Medien

rechnet Riccis Filmverleih, der nie einen Termin für Kummer vereinbart hat, habe ihn erst auf das Interview aufmerksam ge- „Implosion des Realen“ macht und einen Nachdruck angeregt, er- innert sich der „Amica“-Chefredakteur Tom Kummer über fingierte Interviews mit Hollywood-Stars Nikolas Marten. und sein Verständnis von „Borderline-Journalismus“ Nun bestreiten auch die PR-Agenten der angeblichen Kummer-Interviewpart- keit habe. Ich gehe davon aus, dass die ner , , Kim Leute wissen, was sie tun, wenn sie mit Basinger, und Pam Grier, dass mir in Kontakt treten. Meine Arbeit hat der Schweizer mit ihren Klienten exklusi- süchtig gemacht: Die Leute wollten im- ve Interviews geführt habe. mer mehr Stoffe von mir haben. Star-Gespräche begründeten Kummers SPIEGEL: Bei „Marie Claire“ zum Beispiel Ruhm. Was im „SZ-Magazin“ auffiel, hatte man Zweifel, ob Ihr Bruce-Willis- brachte Kummer bald rund zwei Dutzend Interview wirklich stattgefunden hat. Abnehmer unter deutschsprachigen Me- Kummer: Hat es. Amerikanische Kolle- dien. Darunter „Stern“, „Woche“, „FAZ“ gen haben es auf seiner Farm geführt. und auch . Für SPIEGEL und SPIEGEL: Ihre Fälschungen sind auch ein „SPIEGEL special“ hat Kummer zwischen

P. J. SCHREIER J. P. Angriff auf die Arbeit Ihrer Kollegen, 1993 und 1997 insgesamt vier Berichte ver- Reporter Kummer die sich im schwierigen Starsystem fasst – der Fotograf Axel Koester bestätigt je- „Meine Arbeit hat süchtig gemacht“ Hollywoods um redliche und spannende doch, dass Kummer etwa für die „special“- Interviews bemühen. Reportage über das Gefängnis San Quentin SPIEGEL: Herr Kummer, haben Sie die Kummer: Ich glaube, es ist unmöglich, in mit den zitierten Personen wirklich gespro- Stars, mit denen Sie Interviews veröf- einem Interview, das von einem Presse- chen hat. fentlicht haben, auch tatsächlich be- agenten organisiert und kontrolliert wird, Doch wie konnte jemand jahrelang mit fragt? Wirklichkeit wiederzugeben. Gut, es tut spektakulären Interviews Furore machen, Kummer: Diese Frage ist mir zu ein- mir schon leid für die Kollegen, dass mei- die er möglicherweise komplett erfunden dimensional. Jedenfalls sind meine In- ne Gespräche schillernder daherkamen. hat? Die einfachste Antwort lautet: Dank terviews ein Werk der Montage, für das Aber ich bin auch das Risiko eingegan- seiner Chuzpe. Viele im oft harten Inter- ich mich verschiedener Quellen bedie- gen, dass die Dinge so passieren, wie sie view-Zweikampf erprobte Kol- ne. Für mich gehört das zu meinem Ver- nun passiert sind, und legen mussten sich wie Trottel ständnis von Journalismus, einer Art dass man mich miss- vorkommen, wenn ihre Chef- „Borderline-Journalismus“, wie es Ulf versteht. redakteure – wie offenbar in Poschardt mal genannt hat. SPIEGEL: Meinen Sie da- mehreren Redaktionen ge- SPIEGEL: Was soll das sein? mit auch die Stars? Court- schehen – fragten: Wenn Kummer: Mir ging es immer darum, die ney Love ist angeblich ent- man mit den Stars auch so Definition, was Realität ist und was setzt über das, was Sie ihr reden kann, warum zum Fiktion, in Frage zu stellen. Wenn ich in den Mund gelegt haben. Teufel gelingt das unse- schreibe, beginnt eine Implosion des Kummer: Damit muss ich ren Leuten nicht? Realen. Das „SZ-Magazin“ hat mir die leben. Ich denke aber, „SZ-Magazin“-Chef Möglichkeit gegeben, diesen Borderline- wenn man einen Star gla- Kämmerling befürchtet Journalismus zu betreiben. Ich wollte mouröser und intelligenter er- nun, dass Kummer das die Medientheorie erweitern und dem scheinen lässt, beweist das Markenzeichen seines Magazin Schillerndes abliefern. Respekt für sein Werk. Blattes schwer beschä- SPIEGEL: Also haben Sie einfach die Stars SPIEGEL: Sie haben auch die digt habe – und musste schillernder gemacht, als sie sind? Leser über die Echtheit Ih- gerade erst einen ande- Kummer: Was ein Star unter PR-Kontrol- rer Interviews getäuscht. ren Schlag für den Bor- le sagt, beleidigt den klugen Menschen. Kummer: Leser meiner Ge- derline-Journalismus des Ich wollte etwas anderes machen als all neration wollen unterhal- „SZ-Magazins“ verkraften. jene, die sich damit abgefunden haben, ten werden: Entertain me. Im Heft zum Zehn-Jahre- PR-Journalismus zu betreiben. SPIEGEL: Bedauern Sie es, Jubiläum hatten die Münch- SPIEGEL: Wussten die Chefredakteure des dem „SZ-Magazin“ und ner Grenzgänger auf „SZ-Magazins“, dass es sich um Monta- den anderen Blättern Scha- vielen Seiten eine Ju- gen handelt? den zugefügt zu haben? Kummer-Texte in Zeitschriften belfeier der Redaktion Kummer: Ich war der radikalste Vertreter Kummer: Ich habe dem „SZ- „Hollywoods tragische Seite“ abgebildet – mit allerlei des Borderline-Journalismus, und das Magazin“ lange zu einem ins Partyvolk ein- war, glaube ich, jenen klar, die mich zum sehr guten Image verholfen. Was jetzt montierten Köpfen fiktiver Gast-Promi- Markenzeichen ihrer Publikation ge- geschieht, bedaure ich. nenter von Madonna bis Bill Clinton. macht haben. SPIEGEL: Die Chefredakteure des „SZ- Zumindest eines der Fake-Bilder fand die SPIEGEL: Sind Sie der Ansicht, auch die Magazins“ distanzieren sich jetzt von Chefredaktion aber dann doch unpassend – Chefredaktionen von „Marie Claire“ Ihnen. Fühlen Sie sich verraten? und tauschte das Bild im letzten Moment oder „Annabelle“ hätten wissen müssen, Kummer: Die Chefredaktion wollte mit gegen eine Saunaszene mit Lothar Matthäus dass es sich bei Ihren Interviews um meiner Arbeit Zeichen setzen. Aber mir aus. Die französische Druckerei beließ es Montagen handelt? war klar, dass man mich bewusst auf Dis- aber bei der alten Bildunterschrift. Alle Kummer: In meinem Roman „Good Mor- tanz hält, weil man mir keinen festen Hefte wurden eingestampft. Die verspätete ning Los Angeles“ kann jeder nachlesen, Vertrag geben wollte. Auslieferung wurde – kleiner Schwindel – was ich für einen Begriff von Wirklich- Interview: Marianne Wellershoff mit dem Druckerstreik in Deutschland be- gründet. Wolfgang höbel, Meike Schnitzler

110 der spiegel 21/2000