Titel Der ungeliebte Engel Der Jahrhundertstar – von der lasziven Kindfrau zur weltweit angehimmelten, in ihrer Heimat oft geschmähten Göttin der Filmgeschichte. Von Hellmuth Karasek FOTOS: PRESS / SIPA re.) CINETEXT (li.); LIASON (ob. d. HEYDT Mi.); R. v. (ob. Diva Dietrich: Ein erster Blick ins junge 21. Jahrhundert

240 der spiegel 25/2000 hr Mythos überstrahlt jede Mode, und Auch junge Theaterautoren machen selbst eine missglückte Kino-Huldigung sich auf die Suche nach der Demar- wie gerade erst der „Marlene“-Film von kationslinie zwischen dem wirkli- Joseph Vilsmaier setzt neuen Begeiste- chen Leben und der übergroßen Irungsrummel um Leben und Werk der Diva in Legende. Thea Dorn („Marleni“) Gang: Marlene Dietrich, der einzige Weltstar, Dietrich-Website, Filmplakat („Der blaue und Moritz Rinke („Der graue En- den Deutschland je hervorgebracht hat, ist Engel“), Katja Flint als Vilsmaiers „Marlene“ gel“) brachten Annäherungen an die acht Jahre nach ihrem Tod und ein Jahr vor ebenso zeitlose wie moderne Sex- ihrem 100. Geburtstag so gegenwärtig wie je – und sei es als göttin auf die Bühne. In hortet derweil die Stiftung millionenfach reproduziertes Motiv auf der Briefmarke. Ihre Deutsche Kinemathek den immensen Nachlass der Schau- androgyne Erotik, ihre grandiose Ausstrahlung in Filmklassi- spielerin. Koffer und Kis-ten mit Briefen von ihren illustren kern wie „Marokko“ oder „Zeugin der Anklage“, ihr lockeres Freunden und Liebhabern, den berüchtigten hautengen Büh- Liebesleben zwischen Männern und Frauen und ihre beinhart nenkleidern, ein Wirrwarr aus Taschen, Schuhen und Puder- durchgezogene Karriere wirken wie ein früher, verwegener Ver- quasten. Diese berauschende Asservatenkammer zwischen weis auf das junge 21. Jahrhundert: Sie war Vamp und Emanze Weltgeschichte und Klimbim wird teilweise ab September zugleich, vereinte Hollywood-Glamour und preußische Disziplin. öffentlich zu sehen sein. Die Platten und Filme der Dietrich begeistern bis heute die Auch beim Rätselraten darüber, welchen Namen die am Fans – und die werden immer jünger. Im Internet tauschen vergangenen Freitag zum 50. Mal verliehenen Deutschen sie sich über die magischen Beine, die „Faszination“ oder die Filmpreise künftig tragen sollen, spielt der Mythos Marlene „unsterbliche Schönheit“ ihres Idols aus. Modemagazine Dietrich eine Hauptrolle. Drei Vorschläge für den Namen des feiern ihren verwirrend männlich-erotischen Modestil – An- deutschen Oscar-Pendants seien noch im Rennen, hieß es bei zug, Frack und Krawatte –, der aus dem Repertoire der der Filmpreise-Gala. Favorit ist „Lola“ – nach Marlene Diet- Designer seit den dreißiger Jahren nicht mehr zu tilgen ist. richs Durchbruch-Rolle im „Blauen Engel“ von 1930.

osef von Sternberg war 1968 auf der größte Lichtzauberer, den das klassische berg unterbrach mich brüsk und schnauz- Frankfurter Buchmesse, um seine Au- Kino hervorgebracht hatte –, bis ich mei- te mich in die Kamera hinein an: „Hö- Jtobiografie „Fun in a Chinese Laun- ne erste Frage stellte: „Herr von Stern- ren Sie mir mit diesem Scheißweib auf!“ dry“ vorzustellen, die den deutschen Titel berg“, fing ich vor laufender Kamera an, Ich schnappte nach Luft, das Interview „Das Blau des Engels“ tragen sollte. Stern- die Sendung wurde live übertragen, „Herr war beendet, meine Audienz bei Stern- berg, ein schlanker Mann mit schloh- von Sternberg, Sie haben mit Marlene berg auch. weißem Haar und einem weißen Spitzbart Dietrich …“ Weiter kam ich nicht. Stern- Noch kurz vor seinem Tode – Sternberg – er ähnelte ein wenig den Bildern, die starb im Dezember 1969 an Herzversagen man von Sigmund Freud kennt, nur war er – reagierte der Schöpfer auf das Opfer sei- viel zierlicher – war ein vollendeter Herr, ner Schöpfung, ja auf die bloße Erwäh- elegant, mit wunderbaren k. u. k. Manie- nung des Namens Marlene Dietrich, mit ren, während sich die Journalisten um ihn einem unbeherrschten Wutausbruch. drängten. Ich war mit einem Kamerateam Marlene Dietrich hat, im Gegenzug, bis des Hessischen Fernsehens ausgerückt, wir zu ihrem Tod 1992 im- drehten für dessen Kulturmagazin den mer als ihren Schöpfer, ihren Gott geprie- Buchmessen-Film, ein Interview-Termin sen, dem sie alles verdanke, ihre Ent- mit dem Regisseur des „Blauen Engels“ deckung, ihre einmalige Weltkarriere: Sie war abgesprochen. sei seine Galatea, er ihr Pygmalion, hat sie Sternberg begrüßte uns mit ausgesuch- in Anspielung auf den mythologischen Kö-

ter Höflichkeit, gehorchte freundlich den DPA nig Pygmalion von Kypros gesagt, der sich Bitten des Kameramanns und des Be- Marlene (r.) mit Eltern und Schwester (1906) in eine von ihm geschaffene Elfenbeinsta- leuchters – er war schließlich Profi, der „Die warn mir beese“ tue so brennend verliebte, dass er die Lie-

der spiegel 25/2000 241 besgöttin Aphrodite bat, seiner Figur Leben zu verleihen: ein Geschöpf, das über seinen Schöpfer triumphierte, ein Kunst- werk, das sich den Künstler, der es ge- schaffen hatte, unterwarf. In der Tat: kein schlechter, kein zu hoch gegriffener Vergleich für das Verhältnis Sternberg/Dietrich, die sich Marlene nann- te, zusammengesetzt und verkürzt aus Maria Magdalena. Ihr Kreator Sternberg weigerte sich später, ihr einen „internatio- nalen“ Vornamen zu geben. Ja, sagt von Sternberg in seiner Auto- biografie, ich habe Marlene Dietrich aus dem Nichts geschaffen, aus dem Boden ge- stampft. Angeekelt zitiert er ihr Lob: „Sie hat nie aufgehört zu verkünden, ich hätte ihr alles beigebracht.“ Und er fährt mit bit- terer Gekränktheit fort: „Zu den vielen Dingen, die ich ihr nicht beigebracht habe, gehört, mich ständig im Munde zu führen.“

