Medien STARS Der Hollywood-Reporter Die Sehnsucht deutscher Medien nach Geschichten über Filmstars ist immer größer als die Geschichten der Stars, und darum wird aufgebauscht und gefälscht. Keiner weiß das besser als Tom Kummer, der berühmt wurde, weil er Interviews mit Prominenten erfand. Von Alexander Osang DAVID HUME KENNERLY / GETTY IMAGES HUME KENNERLY DAVID Journalist Kummer in Los Angeles: „Alle, die mit mir zu tun hatten, wussten, dass ich mit dem Feuer spiele“ or ein paar Monaten bot Tom Kum- ge, die ihm gelegentlich aus der Nase hän- SPIEGEL, warum nicht? Vielleicht schie- mer an, gemeinsam mit ihm den gen. Weil sonst kein deutscher Hollywood- nen Kummer vier Jahre eine angemessene VSchauspieler Russell Crowe zu in- Korrespondent solche offenen Interviews Strafe für seine Verbrechen zu sein. Es war terviewen. Es gebe totalen Zugang und viel bekam, recherchierte ein Reporter des Ma- ja nicht klar, welche Art Verbrechen er Zeit, schrieb er in einer E-Mail. Wir dürf- gazins „Focus“ Kummer hinterher und stell- eigentlich begangen hatte. Es war nie juris- ten einen Fotografen unserer Wahl mit- te fest, dass der sich mit vielen Stars nie ge- tische Anklage gegen ihn erhoben worden. bringen und könnten das Interview dann troffen hatte. Es gab einen kurzen Aufschrei War er eine Art Heiratsschwindler? Ein im SPIEGEL veröffentlichen. in der deutschen Medienlandschaft, die Hütchenspieler aus Hollywood? Ein Robin Es war ein überraschendes Angebot. „Süddeutsche Zeitung“ fiel auf die Knie, Hood der Celebrity-Presse? Russell Crowe gilt als einer der medien- sie veröffentlichte auf einer Doppelseite eine Auf dem Foto im „Magazin“ sieht man scheusten Schauspieler der Welt. Und das Chronik ihrer Versäumnisse und entließ die einen kahl geschorenen Kopf, der zur Hälf- war ja nicht alles. beiden Chefredakteure ihres Magazins. te von einer riesigen Sonnenbrille verdeckt Tom Kummer ist der Schweizer Journa- Tom Kummer selbst war zunächst ver- wird. Es erinnert an Aufnahmen der späten list, der vor vier Jahren berühmt wurde, als schwunden. Greta Garbo. Ein Phantom. herauskam, dass er eine Reihe von Inter- Er gab ein paar verwirrende Interviews Der Tom Kummer, der im Farmers Mar- views mit verschiedenen Hollywood-Stars und veröffentlichte in der kleinen Berliner ket in Los Angeles wartet, wirkt unspek- erfunden hatte. In den Gesprächen, die vor Zeitschrift „Das Magazin“ eine Hand voll takulärer. Er wollte sich in dem familien- allem das Magazin der „Süddeutschen Zei- Kurzgeschichten. Zur ersten Kurzgeschich- freundlichen Einkaufspark treffen, neben tung“ druckte, redete Kummer mit Mike te erschien ein kleines Foto von ihm. ihm steht ein blonder, sechsjähriger Junge, Tyson über Nietzsche, mit Courtney Love Jetzt wollte Tom Kummer offenbar wie- sein Sohn, leicht hinter ihm seine Frau, die über ihre Brüste und mit Brad Pitt über Din- der zurück ins Licht. Russell Crowe im das zweite Kind, ein Baby noch, in einem 206 der spiegel 40/2004 Tuch vor der Brust trägt. Kummers Kopf der ein Stipendium in New York gewon- bedecken jetzt viele kleine dunkle Locken. nen hatte. Er nannte sich „Scapoda“ und Er trägt Shorts und ein buntes, kurzärm- machte Aktionen, beispielsweise zündete liges Hemd, er ist braun gebrannt, er er die Berliner Mauer an. Einmal fuhr er wackelt mit den Armen und lächelt. Er hat aus