lebenden engsten Ver- stetter 1967, Estes 1983, Sharovisaurus wandten der Paramacellodiden, die Cordylifor- Hecht & Hecht 1984, Mimobecklesisaurus Li 1985. mes, sind auf die Südhalbkugel beschränkt Der Status von Pseudosaurillus, Saurillus und (Afrika und Madagaskar). Zudem stellen sich Saurillodon als zu den Paramacellodidae gehörig die Paramacellodiden zunehmend als charakteri- ist unsicher (Evans 1998), da ihre Überlieferung stische Vergesellschaftung oberjurassischer Dino- nur fragmentarisch ist.

1 Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Naturkunde-Abteilung, Willy-Brandt-Allee 5, 30169 Hannover, Germany. Eingegangen April 1999, angenommen Juni 1999 156 Broschinski, A., Ein Lacertilier von Tendaguru

Diagnose der Paramacellodidae: pe der Scincidae und der Cordyliformes (sensu Lang 1991) angesehen werden. Vom Körperbau Die Paramacellodidae sind eine seit dem Mittle- her müssen sie den heutigen afrikanischen und ren Jura bis mindestens in die höhere Unterkrei- madegassischen Schildechsen sehr ähnlich ge- de auf der Nordhalbkugel weit verbreitete Grup- wesen sein (Gerrhosaurus, Zonosaurus, u. a.) . pe von kleinen bis mittelgroßen Echsen mit einem generalisierten Bauplan und relativ kur- zen, robusten Gliedmaßen. Beschreibung des Fundstücks "Jg 824 / Die Paramacellodidae werden hauptsächlich Mittlere Sauriermergel von Tansania" anhand von Schädelmerkmalen definiert (un- paares Prämaxillare, Parietale rechteckig mit Das vorliegende, bisher einzige Fragment eines schwacher vermiculater Skulpturierung, Vorhan- Lacertilier-Kiefers ist eine etwa 1 mm große densein eines Palpebralknochens in der oberen Spitze eines linksseitigen Dentale. Das Stück ist Orbita, hoher Dorsalfortsatz des Maxillare mit offensichtlich leicht abgerollt; 3 Zähne sind je- gleichzeitigem Ausgreifen des Medialfortsatzes in doch erhalten. Richtung des gegenüberliegenden Maxillare, re- In der Labialansicht (Fig. la) ist die relativ duziertes oberes Temporalfenster mit großem gut erhaltene Facies buccalis (sensu Rauscher Postorbitofrontale, und einige mehr: Estes 1983) . 1992) zu erkennen. Ein großes, deutlich einge- Im Regelfall weisen sie eine Panzerung des ge- tieftes Mentalforamen liegt dicht am Ventralrand samten Körpers durch rechteckige Osteoderme des Dentale . Eine Pterygomandibularis-Facette auf, die in einem flexiblen System gegenseitiger ist nicht zu erkennen, könnte jedoch auch direkt Überlappung (Imbrikation) eine hohe Beweg- hinter der Bruchkante einsetzen. Eine leichte lichkeit garantieren. Die Paramacellodidae besit- Unebenheit des Ventralrandes direkt hinter dem zen kräftige Kiefer mit einer mit dem Individual- Foramen spricht für diese Interpretation . alter wachsenden Mandibulartorsion (Hoffstetter 1967).

Erweiterte Diagnose: A Je nach Gattung ist eine Pterygomandibularis-Fa- cette am Unterrand des Dentale ausgeprägt. Alle Gattungen weisen recht große Mentalformi- na auf. Die Zähne sind ebenfalls kräftig und auf einer verbreiterten Basis verankert. Sie sind leicht bauchig und tragen auf ihrer Spitze zwei aufeinander zu laufende Schneidekanten, die eine gemeinsame Spitze bilden (Cuspis labialis sensu Richter 1994). Die vordere Schneidekante ist stets deutlich länger. Auf der Innenseite ist direkt unterhalb dieser Spitze noch eine nach lin- gual weisende, zweite kleine Spitze ausgebildet (Cuspis lingualis sensu Richter 1994) . Von den beiden Schneidekanten ziehen schwache Grate B an den beiden Flanken der Zähne hinab, die leicht nach lingual weisen. Die Zähne sind auf der Labialseite glatt, auf der Lingualseite durch ein charakteristisches Mu- ster vorderer und hinterer Striationen gerieft. Diese Striae laufen ebenfalls zur Innenspitze hin aufeinander zu. Der Zahnersatz entspricht dem der Scincomorpha in Form kleiner, in der Mitte der Zahnbasis befindlicher Resorptionsgruben . Es sind etwa 20 bis maximal 26 Zähne auf dem Dentale ausgebildet.