MARLENE DIETRICH Von der Berliner Göre zum Kinostar

In Ballettpose (um 1920), bei Dreharbeiten zu „Marokko“ (1930)

politische Motive hatte. Dass ihr die Nazis ten.“ Schon in Rundfunksendungen für fremd, ja verhasst waren, hing mit ih- deutsche Soldaten hatte sie an der morali- rem Boheme-Freundeskreis in Berlin zu- schen Front gestanden, wenn sie deutschen sammen. Und mit der Tatsache, dass ihr Soldaten über die BBC zurief: „Jungs, op- Schöpfer und ihre Förderer bei der Ufa – fert euch nicht. Der Krieg ist doch Scheiße! Sternberg wie Erich Pommer – Juden Hitler ist ein Idiot.“ waren, dass sie Heinrich Mann und Erich So galt sie nach dem Krieg ihren nie- Maria Remarque liebte und schätzte. Kurz: dergeschlagenen und besiegten Landsleu- Die Nazis gingen der kessen Preußin con- ten, ähnlich wie Willy Brandt übrigens, der Hier grollt ein Gott, der von seiner Schöp- tre cœur. 1960 ihr Gastgeber bei dem heftig bekämpf- fung längst entgottet wurde. Als Goebbels und Hitler ihr Mitte der ten Berlin-Gastspiel war, als Deutsche, die Ihren „Svengali“ hat sie Sternberg ein dreißiger Jahre Avancen machten – ihre in der „Uniform des Feindes“ in Deutsch- Leben lang genannt und sie sich seine „Tril- „arisierte“ Ufa brauchte einen blonden land eingezogen war. Es dauerte lange, bis by“. Muster dieser Namensmaskerade ist Weltstar –, beantragte sie die US-Staats- die Deutschen ihren Frieden mit Brandt der 1894 erschienene Roman „Trilby“ von bürgerschaft und erhielt sie kurz vor schlossen und mit Dietrich fanden – bei George du Maurier (dem Großvater der Kriegsbeginn. 1944, als die Alliierten sich Dietrich erst nach ihrem Tode –, und noch „Rebecca“-Autorin Daphne du Maurier). anschickten, Deutschland niederzuringen, die Diskussionen darüber, welche Berliner Darin macht ein dämonischer Magier na- zog sie die amerikanische Uniform an, um Straßen ihren Namen führen dürften, soll- mens Svengali aus einem Mädchen, das ihm als „one of the boys“, einer der Soldaten, in Liebe verfällt, mittels Hypnose eine be- als Sieger in Deutschland einzuziehen, ab- „Selbst wenn gnadete Sängerin – ihre Stimme erlischt, als solvierte unzählige Shows nahe der Front, durch Svengalis Tod die Liebe und die hyp- in einer von ihr selbst kreierten GI-Uni- sie nichts anderes notischen Kräfte ihre Wirkung verlieren. form, mit Eisenhower-Jacke, Ordensbän- als ihre Stimme Svengali, der Zauberer des Lebenswegs dern, Rangabzeichen, maßgeschneiderten und Geschicks der Dietrich, war Sternberg Hosen, Kampfstiefeln und GI-Helm. hätte, könnte sie auch, weil sie ihm, kurz vor der „Macht- Wie ihre Tochter schreibt: „Die Solda- damit dein Herz brechen“ ergreifung“ Hitlers, in die USA folgte – tentochter hatte ihr Zuhause gefunden … was gewiss nur Karrieregründe und kaum Sie spielte die Rolle des tapferen Solda- Ernest Hemingway, Schriftsteller

242 der spiegel 25/2000 Titel ten, zeigten 50 Jahre später, wie schwer pen zum sinnlichen Herzmund mit der Seit sie auf der Tonne als Tingeltangel- solche Wunden heilen. schwellenden Unterlippe, setzt die breite Lola im „Blauen Engel“, von Kopf bis Fuß Und das alles, weil Svengali-Sternberg Nase wirkungsvoll auf die Schmetterlings- auf Liebe eingestellt, mit übereinander ge- Trilby-Dietrich per Schiff nach Amerika schatten der Nasenlöcher. Er überredete schlagenen Beinen auf die natürlich un- gelockt hatte, um seine, um ihre gemein- sie, sich vier Backenzähne ziehen zu lassen, schuldigste Weise die Femme fatale, die same Karriere zu machen. was ihr Gesicht schmaler, schmachtender männermordende Mänade spielte (den Wer war „die Dietrich“ (damals sagte machte; 15 Kilo ließ er sie abhungern – mit Namen Lola hatte der hochgebildete man das noch so), bevor sie ihren Regisseur einer Suppendiät. Marlene wusste, was er Sternberg Frank Wedekinds Kindfrau traf, mit dem sie, erst in Berlin und dann in aus ihr gemacht hatte; in ihrem Haus in Be- „Lulu“ nachbuchstabiert), werden ihre Hollywood, ihre sieben wichtigsten Filme verly Hills hatte sie eine Leuchte so ange- Beine, wird der kesse Zylinder, ihr frecher drehte? Eine biedere, etwas pummelige bracht, dass sie Besuchern, wenn sie sich Blick zum Markenzeichen. Die langen Berliner „Hausfrau“, wie er bemerkt, die, beim Empfang darunter stellte, erschien Beine? Marlene war auch für damalige so fährt er sarkastisch fort, „auf Bildern wie in ihren Filmen; und als sie nicht mehr Verhältnisse nicht allzu groß. Der kesse, wie jemand aussah, der eine Frau sein will“. mit ihrem Herrn und Meister drehte, da schräge Zylinder? Zeitzeugen erwähnen In der Tat, wir kennen die Bilder jetzt, auch die laufenden Bilder, die es von ihr gibt, bevor sie auf von Sternberg traf. 1922 spielt sie in dem Film „So sind die Männer“ (mit Harry Liedtke) ein Dienstmädchen: Sie ist mollig, fast korpulent, hat unter dem Häubchen ein kugelrundes Gesicht, eine

Mit Regisseur von Sternberg bei der Ankunft in Pasadena (1930)

Als Katharina die Große („Die große Zarin“, 1934)

Als „Blonde Venus“ (1932)

war sie längst zu seiner Meisterschülerin immer wieder, dass ihr blondes Haar eher geworden: Sie erschien Morgen für Morgen stumpf und eher dünn war – darum der als eine der Ersten auf dem Set und richte- Zylinder. te mit den Beleuchtern eigenhändig und Was war ihr Geheimnis? Das Wunder ih- fachmännisch die Scheinwerfer ein: „Sie rer Wirkung? Natürlich kennen wir es alle war die begnadetste Beleuchterin, die ich von der Leinwand, von den sieben Liebes- kannte – nach Josef von Sternberg“, erin- erklärungen, die der von ihr besessene nert sich Billy Wilder, der die Kame- Sternberg mit ihr drehte, von „Marokko“ raführung seines Kollegen (Sternberg führ- (1930) über „Dishonored“ („Entehrt“, 1932), knollige Nase (sie selbst spricht später im- te zumeist Regie aus der Kamera-Position) „Shanghai Express“ (1932), „Blonde Venus“ mer wieder von ihrer „Nase wie ein En- nicht hoch genug rühmen kann. Sternberg, (1932), „The Scarlett Empress“ („Die große tenpopo“), Augen, die in den Wangen- der durch Netze, Schleier, Vorhänge filmte, Zarin“, 1934) bis zu „The Devil is a Wo- bäckchen ertrinken (man würde, unhöflich, sei der Meister des Lichts gewesen. man“ („Die spanische Tänzerin“, 1935). von Schweinsäuglein sprechen), Lippen, die Und Marlene sein Geschöpf. Er leuch- Aber auch nach der Trennung von sich im wulstigen Fleisch verlieren. tete nicht nur ihr Gesicht bis zur makello- Sternberg, als sein Rivale und Feind Ernst Noch im „Blauen Engel“, notabene, ist sen, verführerisch unnahbaren Schönheit Lubitsch bei der Paramount ihr Herr und sie zu guten Teilen das mollige junge Ent- aus, er steckte sie auch in Pelze und haut- Meister werden wollte (Lubitsch lud sie lein und zu besten Teilen in blitzenden enge Paillettenkleider, die er so ausstrahl- gleich nach dem Bruch mit Sternberg zu ei- Großaufnahmen die perfekte Ikone Mar- te, dass sie wie ausgezogen, wie in Marmor nem Tête-à-tête ein), hat sie so betörend lene Dietrich, die Sternberg aus ihr in den oder Elfenbein gehauen wirkte, er gab ihr ausgesehen und gespielt – wie in „Desire“ USA, in Hollywood schuf, angefangen mit auch den androgynen Touch, indem er die („Sehnsucht“, 1935), wo unter Lubitschs „Marokko“ (1930). Gertenschlanke in Frack und Zylinder und Oberaufsicht Frank Borzage Regie führte Ihre Legende verdankt sie (zunächst) ei- mit Fliege auftreten ließ: ein unvergesslich und sie sich zum zweiten Mal für Gary nem Wunderwerk aus Licht und Zelluloid. wohliger Schock ihre Szene in „Marokko“, Cooper aus einer unwiderstehlich gefähr- Sternberg versteht es, diese Frau zu schmin- wo sie als befrackte Diseuse einer ver- lichen Mondänen zum liebend dienenden ken, zu stilisieren, auszuleuchten: Er gibt schämten jungen Schönheit eine Blume Weibchen mausert. ihr die schrägen Augenbrauen, beleuchtet entreißt und die schüchtern Verlegene mit 1948, da war sie Mitte 40, hat Billy Wil-

