Absturz Eines Märchenerzählers

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Absturz Eines Märchenerzählers Medien Hollywoods kleine Schummeleien „gerne toleriert“. Schlussfolgerung: „Hier sind JOURNALISTEN Grenzen in Bewegung geraten. Kummer aber hat Grenzen klar überschritten.“ Da ächzt der Ethik-Grenzschützer. Absturz eines Wahr ist, dass Kummers Dauererfolg mit dem komplizierten PR-System von Holly- wood zu tun hat: Dort hält sich jeder Star Märchenerzählers einen eigenen Pressesprecher, einen so ge- nannten Publicist. Der handelt mit den Filmverleih-Firmen Termine für Einzel- Jahrelang machte der Schweizer Reporter Tom Kummer mit und Gruppeninterviews aus – und erlässt Star-Interviews Furore. Viele waren erfunden – und oft genug Sprechverbote über Unange- nehmes wie private und künstlerische Plei- seine Abnehmer nahmen den Schwindel ohne Nachfragen in Kauf. ten. Die Folge ist häufig: vorhersehbare Fragen, routinierte Antworten. Kummers ourtney Love sinnierte über ihre Büh- Lügenmärchen und zeigte etwa den afrika- offenbar häufig fiktive Interviews gehör- nenauftritte: „Ich spiele mit meinen nischen Ex-Despoten Idi Amin beim Was- ten zu den glitzernden Ausnahmen. CBrüsten, um so eine Art Ekel zu de- serskifahren am Gardasee. Solche Schwin- Deutsche Redaktionen melden ihre monstrieren, nicht um zu protzen.“ deleien, die aber meist auf den zweiten Interviewwünsche meist bei Agenturen an, Demi Moore riet: „Die Leute sollten sich Blick als solche zu erkennen sind, gehören die von den deutschen Filmverleihern be- öfters mal für eine Abreibung mit Meersalz nach dem Verständnis der Magazin-Macher schäftigt werden, die leiten sie nach entscheiden.“ zum humoristischen Stil ihres Blattes. Amerika weiter und handeln Zeiten und Johnny Depp klagte über „die tragische Ungleich weniger Spaß versteht man bei Bedingungen aus. Und weil nur wenige Seite von Hollywood“. Dort werde „sehr der „Süddeutschen“, deren Redakteure sich Redaktionen wie der SPIEGEL den zum viel Talent plötzlich von sehr wenigen Leu- Abdruck bestimmten Inter- ten in sehr kurzer Zeit zerstört“. viewtext vom Gesprächs- Solche Dinge erzählten die partner oder dessen Me- Großen der amerikanischen diengehilfen noch einmal Showbranche in den Inter- autorisieren lassen, verlieren views von Tom Kummer, 37, auch die superprofessionel- einem Schweizer Reporter in len Hollywood-Publicists im Los Angeles. Seine oft lustigen transatlantischen Hin und Gespräche wurden abgedruckt Her leicht den Überblick, im „SZ-Magazin“, im „Magazin“ wer nun wen interviewt hat. des Züricher „Tages-Anzeigers“ Belegexemplare werden oft und im „Zeit-Magazin“. ungelesen abgeheftet. Einige Doch nun sieht es so aus, als habe Journalisten sind zudem sich Kummer viele der Star-Inter- schon so lange in Holly- views einfach ausgedacht. Die Schwei- wood, dass sie direkten Kon- zer „Wochenzeitung“ und der Münch- takt zu den Stars haben und ner „Focus“ schrieben auf, was sich in den Publicist nicht erst an- der Branche viele erzählten – spätes- rufen. Kummer hat behaup- tens, seit „SZ-Magazin“ und „Ma- tet, einer von ihnen zu sein. gazin“ sich im Frühjahr vergange- Aufgeflogen war der nen Jahres von Kummer trennten. D. MAYR Journalist durch ein Inter- Peinlich ist die nun öffentlich