Der Ungeliebte Engel

Der Ungeliebte Engel

Titel Der ungeliebte Engel Der Jahrhundertstar Marlene Dietrich – von der lasziven Kindfrau zur weltweit angehimmelten, in ihrer Heimat oft geschmähten Göttin der Filmgeschichte. Von Hellmuth Karasek FOTOS: PRESS / SIPA re.) CINETEXT (li.); LIASON (ob. d. HEYDT Mi.); R. v. (ob. Diva Dietrich: Ein erster Blick ins junge 21. Jahrhundert 240 der spiegel 25/2000 hr Mythos überstrahlt jede Mode, und Auch junge Theaterautoren machen selbst eine missglückte Kino-Huldigung sich auf die Suche nach der Demar- wie gerade erst der „Marlene“-Film von kationslinie zwischen dem wirkli- Joseph Vilsmaier setzt neuen Begeiste- chen Leben und der übergroßen Irungsrummel um Leben und Werk der Diva in Legende. Thea Dorn („Marleni“) Gang: Marlene Dietrich, der einzige Weltstar, Dietrich-Website, Filmplakat („Der blaue und Moritz Rinke („Der graue En- den Deutschland je hervorgebracht hat, ist Engel“), Katja Flint als Vilsmaiers „Marlene“ gel“) brachten Annäherungen an die acht Jahre nach ihrem Tod und ein Jahr vor ebenso zeitlose wie moderne Sex- ihrem 100. Geburtstag so gegenwärtig wie je – und sei es als göttin auf die Bühne. In Berlin hortet derweil die Stiftung millionenfach reproduziertes Motiv auf der Briefmarke. Ihre Deutsche Kinemathek den immensen Nachlass der Schau- androgyne Erotik, ihre grandiose Ausstrahlung in Filmklassi- spielerin. Koffer und Kis-ten mit Briefen von ihren illustren kern wie „Marokko“ oder „Zeugin der Anklage“, ihr lockeres Freunden und Liebhabern, den berüchtigten hautengen Büh- Liebesleben zwischen Männern und Frauen und ihre beinhart nenkleidern, ein Wirrwarr aus Taschen, Schuhen und Puder- durchgezogene Karriere wirken wie ein früher, verwegener Ver- quasten. Diese berauschende Asservatenkammer zwischen weis auf das junge 21. Jahrhundert: Sie war Vamp und Emanze Weltgeschichte und Klimbim wird teilweise ab September zugleich, vereinte Hollywood-Glamour und preußische Disziplin. öffentlich zu sehen sein. Die Platten und Filme der Dietrich begeistern bis heute die Auch beim Rätselraten darüber, welchen Namen die am Fans – und die werden immer jünger. Im Internet tauschen vergangenen Freitag zum 50. Mal verliehenen Deutschen sie sich über die magischen Beine, die „Faszination“ oder die Filmpreise künftig tragen sollen, spielt der Mythos Marlene „unsterbliche Schönheit“ ihres Idols aus. Modemagazine Dietrich eine Hauptrolle. Drei Vorschläge für den Namen des feiern ihren verwirrend männlich-erotischen Modestil – An- deutschen Oscar-Pendants seien noch im Rennen, hieß es bei zug, Frack und Krawatte –, der aus dem Repertoire der der Filmpreise-Gala. Favorit ist „Lola“ – nach Marlene Diet- Designer seit den dreißiger Jahren nicht mehr zu tilgen ist. richs Durchbruch-Rolle im „Blauen Engel“ von 1930. osef von Sternberg war 1968 auf der größte Lichtzauberer, den das klassische berg unterbrach mich brüsk und schnauz- Frankfurter Buchmesse, um seine Au- Kino hervorgebracht hatte –, bis ich mei- te mich in die Kamera hinein an: „Hö- Jtobiografie „Fun in a Chinese Laun- ne erste Frage stellte: „Herr von Stern- ren Sie mir mit diesem Scheißweib auf!