Medien

STARS Der Hollywood-Reporter Die Sehnsucht deutscher Medien nach Geschichten über Filmstars ist immer größer als die Geschichten der Stars, und darum wird aufgebauscht und gefälscht. Keiner weiß das besser als Tom Kummer, der berühmt wurde, weil er Interviews mit Prominenten erfand. Von Alexander Osang DAVID HUME KENNERLY / GETTY IMAGES HUME KENNERLY DAVID Journalist Kummer in Los Angeles: „Alle, die mit mir zu tun hatten, wussten, dass ich mit dem Feuer spiele“

or ein paar Monaten bot Tom Kum- ge, die ihm gelegentlich aus der Nase hän- SPIEGEL, warum nicht? Vielleicht schie- mer an, gemeinsam mit ihm den gen. Weil sonst kein deutscher Hollywood- nen Kummer vier Jahre eine angemessene VSchauspieler Russell Crowe zu in- Korrespondent solche offenen Interviews Strafe für seine Verbrechen zu sein. Es war terviewen. Es gebe totalen Zugang und viel bekam, recherchierte ein Reporter des Ma- ja nicht klar, welche Art Verbrechen er Zeit, schrieb er in einer E-Mail. Wir dürf- gazins „Focus“ Kummer hinterher und stell- eigentlich begangen hatte. Es war nie juris- ten einen Fotografen unserer Wahl mit- te fest, dass der sich mit vielen Stars nie ge- tische Anklage gegen ihn erhoben worden. bringen und könnten das Interview dann troffen hatte. Es gab einen kurzen Aufschrei War er eine Art Heiratsschwindler? Ein im SPIEGEL veröffentlichen. in der deutschen Medienlandschaft, die Hütchenspieler aus Hollywood? Ein Robin Es war ein überraschendes Angebot. „Süddeutsche Zeitung“ fiel auf die Knie, Hood der Celebrity-Presse? Russell Crowe gilt als einer der medien- sie veröffentlichte auf einer Doppelseite eine Auf dem Foto im „Magazin“ sieht man scheusten Schauspieler der Welt. Und das Chronik ihrer Versäumnisse und entließ die einen kahl geschorenen Kopf, der zur Hälf- war ja nicht alles. beiden Chefredakteure ihres Magazins. te von einer riesigen Sonnenbrille verdeckt Tom Kummer ist der Schweizer Journa- Tom Kummer selbst war zunächst ver- wird. Es erinnert an Aufnahmen der späten list, der vor vier Jahren berühmt wurde, als schwunden. Greta Garbo. Ein Phantom. herauskam, dass er eine Reihe von Inter- Er gab ein paar verwirrende Interviews Der Tom Kummer, der im Farmers Mar- views mit verschiedenen Hollywood-Stars und veröffentlichte in der kleinen Berliner ket in Los Angeles wartet, wirkt unspek- erfunden hatte. In den Gesprächen, die vor Zeitschrift „Das Magazin“ eine Hand voll takulärer. Er wollte sich in dem familien- allem das Magazin der „Süddeutschen Zei- Kurzgeschichten. Zur ersten Kurzgeschich- freundlichen Einkaufspark treffen, neben tung“ druckte, redete Kummer mit Mike te erschien ein kleines Foto von ihm. ihm steht ein blonder, sechsjähriger Junge, Tyson über Nietzsche, mit Jetzt wollte Tom Kummer offenbar wie- sein Sohn, leicht hinter ihm seine Frau, die über ihre Brüste und mit über Din- der zurück ins Licht. Russell Crowe im das zweite Kind, ein Baby noch, in einem

206 40/2004 Tuch vor der Brust trägt. Kummers Kopf der ein Stipendium in New York gewon- bedecken jetzt viele kleine dunkle Locken. nen hatte. Er nannte sich „Scapoda“ und Er trägt Shorts und ein buntes, kurzärm- machte Aktionen, beispielsweise zündete liges Hemd, er ist braun gebrannt, er er die Berliner Mauer an. Einmal fuhr er wackelt mit den Armen und lächelt. Er hat aus Versehen bei Glatteis in Bayern den jetzt ein richtiges Leben, heißt das. Mercedes eines Freundes gegen einen