Nach neueren Untersuchungen (Evans 1998) Fig . 1. Spitze eines linken Dentale (Jg . 824) ; 1A: Labialan- können die Paramacellodidae als Schwestergrup- sicht, 1B: Lingualansicht. Maßstabsbalken : 1 mm Mitt. Mus. Nat.kd. Berl., Geowiss. Reihe 2 (1999) 157

Die drei erhaltenen Zähne zeigen in der La- Alle erhaltenen Merkmale sprechen eindeutig bialansicht die charakteristische glatte Außen- dafür, das Fundstück als Paramacellodidae indet. seite sowie den kräftigen Schaft mit den beiden anzusprechen. Die auffällig breiten Schneidekan- apicalen Schneidekanten, die die Zahnkrone bil- ten, die beim vorliegenden Stück bereits weit den (Cuspis labialis). Die vordere Schneidekante vorn im Kiefer ausgeprägt sind, sprechen für ist jeweils länger als die hintere. eine vorläufige Zuordnung des Tandaguru-Frag- Auf der Lingualseite (Fig. 1b) ist von der ments zur Gattung Becklesius. Die Gattung Para- Symphysenregion nicht mehr viel erhalten, der macellodus weist eher lanzenförmige, spitze größte Teil des Knochens (subdentaler Schelf, Zähne auf. ventrale Lamelle des Dentale, a. m.) ist stark zerstört. Die drei erhaltenen Zähne jedoch zei- gen neben dem bereits von der Labialansicht be- Diskussion kannten Grundmuster der Schneidekanten auf ihren Innenseiten andeutungsweise Bildungen Die Bedeutung des vorliegenden Fundstückes lingualer Spitzchen auf der Krone. Striae sind liegt in zwei Informationen, in seiner stratigra- nicht zu erkennen, was jedoch auf den generell phischen Position sowie seiner paläogeographi- schlechten, abgerollt wirkenden Erhaltungszu- schen Situation. Es handelt sich um den ersten stand des Fragments zurückzuführen ist. Am vor- Nachweis eines Paramacellodiden auf der Süd- dersten Zahn ist jedoch eine Fortsetzung des halbkugel, südlich des Äquators (bei ca. 10° Flankengrates zu erkennen, der von der vorde- heutiger südlicher Breite; Fig. 2) . Zudem re- ren Schneidekante des Zahnes nach ventral präsentiert das Stück den bisher ältesten nach- zieht. Ebenfalls am vordersten Zahn ist eine mit- weisbaren Vertreter dieser Familie auf dem afri- telgroße Resorptionsgrube zu erkennen. kanischen Kontinent.

Fig. 2. Verbreitungskarte der Paramacellodidae in Jura und Unterkreide (Kontinentalkonfiguration entspricht dem Oberen Jura), Fundstellen markiert: 1 - (Kimmeridgium), 2 - Skye/Schottland (Bathonium), 3 - Purbeck, Kirt- lington (Berriasium, Bathonium), 4 - Guimarota (Kimmeridgium), 5 - Una und Galve (Barremium), 6 - Karatau/ Kasach- stan (Kimmeridgium), 7 - Gansu, China ("Oberjura"), 8 - Anoual/Marokko (?Berriasium), 9 - Tendaguru/Tansania (Ox- fordium, Kimmeridgium). Nach Evans (1993, 1998), verändert 158 Broschinski, A., Ein Lacertilier von Tendaguru