ihre hohen Backenknochen, formt ihre Lip- einem hitzigen Kuss belohnt. der sie in einem weitgehend vergessenen (u.) CINETEXT; AP; BILDERDIENST DPA; FOTOS: PRESS / ULLSTEIN CAMERA li. n. re.); PRESS (v. SIPA

der spiegel 25/2000 243 Meisterwerk, dem Fraternisierungsfilm „A Foreign Affair“, das „Fräulein“ spielen lassen, die Geliebte eines Nazis, die jetzt ei- nem amerikanischen Besatzer den Kopf verdreht: Da steht sie ungekämmt und im schlampigen Morgenrock in ihrer Berliner Ruinenwohnung, putzt sich gerade die Zähne, als er mit einer Matratze kommt, die er auf dem schwarzen Markt gegen die Torte seiner amerikanischen Braut einge- tauscht hat – und dann lacht sie ihn an und aus und spuckt ihm ihr Mundspülwasser ins Gesicht – eine Szene von entwaffnender sexueller Provokation. Doch auch wenn sie von der Leinwand zurück ins so genannte Leben stieg (gab es das für sie nach dem „Blauen Engel“ über- haupt?), muss sie eine einzige sexuelle Pro- vokation gewesen sein: Zeitgenossen sind ihr zu Füßen gefallen, Zeitgenossinnen ha- ben sie begeifert. Sie hat Hemingway, den

Mit Maurice Chevalier und Gary Cooper bei einer Filmpremiere in (1933)

Mit Ehemann Rudolf Sieber (l.) und Tochter Maria (1934)

weh. Dann gab es Sauerkraut oder Braten lanten Männern, wenn sie Frauen aus der oder Gulasch. Unterschicht heiraten. Traurig!“ Eines Tages kam sie zu Billy Wilder und (War es Eifersucht? Zur Ehre von brachte in einer Thermosflasche etwas mit, Audrey Wilder sei gesagt, dass Billy zwar etwas, was in Hollywood als köstlich galt, mit unerbittlicher Leidenschaft Baseball, weil es das dort nicht gab: Pilzsuppe. „Ich Tennis und Football im Fernsehen verfolgt, habe Pilzsuppe mitgebracht“, sagte sie. „O dass aber hochgepflegt bei Tisch gegessen Großwildjäger und zahnlosen Löwen, zu fein“, sagte Frau Audrey Wilder, „dann wird, Audrey eine hervorragende Köchin ihrem glühenden Verehrer gemacht, Ma- werde ich mal zwei Tassen holen?“ „Wie- ist, die sowohl die französische wie die me- chos wie Gary Cooper, Maurice Chevalier so zwei“, fragte Marlene. „Ich habe nur xikanische Küche glänzend beherrscht.) oder zu ihren Geliebten, Erich für Billy Suppe mitgebracht.“ Marlene Dietrich jedenfalls – die Liebe Maria Remarque war ihr Liebhaber, und Sie konnte schon ein Biest sein, und Frau geht durch den Magen – war eine leiden- manchmal nahm sie sich auch einen mus- Wilder schüttelt sich noch heute in der Er- schaftliche Köchin. Und eine mit Ge- kulösen Jungschauspieler, dem sie für sei- innerung. „Marlene? She was the worst.“ schenken und Blumen leidenschaftlich ne Liebesdienste eine Stereoanlage schenk- Die Schlimmste, die absolut Schlimmste. te, die der „Hurensohn“ zu seiner Frau Marlene wohnte bei ihren späten Hol- „Nie zuvor bin brachte und der dann nie mehr (von Mar- lywood-Besuchen, wie ihre Tochter Maria lene) gesehen wurde. Riva notiert, „wenn sie nicht im Beverly ich einer so schönen Ihren Mann Rudolf Sieber hat sie ein Hills Hotel abstieg oder sich ein ver- Frau begegnet, Leben lang nach Strich und Faden betro- schwiegenes Häuschen mietete“, bei den gen, hat ihn ab- und beiseite gestellt, ihn Wilders, die ihr geduldig zuhörten und die so falsch einge- „Papi“ (so heißen Männer in entsexuali- Marlenes Geheimnisse hüteten. In ihrer schätzt und unterbewertet sierten Ehen, wie Frauen „Mutti“ heißen) Art von Dankbarkeit vermerkte Dietrich: genannt und liebevoll bekocht, ganz die „Die beiden sitzen den ganzen Tag nur wurde, der Frau, die die Welt „Berliner Hausfrau“ – wie sie überhaupt vor dem TV! Billy isst sogar davor. An klei- verzaubern sollte“ alle, die sie liebte oder zu lieben glaubte nen Tischen hocken sie da wie Mister und oder zu lieben vorgab, rührend bekochte – Misses Glotz aus der Bronx und essen Tief- Josef von Sternberg, Hollywood-Regisseur, als Europäerin mit kulinarischem Heim- kühlkost. Unglaublich! So ergeht es bril- Marlene-Entdecker

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zogen fühle. Ich möchte dich fragen, ob nis: Nun ja, die Männer, die würden das ich für dich kochen darf?“ einfach verlangen und erwarten. Und Marlene Dietrich, die reine Fürsorge. Sie wenn man nicht allein bleiben wolle, dann bekochte alle, und beim Drehen auf dem müsse man dem einfach nachgeben. Frei Set sorgte sie für die Wehwehchen und nach Brecht, frei nach der Dreigroscheno- Sorgen der Techniker und Assistenten. per: „Ja, da muss man sich doch einfach „Sie war eine Mutter Teresa, aber mit schö- hinlegen, ja, da kann man doch nicht kalt neren Beinen“, erinnert sich Billy Wilder. und herzlos sein!“ Eine Frau, die liebte, die Liebe in vollen Passt das mit dem Maulhurentum zu- Zügen genoss, die von Rücksichten und sammen, mit dem Marlene, wenn sie ei- Konventionen frei war? Zunächst erzählt ne Party verließ, während sie auf das Taxi Maria Riva, die Tochter, wie sie in ihrer wartete, die Gäste unterhielt: Und dann Liebe zur Mutter förmlich verhungerte. Das mag mit der Monstrosität zusammenhän- gen, die eine so überragende Muttergestalt wie Marlene subjektiv auf das Kind aus- strahlt – das sich immer beiseite geschoben vorkam, für ständige wechselnde Freunde und Freundinnen der Mutter abrupt aufs Abstellgleis gestellt, für strahlend helle ge- sellschaftliche Ereignisse in den Schatten

Filmplakat „Desire“ („Sehnsucht“, 1936)

In „Die spanische Tänzerin“ mit Cesar Romero (1935)