Was hat er in den vergangenen vier Jah- AP Baum und stellte ihn später als Objekt in ren gemacht? „Tennis gespielt“, sagt Kum- einer Galerie in Mönchengladbach aus. mer. „Paddle-Tennis, das ist eine Art Klein- Sein journalistisches Leben begann bei feldtennis. Im Herbst 2000 hab ich als „Tempo“, dem jüngsten und aufregendsten Coach in so einem privaten Club in Santa deutschen Magazin der späten achtziger Monica, angefangen, da sind alle wichtigen Jahre. Die erste Reportage, die er für Leute der Immobilienbranche von Los „Tempo“ schrieb, war ein Porträt des Angeles Mitglied. Ich war ja ein Top-Ten- Schweizer Skifahrers Pirmin Zurbriggen. Tennisspieler in der Schweiz. Für die Leu- Kummer fuhr vor Wettkampfbeginn eine te in Santa Monica war ich was Exotisches. Weltcup-Abfahrtsstrecke herunter, um zu Ich hab 30 Stunden die Woche gegeben, oft empfinden, was Zurbriggen empfindet, und 8 Stunden am Tag gespielt. Ich glaub, ich verlor so seinen noch frischen Presseaus- bin mit der einzige Paddle-Tennis-Pro, der weis. Einmal sollte er für „Tempo“ recher- wirklich davon leben kann“, sagt Kummer. chieren, wie leicht es ist, Drogen in Hat er nie daran gedacht, ein Buch zu Deutschland zu besorgen. Er fuhr mit ei- schreiben, wie all die berühmten Fälscher nem BMW-Mietwagen durchs Land und

im amerikanischen Journalismus? PRESS / ACTION NEWS + PICTURES SPLASH kaufte für 10000 Mark Kokain, LSD, Mes- „Ich war zu müde abends. Und ich hab Courtney Love kalin, Speed und Marihuana ein. Die Re- auch nie den richtigen Sound gefunden“, daktion nahm das Zeug dann in den fol- sagt Kummer. Wir sitzen an einem langen genden Wochen selbst, das Stück wurde Holztisch im Farmers Market, die Händler nie geschrieben. in den Buden packen zusammen, es wird Es ist ein aufregendes Leben, aus dem er langsam dunkel, seine Frau ist mit den Kin- berichtet. Es klingt mehr wie ein Entwick- dern nach Hause gefahren. lungsroman als eine Biografie. „Und die Leute, mit denen ich darüber „Das Interview mit Russell Crowe klappt hätte reden können, erreichte ich nicht leider nicht“, sagt er irgendwann leise. Für mehr. Die haben mich fallen lassen, mein einen Moment schaut er wie ein geprügel- Agent hat mir ein Fax geschickt. Auf dem ter Hund. Er erzählt was von einem Agen- stand, ich hätte die Definition von Freund- ten, der ihn im Stich gelassen hat. David

schaft verletzt. Am Ende denkt jeder nur DPA Lynch könnte er stattdessen anbieten. Kum- an sich selbst. Den Jungs geht’s doch allen mer redet von einem Einsatz im ersten gut. Die sind alle wieder untergekommen Golfkrieg, wo er eine Woche lang mit an- in den Medien. Es hat niemand angerufen. deren Reportern im Hotel Intercontinental Ich hab angerufen, aber keiner wollte sich in Amman saß und begriffen habe, „dass es mit mir treffen.“ keinen Zugang zur Wirklichkeit mehr gibt“. Wir fahren durchs nächtliche Los Ange- War ihm nicht klar, dass irgendwann les, Kummer erzählt über die Stadt, die alles auffliegt? Kultur, die Veränderung, die Palmen, die „Die Interviews haben ja stattgefunden, Stars, die Verbrecher, er erzählt wie ein bis auf die letzten drei oder vier, die ich mir alternativer Stadtführer. Er ist 1993 hierher dann im Wahn komplett ausgedacht habe“, gegangen, weil es der Bruch war, den er sagt er. „Ich hab auch immer gedacht, ich suchte, sagt er. New York war ihm zu eu- mach ein supergutes Piece, das beste In- ropäisch, zu sehr achtziger Jahre, was im- terview, das man sich vorstellen kann. Ich mer das bedeutet. Es gibt wenige Städte, in habe ja Bänder von Interviews, aber das denen man so vereinsamen kann wie in waren ja nur Produkte dieses absurden