gemachte „SZ-Magazin“-Chef Poschardt, -Titel: Auf der Borderline view mit der 20-jährigen Kummer-Luftnummer vor allem fürs „SZ- Hollywood-Schauspielerin Magazin“ und deren Mutterblatt, die „Süd- traditionell gern als Hüter des ethisch su- Christina Ricci. Die gilt als besonders deutsche Zeitung“. prasauberen Journalismus aufspielen. Zu- schwieriger Star; Kummer aber bot dem Beim „SZ-Magazin“, das gerade sein mal auf der Medienseite des Blattes geißelt „SZ-Magazin“ anlässlich des Films „The zehnjähriges Bestehen feierte, pflegt man – gern ein Häuflein tapferer Aufrechter jeden Opposite of Sex“ im Februar 1999 ein wun- vielfach preisgekrönt – eine bunte Mi- echten oder vermeintlichen Verstoß gegen derbar offenherziges Ricci-Gespräch an. schung aus Unterhaltung, Reportage und die Regeln journalistischer Moral. Doch der Fotograf, mit dessen Aufnahmen Interview, die nicht selten die Grenzen zwi- Am Donnerstag vergangener Woche, als das Interview illustriert werden sollte, zog schen Satire und Journalismus, Fiktion und es über den Fall Kummer in quasi eigener seine Bilder zurück. Christian Kämmer- Realität entschlossen verwischt. Zum „Bor- Sache zu berichten galt, machten sich die ling, 46, einer der beiden Chefredakteure derline-Journalismus“ bekennt sich denn Aufrechten sichtlich krummbeinig ans des „SZ-Magazins“, verlangte vergeblich auch der Co-Chefredakteur des „SZ-Ma- Werk. Da war die Rede davon, für die Zu- von Kummer, ihm die Tonbänder des In- gazins“, Ulf Poschardt, 33, heiter – etwa kunft „neue Sicherheitsstandards zu dis- terviews zu schicken. wenn, wie erst vor wenigen Wochen, die kutieren“, und „Süddeutsche“-Chefre- Kämmerling alarmierte Roger Köppel, weitgehend erfundene Geschichte über dakteur Hans Werner Kilz, 56, ließ sich den Chef des gleichfalls regelmäßig von eine per Ferndiagnose ermittelte mögliche mit dem Satz zitieren: „Ich bedaure sehr, Kummer belieferten Schweizer „Maga- Erbkrankheit des Hannover-Prinzen Ernst dass im ‚SZ-Magazin‘ Texte von Kummer zins“. Beide Magazine beendeten ihre Zu- August auch von den Kollegen der „Bild“- erschienen sind.“ Daneben aber führte die sammenarbeit mit Kummer. Zeitung nicht sofort als Münchhausiade er- „SZ“-Medienredaktion auch allerhand Das Ricci-Interview erschien trotzdem kannt worden war (SPIEGEL 17/2000). qualmige Rechtfertigungen für den Ab- noch: im April 1999 in der Schweizer Eine „SZ-Magazin“-Ausgabe aus dem druck der Kummerschen Fantasy-Inter- Frauenzeitschrift „Annabelle“ und, leicht Jahr 1997 bestand fast komplett aus dreisten views an. So würden im Mediensystem gekürzt, im August in „Amica“. Ausge- 108 der spiegel 21/2000 Medien rechnet Riccis Filmverleih, der nie einen Termin für Kummer vereinbart hat, habe ihn erst auf das Interview aufmerksam ge- „Implosion des Realen“ macht und einen Nachdruck angeregt, er- innert sich der „Amica“-Chefredakteur Tom Kummer über fingierte Interviews mit Hollywood-Stars Nikolas Marten. und sein Verständnis von „Borderline-Journalismus“ Nun bestreiten auch die PR-Agenten der angeblichen Kummer-Interviewpart- keit habe. Ich gehe davon aus, dass die ner Sharon Stone, Courtney Love, Kim Leute wissen, was sie tun, wenn sie mit Basinger, Brad Pitt und Pam Grier, dass mir in Kontakt treten. Meine Arbeit