Asiaten sehen Asiaten

Die Region als Teil nationaler Identität in und Südostasien am Ende des 19. Jahrhunderts – Wechselseitige Wahrnehmungen

I. EINLEITUNG...... 5 A. Der Sieger von 1905 – Initialzündung südostasiatischer Dekolonisation? ...... 5 B. Operationalisierungen: Raum und Begriff...... 11 C. Forschungsstände, Quellen und Ergebnisse dieser Arbeit...... 17 i. Japanische Asien- und Süd [nanyô] - Wahrnehmung ...... 17 ii. Philippinische und vietnamesische Japan- und Asienwahrnehmung...... 27 iii. Quellen und Ergebnisse dieser Arbeit...... 34 D. Diskurs und Wissen...... 37 E. Terminologische Klärungen: Definitionen und Begrenzungen ...... 39 F. Vorgehen...... 42

II. JAPANISCHE ASIEN-, PHILIPPINEN-, VIETNAM- UND ‚SÜD’-BILDER ...... 45

1. Asienbilder...... 45 A. Südostasien – Fehlanzeige eines historischen Raumkonzeptes...... 45 B. Historischer Hintergrund ...... 48 C. Reformpolitik und das Verhältnis zu China ...... 52 i. Japan avanciert zum ‚westlichen‘ Vertragsstaat ...... 52 ii. Kulturkritik an China ...... 55 iii. Kurze Zusammenfassung...... 62

D. Neuvermessung: aus kanjibunkaken wird アジア [{ajia} Asien]...... 63

i. Adaption europäischer Geschichtsnarrative...... 63 ii. ‚Asien’ als Objekt japanischen Reformeifers ...... 68 iii. Kurze Zusammenfassung...... 79

iv. Aus Asien [{亜細亜} ajia] wird Osten [{東} tô]...... 79

1 v. Aus tôyô/tôa [{東洋/東亜} Asien] wird East/Asia/Orient...... 87

vi. Zusammenfassung...... 89

2. Südbilder...... 92 A. Erblickt man die Philippinen und Vietnam, wenn man nach Asien sieht?...... 92 B. Nanyô-Wahrnehmungen: Voraussetzungen, Parameter und Akteure ...... 95 C. Nanyôbilder ...... 104 i. nanyô wird mit dem Begriff der ‚Zivilisation’ durchmessen...... 104 ii. nanyô als Auswanderungsland japanischer Bauern ...... 111 iii. nanyô als Raum japanischer Wirtschaftsinteressen ...... 116 iv. Zivilisierungsmission: nanyô als utopische Projektionsfläche in Romanen ...... 119 D. Vietnamwahrnehmung ...... 126 E. Kontinuitäten der nanyô-Wahrnehmung...... 127 F. Zusammenfassung...... 129

3. Kapitelzusammenfassung ...... 130

III. PHILIPPINISCHE UND VIETNAMESISCHE JAPAN- UND ASIENBILDER...... 132

1. Philippinische Japan- und Asienbilder ...... 134 A. Auf dem Weg zur Nation ...... 134 B. Historischer Hintergrund ...... 136 C. Blickrichtungen: Nach Westen und nach Osten ...... 140 i. Japan als Raum christlich-moralischen Handelns in Asien...... 140 ii. Rizals Japan ist nicht asiatisch ...... 147 D. Ost gegen West...... 148 i. Japan als imperialer Raum ...... 148 ii. Japan als Zivilisation im Osten ...... 153 E. Quellen des Wissens: Dritte sehen Japan...... 155 F. Militärische Hilfe aus Japan für den Unabhängigkeitskampf auf den Philippinen...... 156 G. Zusammenfassung...... 158

2. Vietnamesische Japan- und Asienbilder ...... 162 A. Der lange Weg zur Nation...... 162 B. Historischer Hintergrund ...... 164 i. Grundzüge der kulturellen und kolonialen Prägung Nord- und Südvietnams ...... 164 ii. Reaktionen auf die Errichtung der Kolonialadministration ...... 170 iii. Neue Kolonialpolitik und neue Widerstandsformen...... 172

2 C. Phan Bội Châus Japanbilder vor und während seines Japanaufenthaltes...... 178 i. Japan als Raum einer ‚sozialdarwinistischen’ Weltordnung...... 179 ii. Japan als Raum einer modernen monarchischen Verfasstheit ...... 186 iii. Japan als Raum der Zivilisation und Bildung in Asien...... 189 iv. Japan als imperialer Raum ...... 197 D. Vietnam und Asien: Nationale und regionale Räume und Identitäten ...... 208 E. Zusammenfassung ...... 213 F. Japan als Vorbild und Raum des Lernens...... 215 i. Asiatische Studenten in ...... 215 ii. Formale Studienvoraussetzungen und informelle Einschreibepraxis ...... 219 iii. Die vietnamesischen Studenten in Tokyo...... 226 F. Zusammenfassung...... 233

3. Kapitelzusammenführung...... 234

IV. SCHLUSS: EINORDNUNGEN UND ERKENNTNISSE ...... 237 A. Neubewertungen von Zäsuren und Begriffen...... 238 B. Zeitpunkte und Muster der Japanrezeption...... 246 i. Birma als weiteres Fallbeispiel ...... 248 ii. Nachwirkungen des ‚japanischen Vorbildes’ als ‚asiatisches Korrektiv’...... 255

V. ANHANG...... 269 A.) Übersetzungen aus dem Journal der Gesellschaft des erwachenden Asiens...... 269 i. 1. April 1880 (2)...... 269 ii. 6. Januar 1881 (14)...... 273 iii. 30. Dezember 1881 (23) ...... 275 B. Filipinos in Japan...... 277 C. Vietnamesische Studenten in Tokyo ...... 279 i. Studenten der shimbun gakkô und der seijô gakkô...... 279 i. Studenten der dôbu shoin...... 280 iii. Weitere Studenten...... 281 D. Lehrinstitute für Auslandsstudenten in Japan...... 283 E. Daten...... 285 i. Annamitische Kaiser ...... 285 ii. gouverneurs génerals de L’Indochine ...... 285 iii. Kriege, militärische Auseinandersetzungen und Verträge...... 285

VI. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS...... 287

3 A. Allgemeines Quellen- und Literaturverzeichnis...... 287 i. Quellen und Quelleneditionen...... 287 ii. Literatur...... 287 B. Japanische Quellen und Literatur ...... 294 i. Allgemeine Nachschlage-und Standardwerke und Bibliographien...... 294 ii. Quellen und Quelleneditionen ...... 295 iii. Literatur ...... 300 C. Philippinische/Japanische Quellen und Literatur ...... 310 i. Quellen und Quelleneditionen...... 310 ii. Literatur...... 310 D. Vietnamesische/Japanische Quellen und Literatur...... 313 i. Quellen und Quelleneditionen...... 313 ii. Literatur...... 316

4

I. Einleitung

A. Der Sieger von 1905 – Initialzündung südostasiatischer Dekolonisation?

Am 28. Mai des Jahres 1905 besiegte die japanische Marine in der Schlacht von Tsushima die in einer spektakulären Aktion aus der Baltischen See in das Japanische Meer verlegte russische Kriegsflotte. Mit dieser Seeschlacht endete der einige Monate zuvor zwischen Russland und Japan entbrannte Russisch-Japanische Krieg (1904/05) siegreich für Japan. Der spektakuläre Sieg wurde zum globalen Medienereignis und Gegenstand weltweiter Berichterstattung in Zeitungen und Wochenjournalen. Durchaus ambivalent in den Darstellungen hieß es zum einen bewundernd, in Tsushima habe der japanische David den russischen Goliath geschlagen, gleichzeitig warnte man, dass die ‚Gelbe Gefahr’ Realität geworden sei.1 Beispielhaft für die damalige deutsche Rezeption des Ereignis stehen die Zeilen des umtriebigen Publizisten, Diplomaten und Politikers Baron von Falkenegg, der den japanischen Sieg in seinem Buch Japan, die neue Weltmacht aus dem Jahre 1905 wie folgt kommentierte: „Gibt es doch heute noch Tausende von Europäern mit vermeintlich historischer Schulung, die sich über die Siege Japans gegen Russland unbändig freuen. Sie sind eben historisch nicht geschult und sehen nicht, dass … nicht Russland, sondern Europa geschlagen wurde.“2 Dass in Tsushima „Europa geschlagen“ worden sei, schien auch eine gängige Wahrnehmung in der kolonisierten Welt Südostasiens gewesen zu sein, freilich unter einem positiven Vorzeichen. Man erfährt darüber, sobald man einen Blick in die Literatur über Südostasien wirft. Dort heißt es, dass die Rezeption des Russisch- Japanischen Krieges unter den Trägern der südostasiatischen anti-kolonialen Emanzipationsbewegungen in katalytischer Weise das Selbstwertgefühl der

1 Vergl. Cemil Aydin: A Global Anti-Western Moment? The Russo-Japanese War, Decolonization, and Asian Modernity (in: Sebastian Conrad und Dominic Sachsenmaier (Hrsg.): Competing Visions of World Order, Basingstoke, Palgrave Macmillan, 2007; 213-236). Zum Schlagwort der ‚Gelben Gefahr’ und den Szenarien, dass Japan durch eine militärische Massenmobilisierung ganz Asien gegen Europa aufbringen könnte, vergl. Heinz Gollwitzer: Die gelbe Gefahr. Geschichte eines Schlagwortes. Studien zum imperialistischen Denken (Göttingen, Vandenhoeck &Ruprecht, 1962). 2 Siehe Anton Baron v. Falkenegg: Japan, die neue Weltmacht, 1905, o. O.; 16.

5 Kolonisierten gehoben und den Widerstandswillen gegen koloniale Machtträger weiter entfacht, wenn nicht ausgelöst habe. Mit dem japanischen Sieg sei über die militärische Modernisierung hinaus die erfolgreiche politische und gesellschaftliche Entwicklung des Landes seit seiner Öffnung im Jahre 1868 erstmals deutlich in den Mittelpunkt der südostasiatischen Aufmerksamkeit gerückt. Mit der Annahme der Richtigkeit dieser Deutung der Wirkung des Russisch-Japanischen Krieges in Südostasien begann meine Bearbeitung des Themas Asiaten sehen Asiaten. Im Verlauf der Quellenarbeit und Literaturbearbeitung stellte sich jedoch zunehmend die Frage, ob es sich bei der gängigen Interpretation des Russisch-Japanischen Krieges als ‚Initialzündung südostasiatischer Emanzipationsbewegungen’ nicht eher um eine nachträgliche, zu weiten Teilen im Zuge der Modernisierungstheorie der 60er und 70er Jahre vollzogene semantische Aufladung des Schlagwortes ‚1905’ handelte, die über das eigentliche Kriegsgeschehen hinauswies und beinahe an die aufgeheizte und überspannte Wahrnehmung in der europäischen Jahrhundertwendenpresse anknüpfte – eine Frage, die im letzten Kapitel dieser Arbeit beantwortet werden soll. 3 Meine ursprüngliche Frage nach der Wirkung des japanischen Sieges auf die südostasiatischen Emanzipationsbewegungen öffnete sich jedoch mit dem Zweifel an der Richtigkeit der ‚Initialzündungsthese’ einem weiteren Feld: Sollte die Rezeption des japanischen Sieges in Südostasien eher einen transformationsbegünstigenden denn einen transformationsauslösenden Faktor der Emanzipationsbewegungen darstellen, was bedeutete dies folglich? Gab es 1905- Vorläufer der südostasiatischen Japanrezeption? Knüpften die Siegesbilder Japans an ein bereits vorhandenes Wissen über Japan an? Mit welchen weiteren Attributen wurde ‚Japan’ in den südostasiatischen Emanzipationsdiskursen versehen? Welchen Einfluß hatte, letztlich verkehrte ich die Frage hier in eine umgekehrte Richtung, die japanische Wahrnehmung der südostasiatischen Kolonien und welche Rückwirkungen entfalteten sich daraus auf die südostasiatische Rezeption des japanischen Sieges über Russland? Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass die südostasiatische Japanrezeption im Kontext der Herausbildung eines indigenen National- und Regionaldiskurses in der Region insgesamt stand. Welche Bedeutung ihr jedoch im gesamten Umfeld dieser in die Moderne weisenden und auf

3 Einschlägige Literaturangaben zur südostasiatischen Japanrezeption um 1905 siehe Kapitel IV A. dieser Arbeit, wo das Thema ausführlich diskutiert wird.

6 Transformation im weitesten Sinne ausgerichteten Emanzipationsdiskurse im Vergleich zu anderen Faktoren wie der Struktur der kolonialen Verhältnisse, der Bildungsorientierung der indigenen Eliten, der ethnischen Zusammensetzung innerhalb der Kolonie, traditioneller Macht- und Gesellschaftsstrukturen, Reform- und Revolutionsbegriffen etc. beigemessen werden kann, dies wird immer wieder Gegenstand meiner Abwägungen sein. Ohne wesentliche Ergebnisse der Arbeit vorwegzunehmen, kann man wohl konstatieren, dass ‚Japan‘ nur ein Element neben anderen im anti-kolonialen Denken und Argumentieren der südostasiatischen Akteure, wenn auch zeitweise ein gewichtiges. Ob und in welchem Maße die Japanrezeption sogar als ‚asiatisches Korrektiv‘ in den Emanzipations- und Nationaldiskursen eingestuft werden kann, hängt sicher von der Definition eines solchen Referenzpunktes ab. Der Begriff des ‚asiatischen Korrektivs‘ steht als Synomym für ein Set von anti-kolonialen und anti- westlichen Emanzipationsvorstellungen, welche dem Gefühl einer kulturellen Überfremdung durch Aufnahme von westlichen Errungenschaften entgegenstanden, aber dennoch auf einen Transformationsprozeß ausgerichtet waren. ‚Japan‘, das in der Wahrnehmung vieler eine Art zweiten Weg (der „dritte Weg“ wurde es erst nach Etablierung des Kommunismus) gefunden zu haben schien, indem es westliche Kulturelemente in den eigenen Kulturhorizont adaptierte ohne seine eigene Identität verloren zu haben, bot sich über den Einzelfall hinaus als modellhaftes Vorbild für einen ‚asiatischen‘ Weg in die Moderne an. Dass aus einer japansichen Identität dabei aus Gründen der Übertragbarkeit eine asiatische Identität wurde, mag nachvollziehbar erscheinen. So erscheint auch in der vorliegenden Untersuchung als zentrale Identitätskategorie – was nicht besonders überraschend daherkommt – die Nation, doch als ebenso wichtig erscheint die Frage nach der Wechselwirkung nationaler Identitätsdiskurse mit einer regionalen ‚asiatischen’ Identitätskonstruktion. Es rückt somit neben die Nation die Kategorie der Region als identitätsstiftende Einheit. Die Untersuchung konzentriert sich auf die Länder Japan, Vietnam und die Philippinen.

Die Untersuchung der Bedeutung der südostasiatischen Japanrezeption sowie der japanischen Südostasienrezeption für die Herausbildung von nationalen und regionalen Identitäten stellt den Versuch dar, eine nicht-eurozentrische Perspektive auf die Geschichtsschreibung zu Kolonialismus, Dekolonisation und

7 Nationalismus einzunehmen. Wie in den letzten Jahren von einigen Historiker eingefordert und teils auch umgesetzt, gilt es aus einer post-kolonialen Perspektive auf Kolonialgeschichtsschreibung die vormals als Peripherie bezeichneten Kolonien als gleichwertige Räume des historischen Geschehens und nicht lediglich als Kontrastfolie Europas zu betrachen. Aus ‚Objekten‘ der traditionellen Kolonialgeschichtsschreibung werden handelnde ‚Subjekte‘ mit eigenen Reaktions- und Selbstbehauptungsmustern, das implizite Gefälle von metropolitanem Subjekt und kolonialem Objekt wird aufgelöst. Verschiedene historische Untersuchungsgegenstände rücken damit in ein neues Licht. Die US-amerikanischen Historiker Laura Stoler und Frederick Cooper haben diesen Ansatz zur Grundlage ihres Sammelbandes Tensions of Empire genutzt, um europäische Bürger- und Zivilisationsdiskurse im 19. Jahrhundert auf die Wechselwirkung zwischen Metropole und Peripherie hin zu untersuchen. Sie fanden dabei heraus, dass die Konstruktion einer zivilisierten, europäischen Bürgerlichkeit auf der Konstruktion eines unzivilisierten Anderen in der Peripherie beruhte, somit die Geschichte der Kolonien ein Bestandteil der Geschichte der Metropole war. 4 Hier greift das Konzept der entangeled history5 von metropolitanen und peripheren Entwicklungen, die einander bedingten, dass „Imperialismus als der gemeinsame Rahmen der wechselseitigen Konstitution von Metropole und Kolonie“ (Conrad/Randeria: Eurozentrismus; 10) begriffen werden muss. Bisher weniger in der Blick gerückt ist dabei die Süd-Süd-Komponente, d.h. wie die Geschichten der Kolonien untereinander und miteinander verwoben waren und ob es möglicherweise metropolenunabhängige Entwicklungen und Diskurse gab. Aus dieser Beobachtung hinaus soll in an dieser Stelle speziell dieser Aspekt herausgearbeitet werden. Es

4 Siehe Frederick Cooper und Laura Ann Stoler (Hrsg.): Tensions of Empire: Colonial Cultures in a Bourgeois World (Berkeley, University of California Presss, 1997; 3). 5 Zum Ansatz des entanglement sowie verwandter Ansätze wie connected histories, histoire croisée oder des transferts culturels siehe Sanjay Subrahmanyam: Connected Histories. Notes Towards a Reconfiguration of Early Modern Eurasia (in: Modern Asian Studies, 1997, 31; 735- 762), Michel Espagne und Michel Werner: La construction d’ une référence culturelle allemande en France – Génèse et Histroire (1750-1914) (in: Annales, 1987, 2; 969-992), Sebastian Conrad und Shalini Randeria (Hrsg.): Jenseits des Eurozentrismus, Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften,, Frankfurt am Main, Campus, 2002, Hartmut Kaelble und Jens Schriewer (Hrsg.): Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften (Frankfurt am Main, Campus, 2003), Matthias Middell: Kulturtransfer und Historische Komparatistik – Thesen zu ihrem Verhältnis (in: Comparativ, 2000, 10, 1; 7-41). (Mit aktuellem Bezug aus kulturwissenschaftlicher Perspektive vergl. Marie Söderberg und Ian Reader (Hrsg.): Japanese Influences and Presences in Asia, Richmond, Curzon, 2000.)

8 wird angenommen, dass auch die gegenseitige Wahrnehmung der kolonialen Eliten untereinander die Ausformung von anti-kolonialen Emanzipationsdiskursen bestimmt hat, dass hier von einer innerasiatischen entangled history die Rede sein kann. Bisher ist der Ansatz des entanglement nur vereinzelt an außer-europäischen Kontexten untersucht worden. Voraussetzung für einen solchen Übertrag ist freilich, dass eine außer-europäische Nation gleichermaßen kolonialistische bzw. imperialistische Bestrebungen aufwies. Mit Bezug auf Asien sticht hier sofort Japan ins Auge, welches mit seiner ersten Kolonie Taiwan bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als asiatische Kolonialmacht zu bezeichnen ist. Jene Autoren, die sich dabei mit japanischem Kolonialismus und Imperialismus und dessen reziproker Wirkungen auf das ‚Mutterland’ beschäftigt haben, stellen Ähnliches fest wie es für die europäische Identitätsbildung attestiert wurde. Die in Japan verfolgte Imitation einer westlichen Kolonial- und Imperialpolitik machte auch den japanischen, metropolitanen Zivilisationsdiskurs zu einem konstitutiven Element für die Herausbildung einer nationalen Identität (wenn auch keiner bürgerlichen! 6 ). Entscheidend hierfür war, dass aus dem nach Ankunft der Westmächte entstandenen Inferiotitätsbewußtsein unter den Japanern sich spätestens nach dem japanischen Sieg über China (1895) im Chinesisch-Japanischen Krieg der beiden Jahre 1894-5 ein zivilisatorisches Überlegenheitsbewußtsein gegenüber den asiatischen Nachbarn einstellte. Voraussetzung für die Legitimation eines kolonialen und imperialen Strebens stellte die Propagierung eines ‚zivilisierten’ Japans (Subjekt) gegenüber einem ‚unzivilisierten’ Asien (Objekt) dar. Mehr noch, der japanische Zivilisationsdiskurs diente darüber hinaus einer Art ‚Selbstzivilisierung’ der japanischen Bevölkerung, indem die aus dem Westen in Japan übernommenen Hierarchisierung von kolonialen ‚unterentwickelten Untertanen’ und ‚überlegenen Kolonialherren’ sowohl in der taiwanesischen Kolonie als auch im japanischen ,Mutterland’ verankert werden sollte.7 Die vorliegende Arbeit möchte diese Fragen

6 Das Phänomen eines Nationalismus ohne Bürgertum wird als eine spezifische Ausformung des asiatischen Nationalismus gesehen, ist bisher in der Forschung aber nicht genügend beachtet worden und könnte Gegenstand weiterer Forschungen sein. Vergl. Stein Tönnesson und Hans Antlöv (Hrgs.): Asian Forms of a Nation, Richmond, Curzon Press, 1996. 7 Dieser Zusammenhang ist von Robert Eskildsen, Kang Sang-jung und Sebastian Conrad untersucht worden. Eskildsen hat die Schaffung kultureller Differenz zwischen Japanern und Taiwanesen in kommerziellen Zeitungen im Jahre 1874 beobachtet, jedoch ohne dass die japanischen Publizisten ihre selbst wahrgenommene Inferiorität gegenüber dem Westen

9 nach der Adaption kolonialen und imperialistischen Denkens in Japan weiterverfolgen. Zwar werden der japanische Kolonialismus und damit zusammenhängende Identitätsdiskurse nicht i.e.S. im Fokus stehen, doch geht es um die korrespondierende Frage, welche Rolle die kolonisatorische und zivilisatorische Sicht Japan auf die südliche See [jap.: nanyô] (ein anderer Begriff für das heutige Südostasien) für die Herausbildung einer japanischen Nationalidentität spielte. Mit Bezug auf die Philippinen und Vietnam lautet die Fragestellung dieser Arbeit, entsprechend dem Ansatz des entanglement, welche Rückwirkungen entfaltete der südostasiatische Japandiskurs auf den japanischen und südostasiatischen Emanzipationsdiskurs. Parallel zum Ansatz des entanglement muss sich jede Arbeit über außer-europäische Geschichtsräume mit der transfergeschichtlichen Fragestellung nach dem Import kolonialen und imperialen Denkens sowie dem damit einhergehenden Import zentraler westlicher Begriffe in ein indigenes Disursumfeld beschäftigen. Zudem legte die Behandlung von drei Ländern es nahe, eine vergleichende Perspektive einzunehmen, um die Unterschiede und Parallelen in den Wahrnehmungsmustern der Asiaten auszumachen. Das methodische Handwerkszeug der Arbeit finden wir folglich auf verschiedenen Ebenen wieder, es besteht aus einer Kombination von Transfer-, entanglement- und vergleichender Geschichte. Wie westliche Begriffe gebrochen, mit neuen semantischen Ebenen versehen und für eigene Zwecke instrumentalisiert und in neue Sinnzusammenhänge gesetzt wurden, dies soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden.

darstellten, siehe Robert Eskildsen: Of Civilization and Savages: The Mimetic of Japan’s 1874 Expedition to Taiwan, in: American Historical Review, 2002, 2; 388-418, hier S. 400. Der koreanisch-japanische Forscher Kang Sang-jung hat die Rückwirkungen von nationalen und imperialen Differenzkonstruktionen auf die Herausbildung einer japanischen Identität thematisiert, siehe Kang Sang-jung: Orientarizumu no katana e kindai bunka hihan [Jenseits des Orientalismus. Eine Kritik der modernen Kultur], Iwanami shoten, Tokyo, 1996. Sebastian Conrad hat diesen Prozess der Adaption kolonial/imperialistischen Denkens in Japan als ‚Zivilisierung des Selbst’ benannt, siehe Sebastian Conrad: Die Zivilisierung des ,Selbst’. Japans koloniale Moderne, in: Boris Barth u. Jürgen Osterhammel: Zivilisierungsmissionen, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz, 2005; 245-268.

10 B. Operationalisierungen: Raum und Begriff

Wie kann man das skizzierte Thema ‚Asiaten sehen Asiaten’ operationalisieren? Zunächst stehen offensichtlich Länder- und Regionsrezeptionen im Blickpunkt. Der semantische Gehalt von Länder- und Regionsbegriffen basiert auf Vorstellungen über distinkte Eigenschaften, die mit einem Land in Verbindung gebracht werden. Für eine Analyse semantischer Gehalte von Länder- und Regionsbegriffen bietet sich ein Blick auf die Debatte um den spatial-turn8 an, in deren Mittelpunkt die Erkenntnis steht, dass Regionen und Länder keine ahistorischen Entitäten sondern das Ergebnis von Nationsbildungsprozessen sind. Als solche Konstruktionen, hervorgebracht von politischen Führungsgruppen mit speziellen Interessen und Zielen, kommuniziert durch Massen- zumeist Printmedien, sind Länderbegriffe Teil eines Verräumlichungsprozesses in dessen Zuge territoriale, kulturelle und nationale Zusammenhänge konstruiert werden. Regionen und Länder als Räume zu betrachten heißt, diese Zusammenhänge als einen zeitspezifischen Sinnzusammenhang, nicht als eine geographische Unabänderlichkeit zu verstehen.9 Die auf diese Weise in den Länderbegriffen repräsentierten Räume sind in der vorliegenden Arbeit als Teil einer gedanklichen und sprachlichen Absetzung gegenüber hegemonialen Verräumlichungen westlicher Provenienz gesehen worden, womit gemeint ist, dass westliche, pejorative Begriffe wie Asien oder Orient im Zuge der Begriffsadaption in der asiatischen Diskussion umgedeutet wurden. Konkret: von was war die Rede, wenn Asiaten über ‚Japan’, ‚Asien’, ‚Vietnam’ etc. sprachen? Wenn westliche Kommentatoren z. B. in ‚Japan’ und ‚China’ einen Raum der ‚Gelben Gefahr’, der Rückständigkeit und der Despotie sahen, so wurde derselbe Raum im japanischen Asiendiskurs u.a. zu einem (anti-‚westlichen’) Kulturraum gemacht. Die Abhängigkeit semantischer Inhalte von Verwendungsabsicht und

8 Zum spatial turn in der Südostasien- und Ostasienforschung vergl. grundlegend Tönnesson: Asian Forms (dort die Beiträge von Tessa Morris-Suzuki: The Frontiers of Japanese Identity, Thongchai Winichakul: Siam Mapped: A History of the Geo-Body of a Nation und Christopher E. Goscha: Annam and Vietnam in the New Indochinese Space, 1887-1945). Vergl. ebenso Nishikawa Osamu: Jimbun chirigaku nyûmon: shisôteki kôsatsu [Eine Einführung in die beschreibende Geographie: eine philosophische Annäherung] (Tokyo daigaku shuppankai, Tokyo,1985; 128-132), Brian Harvey: Deconstructing the Map (in: Paul Laxton (Hrsg.): The New Nature of Maps, Baltimore, John Hopkins University, 2002: 149-167), Martin Lewis und Kären Wigen: The Myth of Continents: A Critique of Metageography, Berkeley, University of California Press, 1997 sowie D. R. Howland: Borders of Chinese Civilisation: Geography and History at Empire’s End, Durham, Durham University Press, 1996. 9 Siehe Benedict Anderson: Imagined Communities, London, Verso Editions, 1983.

11 Verwendungszusammenhang zeigt sich gleichermaßen bei der Betrachtung der Begriffe West, Ost, Europa und Asien in den hier untersuchten Diskursen und soll an verschiedenen Untersuchungsstationen jeweils herausgearbeitet werden.10 Die Schwierigkeit, Länder- und Regionenbegriffe transnational einzuebnen, tritt im Besonderen im Zusammenhang transfergeschichtlicher Darstellungen auf. Die akteursspezifische und national gebundene Begriffssemantik hatte der in Amerika lebende palästinensische Literaturkritiker Edward Said (1935-2003) in einer ersten systematischen Analyse der Begriffe Orient/Asien in seinem weit rezipierten, durch die Diskursanalyse Foucaults beeinflußten, Buch Orientalism (1978) gezeigt. Der ‚Orient’ wird als ein im Denken der Europäer konstruierter Raum betrachtet, welcher, je nach anglo-französischer, deutscher oder anderer Provenienz, das kulturell-religiös Andere als nicht europäisch und damit zu großen Teilen als nicht zivilisiert deklariert. Reinhard Koselleck, wenn auch aus einer anderen Forschungstradition stammend, begeht in seiner Vergangenen Zukunft den Weg einer begriffsgeschichtlichen Untersuchung von Länder- und Regionsbegriffen.11 Ihm geht es dabei, ähnlich wie Said, um die semantische (und hierarchische) Binarität von europäischen Begriffspaaren. Begriffe wie Orient und Okzident, Asien und Europa trügen in sich bereits eine konkludente Semantik, die auf einem bipolaren Denken beruhe und gleichsam Objekt und Gegenobjekt konstruiere. Dass diese grundlegende Erkenntins bereits Eingang in die Forschung gefunden hat, belegt der Satz des Politilogen Victor Koschmann: „…without the West there is no East“.12

10 Heutzutage z. B. identifizieren sich die wenigsten Japaner mit ‚Asien’, siehe Yûji Ôaku: Der Begriff „Asien“ aus japanischer Sicht (in: Japanstudien, 1998, 10; 27-30). Vergl. zu den modernen Asiendiskursen Iwo Amelung et al. (Hrsg.): Selbstbehauptungsdiskurse in Asien: China-Japan-Korea, Monographien aus dem Deutschen Institut für Japanstudien, 34, München, Iudicium, 2003. 11 Siehe Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft, Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1995). 12 Siehe Victor Koschmann: Asianism’s Ambivalent Legacy (in: Peter Katzenstein und Shiraishi Takashi (Hrsg.): Network Power, Japan and Asia, Ithaca, Cornell University Press, 1997; 83- 111, hier S. 83). Ein weiteres Beispiel stellt der Literaturwissenschaftler Frederic Jameson dar. Er argumentiert, dass das moderne europäische Selbstverständnis der ‚Zivilisiertheit’ auf der Abgrenzung gegenüber einem ‚unzivilisierten Nicht-Europa’ beruht, welches die Attribute ‚rückständig’, ‚heidnisch’, ‚dunkel’, ‚despotisch’, ‚irrational’ zugewiesen bekam, dass Asien zu einem Gegenbegriff Europas in der Zeit des Imperialismus wurde, siehe Frederick Jameson: Moderne und Imperialismus (in: Elisabeth Bronfen, Benjamin Marius und Therese Steffen (Hrsg.): Hybride Kulturen, Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte, München, Stauffenberg Verlag, 1997; 59-80, hier Sn. 64, 74-5). Vergl. zu europäischen Asienbildern Reinhard Wendt: Grundstrukturen des europäischen Interesses an Asien (in: K.

12 Das Kriterium, welches die Linie zwischen dem Begriffspaar Europa und Asien markierte, war das der ‚Zivilisation’. Im frühen und mittleren 19. Jahrhundert definierte sich ‚Europa’ in zivilisatorischer Hinsicht u.a. über die standards of civilization, eine Selbstbeschreibung dessen, was als zivilisiert galt im Gegensatz zum Nichtzivilisierten. Die standards of civilization beschrieben eine allgemein akzeptierte Übereinkunft von Rechts- und Diplomatiestandards, von Verfahren, Institutionen und Umgangsformen der politischen Interessenvertretung, die auf christlichen Werten basierten. Gerrit Gong hat fünf Merkmale eines ‚zivilisierten’ Staates im 19. Jahrhundert ausgemacht: Erstens die Garantie von Leben, Würde, Eigentum, Reise-, Handels- und Religionsfreiheit, zweitens die Existenz von staatlichen Institutionen und deren Recht auf Selbstverteidigung, drittens die Anerkennung des Internationalen Rechts und der Garantie von Rechtssicherheit im Lande, viertens einen funktionsfähigen diplomatischen Dienst und fünftens die Anerkennung von europäisch (-christlichen) Werten. Die Einhaltung bzw. Nicht- Einhaltung der standards zeigte in der damaligen Wahrnehmung zugleich die Trennung zwischen ,zivilisierten’ und ,nicht-zivilisierten’ Nationen, nämlich jenen, welche die standards erfüllten und anderen, die es nicht taten. Gleichzeitig galt die Nichterfüllung der standards of civilization als Interventionslegitimation der Kolonial- und Imperialmächte, um in nicht-zivilisierten Ländern diese standards zu etablieren.13 Ob und wie ein solches Verständnis von Zivilisiertheit im asiatischen Raum adaptiert wurde, ist ein wesentlicher Untersuchungsegenstand der Arbeit.

Die meisten rezeptionsgeschichtlichen Arbeiten thematisieren zu Beginn ihrer Ausführungen eine konstruktivisitsche Herangehensweise und gehen somit in theoretischer Hinsicht davon aus, dass die Wahrnehmung des Anderen oder einer anderen Kultur wenig Auskunft über eine vermeintlich objektive Realität des

Koschorke (Hrsg.): Christen und Gewürze – Konfrontation und Interaktion kolonialer und indigener Christentumsvarianten, Göttingen, Vandenhoeck&Ruprecht, 1998; 259-273), Lee Eun-Jeung: ‚Anti-Europa’. Die Geschichte der Rezeption von Konfuzianismus und konfuzianischen Gesellschaften in Europa seit der frühen Aufklärung, Hamburg, LitVerlag, 2003, Raymond Schwab: The Oriental Renaissance: Europe´s Rediscovery of India and the East, 1680-1880 (New York, Columbia University Press, 1984), Jürgen Osterhammel: Die Entzauberung Asiens, München, Beck Verlag, 1998 sowie Florian Coulmas: Vom Orient nach Asien, Diskurse eines neuen Selbstbewusstseins im Fernen Osten, in: Lettre, 1996, 33; 54-58. 13 Siehe Gerrit Gong: The Standards of „Civilization” in International Society (Oxford, Clarendon Press, 1984; 12) sowie Jörg Fisch: Zivilisation, Kultur (in: Otto Brunner et al (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, 7, Stuttgart, Klett-Cotta, 1992; 679-774).