Los Angeles, alle sitzen in Autos oder hin- FRED PROUSER / REUTERS Aufeinandertreffens von Stars und Jour- ter Zäunen. Sein ganzes Leben lang schon nalisten. Völlig uninteressant.“ fühle er sich von Feinden umgeben, sagt er. Er habe sich nie als Journalist verstan- Kurz nach Mitternacht sitzen wir in ei- den, sagt er, er habe eher Samplings ange- ner handtuchschmalen Bar in Koreatown. fertigt als klassische Interviews, er habe Kummer erzählt, wie er hier eines Nachts Hollywood die Maske vom Gesicht geris- während einer Schießerei saß. Er be- sen, er habe nur das geliefert, was alle schreibt die Flugbahn der Kugel, parallel haben wollten. Keine Reue, keine Ent- zum Tresen, an dem er damals saß. Sie schuldigung, keine Erklärung. kann ihn nur knapp verfehlt haben. „Alle, die mit mir zu tun hatten, Kummer kann sein Leben aus solchen wussten, dass ich mit dem Feuer spiele“, Geschichten zusammenfügen, eine schöner sagt er. „Ich habe ein Recht zu schreiben. als die andere: Mit 17 spielte er in Bern Ich bin nicht nur ein Fälscher. Ich habe

Tennis und war gleichzeitig in einer Art an- REUTERS eine Spur im deutschen Journalismus archistischen Kunstszene unterwegs. Kurze Michael Jackson hinterlassen.“ Zeit war er Fahrer des brasilianischen Bot- Begehrte Interviewpartner Da hat er wohl Recht, aber es ist schwer, schafters in der Schweiz. Irgendwann zog er Absurde Treffen mit Journalisten ihr zu folgen. Die meisten Leute, die mit nach Berlin in die Wohnung eines Malers, Tom Kummer zu tun hatten, wollen nicht