Werbende. 1933 beginnt sie eine heftige gedrängt: Maria Riva ist da am unge- Liebesaffäre mit Mercedes de Acosta, einer schütztesten ehrlich, wo sie schildert, wie aus Europa eingewanderten Dramatikerin, sie bei jeder Begegnung mit ihrer Mutter Drehbuchautorin und Feministin, die in wieder klein und hilflos kindlich wurde, die Hollywood Mittelpunkt eines lesbischen Tochter der Diva, „mummy’s dearest“. Zirkels war. Auch Maria Riva könnte wie Josef von Damals, Dietrich hatte ein Verhältnis mit Sternberg sagen: „Hören Sie mir mit die- Maurice Chevalier, war die Diva in der Öf- sem Scheißweib auf!“ In ihrem Buch sagt fentlichkeit kaum in Frauenkleidern zu se- sie es freilich höflicher und rücksichtsvoller. hen. Chevalier hasste das, weil er fürchte- Doch auch andere Zeugen als die Toch- te, die Reporter könnten aus Dietrichs ter Maria säen ihre Zweifel, wenn von der männlicher Garderobe (falsche?) Rück- Liebesfähigkeit, der leidenschaftlichen schlüsse auf Chevaliers wahre Vorlieben Hingabe Marlene Dietrichs die Rede ist. ziehen. Vor allem Marlene selbst ist ein skeptischer Der Dietrich-Biograf Donald Spoto er- Zeuge ihres eigenen Lebens. hatte ich etwas mit meinem Geigenleh- wähnt, dass die Leidenschaft zwischen dem In dem wunderbar-sonderbaren Film, rer und mit dem Kindermädchen und Star und Mercedes de Acosta auch dadurch den Maximilian Schell über die alt gewor- Claire Waldoff und dann mit einem Offi- motiviert war, dass die Dramatikerin ein dene Diva 1982/83 gedreht hat – ohne ih- zier und einem Schauspieler, da war ich notorisches Verhältnis mit Greta Garbo rer je ansichtig zu werden –, spricht sie noch nicht 16 … Langweile ich Sie etwa, hatte, der großen Rivalin der Marlene. Als auch über die Liebe, die Erotik, die Se- meine Damen und Herren? Audrey Wilder die Garbo 1933 nach Schweden auf Urlaub xualität. Sie tut es spröde, kalt, abweisend. schüttelt sich. „Marlene? She was the fuhr, versuchte Dietrich ihren Platz im Le- Das sei doch sehr überschätzt worden, da- worst!“ ben Acostas einzunehmen. Sie schickte ihr mals. Das sei, als sie jung war, noch nicht Über ihre Bindungslosigkeit schreibt Rosen und Veilchen, „manchmal zwei Mal so wichtig gewesen. Gott, bei ihrer Ehe- Spoto: „In diesem Zusammenhang wäre am Tag zehn Dutzend Rosen oder zwölf schließung habe das kaum eine Rolle es verlockend zu behaupten, dass sie bei Dutzend Nelken und zahlreiche Lalique- gespielt. den Männern in ihrem Leben immer auf Vasen“. Und Dietrich schrieb: „Du bist der Und dann, ganz zum Schluss, resignativ der Suche nach einer Vaterfigur war und

erste Mensch hier, zu dem ich mich hinge- und fast ein wenig kleinlaut, das Bekennt- dass die Frauen Ersatzmütter waren, denen (u.) STONE li. n. re.); PRESS (v. / SIPA LIAISON PRESS; INTERFOTO; AP; SIPA FOTOS:

der spiegel 25/2000 245 Titel sie zu gefallen suchte … Richtiger ist ver- Jetzt gibt es einen Film von Joseph hassten Rivalen, den hochfahrenden Stern- mutlich, dass sich Marlene Dietrich zu all Vilsmaier über Marlene. Oder vielmehr: berg, auszubooten. Zwar galt Marlene als jenen Menschen hingezogen fühlte, deren Es gab ihn. Denn er ist aus dem Publi- „Kassengift“, aber das lastete man nicht Stil sie bewunderte, deren Intelligenz sie kumsinteresse sehr schnell verschwunden; ihr an, sondern gab ihm die Schuld: Er- respektierte und an deren gesellschaftli- nicht einmal 500 000 Zuschauer haben klärte sie nicht wieder und wieder, dass sie chem Status sie teilhaben wollte. Sex konn- ihn gesehen. Das ist nicht schade, denn sein willenloses Geschöpf, sein ergebenes te in einer Beziehung eine nützliche Rolle leider weiß der Film – eine plakathafte Werkzeug sei, das Medium, durch das er spielen – als Mittel, um ein emotionales platte Chronik mit peinlichen Geschichts- sich ausdrücken und verwirklichen konn- Gleichgewicht herzustellen –, aber keine und Gefühlsklitterungen – nichts von Mar- te, wie er nur wollte? ihrer Affären hatte auch nur vorüberge- lenes Geheimnissen; er weiß und ahnt Er hat ihr schließlich, entnervt, den hend jene Ausschließlichkeit, die auf ei- nicht einmal, dass es Geheimnisse gibt, Laufpass gegeben: Es war der verzweifel- nen Wunsch nach tiefer, geschweige denn geben könnte. Er erzählt ein Leben in te Versuch, seine katastrophale Niederlage dauerhafter Liebe schließen lässt. Keiner Stationen, als wäre es eine Jahrmarkts- vor dieser Frau zu verschleiern; es war eine ihrer Liebhaber, ob Mann oder Frau, be- nummer. Flucht, und Sternberg ist buchstäblich in richtete jemals, sie habe sich einer wirklich eine selbst gewählte Einsamkeit emigriert, großen Leidenschaft hingegeben; sie hatte nachdem er mit ihr, als Filmregisseur ver- vielmehr sowohl sich selbst als auch die steht sich, Schluss gemacht hatte. Entwicklung, die eine Beziehung nehmen Ja, ihre sadomasochistische Beziehung sollte, ständig unter Kontrolle.“ war in erster Linie fast ausschließlich eine Wir wissen, dass sie ihren Vater, einen Filmliebe, die sich in der gemeinsamen Ar- preußischen Polizeioffizier, früh, allzu beit auslebte: er hat sie mit der Kamera

Mit Joy Ann Page in „Kismet“ (1944)

Mit Schriftsteller Hemingway in New York (1947), mit Schauspieler Jean Gabin beim Tanz in Paris (1942)

In „Der große Bluff“ (1939) früh verlor. Wir können ahnen und es begehrt, erobert, sich untertan gemacht, ihren Lebenszeugnissen entnehmen, dass sie hat ihn mit ihrer tyrannischen Demut die Bindung zu ihrer Mutter nicht die erledigt. nötige Kraft hatte: die frühe Ehe, das Sternberg, der als Regisseur ohnehin ein Verhältnis zur eigenen Tochter, die Tatsa- Menschenschinder war, ein Perfektionist, che, dass sie ihren Mann „Papi“ nannte, der mit nichts zufrieden war, ließ seine obwohl sie von ihm kaum Gebrauch mach- ohnmächtige Wut bei den Dreharbeiten an te (weder als Papi noch als Mann), spre- ihr aus: Stunde um Stunde ließ er sie die chen dafür. gleiche Szene immer aufs Neue wiederho- Und im Film Maximilian Schells taucht len; sie ertrug das, im schweren Kostüm ein befremdliches, ja verstörendes Detail und im heißen Scheinwerferlicht mit stoi- auf. Da sagt Marlene auf die Frage, ob sie scher Ruhe und der für sie sprichwörtli- Geschwister habe, nein, sie sei ein Einzel- Die Beziehung ihres Lebens hieß Josef chen preußischen Disziplin. kind. Ihre ältere Schwester wird vergessen, von Sternberg – und die Dietrich war sein Bei den Dreharbeiten zur „Spanischen verdrängt, beiseite geschoben. Ein merk- Schicksal: Er hat sie in den Weltruhm hoch- Tänzerin“, dem anrührendsten Film Stern- würdiger Ausfall! gezogen, mit einem Schlag berühmt ge- bergs – es ist das Porträt eines feinfühligen Sternberg, ihr Mentor und Entdecker, macht, zu Hollywood überredet; sie hat und klugen Mannes, der der betäubenden erinnert sich: „Als ich sie besser kennen ihn mit ihrer schwindelnden Traumkarrie- Verführungskraft einer Frau verfällt, wobei lernte, bekam ich Einblick in die Umstän- re – sie war mit und neben der Garbo der er sich „stets tragisch bewusst ist, was ihm de, unter denen sie aufgewachsen war, Ein- Star – mit emporgerissen und ihn, da war widerfährt, wenn er eine Frau liebt, die blick in ihre Familie und den Kreis, der sie er erst 41 Jahre, zurück ins Nichts gestürzt. ihm nichts wiedergibt für alles, was er um umgab. Sie muss eine unglaubliche Kraft Vor allem so teure, aufwendige Filme ihretwillen verliert“ (Spoto) –, bei diesen besessen haben, um zu überleben und aus (Meisterwerke optischer Opulenz) wie Dreharbeiten zu seinem tragischen Selbst- ihrer Umwelt herauszuwachsen. Sie litt un- „“ oder „The Devil is porträt kam es zu schier unerträglichen ter schweren Depressionen, die ein Ge- a Woman“ brachten die Paramount, die Spannungen. gengewicht in Phasen unglaublicher Vita- ohnehin in einer Finanzkrise steckte, an „Sternberg machte allen das Leben zur lität fanden. Es war nicht möglich, sie zur den Rand des Ruins – und Ernst Lubitsch Qual“ (so zitiert Spoto die Erinnerungen Erschöpfung zu bringen.“ die willkommene Gelegenheit, seinen ver- Cesar Romeros, des Partners der Dietrich),