13 Wahrgenommenen geben kann, dafür um so mehr Einsicht in das Selbstverständnis des Beobachtenden vermittle. Rezeptionen 14 würden Wahrnehmungsmustern des Beobachtenden, die durch Religion, Kultur, politische (koloniale) Situation, Gruppenidentitäten, Erfahrungen oder Interessen geprägt sind, unterliegen. Wie weit der Andere verstanden oder gar erkannt werden kann bzw. ob eine solche Erkenntnis überhaupt möglich ist, dies ist eine grundlegende epistemiologische Frage der Hermeneutik (Gadamer: Wahrheit und Methode), die hier nicht weiter vertieft werden soll und kann. Von größerem Interesse für die historiographische Rezeptionsforschung sind Rezeptionssituation und -voraussetzungen der historischen Akteure und welche Rückschlüsse daraus zu ziehen sind. Es wird im Verlauf der Arbeit ersichtlich werden, dass diese gesellschaftlichen und sozialen Voraussetzungen sehr unterschiedlich waren und dass es politische, kulturelle oder rassistische Schablonen waren, welche die Wahrnehmung des Anderen bestimmten. Der Japanforscher Jean-Pierre Lehmann beschreibt diesen Zusammenhang mit den Worten: „The name of a country conveys an image. This image is not constant; it varies with the times and with the different minds on which it is projected. (...) Images relate to an aspect of reality, but often exclude other aspects, other realities.“15 Wahrnehmungen werden in Begriffen, Beschreibungen oder Metaphern wiedergegeben und gelten in sprachkonstruktivistischer Hinsicht als sprachliche Repräsentationen von wahrgenommenen (historischen) Realitäten. Gleichzeitig bestätigen sie auch Wahrnehmungsmuster und Projektionen und erschaffen somit (historische) Realitäten. Sie stehen somit im Mittelpunkt von Diskursen, d. h. von Gedankenfeldern, die durch Begriffe strukturiert waren. Nicht jeder Begriff, den wir heute finden, existierte von Beginn eines Diskurses an, vielmehr formten sich Begriffe aus einem sog. onomasiologischen Umfeld (s.u.) über Nebenbegriffe heraus, wie etwa der Gegenstand und Begriff der Nation. Den Begriff, d. h. ein Wort mit mehreren Bedeutungsebenen, als Ausgangspunkt historiographischer Fragestellungen zu wählen, deutet erneut auf den Namen Reinhard Koselleck und das historiographische Standardwerk der Geschichtlichen

14 Die Begriffe Wahrnehmung und Rezeption werden in dieser Arbeit synonym verwandt. 15 Siehe Jean-Pierre Lehmann: The Image of Japan: From Feudal Isolation to World Power 1850-1905, Allen and Unwin, London, 1978; 12. Vergl. auch B. Patzek: Die Historischen Bedingungen des Fremdverstehens in Tacitus Germania (in: Historische Zeitschrift, 247, 1988; 27-51).

14 Grundbegriffe hin. Neben der Hinwendung zum Begriff mit seinen semantischen Ebenen in Form des ‚Mitgemeinten’ als Analyseeinheit, betont Koselleck auch die Relevanz der Umstände des Gebrauchs von Begriffen, also die Berücksichtigung der Verwendungszusammenhänge sowie der Interessenslage und Situation des Autors und dessen Absicht. Die begriffsgeschichtliche Methode, die sich bei Koselleck vor allem auf die Klärung des semasiologischen (i.w.S. chronologischen) Begriffswandels über einen längeren Zeitraum richtet, muss für diese Arbeit jedoch eingeschränkt werden. Es konnte hier nur ein Ausschnitt der begriffsgeschichtlichen Entwicklung einzelner Begriffe dargestellt werden. Weder die Entstehung (Bereich der kognitiven Semantik) noch der Bereich der Konventionalisierung semantischer Neuerungen (Bereich der handlungstheoretischen Semantik) konnten für die Wörter Japan, Asien, Süden, südliche See, die Philippinen etc. in den jeweiligen Diskurskontexten erschöpfend erforscht werden. 16 Es konnte lediglich eine Momentaufnahme der Begriffe in unterschiedlichen regionalen kolonialen Diskurskontexten geleistet werden. Von Interesse ist dabei die jeweilige Bedeutungsvielfalt der semantischen Unter-, Ober- und Nebenordnungen der Begriffe gewesen, d. h. das onomasiologische Umfeld von zentralen Begriffen. Zudem steht der synchrone, länderübergreifende Vergleich mehr im Mittelpunkt als ein diachroner Nachvollzug (semasiologisch) eines langfristigen Begriffswandels.

Als rhetorisches Mittel sind in der vorliegenden Arbeit die Begriffsfelder der Worte Japan, Asien, Süden etc. in Bildern verdichtet worden. Das Begriffsfeld wird somit gewissermaßen als Bild verstanden, als Projektionsfläche der eigenen und der Identität des Anderen. Dabei werden Bilder auch als analytische Kategorie zur Beschreibung der Vorstellung über Menschen, Gesellschaften und Nationen verstanden. So sind die drei Hauptkapitel der Arbeit jeweils in Bilder untergliedert, die sich mit den unterschiedlichen Wahrnehmungen des Anderen beschäftigen.

16 Eine solche Sichtweise des Diskurses kommt in die Nähe dessen, was Foucault damit umschreibt, dass Diskurse einen Gegenstand bilden, ihn anfänglich aber nicht als ontologisches Objekt benennen, sondern als Ergebnis eines immer neu konstruierten Zusammenhanges bezeichnen (Foucault: Die Ordnung der Dinge). Vergl. auch Rolf Reichardt: Wortfelder-Bilder- Semantische Netze. Beispiele interdisziplinärer Quellen und Methoden in der Historischen Semantik (in: Gunter Scholz: Die Interdisziplinarität der Begriffsgeschichte, Archiv für Begriffsgeschichte, Sonderheft, 2000; 111-133).

15 Die Suche nach der semantischen Struktur der Länderbegriffe wurde vergleichend angelegt. Die Auswahlkriterien für die ‚Japan’-rezipierenden Länder waren zum einen die geographische Nähe zu Japan sowie die Verfügbarkeit von Quellen. Vietnam und die Philippinen boten sich in dieser Hinsicht als Untersuchungsobjekte an. Die chinesische Japanrezeption ist bereits relativ gut untersucht und stellt eine wesentliche Grundlage dieser Arbeit dar (siehe I C i.). Niederländisch-Indien und Britisch-Malaya17 wurden nicht behandelt, da deren anti-kolonialer National- und Verwestlichungsdiskurs zu überwiegenden Teilen durch muslimische Wortführer in Kairo oder Istanbul geprägt war und auf Arabisch geführt wurde. Ein Umstand, der in sprachlicher Hinsicht eine unüberwindbare Hürde für die Autorin darstellte. Das kolonialpolitisch betrachtet neutral gebliebene Siam würde systematisch gesehen nochmals eine eigene Gruppe der ‚Japan’-rezipierenden Länder darstellen und ist hier ebenfalls nicht behandelt worden. Britisch-Burma wird in Kapitel IV B i. nur kurz vergleichend betrachtet, da eine nennenswerte Japanrezeption erst kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges einsetzte und folglich nicht mehr in den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit fällt. Somit konzentriere ich mich im Folgenden auf die philippinische und vietnamesische Japanrezeption (zum Begriff Südostasien siehe II). Ein Vergleich der Japanbilder, die im konfuzianisch geprägten Vietnam und auf den christlich geprägten Philippinen entstanden, ist zudem interessant im Hinblick auf deren jeweilige Einordnungen ‚Japans’ als ‚westliches’ oder ‚asiatisches’ Vorbild. Auch liegt der Zeitpunkt der Japanrezeption in beiden Ländern nur wenig auseinander, wenn er auch trotzdem eine unterschiedliche Wirkung auf die jeweiligen Emanzipationsdiskurse entfaltete. Die japanische Süd- bzw. Südostasienwahrnehmung ist im Ablauf der Arbeit zuerst bearbeitet worden, da sie zum einen die von den Südostasiaten später rezipierte Entwicklung Japans zu einer in damaliger Sicht modernen Nation umfaßt, zum anderen chronologisch vor der südostasiatischen Japanwahrnehmung einsetzte. Gleichzeitig bildetet sich in diesem Entwicklungsprozeß ein entscheidener Austausch mit China heraus, der wiederum Einfluß und Rückwirkungen auf die konfuzianisch geprägten, chinesisch-vietnamesischen allgemeinen Reform- und Emanzipationsdiskurse hatte. Zudem sind die in Japan Ende des 19. Jahrhunderts

17 Zu Malaysia siehe IV A.

16 entwickelten Asienbilder maßgeblich für die chinesisch-vietnamesischen Diskurse gewesen.

C. Forschungsstände, Quellen und Ergebnisse dieser Arbeit

i. Japanische Asien- und Süd [nanyô] - Wahrnehmung

In der historischen Japanforschung war die Untersuchung der japanischen Asienwahrnehmung lange Zeit mit dem Namen des japanischen Literaturwissenschaftlers Takeuchi Yoshimi verbunden, der in seinem Sammelband Ajiashugi [Asiendiskurs] aus dem Jahre 1963 sich als erster japanischer Nachkriegsautor mit den historischen Asienvorstellungen beschäftigte. In Ajiashugi bezeichnet Takeuchi die expansionistischen Aktivitäten der ultra-nationalistischen

rônin [{ 浪人} herrenlose samurai oder China-Festlandabenteurer] und das

romantisch-chauvinistische Gedankengut der shishi [{ 志士} Idealisten oder

Visionäre] mit dem Begriff des Asiendiskurs [{ アジア主義} ajia shugi]. Sein Untersuchungszeitraum erstreckt sich dabei von der Ankunft der Westmächte in Japan in den 1850er Jahren über die Zeit der Vertragsverhandlungen der sog. Ungleichen Verträge (siehe II 1 B.) bis zum Ende der frühen meiji-Zeit Anfang der 1890 (meiji-Zeit 1868-1912)18. Takeuchi versteht unter Asiendiskurs zeitgenössische Vorstellungen über eine chinesisch-japanische Kooperation, gewissermaßen frühe Bemühungen beider Länder mit vereinten Kräften gegen das als zunehmend imperialistisch empfundene Vordringen der Westmächte in Ostasien. 19 Obwohl

18 Die frühe meiji-Zeit umfaßt i.d.R. die Jahre 1868-1890/94/95. Das Ende wird von einigen Historikern entweder durch die Verkündung und Inkraftsetzung der japanischen Verfassung 1889/90 datiert oder, nach Meinung anderer Historiker, durch den Chinesische-Japanischen Krieg von 1894/5 markiert. Von der mittleren meiji-Zeit spricht man für die Jahre 1890/94/5- 1905. Hier stellt die Zäsur der Sieg Japans über Russland im Jahre 1905 dar. Als späte meiji- Zeit gelten die Jahre 1905 bis 1912, dem Tod des Kaisers Mutsuhito im selben Jahre. 19 Siehe Takeuchi Yoshimi (Hrsg.): Ajiashugi, gendai nihon shisô taikei [Asiendiskurs, systematische Betrachtung des Denkens im modernen Japan] (Chikuma shobô, Tokyo, 1963). Die folgenden Literatur- und Quellenangaben befinden sich im Quellen- oder Literaturverzeichnis Japan, siehe VI B. Zur Außenpolitik der meiji-Zeit im Allgemeinen siehe Irie Akira: Nihon no gaikô, meiji ishin kara gendai made [Japans Außenpolitik von der meiji-Restauration bis in die Gegenwart] (Chûôkôronsha, Tokyo, 1990), ders.: Japan and the Wider World (London, Longman, 1997), ders: Japan´s Drive to Great Power Status (in: Peter Duus (Hrsg.): The Cambridge History of

17 Takeuchi seinen Untersuchungszeitraum und damit den Begriff des Asiendiskurs auf die Jahre vor und nach der Öffnung Japans um das Jahr 1868 beschränkte 20 , übernahmen nachfolgende Historiker den Term bereitwillig, um ganz generell und zeitenunspezifisch die japanischen Asienbilder von expanisionistischen Politikern, Journalisten und Aktivisten zu beschreiben. Die zeitliche Ausweitung des Begriffs erfuhr, zumindest in der anschließenden Verarbeitung durch westliche Autoren, auch eine inhaltliche Ausweitung. Die meisten der angelsächsischen Autoren, die den Begriff des Asiendiskurs übernahmen, sprachen schnell von einem japanischen Asianismus oder Pan- Asianismus und setzten dies mit Asiendiskurs gleich, interpretieren ihn als eine in erster Linie anti-westliche Gesinnung japanischer Aktivisten, Publizisten und Politiker, die einem politischen und kulturellen Führungsanspruch Japans in der ostasiatischen Region Ausdruck verlieh. Der US-amerikanische Historiker Ronald Toby unternimmt in seinem Buch State and Diplomacy in Early Modern Japan sogar den Versuch, den Leser davon zu überzeugen, dass bereits die während der

Japan, Cambridge, Cambridge University Press, Bd. 5, 1989; 721-782), Fujimura Michio: Nisshin sensô higashi ajia kindai shi no tenkanten [Der Chinesisch-Japanische Krieg in der modernen Geschichte Japans als Wendepunkt] (Iwanami shoten, Tokyo, 1985), zur japanischen Kolonialpolitik siehe Iwanami Kôza (Hrsg.): Kindai nihon to shokuminshi [Das moderne Japan und die Geschichte des Kolonialismus] (8 Bde., Iwanami shoten, Tokyo, 1992) sowie die im Zuge des aufkommenden Kalten Krieges und vor dem Hintergrund des beginnenden Koreakriegs (1953) zum Teil revisionistische, die friedfertigen Absichten japanischer Außenpolitik betonende Richtung der amerikanischen historischen Japanforschung während der 1950er und 60er von Hilary Conroy: The Japanese Seizure of Korea, (Philadelphia, University of Pennsylvania Press, 1960). In den 1980er Jahren bestimmten politikwissenschaftlich- ökonomische Ansätze die noch immer grundlegenden Arbeiten der Forschergruppe in Princeton um Marius B. Jansen: Japan and its World (Princeton, Princeton University Press, 1980), Ramon H. Myers und Mark P. Peattie (Hrsg.): The Japanese Colonial Empire, 1895-1945 (Princeton, Princeton University Press, 1984), Peter Duus, Ramon H. Myers und Mark P. Peattie (Hrsg.): The Japanese Informal Empire in China, 1895-1937 (Princeton, Princeton University Press, 1988). Das diplomatiegeschichtlich wichtige Werk des britischen Japanhistorikers William G. Beasley: Japanese Imperialism, 1894-1945 (Oxford, Oxford University Press, 1987) ist gleichermaßen ein Standardwerk. Die o. g. Arbeiten sind nach wie vor grundlegend für die Beschäftigung mit der modernen japanischen Außenpolitik. Die historiographische Forschung in Japan stand bis in die 70er Jahre unter dem Einfluss von poltischen Einflüssen seitens marxistischer sowie konservativ-nationaler Ansätze. Stark tendenziöse Interpretationen über die Rolle eines entweder als ‚absolutistischen tennô-Systems’ oder als ‚Entfaltung der nationalen Einheit’ bezeichneten Ganges der Geschichte standen sich gegenüber. Im Besonderen wurde lange Zeit von marxistischer Seite aus der Gegensatz zwischen Militär und Politik als ursächlich für einen japanischen Imperialismus angesehen. Desweiteren vergl. Andre Schmid: Colonialism and the ‚Korea Problem’ in the Historiography of Modern Japan: A Review Article (in: Journal of Asian Studies, 2000, 59, 4; 951-76). 20 Siehe Katsurajima Nobuhiro: Ajiashugi Doko kara, doko e [Zeitspannen des Asiendiskurs/Asianismus] (in: Iwanami Kôza gendai shisô, 14, Tokyo, 1994; 267-304).

18 -Zeit (1603-1868, benannt nach der damaligen Bezeichnung für das heutige

Tokyo) verfolgte Politik der Abschließung [{鎖国} sakoku] im 17., 18. und 19. Jahrhundert dem Zweck diente, Japan innerlich zu stärken und als Führungsmacht in Asien zu etablieren.21 Übereinstimmend wird in der Literatur immer wieder betont, dass es sich beim Asianismus nicht um eine spezifische Gesellschaftsideologie handele, wie etwa dem Sozialismus, Monarchismus, Liberalismus etc.22 Peter Duus sieht in dem anti-westlichen Element das spezifische Merkmal des japanischen Asiendiskurses und bewertet ihn aus diesem Grunde als grundsätzlich ambivalenten Diskurs: Das Bewusstsein japanischer Politiker und Publizisten in den Augen des Westens ein rückständiger Staat zu sein und gleichzeitig „Asien vom Joch des weißen Imperialismus“ befreien zu wollen, habe eine ambivalente Asienwahrnehmung hervorgebracht. 23 Auch die neuere Forschung baut ihre Überlegungen auf einer Dichotomie des Asianismus-Begriffs auf.24 Der japanische Rechtshistoriker Banno Junji legte im Jahre 1974 mit Nihon: tôyô meishû ron to datsu a nyû o ron [Japan: Asiens Führer oder Abkehr von Asien] eine erste systematische Studie über Asienvorstellungen der meiji-Politiker und Oppositioneller vor. Er verwandte den Begriff rein geistesgeschichtlich und dehnte gleichzeitig seine zeitliche Gültigkeit auf die mittlere meiji-Zeit (1890-1905) aus. Dort wie auch in einem weiteren Beitrag mit dem Titel Kindai nihon ni okeru taigaiseisaku to taigaiishiki [Japanische Außenpolitik und die Wahrnehmung des Auslandes im modernen Japan] vertritt Banno die Position, dass der japanische Asianismus mit der Intervention der japanischen Streitkräfte während des Boxer- Aufstandes 1900 an der Seite der Westmächte endete und hinterfragt damit die von den meisten Autoren attestierte Kontinuität eines asianistischen Gedankenguts von der meiji-Zeit bis hin zum Pazifikkrieg/Zweiten Weltkrieg.25

21 Siehe Ronald P. Toby: State and Diplomacy in Early Modern Japan, Standford, Standford University Press, 1991. 22 Im Besonderen siehe Banno Junji: Meiji shisô no jitsuzô [Das wahre Denken in der meiji- Zeit] (Sôbunsha,Tokyo, 1977; 39), sowie William G. Beasley: Japan and Pan-Asianism; Problems of Definition (in: Janet Hunter: Aspects of Pan-Asianism, London, 1987; 1-16, hier S. 2). 23 Siehe Peter Duus: The Abacus and the Sword: The Japanese Penetration of Korea 1895-1910 (Berkeley, University of California Press, 1995; 437). 24 Siehe etwa Yonetani Masafumi: Ajia-Nihon [Asien – Japan] (Tokyo, 2006; Einleitung). 25 Siehe Banno Junji: Kindai nihon ni okeru taigaiseisaku to taigaiishiki [Japanische Außenpolitik und die Wahrnehmung des Auslandes im modernen Japan] (in: Kitaoji Hironobu und Peter Drysdale (Hrsg.): Ôsutoraria to Nihon [Australien und Japan], Tokyo daigaku shuppankai, Tokyo, 1982; 33ff) sowie ders.: Nihon: tôyô meishuron to datsu a nyû o ron – meiji

19 In den letzten Jahren haben japanische und westliche Autoren das Thema des japanischen Asiendiskurses aus der Perspektive der post colonial theory betrachtet und die japanischen Asienvorstellungen als Bestandteil des japanischen Nationalismus interpretiert. Zu nennen ist hier der oben bereits erwähnte koreanisch-stämmige Japaner Kang Sang-jung mit seinem Sammelband Orientarizumu [Orientalismus], der u.a. das Argument der identitätsstiftenden Kraft von Fremdbildern stark macht. Die Autoren Kishi, Arano und Kokaze versammeln ebenfalls Beiträge über japanische Asienbilder mit konstruktivistischem Ansatz in ihrem Sammelband, ebenso der in Chicago lehrende Historiker Stefan Tanaka mit seinem wegweisenden Werk über die japanische Geschichtsschreibung nach der Wende zum 20. Jahrhundert und der damit einhergehenden ‚Erfindung’ einer japanischen Weltgeschichte sowie Teruo Ito über Asien und das moderne Japan.26 Eine diskurstheoretische Annäherung an die japanischen Asienkonzepte verfolgt auch der ebenfalls an der Chicago University lehrenden Historiker Duara Prasenjit, indem er die Geschichte des japanischen Asianismus ähnlich wie seine angelsächsischen Vorgänger als ein Gegennarrativ zum westlichen Imperialismus interpretiert, dabei jedoch in erster Linie auf die Rückwirkungen des japanischen Asiendiskurses auf den nationalen Identitätskurs hinweist.27 Duara schreibt auf diese Weise eine entangled history (s.o.) der japansichen Asienbilder.

Verstärkt innerhalb der letzten Jahre sind erste Monographien erschienen, die sich mit der Frage nach Asienvorstellungen anderer, nicht-japanischer, zumeist ostasiatischer Akteure in Asien befassen. Der deutschsprachige Sammelband Selbstbehauptungsdiskurse in Asien greift diese Fragestellung auf und stellt chinesische, koreanische und japanische Sichtweisen aus verschiedenen

chûki ajia shinshutsu ron no ni ruikei [Japan: Asiens Führer oder Abkehr von Asien – zwei Wege mit Asien umzugehen] (in: Satô Seizaburô und R. Dingman (Hrsg.): Kindai Nihon no taigai taidô [Die moderne japanische Außenwahrnehmung], Tokyo daigaku shuppankai, Tokyo, 1974; 35-64). 26 Siehe Kishi Toshihiko, Arano Yasunori und Kokaze Hideo (Hrsg.): Higashi ajia no jidaisei [Ostasien im Wandel der Zeit] (Hiroshima, 2005), Teruo Ito: Ajia to kindai nihon: han shinryaku no shisô to undô [Asien und das moderne Japan: Gedanken und Bewegungen der Oppositionellen gegen eine Invasion] (Shakai hyoronsha, Tokyo, 1992; Einleitung), siehe desweiteren Ishii Yoneo (Hrsg.): Ajia no aidentiti [Asiens Identität] (Yamakawa shuppansha, Tokyo, 2000) sowie Stefan Tanaka: Japan’s Orient, Rendering Past into History, Berkeley, University of California Press, 1993. 27 Siehe Duara Prasenjit: The Discourse of Civilization and Pan-Asianism (in: Journal of World History, 2001, 12, 1; 99-131).

20 Perspektiven und Zeiten vor (Amelung: Selbstbehauptungsdiskurse). Kuroki Morifumi hat sich mit Arbeiten des koreanischen Historikers Yi Kwang-nin beschäftigt. Dieser sieht die koreanischen Asienbilder zwar immer noch als stark vom japanischen Diskurs beeinflusst, zeigt dabei gleichzeitig auf, dass von Seiten Koreas pro-japanische Ambitionen ausgingen. 28 Aus taiwanesischer Perspektive betrachtet Leo Ching den japanischen Imperialismus (den er als eine Form des Asianismus versteht) in seiner Studie über die Ritualisierung der Kaiserverehrung und Vermittlung des kokutai29-Gedankens auf der Insel, nachdem diese im Jahr 1895 zur japanischen Kolonie wurde. 30 Ching thematisiert anhand des

Bedeutungswandels des Begriffs dôka [{同化} Assimilation] zu kôminka [{公民化} ‚Imperilisation’, d. h. „turning colonized people to imperial subjects“] die sog.

Japanisierung [{日本民族化} nihon minzoka] der Taiwanesen. Der Sammelband von Li Narangoa und Robert Cribb Imperial Japan and National Identities in Asia 1895- 1945 aus dem Jahre 2003 ist mit einer ähnlichen Fragestellung nach dem Einfluss japanischer Kolonial- und Imperialpolitik auf die Identitätsbildung des koreanischen, chinesischen und indischen Asiens angetreten. Der überwiegende Anteil der Artikel beschäftigt sich mit Ostasien und Indien und behandelt die Identitätsdiskurse und Nationalismen nach dem Ersten Weltkrieg. ‚Asianismen‘ beschäftigen auch Marc Frey und Nicola Spakowski, die zusammen mit weiteren Autoren in einer zeit- und länderübergreifenden Untersuchung Kontinuitäten von Asiendiskursen zusammenstellten.31 Rebecca Karl beschäftigt sich mit den Asien- und Weltvorstellungen chinesischer Intellektueller an der Wende zum 20. Jahrhundert, wobei sie mit einem global history-Ansatz arbeitet.32 Die vorliegende Arbeit schließt an die genannten Vorarbeiten an und will untersuchen, in wie weit

28 Siehe Kuroki Morifumi: Kôakai, ajiakyôkai no katsudô [Aktivitäten der kôakai und der ajiakôakai] (in: Seiji kenkyû, Kyûshû daigaku seiji kenkyûkai, 39, 1992; 1-24). 29 kokutai [{国体} Landeskörper] stellt ein Schlüsselkonzept der meiji-Politik dar, s. II 1 C ausführlich. 30 Siehe Leo T. S. Ching: Becoming ,Japanese’, Colonial Taiwan and the Politics of Identity Formation, Berkeley, University of California Press, 2001. 31 Siehe Li Narangoa und Robert Cribb (Hrsg.): Imperial Japan and National Identities in Asia 1895-1945, London, Routledge, 2003 sowie Marc Frey und Nicola Spakowski (Hrsg.): Asianismen seit dem 19. Jahrhundert (in: Comparativ, 2008, 18, 6; 7-15). 32 Siehe Rebecca Karl: Staging the World, Chinese at the Turn of the Twentieth Century, London, Duke University Press, 2002 und dies.: Creating Asia: China in the World at the Beginning of the Twentieth Century, in: American Historical Review, 1998, 103, 4; 1096- 1118.

21 die japanischen Asienbilder durch die bisher wenig untersuchten japanischen Süd- und Südostasiendiskure beeinflusst wurden.

Die japanischen Asien- und Süddiskurse sind bisher in der historischen Japanforschung nicht in zusammenhängender Weise betrachtet worden, wobei der japanischen Südwahrnehmung ganz allgemein weit weniger Aufmerksamkeit gewidmet wurde als der japanischen China- und (Ost-) Asienwahrnehmung. Zudem ist der Großteil der Literatur über die japanisch-südostasiatischen Beziehungen der Nachkriegszeit gewidmet.

Als einer der ersten Autoren hat sich Irie Toraji in seiner kommentierten Quellensammlung Meiji nanshin shikô [Geschichte der südlichen Expansion Japans in der meiji-Zeit] dem Thema zugewandt. Zwar entdeckt man in seinem Buch aus dem Jahre 1943 durchaus einen hohen Anteil an kriegsfreundlicher , doch stellt es nach wie vor die Grundlage aller weiteren Arbeiten dar. Die Quellensammlung enthält verschiedenste Berichte und Zeitungsausschnitte, Vereinssatzungen politischer Gesellschaften und lange Passagen geschichtlicher Darstellungen, die auf nicht ausgewiesenen Quellen beruhen. Kida Junichirô hat im Jahre 1970 diese Quellensammlung um Auszüge aus Schriften bekannter japanischer zeitgenössischer Publizisten erweitert.33 Yano Tôrus Nanshin no keifu [Die Ursprünge des südlichen Vormarsches], der dritte grundlegende Beitrag zum Thema der japanischen Südwahrnehmung, ist eine eher ereignisgeschichtlich gehaltene Darstellung der japanischen Südexpansion und behandelt in erster Linie die taishô- und beginnende shôwa-Zeit (1912-1926; 1926-1989). Auch in dieser Quellensammlung sowie in seinem zweiten Buch aus dem Jahre 1979 Nihon no nanyô shikan [Japans Sicht auf die südliche See und seine Geschichte] stellt er Sichtweisen von Südostasien von zeitgenössischen Publizisten dar. Doch die Ausführungen von Yano basieren überwiegend auf offiziellen Quellen des japanischen Handels- und Wirtschaftsministeriums sowie des Außenministeriums und der Marineabteilung des Kriegsministeriums und erschöpfen sich des Öfteren in repetetiven Beschreibungen. Ein ähnlicher Quellencorpus dient Mark Peattie als

33 Siehe Irie Toraji: Meiji nanshin shikô [Geschichte der südlichen Expansion Japans während der meiji-Zeit], Ida shoten, Tokyo, 1943 und Kida Junichirô: Nangokki [Über das südliche Land], in: Hanzawa Hiroshi (Hrsg.): Ajia e no yume [Der Traum von Asien] Sanitsushobô, Tokyo, 1970; 186-231.

22 Grundlage für sein Buch über Nan’yô – The Rise and Fall of the Japanese in Micronesia, 1885-1945 aus dem Jahre 1988, in welchem er die japanische Expansion in den Pazifik behandelt, allerdings mit einem Schwerpunkt auf der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Paul H. Clyde behandelt ebenfalls die Zwischenkriegszeit bzw. die Zeit der japanischen Mandatsschaft über die deutschen Kolonien im Pazifik.34 Die japanischen Quellen-Beiträge aus den 1960-80er Jahren sowie Peattie und Clydes Auseinandersetzungen mit nanyô [südliche See] orientieren sich stark an militärgeschichtlichen, teils wirtschaftgeschichtlichen Fragestellungen und behandeln so gut wie keine Aspekte der Nationalismusforschung – sicher einer der Gründe, der die bisherige nanyô- Forschung nicht recht anschlussfähig an die neueren Ansätze der post colonial theory-Forschung zu den (Ost-) Asiendiskursen macht. Eine Ausnahme stellt der japanische Geograph Shimizu Hajime dar. Er ist einer der ersten, die sich neuere Ansätze der post colonial studies, in diesem Fall der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Raum, Nation und Identität (spatial turn, s.o.) zur Erforschung der japanischen Süd- und Südostasienwahrnehmung zu Nutze machten und sich mit dem Prozess der kartographischen Verräumlichung der südostasiatischen Region aus japanischer Perspektive beschäftigt hat. Quellengrundlage seiner Untersuchungen sind japanische Geographie-Lehrbücher, aus denen er entnimmt, dass ein räumliches Konzept für ‚Südostasien’ in der japanischen Wahrnehmung im Wesentlichen in den 20er Jahren des 20. Jahrhundert, also nach dem Ersten Weltkrieg entstand. Shimizu hat dieses Thema in weiteren Publikationen vertieft. Schließlich hat Faye Yuan Kleeman die japanische Südwahrnehmung in der japanischen Romanliteratur untersucht und auf diese Weise eine neue Quellengattung zur Analyse von Regional- und Nationaldiskursen erschlossen.35

34 Siehe Yano Tôru: Nanshin no keifu [Die Ursprünge des südlichen Vormarsches], Chûôkôronsha, Tokyo, 1975, ders.: Nihon no nanyô shikan [Japans Sicht auf die südliche See und seine Geschichte], Chûôkôronsha, Tokyo, 1979 sowie Mark Peattie: Nan’yô – The Rise and Fall of the Japanese in Micronesia, 1885-1945, Honolulu, University of Hawaii Press, 1988 und Paul H. Clyde: Japan’s Pacific Mandate (New York, Macmillan, 1935). 35 Siehe Shimizu Hajime: Kindai nihon ni okeru tônanajia chiikigainen no seiritsu [Die Herausbildung der geographischen Vorstellungen über Südostasien im modernen Japan], in: Ajia keizai, 28, 7, 1987; 22-38, ders.: Kindai Nihon ni okeru tônan aiya gainen no seiristu: Shô, chûgakkô chiri kyôkasho ni miru [Südostasien in Schulbüchern der Grund- und Mittelstufe des modernen Japan] (in: Ajia keizai, 28, 6, 1987; 2-15) und Faye Yuan Kleeman: Under an

23

Neben den oben genannten Beiträgen über die historischen Beziehungen zwischen Japan und Südostasien, sind einige Studien zu bilateralen Länderbeziehungen zu berücksichtigen. Hervorzuheben ist hier die Arbeit von Josefa Saniel über die japanisch-phpilippinischen Beziehungen. Josefa Saniel hat mit ihrem bereits im Jahre 1962 erschienenen Werk Japan and the die japanisch- philippnischen Beziehungen im Zeitraum von 1868 bis 1898 überwiegend auf der Grundlage offizieller Dokumente des Außen- und Wirtschaftsministeriums sowie der Berichte von Konsulatsangehörigen untersucht. Lydia Yu-José steht für eine neue Generation von Historikern, die Ansätze aus diskurstheoretischer Perspektive in ihre Arbeit aufnehmen. Sie schließt mit ihrem Buch Japan Views the Philippines zeitlich an das Werk von Saniel an, beschäftigt sich jedoch überwiegend mit der Rezeption der Philippinen aus der Perspektive japanischer Journalisten, Intellektueller und Schriftsteller, im Besonderen des Kolonialwissenschaftlers Nitobe Inazô.36 Die Entdeckung Australiens ist für die japanische Südwahrnehmung von entscheidender Bedeutung gewesen. Ihr widmet sich Henry Frei in seinem einschlägigen Aufsatz Japan Discovers Australia. Der Bonner Japanologe und Emeritus Josef Kreiner hat den von ihm herausgegebenen Sammelband Ryûkyû in World History der Geschichte der Ryûkyû-Inseln und ihrer Einbindung in das chinesische Tributsystem gewidmet.37 Eine Zusammenführung dieser Einzelstudien und die Nutzung von neuen Quellen, die im Folgenden vorgestellt werden, sollen die Rolle der japanischen Südwahrnehmung für die Geschichte der japansichen Asienwahrnehmung erschließen helfen.

Die japanische Wahrnehmung der südost- und ostasiatischen Nachbarn ist in dieser Arbeit zum einen auf der Quellengrundlage von Zeitungsartikeln und Vereinspublikationen der vielen, in der frühen meiji-Zeit gegründeten politischen

Imperial Sun: Japanese Colonial Literature of Taiwan and the South, Honolulu, University of Hawaii Press, 2003. 36 Josefa M. Saniel: Japan and the Philippines 1868-1898, New York, Russel & Russel, 1963 und Lydia Yu-José.: Japan Views the Philippines, 1900-1944, Ateneo de Manila University Press, Manila, 1999. 37 Siehe Henry Frei: Japan Discovers Australia, the Emergence of Australia in the Japanese World-View, 1540s-1900, in: Monumenta Nipponica, 1984, 39, 1; 55-81 und Josef Kreiner (Hrsg.): Ryûkyû in World History, Bonn, Bier’sche Verlagsanstalt, 2001.