der spiegel 40/2004 207 Medien mehr über ihn reden, oder wenn, nur in ter scheint es, als hätten sie mit ihm expe- Hintergrundgesprächen. Es sind die Män- rimentiert wie mit einem wilden Tier. 1990, ner, die Tom Kummer „die Jungs“ nennt, nachdem Markus Peichl, der Mann der das Netz, das ihn lange hielt. Einige von „Tempo“ gründete und leitete, gefeuert ihnen klingen gelangweilt, wenn man sie worden war, verlor Tom Kummer den Kon- nach ihm fragt, manche alarmiert. Für ei- takt zur Redaktion. Der spätere Chefre- nige scheint der Fall zu lange zurück- dakteur Michael Jürgs traute Kummer zuliegen, für andere ist er noch zu frisch. nicht und trennte sich von ihm Anfang der Einer sagt: „Kummer? Über den ist doch neunziger Jahre. alles geschrieben. Das ist ein Kleinkrimi- Kummer begann, Reportagen für ver- neller.“ Ein anderer sagt: „Tom Kummer schiedene Magazine zu schreiben. Sie führ- ist ein Dostojewskischer Charakter. Der ten die Leser oft in schwer zugängliche, zieht irgendwann jeden Kollegen, den er menschenleere Gegenden der Welt, an die berührt, mit sich in den Abgrund.“ verlassene peruanische Küste bei Sonnen- Aber alle, selbst die, die nicht reden wol- untergang, in das gesetzlose Rostow am len, haben irgendwas zu sagen. Es sind Don, in chilenische Vorstädte oder an den Gerüchte, Erinnerungen, man kann ihre Rio Grande. Es waren Abenteuergeschich- Aussagen zu einem Puzzle zusammenfü- ten, und Kummer ritt immer mit in den gen, das ein flirrendes Bild eines Menschen Sonnenuntergang. Reporter Kummer, Ex-Journalist Hötzel: „Ich habe auf nicht endender Flucht zeigt. Kummer half, dass er in einer Medien- Kummers deutscher Steckbrief würde landschaft unterwegs war, die den Journa- nicht um Diebstahl. Das ist nach dem Fall etwa so aussehen: Tom Kummer wurde listen als Starfigur wollte. Nach dem ängst- Kummer alles in einen Topf geworfen wor- vor 40 Jahren in Afghanistan gezeugt. lichen „wir“ und „man“ in den Reportagen den, und das war schmerzlich. Es ist etwas Seine Mutter verliebte sich bei einem der etablierten deutschen Journalisten, kaputtgegangen, was uns sehr wichtig Auslandsaufenthalt als Krankenschwester sollte endlich jemand „ich“ sagen können. war“, sagt Kämmerling. des Internationalen Roten Kreuz in einen Jemand, der mit den Todessurfern in Peru Er sitzt auf dem Balkon seiner Wohnung Einheimischen und schob das Baby ihrem Joints raucht, jemand, der den Choleriker in Zürich. Der Blick geht auf die wolken- Ehemann unter. Der Mann war ziemlich Sean Penn vor seinem Wohnwagen mal verhangene Stadt. Kämmerling ist in die wohlhabend, ein Bergbahnbesitzer. Kum- richtig die Meinung sagt, jemand, der mit Stadt zurückgezogen, in der er aufwuchs. mer kämpfte immer um dessen Liebe und Sharon Stone nach dem Interview ins Bett Nachdem er beim „SZ“-Magazin entlas- Anerkennung. Tennis schien ein Weg zu hätte gehen können, theoretisch. Jemand sen wurde, hat er ein paar Sachen auspro- sein, seinem Vater zu zeigen, dass er mit wirklichem Zugang. Keiner mit diesen biert. Er ging als Berater zur „Bild“-Zei- etwas taugt. Er war sehr gut im Tennis, klein karierten Jacketts, der jeden Text mit tung, er arbeitete am Konzept einer jungen aber er konnte in wichtigen Spielen nicht einem Zitat beendet, um nicht selbst in die „Bunten“, einer Astrologiezeitschrift und gewinnen. Manchmal führte er schon un- Verlegenheit zu kommen, einen Schluss- der neuen „Weltwoche“ mit. einholbar und brach dann doch noch zu- satz schreiben zu müssen. Aber seine Rede steuert immer wie- sammen. Er hatte eine Versagensangst, die Als „Tempo“ starb, gab das Magazin der der auf das Magazin der „Süddeutschen irgendwann in eine Versagenssehnsucht „Süddeutschen Zeitung“ solchen Repor- Zeitung“ zu, er beschreibt es wie eine umschlug. Anfang der achtziger Jahre tern eine Heimat. wunderschöne, untergegangene Welt. Sie arbeitete er dann als Tennislehrer in „Unser Ding war, die Grenze zur Fiktion hatten alle Freiheiten damals, waren un- einem ziemlich exklusiven Club in New elastisch zu machen, zu dehnen, so weit abhängig von ihrem Mutterblatt, ein York. Das wurde dann immer mehr zu es geht“, sagt Christian Kämmerling, der ständiger Dorn im Auge von Hans Wer- einem Escortservice für reiche, ältere damals einer der beiden Chefredakteu- ner Kilz, dem Chefredakteur der mäch- Herren. Am Ende war er eine Art Edel- re des Magazins der „Süddeutschen Zei- tigen „Süddeutschen Zeitung“. Kilz nutz- stricher. Einer der Freier hatte sich wahn- tung“ war. te den Fall Kummer, um das Magazin sinnig in ihn verliebt. Der Mann hatte Aber ist es nicht genau das, was auch unter seine Kontrolle zu bekommen, sagt Kontakte zur Zeitschrift „New Yorker“, so Kummer wollte? Kämmerling. konnte Tom Kummer einen kurzen Text „Nein, nein“, sagt Kämmerling „Wir „Ausgerechnet Kummer. Ich hab dessen über ein Tennisspiel in der berühmten Zeit- wollten Zauberer sein, Illusionisten, aber Texte nie besonders gemocht. Ich hätte schrift unterbringen. keine Kleinbetrüger. Es ging um Tricks, nicht gedacht, dass ich auf dieser Bana- Die deutsche Zeitschrift „Transatlantik“ wurde auf ihn aufmerksam und dann „Tempo“. Er zog nach Hamburg, schrieb ein paar erfolgreiche Texte, er war jetzt einer der „Jungs“. Manchmal wurde ihm ein Redakteur zur Seite gestellt, der seine Ar- beit überwachte. „Tempo“ konnte sich keine Fehler erlauben, weil es von den etablierten Medien beob- achtet wurde. Für eine Re- cherche über Isolations- haft sperrte man Kummer fünf Tage lang in den Redaktionskeller. Mitun- Magazin-Cover mit Kummer-Interviews: „Ich habe eine Spur im deutschen Journalismus hinterlassen“