Versehen bei Glatteis in Bayern den jetzt ein richtiges Leben, heißt das. Mercedes eines Freundes gegen einen Was hat er in den vergangenen vier Jah- AP Baum und stellte ihn später als Objekt in ren gemacht? „Tennis gespielt“, sagt Kum- Mike Tyson einer Galerie in Mönchengladbach aus. mer. „Paddle-Tennis, das ist eine Art Klein- Sein journalistisches Leben begann bei feldtennis. Im Herbst 2000 hab ich als „Tempo“, dem jüngsten und aufregendsten Coach in so einem privaten Club in Santa deutschen Magazin der späten achtziger Monica, angefangen, da sind alle wichtigen Jahre. Die erste Reportage, die er für Leute der Immobilienbranche von Los „Tempo“ schrieb, war ein Porträt des Angeles Mitglied. Ich war ja ein Top-Ten- Schweizer Skifahrers Pirmin Zurbriggen. Tennisspieler in der Schweiz. Für die Leu- Kummer fuhr vor Wettkampfbeginn eine te in Santa Monica war ich was Exotisches. Weltcup-Abfahrtsstrecke herunter, um zu Ich hab 30 Stunden die Woche gegeben, oft empfinden, was Zurbriggen empfindet, und 8 Stunden am Tag gespielt. Ich glaub, ich verlor so seinen noch frischen Presseaus- bin mit der einzige Paddle-Tennis-Pro, der weis. Einmal sollte er für „Tempo“ recher- wirklich davon leben kann“, sagt Kummer. chieren, wie leicht es ist, Drogen in Hat er nie daran gedacht, ein Buch zu Deutschland zu besorgen. Er fuhr mit ei- schreiben, wie all die berühmten Fälscher nem BMW-Mietwagen durchs Land und im amerikanischen Journalismus? PRESS / ACTION NEWS + PICTURES SPLASH kaufte für 10000 Mark Kokain, LSD, Mes- „Ich war zu müde abends. Und ich hab Courtney Love kalin, Speed und Marihuana ein. Die Re- auch nie den richtigen Sound gefunden“, daktion nahm das Zeug dann in den fol- sagt Kummer. Wir sitzen an einem langen genden Wochen selbst, das Stück wurde Holztisch im Farmers Market, die Händler nie geschrieben. in den Buden packen zusammen, es wird Es ist ein aufregendes Leben, aus dem er langsam dunkel, seine Frau ist mit den Kin- berichtet. Es klingt mehr wie ein Entwick- dern nach Hause gefahren. lungsroman als eine Biografie. „Und die Leute, mit denen ich darüber „Das Interview mit Russell Crowe klappt hätte reden können, erreichte ich nicht leider nicht“, sagt er irgendwann leise. Für mehr. Die haben mich fallen lassen, mein einen Moment schaut er wie ein geprügel- Agent hat mir ein Fax geschickt. Auf dem ter Hund. Er erzählt was von einem Agen- stand, ich hätte die Definition von Freund- ten, der ihn im Stich gelassen hat. David schaft verletzt. Am Ende denkt jeder nur DPA Lynch könnte er stattdessen anbieten. Kum- an sich selbst. Den Jungs geht’s doch allen Sean Penn mer redet von einem Einsatz im ersten gut. Die sind alle wieder untergekommen Golfkrieg, wo er eine Woche lang mit an- in den Medien. Es hat niemand angerufen. deren Reportern im Hotel Intercontinental Ich hab angerufen, aber keiner wollte sich in Amman saß und begriffen habe, „dass es mit mir treffen.