24 Vereinigungen, der sog. seiji kessha [政治結社] nachgegangen worden. Diese Quellen sind zu großen Teilen in u.a. oben genannter sekundärwissenschaftlicher Literatur enthalten und dort in langen Passagen zitiert oder als Originalausgaben zum Großteil in der Bibliothek der orientalischen Kulturen [Tôyô bunko], gegründet 1917, sowie in dem bekannten Institut der Kulturen des Orients [Tôyô bunka kenkyûjo], Gründung während des Pazifikkrieges/Zweiten Weltkrieges, einzusehen.38 Zu letzteren zählen u.a. das hier untersuchte Journal der Gesellschaft des aufstrebenden Asiens [Kôakai hôkoku], das Journal der Östlichen Gesellschaft [Tôhô kyôkai hôkoku], das Journal der Gesellschaft für Wirtschaftsstudien [Keizai gaku kyôkai zasshi] sowie die Zeitschriften Japan [Nippon] und Japaner [ Nihonjin]. In den Vereinsorganen der seiji kessha ist bis auf wenige Ausnahmen die nordostasiatischen Region, d. h. mit China, Korea, Russland sowie die Mandschurai der Fokus der Berichterstattung. Nur vereinzelt waren Artikel über die südlich von Japan gelegenen Gebiete enthalten, die hier ausgewertet wurden. Versteht man die Vereinszeitschriften als moderne Foren der Meinungsäußerung, die von Oppositionellen wie auch von Regierungsmitgliedern gleichermaßen genutzt wurden, so boten sie eine neuartige Form der öffentlichen Auseinandersetzung mit außen- und innenpolitischen Fragen. Über die Publikationsorgane dieser Vereinigungen wurde vermutlich eine breitere, interessiertere Öffentlichkeit erreicht, doch ist zu vermuten, dass sich die Leserschaft aus der obersten Elite der japanischen Gesellschaft rekrutierte, zumindest liegt dieser Schluß nahe, wenn man die Mitgleiderstruktur anschaut.39 Sie setzte sich aus hochrangigen Vertretern aus Politik und Verwaltung, die überwiegend aus den Bereichen der Agrar-, Außen- und Militärpolitik stammten, sowie aus Vertretern der oppositionellen Bewegung für Bürgerrechte [jiyû minken undô] zusammen. Mit dieser Mitgliederstruktur spiegelten die Vereinigungen einen partei- und lagerübergreifenden außenpolitischen Konsens wieder, der sich nicht selten in einer anti-westlicher Haltung finden ließ. Die Vereinigungen entstanden teils anläßlich tagesaktueller politischer Fragestellungen und ihre Existenz wurde gelegentlich mit der Erledigung dieser Fragen wieder aufgehoben.

38 Siehe auch Shigeyuki Edamatsu: Meiji nyûsu jiten hensan jinkai, 9 Bde., Mainichi komyunikeshonzu, Tokyo, 1983. 39 Forschungen über die Reichweite dieser Zeitschriften sind der Autorin nicht bekannt.

25 Informell ergänzten und erweiterten die asienbezogenen Vereinigungen die offizielle Außenpolitik Japans in verschiedener Hinsicht. Z.B. unterstützte das Außen- und Kriegsministerium die (teils expansionistischen) Aktivitäten der Vereinigungen mit finanziellen Mittel. Ähnlich wie die Ministerien unterhielten einige Gesellschaften einen Berichterstatterdienst, dessen Beauftragte nach China oder in die südlich von Japan gelegenen Gebiete reisten. 40 Eine Vielzahl von den hier verwandten Quellen ist auf diese Weise produziert worden. Eine weitere Quelle zur japanischen Asienwahrnehmung stellt das Werk Kuzû Yoshihisas Tôa sengaku shishi kiden [Erlebnisse und Biographien der Ostasien-Festland-Abenteurer] dar. In dieser Quellensammlung sind autobiographische und biographische Notizen einiger Asienaktivisten und Wortführer des Asianismus zu finden. Zudem wurden Ego- Dokumente verschiedener Pan-Asiaten verwandt.41

Die vorliegende Untersuchung behandelt auch die Frage, wie südostasiatische Studenten, die Tokyo als Lehr- und Studienort aufsuchten, von japanischen Lehrern wahrgenommen wurden. Dies wurde u.a. anhand von Berichten über südostasiatische Studenten, die an Tokyoter Schulen studierten, untersucht. Das Kapitel über Vietnam beschäftigt sich mit diesem Aspekt der japanischen Asienwahrnehmung in Japan selbst (III 2 F.). Hier wurden entweder Schulchroniken wie die der Tôa dôbun shoin [Institut der gemeinsamen ostasiatischen Kultur] sowie Immatrikulationslisten und ähnliche Dokumente wie das Sotsugyôsei ni kansuru shorui: shokoku gakusei [Dokumente zu Graduierten verschiedener Länder] ausgewertet.42 Der japanische Sinologe Sanetô Keishû beschäftigte sich bereits in den 1960er Jahren mit den Auslandsstudenten in Japan [ryûgakusei]. Damals standen vornehmlich chinesische Studenten im Blickfeld (Paula Harrell baute auf

40 Siehe Wieland Wagner: Japans Außenpolitik in der frühen meiji-Zeit 1868-1894, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 1990; 189ff sowie passim. 41 Siehe Kuzû Yoshihisa: Tôa sengaku shishi kiden [Erlebnisse und Biographien der Ostasien- Festland-Abenteurer], 3 Bde., Kokuryûkai shippanbu, Tokyo, 1935. 42 Verwandt wurden Monbushô (Hrsg.): Senmon gakumu kyoku gakui roku [Abschlußregister von Fachschulen], 22 Bde., Bd. 10, 1905-1908, Monbushô, Tokyo, 1935, Sotsugyôsei ni kansuru shorui: shokoku gakusei [Dokumente zu Graduierten verschiedener Länder], 1900- 1907, Tôyô bunko shiriyôkan, Reg.7002, Monbushô (Hrsg.): Monbushô nenpo [Jahresberichte des Erziehungsministeriums], Tokyo, 1907, Naimushô: Gaikoku kihin no raichô kankai zatsuken indo bu [Liste der ausländischen Studenten, die Japan besucht haben], siehe VI D i., Tôyô bunko shiriyôkan: Seijô gakkô ryûgakuseibu shusshinsha meibo [Namensliste der ehemaligen Auslandsstudenten der seijô gakkô], Sanetô bunko mokuroku, Tokyo, 1937.

26 diese Vorarbeiten auf), deren Studienstruktur und –wege auch für die Südostasiaten wegweisend wurden.43 ii. Philippinische und vietnamesische Japan- und Asienwahrnehmung

Zum zweiten thematischen Schwerpunkt dieser Arbeit, der südostasiatischen Japan- und Asienwahrnehmung stellt sich die Literaturlage ähnlich uneinheitlich und nicht geschlossen für die Fragestellung dieser Arbeit dar. Die Mehrzahl jener Studien zu Südostasien, die sich mit der Frage nach Japans Rolle als ‚asiatischem Korrektiv‘ während der Zeit der Herausbildung anti-kolonialer Bewegungen und Nationalismen beschäftigen, behandeln die Sattel- und Spätzeit der anti-kolonialen Widerstands- und Nationalbewegungen oder die japanische Okkupationszeit während des Pazifikkrieges/Zweiten Weltkrieges bis hin zur Unabhängigkeit der Kolonien. Die älteren unter ihnen sind in eine Tradition modernisierungstheoretischer und interdependenzgeschichtlicher Kolonialgeschichtsschreibung einzuordnen, die sich seit den 1970er Jahren verstärkt dem teleologischen Paradigma der Dekolonisation zugewandt hat. Jüngere Arbeiten nehmen stärker Nationalismus und Wirtschaftsimperialismus in den Blick.44

43 Siehe Sanetô Keishû: Chûgokujin nihon ryûgakusei shi [Geschichte der chinesischen Studenten in Japan], Kuroshio shuppan, Tokyo, 1960 sowie Paula Harrell: Sowing the Seeds of Change, Standford, Standford University Press, 1992. 44 Hier kann nur auf eine Auswahl verwiesen werden: Wolf Mendl (Hrsg.): Japan and South East Asia (London, Routledge, 2001); Goto Ken’ichi: Tensions of Empire: Japan and Southeast Asia in the Colonial and Postcolonial World (Athens, Ohio University Press, 2003), Shimizu Hajime: Ryôtaisenkanki no nihon tônan ajia kankei [Aspekte der japanisch-südostasiatischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit] (Ajia keizai kenkyûsho, Tokyo, 1986), ders.: Ajiashugi to nanpôkan’yô, dai ichi tai zenki wo chûshin toshite [Asianismus und die Einbeziehung des Südens während des Ersten Weltkrieges] (in: ders. (Hrsg.): Kindai nihon no nanpôkan’yô [Die Einbeziehung des Südens im modernen Japan], Kagoshima daigaku, 1996; 3-18), ders.: Southeast Asia in Modern Japanese Thought: Essays on Japanese-Southeast Asian Relationship 1880-1940 (Nagasaki Prefectural University, 1997), William Morley (Hrsg.): The Fateful Choice: Japan’s Advance into South East Asia, 1939-1941 (New York, Columbia University Press, 1980), Joyce C. Lebra (Hrsg.): Japanese-Trained Armies in South East Asia: Independence and Volunteer Forces in World War II (New York, Columbia University Press, 1977), Katzenstein: Network Power, Willard Elsbree: Japan’s Role in Southeast Asian Nationalist Movements 1940-1945 (Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1953); zu Vietnam: Shiraishi Takashi und Motoo Furuta: Vietnam in the 1940s and 1950s (Ithaka, Cornell University, 1992); zu den Philippinen: Theodore Friend: The Blue-Eyed Enemy: Japan Against the West in Java and Luzon 1942-1945, Princeton, Princeton University Press, 1988; zu Birma: Jan Becka: The National Liberation Movement in Burma during the Japanese Occupation Period (1941-45) (Prag, Academia Verlag, 1983), Yoon Won Zoon: Japan’s Occupation of Burma 1941-1945 (New York, Columbia University Press, 1971); Josef Silverstein: The minami

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Als Japan in 1960er und 1970er Jahren zum Model nachholender Modernisierung in der asiatischen Region avancierte (sicher aufgrund der japanischen Besatzung weiter Teile Südostasiens nicht unproblematisch), war dies durch ein Interesse an der Vorkriegsgeschichte der japanisch-philippinischen Beziehungen begleitet. In diese Zeit fallen die meisten Untersuchungen über die philippinisch-japanischen Kontakte im Vorfelde des Spanisch-Amerikanischen (1898) und des Philippinsch- Amerikanischen Krieges (1899-1902). Beispielsweise haben US-amerikanische Historiker wie Grant Goodman, Emeritus der Kansas University und Leutnant unter General Douglas MacArthur in Tokyo, in den 70er und 80er Jahren im Besonderen die Zeit der amerikanischen Kolonialherrschaft (1902-1942/46) und die 1930er Jahre, als die Philippinen in das Blickfeld japanischer Militärs rückte, behandelt.45 Doch fokussierten sich die meisten der Autoren dabei auf die Darstellung der im para-militärischen Bereich anzusiedelnden Kontakte zwischen Japanern und Filipinos und steckten kaum das weitere Feld der philippinischen Japanwahrnehmung ab.46 Japanische Historiker haben sich im Besonderen mit der Person des philippinischen Nationalhelden chinesischer Abstammung José Rizal (1861-1896) beschäftigt und stellten ihn in das Zentrum der philippinischen Nationalbewegung. Zu nennen ist hier Ikehata Setsuho, der seit über 30 Jahren religiöse und ökonomische Aspekte der philippinischen Revolution von 1897 in den Schriften Rizals untersucht hat.47 Der Literaturwissenschaftler Kimura Ki hat neben

Organ: A Bridge-Head in Burmese-Japanese Relations, in: United Asia, 1965: 361-366; zu Indonesien: Anthony Reid und Oki Akira (Hrsg.): The Japanese Experience in Indonesia: Selected Memoirs of 1942-1945 (Athens, Ohio University, 1986) sowie P. Post und E. Touwen- Bouwsma (Hrsg.): Japan, Indonesia and the War, Myths and Realities (Leiden, KITLV Press, 1997). Die folgenden Literaturangaben sind im Literaturverzeichnis Philippinen verzeichnet. 45 Siehe z. B. Grant K. Goodman: Consistency is the Hobgoblin: Manuel L. Quezon and Japan 1899-1934, in: Journal of Southeast Asian Studies, 1983, 14, 1; 79-94. 46 Siehe S. V. Epistola: The Hongkong Junta, Quezon City, University of the Philippines Press, 1961, Teodoro A. Agoncillo: The Revolt of the Masses, The Story of Bonifacio and the Katipunan, Quezon City, University of the Philippines Press, 1956, Gregorio F. Zaide: The Philippine Revolution, Manila, The Modern Book, 1954, Renato Constantino: The Philippines, a Past Revisited, Quezon City, Tala Publication Services, 1975, Kapitel 10-16, sowie ders.: The Philippines: the Continuing Past, Manila, Foundation for Nationalist Studies, 1982 und Saniel: Japan, Kapitel 6. 47 Vergl. z. B. Ikehata Setsuho: 19. seiki no tônanajia shakai, firipin shakai no keizaihenka to keikaku [Die südostasiatische Gesellschaft im 19. Jahrhundert, ökonomischer Wandel der philippinischen Gesellschaft und Revolution] (Iwanami kôza sekai rekishi, 21, 5, Tokyo, 1991; 81-114) und ders.: Firipin kokumin kokka no saisho shisô [Die ersten Konzepte eines

28 José Rizal auch die Person des japanbegeisterten Mariano Ponce behandelt und dessen Kontakte mit japanischen Pan-Asiaten nachgezeichnet.48 Die Historiographie über die Philippinen stand bis in die 1970er Jahre auf den Füßen kolonialer, spanisch-sprachiger Quellen. Die (wenigen) in der Landessprache Tagalog überlieferten Quellen fanden weniger Beachtung. Als politisch-historisch relevante Akteure galten in erster Linie Angehörige der chinesisch-stämmigen Oberschicht, die durch höhere Ausbildung und Aufenthalte in Europa zu Trägern liberalem Gedankenguts wurden und die Nationalbewegung wesentlich geprägt haben.49 In jüngster Zeit ist erneut ein Interesse an der kolonialen, amerikanisch- philippinisch-spanischen Geschichte zu verzeichnen, welches im Zusammenhang mit der Revision einer amerikanischen Kolonialgeschichtsschreibung im Zeichen der post colonial theory steht.50 Parallel, aus einer kulturgeschichtlichen Perspektive auf den Prozeß einer nationalen Identitätsbildung eingehend, hat Reinhard Wendt die Historiographie über die Philippinen neuen Fragestellungen wie der philippinisch-katholischen Festkultur als einem zentralem Element der Akkulturation spanisch-christlicher Kultur geöffnet.51 Als Hauptquelle für die vorliegende Arbeit über die philippinischen Japanbilder diente zum einen die englische Übersetzung der spanischsprachigen Zeitschrift Solidaridad, dem Publikationsorgan der philippinischen Emanzipationsbewegung in Madrid. Die hier verwandte Übersetzung der Solidaridad von John S. Schumacher ist im Jahre 1966 angefertigt und 1996 überarbeitet worden. Eine Einordnung der Quelle wird im Philippinenteil erfolgen (III 1 D.). Weitere als Quellen verwandte Schriften philippinischer Autoren, wie etwa jene von José Rizal, stellen Briefe und philippinischen Nationalstaates: José Rizals Sichtweise von Nationen und Nationalitäten] (Ajia- afurika gengo bunka kenkyû, 46, Tokyo, 1970; 43-78) sowie ders.: Firipin kakumei to nihon no kanyô [Die japanische Einbindung in die philippinische Revolution] (in: ders., Terami Motoe, Hayase Shinzo: Seki tenkanki niokeru nihon firipin kankei [Die japanisch-philippinischen Beziehungen um die Zeit der Jahrhundertwende], Institute for the Study of Languages and Cultures of Asia and Africa, Tokyo University of Foreign Studies, Tokyo, 1989; 1-36). 48 Vergl. Kimura Ki: Firipin tôitsu no kokuso Hose Risaru [Vater der Philippinen: José Rizal und die japanische Literatur], in: ders.: Nihon ni kita gonin no kakumeika [Fünf Revolutionäre, die Japan besuchten], Iwanami shoten, Tokyo, 1971; 47-130. 49 Vergl. z. B. Renato Constantino: Continuing Past, ders.: Past Revisited oder John R. M. Taylor: The Philippine Insurrection Against the United States (Pasay City, Eugenio Lopez Fondation, 1971). 50 Vergl. etwa Yu-José: Views sowie zur neueren Nationalismusforschung auch Niels Mulder: ‚This God-Forsaken Country’: Filipino Images of the Nation (in: Tönnesson: Asian Nation; 181-204). 51 Siehe Reinhard Wendt: Fiesta Filippina, Koloniale Kultur zwischen Imperialismus und neuer Identität, Freiburg i. Brsg., Rombach, 1997.

29 Reisebeschreibungen aus Japan dar. Es sind weitere Quelleneditionen eingesehen worden und auf die Frage nach der philippinischen Japanrezeption hin untersucht, doch waren nur wenige weitere Fundstellen auszumachen.52

52 Vergl. Marcelo H. del Pilar: La Soberania Monacal en Filipinas (Manila, 1898, übersetzt ins Englishe von Encarnacion Alzona, Phlippine Revolution Historical Association, Manila, 1957), ders.: Frailocracy in the Philippines (übersetzt ins Englische, National Historical Institute, Manila, 1979), ders.: The Life and Writings of Marcelo Hilario del Pilar (Manila, R.P. Garcia Publishing Co.,1987; 36-72) und Apolinario Mabini: The Rise and Fall of the Philippine Republic (in: Austin Craig: The Filipino´s Fight for Freedom, New York, AMS Press Inc., Manila, 1933, rev. Aufl. 1973; 285-383).

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In der historiographischen Vietnamforschung, die sich mit den frühen vietnamesisch-japanischen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts befasst, stand bisher die Person Phan Bội Châus, des ersten überregional sichtbaren, anti- kolonialen Reformers sowie die von ihm im Jahre 1905 ins Leben gerufene und an Japan orientierte Studentenbewegung dong du [Gen Osten/ Blick nach Osten] im Mittelpunkt der Untersuchungen. In diesen aus den 70er und 80er Jahren stammenden Studien machte sich gleichfalls eine modernisierungstheoretisch geprägte Sichtweise Japans bemerkbar, die eine Begeisterung über die rasante japanische Nachkriegsentwicklung auf die meiji-Zeit rückzuprojezieren schien. So wurde die vietnamesische dong du-Studentenbewegung als Teil eines Modernisierungsprozesses betrachtet, dessen Anfang auf den Beginn des 20. Jahrhunderts datiert wurde.53 Phan Bội Châus Japanrezeption wird in diesen Studien in erster Linie unter dem Aspekt seiner als anti-westlich bezeichneten Grundausrichtung interpretiert und die anti-kolonialen Widerstandsaktivitäten im Sinne einer traditionellen Kolonialgeschichtsschreibung, die einen herrschenden und handelnden Kolonialisten und einen beherrschten und aufbegehrenden Vietnamesen kennt, gedeutet. Letztere Sichtweise geht teilweise noch auf die Geschichtsschreibung über Vietnam aus den 50er Jahren zurück, die durch die Auswertung vornehmlich französischer Quellen geprägt war, eine Ausnahme bildet hier die ausgewogene Sichtweise des australischen Historikers Milton Osbornes.54 Die wohl umfangreichste Zusammenstellung der Ergebnisse vorangehender Forschung über Phan Bội Châus Japanaufenthalte hat der Japaner Shiraishi Masaya

53 (Die folgenden bibliographischen Angaben finden sich unter VI D.) Vergl. David Marr: Vietnamese Anticolonialism, 1885-1925, Berkeley, University of California Press, 1971, William Duiker: The Rise of Vietnamese Nationalism, 1900-1941, Ithaca, Cornell University Press, 1976, Vinh Sinh (Hrsg.): Phan Bội Châu and the dong du-Movement, Yale, New Heaven, Yale Center for International and Area Studies, 1988, Shiraishi Masaya: Tôyû undôki no Phan Bội Châu – to-nichi kara nitchû kakumeika to no kôryû made [Phan Bội Châu und die dong du - Bewegung – Von seiner Ankunft in Japan bis zu seinen ersten Kontakten mit japanischen und chinesischen Revolutionären], Gannandô shoten, Tokyo,1981, Nagaoka Shinjirô und Kawamoto Kunie (Hrsg.): Betonamu bôkokushi hoka [Der Verlust Vietnams und andere Essays], Heibonsha, Tokyo, 1966 sowie Terahiro Akio: Etsunan shoki minzoku o meguru nihon to chûgoku [Die Rolle Japans und Chinas in Vietnams früher Nationalbewegung], Osaka gakugei daigaku kiyô - jimbu kagaku, Osaka, 1966. 54 Vergl. John Frank Cady: The Roots of French Imperialism in Eastern Asia (Ithaca, New York, Cornell University Press, 1967) und Milton Osborne: The French Presence in Cochinchina and Cambodia, Rule and Response (1859-1905), Ithaca, Cornell University Press, 1969.

31 in seinem 1993 erschienenen Buch Betonamu minzoku undô to nihon ajia – Phan Bội Châus no kakumei shiso to taigai ninshiki [Vietnamesischer Nationalismus, Japan und Asien - Phan Bội Châus Revolutionsverständnis und Welterkenntnis] auf der Grundlage japanischer, chinesischer und vietnamesicher Quellen angefertigt. Ebenso wie es bereits Vinh Sinh dargelegt hatte (Vinh: dong du Movement), sieht auch Shiraishi in der Japanrezeption Phan Bội Châus einen wichtigen Baustein für die Herausbildung des vietnamesischen Frühnationalismus.55 Seitdem erfuhr die neuere vietnamesische Geschichtsschreibung weitere Impulse. Yoshiharu Tsuboi argumentierte in seinem im Jahre 1987 erschienenen Buch L’empire viêtnamien face à la France et à la Chine, dass die Vietnamesen während der Errichtung der Kolonialherrschaft Handlungsspielräume besaßen, die teilweise jedoch nicht genutzt wurden. Auch der ursprünglich dominierende Modernisierungs- und Nationalisierungsbegriff erfuhr in den neueren Studien über Phan Bội Châu eine Neuausrichtung. 56 Diskurstheoretische Kategorien wie Selbstwahrnehmung, Identität und space ersetzten ältere Paradigmen wie Modernisierung und Dekolonisierung. US-amerikanische und vietnamesische Historiker wie Marc Bradley, Christopher E. Goscha und Tài Huệ-Tâm Hồ haben vor diesem Hintergrund dieser neuen, aus der post colonial theory stammenden Ansätze neue Blicke auf die vietnamesische Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts geworfen. Dabei ist die Frage nach der Rolle Japans nicht gänzlich aus dem Blick verschwunden, doch wurde dem Aufenthalt Phans und der dong du-Bewegung nicht mehr die gewohnte Aufmerksamkeit zu Teil. 57 Vielmehr rückte die Japanorientierung der frühen vietnamesischen Emanzipationsbewegung in jüngster Zeit auf dem Wege der Global- und Regionalgeschichtsschreibung, die in Phan Bội Châus Japanorientierung einen Beweis für die frühzeitige transnationale Ausrichtung der dong du-Bewegung sieht (so auch Karl: Staging), erneut in den

55 Siehe Shiraishi Masaya: Betonamu minzoku undô to nihon to ajia – Phan Bội Châus no kakumei shiso to taigai ninshiki [Die Rolle Japans und Asiens für den Nationalismus in Vietnam- Phan Bội Châus Vorstellungen über Revolution und die Welt], Gannandô shoten, Tokyo, 1993. 56 Siehe Yoshiharu Tsuboi: L’empire viêtnamien face à la France et à la Chine, Paris, L’Harmattan, 1987. 57 Siehe Christopher E. Goscha: Annam and Vietnam in the New Indochinese Space, 1887- 1945, in: Tönnesson: Asian Nation; 92-130, Tài Huệ-Tâm Hồ: Radicalism and the Origins of the Vietnamese Revolution, Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1992 sowei Mark Philip Bradley: Becoming Van Minh: Civilization Discourse and Visions of the Self in Twentieth-Century Vietnam (unveröffentl., im Druck für Journal of World Histroy), 14 Seiten.

32 Fokus. Diese Perspektive verstellt jedoch teils der Blick auf die inneren Probleme der frühen vietnamesichen Emanzipationsbewegung, etwa die Frage nach der Kontinuität des monarchischen Systems in Vietnam oder dessen radikale Beseitigung, ein wichtiges Thema des vietnamesischen Frühnationalismus, mit dem sich Nguyến Thê Ańh in seinem Artikel The Vietnamese Monarchy under French Colonial Rule 1884-1945 beschäftigt und das auch von Shiraishi in seinem oben erwähnten Buch Betonamu minzoku undô to nihon ajia umfassend diskutiert wird (Shiraishi: Betonamu).58 Die Hauptquelle der hier untersuchten vietnamesischen Japanrezeption stellen nach wie vor die Memoiren Phan Bội Châu dar. Seine erste Autobiographie Reflections from Captivity: Prison Notes (auch: A Letter from Prison, vietn.: Nguc trung thu) stammt aus dem Jahre 1913 und erschien ein Jahr später. 59 Phan schrieb diese Memoiren im Gefängnis von Kwantung (Südchina), nachdem er aufgrund seiner Verwicklungen in die chinesiche Revolution von 1911 von Yüan Shikais Truppen festgenommen worden war. Im Jahre 1936 wurde die Autobiographie erneut aufgelegt. Dao Trinh Nhat übersetzte den im klassischen Chinesisch verfaßten Text im Jahre 1945 in das vietnamesische quốc ngữ, die lateinisierte Umschrift der klassischen vietnamesischen Schriftsprache. Diese Version der Autobiographie wurde anschließend vom Nippon Bunka Kaikan [Japanisches Kulturinstitut] verlegt. 60 Die Originalmanuskripte sind verloren. Seine zweite Autobiographie Overturned Chariot (teils auch: Year to Year Activities) ebenfalls im klassischen Chinesisch verfaßt, schrieb Phan Bội Châu, dann mit dem Zunamen Nien Bieu, in den Jahren 1928 bis 1937 während des über ihn lebenslänglich von den Franzosen verhängten Hausarrestes. Fehlende präzisierende Angaben über die Entstehungszeit des Manuskriptes gaben Anlaß zu Spekulationen wie in der französischen Übersetzung von Georges Boudarel aus dem Jahre 1968 bemerkt ist. Von beiden Manuskripten sind zahlreiche handschriftliche Kopien und Übersetzungen

58 Siehe Nguyến Thê Ańh: The Vietnamese Monarchy under French Colonial Rule 1884-1945, in: Modern Asian Studies, 1985, 19, 1; 147-162. 59 Phan Bội Châu: Reflections from Captivity: Prison Notes, übersetzt ins Englische und hrsg. von David Marr, Athens, Ohio University Press, 1978, verfasst im Jahre 1913 und ders.: Overturned Chariot, The Autobiography of Phan Boi Châu, übersetzt ins Englische und mit einer Einleitung von Vinh Sinh und Nicholas Wickenden, Honolulu, University of Hawaii Press, 1999, verfasst in den Jahren 1928-37. 60 Siehe Nguyến Khac Kham: Discrepancies between Nguc Trung Thu and Phan Bội Châu Nien Bieu in their Records of some important Events of the dong du-Movement: A few Preliminary Remarks and a tentative Re-interpretation (in: Vinh: dong du-Movement; 23).

33 angefertigt worden (Nguyến: Discrepancies; 27). Die ins quốc ngữ übersetzten Abschriften beider Autobiographien sind Grundlage der Darstellung Phan Bội Châus Wirken in David Marrs Buch Vietnamese Anticolonialism und William Duikers Rise of Vietnamese Nationalism. Als rückblickende Selbstzeugnisse wurden beide Autobiographien mit entsprechend kritischem Blick auf allzu verklärende Darstellung der Taten Phan Bội Châus gelesen. Beide Autobiographien enthalten Verweise auf heute verschollene Schriften Phans, die jedoch in einigen Fällen als japanische Abschriften vorliegen. Soweit es plausibel erschien, sind diese Abschriften ebenfalls als Quellen zitiert worden. 61 Bei der Interpretation vietnamesischer Quellen besteht darüber hinaus die Schwierigkeit, dass die meisten der Begriffe des Emanzipationsvokabulars aus dem Japanischen ins Chinesische übersetzt und anschließend ins Vietnamesische übertragen wurden. Das die so importierten Worte Bedeutungsbrüchen unterlagen, erleichterte die sprachliche Analyse nicht eben. 62 Desweiteren sind Biographien und Selbstzeugnisse von japanischen Personen aus dem Umkreis der vietnamesischen Studenten (z. B. ihrer Lehrer) sowie Immatrikulationslisten und Studienregularien für ausländische Studenten in Japan ausgewertet worden (siehe I C i.). An dieser Stelle ist zu bemerken, dass die Autorin japanische Quellen im Original gelesen hat, vietnamesische und philippinische Quellen in englischer oder französischer Übersetzung (in letzteren beiden Fällen sind die Quellenzitate in dieser Arbeit nicht ins Deutsche übersetzt worden). iii. Quellen und Ergebnisse dieser Arbeit

61 Weitere Schriften Phan Bội Châus, auf die in dieser Arbeit Bezug genommen wurde, die jedoch im Original nicht mehr erhalten sind, tragen die folgenden (englischen) Titel: New Letter in Blood and with Tears over the Loss of the Ryûkyûs [Luu cân huyêt lê tân thu], 1903 oder 1904, An Appeal to the Nation to Support Financially Students Studying Abroad [Khuyên quôc dân tu tro du hoc van], 1905, History of the Loss of Vietnam [Viêt nam vong quoc su], 1905, Letter Inscribed in Blood from Abroad, Part I [Hai ngoai huyêt thu so biên], Juli 1906, Letter Inscribed in Blood from Abroad, Part II [Hai ngoai huyêt thu so biên], 1907, Grief over Vietnam and Condolence for Yunnan [Ai viêt diêu diên], 1907, The New Vietnam [Tan viêt nam], 1907 oder 1908, An Inquiry into the History of Vietnam [Viêt nam quôc su khao], 1908. 62 Siehe zu dieser Thematik Henry McAleavy: The Modern History of China, London, Weidenfels and Nicolson, 1975; 304, Lydia He Liu: Translingual Practice: Literature, National Culture and Transplanted Modernity China, 1900-1937, Standford, Standford University Press, 1995 sowie Carmen Blacker: The Japanese Enlightenment - A Study of the Writings of Fukuzawa Yukichi, Cambridge, Cambridge University Press, 1964; 28ff.

34 Mit der vorliegenden Arbeit ist der Versuch unternommen worden, die skizzierten Forschungsstände der bisherigen Debatte unter einer neuen, bisher unberücksichtigt gebliebenen Fragestellung nach der Rolle Japans als asiatischem Korrektiv indigener Emanzipationsdiskurse neu zu ordnen. Die umfassende, auf bereits veröffentlichtem wie auch unveröffentlichtem Quellenmaterial beruhende, hier erarbeitete Darstellung der japanischen und südostasiatischen Japan-, Asien- und Südostasiendiskurse sind in dieser Arbeit als Referenzrahmen für die Bearbeitung der Frage nach der Wechselwirkung nationaler und regionaler Identität erzählt worden, ein Vorgehen und Zusammenhang, der bisher in der Forschung in dieser Zusammenstellung noch nicht gedacht wurde. Die Stationen des Begriffswandels zentraler Worte wie Asien, Westen, Zivilisation, Fortschritt, Japan, Süden etc. aus verschiedenen Perspektiven, die mit einem pejorativen asiatischen Selbstbild begannen, sich in einem Opfernarrativ niederschlugen, im Zuge entstehender Reform- und Nationaldisurse Formen von Selbstbehauptung annahmen um später, zumindest im japanischen Falle, in ein Überlegenheitsnarrativ mit imperialen Visionen zu münden, diese Begriffsstationen zeigen uns Begriffsüberlagerungen, Begriffsverdrängungen, Neuschöpfungen und Umdeutungen. Aufgrund des Einbezugs der japanischen Süddiskurse in ein japanisches Asiennarrativ konnten gedankliche Vorläufer imperialer Visionen und Zivilisierungsvorstellungen herausgearbeitet werden, die bisher eher unverbunden nebeneinander standen. Die bisher in der Forschung ausgebliebene Untersuchung der Süddiskurse entlang der zentralen Begriffen der japanischen Asiendiskurse zeigte, dass mit der Rezeption des Sozialdarwinismus als westlichem Fortschrittsnarrativ ein praktikables Zivilisierungskonzept in den Süddiskursen entwickelt wurde, welches jene Pfade etablierte, die später wiederum für die Konstruktion des Raumes Asien verfolgt und weiter ausgetreten werden konnten. Bisher ist in der Forschung auf diese gedanklichen Vorläufer der Asiendiskurse in den Süddiskursen nicht hingewiesen worden. Ähnlich überraschend und bisher nicht näher untersucht sind die Ergebnisse der Untersuchung der zweiten Seite der Medaille, der südostasiatischen Japan- und Asienwahrnehmung. Japan als ‚asiatisches Korrektiv‘ und ‚zweiter Weg in die Moderne‘ spielte zeitweise eine prominente Rolle in den Nationaldiskursen und entfaltete zu diesen Zeiten eine identitätsstiftende Wirkung. Dass der Sieg Japans im Russisch-Japanischen Krieg hier keine überragende Strahlkraft in Südostasien selbst

35 entwickeln konnte, wie bisher angenommen, deutet darauf hin, dass die Dynamiken emanzipatorischer Prozesse stets von indigenen als auch von exogenen Faktoren abhängig war. Trafen zwei dieser Faktoren günstig oder ungünstig aufeinander, so wirkte sich dies auch auf die Japanrezeption aus. Auch tragen die Ergebnisse dieser Arbeit zur Stützung der These, dass Wissensinhalte von Diskursen soziokulturell-, zeit- und personenspezifisch sind, bei. Festzuhalten ist, dass die landesspezifischen, durch Quellenlage und Sekudärliteratur bedingten, uns heute bekannten damaligen Wissensbestände eine Gewichtung einzelner Themen und Schwerpunkte innerhalb der jeweiligen Emanzipations- und Nationsdiskurse hervorbrachten. So war es im japanischen Fall die Differenzsuche zwischen dem Eigenen und dem Anderen, ein entwickelter Nationaldiskurs sowie der Versuch einer kulturellen Neupositionierung Japans zwischen dem Westen und dem vormals kulturprägenden China, die eine zentrale semantische Ebene der entstehenden Regions- und Länderbegriffe (wie ‚Asien’, ‚Philippinen’ und ‚Vietnam’) innerhalb des japanischen Emanzipationsdiskurses bedingten. Dieses Spezifikum ist im philippinischen Fall weniger zu beobachten gewesen. Hier wurde z. B. der Begriff Japan vielmehr als propagandistisches Schlagwort gegen die kolonialen Herrschaftsansprüche Spaniens instrumentalisiert. Vermutlich erhielt die Differenzkonstruktion zwischen dem Eigenem und dem Anderem in den philippinischen Emanzipationsdiskursen deswegen weniger Aufmerksamkeit, weil ein Neben- und Ineinander von kulturell Unterschiedlichem aufgrund der langjährigen Kulturerfahrung der Filipinos mit den Spaniern bereits bekannt war. Die Japanrezeption entwickelte sich hier mehr in strategisch- politischen Kategorien. Im Falle des konfuzianisch geprägten Vietnams widerum standen vielmehr verfassungs- und staatsorganisatorische Fragen an zentraler Stelle von Ländersemantiken. Die (auf den Philippinen nicht existente) Frage nach der Fortführung oder Abschaffung der monarchischen Verfaßtheit oder die Auseinandersetzung mit dem nach und nach als minderwertig empfundenen, aus China stammenden Konfuzianismus sowie traditioneller, gewaltsamer Widerstandsformen gegen Fremdherrschaften bildeten ein Gravitationsfeld von Fragen, welche die philippinische Elite kaum beschäftigen konnte. Die Frage nach der (nationalen) Identität trat in Vietnam erst im Verlauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hervor, auf den Philippinen und Japan setzte der Nationaldiskurs jedoch schon in den 1870er und 1880er Jahren ein.