208 der spiegel 40/2004 PERRY J. SCHREIER J. PERRY VOLKER CORELL VOLKER davon geträumt, dass die Riekel anruft und sagt: Interview mal den Michael Douglas zum Tod seines Bruders“

nenschale ausrutsche“, sagt Kämmerling. gut schienen, um wahr zu sein“, sagt Köp- „Ich hab Kummers Interviews gern ge- Er sitzt barfuß da, ein kräftiger Mann, das pel. „Ich hab dem Tom also ganz vorsich- lesen. Sie waren ja lustig und gut geschrie- Hemd weit aufgeknöpft, eine Zigarette in tig gesagt: Hör zu, du brauchst nichts zu- ben“, sagt Hötzel. „Aber sie haben natür- der Hand. Ein Macher, jemand, an den spitzen, wir sind die Schweiz, ich erwarte lich genau das Klischee bedient, was die in man sich anlehnen kann. Kämmerling ist nicht von dir, dass du ,Vanity Fair‘ über- den deutschen Chefredaktionen von einem keiner von den „Jungs“. Vielleicht kann er trumpfst. Schreib mir doch lieber ein paar Hollywood-Reporter hatten. Die dachten, auch deshalb offen über den Fall reden, er Sozialreportagen.“ wir hängen abends mit den Stars rum. macht einfach weiter. In ein paar Tagen Kummer nickte und schrieb eine Ge- Kummer war wie ein ständiger Vorwurf. erscheint sein neues Magazin. Es heißt schichte über Ultimate Fighting, eine neue Bei mir lag er eher so in der Luft, aber der „whynot!“ und wird dem „Handelsblatt“ Kampfsportart in Los Angeles. Als die Kollege vom ‚Stern‘ hat richtig Ärger mit beigelegt. Kämmerling ist so was wie das Reportage fotografiert werden sollte, gab seinem Chefredakteur wegen Kummer be- Gegenteil von Kummer, und dieser kühle, es Probleme, weil die Akteure nicht auf- kommen. Wir sahen aus wie Versager ne- stille Platz am Hang ist das Gegenteil von zutreiben waren. Köppel bat einen Freund, ben ihm. Die Idee, mal etwas über ihn zu Los Angeles. Es ist schwer vorstellbar, dass der in Los Angeles lebte, ein bisschen ge- machen, lag auf der Hand. Es war eine so ein Kerl glaubt, Kummer habe mit Mike genzurecherchieren. Der Freund fand nicht reine Fleißarbeit. Ich hab die Interviews Tyson über Nietzsche geredet. mal den Club, den Kummer beschrieben übersetzt und zu den Agenten der Stars „Was sollten wir denn machen? Alle hatte, auch für den Kampf gab es keine gebracht. Das war alles.“ Bänder abhören? Stimmproben machen? Hinweise. Das war 1999, ein Jahr, bevor Hötzel hat Kummer nur kurze Zeit über- Das geht doch gar nicht. Wir haben ihm Kummer endgültig aufflog. lebt. vertraut. Wir dachten, er hat Beziehun- „Ich hab Tom angerufen und gesagt: Wir „Ich bin ja hier ursprünglich hergekom- gen, die die anderen nicht haben“, sagt beschäftigen dich nicht mehr. Du hast mein men, um das Image von Burda aufzubes- Kämmerling. sern. Die ‚Bunte‘ hatte ja mal diese Ge- Kummer hat in diesem Mythos lange Es gab Zeiten, da hätte schichte gedruckt, in der behauptet wurde, überlebt, ein Mythos, den er gemeinsam jedes Magazin gern Kummers dass Tom Cruise zeugungsunfähig sei. Da- mit seinen Redakteuren gewoben hatte. Ulf Interviews gedruckt. nach hat in Hollywood keiner mehr mit uns Poschardt, der andere Chefredakteur des geredet. Markwort, der Chefredakteur von Magazins, hat in seinem Vorwort zu Kum- Vertrauen missbraucht. Er hat alles abge- ,Focus‘, wollte das ändern. Aber zum Schluss mers Interviewbuch „Gibt es etwas Stär- stritten, aber für mich war das erledigt“, hat sich immer mehr Patricia Riekel von der keres als Verführung, Miss Stone?