“ dry“ vorzustellen, die den deutschen Titel berg“, fing ich vor laufender Kamera an, Ich schnappte nach Luft, das Interview „Das Blau des Engels“ tragen sollte. Stern- die Sendung wurde live übertragen, „Herr war beendet, meine Audienz bei Stern- berg, ein schlanker Mann mit schloh- von Sternberg, Sie haben mit Marlene berg auch. weißem Haar und einem weißen Spitzbart Dietrich …“ Weiter kam ich nicht. Stern- Noch kurz vor seinem Tode – Sternberg – er ähnelte ein wenig den Bildern, die starb im Dezember 1969 an Herzversagen man von Sigmund Freud kennt, nur war er – reagierte der Schöpfer auf das Opfer sei- viel zierlicher – war ein vollendeter Herr, ner Schöpfung, ja auf die bloße Erwäh- elegant, mit wunderbaren k. u. k. Manie- nung des Namens Marlene Dietrich, mit ren, während sich die Journalisten um ihn einem unbeherrschten Wutausbruch. drängten. Ich war mit einem Kamerateam Marlene Dietrich hat, im Gegenzug, bis des Hessischen Fernsehens ausgerückt, wir zu ihrem Tod 1992 Josef von Sternberg im- drehten für dessen Kulturmagazin den mer als ihren Schöpfer, ihren Gott geprie- Buchmessen-Film, ein Interview-Termin sen, dem sie alles verdanke, ihre Ent- mit dem Regisseur des „Blauen Engels“ deckung, ihre einmalige Weltkarriere: Sie war abgesprochen. sei seine Galatea, er ihr Pygmalion, hat sie Sternberg begrüßte uns mit ausgesuch- in Anspielung auf den mythologischen Kö- ter Höflichkeit, gehorchte freundlich den DPA nig Pygmalion von Kypros gesagt, der sich Bitten des Kameramanns und des Be- Marlene (r.) mit Eltern und Schwester (1906) in eine von ihm geschaffene Elfenbeinsta- leuchters – er war schließlich Profi, der „Die warn mir beese“ tue so brennend verliebte, dass er die Lie- der spiegel 25/2000 241 besgöttin Aphrodite bat, seiner Figur Leben zu verleihen: ein Geschöpf, das über seinen Schöpfer triumphierte, ein Kunst- werk, das sich den Künstler, der es ge- schaffen hatte, unterwarf. In der Tat: kein schlechter, kein zu hoch gegriffener Vergleich für das Verhältnis Sternberg/Dietrich, die sich Marlene nann- te, zusammengesetzt und verkürzt aus Maria Magdalena. Ihr Kreator Sternberg weigerte sich später, ihr einen „internatio- nalen“ Vornamen zu geben. Ja, sagt von Sternberg in seiner Auto- biografie, ich habe Marlene Dietrich aus dem Nichts geschaffen, aus dem Boden ge- stampft. Angeekelt zitiert er ihr Lob: „Sie hat nie aufgehört zu verkünden, ich hätte ihr alles beigebracht.“ Und er fährt mit bit- terer Gekränktheit fort: „Zu den vielen Dingen, die ich ihr nicht beigebracht habe, gehört, mich ständig im Munde zu führen.“ MARLENE DIETRICH Von der Berliner Göre zum Kinostar In Ballettpose (um 1920), bei Dreharbeiten zu „Marokko“ (1930) politische Motive hatte. Dass ihr die Nazis ten.“ Schon in Rundfunksendungen für fremd, ja verhasst waren, hing mit ih- deutsche Soldaten hatte sie an der morali- rem Boheme-Freundeskreis in Berlin zu- schen Front gestanden, wenn sie deutschen sammen. Und mit der Tatsache, dass ihr Soldaten über die BBC zurief: „Jungs, op- Schöpfer und ihre Förderer bei der Ufa – fert euch nicht. Der Krieg ist doch Scheiße! Sternberg wie Erich Pommer – Juden Hitler ist ein Idiot.