“ keinen Zugang zur Wirklichkeit mehr gibt“. Wir fahren durchs nächtliche Los Ange- War ihm nicht klar, dass irgendwann les, Kummer erzählt über die Stadt, die alles auffliegt? Kultur, die Veränderung, die Palmen, die „Die Interviews haben ja stattgefunden, Stars, die Verbrecher, er erzählt wie ein bis auf die letzten drei oder vier, die ich mir alternativer Stadtführer. Er ist 1993 hierher dann im Wahn komplett ausgedacht habe“, gegangen, weil es der Bruch war, den er sagt er. „Ich hab auch immer gedacht, ich suchte, sagt er. New York war ihm zu eu- mach ein supergutes Piece, das beste In- ropäisch, zu sehr achtziger Jahre, was im- terview, das man sich vorstellen kann. Ich mer das bedeutet. Es gibt wenige Städte, in habe ja Bänder von Interviews, aber das denen man so vereinsamen kann wie in waren ja nur Produkte dieses absurden Los Angeles, alle sitzen in Autos oder hin- FRED PROUSER / REUTERS Aufeinandertreffens von Stars und Jour- ter Zäunen. Sein ganzes Leben lang schon Sharon Stone nalisten. Völlig uninteressant.“ fühle er sich von Feinden umgeben, sagt er. Er habe sich nie als Journalist verstan- Kurz nach Mitternacht sitzen wir in ei- den, sagt er, er habe eher Samplings ange- ner handtuchschmalen Bar in Koreatown. fertigt als klassische Interviews, er habe Kummer erzählt, wie er hier eines Nachts Hollywood die Maske vom Gesicht geris- während einer Schießerei saß. Er be- sen, er habe nur das geliefert, was alle schreibt die Flugbahn der Kugel, parallel haben wollten. Keine Reue, keine Ent- zum Tresen, an dem er damals saß. Sie schuldigung, keine Erklärung. kann ihn nur knapp verfehlt haben. „Alle, die mit mir zu tun hatten, Kummer kann sein Leben aus solchen wussten, dass ich mit dem Feuer spiele“, Geschichten zusammenfügen, eine schöner sagt er. „Ich habe ein Recht zu schreiben. als die andere: Mit 17 spielte er in Bern Ich bin nicht nur ein Fälscher. Ich habe Tennis und war gleichzeitig in einer Art an- REUTERS eine Spur im deutschen Journalismus archistischen Kunstszene unterwegs. Kurze Michael Jackson hinterlassen.“ Zeit war er Fahrer des brasilianischen Bot- Begehrte Interviewpartner Da hat er wohl Recht, aber es ist schwer, schafters in der Schweiz. Irgendwann zog er Absurde Treffen mit Journalisten ihr zu folgen. Die meisten Leute, die mit nach Berlin in die Wohnung eines Malers, Tom Kummer zu tun hatten, wollen nicht der spiegel 40/2004 207 Medien mehr über ihn reden, oder wenn, nur in ter scheint es, als hätten sie mit ihm expe- Hintergrundgesprächen. Es sind die Män- rimentiert wie mit einem wilden Tier. 1990, ner, die Tom Kummer „die Jungs“ nennt, nachdem Markus Peichl, der Mann der das Netz, das ihn lange hielt. Einige von „Tempo“ gründete und leitete, gefeuert ihnen klingen gelangweilt, wenn man sie worden war, verlor Tom Kummer den Kon- nach ihm fragt, manche alarmiert. Für ei- takt zur Redaktion. Der spätere Chefre- nige scheint der Fall zu lange zurück- dakteur Michael Jürgs traute Kummer zuliegen, für andere ist er noch zu frisch. nicht und trennte sich von ihm Anfang der Einer sagt: „Kummer? Über den ist doch neunziger Jahre. alles geschrieben. Das ist ein Kleinkrimi- Kummer begann, Reportagen für ver- neller.“ Ein anderer sagt: „Tom Kummer schiedene Magazine zu schreiben. Sie führ- ist ein Dostojewskischer Charakter. Der ten die Leser oft in schwer zugängliche, zieht irgendwann jeden Kollegen, den er menschenleere Gegenden der Welt, an die berührt, mit sich in den Abgrund.“ verlassene peruanische Küste bei Sonnen- Aber alle, selbst die, die nicht reden wol- untergang, in das gesetzlose Rostow am len, haben irgendwas zu sagen. Es sind Don, in chilenische Vorstädte oder an den Gerüchte, Erinnerungen, man kann ihre Rio Grande.
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