36 Dass sich letztlich das Aufeinandertreffen von Japanern und Südostasiaten an den Tokyoter Lehreinrichtungen auf solider Quellenbasis als schwierig zu bearbeiten und nachzuweisen herausstellte, machte es notwendig, die Quellenarbeit auf Publikationsorgane von einschlägigen Gesellschaften und Vereinigungen zu lenken (I C i.). Dass in längerer Arbeit während eines Forschungsaufenthaltes an den japanischen Universitäten Waseda, Keiô und Tôdai eingesehene Archivmaterial zu den Immatrikulationslisten, Abschlußarbeiten und Abschlußregistern ausländischer Studenten war umfangreich (I C i. sowie I C ii). Doch dass hier das gewünschte Ergebnis eines Nachweises der Aktivitäten südostasiatischer Studenten in Tokyo nur in Einzelfällen zu Tage trat, war einerseits enttäuschend, ist jedoch gleichfalls als Aussage an sich zu verzeichnen. Die Rezeption ‚Japans‘ als Vorbild eines asiatischen Reformmodels schien zumindest nicht vor Ort in persönlicher Kommunikation und Vermittlung, sondern auf einer mittelbareren Ebene, durch Dritte (im Besonderen III 1. E. sowie IV.) vonstatten gegangen zu sein. Es bot sich anschließend an, die Japanbilder bzw. die Südostasienbilder in anderen schriftlichen Dokumenten wie Zeitungen etc. oder in Ego-Dokumenten zu suchen.

D. Diskurs und Wissen

Die im Folgenden untersuchten Zeugnisse stammen alle von Autoren, die in einer Zeit des rapiden kulturellen Wandels lebten. Im Besonderen in Japan und in Vietnam spiegelte sich in den Bildungsbiographien der in ihren historischen Kontexten im Sinne von Kultur- und Bildungsträgern geltenden Gelehrten (literati in Vietnam, gakusha in Japan, ilustrados auf den Philippinen/Madrid) sowohl eine indigene Bildungstradition als auch eine westliche Ausbildung wieder. Dass Wissen im Sinne von Bildung stets auch kulturelle Identität schafft und somit kulturabhängig ist, ist bekannt und insbesondere signifikant im konfuzianischen Kontext, wo Bildung in erster Linie als moralisch-ethische Erziehung und Schaffung einer kulturellen Konformität verstanden wurde. Durch ethische Erziehung auf der Grundlage der konfuzianischen Klassiker, den Vier Büchern und den Fünf Klassikern (die von Chu Hsi (1130-1200), den Brüdern Ch’eng I (1033-1106) und Ch’eng Hao (1032-85) sowie Menzius (370-290 v. Chr.)), sollte eine Vollendung

37 und Reifung der Persönlichkeit erreicht werden. ‚Wissen’ im Sinne von ‚nützlichem Wissen’ war in diesem Wissenskonzept weitesgehend ausgeklammert. Ziel der Bildung war die Herausbildung eines tugendhaften Mitglieds der Gemeinschaft. Im ebenfalls konfuzianisch geprägten Japan wurde dieses konfuzianische Wissenskonzept mit der Aufhebung des Verbotes ausländischer wissenschaftlicher Bücher durch den shôgun [Oberster Feldherr] Tokugawa Yoshimune [1684-1751] erweitert, der, unter Beibehaltung der Politik der Abschließung [sakoku] (1633/39- 1853/68), das Studium westlicher Bücher [rangaku] einem sehr eingeschränkten Leserkreis ermöglichte. Durch die Lektüre westlicher Bücher der medizinischen Wissenschaft, etwa von Philip Franz von Siebold (1796-1866), der von 1823-30 im Dienste der holländischen Regierung in Nagasaki tätig war, wurde Wissen in einem naturwissenschaftlichen Sinne vermittelt. Andere Gebiete waren die Militärtechnik oder Navigation.63 Die meisten der hier zitierten Autoren aus Japan hatten sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts den westlichen Wissenschaften, dem sog. New Learning, d. h. dem Studium westlicher Wissensinhalte wie Staatskunde, Recht, Volkswirtschaft, Navigation, aber auch Agrarwissenschaften, Medizin etc., zugewandt. Sie standen somit zwei Wissenstraditionen gegenüber, die ihr Selbstverständnis und ihre Identität formten. Auf den Philippinen waren die Einrichtungen der höheren Bildung seit dem 16. Jahrhundert in den Händen der katholischen Orden. Eine Säkularisierung der Wissensinhalte brachte später das 19. Jahrhundert mit sich. Zumindest läßt sich feststellen, dass die philippinischen ilustrados in weit höherem Maße mit westlichen Wissensinhalten wie Medizin, der Rechtswissenschaft etc. vertraut waren, auch wenn die Ausbildung an den katholischen Bildungseinrichtungen in Manila weiterhin der Vermittlung christlicher Inhalte und Werte diente. Die hier vorzustellenden Gelehrten und Gebildeten waren somit zugleich Subjekt und Objekt eines sturkturellen Wandels traditioneller Bildungsinhalte (- und systeme). Der US- amerikanische Japanhistoriker Herbert Passin prägte für diese Generation bereits in den 1960er Jahren den Begriff der ‚generation in transition’, oder, wie sein Kollege Kenneth Pyle es nannte, einer ‚new generation’. 64 Charakteristisch für die

63 Siehe Ronald Dore: Education in Tokugawa Japan, Ann Arbour, The Athlone Press, 1984; 34, 144, 169. 64 Siehe Herbert Passin: Modernization and the Japanese Intellectual: Some Comparative Observations (in: Marius Jansen (Hrsg.): Changing Japanese Attitudes toward Modernization,

38 Rezeptionsmuster dieser Generation des Umbruchs sind Dichotomien und Widersprüche in der Sichtweise des Anderen, was auch in den hier untersuchten Überlieferungen deutlich wird.65

E. Terminologische Klärungen: Definitionen und Begrenzungen

In einer Arbeit, die sich mit außer-europäischen Regionen beschäftigt, muß die methodische Problematik der ‚Hermeneutik der Distanz’, des Verstehen (-wollens) eines Beobachtungsgegenstandes aus der Binnenperspektive des Untersuchten, vergegenwärtigt werden. 66 Die Problematik betrifft den Umgang mit Begriffen europäischer Provenienz, sowohl in darstellender als auch in analytischer Hinsicht ist. Damit sind zwei Problemebenen angesprochen, die hier kurz ausgeführt werden sollen. Ganz grundsätzlich steht der Außer-Europa-Historiker vor der Schwierigkeit, Texte und Überlieferungen aus anderen Kulturen (teilweise?, nicht?) zu verstehen bzw. ihre kulturelle Einbindung erschließen zu müssen. Obwohl sich die Ethnologie methodisch mit dem Dilemma der Standordgebundenheit eigener Forschungsfragen und den Möglichkeiten des Verstehens fremder Kulturen beschäftigt hat, besteht nach wie vor für den von außen Blickenden allzu leicht die Gefahr, sich der kulturellen Selbstverständlichkeiten der eigenen Wahrnehmungen nicht in ausreichendem Maße bewußt zu werden und grundlegende kulturgebundene Konzepte wie etwa ‚Modernisierung’, ‚Reform’, ‚Revolution’ oder ‚Fremdheit’ auf andere Kulturen zu übertragen. Man ist allzu leicht geneigt, mit dem Fremdheitsbegriff oder dem Begriff des Anderen an außer-europäische

Princeton, Princeton University Press, 1965; 447-488) und Kenneth Pyle: The New Generation in Meiji Japan, Standford, Standford University Press, 1969. 65 Dass die Vermittlung von westlichem Rechts- und Verwaltungswissen zur Ausbildung von indigenen Arbeitskräften im kolonialen Staat sich auch förderlich für die Herausbildung eines indigen anti-kolonialen und nationalen Bewusstseins zeigte, bezeichnet Wolfgang Reinhard als die ‚Dialektik des Kolonialismus‘. Er argumentiert, dass Aufbau und Erhalt der kolonialen Staatlichkeit und Verwaltung die Ausbildung der indigenen Bevölkerung an Verwaltungsschulen erforderlich machte und somit moderne Wissensinhalte transportiere, die zu einem späteren Zeitpunkt zur Herausbildung der Unabhängigkeits- und Nationalbewegungen beigetragen haben. Reinhard spricht hier indirekt die kulturelle Gebundenheit von Wissen an, siehe Wolfgang Reinhard. Über die homogenisierende Funktion von Bildung im Rahmen von Modernisierung und Nationalismus auch Ernest Gellner: Nations and Nationalism (Malden, Blackwell, 1983). 66 Siehe Thomas Bargatzky: Einführung in die Ethnologie, Eine Kultur- und Sozialanthropologie (Hamburg, Buske, 1985; 25ff).

39 Wahrnehmungsprozesse heranzutreten und nach den Differenzkonstruktionen in den dortigen Kontexten zu fragen. So hat zum Beispiel der japanischen Fremdheitsbegriff eine besondere Ausprägung durch die Insellage, die es den Japanern einerseits ermöglichte, ‚Fremdes’ kontrolliert ins Land zu lassen, es auf der anderen Seite erschwerte, tatsächlich Kontakt mit ‚Fremden’ aufzunehmen. So blieb das reale ‚Fremde’ stets fern und das ‚Fremde’ im Land war schnell akkulturiert. Instrument dieses vermeindlich kontrollierten Umganges mit dem ‚Fremden’ war die Politik der Abschließung der Tokugawa-Herrscher. Auf den Philippinen war aufgrund der langen spanischen Kolonialzeit die Angst vor ‚Überfremdung’ weniger ausgeprägt (s. o. zu den kulturspezifischen Diskurs- und Wissensinhalten).

Es wird davon ausgegangen, dass das Verstehen von Texten fremder Kulturen möglich ist, indem zunächst die eigenen idealtypischen Analysekategorien und Begriffe reflektiert und analysiert und auf kulturelle Selbstverständlichkeiten hin expliziert und nachvollziehbar gemacht werden, bevor sie zum Verständnis von Texten aus anderen Kulturen verwendet wurden. Eine andere Herangehensweise bestünde in der Defintion und Anwendung von transnationalen Begriffen, die sowohl einer ‚asiatischen’ Realität als auch einer ‚europäischen’ gerecht würden. Aber ein solches Vorgehen würde über den Untersuchungsumfang dieser Arbeit hinausgehen.67

Neben der paradigmatisch-analytischen Ebene ist die schlichte Darstellung von historischen Sachverhalten außer-europäischer Kulturkontexte problematisch. Allein die Bestimmung von Herrschaftsverhältnissen, von Schichtenzugehörigkeiten, von wirtschaftlichen oder kulturellen Eliten, ‚Bürgern’ etc. in einer europäischen Sprache impliziert die Anwendung europäischer Konzepte auf außer-europäische Situationen und Verhältnisse; selbst im europäischen Sprachgebrauch sind diese Begriffe mit nuancenreichen Semantiken ausgestattet. Ihre Inhalte sind somit eigentlich nicht auf einen kulturell und gesellschaftlich unterschiedlichen Kontext übertragbar. Versucht man sich dieses Dilemmas durch die Verwendung von indigenen Begriffen und deren Übersetzung zu behelfen, so stößt man auf die

67 Siehe hierzu die in Bälde erscheinende Habil-Schrift Margit Pernaus: Bürger mit Turban.

40 nächste Schwierigkeit: der Sprachschatz der hier untersuchten Kulturen unterlag während der Aufnahme westlicher Politik- und Wertbegriffe nicht unerheblichen Deutungsbrüchen, die nicht zuletzt durch den Prozess des ‚Imports’ kulturellen und politischen Vokabulars aus dem Westen über mehrere Übersetzungsstationen bewältigt werden musste. Die hier aufgezeigten Problematiken habe ich versucht im Text zu thematisieren und zu reflektieren. Soweit es sinnvoll erschien, habe ich im Bezug auf die Darstellung historischer Sachverhalte die Verwendung indigener Termini bevorzugt, teilweise bin ich beim europäischen Beschreibungsvokabular geblieben.

Fest steht, dass ohne Begriffe keine Kommunikation, kein Verstehen und keine Wissenschaft stattfinden kann. Daher hier einige Defintionen und begriffliche Klarstellungen. Weitere zentrale Untersuchungsgegenstände werden jeweils an verschiedenen Orten im Text problematisiert. Die Begriffe Ost, West, Europa und Asien beschreiben auch heutzutage konstruierte Kultureinheiten. Sie eignen sich daher nicht als wissenschaftliches historisches Analysevokabular. An vielen Stellen in der Arbeit werden die Begriffe selbst thematisiert und auf ihren konstruierten Gehalt hin untersucht werden. Doch da sich die Begriffe aus dem wissenschaftlichen Alltagsvokabular als Beschreibungskategorie nicht ausschneiden lassen, ist an entsprechenden Stellen der Lesbarkeit halber auf eine besondere Hervorhebung verzichtet worden. Der Begriff Verwestlichung ist dann verwandt worden, wenn es um die Bezeichnung des Gesamtprozesses der Adaption westlicher Kultur ging, wobei dieser Adaptionsprozess bekanntlich keine Linearität aufwies. Mit ‚Verwestlichung’ ist nicht eine Übernahme, sondern eine selektive Aufnahme und Durchmessung verschiedener Lebensbereiche mit westlichen standards gemeint. Im Prinzip müßte man stets korrekterweise von einer ‚Teilverwestlichung’ oder ‚Hybridisierung’ sprechen.68

68 Der japanische Philosoph Maruyama Masao spricht mit Bezug auf den japanischen Verwestlichungsprozess von einem ‚verrührtem Spektrum’ verschiedener Ideen, siehe Maruyama Masao: Loyalität und Rebellion (übersetzt und hrsg. von Wolfgang Schamoni und Wolfgang Seifert, München, Iudicum, 1997; 72), Marius Jansen bezeichnet die Gleichzeitigkeit der Rezeption verschiedener westlicher Autoren aus unterschiedlichen Epochen der europäischen Geistesgeschichte und deren Verwebung mit dem japanischen Denken als einen ‚eklektizistischen Liberalismus’, siehe Marius Jansen: Ôi Kentarô: Radicalism and Chauvinism (in: The Far Eastern Quarterly, Bd. 11, 1952; 305-316; hier S. 307).

41 Der Begriff der Kultur wird in einem kulturanthropologischen Sinne (Giddens) als beschreibende Kategorie verwandt, d. h. unter Kultur wird das Zusammenspiel menschlichen Wirkens, der Literatur, aber auch der gesellschaftlichen Verfaßtheit und des gesellschaftlichen Denkens und Handels verstanden. Gleichzeitig wird der Begriff der ‚Kultur’ auch gebraucht, um eine durch gemeinsame kulturelle Muster geprägte Gruppe zu bezeichnen. Mit Imperialismus wird die Expansion westlicher Staaten (im speziellen Falle auch Japans) in ökonomischer, politischer, territorialer und kultureller Hinsicht (Zivilisierungsmission) bezeichnet. Als globaler Trend setzte die Zeit des Imperialismus Ende des 19. Jahrhunderts ein und war gekennzeichnet durch eine europäische Mächtekonkurrenz, die zu einer Intensivierung der Interessensdurchsetzung in Nordost- und Südostasien führte. Begleitet wurde imperiale Expansion durch eine Rhetorik der zivilisatorischen Überlegenheit westlicher (bzw. japanischer) über nicht-westliche (bzw. japansiche) Kulture(n). Der Begriff Emanzipation wird hier als Oberbegriff für anti-koloniale und anti- imperiale Widerstands- und Selbstbehauptungsbewegungen verwandt (somit kann er auch auf das nicht kolonisierte Japan und China angewandt werden). Es kann sich dabei sowohl um gewaltsame Widerstandsaktivitäten oder anti-koloniale National- oder Unabhängigkeitsbewegungen handeln als auch um Bewegungen, die für mehr politische Mitsprache- und Partizipationsrechte der indigenen Bevölkerung kämpften. Der Begriff des Emanzipationsdiskurses beschreibt die Bezüge verschiedener zentraler Begriffe, die im Zuge von Emanzipationsprozessen von indigenen Eliten indirekt oder direkt verwandt wurden (z. B. Nation, Westen, Asien, Erneuerung, Reform, Staat).

F. Vorgehen

Das erste Hauptkapitel (II.) beschäftigt sich mit der japanischen Sicht auf Asien (II 1.) und den ‚Süden‘ anhand der beiden Länder dr Philippinen und Vietnams (II 2.). Im zweiten Hauptkapitel (III.) werden die philippinischen (III 1.) und vietnamesische (III 2.) Japan- und Asienbilder bearbeitet, jeweils in einzelnen Teilen. Die nach Ländern orientierte Einteilung der Kapitel wird immer wieder an jenen Stellen durchbrochen werden, wo die Ebene der Bilder verlassen wird und es

42 zu konkreten Kontakten zwischen Japanern, Filipinos und Vietnamesen kam. Dies ist im Besonderen im zweiten Abschnitt des Vietnamteils über die dong du [gen Osten]-Bewegung der Fall (III 2 C-F.). Um in einer abschließenden Betrachtung einen Vergleich der beiden südostasiatischen Länderbeispiele zu ermöglichen und der Frage nachzugehen, welche inneren und äußeren Faktoren die Japanrezeption beeinflußt haben, beginnen beide Kapitel mit der Schilderung der kolonialen Situation (es werden im Wesentlichen die für die spätere Untersuchung relevanten Aspekte benannt) und beschäftigen sich anschließend mit der Japanrezeption in den jeweiligen Emanzipationsdiskursen. Das letzte Kapitel (IV.) führt die in dieser Einleitung gestellten Fragen nach Ländersemantiken, den Auswirkungen des Russisch-Japanischen Krieges auf die südostasiatischen Emanzipationsbewegungen sowie die Ergebnisse dieser Arbeit zusammen und versucht einen Ausblick auf weitere Fragestellungen.

43

44 II. Japanische Asien-, Philippinen-, Vietnam- und ‚Süd’-Bilder

1. Asienbilder A. Südostasien – Fehlanzeige eines historischen Raumkonzeptes Die heutzutage weltweit mit Südostasien bezeichnete Region liegt südwestlich von Japan. 69 Dass sie im Japanischen ebenfalls heutzutage mit südöstlich bzw. auf

Japanisch mit ost-südlich [{東南} tônan] bezeichnet wird, deutet darauf hin, dass Japan nach dem Zweiten Weltkrieg der vom Westen dominierten Einteilung der Welt folgte.70 Im westlichen Sprachgebrauch wurde die heutige Region Südostasien während des Zweiten Weltkrieges verräumlicht, d. h. es wurde eine Gruppe von Ländern unter anfangs in erster Linie an strategischen Gesichtspunkten ausgerichteten Kriterien zu einem zusammenhängenden Handlungsraum gedacht: unter Südostasien wurden all jene Länder subsumiert, die unter japanischer Besatzung standen bzw. gestanden hatten. Dies waren die Philippinen, Indonesien (Niederländisch-Ostindien), Borneo, Vietnam (Indochina), Malaysia, Singapur sowie und Teile Myanmars (vor-koloniale und derzeitige Bezeichnung Birmas). Was bedeutet es für den im 19. Jahrhundert, Anfang 20. Jahrhundert liegenden

Untersuchungszeitraum dieser Arbeit, wenn Südostasien [{東南アジア} tônanajia] ein Raumkonzept ist, welches erst seit dem Zweiten Weltkrieg existiert? Wie ist die Region in historischer Terminologie zu beschreiben? Welche Raumkonzepte, Raumvorstellungen und Begriffe existierten in Japan und Südostasien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? Zunächst ist festzustellen, dass von einer der heutigen, einigermaßen geschlossenen Wahrnehmung der südostasiatischen Region in historischer Hinsicht nicht die Rede sein kann. Dies belegt allein der Umstand, dass es noch im 19. Jahrhundert keinen europäischen (oder japanischen) Begriff für diese Region gab. Historische

69 Selbst multilaterale Organisationen in Südostasien wie die ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) führen die aus westlicher Sicht geographische Verortung in ihrem Namen. 70 Ishii Yoneo: Tônan ajia chiiki ninshiki no ayumi [Südostasien aus der asiatischen Perspektive] (Jôchi ajiagaku, 7, Idashoten, Tokyo 1989; 3), Shimizu: Tônanajia chiikigainen; 6-7. Seitdem findet sich die Bezeichnung tônan im wissenschaftlichen japanischen Sprachgebrauch wieder, wie etwa im Titel der maßgeblichen Zeitschrift Tônanajia kenkyû [Südostasien Studien] des Tônanajia kenkyû senta [Zentrum für Südostasienstudien] der Universität von Kyoto.

45 Bezeichnungen für einzelne Länder des heutigen Südostasiens wiesen in ihrem Namen stattdessen eine kulturgeographische bzw. kulturräumliche Beziehung zu den Großzivilisationen des buddhistisch-hinduistischen Indien oder konfuzianischen China auf, wie etwa an den Bezeichnungen für das heutige Vietnam mit L’Inde au

déla du Ganges oder Indochine/Indochina bzw. Annam [{安南} Volk im Süden Chinas] zu erkennen ist. Für die Inselstaaten Südostasiens existierten jeweils spezifische koloniale/nationalstaatliche Namensgebungen, die nach europäischen Namensstempeln klangen, wie etwa Niederländisch-Indien oder Britisch-Malaya etc. Anhand dieser Länderbezeichnungen wird deutlich, dass die europäische Wahrnehmung der heutigen Region Südostasien während der Kolonialzeit entweder durch kolonialpolitisches Prestigedenken geprägt war oder von der kulturellen Dominanz der beiden Großkulturen China und Indien, denen alle weiteren kleineren ‚südostasiatischen’ Reiche zugeordnet wurden. Eine im heutigen Sinne einheitliche Region gab es nicht. Diese Wahrnehmung wurde im Wesentlichen auch von Japan übernommen, wie auf den nächsten Seiten dieses Kapitel gezeigt werden soll.

Die erste Einebnung einer regionalen Wahrnehmung der südostasiatischen Region in Japan trat mit dem Ersten Weltkrieg ein. Während des Krieges konnte Japan in einigen Ländern Südostasiens, z. B. in Niederländisch-Ostindien (Indonesien) aufgrund von wirtschaftlichen Produktionsengpässen und Lieferausfällen im kriegsgebundenen Holland in ein Handelsvakuum vorstoßen und wurde so zum Hauptlieferant von Fahrrädern für die niederländische Kolonie. Ebenso in der Fischerei konnte Japan einen Fuß in die Tür kolonialer Wirtschaftsräume stellen und die Position europäischer Lieferanten und Kolonialhändler einnehmen. Zusätzlich erschloß sich Japan nach 1918 mit den ihm übertragenen Mandatsgebieten in Ozeanien und Micronesien weitere Handels- und Wirtschaftsräume. Diese historischen Voraussetzungen ließen sowohl Ozeanien, Micronesien als auch Teile des heutigen Südostasien in der Wahrnehmung japanischer Außen- und Wirtschaftspolitiker und interessierter Publizisten in der Zwischenkriegszeit zu einer Wirtschaftsregion werden (Shimizu: Chiikigainen; 5, 32).71 Somit war ‚Südostasien‘

71 Der japanische Südostasienforscher Wada bezeichnet die kommentierte Übersetzung eines chinesischen Textes aus dem 7. Jahrhundert als eines der ersten japanischen Werke über Südostasien. In dem von Takakusu Junjirô in englischer Sprache verfassten Werk A Record of the Buddhist Religion as Practised in India and the Malay Archipelago (A.D. 671-695) aus dem Jahre 1896 bedient sich der Autor der Kategorie der religiösen Zugehörigkeit zum Buddhismus

46 möglicherweise aus japanischer Sicht bereits als Region konturiert, bevor man im Laufe des 20. Jahrhunderts aus westlicher Perspektive diese Verräumlichung unternahm. Stellt man den Befund der historischen Nicht-Existenz des gedanklich-begrifflichen Konzeptes Südostasien für die Zeit des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts in den Zusammenhang der Kernfrage dieser Arbeit nach den gegenseitigen Wahrnehmungsmustern von Japanern und Südostasiaten, so zeigt sich, dass die mit dem heutigen Vokabular bezeichnete Region Südostasien in dieser Form in der japanischen Wahrnehmung demnach nicht existierte. Man wird im Folgenden also nach den Vorläufern bzw. nach anderen Grenzen einer historischen Region ‚Südostasien’ suchen müssen. Um die Spezifik und argumentativen Hauptlinien speziell dieser Vorläuferbezeichnungen herausarbeiten zu können, müssen in einem ersten Schritt die Grundstrukturen des japanischen Asienbildes konturiert werden. Die Rekonstruktion dieses Asienbildes muss sich dabei derselben Problematik des ‚fehlenden historischen Raumes’ stellen.72 Trotz oder gerade aufgrund der hohen semantischen Aufladung des Begriffs Asien wurde dieser Begriff in Japan nach der Öffnung des Landes in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Übernahme westlichen Vokabulars in den japanischen Sprachschatz adaptiert. Es lassen sich jedoch aus japanischer Perspektive die semantischen Ebenen des Asienbegriffs in systematischer Weise schwerer erfassen, weil deren pejorative Bedeutung im Japanischen mehrere grundlegende Umdeutungen, Brüche und Paralleldeutungen erfuhr. Beide lines of inquiry, sowohl die Asien- als auch die Südbilder der japanischen Gelehrten zu untersuchen, sollen anschließend die Frage klären, in wiefern die japanische Philippinen- und Vietnamwahrnehmung davon betroffen oder ursächlich war. Es gilt also sich zu vergegenwärtigen, welche Vorstellungen und Bilder von einzelnen Ländern oder Ländergruppen existierten, welche als kennzeichnendes Merkmal für ‚Südostasien’. Bedenkt man, dass der Begriff Südostasien in seinen jetzigen geographischen Grenzen ein Produkt des 20. Jahrhunderts ist, so kann man Wada nicht zustimmen, dass Takakusu ein erstes Werk über ‚Südostasien’ vorgelegt hat, siehe Wada Hisanori: Developments of Japanese Studies in Southeast Asian History, in: Wolf Mendel: Japan and South East Asia, London und New York, Routledge, 2001; 11-35, hier S. 13. 72 Im Gegensatz zur Region ‚Südostasien’ existierte das, wenn auch zugegebenermaßen diffuse, Raumkonzept ‚Ostasien’ oder ‚Fernost’ im europäischen Sprachschatz zunächst schon länger und ist mindestens seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt. ‚Südostasien‘ war dabei meist inbegriffen. Im angelsächsischen Sprachraum sind die Bezeichnungen Far East oder East Asia gebräuchlich; im Französischen lautet die Bezeichnung Extrême Orient.

47 kulturellen Zuschreibungen die Länderbezeichnungen einer Gruppe trugen und in welchen Traditions- und Sinnzusammenhängen sie standen. Welche Rolle spielten Übernahmen westlicher Raumkonzeptionen in den Überlegungen japanischer Gelehrter und wie bestimmten die Japaner demgegenüber ihre eigene Position in der Region Asien? Es ergeben sich somit im folgenden Fragen über Entstehungskontext und Semantik von Vor- und Nebenbegriffen, von Verdichtungsprozessen der japanischen Asien-, Süd-, Philippinen- und Vietnambilder.

B. Historischer Hintergrund

Seit den 1810er Jahren war Japan in den Fokus westlicher Händler und Seefahrer gerückt, die entweder als Händler, abenteuerlustige Einzelkämpfer oder in geheimem Auftrag von westlichen Regierungen die Küsten des Inselreiches erkundeten. Im weiteren Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchten die westlichen Seemächte immer wieder, offizielle Handelskontakte mit Japan aufzunehmen, doch wurden sie stets zurückgewiesen. Außer auf der Insel Deshima im Hafen von Nagasaki auf der südlichen Hauptinsel Kyûshû, welche zu dieser Zeit von britischen und amerikanischen Schiffen im Auftrage der einzig zum Handel mit Japan autorisierten Westmacht Holland angesteuert wurde, war der Handel mit westlichen Waren untersagt und die im Jahre 1633 verhangene Abschließungspolitik hatte weiterhin Gültigkeit. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchten die westlichen Kolonialmächte dennoch mit steigender Vehemenz, den Fernen Osten in das profitable und weltumspannende Freihandelssystem zu integrieren. 73 Auch Japan konnte sich diesen Bestrebungen nicht entziehen. Ähnlich wie es bereits China im Jahre 1842 im 1. Opiumkrieg mit der Kolonialmacht England erfahren musste, wurde Japan durch den US-amerikanischen Kommandeur Matthew Perry (1794-1858) von dessen Schwarzen Schiffen im Jahre 1853 vor der Bucht von Tokyo durch die bekannten Kanonenkugeln unter Druck gesetzt. Es zeichnete sich für die Shogunats-Regierung das Ende der Politik der Abschließung ab.74 Nach Ablauf eines gesetzten Ultimatums willigte die japanische Seite in die Unterzeichnung von nach westlichen Standards gestalteten Verträgen (mehrere

73 Vergl. John Gallagher und Ronald Robinson: The Imperialism of Free Trade (in: Economic History Review, 1953, 6, 2; 1-15). 74 Weitere Demonstrationen dieser Art erfolgten bei der Bombardierung Kagoshimas im Jahre 1863 und in der Straße von Shimonoseki ein Jahr später.

48 Verträge in der Zeit von 1853-1858, die sog. Ungleichen Verträge von Kanagawa) ein. In den Verträgen wurde geregelt, dass amerikanische Bürger Exterritorialitätsrechte in fünf japanischen Häfen (Yokohama, Nagasaki, Hakodate, später Kobe und Niigata (ehemals Hyôgo)) genossen, die, laut den Verträgen, für den Handel zu öffnen und von Zöllen zu befreien waren.75 Dem Rechtsverständnis der Amerikaner folgend, konnte die Sicherung der amerikanischen Handelsinteressen nur dann gewährleistet werden, wenn eine Angleichung des japanischen Rechtswesens an die westlichen standards of civilisation (s.o.) erreicht werde. Bedingung für die Aufhebung der Ungleichen Verträge und der damit verbundenen Wiedererlangung der vollen Souveränität, einer Rechtskategorie, die in Japan zuvor unbekannt war, war somit die Reformierung bzw. die Etablierung eines Rechtswesens in Japan nach westlichem Muster. Aus Furcht vor einer weiteren Ausdehnung der Exterritorialitätsrechte von den Küstengebieten in das japanische Hinterland, setzte die japanische Führung alles daran, den Forderungen nach Errichtung eines westlichen Rechtswesens nachzukommen. Für Ausgestaltung einer solchen Rechtsreform sorgte die nach einem kurzen innerjapanischen Krieg an die Macht gekommene neue Regierung, die im Jahre 1868 das ca. 250 Jahre währende shôgune-Systeme der Tokugawa-Familie

beendete und die Restauration des japanischen Kaiserhauses [{明治維新} meiji ishin, wörtlich: Erneuerung durch aufgeklärte Politik] im Namen des sechszehnjährigen tennô [Himmlischer Herrscher, dt.: vergleichbar mit ‚Kaiser‘] Mutsuhito (1852- 1912) durchgesetzt hatte.76 Der durch die Neuordnung des Justizwesens ausgelöste Reformprozess setzte einen gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess in Gang, der die geistigen, wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Grundlagen des Landes veränderte.77 Die neue meiji-Regierung verfolgte bei dieser ‚Transformation von

75 Kurze Zeit später forderten weitere Westmächte den Abschluss von ähnlichen Ungleichen Verträgen mit Japan. Die weiteren Vertragsstaaten waren Russland, Holland, England, Frankreich und als letztes Land im Jahre 1861 Preußen. Zu den Ungleichen Verträgen siehe William.G. Beasley (Hrsg.): Selected Documents of Japan Foreign Policy 1853-8 (London, Oxford University Press, 1967: 99-102). Aus rechtshistorischer Sicht behandelt Schenck die Thematik, siehe Paul-Christian Schenck: Der deutsche Anteil an der Gestaltung des modernen japanischen Rechts- und Verfassungswesens, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 1997; 41 ff. 76 Seit dem 13. Jahrhundert war die Bedeutung des tennô auf religiös-repräsentative Funktionen beschränkt gewesen und er war von einer aktiven Machtteilhabe ausgeschlossen. 77 Das gesamte Reformwerk der neuen meiji-Regierung war durch die aus den südwestlich gelegenen han [lehnsähnliche Fürstentümer] Chôshû, Satsuma, Hizen und Tosa stammenden

49 oben’ das Ziel, nahezu alle Lebensbereiche mit westlichen Standards zu durchmessen. Mit anfänglicher Hilfe von ausländischen Ratgebern78, leitete sie eine Reihe von Maßnahmen ein, die die Grundlagen für den Aufbau eines modernen Staatswesens schufen. In den ersten Jahren, zwischen 1871 und 1873 wurde die Zerschlagung der lehnsherrschaftlichen Feudalstruktur durch die Rückgabe der han [lehnsähnliche Fürstentümer] an den tennô eingeleitet 79 , der Kriegerstand der samurai [schwerttragender Adel] abgeschafft und die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, alles Maßnahmen zur Stärkung der neuen Zentralregierung.80 Es folgten ökonomische 81 und politisch-institutionelle Reformen wie die Errichtung von Ministerien und eines Oberhauses sowie im Jahre 1889 die Verkündung der japanischen Verfassung (Schenck: Verfassungswesen). Den ersten Krieg mit westlicher Militärtechnik führte Japan siegreich gegen China in den Jahren 1894 und 1895 um die Vorherrschaft auf der koreanischen Halbinsel. Die Kriegserklärung war von China an Japan erfolgt und wurde mit der am 8. Juni 1894 erfolgten Besatzung des koreanischen Hofes durch japanische Truppen begründet, deren Einmarsch nach Korea die Abmachung des Vertrages von Tientsien aus dem Jahr 1885 verletzte, die besagte, dass weder China noch Japan

Regierungsmitglieder. Während der Abschließungsphase konnten sie aufgrund ihrer geographischen Nähe zum Hafen von Nagasaki mit der Insel Deshima mit holländischen Händlern in Kontakt treten und hatten durch diese bereits Kenntnisse über den Westen erlangen können. Ihr Interesse an den rangaku [West-/Hollandwissenschaften] bezog sich bis zur Landesöffnung im Jahre 1868 im Wesentlichen auf Militärwissenschaften, Medizin, Waffenkunde, Schiffsbau und Navigation, siehe William. G. Beasley: The Meiji Restoration, Standford, Standford University Press, 1973. 78 Vergl. William G. Beasley: Japan Encounters the Barbarians, Japanese Travellers in America and Europe, New Haven, Yale University Press, 1995 und Ardath W. Burks (Hrsg.): The Modernizers, Overseas Students, Foreign Employees, and Meiji Japan (Boulder, Westview Press, 1985). 79 Siehe Harold Bolitho: The Han (in: Marius B. Jansen (Hrsg.): Warrior Rule in Japan, Cambridge, Verlag 1995; 220-255) sowie H. Harootunian: The Economic Rehabilitation of the Samurai in the Early Meiji Period (in: Journal of Asian Studies, 1960; 19, 4; 434-444). 80 Siehe Roger Hackett: The Meiji Leaders and Modernisation. The Case of Yamagata Aritomo (in: Marius Jansen (Hrsg.): Changing Japanese Attitudes toward Modernization, New York, Princeton University Press, 1965; 243-273, hier S. 261ff), Beasley: Meiji Restoration: 350ff sowie Tsunoda Ryûsakû und Wm. Theodore de Bary: Sources of Japanese Tradition, Bd.1, New York, Columbia University Press, 1958; 193f. 81 Grundstein der ökonomischen Erneuerung in den 1870er, 80er und 90er Jahren war ein staatlich geförderter Privatkapitalismus, der mit der Einführung der Geldwirtschaft und Marktproduktion einherging. Das Steuerrecht wurde reformiert und die traditionellen Reiszahlungen durch Geldzahlungen ersetzt. Der Aufbau einer industriellen Binnenstruktur setzte jedoch erst in 1890er ein, siehe C.G. Allen: A Short Economic History of Modern Japan (London, Unwin University Books, 1966: 30-79) und Annelotte Piper: Japans Weg von der Feudalgesellschaft zum Industriestaat, Köln, Verlag Wissenschaft und Politik, 1995; 88ff.