hat der Schweizer mit ihren Klienten exklusi- süchtig gemacht: Die Leute wollten im- ve Interviews geführt habe. mer mehr Stoffe von mir haben. Star-Gespräche begründeten Kummers SPIEGEL: Bei „Marie Claire“ zum Beispiel Ruhm. Was im „SZ-Magazin“ auffiel, hatte man Zweifel, ob Ihr Bruce-Willis- brachte Kummer bald rund zwei Dutzend Interview wirklich stattgefunden hat. Abnehmer unter deutschsprachigen Me- Kummer: Hat es. Amerikanische Kolle- dien. Darunter „Stern“, „Woche“, „FAZ“ gen haben es auf seiner Farm geführt. und auch der SPIEGEL. Für SPIEGEL und SPIEGEL: Ihre Fälschungen sind auch ein „SPIEGEL special“ hat Kummer zwischen P. J. SCHREIER J. P. Angriff auf die Arbeit Ihrer Kollegen, 1993 und 1997 insgesamt vier Berichte ver- Reporter Kummer die sich im schwierigen Starsystem fasst – der Fotograf Axel Koester bestätigt je- „Meine Arbeit hat süchtig gemacht“ Hollywoods um redliche und spannende doch, dass Kummer etwa für die „special“- Interviews bemühen. Reportage über das Gefängnis San Quentin SPIEGEL: Herr Kummer, haben Sie die Kummer: Ich glaube, es ist unmöglich, in mit den zitierten Personen wirklich gespro- Stars, mit denen Sie Interviews veröf- einem Interview, das von einem Presse- chen hat. fentlicht haben, auch tatsächlich be- agenten organisiert und kontrolliert wird, Doch wie konnte jemand jahrelang mit fragt? Wirklichkeit wiederzugeben. Gut, es tut spektakulären Interviews Furore machen, Kummer: Diese Frage ist mir zu ein- mir schon leid für die Kollegen, dass mei- die er möglicherweise komplett erfunden dimensional. Jedenfalls sind meine In- ne Gespräche schillernder daherkamen. hat? Die einfachste Antwort lautet: Dank terviews ein Werk der Montage, für das Aber ich bin auch das Risiko eingegan- seiner Chuzpe. Viele im oft harten Inter- ich mich verschiedener Quellen bedie- gen, dass die Dinge so passieren, wie sie view-Zweikampf erprobte Kol- ne. Für mich gehört das zu meinem Ver- nun passiert sind, und legen mussten sich wie Trottel ständnis von Journalismus, einer Art dass man mich miss- vorkommen, wenn ihre Chef- „Borderline-Journalismus“, wie es Ulf versteht. redakteure – wie offenbar in Poschardt mal genannt hat. SPIEGEL: Meinen Sie da- mehreren Redaktionen ge- SPIEGEL: Was soll das sein? mit auch die Stars? Court- schehen – fragten: Wenn Kummer: Mir ging es immer darum, die ney Love ist angeblich ent- man mit den Stars auch so Definition, was Realität ist und was setzt über das, was Sie ihr reden kann, warum zum Fiktion, in Frage zu stellen. Wenn ich in den Mund gelegt haben. Teufel gelingt das unse- schreibe, beginnt eine Implosion des Kummer: Damit muss ich ren Leuten nicht? Realen. Das „SZ-Magazin“ hat mir die leben. Ich denke aber, „SZ-Magazin“-Chef Möglichkeit gegeben, diesen Borderline- wenn man einen Star gla- Kämmerling befürchtet Journalismus zu betreiben. Ich wollte mouröser und intelligenter er- nun, dass Kummer das die Medientheorie erweitern und dem scheinen lässt, beweist das Markenzeichen seines Magazin Schillerndes abliefern. Respekt für sein Werk. Blattes schwer beschä- SPIEGEL: Also haben Sie einfach die Stars SPIEGEL: Sie haben auch die digt habe – und musste schillernder gemacht, als sie sind? Leser
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