“ waren, dass sie Heinrich Mann und Erich So galt sie nach dem Krieg ihren nie- Maria Remarque liebte und schätzte. Kurz: dergeschlagenen und besiegten Landsleu- Die Nazis gingen der kessen Preußin con- ten, ähnlich wie Willy Brandt übrigens, der Hier grollt ein Gott, der von seiner Schöp- tre cœur. 1960 ihr Gastgeber bei dem heftig bekämpf- fung längst entgottet wurde. Als Goebbels und Hitler ihr Mitte der ten Berlin-Gastspiel war, als Deutsche, die Ihren „Svengali“ hat sie Sternberg ein dreißiger Jahre Avancen machten – ihre in der „Uniform des Feindes“ in Deutsch- Leben lang genannt und sie sich seine „Tril- „arisierte“ Ufa brauchte einen blonden land eingezogen war. Es dauerte lange, bis by“. Muster dieser Namensmaskerade ist Weltstar –, beantragte sie die US-Staats- die Deutschen ihren Frieden mit Brandt der 1894 erschienene Roman „Trilby“ von bürgerschaft und erhielt sie kurz vor schlossen und mit Dietrich fanden – bei George du Maurier (dem Großvater der Kriegsbeginn. 1944, als die Alliierten sich Dietrich erst nach ihrem Tode –, und noch „Rebecca“-Autorin Daphne du Maurier). anschickten, Deutschland niederzuringen, die Diskussionen darüber, welche Berliner Darin macht ein dämonischer Magier na- zog sie die amerikanische Uniform an, um Straßen ihren Namen führen dürften, soll- mens Svengali aus einem Mädchen, das ihm als „one of the boys“, einer der Soldaten, in Liebe verfällt, mittels Hypnose eine be- als Sieger in Deutschland einzuziehen, ab- „Selbst wenn gnadete Sängerin – ihre Stimme erlischt, als solvierte unzählige Shows nahe der Front, durch Svengalis Tod die Liebe und die hyp- in einer von ihr selbst kreierten GI-Uni- sie nichts anderes notischen Kräfte ihre Wirkung verlieren. form, mit Eisenhower-Jacke, Ordensbän- als ihre Stimme Svengali, der Zauberer des Lebenswegs dern, Rangabzeichen, maßgeschneiderten und Geschicks der Dietrich, war Sternberg Hosen, Kampfstiefeln und GI-Helm. hätte, könnte sie auch, weil sie ihm, kurz vor der „Macht- Wie ihre Tochter schreibt: „Die Solda- damit dein Herz brechen“ ergreifung“ Hitlers, in die USA folgte – tentochter hatte ihr Zuhause gefunden … was gewiss nur Karrieregründe und kaum Sie spielte die Rolle des tapferen Solda- Ernest Hemingway, Schriftsteller 242 der spiegel 25/2000 Titel ten, zeigten 50 Jahre später, wie schwer pen zum sinnlichen Herzmund mit der Seit sie auf der Tonne als Tingeltangel- solche Wunden heilen. schwellenden Unterlippe, setzt die breite Lola im „Blauen Engel“, von Kopf bis Fuß Und das alles, weil Svengali-Sternberg Nase wirkungsvoll auf die Schmetterlings- auf Liebe eingestellt, mit übereinander ge- Trilby-Dietrich per Schiff nach Amerika schatten der Nasenlöcher. Er überredete schlagenen Beinen auf die natürlich un- gelockt hatte, um seine, um ihre gemein- sie, sich vier Backenzähne ziehen zu lassen, schuldigste Weise die Femme fatale, die same Karriere zu machen. was ihr Gesicht schmaler, schmachtender männermordende Mänade spielte (den Wer war „die Dietrich“ (damals sagte machte; 15 Kilo ließ er sie abhungern – mit Namen Lola hatte der hochgebildete man das noch so), bevor sie ihren Regisseur einer Suppendiät. Marlene wusste, was er Sternberg Frank Wedekinds Kindfrau traf, mit dem sie, erst in Berlin und dann in aus ihr gemacht hatte; in ihrem Haus in Be- „Lulu“ nachbuchstabiert), werden ihre Hollywood,

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