50 Truppen nach Korea entsenden dürften, ohne die andere Seite zuvor informiert zu haben. Hintergrund war die Niederschlagung der pro-japanischen Tonghak-Revolte am koreanischen Hof durch chinesische Truppen, die der japanische Kriegsminister Yamagata Aritomo (1838-1922) mit der Entsendung japanischer Truppen und der Besetzung des koreanischen Hofes beantwortete. Dass Japan mit seinem Sieg und den anschließenden Gebietsforderungen das europäisch-imperiale Mächtegleichgewicht in Ostasien aus der Balance brachte, wurde drastisch durch die Drei-Mächte-Intervention der drei Großmächte Russland, Frankreich und Deutschland erkennbar. Sie forderten die Rücknahme der japanischen Gebietsforderungen, die u.a. die Inbesitznahme der Liaodung-Halbinsel von China vorsah. Sie machten auf diese Weise gleichsam deutlich, dass sie Japan nicht als gleichwertigen politischen Akteur in Ostasien anerkannten und ihre Kolonialinteressen strategisch vertreten wollten. Verstärkt wurde das Gefühl der Herabsetzung bei den Japanern als Russland drei Jahre später durch einen Pachtvertrag mit China die Halbinsel zugesprochen bekam. Japan erhielt im Jahre 1895 als Kriegsentschädigung dennoch die stattliche Summe von ca. zwei chinesischen Jahreshaushalten (235 Mio. Tael). Außerdem schloss Japan einen Handelsvertrages mit China nach dem Vorbild der Meistbegünstigungsregelung, d.h., Japan errang den rechtlichen Status einer Westmacht gegenüber China. Die alltagsweltliche Verwestlichung zeigte sich etwa darin, dass man in Japan begann, den englischen Bowler zu tragen, Rindfleisch zu essen, Gaslampen und Telefone zu benutzen u.v.m. Fortbewegungmöglichkeiten modernisierten sich in Form der Eisenbahn.82 Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete das japanischen Außenministerium Konsulate und Vertretungen in der ganzen Welt und bemühte sich, die bilateralen Beziehungen zu Staaten aus Europa, aber auch zu europäischen Kolonien wie etwa den Philippinen auf vertragsrechtliche Fundamente zu stellen. Anerkannt wurden die japanischen Bemühungen, westlich-diplomatische Umgangsformen und Rechtsbeziehungen einzuführen im Jahre 1899 mit der Revision der Ungleichen Verträge. Erneut beschäftigte Japan die Situation in China ein Jahr später, als dort der ausländerfeindliche Boxer-Aufstand ausbrach und Japan in Allianz mit den

82 Anschauliche Zeugnisse dieser Entwicklung sind auf einigen der japanischen Holzschnitte der frühen meiji-Zeit zu sehen.

51 Westmächten zu dessen Niederschlagung beitrug. Zwei Jahre später schloss Japan die Anglo-Japanese Alliance mit England, ein vertragliches Übereinkommen zur Eindämmung der russischen Expansion in die Mandschurai und nach Korea. Widerum zwei Jahre später, am 10. Februar 1904, brach die nun selbstbewusster gewordene japanische Regierung die seit zwei Jahren andauernden Verhandlungen mit Russland über den Ausbau der Transsibirischen Eisenbahn in die Mandschurai ab und erklärte Russland den Krieg. Nach gut vierzehn Monaten Kriegsdauer besiegte am 27./28. Mai 1905 die japanische Marine die russische Baltik-Flotte vor Tsushima. Der für alle Beteiligten unerwartete Sieg Japans über die russische Flotte brachte Japan militärisch an den Rand der Erschöpfung. Strategisch gesehen hatte sich der Kampf jedoch gelohnt, denn in den sich direkt anschließenden Friedensverhandlungen erhielt Japan mit der Unterschrift unter den Vertrag von Portsmouth am 5. September 1905 die chinesische Halbinsel Liaodung und Teile der russischen Eisenbahn in der Südmandschurai. Innenpolitisch verursachte der Kriegsausgang jedoch eine ernsthafte Krise, da ein Großteil der Bevölkerung die Gebietsgewinne als viel zu gering erachtete.83

C. Reformpolitik und das Verhältnis zu China i. Japan avanciert zum ‚westlichen‘ Vertragsstaat Die sich im Zuge der Reformpolitik einschleichende Durchmessung des Eigenen mit westlichen Maßstäben brachte gleichzeitig eine Neubewertung der kulturellen und politischen Beziehungen zu China mit sich. Kulturell standen sich beide Länder

durch die Zugehörigkeit zum Kulturraum der gemeinsamen Schrift [{漢字文化圏} kanjibunkaken] nahe, ein Kulturraum, der durch die gemeinsame Verwendung der chinesischen Schriftzeichen geprägt war. Die Bedeutung der gemeinsamen Schrift war auch deshalb so essentiell, weil sich die gesprochene chinesische Sprache (und andere auf den chinesischen Schriftzeichen beruhenden Sprachen wie das Vietnamesische) stark in verschiedenen Dialekte unterscheidet, so dass z. T. die

83 Vergl. Ian H. Nish: The Anglo-Japanese Alliance (London, Athlone Press, 1972).

52 Schrift bzw. Schrifkundige die einzige Basis für eine Verständigung waren. Zentrale Schriften der chinesischen Klassik konnten somit im chinesischen Kulturkreis gelesen werden und galten auch in Japan während der Tokugawa-Zeit (1603-1868) als maßgebend und prägend. Der kanjibunkaken war ein hierarchisch gegliederter Raum von politischen und ökonomischen Tributbeziehungen, in dessen Zentrum sich der chinesische Kaiserhof befand und mit den umliegenden Königreichen/Ländern exklusive Handelskontakte unterhielt. Dies waren Korea, Taiwan, die Ryûkyû-Inseln (südlich von Japan gelegene Inseln) und Tongking (Nordvietnam), alle nicht in diesen Tribut- und Kulturraum integrierten Völker galten als Halb-Barbaren oder Barbaren.84 Japan nahm innerhalb dieser Architektur eine Sonderstellung ein. Auch wenn es kulturell vom konfuzianischen China geprägt war, so stand es mit der Großmacht in politischer und ökonomischer Hinsicht in einer Art ‚Nicht-Beziehung’. Der Handel zwischen Japan und China wurde formal über Korea und dem im nordöstlichen Japan herrschenden daimyô [regionaler Lehnsherr] von Tsushima abgewickelt (mit dem Königreich auf Ryûkyû stand der daimyô von Satsuma in Handelsbeziehungen). Die japanische Shogunats-Regierung in Kyoto hatte auf diese Außenkontakte ihrer Lehnsherren nur begrenzt Einfluß. Offizielle Kontakte zwischen dem chinesischen Kaiserhof und dem japanischen shôgun existierten nicht. Außerhalb der offiziellen Ebene kam es dennoch immer wieder zu Kontakten zwischen Japan und China. Teilweise suchten Dissidenten aus China in Japan ‚Asyl’, es kamen auch Gelehrte, Händler oder Schiffbrüchige an die Küsten Japans. Diese eher sporadischen Kontakte scheinen jedoch die einzige Quelle des gegenseitigen Wissensaustausches gewesen zu sein (Toby: State and Diplomacy; 45-52). Der formale Kontakt zwischen Vertretern der chinesischen Regierung und der meiji- Regierung in Japan wurde erst im Jahre 1871 in Form eines (gleichberechtigten) japanisch-chinesischen Freundschaftsvertrages aufgenommen, der auch darauf abzielte, die durch das chinesische Tributsystem etablierten hierarchischen Machtverhältnisse außer Kraft zu setzen und an westlichen Diplomatiestandards auszurichten. Die Tatsache, dass Japan und China nach der meiji ishin Anfang der

84 Zum chinesischen Tributsystem und dem Kulturraum der gemeinsamen Schrift [kanjibunkaken] siehe Mitani Hiroshi: ,Warera’ to ,tasha’. Nashonarizumu keisei-so [‚Wir’ und ‚die Anderen’. Entstehungsbedingungen des Nationalismus], in: Boku Chûshaku und Watanabe Hiroshi (Hrsg.): Kokka rinen to taigai ninshiki, 17-19seiki [Staatsidee und Weltentwürfe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert], Keiô gijuku daigaku shuppankai, Tokyo, 2001; 217-222.

53 1870er in ein nach westlichen Standards der Diplomatie gestaltetes Vertragsverhältnis traten, zeigt, dass Japan seine Außenbeziehungen sowohl zu China als auch zu anderen Ländern des Tributsystems neu zu bestimmen begann.85 Das zum chinesischen Tributsystem gehörende Korea war das erste Land mit dem Japan dann im Jahre 1876 vertragliche Beziehungen einging (Vertrag von Kanghwa), die in diesem Fall ein asymmetrisches Verhältnis festschrieben, nun jedoch zu Gunsten Japans. Der Vertrag räumte den Japanern die gleichen Privilegien ein, die Japan zuvor den westlichen Mächten im eigenen Land hatte zugestehen müssen. Später wurden für den japanischen Handel die koreanischen Häfen Busan und Wonsan geöffnet sowie eine japanische Vertretung in Seoul eingerichtet, die erste japanische diplomatische Vertretung in Ostasien. Mit der gleichen Absicht der Auflösung des zentral ausgerichteten chinesischen Tributsystems erfolgte die Einnahme der südlich von Japan gelegenen Ryûkyû-Inseln in den Jahren 1874-9, die ebenfalls zum chinesischen Tributsystem gehörten und nun mit Japan ein nach westlichem Muster gestaltetes Vertragsverhältnis eingehen mussten. Damit intervenierte die japanische Führung erneut in das alte chinesische Tributsystem, das keine Handelsbeziehungen von Ländern untereinander erlaubte, die mit China selbst in einer Tributbeziehung standen. Mit dem Vertrag von Shimonoseki aus dem Jahre 1895, der den japanischen Sieg über China im vorangegangenen Krieg besiegelte, konnte die japanische Führung sogar China in ein asymmetrisches Vertragsmuster zwingen. Der Vertrag von Shimonoseki war wiederum ein Handelsvertrag nach dem Vorbild der Meistbegünstigungsregelung, der Japan in handelsrechtlicher Hinsicht den Status einer Westmacht gegenüber China sicherte (s.o.). Als im Jahre 1899 die Revision der Ungleichen Verträge im Aoki-Kimberley-Vertrag vereinbart wurde,

85 Siehe Takeshi Hamashita: The Intra-Regional System in East Asia in Modern Times, in: Katzenstein: Network Power; 113-135, hier Sn. 128 u. 130 sowie John F. Fairbank (Hrsg.): The Chinese World Order (Cambridge, Harvard University Press, 1968). Die Institutionalisierung einer neuen vertraglichen Form der Außenbeziehungen setzte in der bakumatsu-Zeit (1853- 1868, letzten Jahre der edo-Zeit, Regierungen der shogune der Tokugawa-Familie (diese von 1603-1868)) mit die Einrichtung des Amtes für ausländische Länder [{外国官} gaikokukan] bzw. ab dem Jahre 1869 mit dem Außenministerium [{外務省} gaimushô] ein. Dieser Institution oblag die Regelung der japanischen Außenbeziehungen mit Ausnahme der Beziehungen zu Korea. Die Kontakte zu Korea verblieben in der Zuständigkeit des daimyô von Tsushima, der traditionell in einem Tributverhältnis mit Korea stand und im Gegenzug das Vorrecht für Handelskontakte mit Pusan hatte. Diese Regelung bestand bis in das Jahr 1873 fort und wurde anschließend an die Zuständigkeit des Außenministeriums nach Tokyo übergeben, siehe Wagner: Außenpolitik; 31ff.

54 hatte die japanische meiji-Regierung ihr Ziel der diplomatischen Anerkennung durch die Westmächte erreicht und ihr außenpolitischer Handlungsspielraum gegenüber China auf einer neuen, nach westlichen Rechts- und Diplomatiestandards definierten Grundlage etabliert.

Der Wandel der japanisch-chinesischen Beziehungen im Bereich der Außenpolitik während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Ausdruck einer umfassenden, vor allem kulturellen Neu- und Minderbewertung Chinas angesichts der sich durch die Anwesenheit westlicher Kolonialmächte immer deutlicher zeigenden militärischen und politischen Schwäche Chinas (siehe hierzu die im nächsten Abschnitt folgenden Ausführungen). Auch wenn hier nicht der Versuch unternommen werden soll, den Prozess der japanischen Verwestlichung als eine Geschichte der Abkehr von China zu schreiben, so sind doch gerade die sich neu formierenden japanischen Chinabilder in der vorliegenden Arbeit von besonderer Bedeutung, weil sie zentral für die Ausbildung des japanischen Asienbildes während dieser Zeit waren. Es gab im Bezug auf China ein weites Spektrum an Positionen, die entweder eine Unterscheidung zwischen China und dem Konfuzianismus machten, in Chinas Rückständigkeit eine Gefahr für Japan angesichts der expandieren Westmächte in Ostasien sahen oder eine anti-westliche Allianz zwischen Japan und China vorschlugen. In jedem Falle weisen die japanischen Chinabilder nicht weniger Dichotomien und Schattierungen auf als dies für die japanischen Westbilder zutreffend war. ii. Kulturkritik an China

Die Geschichte der japanischen Verwestlichung als eine Geschichte der Hinwendung zum Westen und der gleichzeitigen Herauslösung Japans aus dem chinesischen Tributsystem zu deuten, erscheint sinnvoll im Hinblick darauf, dass die Beziehungen zu China für Japan in kultureller und politischer Hinsicht zentral in jeder Hinsicht waren. Mehr noch, die Dominanz der Frage nach einer der Bedrohung durch die Westmächte gerecht werdenden Einschätzung Chinas und der dortigen Situation im japanischen Nationaldiskurs der frühen meiji-Zeit war eine Fortführung der kulturellen Abgrenzungsversuche gegenüber China, die bereits im 18. Jahrhundert eingesetzt hatte, etwa zur gleichen Zeit, als in Japan erste

55 Vorstellungen eines westlichen Raumes [{西洋} seiyô] von Arai Hakusekis 新井白石

(1657-1725) in seiner Schrift Die Verhältnisse im Westen [{西洋紀聞} seiyô kibun] aus dem Jahre 1715 entstanden. 86 Ein erstes für die vorliegende Untersuchung relevantes Konzept der kulturellen Unterscheidung Japans von China stellte das

Konzept des kokutai {国体} dar, was in etwa mit ‚Landeskörper’, ‚Landeswesen’, ‚nationale bzw. Landessubstanz’ oder auch mit ‚Körper der Nation bzw. des Landes’ 87 übersetzt werden kann. 88 Die gedankliche Figur des kokutai war ein

wesentliches Element der japanischen Ur-Religion, des shintô [{ 神道} Weg der Götter].89 Der shintô sollte in der Folgezeit immer mehr an Bedeutung gewinnen bis

86 Siehe Iida Yumiko: Fleeing the West, Making Asia Home: Transpositions of Otherness in Japanese Pan-Asianism, 1905-1930, in: Alternatives, 1997, 22; 409-432, hier S. 412. 87 Im angelsächsischen Sprachraum werden Übersetzungen wie ‚structure’, ‚polity’, ‚basis’ oder ‚character’ verwandt. Im Japanischen werden für den Begriff kokutai die Schriftzeichen für Land und Körper verwandt. kokutai hatte als staatsrechtlicher Terminus in der japanischen Denktradition seit dem 17. Jahrhundert eine feste Verankerung, siehe Klaus Antoni: Shintô und die Konzeption des japanischen Nationalwesens (kokutai), Leiden, Brill Verlag, 1998; 33ff u. 167ff sowie auch Carol Gluck: Japan’s Modern Myth, Ideology in the Late Meiji Period, Princeton, New York, Princeton University Press, 1985; 143-146 sowie dort passim. Die Land-Körper-Analogie bot eine günstige Rezeptionsvoraussetzung für die innerhalb der okzidentalen Politikdiskurse entstandenen Körpermetaphern für den Staat, die den ‚Organismus’ im 18. Jahrhundert als Leitbegriff eines Staatswesen entwickelt hatten, siehe zum staatsrechtlichen Organbegriff Ernst- Wolfgang Böckenförde: Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper (in: Otto Brunner et al (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart, Klett-Cotta, 1978; 519-622, hier S. 561ff). Zum Beispiel hatte der im Verlauf dieser Arbeit noch a.a.O. zitierte und in Japan rezipierte Schweizer Staatsrechtler Johann Casper Bluntschli (1808-1881) die Metapher des Staatsorganismus auf eine Person „…(als) ein beseeltes Kulturwesen, ein Organismus der höchsten Art, d. h. eine Person…,…eine sittlich-geistige Person im Sinne des Rechts und der Kultur“ übertragen, siehe Shingo Shimada: Die Erfindung Japans, Kulturelle Wechelwirkungen und nationale Identitäskonstruktion, Frankfurt am Main, Campus, 1994; 177f u.187ff. Die Rezeption des Staatsorganismusgedanken von Bluntschli in Japan ist am klarsten beim japanischen Staatsrechtler Katô Hiroyuki nachzuvollziehen, siehe Katô Hiroyuki: An Abridged Translation from Bluntschlis ‘Allgemeines Staatsrecht’ on the Inappropriateness of Establishing a Popularly Elected Assembly, in: William Braisted (Hrsg.): Meiroku zasshi, Journal of Japanese Enlightment, Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1976: 47-9. Es wäre sicher interessant, den ‚Staatskörper’-Begriff im japanischen Kontext mit dem im europäischen Kontext zu vergleichen, vergl. zu letzterem Albrecht Koschorke et al (Hrsg.): Der fiktive Staat, Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas (Frankfurt, Fischer Verlag, 2007). 88 Zur offiziellen Staatsdoktrin wurde das kokutai erst im Jahre 1937 als kokutai no hongi [Grundsätze des Staatswesens] in einer geistigen Atmosphäre des aufkommenden chauvinistischen Ultranationalismus Ende der 30er /Anfang der 40er Jahre. 89 Klaus Antoni hat in seiner Studie Shintô und die Konzeption des japanischen Nationalwesens (kokutai) nicht nur den Begriff des kokutai als Differenz stiftendes Element gegenüber China interpretiert, sondern dem shintô-Glauben grundsätzlich diese Rolle zugewiesen. Er beschreibt den shintô als ein Geflecht von Riten und Glaubensdoktrinen, die als ‚ur-japanisch’ und abgrenzendes Kulturelement gegenüber China seit dem 18. Jh. um- und gedeutet wurden.

56 er im Jahre 1868 mit der meiji ishin zu einer Art Staatsreligion wird. Aizawa 90 Seishisai 会沢 正志斎 (1782-1863) , ein einflussreicher Gelehrter der mito-Schule [{水

戸学校} mitogakkô], einer durch den daimyô von Mito, Tokugawa Mitsukuni (1628- 1700) im Jahre 1675 ins Leben gerufenen Schule zur Kompilation einer Geschichte 91 Gesamt-Japans [{ 大日本史} dainihonshi] , entwickelte in seinem Werk Neue

Vorschläge/Empfehlungen für einen Friedensplan [{新論講和} shinron kôwa] aus dem Jahre 1825 grundlegende Gedanken zur kokutai-Lehre.92 So beginnt Aizawa sein

Werk mit einer Beschreibung Japans als dem Land der Götter [{神国} shinkoku], einem Land, welches er als ewigen Wohnort der Urgötter und ihrer Nachfahren beschreibt. Aus dieser Verortung folgert er, dass das Land der Japaner heilig sei und dass Japan einen heiligen Landeskörper besitze. Aizawa führte sein Argument weiter, indem er die Behauptung aufstellte, der heilige Landeskörper stelle einen Beweis für die Auserwähltheit Japans dar und es sich deswegen von allen anderen Ländern unterscheide. Die Auserwähltheit Japans durch die Götter sah Aizawa in

der ungebrochenen Herrscherlinie [{ 万世一系} bansei ikkei] des japanischen

Antoni betont, dass die Ausübung der shintô-Kulte seit ihren Ursprüngen im japanischen Altertum zeitgebundenen Veränderungen unterlag und man nicht von dem shintô sprechen kann, sondern stets von spezifischen Ausprägungen sprechen sollte. Seine Untersuchung beschäftigt sich im Besonderen mit dem shintô in der meiji-Zeit. Die Besonderheit des shintô in der frühen und mittleren meiji-Zeit sieht Antoni in der Funktionalisierung religiös-mythischer Glaubensdoktrinen als grundlegenden Legitimations- und Referenzrahmen für den aufkommenden Staats- und Nationaldiskurs im japanischen Kaiserreich. Diese Nationalisierung und Politisierung von Ritual und Glaubensdoktrinen zeige sich im Besonderen an der Institutionalisierung des tennô in seiner tradierten Bedeutung als gottähnlichem shintô-Priester zum nationalen und damit politischem Oberhaupt eines neu entstehenden japanischen Staates, welcher vor allem als metaphysisches Gebilde und weniger als naturrechtlicher Gesellschaftsvertrag verstanden wurde, siehe Antoni: Shintô; 29-34. Zur japanischen Chinakritik im 19. Jahrhundert siehe auch Mitani Hiroshi: ,Warera’; Kap. 2. und Takeshi: Intra- Regional System. 90 Zur Person Aizawas siehe Antoni: Shintô; 161ff. 91 Mit dem Terminus Gesamt-Japan [{大日本} dainihon] wurde das Territorium des Herrschaftsgebietes der Tokugawa bezeichnet. Ihr Herrschaftsanspruch richtete sich auf ein Gesamt-Japan [dainihon] mit dem Ziel, die politische Zergliederung des Landes durch vormalige Einzelansprüche und Herrschaftsbereiche der Lehnsherren[daimyô] zu überkommen; zur mitogakkô siehe David Margarey Earl: Emperor and Nation, Political Thinkers of the Tokugawa Period, Seattle, University of Washington Press, 1964; 82-97. 92 Siehe Antoni: Shintô; 163-166. Auszüge von Aizawa Seishisais shinron kôwa finden sich auch in Hashikawa (Hrsg.): Nihon no meicho [Hauptwerke der japanischen Literatur] (29, Fujita tôko, Tokyo, 1974: passim), sowie Tsunoda: Sources, Bd. 2; 90-93. Bob Tadashi Wakabayashi hat shinron kôwa übersetzt und kommentiert, siehe Bob Tadashi Wakabayashi: Anti-foreignism and Western Learning in Early Modern Japan, Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1986, siehe auch die Einleitung zum nächsten Teil dieser Arbeit über die japanischen Süddiskurse.

57 Kaiserhauses bestätigt, dessen erster tennô der Legende nach ein direkter Nachkomme der Ur-Sonnengöttin Amaterasu ômikami gewesen sein soll und seine Heiligkeit sich über Generationen vererbt habe.93 Mit einer angestrebten Stärkung des tennô als geistig-legitimatorischem Zentrum herrschaftlicher Macht traten die japanischen mito-Gelehrten in eine immer stärkere Konkurrenz zur vorherrschenden konfuzianischen Staats- und Herrschaftslehre, welche die ersten Tokugawa-shôgune im 16. und 17. Jahrhundert aus China übernommen hatten. Mit den Postulaten der göttlichen Auserwähltheit des tennô, des heiligen kokutai etc. stellte die shintô-Lehre auch das chinesische Zentrumsprinzip innerhalb des kanjibunkaken und damit die Position des

Reiches/Landes im Mittelpunkt/der Mitte [{中国} chûgoku, d.h. China] in Frage. Die Kritik am chinesischen Zentralitäts- und Universalitätsanspruch schlug sich auf unterschiedlichen Ebenen nieder. U.a. missachtete Japan mehrfach die als exklusiv geltenden Handelsbeziehungen Chinas mit seinen Tributstaaten, indem es die Handelsbeziehungen z. B. mit Korea und dem Ryûkyû-Reich verstärkte und selbst einen Zentrumsanspruchs formulierte. Der Anspruch auf ein eigenes, dazu religiös legitimiertes Herrschaftszentrum im System der kulturhierarchisierenden Unterordnung aller Länder unter den chinesischen Kaiser kratzte an der Strahlkraft des chinesischen Kaiserhofes als universalem Machtzentrum (Toby: State and Diplomacy).

Die shintô-Lehre erhielt durch eine weitere Schule, die Landes-Schule [{国学校} kokugakkô] an Bedeutung. 94 Mit denselben Absichten der Etablierung einer Differenz- und Gegenposition zum chinesischen Konfuzianismus (und Buddhismus), wenn auch eher in literarischer und künstlerischer Hinsicht, waren die Gelehrten der kokugakkô bestrebt, die japanische Kultur auf ihre Ursprünge zurückzuführen und von äußeren Einflüssen und moralisierenden Prinzipien des Konfuzianismus zu reinigen, die sie für künstlich und gefühllos hielten. Die kokugakkô-Gelehrten rekurrierten dabei stärker als die Anhänger der mito-Schule auf die zentralen japanischen Annalen aus dem 7. und 8. Jahrhundert und vertraten

93 Siehe hierzu die Ausführungen über die im 14. Jahrhundert verfassten Dokumente zur Herrschergenealogie und eines möglichen Schismas des japanischen Kaiserhauses von Sepp Linhart: Nationalismus und Staatenbildung im Japan des 19. Jahrhunderts (in: Ernst Bruckmüller und ders. (Hrsg.): Nationalismus, Wege der Staatenbildung in der außer- europäischen Welt, Wien, Verlag für Gesellschaftskritik, 1994; 129-151; 131ff). 94 Die mitogakkô und die kokugakkô gelten als die zwei herausragenden geistigen Strömungen des 19. Jahrhunderts in Japan.

58 die Überzeugung, dass die Kenntnis der alten Bücher in der ‚japanischen Seele’ das Unverfälschte und Reine hervorbringe.95 Manifest wurde die Kritik am kulturellen Führungsanspruches Chinas durch die von japanischen Gelehrten der kokugakkô

und mitogakkô im Laufe des 19. Jahrhunderts verwendete Bezeichnung 支那 [{shina}

China] anstelle von 中国 [{chûgoku} Reich/Land im Mittelpunkt/der Mitte]. shina ersetzte den mit einer Semantik des Herrschaftszentralismus innerhalb des sinozentrischen Kulturraumes versehenen Begriffs chûgoku, der Japans Unterordnung (und die weiterer Länder) unter die chinesischen Kulturhoheit implizierte. 96 Beide Schulen etablierten den shintô als ein Gegennarrativ des Konfuzianismus und machten das kokutai und den shintô zu einem religiösen und kulturellen Selbstbehauptungselement.97 Würde man das kanjibunkaken als eine Art historische Region bzw. Kulturraum betrachten, so stellte das japanische kokutai- Narrativ einen kritischen Gegenentwurf zu diesem Raumkonzept dar. Auf der China-Kritik seiner Vorgänger aufbauend, entwickelte im 19. Jahrhundert 98 der kokugakkô-Gelehrte Hirata Atsutane 平田篤胤 (1776-1843) den Auserwähltheitsgedanken des japanischen kokutai und tennô fort und schuf einen Ausgangspunkt für spätere Asiendiskurse der frühen und mittleren meiji-Zeit. 99 Hirata basierte seine Überlegungen zudem auf den Ausführungen seines Mitstreiters

95 Von besonderer Bedeutung war der Bezug auf zwei Anthologien, den Aufzeichnung alter Geschehnisse [{古事記} kojiki] und den Japanischen Annalen [{日本記] nihongi]. Beide Werke stammen vom Beginn des 8. Jahrhunderts und berichten über die Entstehung der Welt, der Götter und den Ursprung des Kaiserhauses. Sie gelten als die heiligen Bücher des shintô. Ebenso bedeutsam waren die Anthologie [{万葉集} manyôshu], eine Lied- und Gedichtsammlung aus dem 8. Jahrhundert sowie der Bericht über die legitime Linie des Himmlischen Herrschers [{神皇正統紀 } jinnôshôtôki] aus dem 14. Jahrhundert, siehe Antoni: Shintô; 31-33, 133-135. Die kokugakkô war maßgeblich durch Kada Azumamaro (1668-1736) geprägt, der im Jahre 1728 die Wissenschaft der ‚Nation’ [{国家の学} kokka no gaku] verkündete. Ihm folgten die Gelehrten Kamo Mabuchi (1697-1769) und Motoori Norinaga (1730-1801), siehe Lydia Brüll: Die japanische Philosophie, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1993; 67ff und Antoni: Shintô; 139-140, im Besonderen FN 136. 96 Zum Beispiel wurde auch in Yokohama das Viertel, in dem die damals ansässigen Chinesen lebten ab ca. 1876 mit shinagai bezeichnet. 97 Während der edo-Zeit entwickelten sich weitere Absetzbewegung, z. B. auf den Gebieten der Kunst und Geistesgeschichte. Der Zen-Buddhismus ist z. B. eine eigenständige japanische Form des Buddhismus mit seiner Betonung des Spontanen und Intuitiven. 98 Zur Person Hirata Atsutane, siehe Antoni: Shintô; 142f. 99 Klaus Antoni bezeichnet Hirata als den eigentlichen Begründer eines modernen shintô, der die einzelnen shintô-Lehren zu einem einheitlichen mit universalem Deutungsanspruch versehenen Konzept zusammenführte, siehe Antoni: Shintô; 144.

59 Motoori Norinaga 本居 宣長 (1730-1801), der Japan bereits als anderen Ländern ‚überlegen’ bezeichnete. In seinen Texten heißt es:

„... aufgrund der besonderen Aufteilung unseres kaiserlichen Landes wurde das Altüberbrachte aus der göttlichen Zeit fehlerlos auf uns übertragen und erzählt uns von der Entstehung der großen Gottheit und den Gründen ihrer Verehrung. Die ‚besondere Aufteilung unseres kaiserlichen Landes’ heißt, dass unser Land das Heimatland der strahlenden Sonnengöttin ist, die ihre Strahlen in alle Länder und alle vier Meere sendet. Somit ist unser Land der Quell und Ursprung aller Länder und in allen Belangen steht es über allen andern Ländern.“100

Das japanische Inselreich schien demnach der Ursprung aller Länder zu sein und stand in allen Belangen über allen anderen Ländern. 101 Hirata schmückte die Überlegenheitsallegorie weiter aus und war der Überzeugung, dass Japan sich von allen anderen Völkern wie Indien, Russland, Holland und Siam, aber auch China, vollständig unterscheide und diesen Ländern überlegen sei, weil die Gottheiten ausnahmslos in Japan geboren seien:

„…Japaner unterscheiden sich gänzlich und sind überlegen über Chinesen, Inder, Russen, Holländer, Siamesen, Kambodianer und alle anderen dieser Welt. Und was uns betrifft, so haben wir unser Land nicht aus Prahlerei das Land der Götter genannt. Es waren die Götter, welche die Länder dieser Erde formten und diese Götter waren ausnahmslos in Japan geboren worden…”.102

Dass Hirata China in einer Reihe mit der einzig zum Handel befugten und als barbarisch geltenden Macht, Holland, nannte, deutete einmal mehr auf die abwertende Sichtweise Chinas hin. Hirata personalisierte darüber hinaus die postulierte Überlegenheit Japans im tennô, welcher die Fähigkeit zur Führung anderer Völker vom Himmel verliehen bekommen und dieses Amt als himmlische

Mission [{天職} tenshoku] auszuführen habe. Zur Erreichung dieses Ziels sollten Japaner in seinem Namen jene in Übersee liegenden Länder bevölkern und dort den Menschen die japanischen Lehren nahe bringen. Hirata weitete damit die Idee der Göttlichkeit des Reiches und seines Herrscherhauses auf das ganze japanische Volk

100 Siehe Tsunoda: Sources, Bd. 2; 18, dort zitiert aus Motoori Norinaga zenshû. 101 Motoori Norinaga zitierte ein weiteres ‚ur-japanisches’ Bild, indem er das Altertum Japans mit einer knorrigen Kiefer vergleicht, die sich auf dem Gipfel eines Berges befinde. Die knorrige Kiefer stehe für die alten und verwurzelten Lehren Japans im Gegensatz zu den Lehren anderer Länder, die Zwergbäumchen glichen, die in einem Garten wachsen. Ihre Zweige seien ausgerichtet und beschnitten, um in eine künstliche Form zu passen. Brüll: Philosophie; 103. 102 Siehe Tsunoda: Sources, Bd. 2; 39, dort zitiert aus Hirata Atsutane zenshû.