246 der spiegel 25/2000 Als Truppenbetreuerin der U. S. Army bei der Ankunft heimkehrender US-Soldaten im New Yorker Hafen (1945)

„aber zur Dietrich war er besonders ge- Deutschland von 1929, ist oft genug run- Jannings den Film „The Last Command“ in mein. Er schrie sie vor allen anderen an, tergebetet worden. Auch dass Sternberg Hollywood gedreht hatte. Man einigte sich ließ sie schwierige Szenen endlos und nutz- nur der „Ersatz“- Regisseur für Ernst Lu- auf die Verfilmung von Heinrich Manns los wiederholen, bis sie nur noch weinte bitsch war, den der Ufa-Produzent Erich Steißtrommler-Roman „Professor Unrat“, und weinte. ,Noch einmal‘, schrie er Pommer zuerst für einen Film mit Emil einer Spießersatire. „Die beiden Männer ,schneller! … Langsamer!‘ … Er war ver- Jannings verpflichten wollte. Lubitschs Ga- hassten sich“, schreibt der Dietrich-Biograf rückt nach ihr gewesen, und nun, da ihre genforderung war höher als die des Stars. Steven Bach, „aber ihr gemeinsamer Film Beziehung zu Ende war, ließ er es an ihr Lubitsch forderte 60000 Dollar, Jannings – hatte Jannings den ersten Oscar einge- und allen anderen aus.“ damals als größter dramatischer Schau- bracht, der je verliehen wurde.“ „Die Dietrich ist ein extremer Fall“, spieler der Welt gehandelt – erhielt nur Sternberg, der damals stets mit einer schreibt der Filmhistoriker David Thomson. 50000 Dollar; und der Max-Reinhardt- und kleinen Reitgerte oder einem Gehstock „Und das nicht nur, weil sie zur gleichen Hollywood-Star duldete nicht, dass je- herumlief – der Dandy trug auf dem Set Zeit das Lächerliche und das Erotische der mand, und sei es auch der Regisseur, mehr beim Drehen gern einen Turban –, suchte Sexualität zum Vorschein brachte, sondern als er bekam: Also wurde Sternberg für und suchte eine Besetzung für die Partne- auch weil unklar bleibt, wie weit das ihre ei- 40000 Dollar engagiert, weil er bereits mit rin von Jannings und wurde nicht fündig. gene Vorstellung war. Obwohl sie als von Natürlich lehnte er auch Trude Hesterberg, sich selbst besessen erschien und trotz die- „Ist es Gottes Wille, damals die Geliebte Heinrich Manns, ab – ser Gefühle, die sie mit ihrer starken Gleich- prompt hörte sie auf, des Romanciers Ge- gültigkeit hervorrief, ist es wahrscheinlich, dass ich Dich liebte zu sein. dass sie, mehr als jeder andere große Star, wieder finde, Dich, Im September besuchte er im Berliner eine reine Erfindung des Kinos war. War Theater eine Revue mit dem Titel „Zwei ihre Wirkung ein Produkt ihres Geistes, die die wunderbarste Krawatten“, in der als Star Hans Albers Vision des Publikums oder des Lichts, das aller Frauen? … Du bist in brillierte und Rosa Valetti seine Partnerin Josef von Sternberg auf ihre Haut legte?“ war. Pommer hatte den Regisseur gebeten, Dass der „Blaue Engel“, der explosive meinen Adern, in meinem Blut, sich die beiden anzusehen, weil sie für Ne- Start ihrer gemeinsamen Liebeskarriere, ich höre Dich in mir“ benrollen in dem Film vorgesehen waren. ein Kind des schieren Zufalls war und noch Er sah jedoch nur Marlene Dietrich und

dazu eine schreiende Absurdität im Ufa- Jean Gabin, Schauspieler, Lover entschied, dass sie sein „Blauer Engel“ CINETEXT; BILDERDIENST; PRESS (u.) PRESS; CORBIS; HIPP / ULLSTEIN CAMERA li. n. re.); / SIPA LIAISON FOTOS: (v. DPA

der spiegel 25/2000 247 Titel werden sollte – gegen alle Widerstände der deutschem Mannestum wenig gemein. „Nicht zu Ufa und des Hauptdarstellers Jannings. Kurz: Der „Blaue Engel“ war eine Absur- Der Rest ist schnell (weil oft) erzählt. Mar- dität der Ufa: ein weißer Rabe, ein Torpe- übersehen war lene bekam die Rolle und spielte Jannings do der Zersetzung. dieses an die Wand – schon vorher, bevor Stern- Da Marlene ihrem Erwecker und berg seine Lola, die explosive Mischung Entdecker unmittelbar nach der Premiere unbeschreiblich aus rührender Kindfrau, Femme fatale, nach Hollywood gefolgt ist, hat sie von schöne weiße Dreieck. Straßenmädchen und Unschuldslamm, in diesem erfolgreichsten Missverständnis Marlene gefunden hatte, wollte er den Ti- nicht mehr viel mitbekommen: Sie hatte Das Gesicht der Marlene, tel verändern, die Handlung verschieben – in Kalifornien einen anderen Planeten es verschlug mir den Atem“ von „Professor Unrat“ zum „Blauen En- betreten, dessen Stars nur um sich selbst gel“, vom liebestollen Spießer zur Männer kreisten und dem die Ufa im selbst isolier- Hildegard Knef, Sängerin und Schauspielerin ruinierenden Dirne. Damit war einer der ten Nazi-Deutschland aus den Augen wirkungsmächtigsten Mythen der Filmge- geriet. Maria Riva berichtet, wie ein Bote des schichte erschaffen. Spätestens als sich Josef von Sternberg deutschen Konsulats ihrer Mutter einen Und die Ufa konnte sagen, sie sei dabei von Marlene Dietrich offiziell trennte (in Leitartikel überreichte, der „auf persönli- gewesen. Die Ufa war damals Europas Wahrheit: als er im Ring ihres Zweikamp- che Anregung von Reichspropagandami- mächtigste Filmproduktionsfirma, eine ech- fes das Handtuch warf), spätestens dann nister Dr. Joseph Goebbels in den führen- te Konkurrenz zu Hollywoods Major Stu- konnte sie an dem deutschen Echo auf die den deutschen Zeitungen erschienen war“. dios. Und das dank ihres Chefproduzenten Trennung lesen, was die Stunde geschla- Da war zu lesen: „Applaus für Marlene Erich Pommer, der der Ufa so wirkungs- gen hatte. Dietrich, die endlich den jüdischen Regis-

Mit Charles Laughton, Tyrone Power und Regisseur Wilder bei Dreharbeiten zu „Zeugin der Anklage“ (1957)

Mit Jean Arthur in „Eine Auswärtige Affäre“ (1948) volle und bahnbrechende Filme wie „Me- tropolis“ oder „Faust“ gedreht hatte und Publikumsschlager wie „Die Drei von der Tankstelle“ oder „Ein blonder Traum“. Eigentlich passte Pommer, der Typ des leidenschaftlich besessenen, dennoch ge- schäftstüchtigen „amerikanischen“ Produ- zenten nicht zur Ufa, die, auf Veranlassung der Reichsregierung im Ersten Weltkrieg als Propagandainstrument gegründet, in- zwischen dem rechten Zeitungszaren Al- fred Hugenberg gehörte – einem der Pro- tagonisten deutsch-nationaler Erneuerung und 1933, also wenige Jahre später, Steig- bügelhalter Hitlers. Und eigentlich passte der „Blaue Engel“ überhaupt nicht in das Ufa-Weltbild und Hugenberg-Konzept. Schon Heinrich Manns Buch war mit seiner liberalen Ten- denz und seiner satirischen Kritik am hoh- len Fortleben des wilhelminischen Spie- ßertums kein typisches Ufa-Sujet: weder national noch auf die gesunden Volkskräf- te bauend. Und dass ein deutscher Klein- stadt-Studienrat einem Tingeltangel-Mäd- chen erliegt, vor ihr auf dem Bauch robbt und für sie als Clown „Kikeriki!“ schreit – das hatte mit dem Hugenberg-Bild von