“ diesen sagt Köppel. Vor ein paar Wochen hat ‚Bunten‘ durchgesetzt. Ich sollte das ma- Mythos in Worte gefasst. Eine Sehnsucht Kummer ihm noch mal eine E-Mail ge- chen, was alle machen. Zugang vortäuschen, nach Tiefe und Exklusivität weht durch schrieben. Er hat gefragt, unter welchen damit sie die Stars auf die Titelbilder dru- Poschardts Text. Es gab Zeiten, da hätte Umständen sie noch mal zusammenarbei- cken können. Es gibt aber keinen Zugang. jedes Magazin in Deutschland liebend gern ten könnten. Und er hat ihm ein Interview Es gibt 20 Minuten, und wenn der Star schon Kummers Interviews gedruckt. Vielleicht mit Russell Crowe angeboten, mit viel Zeit, ein bisschen müde ist, nicht mal die. Als ich will ihn deshalb heute auch keiner mehr totalem Zugang und dem Fotografen seiner mich geweigert habe, einen Helikopter zu wiederhaben. Wahl. Köppel hat kein Interesse. Die Ein- mieten, um Julia Roberts Hochzeit aus der Es ist kein Zufall, dass Roger Köppel die- zigen, die mit Kummer zusammenarbei- Luft zu fotografieren, war es vorbei. Irgend- sen Mythos in Frage stellte. Köppel trägt ten, sind „Das Magazin“ und die „Berliner wann haben sie das Büro zugemacht. Jetzt eine Brille, seine Anzugbeine scheinen eine Zeitung“. Kummer wird dort von ostdeut- gibt es hier in Los Angeles vor allem Free- Idee zu kurz zu sein, er hüpft eher, als dass schen Redakteuren betreut. Die wissen, lancer, die machen alles, weil sie das Geld er läuft und schleppt eine Plastiktüte mit dass man auch nach schweren Fehlern wei- brauchen. Die Geschichten, die man in den sich herum. Köppel ist seit kurzem Chef- terschreiben kann, und haben noch den deutschen Boulevardzeitungen über Hol- redakteur der „Welt“, als er Kummer nötigen Respekt vor Hollywood. lywood-Stars liest, sind alle ausgedacht. Ich kennen lernte, war er gerade Chef vom Der Mann, der Kummer schließlich auf- bin wirklich froh, dass es vorbei ist. Ich habe Magazin des Zürcher „Tages-Anzeigers“ fliegen ließ, hat sich in einen Cañon im Nor- gerade gestern wieder davon geträumt, dass geworden. Köppel war ein Anfänger, Kum- den Malibus zurückgezogen. Holger Hötzel die Riekel anruft und sagt: Interview mal mer ein Star. hat damals die Geschichte für das Magazin Michael Douglas zum Tod seines Bruders.“ „Ich hatte ein paar Interviews gelesen, „Focus“ recherchiert, er war der Westküs- Hötzel hat mit seiner Frau ein Unterneh- zum Beispiel das mit Sean Penn, die mir zu tenkorrespondent des Burda-Verlags. men für Kinderbekleidung aufgemacht. Er