60 aus. Mit diesem Übertrag der himmlischen Mission auf ein ganzes Volk, dessen charakterliche Eigenschaften er als besonders bezeichnete und dessen Gesundheitszustand er als allen anderen überlegen beschrieb103, hatte Hirata die späteren Bezugspunkte chauvinistischer und nationalistischer Argumentation geschaffen, auf die ein Großteil japanischer Pan-Asiaten ihre Gedanken fußen sollte. Hirata hatte aus seiner Perspektive das Zentrum des chinesischen Kulturkreises verlagert und den Anspruch erhoben, dass Japan eben dieses Zentrum sei.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts veranlassten neue Gegebenheiten wie die militärische Bedrohung Japans durch die Schwarzen Schiffe des Kommandeur

Matthew Perry im Jahre 1853 z. B. den Gelehrten Yoshida Shôin 吉田松陰 (1830- 1859), ein aus der südlichen Provinz Chôshû stammender samurai, sehr konkrete Ideen und Vorstellungen über eine mögliche territoriale Expansion Japans auf das chinesisch-koreanische Festland vorzunehmen.104 Seine Ausführungen sollten auf spätere bedeutende meiji-Oligarchen wiederum einen erheblichen Einfluss ausüben.105 Prägend für Yoshidas Wahrnehmung der militärischen und politischen Situation in der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Schwäche Chinas und dessen Niederlage im 1. Opiumkrieg im Jahre 1842 gegen die Engländer. Diese Niederlage Chinas wurde in Japan mit sehr großer Sorge verfolgt. Man schlussfolgerte, dass die militärische Schlagkraft Chinas gegen die Westmächte völlig unzulänglich sei und

103 Siehe Antoni: Shintô; 149, dort zitiert aus Hirata Atsutane zenshû. 104 Weitere Gelehrte der bakumatsu-Zeit (1853-1868) mit expansionistischen Visionen waren Katsu Kaishû 勝海舟 (1823-99) und Okubo Tadahiro 久保忠弘 (1817-88). Vor einer Expansion der Westmächte warnte auch Arai Hakuseki in seinem bereits zitierten Werk Die Verhältnisse im Westen [seiyô kibun] aus dem Jahre 1715, s. II 1 C ii., welches auch Aizawa Seishisai gelesen hatte, Wakabayashi: Anti-foreignism; 86. Ebenso besorgt ist Hayashi Shihei (1738-1793) in seinem aus dem Jahre 1791 stammenden Werk Abhandlung über die Verteidigung eines maritimen Reiches [{海国兵団} kaikoku heidan], in dem er in erster Linie vor der russischen Expansion warnt. Wakabayashi weist auf die verhältnismäßig schlechten Kenntnisse der Japaner über die westlich Welt um die Mitte des Jahrhunderts hin, ibid; 88-95. 105 Yoshida Shôin war Lehrer von meiji-Regierungsmitgliedern wie Inoue Kaoru 井上馨 (1835- 1915), einem Anhänger der Ehre dem Kaiser, Vertreibung der Barbaren [{尊皇攘夷} sonnô- jôi]-Bewegung und vielfachem Minister im Außen- und Finanzministerium; von Yamagata Aritomo 山県有朋 (1838-1922), dem ‚Vater’ der modernen japanischen Armee und langjährigem Kriegs- und Innenminister sowie von Itô Hirobumi 伊藤博文 (1841-1909), fünffachem Premierminister. Die drei hier genannten Persönlichkeiten stammten aus derselben Provinz wie Yoshida. Zu Yoshida Shôins Leben und Werk sowie seiner Hirata-Rezeption siehe Earl: Emperor; 109-212.

61 der erste geschlossene Ungleiche Vertrag von Nanking (29. August 1842) zwischen Großbrittanien und China ein verheerendes Licht auf die tatsächliche Stärke und

Verhandlungsmacht Chinas warf. In seiner Schrift Gefängnisnotizen [{ 幽囚録} yûshûroku] aus dem Jahre 1854 verurteilte Yoshida das Vordringen der westlichen Mächte in Japan. Vor dem Hintergrund dieser Bedrohung, so Yoshida, hätte Japan das Recht, Teile Chinas und Koreas gegen die expansiven Bestrebungen des Westens zu verteidigen, indem sie zuvor einem Groß-Japan [dainihon] einverleibt würden. In seinen Plänen sah Yoshida zunächst vor, Kamschatka, die Ryûkyû- Inseln und Korea einzunehmen. 106 Er basierte seine Expansionsvision auf dem kokutai-Konzept seiner Vorgänger, doch adaptierte er das Konzept angesichts der konkreten militärischen Bedrohung durch die Westmächte. In dieser weiterentwickelten Form blieb die kokutai-Lehre insofern maßgebend für die frühe meiji-Zeit, als durch sie das westliche Expansionsstreben zu einer Legitimation für einen ‚präventiven Expansionismus’ Japans, wie man es bezeichnen könnte, interpretiert wurde. Die südlich von Japan gelegenen Gebiete wie die Philippinen, Tongking (Nordvietnam) und Taiwan, werden neben dem australischen Kontinent bei Yoshida zwar erwähnt, doch bleiben sie von peripherer Bedeutung. iii. Kurze Zusammenfassung

Sowohl innerhalb der mitogakkô als auch der kokugakkô wurden im 19. Jahrhundert unter Rückgriff auf Mythen und Überlieferungen aus dem japanischen Altertum zentrale Elemente des shintô wie etwa der Topos des Götterlandes, der ungebrochenen Herrscherlinie des tennô sowie der Auserwähltheit der Japaner als ein Gegennarrativ zum Konfuzianismus etabliert. Diese Festschreibung einer auf einem Überlegenheitsdiskurs fußenden Identität zielte auf eine Kritik am chinesischen Universalitätsanspruch und der Demontage konfuzianischer Werte und Moral. Die Dogmatisierung der shintô-Lehren verstärkte sich in einer Zeit der ersten kriegerischen Begegnungen mit den expandierenden Westmächten. Der vorherrschende Eindruck, dass selbst das chinesische (Zentral)-Reich den Europäern nichts entgegen zu setzten hatte und die Institutionen des konfuzianischen Staatssystems gegen die Expansion der Westmächte versagten, verstärkte zu dieser

106 Siehe Earl: Emperor; 170-4, dort zitiert aus Yoshida Shôin zenshû.

62 Zeit den Eindruck der grundlegenden Unterlegenheit der chinesischen Kultur gegenüber den westlichen Mächten. Die verschiedenen Ansatzpunkte der Konfuzianismuskritik verdichteten sich zu einer fundamentalen Abkehr von China: China wurde zum Inbegriff von Wehrlosigkeit und gekünselter Moral. Mehr noch, die sich erhärtende Chinakritik wurde zu einem Teil des japanischen Selbstverständnisses, welches durch den Überlegenheitsdiskurs der shintô-Lehre gestützt wurde. Sowohl Westorientierung, Chinakritik als auch die damit einhergehende Entwicklung eines Überlegenheitsbewußtsein, hatten entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Asien- und Südbilder der frühen und mittleren meiji-Zeit. Im Folgenden sollen nun die Stationen der Veränderung des japanischen Asienbegriffs zwischen Westorientierung und China-Kritik angesehen werden.

D. Neuvermessung: aus kanjibunkaken wird アジア [{ajia} Asien] i. Adaption europäischer Geschichtsnarrative

In der Zeit nach der Ankunft der Schwarzen Schiffe in der Bucht von Tokyo im Jahre 1853 setzte eine, wenn auch noch überschaubare, Rezeption westlicher Literatur in Japan ein, die in einigen Fällen von den Lesern in eigenständigen Schriften verarbeitet wurde. Die von dem bekannten meiji-Publizisten Fukuzawa

Yukichi 福澤諭吉 (1835-1901) verfaßte Schrift Westliche Sachen und Umstände [{西洋

事情} seiyô jijô] aus dem Jahre 1866 dürfte dabei eine der ersten umfassenden Schilderungen über den Westen aus japanischer Feder gewesen sein. Eine breitere Rezeption westlicher Ideengeschichte setzte nach der meiji ishin im Jahre 1868 ein, im Zuge derer Werke von Montesquieu und Rousseau bis zu den aktuellen Theoretikern wie Darwin, Spencer und Guizot entweder in der Originalsprache oder in einer japanischen Übersetzung gelesen wurden. Besonderes Interesse unter den japanischen Gelehrten fanden jene europäischen Zivilisations- und Geschichtstheoretiker, die Erklärungen für die unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Völker der Erde bereit hielten. Mit diesen Entwürfen für Weltgeschichtsnarrative zeigten die europäischen Autoren Entwicklungräume der Welt auf, die am Paradigma dessen gemessen wurden, was im europäischen Diskurs als zivilisiert galt. Sie definierten einen europa-zentrierten Zivilisations- und

63 Geschichtsbegriff und maßen daran die kulturelle Entwicklung anderer Länder, denen sie in ihrer Weltsicht eine unterlegene Stufe zuwiesen. Wie sich die europäischen Konzeptionen eines auf Europa zentrierten Zivilisationsraum mit dem Konzept des chinesischen Kulturraumes aus japanischer Sicht zusammenbringen ließen und welche Auswirkungen dies auf die Neukonzeption der räumlichen Vorstellung hatte, dies zeigt sich in erster Linie an der Adaption westlicher Zivilisations- und Geschichtstheorien und dem Begriff der Zivilisation. Es soll im Folgenden gezeigt werden, wie die Adaption dieses Begriffes in Japan eine Neuvermessung des ‚asiatischen’ Kulturraumes hervorbrachte. Die erste breitere Diskussion westlicher Zivilisations- und Geschichtstheorien107

setzte um das Jahr 1874 ein, als es sich die Gruppe der meirokusha [{ 明六社} wörtlich: im sechsten Jahr der meiji-Regierung gegründete Gesellschaft] zur Aufgabe gemacht hatte, der Führung des Landes im gesellschaftseigenen

Publikationsorgan, dem meiroku zasshi [{明六雑誌} meiroku Journal], die Werte der

westlichen Zivilisation und Aufklärung [{ 文明開化} bunmei kaika] durch ihre Schriften zu vermitteln und auf die Notwendigkeit der Adaption westlicher Kultur hinzuweisen. 108 Die meirokusha-Mitglieder stammten aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und politischen Lagern. Mitglieder waren z. B. der

Staatsrechtler und spätere Präsident der Universität von Tokyo, Katô Hiroyuki 加藤弘

之 (1836-1916), der soeben erwähnte Publizist Fukuzawa Yukichi oder der

Übersetzer Nakamura Keiu 中村敬宇 (1832-1891), der Samuel Smiles Self-help und John Stuart Mills On Liberty ins Japanische übersetzt hatte.109 Besondere Aufmerksamkeit erhielten die Schriften jener europäischer Autoren, die ihre Zivilisations- und Geschichtsnarrative auf dem Drei-Stadien-Gesetz des Philosophen und Soziologen Auguste Comte (1798-1857) basierten. Dem zu Folge

107 Zur Bedeutung von Geschichtsschreibung in (semi-) kolonialen Kontexten siehe Partha Chatterjee: The Nation and Its Fragments: Colonial and Postcolonial Histories (Princeton, Princeton University Press, 1993), Prasenjit Duara: Rescuing History from the Nation: Questioning Narratives of Modern China (Chicago, University of Chicago Press, 1995) sowie Xiaobing Tang mit seiner Studie über das Asien- und Geschichtsdenken Liang Qichaos, siehe Xiaobing Tang: Global Space and the Nationalist Discourse of Modernity, The Historical Thinking of Liang Qichao (Standford, Standford University Press, 1996; 45ff.) 108 Obwohl die meisten meiroku-Autoren im Wesentlichen den Westen als die überlegene Zivilisation betrachteten, so gab es auch kritische Beiträge, siehe etwa Nakamura Masao: meiroku zasshi, 35, April 1875. 109 Siehe Ôkubo Toshiaki: Meiji no shisô to bunka [Denken und Kultur in der meiji-Zeit] (Yoshikawa kôbunkan, Tokyo, 1988; 255-77) sowie meiroku zasshi; passim.

64 entwickelte sich die gesamte Menschheit, somit auch Japan, im Sinne eines universalen Fortschritts vom Theologismus (die Erklärung von Ereignissen durch übernatürliche Kräfte) über die Metaphysik (Erkenntnis durch Vernunft) zum Positivismus (Erkenntnis der Wahrheit durch Nutzung des Verstandes und Beobachtung) (Brüll: Philosophie; 126). Zu den Rezipienten Comtes zählte der in Japan viel gelesene Francois Guillaume Guizot (1787-1874), Verfasser der Histoire de la civilisation en Europe [Geschichte der Zivilisation in Europa]. Sowohl auf individueller als auch auf ‚nationaler’ Ebene teilte Guizot die möglichen zivilisatorischen Daseinszustände in barbarisch, halb-zivilisiert und zivilisiert ein. Als zivilisiert charakterisierte er Europa, in welchem sich Reichtum, Handels- und Militärmacht, Staatsentfaltung sowie technische Errungenschaften als Ausdruck von ‚Zivilisation’ entwickelt hatten. Ein ebenso intensiv rezipierter Autor war der Engländer Henry Thomas Buckle (1821-1862), dessen Fortschrittstheorie z. B. Fukuzawa Yukichi in seinen Schriften verarbeitete.110 Mit seinem positivistischen Erklärungsansatz des zivilisatorischen Fortschritts wies Buckle Entlehnungen von Francois Guillaume Guizot und Auguste Comte auf. Europa stellte auch für ihn das Zentrum der zivilisierten Völker dar, die übrige Welt teilte er in Länder der Kategorien der beiden anderen Stadien ein. Das Besondere an Buckels linearem Schema war, dass die Entwicklung eines Volkes vom Barbarentum zu einer Zivilisation von bestimmten natürlichen Voraussetzungen wie dem Klima und der Geologie abhing. Im asiatischen Teil der Welt, so hält Buckle fest, resultiere aus den teilweise schlechten klimatischen Bedingungen eine ungünstige Verteilung von Gütern, was wiederum eine ungleiche Verteilung von politischer Macht zur Konsequenz habe. Die Naturgebundenheit wirke sich auf ganz unterschiedliche Weise auf den Verstand und den Charakter des Menschen aus. Die Menschen seien aber in der Lage, durch Nutzung ihrer geistigen Kräfte und ihres Intellekts ihre Situation zu beeinflussen – soweit, bis sie die Naturkräfte mehr oder weniger außer Kraft setzen könnten. In diesem Moment hätten sie den Zustand der Zivilisation erreicht.111

110 Siehe meiroku zasshi; 65-6, 91-3 sowie David Dilworth und Cameron Hurst: Fukuzawa Yukichi’s An Outline of a Theory of Civilization, Sophia Universität, Tokyo, 1973; 19-21, 38. 111 Siehe Eckard Fuchs: Henry Thomas Buckle. Geschichtsschreibung und Positivismus in England und Deutschland (Leipzig, Leipziger Universitätsverlag, 1994; 126-8).

65 In der japanischen Rezeption wurde der europäische Begriff Zivilisation mit der

chinesischen Schriftzeichen-Kombination bunmei [{文明} wörtlich: Kultur/Schrift und klar, hell, Aufklärung] übersetzt. Der Begriff bunmei stammt ursprünglich aus dem klassischen Chinesisch und beschreibt die Verfeinerung des Charakters und des gesellschaftlichen Lebens durch Bildung sowie durch die Einhaltung moralisch- ethischer Werte. In den Ausführungen der meiroku-Autoren wurde der bunmei-

Begriff nunmehr auf die westlichen Länder [{西洋国} seiyô kuni] angewandt und

diese somit zum Äquivalent der zivilisierten Länder [{文明の国} bunmei no kuni]. Der Begriff bunmei erhielt eine neue, am westlichen Zivilisationsverständnis orientierte Semantik. In welchem Ausmaß sich die Neuordnung des semantischen Feldes des bunmei- Begriffs auswirkte, wird an einem Werk Fukuzawas aus dem Jahre 1875, dem

Diskurs über die Zivilisation [{文明論の概略} Bunmeiron no gairyaku] deutlich. Dort verwendet Fukuzawa den Begriff der Zivilisation synonym für Westen oder westliche Zivilisation. Er definierte Zivilisation als ein Zusammenspiel aus Empfindung, Gewohnheiten, Bräuchen und Geisteshaltung eines ganzen Volkes. Fukuzawa schrieb:

„Und noch viel weniger sind die Länder Asiens, die sich so wesentlich von denen des Westens unterscheiden, in der Lage, den Westen in seiner kulturellen Ganzheit gleich zu werden. Und selbst wenn sie gleich dem Westen würden, könnte man sie noch nicht als zivilisiert bezeichnen“ (Dilworth: Outline; 16).112

An diesem Zitat Fukuzawas wird deutlich, dass die Adation eines westlichen Zivilisationsbegriffs eine Adaption des binär-asymmetrischen Raumkonzeptes Europa-Asien implizierte. Lexemisch konnte bei einer solchen Adaption auf

Bekanntes zurückgegriffen werden, denn das Wort Asien [{亜細亜},{アジア} ajia] existierte bereits im japanischen Wortschatz. Es war spätestens seit der Anfertigung der Weltkarte Magna Mappa Cosmographica des Jesuiten Matteo Riccis (1552- 1610) bekannt. Der italienische Geograph und Mathematiker hatte diese Karte für den chinesischen Hof angefertigt.113 Abschriften der Karte sind anschließend nach Japan gelangt. Auf dieser Weltkarte ist das Gebiet östlich des Urals mit dem

Schriftzeichen 亜 [a] bezeichnet und somit vermutlich die älteste Übersetzung des

112 Siehe weitere Umschreibungen ibid; 13, 35-37, 47-8. 113 Siehe Hirokawa Sukehiro: Matteo Ricci, Seoul, 2002; 559.

66 Wortes Asien in Japan. Die Schreibweise für Asien 亜細亜 [ajia] ist darüber hinaus

ebenfalls in katakana-Schreibweise アジア [ajia] vorgenommen worden, was auf die Entlehnung eines Wortes aus dem nicht sino-japanischen Sprachraum hinweist.114

Die Schriftzeichen-Kombination 亜細亜 [ajia] für Asien scheint aus phonetischen Gründen bei der Übersetzung aus dem Chinesischen von ya xi ya gewählt worden zu sein (Karl: Staging; 205). Fukuzawas Zitat aus dem Diskurs über die Zivilisation macht deutlich, dass er ein europäisch, pejoratives Asienkonzept zur Beschreibung der japanischen Kultur überimmt. Er benennt im Weiteren des Textes als verbindende Gemeinsamkeiten all

jene Eigenschaften, die den Völkern in Asien [{アジア} ajia] im Gegensatz zu den

Völkern im Westen [{西洋} seiyô oder bunmei no kuni] fehlen würden: dies sind ein aufgeklärtes Denken, Vernunft und Erfindergeist (Dilworth: Outline; 14, 15, 22, 18) etc. Konfuzianismus und Buddhismus werden als Ausdruck einer willkürlichen und despotischen Regierung (ibid; 20-1, 138) bewertet und Aberglaube, Rückwärtsgewandtheit und Fortschrittsfeindlichkeit (ibid; 14-15, 31, 39) kritisiert. Asien setzt Fukuzawa mit den im konfuzianischen Kulturkreis lebenden Menschen

[{同人} dôjin, wörtlich: gleiche Menschen] gleich, womit sowohl Japaner, Chinesen, Koreaner, Taiwanesen etc. gemeint waren. Die Umschreibung der gemeinsamen Kultur dieser Menschen wird hier mit dem Begriff der gemeinsamen Krankheit oder blinden Hörigkeit, dem Verlust von Gesundheit vorgenommen (ibid; 14-5, 24-5, 28, 37-8), den Menschen fehle es an einer Art Zusammenhalt (ibid; 73). Die von Fukuzawa entwickelte Argumentation der eigenen, asiatischen Unterlegenheitsbestätigung entsprach einer der Semantiken des europäischen Asienbegriffs im 19. Jahrhundert (siehe I B.). Fukuzawa sprach über sich selbst in der Sprache der Westmächte und übernahm somit deren Fremdbezeichnung Asien zur Bezeichnung der eigenen Kultur. Den mit dem Attribut ‚unzivilisiert’

gekennzeichneten Raum アジア [{ajia} Asien] setzte er dabei kanjibunkaken gleich. Au diese Weise wurde das europäische Konzept Asien wurde zu einer Kategorie der kulturellen Selbstbeschreibung und überlagerte sich in dieser frühen Phase der Rezeption mit dem kulturräumlichen Begriff des konfuzianischen Kulturraumes. Dass zu Beginn der 1870er Jahre die Basis für eine regionale Identität der Japaner in

114 Bereits seit dem japanischen Altertum nutzte man ein eigenes Silbenalphabet, das katakana, um Begriffe, die nicht dem sino-japanischen Sprachraum entstammten, zu verschriftlichen.

67 Ostasien in erster Linie die empfundene Schwäche gegenüber dem Westen war und die Ansätze des japanischen Überlegenheitsdiskurses zu dieser Zeit in den Hintergrund traten, dies zeigt auch der zwischen China und Japan am 13. Mai 1871 geschlossene Vertrag der gegenseitigen Anerkennung, welcher die Beziehungen zwischen beiden Ländern auf einer westlich-vertragsrechtlichen Basis neu definierte, aber keine Meistbegünstigungsklausel oder Exterritorialitätsregelungen vorsah ( II 1 C i.).

Fukuzawas Adaption des Begriffs Asien stellte keine Einzelmeinung unter den asieninteressierten Gelehrten dar. Auch im Gründungsmanifest der im Jahre 1877

gegründeten Gesellschaft zur Entwicklung Asiens [{振亜会} Shin a kai] ist von dem

Begriff 亜細亜 {ajia} [Asien] die Rede, welcher sich geographisch und kulturell auf Japan, Taiwan, die Ryûkyû-Inseln, China und Korea als gemeinsamen Kulturraum bezog. Ebenso wie Fukuzawa in seinem Diskurs über die Zivilisation zu einer Zivilisierung des kanjibunkaken drängte, so hatten sich die Mitglieder der Gesellschaft zur Entwicklung Asiens unter denen auch Koreaner und Chinesen waren, der Zivilisierung Asiens, d. h. Japans, Taiwans, der Ryûkyû-Inseln und

Koreas verschrieben. Und mit Entwicklung [{振} shin], wie es im Manifest der Vereinigung hieß, war die Erneuerung Asiens im Sinne der meiji-Reformen

gemeint. Asien [{ 亜細亜} ajia] erscheint hier als ein gemeinsamer Raum der Unterlegenheit und Reformbedürftigkeit, ein Erfahrungsraum des gemeinsamen Gefühls der Rükständigkeit (Kuzû: Tôa sengaku, I; 674ff). ii. ‚Asien’ als Objekt japanischen Reformeifers

Der ajia-Raum gemeinsamer Erfahrung von Reformbedürftigkeit war zugleich ein Raum der Befürchtungen vor der weiteren Expansion der Westmächte. Die wachsende Angst, dass die Länder des konfuzianischen Kulturraumes aufgrund deren offensichtlicher politischer und militärischer Schwäche zum Einfallstor für den Westen und damit zur Bedrohung Japans werden könnten, bezog sich konkret auf westeuropäische Händler und semi-staatliche Handelsorganisationen, vor allem aber auf die russische Expansion in das nordchinesische und nordkoreanische

Gebiet. Kriegsminister Yamagata Aritomo 山県有朋 (1838-1922) beschrieb die Expansion Russlands später in einer Rede im Jahre 1891 als Bedrohung der

68 japanischen ‚line of interest’, einer imaginären Linie, welche die Grenzen Nordchinas und Koreas beschrieb und einen strategischen Schutzgürtel für die ‚line of sovereignty’ darstelle, womit er die faktischen Grenzen des japanischen Inselreiches i.e.S. meinte. Mit dem Ausbau der Transsibirischen Eisenbahn drang Russland in diese imaginäre japanische Pufferzone am Ende des 19. Jahrhunderts vor. Ziel russischer Expansion war es, einen Zugang zum eisfreien Hafen Port Arthur auf der südwestlich von Korea gelegenen Liaodung-Halbinsel zu erhalten (ein Grund, warum Russland gegen den Friedensvertrag von Shimonoseki 1895 intervenierte, in dem Japan die Liaodung-Halbinsel hätte erhalten sollen). Obwohl die Hochphase des russischen Eisenbahnbaus erst um 1900 einsetzte (und letztlich zum Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05 führte), bedeutete der anfang der 1890er Jahre begonnene Ausbau des russischen Schienennetzes von Wladiwostok aus bereits eine, wenn auch nicht faktische, so doch potentielle Bedrohung der koreanischen und chinesischen Außengrenzen.115 Aus der Sicht einiger Japaner wurde die geographische Exponiertheit, technische Schwäche und politische Reformbedürftigkeit Chinas und Koreas zu einem militärischen und territorialem Risiko für Japan. Sie vertraten die Ansicht, dass die russische Expansion nur durch ein nach dem Vorbild der meiji-Reformen militärisch und politisch reformiertes Korea (und China) verhindert werden könne. Anfang der 1880er plädierten aus diesem Grunde Wortführer aus verschiedenen politischen Lagern wie der Taiwan- und China-Beobachter Sone Toshitora, die beiden

Fürsprecher der japanischen Bewegung für Bürgerrechte [{自由民権運動} jiyû minken undô] Ôi Kentarô und Tarui Tôkichi sowie Fukuzawa Yukichi und andere für die Reformierung, oder in anderen Worten, für eine Verwestlichung Koreas nach dem Vorbild der japanischen meiji-Reformen und im Sinne europäischer Zivilisationstheorien. 116 Korea sollte dabei während der zweiten Hälfte des 19.

115 Siehe Marius Jansen: Japanese Views of China during the Meiji Period (in: Albert Feuerwerker et al (Hrsg.): Approaches to Modern Chinese History, University of California Press, Berkeley, 1967; 163-189, hier Sn. 165ff). 116 Die koreanische Halbinsel lag seit Jahrhunderten im Fokus japanischen Interesses. Bekannt sind die Invasionspläne Toyotomi Hideyoshis 豊臣秀吉 (1537-1598) oder die Szenarien einer Eroberung Koreas des kokugakkô-Gelehrten Satô Nobuhiro 佐藤信淵 (1769-1850) aus seiner Schrift Große Theorie der Vereingung aller Dinge unter dem Himmel [{宇内混同秘策} udai kondô hisaku], in: Kida Junichirô: Kaikoku no seishin [Der Geist des Inselreiches], Tokyo, 1977; 43ff. Kurz nach der meiji ishin, im Jahre 1873, wäre es beinahe erneut zu einer Invasion

69 Jahrhunderts eine Art Stellvertreter für den Austrag des ideellen und realen Konfliktes mit dem alten Rivalen China werden.

Eine Reformierung Koreas glaubte man durch die Absetzung des chinatreuen koreanischen Königshauses sowie die Installierung einer reformgeneigten und japanorientierten Regierung am Hof in Seoul zu erreichen. Da nicht klar war, auf welche Weise dieser Wechsel erzielt werden konnte, ob durch die Unterstützung koreanischer Reformkräfte um die pro-japanischen Hofangehörigen und Gelehrten

Kim Ok-kyun 金玉均 (1851-1894) und Pak Yong Hyô 朴泳孝 (1861-1939) oder durch eine Invasion japanischer Truppen, blieben die Pläne zur Absetzung des koreanischen Königshauses Koreas vorerst eine Papierangelegenheit. Erst im Dezember des Jahres 1884 wurden sie durch Kim in einer Art coup d´état in die Tat umgesetzt, wobei japanische Truppen Hilfe leisteten. Nach drei Tagen wurde der coup vom chinesischen Militär niedergeschlagen. Anhand der im Vorfelde dieses 117 coup d´état geführten Koreakriegsdebatten [{西韓論} seikanron] , auf die hier näher eingegangen werden soll, lässt sich darstellen, inwiefern Korea als Teil des

konfuzianischen Kulturraumes bzw. eines reformbedürftigen Asiens [{亜細亜} ajia]

Koreas unter der Führung des samurai Saigo Takamori 西郷隆盛 (1828-1877) gekommen. Doch die von einer Studienreise aus Europa zurückkehrenden Regierungsmitglieder Kido Takayoshi, Okubo Toshimichi und Iwakura Tomomi konnten sich mit ihrer Ansicht durchsetzen, dass Japan vor dem Hintergrund der angestrebten Vertragsrevision keine kriegerische Außenpolitik betreiben dürfe. Jeder expansive Vorstoß Japans in das durch koloniale Herrschaftsverhältnisse gekennzeichnete Asien hätte einen Aufschub der Revisionsverhandlungen bedeuten können, siehe Beasley: Barbarians; 141ff, zu den Koreadiskursen der meiji-Zeit siehe im Folgenden. Mit Sicherheit sind die japanischen Pläne einer Invasion Koreas in ihrem historischen Kontexten zu interpretieren und es sollte keine Traditionsline von Hideyoshi bis zur japanischen Kolonisierung Koreas im Jahre 1910 gezogen werden. In der Forschungsliteratur wird die geplante Invasion Koreas durch Saigo Takamori zumeist in einen inhaltlichen Zusammenhang zu den späteren Koreakriegsdebatten der mittleren meiji-Zeit gesetzt. Es erscheint jedoch überlegenswert, ob die geplante Invasion durch Saigo Takamori tatsächlich bereits einem kolonial-imperialen Denken geschuldet war. Andere Interpretationen des Vorhaben von Saigo erkennen in den Invasionsplänen eher die Suche nach neuen Aufgaben für die durch die meiji ishin deklassierten samurai. Auch Eskildsen weist darauf hin, dass die öffentliche Darstellung der fast zeitgleich stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen auf den Ryûkyû-Inseln und Taiwan im Jahre 1874 noch in erster Linie darauf ausgerichtet war, die kriegerischen Tugenden der samurai zu würdigen und weniger Teil einer zivilisatorisch-imperialistische Propaganda war, siehe Eskildsen: Civilization and Savages. 117 Siehe Banno Junji: Seikan ronsô-go no naiji-ha to taigai-ha [Reformer und Invasionisten nach der Debatte um den Koreafeldzug] (Kindai nihon kenkyûka, 3, Yamagawa shuppansha, Tokyo, 1981; 245-262), Kim Key-Huik: The Last Phase of the East Asian World Order. Korea, Japan and the Chinese Empire, 1860-1882 (Berkeley, University of California Press, 1980) sowie Fujimura: Nisshin sensô.

70 zum Objekt japanischer Reform- und Erneuerungsvorstellungen wurde, von dem sich ‚Japan’ mehr und mehr differenzierte. Die Positionen der oben genannten Vertreter und weitere Vereinigungen sollen vorgestellt werden.

Neben der zuvor erwähnten Gesellschaft zur Entwicklung Asiens beschäftigte sich eine weitere Vereinigung mit dem Vorhaben, ‚Asien’ zu reformieren und zu erneuern. Sie wurde im Jahre 1880 in Tokyo gegründet und trug den Namen

Gesellschaft des erwachenden/aufstrebenden Asiens [{興亜会} Kôakai]. Nach kurzer Zeit wurden Zweiggesellschaften in anderen Städte errichtet. Viele Mitglieder der kôakai hatten im Jahre 1874 an der Strafexpedition gegen die Einwohner Taiwans zur Vergeltung der Ermordung japanischer Fischer von den Ryûkyû-Inseln (formal wurden die Ryûkyû-Inseln erst im Jahre 1879 ein Teil des japanischen Territoriums) teilgenommen. Unter ihnen war auch das kôakai-Gründungsmitglied Marineleutnant

Sone Toshitora 曽根俊虎 (1847-1910), der den Verhandlungsführer in diesem sog. Taiwan-Zwischenfalls [Taiwan shuppei], Ôkubo Toshimichi, beraten hatte (Kuzû: Tôa sengaku, I; 414-6). Die Mitglieder der Gesellschaft kamen, laut Hirobe

Kuwashi 広部玖和紙 (1854-1909), einem der Autoren der Vereinszeitschrift Journal

der Gesellschaft des aufstrebenden Asiens [{ 興亜会報告} Kôakai hôkoku] aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Es waren unter ihnen : „…Gelehrte, Bauern, Künstler, Händler…Regierungsangehörige… und Chinesen und Koreaner.“ (Kôakai hôkoku, 11, 9. Oktober 1880). Der japanische Historiker Kuroki nimmt an, dass anfangs etwa 20 Chinesen der Gesellschaft beigetreten waren. 118 Die Mitglieder verfolgten bei ihren monatlichen Treffen das Ziel der ‚Erweckung und Aufrichtung Asiens’. Sie teilten eine Sichtweise Asiens als eines kulturell unterlegenen und durch den Westen bedrohten Kontinents, der nur durch gemeinsame Anstrengungen erneuert und ‚erweckt’ werden könne. Ein Blick in das ebenfalls monatlich erscheinenden Journal der Gesellschaft des aufstrebenden Asiens gibt Aufschluss über das, was mit ‚Asien’ und dessen ‚Erweckung’ gemeint

war. Das Wort Asien wird auch hier mit dem Schriftzeichen 亜 [{a} Asien] geschrieben. Der Autor Kaneko Yahei schreibt:

118 Siehe Kuroki Morifumi: Kôakai no seiritsu [Gründung der Vereinigung zur Erweckung Asiens], in: Kyûshû daigaku seiji kenkyûkei (Hrsg.): Seiji kenkyû, 30, 1983; 73-110, hier S. 77.

71 “Asien ist der größte Kontinent. In den alten Zeiten war Asien der Quell von Moral und Kultur, heute ist sein Schicksal im Untergang begriffen und die Europäer erniedrigen es. Europa ist der kleinste Kontinent und war das Land der Barbaren in den alten Zeiten, heute wächste seine Größe von Tag zu Tag.“ (Kôakai hôkoku, 2, 1. April 1880, siehe vollständige Übersetzung des Artikels unter V A.).

Das mit 亜 [{a} Asien] bezeichnete Gebiet wird als ein Raum beschrieben, der sich durch einen seit Jahrhunderten gekennzeichneten Prozess des kulturellen Niedergangs und einer derzeitigen existenzbedrohenden Schwäche auszeichnet. Schnell könnte er zum Opfer des Expansionsstreben der westlichen Mächte werden. In der Ausschmückung des Europa-Asien-Gegensatzes finden wir ähnliche Attribute wie in Fukuzawas Diskurs über die Zivilisation. Als Gegenfolie zu ‚Asien’ erscheint zunächst ‚Europa’ als ein Ort des Fortschritts in den Wissenschaften [{学問を通しての進

歩 } gakumon wo tôshite no shinpô], dort überkomme man abergläubische

Vorstellungen [{ 迷信的観念} meishinteki kannen] und diskutiere über

Naturwissenschaften [{科学論議} kagaku rongi]. Innerhalb der europäischen Länder herrsche eine politische Ordnung [{国家の政治組織} kokka no seijisoshiki] und Stärke und Wohlstand würden durch Handel erreicht [{貿易によっての富国} bôeki ni yotte no fukoku]. Asien [{亜} a ] sei das Gegenteil davon und befände sich in einem desolaten Zustand, die Menschen seien abergläubisch und unwissend, ihr Wissen ohne

Substanz [{科学なしの古典や文学などの文系だけの教育} kagaku nashino koten ya bungaku nado no bunkei dake no kyôiku] sowie die Regierungen unfähig [{無能な政府} munô na seifu]. Jedoch die Japaner hätten bewiesen, dass auch die Asiaten [亜人 {ajin}] in den Wissenschaften fortschrittlich und in der Lage seien, Errungenschaften von den

Europäern zu übernehmen. Es bestünde große Hoffnung, dass ganz Asien [{亜} a] an den europäischen Fortschritt anschließen könne, so wie es Japan durch seinen Reformprozess im Begriff sei zu schaffen (Kôakai hôkoku, 2, 1. April 1880, siehe V A. i.). Der Hinweis auf den erfolgreichen Reformprozess in Japan ist neu und bedeutend. Diese Hervorhebung Japans richtete sich direkt an die koreanischen Leser der Zeitschrift (ein Großteil des Journals ist im klassichen kanbun-Stil verfaßt und war somit für Koreaner und Chinesen verständlich), die aufgefordert wurden, der

Vereinigung beizutreten. Ihnen wurde der Plan der Erweckung Asiens [{興亜} kôa] erläutert, in dem Japan eine Führungsrolle spielte (Kôakai hôkoku, 2 und 23, siehe V A i.). An dieser Stelle erhält der Asien-Begriff eine semantische Erweiterung: mit

72 亜 wurde in diesem Fall der gemeinsame, reformbedürftige Erfahrungsraum ‚Asien’ beschrieben, den es nun jedoch nach japanischem Vorbild zu erneuern galt. Auch wurde der geographische Zuschnitt ‚Asiens’ erweitert. Die geographischen

Ausmaße von 亜 [Asien] reichten von der asiatischen (!) Türkei bis Japan (Kôakai hôkoku, 2, siehe V A i.), ein ebenfalls in Europa gängiges räumliches Konzept von ‚Asien’. So wird der Asien-Begriff auch in geographischer Hinsicht semantisch neu belegt. Der ‚asiatische’ Raum der Refrombedürftigkeit stößt nun bis an die Grenzen Europas und vereinigt in sich alle nicht-europäischen Länder bzw. alle Länder, die vom Expansionsstereben Europas betroffen waren. Die in diesem Raum lebenden

Völker sollten eine Asiatische Union [{アジア合邦} Ajia gappô] bilden.