Neben Seiffert (1973), Estes (1983) und Richter Literatur (1994) hat sich insbesondere Evans (1993, 1996, 1998) intensiv mit den mesozoischen Squamata, Broschinski, A. & Sigogneau-Russell, D. 1996. Remarkable u. a. den Paramacellodidae, befaßt. In ihren lizard remains from the Lower of Anoual (Morocco) . - Annales de Paläontologie (Vert.-Invert.), jüngsten Beschreibung paramacellodider Echsen 82 (3) : 147-175 . aus der nordamerikanischen Morrison-Formation Estes, R. 1983 . Sauria terrestria, . - Handbuch (Evans 1998, Evans & Chure der Paläoherpetologie, Part 10A, XXII+249 pp., 69 Abb.; 1998) gibt sie ei- Gustav Fischer Verlag, Stuttgart . nen kurzen Abriß der Verbreitung der Parama- Evans, S. E. 1993 . Jurassic Lizard Assemblages . - Revue de cellodidae, die lange Zeit als auf die Nordhalb- Paleobiologie, Vol. spec . 7: 55-65 . kugel beschränkt angenommen wurde - 1996. (Squamata : ) and other . In einer from the Morrison Formation at Fruita, Colorado. unterkretazischen Fauna Marokkos konnten je- Continental Jurassic Symposium Volume, Museum of doch paramacellodide Dentalia und Osteoderme Northern Arizona, Bulletin 60: 243-248 . nachgewiesen werden - 1998. Paramacellodid lizard skulls from the Jurassic Mor- (Gattung Paramacellodus : rison Formation at Dinosaur National Monument, Utah . Richter, 1994; Broschinski & Sigogneau-Russell - Journal of Vertebrate Paleontology 18 (1) : 99-114 . 1996; ?Berriasium). Der nun erfolgte Nachweis Evans, S. E. & Chure, D. 1998. Morrison lizards : Structure, der Verbreitung von relationships and biogeography. - Modern Geology 23: Paramacellodidae bis weit 35-48. in einen Südkontinent hinein vervollständigt das Hoffstetter, R. 1967. Coup d'oeil sur les sauriens (= lacerti- Bild der Paramacellodidae als erfolgreiche und liens) des Couches de Purbeck (Jurassique superieur zudem d'Angleterre) . - Colloques Internationaux du Centre Na- global weit verbreitete Gruppe, die zeit- tional de la Recherche Scientifique 163: 349-371 . lich deutlich früher einsetzt, als bisher vermutet Lang, M. 1991. Generic relationships within Cordyliformes wurde. Zudem bietet er bessere Erklärungsmög- (Reptilia: Squamata) . - Bulletin van het Koninklijk Bel- lichkeiten gisch Instituut voor Natuurwetenschapen, Biologie 61: für das Schwestergruppenverhältnis zu 121-188 . den rezenten Cordyliformes, die in ihrer Verbrei- Rauscher, K. L. 1992. Die Echsen (Lacertilia, Reptilia) aus tung ausschließlich auf Afrika und Madagaskar dem Plio-Pleistozän von Bad Deutsch-Altenburg, Nieder- österreich. - Beiträge zur Paläontologie von Österreich beschränkt sind. Zu welchem Zeitpunkt die 17: 81-177 . Trennung beider Linien stattgefunden hat, ist Richter, A. 1994. Lacertilia aus der Unteren Kreide von Una nicht bekannt. Aufgrund der lückenhaften Fund- und Galve (Spanien) und Anoual (Marokko) . - Berliner situation in Afrika geowissenschaftliche Abhandlungen (E) 14: 1-147. kann derzeit noch nicht über Seiffert, J. 1973. Upper Jurassic lizards from Central Portu- das tatsächliche Ausbreitungszentrum der Para- gal . - Servicos Geol6gicos de Portugal, Mem6ria 22: macellodidae geurteilt werden; Wanderbewegun- 1-85 . gen sind sowohl von der Nordhalbkugel nach Afrika als auch umgekehrt vorstellbar. Es steht zu hoffen, daß weitere Untersuchungen im be- reits vorhandenen Sauriermergel-Material, viel- leicht ergänzt durch neues Material, weitere Fun- de ermöglichen werden.

Danksagung

Meinen herzlichsten Dank möchte ich Herrn Dr. W.-D. Hein- rich, Berlin, aussprechen, der mich auf das Fundstück auf- merksam machte, es zur Bearbeitung zur Verfügung stellte und zudem neu hinzukommendes Material zur kritischen Durchsicht zugänglich machte. Herrn Prof. Dr. H. P Schultze, Berlin, gilt mein Dank für die allzeit mögliche Sammlungs- arbeit . Großer Dank gebührt Frau Dr. S. Evans, London, die mich aufs großzügigste mit Ihren aktuellen Separata ausstattete . Herrn Prof. Dr. B. Krebs, Berlin, möchte ich ebenfalls für zusätzliche Literatur und die kritische Durchsicht des Manu- skriptes danken, ebenso wie einem unbekannten Revisor.