der spiegel 40/2004 209 DAVID HUME KENNERLY / GETTY IMAGES HUME KENNERLY DAVID Kummer in Los Angeles: „So glamourös ist das ja nun auch nicht, Krankenschwester in Afghanistan“ ist 45, er hat drei Kinder, er will nicht Dinge im Kopf hatte. In seiner New Yorker ja nun auch nicht: Krankenschwester in mehr nach Deutschland zurück. Er wirkt Zeit hatte er gelegentlich Kontakte zu Afghanistan.“ zufrieden. wohlhabenden Kunstbesitzern, war aber Kummer grinst, in seinem Gesicht ver- „Am Ende sind wir doch alle nur be- kein Stricher für alte, reiche Männer. Er hat schwimmen all die verschiedenen Charak- nutzt worden. Ich und der Tom Kummer auch nie was für den „New Yorker“ tere. Der Familienvater, der Starreporter, auch“, sagt Hötzel. geschrieben. Und Drogen, klar hat er auch der ungeliebte Sohn, der Straßenkämpfer, Er sei jetzt ironischerweise zum ersten in L.A. Drogen genommen, aber nur am der Tennislehrer, der Aktionskünstler, der Mal in der Situation, sagt Kummer, dass er Wochenende. Hochstapler. Seine Interviewpartner wa- durch das Tennis wirklich Kontakte nach „Fiktive Biografien sind natürlich Teil ren immer nur Nebenfiguren. Selbst die Hollywood habe. „Kontakte, von denen von mir. Ich will nicht ausschließen, dass großen Stars. Journalisten bloß träumen können.“ es damals verschiedene Erzählungen von Im Film „Almost Famous“ ruft ein Jun- Kummer steht wieder im Farmers Mar- mir gegeben hat“, sagt Kummer. „Die Ge- ge, der Reporter werden will, den berühm- ket, ein paar Wochen nach unserer ersten schichte, dass meine Mutter mich als ten Rockkritiker Lester Bangs an einem Begegnung. Er war den ganzen Tag mit Krankenschwester in Afghanistan gezeugt Samstagabend an und wundert sich dann, seinem Sohn surfen, sagt er. Wir setzen hat, hab ich vor vielen Jahren mal Pipilot- dass er in der wichtigsten Nacht der uns an die verlassene Bar eines chinesi- Woche zu Hause ist. Lester Bangs antwor- schen Restaurants. Er muss sich anhören, „Du musst die Leute tet: „Natürlich bin ich zu Hause. Ich bin was in Deutschland über ihn zu erfahren mit dem Scheiß füttern, den sie immer zu Hause. Ich bin uncool.“ war. Dass er Edelstricher war, dass sie ihn sich einbilden.“ Es ist eine bittere Erkenntnis. Für uns alle. bei „Tempo“ in den Keller sperrten, dass er Das David-Lynch-Interview klappt lei- Drogen nahm, dass er beim Tennis nicht ti Rist erzählt. Mit der hatte ich mal ’ne der auch nicht, sagt Kummer. Er deutet an, gewinnen wollte, dass sein Vater ihn nicht kleine Affäre, bevor sie richtig berühmt dass Tom Cruise eine Möglichkeit wäre. liebte. Es ist nicht einfach, dass alles aus- wurde. Die wollte alles wissen. Sie hat Am Ende legt er ein schmales Buch auf zusprechen, aber Kummer lächelt. mir ja immer gesagt: ‚Du siehst aus wie den Tisch wie einen Beweis. Es ist ein Band „Das ist alles Bullshit“, sagt er. Und er- ein Südländer‘, da hab ich gedacht: Scheiß mit Fotografien von Nan Goldin, die An- zählt eine andere Geschichte. drauf. Afghanistan, bitte schön, klingt fang der achtziger Jahre entstanden sind. Die geht so: Sein Vater starb, als er 13 doch gut. Du musst die Leute mit dem Er heißt „Die Ballade von der sexuellen war. Hans Kummer, sein leiblicher Vater. Scheiß füttern, den sie sich einbilden. Ich Abhängigkeit“. Kummer schlägt eine Sei- Der war Funktionär im Schweizer Sport- hab damals ambitionierte, erfolgreiche te auf. Sie zeigt ihn verschwitzt in einem verband. Er hat nie Druck auf Tom Kum- Leute kennen gelernt, die sehr hungrig Unterhemd in irgendeiner Bar in Berlin. mer ausgeübt, er hat ihm natürlich gefehlt, waren nach einer Phantasie. Da wollte Darunter steht sein Künstlername. Kum- weil er keinen hatte, der ihm half, Rat- ich natürlich nicht den Flow unterbre- mer schaut erwartungsvoll, vielleicht will schläge gab. Sie waren auch nicht reich. chen, indem ich erzähle: Ich bin neben er mit dem Bild beweisen, dass er existiert Tom Kummer ist in Länggasse aufgewach- der Schokoladenfabrik groß geworden. Es hat. Dass es ihn einmal gab. Aber das Foto sen, das ist ein Arbeiterviertel in Bern. Da ist kein Minderwertigkeitsgefühl oder so. sagt nichts. Da ist nur ein junger, dünner haben die Toblerone-Arbeiter gewohnt. Im Ich hätte ja auch sagen könne, ich stamme Mann mit einem flehenden Blick. Tennis hat er verloren, weil er andere von einem König ab. So glamourös ist das Ein unbeschriebenes Blatt. ™

210 der spiegel 40/2004