Aufschlussreich für das sich ausdifferenzierende Asienverständnis der kôakai- Mitgleider am Anfang der 1880er Jahre ist auch ein Text vom Januar 1881, in dem der Autor eine sehr feine Unterscheidung zwischen China und dem übrigen Asien [

亜] im Bezug auf Entwicklungs- und Erweckungspotentiale macht. China wird hier zum Inbegriff Asiens, von dem sich Japan (und Korea) abzuheben schienen. Dort heißt es:

„Barbaren und Chinesen – sind dies nicht zwei Wörter für eine Idee? [{蕃人支那人二語一意か} banjin, shinajin nigo ichi i ka]. Früher sagten wir, dass die Menschen aus dem Westen ihre Kleidung falsch herum trügen und wollten sie nicht als Gleiche anerkennen. Aber nachdem wir von ihren Errungenschaften [{ 成果} seika] gehört, ihre Bücher gelesen und ihre Aktivitäten studiert haben, haben wir gesehen, dass ihre Moral und Gebräuche gut sind. Sie haben aber noch mehr, sie haben stets genug Essen und Kleidung, ihre technischen und künstlerischen Fähigkeiten sind hoch, die Staaten reich und ihre Armeen stark. Wir in Asien sind weit von ihnen entfernt [{日本のようになるにはまだ 遠い} nihon no yôni naru ni ha mada tôi]. Wie können wir sie also Barbaren nennen?“ (Kôakai hôkoku, 14, 6. Januar 1881, siehe V A ii.).

‚Asien’ ist auch hier die Gegenfolie zu Europa, zu Zivilisation, Fortschritt und Wohlstand bei gleichzeitiger Auflösung überbrachte Wahrnehmungsmuster wie dem des Barbarentums. Diese Gedankenfigur wurde vielmehr umgedeutet und auf China übertragen.119 Ein weiterer Aspekt dieser Zuweisung ist die Distanzierung Koreas und Japans vom kanjibunkaken [Kulturraum der gemeinsamen Schriftsprache],

119 Die Bezeichnung von Chinesen als Barbaren ist bereits im Jahre 1877 nachgewiesen, siehe Katja Schmidtpott: Offene Häfen, geschlossene Gesellschaft: Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Chinesen in Japan zur Zeit der Konzessionsgebiete (1859-1899), in: Comparativ, 2007, 17, 2; 51-63, hier S. 55, dort zitiert aus der Yokohama mainichi shimbun.

73 wobei nicht einmal mehr die Rede vom kanjibunkaken ist, sondern von Asien. Eine neuartige Hierarchie der Völker in Asien ist hier im Entstehen begriffen – an deren Ende befindet sich nun China und an deren Spitze steht nun Japan.120

Dass die Forderungen nach einer Veränderung der politischen Verhältnisse in Korea nicht bloße Rhetorik bleiben sollten, zeigte sich am 4. Dezember 1884, als der

Bürgerrechtler Ôi Kentarô 大井憲太郎 (1843-1922) sich auf der Seite der reformorientierten Partei am coup d’état in Seoul beteiligte. Im Gegensatz zu Sone gehörte Ôi dem liberal-radikalen Lager der Bewegung für Bürgerrechte der frühen meiji-Zeit an.121 Ôi war im Jahre 1843 auf der südlichen Hauptinsel Kyûshû als Sohn eines samurai geboren und hatte sowohl eine klassische Ausbildung genossen als auch französisches Zivilrecht studiert. Er vereinigte auf sich viele Merkmale eines Bürgerrechts-Politikers, der die antagonistischen Ziele der unterschiedlichen Geistesströmungen sozialistischer, linksradikaler und konservativer Provenienz zu verbinden verstand. Trotz seiner engagierten Fürsprache für „den kleinen Mann“ entwickelte Ôi eine chauvinistisch-expansionistische Haltung in außenpolitischen

120 Kuroki Morifumi hat die Organisation der Gesellschaft näher portraitiert. Seinen Ausführungen zu Folge diente sie dem Zweck der Vertiefung der Freundschaft und der Gemeinsamkeiten zwischen Japan und China, so wie es im Gründungsmanifest festgehalten ist, siehe Kuroki Morifumi: The Asianism of the kôa kai and the ajia kyôkai: Reconsidering the Ambiguity of Asianism, in: Seven Saaler und Victor Koschmann: Pan-Asianism in Modern Japanese History: Colonialism, Regionalism and Borders, New York, Routledge, 2007; 34-51, hier Sn. 35-37. Doch kann Kuroki nicht die Tatsache widerlegen, dass die chinesischen Mitglieder der Gesellschaft nur mit zögerlichem Interessen auf die Beitrittsgesuche der Japaner reagierten. Auch kritisierten die Koreaner und Chinesen den subtilen und unterschwelligen Führungsanspruch der japanischen Autoren des kôakai hôkoku. Dass die Gesellschaft sich bereits im Jahre 1883 in Asiatische Gesellschaft [{亜細亜協会} ajia kyôkai] umbenannte, geschah auf Drängen der koreanischen und chinesischen Mitglieder, die den ‚Erweckungs’- Gedanken zu stark durch Japan dominiert sahen, siehe Kuroki: Asianism; 37. 121 Das liberal-radikale Lager der frühen meiji-Zeit fand seine Öffentlichkeit in den Bürgerrechtsdiskursen der zwischen 1874 und 1882 besonders starken Bewegung für Bürgerrechte [{自由民権運動} jiyû minken undô]. Ihre Mitglieder forderten die Etablierung der Bürger- und Wahlrechte, auch ihr Anliegen stand unter dem Motto Zivilisation und Aufklärung [bunmei kaika], allerdings betonten sie vor allem basisdemokratische Ansätze im Gegensatz zu den oben erwähnten, etwa zur gleichen Zeit aktiven meirokusha-Gelehrten, die Formen der beschränkten Volkssouveränität favorisierten. Zentrales Anliegen der Bürgerrechtsbewegung war die Einsetzung einer westlichen Verfassung, die eine angemessene Repräsentation des Volkes in einem Parlament sowie Wahlen garantieren sollte. Die Anhänger der Bürgerrechtsbewegung beriefen sich bei ihren Forderungen auf verschiedene europäische Autoren wie Herbert Spencer (dessen Schrift Social Statics über das repräsentative System aus dem Jahre 1877 zu einer Art ‚Bibel’ der Bewegung wurde) oder auf Jean-Jacques Rousseau, siehe Emura Eiichi: Jiyû minken undô to sono shisô [Die Gedankenwelt der japanischen Bürgerrechtsbewegung] (in: Iwanami kôza nihonshi, 2, Iwamani shoten, Tokyo, 1976; 25-53).

74 Fragen. Aufgrund seines Einsatzes für die Reformbewegung in Korea mußte er im Jahre 1885 ins Gefängnis, wo er den Pan-Asiaten Tarui Tôkichi kennenlernte, der im Anschluß Erwähnung finden wird.122 Ôi beurteilte die Lage nach dem coup d’état in Seoul folgendermaßen:

„In einem gewöhnlichen Krieg stehen Verbündete [{同盟諸国} dômei shokoku] gegen den Feind [{敵国} teki koku] zusammen, um ihn im Kampf zu besiegen. Hingegen in diesem Fall streben wir nicht danach, ihr Land einzunehmen [{この場合は日韓併合しない} kono baai ha nikkan heigô shinai], ganz im Gegenteil, wir wollen es stärken. Obwohl wir Japaner sind, haben wir versucht uns anstelle der Koreaner für ihre Sache einzusetzen und für ein stärkeres und machtvolleres Korea [{改新した朝鮮} kaishin shita chôsen] einzustehen. Wir sind den Koreanern nicht als Feinde gegenüber getreten, es wäre wohl passender zu sagen, wir haben uns gegen eine bestimmte Gruppe des koreanischen Hofes gewandt.“ (Ôi Kentarô den; 149-50).

Auf den ersten Blick ist hier nicht ganz ersichtlich, wer ‚Freund’ und wer ‚Feind’ ist. Erst am Ende der Ausführungen wird die eigentliche Konfliktlinie benannt, die ‚Freund’ und ‚Feind’ trennt. Eine Teilgruppe des koreanischen Hofes, die sich als reformunwillig und china-freundlich gibt, wird als ‚Feind’ gekennzeichnet, als ein Feind sowohl der Koreaner als auch der Japaner. Ôi bezeichnete die Intervention japanischer Kräfte nicht als einen Angriff auf Korea, sondern als das Gegenteil, als eine Maßnahme zur Vertretung koreanischer Interessen. Auch an anderer Stelle bemerkte Ôi, dass er durch die Unterstützung des reformwilligen Flügels in Korea die Absicht verfolgt habe, in Korea die Reformierung und Erneuerung zu unterstützen, den koreanischen Hof und das Volk zu stärken (Ôi Kentarô den; 148). Für Ôi Kentaro schien folglich der Umsturzversuch nicht ein Territorialkrieg um Land zu sein. Die Konfliktlinie lag nicht zwischen Korea und Japan, zwischen Pusan und Shimonoseki, sondern zwischen den Anhängern eines reformunwilligen,

122 Ôi war neben seiner Teilnahme am coup d’état in Seoul an weiteren pan-asiatischen Aktivitäten beteiligt. Er traf im Sommer 1899 in Hongkong auf den philippinischen Rechtsanwalt Doroteo Cortes (zur Person siehe V B.) und den chinesischen Revolutionsführer Sun Yat Sen (siehe auch III 2 C iv.) um Waffengeschäfte für den philippinischen Unabhängigkeitskampf zu organisieren. Im Jahre 1892 formte Ôi die Orientalisch-liberale Partei [{東洋自由党} Tôyô jiyutô], die jedoch nur zwei Monate existierte (Anmerkung: der Parteiname trägt bereits ein neues Schriftzeichen 東洋 [tôyô] zur Bezeichnung Asiens; dies ist Thema des nächsten Teilabschnittes). Die Grundsätze der Partei beruhten auf der Verehrung des Kaisers, der Notwendigkeit einer aggressiven Außenpolitik, des Schutzes der Bauern, Besteurerung des Landes und nicht der Person und der Forderung nach allgemeinem Wahlrecht, siehe Ôi Kentarô: (Bajô) Ôi Kentarô den [Überlieferungen von Ôi Kentarô], hrsg. von Hirano Yoshitarô, Tokyo, 1938; 258, 278-308.

75 Korea dominierenden Chinas und den Befürwortern des fortschrittlichen Japans; zwischen einem ‚rückständigen Asien’, verkörpert durch China, und einem am westlichen Fortschrittsdenken orientierten Japan, einem ‚Reformraum Asien‘. Es entwickelte sich hier zunehmend eine Wahrnehmung, die Japan und Korea als gemeinsame Einheit beschrieb und China dagegen abgrenzte. Man kann also sagen, dass seit dem (letztlich gescheiterten) coup d’état im Dezember 1884 eine Invasion Koreas ein potentieller Krieg um die Reformierung Koreas war und nicht mehr in der Tradtion der zuvor geführten Koreakriegsdebatten stand. 123 Der

Koreakriegsdiskurs [{征韓論}seikanron] avancierte somit zu einem ‚Reform-Kriegs-

Diskurs’. Asien wird zu einem Raum ohne Japan und Korea, oder, umgekehrt, Japan und Korea werden zu einer Einheit, die nicht mehr mit dem chinesischen Kulturkreis, mit Asien deckungsgleich ist. Ähnlich euphorisch und vom japanischen und koreanischen Entwicklungs- und Zivilisierungspotentials überzeugt wie die Autoren Sone und Ôi, trat auch der

Bürgerrechtler und jiyû minken undô-Sympathisant Tarui Tôkichi 樽井藤吉 (1850- 1922)124 mit seinem im Jahre 1885 verfassten (1893 veröffentlichten) Traktat Über

die groß-östliche Union [{大東合邦論} daitô gappô ron] hervor. Auch er sprach sich für eine Herauslösung Koreas aus dem chinesischen Tributsystem aus, doch strebte

er bei einem solchen Vorhaben bereits eine Union zwischen Korea und Japan [{日

韓} nikkan] an. Sein Aufruf zur Errichtung einer gleichberechtigten Union [{合邦}

gappô], welche langfristig um weitere Länder in ‚Asien’, das er nun mit 東 [{tô}

Osten] und nicht mehr mit 亜 [{a} Asien] umschrieb, ergänzt werden könnte, schloss China vorerst aus. Die Führung in dieser östlichen Union solle Japan übernehmen,

das von den Göttern für diese Mission [{天職} tenshoku] Hilfe erwarten könne, da es von einem Himmlischen Herrscher [tennô] regiert werde. Als Angehöriger der Bürgerrechtsbewegung verfolgte Tarui eine Art sozialimperialistische Absicht. Er schlug vor, den durch die meiji-Erneuerung sozial und wirtschaftlich benachteiligten Bauern und samurai durch eine Ausdehnung des japanischen Herrschaftsbereiches

123 Kurz vor dem 1884-coup d’état war ein geplanter Umsturzversuch der chinesischen Regierung durch japanische Aktivisten in Foochow, der Hauptstadt der südchinesischen Provinz Kwangsi, gescheitert. Auch hier hatten japanische rônin [China-Festlandaktivisten] versucht, die als rückständig empfundene chinesische Regierung zu schwächen, um sie anschließend unter japanischer Führung zu reformieren, siehe dazu Wagner: Außenpolitik; 193-5. 124 Zur Person Taruis siehe Kuzû: Tôa, Bd. 3; 281-3.

76 eine neue Lebensgrundlage zu verschaffen. Wie seine hier zitierten Vorgänger, verwies Tarui mehrfach darauf, dass die Europäer kein Recht hätten, in Groß-Osten

[{大東} daitô] die Herrschaft zu erlangen. Tarui sah die Zukunft von 東 [{tô} Osten] in der Sammlung der Länder gegen die europäischen Imperialmächte unter japanischer Führung. Taruis tô-Verständnis basierte auf einer bereits bei Yoshida

Shôin (II C ii.) entwickelten Idee der Führerschaft Japans in Asien [{大東の日本の盟主} daitô no nihon no meishu].125

Taruis Verwendung der Schriftzeichen 大 [{dai} groß] und 東 [{tô} Osten] zur Umschreibung Japans und Koreas als einem gemeinsamen ‚Entwicklungsraum’ belegen erneut, dass in den 1880er Jahren in der Wahrnehmung japanischer Publizisten eine neue Vorstellung von ‚Asien’ entstanden war – anstelle eines Asien

[{亜} a] im Sinne eines reformbedürftigen und schwachen kanjibunkaken trat nun

ein Raum mit der Bezeichnung Osten [{東} tô], dessen Kernländer Japan und Korea

darstellten. 東 [{tô} Osten] trug dabei die Semantik eines aufstrebenden, sich reformierenden und verändernden Raumes.

Auch bei Fukuzawa Yukichi ist diese semantische Verschiebung des Asienbegriffs nachzuvollziehen, jedoch treten in seinen, Mitte der 1880er verfaßten Schriften weitere Nuancen des Asienbegriffs zu Tage. Fukuzawas Haltung zur Korea- Thematik änderte sich abrupt nach dem letztlich aufgrund mangelnder koreanischer Unterstützung gescheitertem Umsturzversuch im Dezember 1884. Der misslungene coup d’état veranlasste Fukuzawa von seiner ursprünglichen Überzeugung der

Erneuerungsfähigkeit Koreas und Chinas, welche er noch Ende der 1870er mit 亜 [{a} Asien] bezeichnete, Abstand zu nehmen.126 In seiner Schrift Abkehr von Asien,

125 Siehe Tarui Tôkichi: Daitô gôhô ron [Über die groß-östliche Union], in: Takeuchi Yoshimi (Hrsg.): Ajiashugi [Asianismus], Gendai nihon shisô taikei [Systematische Betrachtung des Denkens im Modernen Japan], Chikuma Shobô, Tokyo, 1963; 106-129. 126 Fukuzawa Yukichi hatte sich ganz praktisch für die Unterstützung der reformorientierten Partei am koreanischen Hof engagiert. Er sorgte dafür, dass Kim Ok-kyun und Pak Yong Hyô, Schwager des chinafreundlichen und anti-reformerischen Königs in Korea, im Jahre 1882 nach Japan reisen konnten, um sich vor Ort die Reformen in Japan im Bezug auf die Erreichung der ‚standards of civilization’ ansehen zu können. Zwei Jahre später, im Jahre 1884, entsandte Fukuzawa seinen Schüler Inoue Kakugorô 井上 角五郎 (1860-1923) nach Korea, damit dieser eine aktive Rolle in dem geplanten Sturz des china-orientierten koreanischen Königs einnehmen könne, siehe Aoki Kôichi: Fukuzawa Yukichi no chôsenron [Fukuzawa Yukichis Diskurs über Korea], in: Yôkohama shiritsu daigaku ronsô, Bd. 5, 32, Tokyo, 1981; 99-118; 102 ff. Fukuzawa verfasste auch eine Legitimationsschrift über eine japanische Intervention in

77 Orientierung nach Europa [{脱亜論入欧} datsu a ron nyû ô], die in der von ihm

herausgegebenen Zeitung Jiji shinpo [{時事進歩} Fortschrittliche Angelegenheiten]

am 16. März 1885 veröffentlicht wurde, verwandte er den Begriff 亜 [{a} Asien] zur Bezeichnung Koreas und Chinas, schloss Japan aber nicht mehr in diesen Raum ein. Japan solle sich nicht mehr um die Stärkung und Erneuerung der Nachbarländer bemühen, hieß es dort. Vielmehr sei eine zügige Reformierung Japans nach westlichem Vorbild vorrangig. Fukuzawa wandte sich so von seinem reformerischen Engagement gegenüber dem koreanischen Nachbarn ab und plädierte fortan für eine grundsätzliche Abkehr von Korea und China, die er

konsequenterweise weiterhin mit Asien [{亜} a] bezeichnete:

„... Die Aristokratie unseres Landes hat sich nicht der Pflicht versagt, unser Land moralisch zu führen und die alte Regierung gegen die Erhabenheit und Auserwähltheit des Kaiserhauses zu wechseln. Auch unser Volk nahm die Vielfältigkeit der Zivilisation des Westens an. Es hat sich dabei nicht nur einfach von dem Bekannten abgewandt, sondern für einen ganz neuen Weg entschieden, der einem Geiste folgt, den man in drei Worten beschreiben kann: Abkehr von Asien. ... Damit Japan sein Ziel erreicht, kann es sich nicht leisten, auf die Aufklärung und Zivilisation seiner Nachbarn zu warten, in der Hoffnung auf eine Besserung ihrer Situation und um mit ihnen für ein besseres Asien zusammen wirken zu können. Japan sollte diese Formung der Nachbarn nicht abwarten, dafür aber den Weg gemeinsam mit den aufgeklärten und zivilisierten westlichen Nationen voranschreiten. Besser ist es, wenn Japan seine Nachbarn so behandelt, wie es die westlichen Mächte tun und nicht nur, weil Korea und China seine Nachbarn sind, sie anders behandelt. Wenn wir solche als Freunde nennen, die einen schlechten Ruf haben, dann sollen wir uns auch nicht wundern, wenn wir ihren schlechten Namen teilen müssen.“127

Fukuzawa hatte die neuartige Wahrnehmung ‚Asiens’, wie sie sich in Tarui

Tôkichis 東 -Begriff [{tô} Osten] abzeichnete, gewissermaßen ex negativum vollzogen, indem er das Konzept ‚Japan-ohne-Asien’ entwarf und Japan somit durch ein ‚nicht-asiatisch-Sein’ bestimmte. Deutlicher und klarer lässt sich die Herausschälung Japans aus dem Verbund des gemeinsamen sinozentrischen Kulturkreises kaum formulieren. Chinas (und zuweilen Koreas) postulierte

‚unzivilisierte Länder’, um ein weiteres Vordringen der Westmächte zu verhindern, siehe Fukuzawa Yukichi: The New Comity of Nations, in: Blacker: Enlightenment; 122-138. Zu weiteren Korea-Unternehmungen japanischer Aktivisten, siehe Kuzû: Tôa sengaku, III; 624-46. Dort sind auch die Vorhaben von Tôyama Mitsuru 頭山満 (1856-1925), einem der Gründer der paramilitärischen und pan-asiatischen Vereinigung Gesellschaft des dunkeln Ozeans [{玄洋社} Genyôsha] aufgeführt. Tôyama sandte ca. 100 Männer nach Korea, welche die dortige pro- japanische Faktion am koreanischen Hof unterstützten sollten. 127 Siehe Fukuzawa Yukichi: Datsu a ron [Abkehr von Asien], in: Jiji shinpô, 26. März 1885, in: Iwanami Yûjirô (Hrsg.): Fukuzawa Yukichi zenshû [Gesammelte Werke Fukuzawa Yukichis], Bd. 10, Iwanami shoten, Tokyo, 1996; 238-40, hier S. 239.

78 Reformunfähigkeit und Rückständigkeit waren nun der Inbegriff Asiens [{亜細亜} ajia] von dem Japan sich abzuheben und trennen zu hätte. iii. Kurze Zusammenfassung

Seit Mitte der 1880er Jahre verlagerten sich die Semantiken des Asienbegriffs im japanischen Asiendiskurs. Autoren wie Sone, Ôi, Tarui und Fukuzawa verwandten

während der frühen meiji-Zeit den 亜 [a]-/亜細亜 [ajia]-Begriff als Synonym für den Kulturraum der gemeinsamen Schrift in pejorativer Hinsicht. Gleichzeitig entwickelten sich im Verlauf der 1880er Jahre Nebenbegriffe für ‚Asien’- bzw. ‚Osten’, von denen ‚Japan’ immer stärker distanziert und differenziert wurde. Anstelle der tradierten Wahrnehmung Chinas als kulturellem Zentrum war nun in der Wahrnehmung japanischer Autoren ein hierarchisches Dreiecksverhältnis zwischen dem Westen, Japan und China geworden in dessen Mittelpunkt das Paradigma der Verwestlichung stand. Die Verbindung zwischen Japan und dem Westen sollte dabei immer stärker werden, zu Lasten einer Bindung an China.

iv. Aus Asien [{亜細亜} ajia] wird Osten [{東} tô]

Fukuzawas Plädoyer für eine ‚Abkehr-von-Asien’ und Hinwendung nach Europa weist zwei wesentliche Aspekte des japanischen Asiendiskurses Mitte der 1880er Jahre auf. Zum einen implizierte Fukuzawa mit der Forderung nach einer Abkehr

Japans von ‚Asien’ einen Entwicklungsvorsprung Japans vor Korea resp. China im Bezug auf die ersten Reformerfolge in Japan. Zum anderen stellte das Abkehr-von- Asien-Hinwendung-nach-Europa-Diktum eine Selbstvergewisserung des erfolgreich durchgeführten Reformprozesses auch nach innen dar. Ende der 1880er Japan konnte bereits sichtbare Erfolge bei der Adaption der ‚standards of civilization’ aufweisen. Beide Aspekte unterstreichen eine Abgrenzung des Eigenen zum mit ‚Asien’ bezeichneten Anderen. Fukuzawas Abkehr von Asien reflektierte in dieser Hinsicht den einsetzenden Nationaldiskurs, welcher in der Zeit des ausgehenden Jahrhunderts zu einer Japanisierung von Werten, Normen und kulturellen Praktiken führte. In der

Forschung mit dem Schlagwort des Japandiskurs [{日本論} nihonron] bezeichnet, bearbeiteten verschiedenste Autoren in dieser Zeit das ‚diskursive Feld Japan’ und

79 definierten, was als ‚japanisch’ gelten sollte. Vom japanischen Soziologen Shingo Shimada ist dieser Nationalisierungsprozess in Anlehnung and Benedict Anderson als die ‚Erfindung Japans’ beschrieben worden (Shingo: Erfindung Japans). Shingo geht besonders auf das Zurückweichen jener Euphorie für die ‚standards’ des Westens zugunsten einer positiven Neubewertung der in diesem Prozess als ‚eigenen’ definierten Bräuchen, sozialen Übereinkünften, Institutionen etc. ein. In der zuvor als minderwertig wahrgenommenen eigenen Kultur entdeckten und ‚erfanden’ die publizistischen Wortführer nun zunehmend die Vorzüge gegenüber der Kultur des Westens. Das neue Selbst- und Nationalbewusstsein schlug sich in einem semantischen Wandel des Begriffs bunmei [Zivilisation] nieder. Anders als bei der semantischen Aufladung des Begriffs ‚westliche Zivilisation’ wie es im vorigen Abschnitt ausgeführt wurde, war mit bunmei nun die japanische Zivilisation als Gegenstück zur westlichen gemeint. Darunter verstand man, dass die Japaner eine besondere Kultiviertheit im Alltagsleben des Volkes hätten, die sozialen Probleme des Westens nicht kennen würden und in der bodenständigen Lebensart der bäuerlichen

Schichten verwurzelt [{農を国の元なり} nô o kuni no moto nari] seien. Der Rekurs auf die eigene ‚tradition’, die ‚invented tradition’ (Eric Hobsbawn) spielte in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Als solche Traditionen wurden nun wieder die japanischen Annalen und Inhalte der shintô-Lehre wie das kokutai [Staatskörper] 128 und der Familienstaat [{家族国} koku] hervorgehoben. Manifest wurde dieses neue selbstbewusste Denken in Dokumenten wie der meiji-

Verfassung [{ 明治憲法} meiji kenpô] von 1889 sowie in dem ebenso wichtigen

Kaiserliche[n] Erziehungserlass [{教育勅語} kyôiku chokugo] aus dem Jahre 1890. Beide Gesetze waren zwar einerseits Ausdruck der Institutionalisierung eines westlichen Verfassungsstaates und Erziehungs- und Bildungswesens, doch

128 Siehe Oguma Eiji, der sich in den 1990er Jahren zu einer wissenschaftlichen Autorität für das Thema nihonron etabliert hat. Oguma dekliniert die nationalen, ethischen und rassistischen Konzeptionen des Japanisch-Seins durch. Bei der Analyse der Selbstbeschreibungen nimmt Oguma jedoch weniger die Differenzkonstruktionen als vielmehr die Gründungsmythen in den Blick, siehe Oguma Eiji: Tan’itsu minzoku shinwa no kigen, nihonjin no jigazô no keifu [Die Ursprünge des Mythos der ethnischen Homogenität: eine Genealogie japanischer Selbstbeschreibungen], Shinyôsha, Tokyo, 1995; 43-65 sowie Aoki Tamotsu: Nihonbunkaron no hen’yoo: sengo nihon no bunka to aidentiti [Die Genealogie des Diskurses über die japanische Kultur: Kultur und Identität im Nachkriegs-Japan] (Chûkôbunko, Tokyo, 1990). Aoki hat in einer umfassenden Überblicksdarstellung die Ursprünge des nihonron sowie im Detail die Japandiskurse der Nachkriegszeit untersucht.

80 gleichzeitig waren beide Dokumente Zeugnisse einer ‚Japanisierung’ des Verwestlichungsprozesses. Ihre Präambeln verweisen in erster Linie auf shintô- und konfuzianische Werte wie etwa auf das kokutai und die konfuzianische Fünf- Sozialbeziehung-Lehre. Sie dienten somit in erster Linie der Verfestigung der Institution des tennô und des Staats-shintô.129 Offensichtlich stellte der Prozess der Selbstvergewisserung der eigenen Normen und Werte nicht eine simple Abkehr vom Westen dar, sondern zielte vielmehr darauf ab, die Grundparadigmen westlicher Nations- und Staatselemente in einen nun als japanisch bezeichneten Kontext zu stellen. Weder die chinesische noch die westliche Kultur waren mehr der Inbegriff von Zivilisation, vielmehr erhielt die japanische Kultur nun dieses Etikett. Der Definitionsprozess einer nationalen Identität vollzog sich gleichsam in Wechselwirkung mit einer Neuvermessung des Verhältnisses mit dem, was als Nicht-Japanisch bezeichnet wurde, in einer Neupositionierung Japans im Dreiecksverhältnis Japan-Asien/China-Westen. Dass sich eine solche Neuvermessung im Zuge des wachsenden Selbstbewusstseins und eines immer mehr erstarkenden japanischen Nationalbewußtseins vollzog, lässt sich erneut an dem für

den Raum ‚Asien’ gebräuchlich werdenden Begriff 東邦 [{tôhô} östlich] ausmachen.

Die einflussreiche, im Jahre 1891 gegründete Östliche Gesellschaft [{東邦協会} Tôhô kyôkai] trägt diese neue Umschreibung ‚Asiens’ bereits in ihrem Vereinsnamen. Die

129 Die Bezüge zu zentralen Inhalten der shintô-Lehre fallen auf: Im ersten Artikel der meiji- Verfassung wird der tennô als Souverän des Staates bestimmt und seine Person als heilig, absolut und ewig bezeichnet. Er stellte den Garant für den kaiserlichen Thron, der seit ewigen Zeiten in einer ununterbrochenen Reihe von Nachfolgern [{万世一系} bansei ikke] unverletzlich sei. Auch wurde die Verfassung an jenem Tage verkündet, an dem nach der Überlieferung die vermeintliche Reichsgründung Japans im Jahre 6600 v. Chr. erfolgt sei. Die Festlegung des Verkündigungstages der japanischen Verfassung auf den Geburtstag der höchsten shintô-Gottheit Sasunobu und die Ausrichtung des Throns des tennô in der parlamentarischen Versammlung nach Osten, ähnlich der Ausrichtung der Altäre für shintô- Gottheiten, stellten weitere Anlehnungen an shintô-Rituale dar, siehe Gluck: Myth; 42ff, 144f und Joseph Pittau: Political Thought in Early Meiji Japan 1868-1889, Cambridge, Mass., Harvard East Asian Series, Harvard University Press, Cambridge, 1967; 96ff. Der Kaiserliche Erziehungserlass gilt als ergänzendes Dokument zur meiji-Verfassung und diente der Vermittlung sittlicher und patriotischer Normen und Werte. Auch in diesem Dokument wurde Bezug auf die Göttlichkeit des Kaisers genommen, der als Oberhaupt einer nationalen Familie und deren Ahnen dargestellt wurde. Neben der starken Gewichtung von shintô-Elemente wurde im Erziehungserlass wieder auf konfuzianische Werte wie die fünf Tugenden (Menschenfreundlichkeit, Gerechtigkeit, Wissen um korrektes soziales Verhalten, Weisheit und Vertrauensseligkeit) und fünf Beziehungen in der Gesellschaft (Pietät in der Eltern-Kind-Beziehung, Loyalität in der Herrscher-Untertanen-Beziehung, Respekt in der Ehepartner-Beziehung, Anteilnahme und Respekt in Geschwister-Beziehungen, Vertrauen in Freundesbeziehungen) rekurriert, siehe Antoni; Shintô; 218ff sowie Dore: Education; 34ff.

81 Gesellschaft war anfangs mit 300 Mitgliedern gegründet worden, im Jahre 1894, vor Ausbruch des Chinesisch-Japanischen Krieges, zählte sie bereits um die 1000 Mitglieder. Einige von ihnen hatten hohe politische und gesellschaftliche Ämter inne, was auf die weite Verbreitung des in der Gesellschaft geteilten Gedankenguts unter politisch und gesellschaftlich einflussreichen Persönlichkeiten schließen läßt. Die überragende Persönlichkeit der Östlichen Gesellschaft war der ehemalige

Außenminister Soejima Taneomi 副島種臣 (1828-1905), der als starker Befürworter einer Korea-Invasion bekannt war. Soejima war auch Mitglied der Gesellschaft des

erwachenden/aufstrebenden Asiens [{興亜会} Kôakai] (s.o.) (Kuzû: Tôa sengaku, I; 676-678). Weitere Mitglieder der Östlichen Gesellschaft waren Vertreter aus unterschiedlichen politischen Lagern wie z. B. der Südsee-Publizist Fukumoto Nichinan (s.u. unter 2 C iii.), der Leiter zweier Schulen für chinesische und vietnamesische Exilstudenten Fukushima Yasumasa (s.u. unter III 2 F ii und iii.), der Bürgerrechtler Ôi Kentarô (s.o. unter II. 1 D ii.), die Premierminister Itô

Hirobumi 伊藤博文 (1841-1909) und Inukai Tsuyoshi 犬養 毅 (1855-1932), der

ehemalige Wirtschaftsminister Matsukata Masayoshi 松方正義 (1835-1924), der

spätere Erziehungsminister Inoue Kowashi 井上毅 (1844-1895) sowie Itagaki Taisuke

板垣退助 (1837-1919), ein prominenter Vertreter der japanischen Bürgerrechtsbewegung.130 Wodurch unterschied sich nun tôhô [östlich] von ajia [Asien], dem noch aus dem europäischen Sprachschatz adaptierten Begriff für ‚Asien’? Welches neue zivilisatorische Verständnis prägte den Raum, der nun mit tôhô beschrieben wurde? Auch hier liegt die Antwort in den Artikeln des vereinseigenen Journal der

Östlichen Gesellschaft [{東邦協会報告} Tôhô kyôkai hôkoku], wo Gründungsanlass und Zweck der Gesellschaft benannt wurden. Die Aktivitäten der Gesellschaft sollten demnach in der Ausweitung der japanischen Einflusssphäre in tôhô sowohl in wirtschaftlicher als auch in zivilisatorischer Hinsicht dienen. Thematisch beschäftigten sich die Autoren in den Artikeln der Zeitschrift mit wirtschaftlichen, militärischen, historischen und kulturellen Aspekten, die einer Förderung der japanischen Wirtschaft und Emigration (!) zuträglich waren. Mittel zur Erreichung dieses Ziels war der Besuch und das Studium der Länder in tôhô sowie eine

130 Siehe Kûzu: Tôa sengaku, III; 417ff sowie Yasuoka Akira: Tôhô kyôkai ni tsuite no kisoteki kenkyû [Grundlegendes über die Östliche Gesellschaft] (Hôsei daigakubu kiyô, 212, Tokyo, 1976; 61-98).