248 der spiegel 25/2000 seur Josef von Sternberg entlassen hat, der tina Söderbaum war ein unschuldiges have talked him out of it!“ Vielleicht hätte sie immer eine Prostituierte oder sonstwie Blondchen, eine „Reichswasserleiche“), sie Hitler alles ausreden können. Alles, was entehrte Frau spielen ließ, aber nie eine liegt auf der Hand. Die Berlinerin mit der dann noch Schlimmes kommen sollte: die Rolle, die dieser großen Bürgerin und Ver- koddrigen sinnlichen Stimme, die Sänge- Annexion der Tschechoslowakei, der treterin des Dritten Reiches zur Ehre ge- rin, die rauchig ihre Lieder hauchte Überfall auf Polen, der Angriff auf Russ- reichen würde.“ („Nimm dich in Acht vor blonden Frau- land, der Holocaust … „I could have talked „Marlene sollte jetzt ins Vaterland heim- en“), die Frau, die Weltläufigkeit und mon- him out of it.“ kehren, ihre historische Rolle als Anführe- däne Allüre dem Typ der blonden Frau zu- Stattdessen hat Marlene Dietrich, schon rin der deutschen Filmindustrie überneh- gewonnen hatte, galt als die faszinierends- gleich nachdem sie den von Goebbels in- men und sich nicht mehr als Werkzeug der te Frau der Welt – wie, wenn sie zu den Na- spirierten Artikel („Marlene sollte jetzt ins Juden von Hollywood missbrauchen las- zis überlaufen würde? Vaterland heimkehren“) gelesen hatte, sen.“ Nach einer Version der Legende (so hat alarmiert ihre Dreharbeiten unterbrochen, Die Nazis also bauten Marlene Dietrich Marlene Dietrich sie selbst erzählt) soll alle ihre Vertrauten zusammengerufen und eine goldene Brücke, damit sie heim ins auch Dr. Karl Vollmoeller ein diplomati- am Ende den Chef der Abteilung für Pu- Reich kehren sollte, zurück zur Ufa. Es scher Bote der Nazis gewesen sein, jener blic Relations bei der Paramount erklären gibt viele Anekdoten, die überliefern, wie Vollmoeller, der Heinrich Manns „Profes- lassen, sie würde ihre Verbindungen mit sie zur Rückkehr bewegt werden sollte. sor Unrat“ in Sternbergs Auftrag und mit Deutschland endgültig abbrechen und um Dass die Goebbels-Ufa einen Star wie sie Sternbergs Intentionen zum Drehbuch die amerikanische Staatsbürgerschaft nach- sehr entbehrte (als Garbo- suchen. Ihre Tochter erinnert sich: „Ich Ersatz hatte man Zarah Le- sah, dass die Augen meiner Mutter ganz ander gewonnen, und Kris- dick und verschwollen waren. Sie drehte

In „Das Urteil von Nürnberg“ mit Spencer Tracy (1961)

Mit Tyrone Power in „Zeugin der Anklage“ (1958)

„Der blaue Engel“ umgeschrieben hatte. Er den Kopf beständig zur Seite. Sie musste gehörte zu den dem „Dritten Reich“ nahe geweint haben.“ stehenden Deutschen in Hollywood, einer Das war 1934. Fünf Jahre später bekam Art kulturellen fünften Kolonne. sie ihren amerikanischen Pass – knapp drei Vollmoeller nun soll Marlene erzählt ha- Monate vor Ausbruch des Zweiten Welt- ben, wie sehr „der Führer“ ihre Filme kriegs im September 1939. liebe, Abend für Abend würde er sie sich Das leidige Kapitel „Marlene und die in seinem Haus in Berchtesgaden an- Deutschen“ begann. Dietrich, die inzwi- schauen und denken: Sie gehöre doch nach schen ihre zweite Karriere gestartet hatte, Deutschland. Sollte sie wiederkehren wol- die als Diseuse, sang für die Invasionstrup- len, würde man in Berlin für sie rote Tep- pen an der Westfront. Sie stieg auch in die- piche ausrollen, vom Flughafen Tempelhof se Aufgabe mit preußischem Elan, scheute bis zur Reichskanzlei, der Führer, das deut- den harten Einsatz nicht, war stets nah an sche Volk, die Ufa würden sie mit offenen der Front, riskierte Entbehrungen, schlief in Armen aufnehmen. verlausten Quartieren (sie hatte oft Filz- Natürlich klingt das nach Märchen, und läuse, erkrankte in Italien an Lungenent- ganz so wird die Geschichte auch nicht ge- zündung) und reiste im Jeep über holprige laufen sein. Dennoch – sie lieferte der Mar- Feldwege. Auch für diese Situation hatte lene Dietrich, immer wenn sie sie zum Bes- sie einen schnoddrigen Witz bereit. Auf die ten gab, auf einer Hollywood-Feier er- scherzhafte Frage, ob sie denn während des zählte, eine ihrer schönsten Pointen. Einsatzes in vorderster Linie mit General Wer weiß, pflegte sie dann mit ver- Dwight D. Eisenhower, dem Oberkom- schleiertem Blick und verschleierter Stim- mandierenden der Alliierten, geschlafen me zu enden, wer weiß, vielleicht hätte ich habe, sagte sie: „Wie hätte ich das können? Hitlers Angebot doch annehmen sollen. Der war doch nie an der Front.“ Wer weiß?! Und nach der Pause, die dann Ihr wahrer romantischer Held, neben vie- entstand, in der alle stumm „warum?“ zu len jungen Offizieren, war der Pan-

fragen schienen, sagte sie: „Maybe, I could zergeneral Patton („Oh, er war wunder- li. n. re.) (v. PRESS; INTERFOTO SIPA CINETEXT; INTER TOPICS; (ob.); P/F/H FOTOS:

der spiegel 25/2000 249 Titel Die verleugnete Schwester Was tat Elisabeth Will, geborene Dietrich, in Bergen-Belsen?

ie Königin der Film-Legenden sah sernen der Panzerschule befand – nur we- niemals einen Sinn darin, ihr Pu- nige hundert Meter entfernt vom KZ, er- Dblikum durch Tatsachen zu ver- richtet zur Entspannung der Soldaten wie wirren. Angaben zu ihrer Herkunft und der SS-Schergen. Familie änderten sich allemal. Ihrem In- Dort gab es die Durchhaltefilme nach terviewer Maximilian Schell versicherte dem Geschmack jenes Propagandaminis- Marlene Dietrich, sie sei als Einzelkind ters Dr. Goebbels, der Marlene Dietrich mit ihrer Mutter aufgewachsen – dabei aus Hollywood hatte heimholen wollen hatte sie eine ältere Schwester, Elisabeth. ins Reich, zum deutschen Film. Deren Existenz hat sie seit dem Ende Die Nachbarschaft zum Todeslager, der des Zweiten Weltkriegs schlicht geleug- ständige Kontakt zum SS-Lagerpersonal net, und dafür gab es einen Grund: Elisa- und der wirtschaftliche Gewinn, den sie beth meldete sich 1945 aus Bergen-Bel- als Kantineninhaber daraus zogen, rück- sen, einem der entsetzlichsten Konzen- ten Elisabeth und Georg Will moralisch trationslager im Reichsgebiet. Und sie gefährlich nahe an die Täter. Diese Ver- gehörte nicht zu den Opfern. wandtschaft konnte Marlenes Weltruhm Die Schreckensstätte hatte der zustän- beschädigen. dige deutsche Militärbefehlshaber Mitte Was sie zunächst erbat, war nicht viel. April 1945 den Briten übergeben: Von den Sie hatte nur den Wunsch, ihrer Schwester etwa 60000 Häftlingen lagen – einer typischen deutschen Hausfrau, an die 10000 tot in den Ba- dem genauen Gegenteil der „göttlichen racken. Mehr als 20000 star- Marlene“ – doch die kleine Wohnung ben noch in den Wochen nach Schwestern Marlene (r.) und über dem Kino zu belassen. Auch eine der Befreiung. Elisabeth (1906), Zeuge Horwell ärztliche Untersuchung Elisabeths und Kaum hatten britische Sol- Gefährliche Verwandtschaft eine Schutzimpfung gegen Typhus er- daten das Lager besetzt, wur- schienen vonnöten. den sie auf Elisabeth und Diese Beine!“ Vor ihm stand Dafür setzte die Dietrich ihren ganzen ihren Ehemann Georg Will – Marlene Dietrich. Charme ein, fand Horwell. Er genoss die aufmerksam: Jedem, der zu- Seit über einem Jahr hielt bestrickende Unterhaltung von Berliner hören wollte, erzählten die die Traumfrau die amerikani- zu Berlinerin, die Namen höchster Ge- Wills, sie seien mit der welt- schen Truppen bei Kampfes- neräle fielen, und ein herumliegendes Do- berühmten Diva verwandt. laune. In München gehörte kument empfing die höhere Weihe eines

So wollten sie wohl davon- A. FROHN sie zum Tross des US-Gene- Dietrich-Autogramms. Zufällig war es die kommen: Häftlinge waren sie rals Omar Bradley. Dort hat- Meldung über die Kampfpause, welche nicht gewesen, SS-Aufseher zwar auch te sie auch vom Aufenthaltsort ihrer die Befreiung Belsens erlaubt hatte. nicht, aber in den Augen der Briten doch Schwester erfahren. Noch im selben Monat folgten Briefe höchst suspekt, weshalb sie ihre Wohnung Als Marlene so plötzlich vor Oberleut- des Stars an den jungen Offizier: Mal ent- gleich neben dem Lager räumen sollten. nant Horwell stand, hatte sie Elisabeth be- hielten sie einen Dietrich-Schnappschuss Was hatte die Dietrich-Schwester an reits im Schlepp dabei. Es stellte sich her- mit befreiten britischen Kriegsgefangenen, einem solchen Ort des Grauens zu su- aus, dass die Schwester zusammen mit mal den dezenten Hinweis auf jüdische chen? Zuverlässige Auskunft über ihre ihrem Mann eine kleine Kantine für die Freunde, denen die Dietrich bei der Aus- Rolle in Bergen-Belsen kann ein Zeitzeu- Wehrmacht betrieben hatte, und zwar im wanderung nach Amerika hatte helfen ge geben, Dr. Arnold Horwell, 86. Dem Truppenlager-Kino, das sich in den Ka- können, und auch allerlei handschriftliche gebürtigen Berliner gelang 1939 die Aus- reise nach England, im April 1945 gehör- KZ Bergen-Belsen nach der Befreiung 1945: Kleine Kantine gleich nebenan te er im Rang eines Oberleutnants zu einer britischen Einheit, der die Auflösung des verseuchten Lagers oblag. Heute wohnt der lebhafte alte Herr in London. An viele Vorgänge in Belsen kann er sich genau erinnern. Geht es um Details, helfen lange Briefe, die er damals jeden Abend an seine Frau schrieb. Hun- derte sind erhalten. Am ersten Tag nach der deutschen Ka- pitulation flog die Tür seines Büros auf, und vor ihm stand eine Blondine in ame-

rikanischer Uniform. „Dieses Gesicht! ARCHIVES NATIONAL

250 warum die Nachkriegsdeutschen, die Ber- liner, ihre verlorene Tochter nicht mit of- Schmeicheleien, die Horwell geradezu fenen Armen aufnehmen wollten. Das war erröten ließen, wie er seiner Frau um- eine geschlagene, depravierte Nation, die gehend gestand. in Trümmern lebte und vor die Scham vor Bei all dem bemühte sich Marlene den deutschen Kriegsverbrechen den Trotz Dietrich, eine imagefreundlichere Er- angesichts der erlittenen Erniedrigungen klärung für den Aufenthalt der Schwes- und Demütigungen gestellt hatte. ter an diesem fatalen Ort zu finden. Aus- Marlene Dietrich hat darauf unpathe- gerechnet an Horwell, der es besser tisch und nicht ohne Verständnis reagiert. wusste als jeder andere, schrieb sie, wie Als Maximilian Schell sie auf die Anti- sehr sie über das Aussehen ihrer Marlene-Demonstrationen ansprach, die ihr Schwester erschreckt gewesen sei und in Berlin während ihres Besuchs 1960 wi- über den Zustand ihrer Nerven. derfahren waren, sagte sie berlinerisch cool: Auch ihre Mutter habe man als „Die warn mir beese!“ Und wiederholte: „politisch verdächtig“ eingestuft, und „beese“, ein Kinderwort, nach dem man eben seien noch weitere Verwandte in nur sagen kann: Komm! Lass uns den Streit einem Lager bei Salzburg aufgefunden begraben! Und mit fast den gleichen Wor- worden. Offenbar sei jeder, der ihren ten hat sie sich daraufhin mit einer Berliner Namen trage, „hineingesteckt worden“. Rentnerin auf der Straße versöhnt. „Bee- Ins Lager? Auf diese Weise vollzog se?!“ Nein, das schon gar nicht. sich vor Horwells Augen die Metamor- phose der Schwester Elisabeth vom Zeugen der Katastrophe zu deren Opfer. An Horwell richtete Marlene schließ- lich nur noch einen Wunsch: Bitte, kei- ne Presse! Man konnte nie wissen, was die in Sachen PR höchst unerfahrene Schwester den Reportern in einem An- flug von Aufrichtigkeit erzählen würde. Die von der Dietrich fabrizierte Le- gende klang so glaubhaft, dass sie von vielen Biografen verbreitet wurde. Selbst Marlenes Tochter Maria war zunächst vom KZ-Schicksal Elisabeths überzeugt: Als sie ihre Tante im No- vember 1945 in Belsen besuchte, erlitt Als Glamour-Objekt für Magazine (um 1955), sie einen Schock. Vorbereitet war sie als Hass-Objekt für deutschnationale auf einen „Concentration camp cada- Demonstranten in Berlin (1960) ver“, ein „atmendes Skelett“. Statt- dessen umarmte sie eine Frau, die sich seit den Vorkriegsjahren kaum ver- bar! Ein echter Soldat! Groß, stark, ener- Marlene ist in Deutschland aber immer ändert hatte, gesund, mollig, psychisch gisch! Eine Führernatur!“). Patton bewun- ein ungeliebter Star geblieben. Und sie intakt. derte ihren Mut und sagte dann, laut Mar- wäre in Deutschland auch ungeliebt, wenn Nicht das Wiedersehen trieb der 20- lene: „Wenn Sie in Gefangenschaft geraten, sie nicht mit den amerikanischen Jeeps, in jährigen Maria die Tränen in die Augen, wird man Sie wahrscheinlich für Propagan- amerikanischer Uniform in das besiegte sondern die Entdeckung, dass die La- dazwecke einspannen und zwingen, Radio- Deutschland eingezogen wäre. Sie ist eine gerhaft nur eine Legende war. Diese sendungen zu machen, so wie Sie es für uns Frau, die alles, was sie tat, spielte, dar- Unwahrheit entehrte offensichtlich die getan haben.“ Dann zog er einen kleinen stellte, als Herausforderung, als Provoka- Opfer. Revolver aus der Tasche seiner Windjacke tion ausspielte. Noch ihr Pathos, noch ihre Nur zu gut hatte Maria noch die nazi- und sagte: „Hier. Erschießen Sie ein paar Leidenschaft gab sich kalt, vernünftig. Ein braunen Hemden in Erinnerung, die von den Scheißkerlen, bevor Sie sich erge- ewiges Leben? Die fast 90-Jährige konnte Elisabeths Sohn schon als Kind getragen ben! Oh, er war einfach wundervoll!“ sich nur schwer vorstellen, dass wir nach hatte. Tatsächlich sprach Elisabeth noch Spätestens bei dieser bramarbasieren- unserem Tode „da oben alle rumfliegen“. Jahre nach dem Krieg von der „morali- den Anekdote der Krieg spielenden Diet- Nein, das nun doch nicht. schen Integrität“ des Dritten Reichs: Die rich gewinnt man ein gewisses Verständnis, Ihre Schönheit war betörend, aber kalt. Nazis hätten, bei allem Übel, doch nur Ihre Ausstrahlung sinnlich, erotisch, aber die deutsche Ehre wiederherstellen wol- „Sie war die von Vernunft beherrscht. Sie war nie wie len. Kein Wunder, dass Marlene Diet- Rita Hayworth oder Marilyn Monroe das rich die verlogene Mär vom Nazi-Opfer Kombination aus Opfer. Sie war nie wie Greta Garbo die Elisabeth bald wieder aufgab und die Glamour-Frau, Anna Karenina, die Kameliendame. Nicht Schwester fortan lieber verleugnete. dass sie eine Siegerin gewesen wäre, aber Privat blieb der geschwisterliche Kon- aus Hausfrau, aus sie war zu stolz für ihre Niederlagen. takt jedoch unverändert bestehen, bis Mutter und Hure – also Und so schwingt auch in ihrer Stimme, zu Elisabeths Tod 1973. Sie lebte bis unnachahmlich in ihrem singenden Nach- zuletzt in Belsen. Das war ihr Zu- das, was sich jeder Liebhaber hall, immer so etwas wie Spott, Überle- hause. Axel Frohn, Fritjof Meyer oder Mann wünscht“ genheit mit. Die Stimme! Mit ihr hat sie ihre letzte

Katja Flint, „Marlene“-Darstellerin Karriere gemacht. „Sag mir, wo die Blu- (u.) SENATOR li. n. re.); (v. BILDERDIENST ULLSTEIN TIME / INTER-TOPICS; FOTOS:

der spiegel 25/2000 251 Titel

Telefongespräche, die ich mit ihr 1991 ge- nem ungläubigen Glanz in den Augen führt habe. und einem leicht verqueren Lächeln sagte Colpet, ein Freund von Dietrich aus sie: „Papa, da ist Marlene Dietrich am Berliner Tagen, als sie kleine Rollen in Ufa- Telefon!“ Filmen spielte – Billy Wilder und Colpet Ich habe insgesamt fünfmal mit ihr tele- (der damals noch Kolpe hieß) schrieben foniert. Zweimal war sie aufgeräumt, gut Drehbücher –, lebte hochbetagt in Mün- gelaunt, gesprächig, freundlich und ver- chen und wusste, dass es ihr in Paris traulich. Bei den anderen Gesprächen war schlecht ging. Der SPIEGEL hat dann ver- sie kurz angebunden, misstrauisch. Ein- sucht, ihr zu helfen, ich habe versucht, mal, das war das fünfte Gespräch, ver- beim Bundespräsidialamt einen „Eh- suchte sie vorzugeben, dass sie gar nicht rensold“ für sie zu beantragen – was Marlene Dietrich sei. Dabei hatte sie ihre daran scheiterte, dass sie seit 1979 öffent- unverwechselbare Stimme verraten. Sie lich für niemanden zu sehen war. Für nie- legte trotzdem schnell auf. Sie war lau- manden, also auch nicht für einen Vertre- nisch, verzweifelt, einsam, habe ich gele- ter der deutschen Botschaft in Paris. So sen. Das mag so sein. konnte man sie behördlich nicht identi- Sie hat sich mehr als zwölf Jahre nicht fizieren. mehr gezeigt, konsequenter noch als Dabei war ihre Stimme unverkennbar. die Garbo, die man ab und zu mit Kopf- Als sie mich auf meinen Brief hin beim tuch und schwarzer dicker Sonnenbrille in SPIEGEL anrief, spät am Abend, war ich New York beim Einkaufen „erwischen

Im Film „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ (1978), Grabstätte auf dem Berliner Friedhof in London (1973) in der Stubenrauchstraße men sind“! Ein so sentimentales Lied konnte“. Dietrich war der Welt abhanden kann nur eine so unsentimentale Frau wie gekommen. sie vortragen. Früher hatte sie die schöns- „Ihre Beine verdorren. Ihre Haare ten Friedrich-Hollaender-Lieder gesungen. schneidet sie im Alkoholrausch mit einer Und: „Ich küsse Ihre Hand, Madame!“ schon nach Hause gegangen. Und, wie Nagelschere kurz und färbt sie rosa mit Und: „Schöner Gigolo – Armer Gigolo!“ sie mir eine Stunde später spöttisch, mit schmutzigen weißen Flecken. Ihre Ohr- Ihre Lieder hatten Reime wie sonst nur leicht schleppender Stimme erzählte, habe läppchen hängen tief herunter, ihre Zähne amerikanische Evergreens: blonde Frauen, der Pförtner ihr zuerst meine Privatnum- – sie war immer so stolz gewesen, dass es die etwas Gewisses haben: Det isses! Ber- mer nicht geben wollen. „Stellen Sie sich ihre eigenen waren – sind schwarz gewor- liner Slang pur. das vor.“ den und brüchig. Ein grauer Star, den be- Dem Texter von „Sag mir, wo die Blu- Das Gespräch hatte meine Tochter an- handeln zu lassen sie sich weigert, hat ihr men sind“, Max Colpet, verdanke ich die genommen, sie war damals zehn. Mit ei- linkes Auge eingetrübt. Ihre einstmals durchscheinende Haut Pergament. Sie ver- strömt einen Geruch nach Scotch und kör- BÜCHER ZUM THEMA der Tochter sind von unschätz- perlichem Verfall.“ Steven Bach: „‚Die Wahrheit über mich gehört barem Quellenwert. mir‘ – Marlene Dietrich“. List, München; Renate Seydel: „Marlene Diet- Die Tochter hat den Vorhang, postum, 576 Seiten; 16,90 Mark. Farbig geschriebene aus- rich – Ein Leben in Bildern“. weggezogen. Wie gut, dass es die Filme gibt, führliche Biografie. Der Autor, Produzent Henschel, Berlin; 312 Seiten; „Marokko“, wo sie Gary Cooper barfuß von Woody Allens „Manhattan“, promo- 29,90 Mark. durch die Wüste folgt. Schön, unnah- vierte über Marlene Dietrich. Donald Spoto: „Marlene Diet- bar, hingebungsvoll. Demütig. Stolz. „Ein Marlene Dietrich: „Ich bin, rich“. Heyne, München; 400 Scheißweib“, um mit Sternberg zu sprechen. Gott sei Dank, Berlinerin – Seiten; 16,90 Mark. Eine kennt- Und ihr Verhältnis zu den Deutschen? In Memoiren“. Ullstein, Mün- nisreiche Biografie des erfahre- ihrem letzten Interview, dem SPIEGEL-In- chen; 288 Seiten; nen Hollywood-Biografen. terview vom 17. Juni 1991, hat sie auf die 14,90 Mark. Josef von Sternberg: „Das Blau des Engels“. Maria Riva: „Meine Mutter Schirmer/Mosel, München; 440 Seiten; zurzeit Frage, woraus sich denn ihr Antifaschis- Marlene“. BTB/Goldmann, vergriffen. Glänzend formulierte, vor Bosheit mus gespeist habe, eine entwaffnende Ant- München; 896 Seiten; und Eitelkeit funkelnde Autobiografie. Ein wich- wort gegeben: „Aus Anstandsgefühl.“ Bes-

25 Mark. Die Erinnerungen tiges Dokument der Filmkunst. ser, knapper lässt es sich nicht sagen. ™ li. n. re.) (v. BILDERDIENST / ULLSTEIN PRESS; TEUTOPRESS SIPA & SCHEIKOWSKI; JAUCH FOTOS:

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