82 anschließende Berichterstattung in Japan vor den Gesellschaftsmitgliedern (Tôhô kyôkai hôkoku, 1, 4. Feb. 1891). Zunächst fällt auf, dass tôhô nicht mehr als ein ‚Raum der Bedrohung durch die westlichen Imperialmächte’ beschrieben wurde. Es ist nicht mehr die Rede von Korea und dessen Entwicklungs-/Zivilisierungsbedürftigkeit als präventives Mittel

der Abwehr vordringender Westmächte. tôhô stellte im Gegensatz zu Asien [{亜細亜} ajia] nun nicht mehr einen Erfahrungsraum des gemeinsamen Opfer-Seins dar. Im Gegenteil: das mit tôhô bezeichnete Gebiet wird zu einem Raum japanischen Erkundungsaktivismus und der möglichen Umsetzung japanischer Handelsinteressen. Es ist nicht unbedeutend, dass der geographische Radius des tôhô-Begriffs dabei die südlich von Japan gelegenen Gebiete einschloss. Dass die „südliche See“ [nanyô] hier berücksichtigt und explizit erwähnt wurden, mag auf den Einfluss der Gründungsmitglieder der Östlichen Gesellschaft zurückzuführen sein. Sie stammten

aus dem Kreis der ultra-nationalistischen Gesellschaft für Politik und Erziehung [{政

教社} seikyôsha], einer Vereinigung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, ‚japanisches Gedankengut zu bewahren und von westlichen Einflüssen zu reinigen’ (s.u. unter II 2 C.) und befürworteten eine Ausdehnung des japanischen Einflußbereiches nach Süden. Da die südlich von Japan gelegenen Gebiete wie die Philippinen und die Molukken ganz augenfällig als koloniale Interessensgebiete der Westmächte bekannt waren, fällt es nicht schwer, bei den Ausführungen im Journal der Östlichen Gesellschaft Anlehnungen an koloniale Erschließungsphantasien westlicher Politiker, Missionare und Unternehmer zu entdecken, die von den japanischen Autoren adaptiert worden sind. Darüber hinaus trat klarer und deutlicher als in den früheren Schriften der Asien- Experten hervor, dass Japan eine Führungsrolle innerhalb des tôhô-Gebietes

zukomme. Immer wieder wurde Japan als östlicher Führer [{ 東邦盟主} tôhô no meishu] bezeichnet. Z. B. heißt es bei Fukumoto Nichinan:

„...Japan als zivilisiertes und entwickeltes Land im Osten hat die Aufgabe, die Balance zwischen Ost [tôhô] und West [seiyô] zu halten und muss die unterentwickelten Ländern führen und die unglücklichen Völker beschützen …“ 131

131 Wörtlich: 文明国としての日本は東邦と西洋の均衡なを保つことと、不幸な国民を保 護する使命をもっている{bunmeikoku toshite no nihon wa, tôhô to seiyô no kinkou o

83

Ein weiteres Beispiel für das aufkommende Überlegenheitsbewusstsein, das sich zum einen auf die kokutai-Semantiken des Götterland und der ungebrochene Herrscherlinie der Kaiser sowie andererseits auf Japans voranschreitende und erfolgreiche Reformierung stützte, stellte die Verwendung der

Schriftzeichenkombination 東 [{tô} Osten] und 亜 [{a} Asien] zu 東亜 [{tôa} östliches Asien/ Ostasien] als Umschreibung für einen ‚asiatischen Raum’ dar. Tokutomi

Sohô 徳富蘇峰 (1863-1957), Journalist, Publizist und Schüler Fukuzawa Yukichis,

verwandte in seinen vielgelesenen Schriften den Begriff 東亜 [{tôa} Ostasien]. Er

wählte den Terminus japanisches Ostasien/Japans Ostasien [{日本の東亜} nihon no tôa] und verband auf diese Weise zwei Raumkonzepte miteinander. Die

Kombination der Schriftzeichen 東 [{tô} Osten] und 亜 [{a} Asien] kann man als

eine Überlagerung des aus japanischer Sicht entwicklungsbedürftigen 亜細亜 [{ajia}

Asien]-Begriffs und des neueren 東 [{tô} Osten]-Begriffs, also eines japanischen

Explorationsraumes interpretieren. Als possessives Attribut von 日本 [{nihon} Japan] wird der japanische Führungsanspruch Japans für die tôa-Region ausgedrückt. Und, dies erscheint wichtig hervorzuheben, Japan wird auch hier nicht mehr als ein Teil von tôa [Ostasien] beschrieben. Tokutomi erläuterte seinen tôa-Begriff in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift

Volksfreund [{国民の友} kokumin no tomo], dort in einem von ihm verfaßten Essay

mit dem Titel Expandierendes Japan [{大なる日本} dainaru nihon]. Er argumentiert darin, dass Japan im Moment an einem Wendepunkt angelangt sei und sich von einem „schrumpfenden Japan“ zu einem „expandierenden Japan“ entwickle. Japan

habe sich stets auf die anderen ostasiatischen Völker [{ 東亜諸国} tôa shokoku] ausdehnen wollen. Die Japaner könnten aufgrund ihrer Fähigkeiten, sich allen klimatischen Bedingungen anzupassen, überall siedeln. An dieser Stelle verweist er auf shina und bemerkt, dass es nicht in der Lage sei, zu expandieren.132

tamotsu koto to fukô na kokumin o hogo suru shimei o motteiru}, siehe Fukumoto Nichinan: Nanyô supein no bôei teiyô [Zusammenstellung über die spanische Verteidigung der südlichen See], in: Tôhô kyôkai hôkoku, 2, 1894. 132 Siehe Tokutomi Sôho: Dainaru no nihon [Expandieres Japan], in: Kokumin no tomo; 3. Juni, 1894, in: Kusano Shigematsu und Namiki Sentrô (Hrsg.): Tokutomi Sohô : Sohô bunsen, Tokyo, 1915; 156.

84 Tokutomis Sichtweise des expandieren Japan aus dem Jahre 1894 ist vor dem Hintergrund des bevorstehenden Chinesisch-Japanischen Krieges von 1894/5 zu bewerten. Das japanische Militär hatte inzwischen eine beträchtliche Stärke erlangt und verfügte über die schlagkräftigste Armee und Marine in der Region. Das auf einem Höhepunkt angelangte japanische Nationalbewusstsein wurde später durch den tatsächlichen Sieg, den Japan über die chinesischen Streitkräfte erringen konnte, bestärkt. Tokutomis nihon no tôa -Konzept war eine Weiterentwicklung des von ihm bereits

im Jahre 1886 in der Schrift Das zukünftige Japan [{将来の日本} shôrai no nihon] dargelegten Konzeptes der wirtschaftlichen Expansion Japans, welche er zu diesem Zeitpunkt noch als die vordringlichste Aufgabe Japans erachtete.133 Diese Schrift war maßgeblich durch Tokutomis Lektüre der Principles of Sociology des Historikers und Soziologen Herbert Spencer beeinflusst, die Tokutomi im August 1884 gelesen hatte. In den Principles misst Spencer der wirtschaftlichen Stärke eines Landes im Überlebenskampf [struggle] eine hohe Bedeutung bei. Ausbau und Sicherung der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit rechtfertigten die wirtschaftliche Expansion von Staaten.134 Tokutomi legitimierte anschließend mit diesem Argument

in Das zukünftige Japan die japanische Expansion in den asiatischen [{アジア} ajia] Raum mit einem Vergleich zum Expansionsstreben der Westmächte. Die Expansion Japans wird dort als Teil eines allgemeinen, weltweiten „Trends“ der Zeit bezeichnet. Seine Ausführungen in Die Zukunft Japans enden:

„Ich fürchte nur eines – wenn wir zu zögerlich auf die Trends der Zeit [{世界の大勢} sekai no taisei] 135 reagieren, dann werden uns die blauäugigen und rotbärtigen Rassen wie eine gigantische Welle überschwemmen und uns von unserer Insel vertreiben. Wenn wir nicht das tun, was die aus dem Westen tun, dann werden sie es an unserer Stelle an unserem Platz tun.“

133 Siehe Tokutomi Sohô: Shôrai no nihon [Das zukünftige Japan] (1886), in: Vinh Sinh: The Future Japan, Edmonton, University of Alberta Press, 1989. Japanische Quellenedition in: Meiji bunka zenshû, 34, Chikuma shobô, Tokyo, 1974. Das Buch wurde von dem Unternehmer und Süd-Experten Taguchi Ukichi, s.u. unter II C iii., verlegt. 134 Zum Einfluss der Schriften Spencers auf Tokutomi Sohô siehe Pyle: New Generation; 36-41. 135 Die Lautsprache von taisei [{大勢} Trend] könnte auch ‚Westen’ bedeuten, allerdings mit den Schriftzeichen taisei 泰西. Auf den Trend-Begriff Tokutomis wird nochmals unter III 2 C i. eingegangen.

85 Dieses aus den 1880er Jahren stammende Zitat zeigt nochmals deutlich, dass die eigene Situation als ein Zustand der Bedrohung und Passivität empfunden wurde. Tokutomis tôa-Begriff der 1890er Jahre reflektierte den in der Zwischenzeit vollzogenen Wandel dieser Wahrnehmung und beschreibt tôa als wachsenden Explorationsraum für japanische (Handels-) Vorhaben.

Der von Tokutomi Sohô verwandte Begriff 東亜 [{tôa} Ostasien] war auch Bestandteil des Namens der im Jahre 1898 gegründeten Gesellschaft der

Ostasiatischen Länder mit gemeinsamer Kultur [{東亜同文会} Tôa dôbunkai]. Auch ihre Mitgliederliste wies einflussreiche Namen wie jenen von Premier- und

Außenminster Ôkuma Shigenobu 大隈重信 (1838-1922), des damaligen Präsidenten

des japanischen Oberhauses Prinz Konoe Atsumaro 近衞 篤麿 (1863- 1904) oder den des Leiters einer Schule für Studenten aus China und Vietnam, Kashiwara Buntarô

柏原文太郎 (siehe III 2 F iii.) auf. Als Zusammenschluss von zwei bereits bestehenden

Vereinigungen, der Ostasiengesellschaft [{東亜会} Tôakai] und der Gesellschaft der

gemeinsamen Kultur [{ 同文会} dôbunkai], die beide das Ziel der Versöhnung zwischen China und Japan nach dem Chinesisch-Japanischen Krieg (1894/5) verfolgten, lagen die Hauptaktivitäten der Gesellschaft in der Unterhaltung von Lehreinrichtungen und dem Studium chinesischer Texte, um nun wieder die gemeinsame Schriftkultur beider Länder zu befördern. 136 Anlass für diese neue ‚Freundschaft’ war ein Sammlungsbestreben, sich gemeinsam gegen die Westmächte zu richten, nachdem diese in der für Japan erniedrigenden Drei- Mächte-Intervention im Jahre 1895 deutlich gemacht hatten, dass sie Japans Reform- und Aufholleistungen als nicht ausreichend empfanden. So wurde denn in der Grundsatzerklärung der Gesellschaft aus dem Jahre 1898 eine sehr deutliche anti-westliche Haltung sichtbar. Auch die Sichtweise auf China veränderte sich. In ‚China’ wurde nun ein schutz- und hilfsbedürftiges Nachbarland gesehen. Die Lage dort sollte verbessert werden und zu diesem Zweck sollten japanische Kundschafter

136 Das erste Institut wurde im Jahre 1899 in Nanjing unter dem Namen Studieninstitut für die gemeinsame Kultur Ostasiens [{東亜同文書院} tôa dôbun shoin] gegründet, später wurde die Institution nach Shanghai verlegt, siehe Tôa dôbun kai (Hrsg.): Zoku tai shi kaikoroku [Aufzeichnungen über China] (2 Bde., Bd. 1, Dai nippon kyôka tôsho, Tokyo, 1942; 234-8), zur Gesellschaft selbst vergl. Tôa dôbun shoin daigaku (Hrsg.): Tôa chôsa sho [Untersuchungen zu Asien] (Tôa dôbun shoin daigaku, Shanghai, 1941) sowie Yamamoto Shigeki: Konoe Atsumaro – sono meiji kokka to ajia kan [Konoe Atsumaro: Ansichten über den meiji-Staat und Asien], Mineruva shobô, Tokyo, 2001; 91ff, 102-108.

86 Landesinformationen einholen und japanische Lehrinstitute sollten vor Ort eröffnet werden. Der Westen wurde in den Schriften der Vereinigung als monolithischer Aggressor gekennzeichnet – und China und Japan wurden wieder als eine räumliche

Einheit gedacht, als gemeinsame Kultur [{同文} dôbun], wie aus dem Vereinsnamen tôa dôbunkai hervorgeht.137 Nach ca. 30 Jahren japanischer Neuorientierung, beginnend mit der meiji ishin im Jahre 1868 bis ans Ende des 19. Jahrhunderts, rückten ‚China’ und ‚Japan’ in der japanischen Sichtweise näher zusammen, jedoch unter dem Vorzeichen eines offenen japanischen Führungsanspruchens. Darüber hinaus etablierte sich mehr und mehr ein auf frühe Rassentheorien bezogenes Raumkonzept für Asien, wie es das Gründungsmitglied der Gesellschaft der Ostasiatischen Länder mit gemeinsamer Kultur, Prinz Konoe Atsumaro, in seiner vielzitierten Schrift Über die Notwendigkeit der Untersuchung zur Vereinigung derselben Rassen und zum

Chinaproblem [{同人種同盟負支那問題研究の必要} dôjinshu dômei, fu shina mondai kenkyû no hitsuyô] darlegte. Darin teilte Konoe die Welt in drei Zivilisationsräume ein, die sich durch ‚Rassenzugehörigkeiten’ bestimmen lassen: den Raum der weissen Rasse (Europa), den Raum der damit ebenbürtigen gelben Rasse (Asien/tôa) und ein nicht näher definierter Raum für die übrige Welt (Shingo: Erfindung Japans; 223-4, dort

aus dem Originaltext des Gesellschaftsjournal Sonne [{太陽} taiyô]).

v. Aus tôyô/tôa [{東洋/東亜} Asien] wird East/Asia/Orient

Am Ende dieser Darstellung der Verschiebungen semantischer Gehalte und Prägungen von Begriffen zur Umschreibung ‚Asiens’ soll noch in Kürze das 138 Asienkonzept des Kunsthistoriker Okakura Kakuzô 岡倉覚三 (1862-1913) erwähnt

137 Douglas Howland hat gezeigt, dass die Termini gemeinsame Kultur der Japaner und Chinesen [{同文} dôbun] und gemeinsamer Glaube der Japaner und Chinesen [{同教} dôkyô] aus China stammten und in der Mitte der 1890er Jahre verwandt wurden, um der Konfuzianismuskritik in Japan entgegen zu treten. Mit Eintritt der Rassekategorie in die Nationaldiskurse Ende des Jahrhunderts wurde auch der Begriff 同盟 [{dômei} gleiches Blut] verwandt. Die Gesellschaft der ostasiatischen Länder mit gemeinsamer Kultur [tôa dôbun kai] wurde im Jahre 1901 entsprechend in Gesellschaft der blutsverwandten Völker [{国民同盟会} kokumin dômeikai] umbenannt, siehe Howland: Borders; 2-3. Ähnlich auch Liu: Translingual Practice; 9. 138 Zur Person Kakuzôs siehe Stephen Hay: Asian Ideas of East and West, Tagore and His Critics in Japan, China, and India, (Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1970; 35ff).

87 werden. Okakuras Asienkonzept resultierte hauptsächlich aus den Jahren 1901/2, als er mit Swami Vivekananda (1863-1902), spirituellem Hindu-Führer und Vertreter des radikalen Flügels der indischen Nationalbewegung, in Bengalen zusammentraf. Swami vertrat die Auffassung, dass Europa eher durch eine materielle Kultur geprägt sei und ‚Asien’, im Besonderen Indien, die geistige und spirituelle Kultur der Welt verkörpere. Diese in Japan bereits seit dem 18. Jahrhundert bekannte139 binäre Einteilung der Welt sah Okakura bestätigt durch die Tatsache, dass Indien das Ursprungsland des Buddhismus (der Konfuzianismus spielte für Okakura keine maßgebliche Rolle) sei und somit von zentraler Bedeutung für den asiatischen Kulturraum. Seine Überzeugungen hielt Okakura in dem im Jahre 1903 verfassten englischsprachigen Werk Ideals of the East fest, in dem es heißt, dass sämtliche kulturelle Strömungen Asiens in der japanischen Kultur zusammen kämen, gleichsam einem „Museum“ asiatischer Kunst und Kultur.140 Die japanische Kultur vereine in sich die „Essenzen“ der asiatischen Kulturen und führe sie zu etwas Höherem zusammen: „It has been... the great privilege of Japan to realise this unity- in-complexity with a special clearness. (…) ..and so mirror the whole of Asian consciousness“ 141 Japan fungiere sogar als Quelle des Wissens in Asien, eine Position, die vormals China eingenommen hatte:

“The treasure-stores of the daimyos, again, abound in works of art and manuscripts belonging to the Sung and Mongol dynasties, and as in China itself the former were lost during the Mongol conquest, and the latter in the age of the reactionary Ming, this fact animates some Chinese scholars of the present day to seek in Japan the fountain-head of their own ancient knowledge.”(Okakura: Ideals; 7).

‚Asien’ war bei Okakura bereits zu einem geschlossenen Raumkonzept geworden, in dessen Mittelpunkt Japan stand. Deutlich wird dies im ersten Satz seines Buches, der „Asia is one.“ lautet. 142 Mehr noch, ‚Asien’ und der ‚Westen’ werden bei

139 Arai Hakuseki (1657-1725) hatte diese Unterscheidung in östliche Weisheit und westliche Technik [{東洋道徳西洋芸} tôyô dôtoku seiyô gei] in seiner Schrift Die Verhältnisse im Westen [{西洋紀聞} seiyô kibun] aus dem Jahre 1715, s. II 1 C ii., gemacht, siehe Iida: Fleeing the West; 412. 140 Da Okakura das englische Wort East und Asia [Osten und Asien] synonym verwandte, wird dies im Folgenden ebenso getan. 141 Siehe Okakura Kakuzô: The Ideals of the East with Special Reference to the Art of Japan, E. P. Dutton & Co., New York, 1904; 4-8. 142 Okakuras Schrift ist auf Englisch verfasst und dürfte sich somit v.a.a. an ein westliches Publikum gerichtet haben. Man kann jedoch den Widerspruch nicht ganz leugnen, dass Okakura

88 Okakura als kulturgegensätzliche Räume konstruiert, als Spähren des Materiellen und des Spirituellen. Auch verfestigte Okakura die Kritik am westlichen Fortschrittsgedanken, der seiner Meinung nach ins Nichts führe. Zivilisations- und Geschichtstheorien der frühen meiji-Zeit kommen bei Okakura nur noch indirekt zur Sprache, indem der darauf hinweist, dass die westliche Entwicklung in der asiatischen Geschichte bereits angelegt sei und folglich die westliche Entwicklung keine Besonderheit darstelle. Aus den Selbstwahrnehmungen der kulturellen Unterlegenheit der 1870er Jahre, die in den 1890er Jahren zu Selbstbehauptungsdiskursen gegen den Westen geworden waren, erwachsen bei Okakura Kakzuô Andeutungen auf eine Überlegenheit des Ostens über den Westen. Okakuras holistisches Asienkonzept wird grundlegend für die weiteren japanischen Asiendiskurse nach 1903 bleiben. 143

vi. Zusammenfassung

Vergleicht man den Ausgangspunkt der hier vorgelegten Ausführungen zur

Entwicklung des japanischen Asienbegriffs, den Begriff 亜/亜細亜 [{a/ajia} Asien] mit dem East/Asia-Begriff Okakura Kakuzôs, so lässt sich ein vielschichtiger Prozess von Begriffsneuschöpfungen und semantischen Verdichtungen ausmachen. Die entscheidenen Koordinaten, innerhalb derer der Raum ‚Asien’ vermessen wurde, waren wechselnde Bewertungen des chinesischen Kulturraumes, des westlichen Kulturraumes und ein erstarkendes japanisches Nationabewußtsein. In den 1870er

in der Sprache jener Kultur schreibt, die er als die unterlegene der beiden Teile des Ganzen, des Materiellen und des Spirituellen, betrachtet. 143 Stefan Tanaka hat in seinem Buch Japan’s Orient die Entstehung eines japanischen Gegennarrativs zu westlichen Universal- und Weltgeschichtsentwürfen anhand der Schriften des ersten Lehrstuhlinhaber für die Geschichte des Orients [{東洋史} tôyôshi], Shiratori Kurakichi, an der Tokyoter Universität im Jahre 1906 untersucht. Shiratori übertrug die Vorstellung des phasenhaften Entwicklungsmodells westlicher Teleologien auf den ‚asiatischen’ Raum. Er vertrat die Auffassung, dass China und Korea Asien seien und bezeichnete sie mit dem Begriff 東洋 [{tôyô} östliche See]. Tanaka übersetzt Shiratoris 東洋 {tôyô}-Begriff mit ‚Orient’ und verweist damit auf die japanische Adaption eines westlichen Orientkonzeptes, auf eine Parallele zwischen dem Verhältnis Europa-Orient/Asien und dem Verhältnis Japan-Orient/Asien. China und Korea wurden in Shiratoris Weltgeschichte zum ‚Orient’ Japans, siehe Tanaka: Japan’s Orient.

89 Jahren charakterisierte ein Gefühl der kulturellen Unterlegenheit und Minderwertigkeit die Länder eines asiatischen Raumes, welches sich in Opfernarrativen niederschlug. In den 1880er Jahren entwickelte sich in Japan ein neues Selbstbewusstsein, das, aufgrund von Reformerfolgen und einsetzendem Nationalismus (nihonron) zu einer Selbstbehauptung gegen den Westen und zu einer weiteren Distanzierung von China führte. Niederschlag fand diese Neukonzeption des ‚asiatischen’ Raumes in dem Begriff tô oder tôhô [Osten]. Bis zum Chinesisch-Japanischen Krieg von 1894/5 stand diese Empfindung des zivilisatorischen Gefälles zwischen Japan und China im Vordergrund einer Neuordnung der kulturellen, aber auch politischen Hierarchien des chinesischen Kulturraumes. Verursacht durch die Drei-Mächte-Intervention durch Russland, Frankreich und Deutschland trat die anti-westliche Komponente in den Asienvorstellungen Japans Ende der 1890er immer stärker in den Vordergrund. Hinzu kamen imperiale Visionen einer Ausdehnung des japanischen Einflußbereiches auf das chinesische Festland, die Japan umgebenden Inseln und die südlich von Japan gelegenen Gebiete. Ein neues, dezidiert anti-westliches Raumkonzept verdichtete sich in Folge in dem Begriff tôa. In gewisser Weise war damit der Prozess der Umdeutung der ajia-Semantiken abgeschlossen. Die Gesamtheit der kulturellen Kritik am Westen und der Selbstbehauptung der asiatischen Welt erfaßte dann abschießend Okakura in seiner Asia is one-Doktrin, die ein binäres Wahrnehmungsmuster jedenfalls maßgeblich unterstützte.

Es konnten in diesem Teilkapitel sicher nicht alle Raumkonzepte des Begriffs ‚Asien’ während der frühen und mittleren meiji-Zeit diskutiert werden. Z. B. ist der

Asienentwurf Ueki Emoris 植木枝盛 (1857-1892) nicht weiter ausgeführt und berücksichtigt worden, den der Bürgerrechtler in seiner Schrift [{東洋大日本国憲案} tôyô dainippon kokken an] im Jahre 1881 niederlegte. Er vertrat darin die Auffassung, dass es das oberste Ziel sei, China aus dessen Rückständigkeit zu befreien. Ueki konnte sich sogar vorstellen, dass dieses Ziel gemeinsam mit den Westmächten zu realisieren wäre (Banno: Meiji shisô; 72-6). Sein Standpunkt spiegelte jene Anfang der 80er Jahre noch vorherrschende Westbegeisterung wieder. Doch galt es auf den vorangehenden Seiten dieser Arbeit, über die Einzelmeinungen hinaus, auf einer diskursanalytischen Ebene prototypische und kontingente Raumbegriffe herauszuarbeiten, deren Grenzen je nach Bewertung der japanischen

90 Position in Relation zu China und dem Westen festgelegt wurden. Dabei wurde in Betracht gezogen, dass die Schwierigkeiten einer Analyse historischer Semantiken zumeist darin bestehen, dass sich keine exakten Verwendungszeiträume der Begriffe und ihrer Bedeutungsebenen ausmachen lassen. Gerade in einer Zeit des kulturellen Umbruchs, der Aufnahme westlichen Gedankenguts und der Definition und Abgrenzung des Eigenen weisen zentrale Begriffe ambivalente Bedeutungsebenen und Brüche, häufig darüberhinaus Widersprüche auf. Eine messerscharfe Periodisierung der einzelnen semantischen Wandlungen japanischer Asienbegriffe ist somit sicher nicht auszumachen. Dennoch, es lassen sich anhand der verwandten Begriffe Tendenzen geistiger Strömungen und Aspekte kultureller Selbstbehauptungsdiskurse erkennen, die Auskunft über das japanische Selbstverständnis und die Sichtweise des Anderen geben.

91

2. Südbilder A. Erblickt man die Philippinen und Vietnam, wenn man nach Asien sieht?

Dass Regionen zu Räumen sozialen und politischen Handelns sowie zu Projektionsflächen von Vorstellungen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden können und dass diese inhaltlichen Aufladungen regional-räumlicher Begriffe in nationalen Selbstbehauptungsdiskursen eine identitätsstiftende Funktion einnehmen und zum Rahmen eines politisch-nationalen Fortschritts- und Reformnarrativs werden können, all dies wurde auf den vorherigen Seiten anhand des im Wesentlichen Nordostasien umschreibenden a-/tôyô-/tôhô-/tôa und East/Asia -Begriffs gezeigt. Wie aber nahmen nun die japanischen Publizisten und Aktivisten die südlich und südwestlich von Japan gelegenen Gebiete wahr? Welche Bilder und Vorstellungen wurden mit diesen Gebieten verbunden, wie wurden diese Länder zu einem Raum? Vergleicht man die Aufmerksamkeit japanischer Politiker und Publizisten, die diese dem Reich der Mitte sowie dem angrenzenden Korea widmeten mit ihrer Aufmerksamkeit für die südlich und südwestlich von Japan gelegenen Gebiete, so ist ihr Interesse an letzteren als eher gering zu bezeichnen. Dies zeigt sich allein daran, dass über diese Gebiete in den asienbezogenen Vereinszeitschriften und Publikationen in der frühen und mittleren meiji-Zeit im Gegensatz zu a-/tôhô-/tôyô- /tôa weit weniger die Rede war.144 Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass die Region südlich und südwestlich von Japan nicht in einem vergleichbaren Maße konstituiert war, wie es etwa der chinesische Kulturraum seit Jahrhunderten war. Nur wenige Autoren der edo-Zeit (1603-1868) hatten sich mit dieser Region beschäftigt. Satô Nobuhiro, Gelehrter und früher Befürworter einer Westorientierung, hatte dennoch für die südlich und südwestlich von Japan

gelegenen Gebiete einen Begriff gefunden: nanyô [{南洋} südliche See]. Satô riet zu einer Invasion Chinas über die Mandschurai und der Besiedlung der südlichen

144 Ohne auf eine quantitative Erhebung über die Anzahl von Artikeln mit ajia- oder ‚südliche See’-Bezug zurückgreifen zu können, so erscheint der Eindruck dennoch gerechtfertigt.

92 Gebiete. Den Ryûkyû-Inseln und den Philippinen maß er dabei die größte Bedeutung als zentrale Stützpunkte zur Eroberung der in der südlichen See gelegenen Gebiete bei.145

Wenn über den Süden [{南} nan; minami] berichtet wurde, dann handelte es sich in den ersten Jahren nach der meiji-Restauration in der Regel um die an Japan grenzenden Bonin-Inseln [jap.: Ogasawara-Inseln] 146 im Süden der südlichen Hauptinsel Kyûshû sowie um die nahe gelegene Inselkette der Okinawa-Inseln [jap.: Ryûkyû-Inseln]. Die Gebiete waren ins Blickfeld der meiji-Regierung und politischer Aktivisten gelangt, da eine zügige Annektion der Inselketten eine erwünschte außenpolitische Wirkung versprach. Denn die japanische Führung war zum einen bemüht, nach er Öffnung des Landes eine Klärung der japanischen Außengrenzen im Süden zu erlangen.147 Zum anderen richtete sich der japanischen Anspruch auf die Okinawa-Inseln direkt gegen China. Das Königreich von Okinawa stand seit dem 14. Jahrhundert in einer tributpflichtigen Handelsbeziehung zum chinesischen Kaiserhof. Aus dieser traditionellen Verbindung wollte die japanische Regierung die Okinawa-Inseln herauslösen und sie zu einem Teil des japanischen Territoriums zu machen. Die japanischen Forderungen nach Annektion des Königreiches Okinawa legitimierte die japanische Regierung damit, dass der daimyô von Satsuma auf Kyûshû, eine der Hauptinseln Japans, im Laufe des 17. Jahrhunderts Handels- und Tributbeziehungen mit dem König von Okinawa aufgenommen hatte und die Inselkette in den Augen der Japaner somit eher zu Japan gehörte und erst in zweiter Linie dem chinesischen Kaiser unterstand. Als im Jahre 1871 auf der nahe gelegenen und dem chinesischen Kaiserhof tributpflichtigen Insel Taiwan gestrandete Fischer, die von den Okinawa-Inseln kamen, von taiwanesischen Einwohnern umgebracht wurden, nahm die meiji-

Regierung diesen sog. Taiwan-Zwischenfall [{台湾出兵} taiwan shuppei] noch drei Jahre später zum Anlass, Kompensation von China zu fordern. Begründet wurde

145 Siehe II 1 C ii., aus Satôs Schrift Große Theorie der Vereinigung aller Dinge unter dem Himmel [{宇内混同秘策} udai kondô hisaku]; 45. 146 Die Ogasawara-Inseln wurden erst im 19. Jahrhundert durch Siedler aus Hawaii bevölkert. Nach der japanischen Inbesitznahme im Jahre 1875 wurden in geringen Maße japanische Siedler auf die Inseln versetzt, im Jahre 1882 wurden alle Bewohner naturalisiert, siehe David Oda: Photographing the Ogasawara Islands: Thinking with 19th century photographs of Japan (in: IIAS, 41, 2006; 18-19, hier S. 18). 147 Zwischen 1873 und 1883 nahm Japan die nördlich gelegene Insel Hokkaidô in Besitz.

93 dieses Vorgehen wiederum mit dem Argument, dass die Rechte der Einwohner der von Japan beanspruchten Okinawa-Inseln verletzt worden seien. Trotz anhaltenden Widerstandes der Bevölkerung auf den Inseln selbst, annektierte Japan das Königreich im Jahre 1879 mit der Durchsetzung der Residenzpflicht des Königs von Okinawa in Tokyo.148 Die südlich von Japan gelegenen Okinawa-Inseln wurden somit als etwas in-Besitz-zu-Nehmendes wahrgenommen und standen damit gleichsam am Anfang einer modernen nanyô-Wahrnehmung.

Mit dem Einsetzen des Nationaldiskurses Mitte der 1880er Jahre gewann die Wahrnehmung der südlich von Japan gelegenen Gebiete an Präsenz. Die innerhalb von wenigen Jahren blitzartig hochschnellende Anzahl an Publikationen über nanyô

erhielt sodann prägnanterweise ein Schlagwort: es war das Südseefieber [{南洋の熱} nanyô no netsu] ausgebrochen (Irie: Nanshin; 15). Dieses plötzliche Interesse an den südlich von Japan gelegenen Gebieten hielt ca. zehn Jahre an und flaute Mitte der 1890er Jahre wieder ab, nicht zuletzt weil sich die öffentliche und publizistische Aufmerksamkeit auf den nahenden Chinesisch-Japanischen Krieg von 1894/5 richtete. Die Konstitution der modernen nanyô-Bilder fällt somit in die Hochphase des japanischen Frühnationalismus. Während dieser kurzen Zeitspanne von ca. 10 Jahren verfestigte sich weder ein klar umgrenzter geographischer Raum noch entstand ein geschlossenes Bild einer südlichen Region. Stattdessen sind eine Reihe von Wahrnehmungen und Bildern der

148 Die Verhandlungen mit China zogen sich bis zum Chinesisch-Japanischen Krieg 1894/5 hin. Das Vorgehen der meiji-Regierung im Taiwan-Zwischenfall ist in der Literatur gut erforscht, siehe Hilary Conroy: The Japanese Frontier in Hawaii, 1868-1898, Berkeley, University of California Press, 1953; 71-3, Sakamaki Shunzô: Ryûkyû and South East Asia (in: Journal of Asian Studies, 1964, 23, 3; 383-389), Kreiner: Ryûkyû, im Besonderen dort Gregory Smits: The Ryûkyû shobun in East Asia and World History; 283-287. Die Eingliederung der Okinawa- Inseln in das japanische Kaiserreich erfolgte auch auf einer kulturell-ideologischen Ebene. So schreibt der Japaner Sasamori, der im Jahre 1894 im Auftrag der Regierung die Möglichkeiten des Zuckerrohranbaus auf den Ryûkyû-Inseln prüfen soll, über die kulturellen und ethnischen Gemeinsamkeiten der Ryûkyû-Bevölkerung mit Japan bzw. über die Differenzen mit China, kann aber nicht völlig verschweigen, dass Essen, Sprache und Gebräuche nicht japanisch seien. Er berichtete sogar über die Antipathie der Bevölkerung gegen die Japaner, ihre schlechte Bildung und die unhaltbare medizinische Versorgung auf den Inseln. Voller Mitleid war Sasamori, dass dieser Zustand im japanischen Kaiserreich geduldet wurde, siehe Donald Keene: Modern Japanese Diaries: the Japanese at Home and Abroad as Revealed Through their Diaries (New York, Holt, 1995; 164-171).

94 südlichen See zu verzeichnen, die lange Zeit prägend bleiben sollten.149 Es soll nun im Folgenden der Frage nachgegangen werden, wie und unter welchen historischen Voraussetzungen sich Interesse, Vorstellungen und kulturräumliche Konstruktionen der südlich und südwestlich von Japan gelegenen Gebiete entwickelten – und abschließend eine Vermutung geäußert werden, welchen Einfluss dieser Süddiskurs auf die japanischen Asiendiskurse ausübten.150

B. Nanyô-Wahrnehmungen: Voraussetzungen, Parameter und Akteure

Das Wortes nanyô [{ 南洋} südliche See] scheint von dem chinesischen Wort nanyang aus der ming-Zeit (1368-1644) zu stammen. Neben der Bezeichnung für die südliche See existierten die analogen Bezeichnungen für die westliche und

östliche See: seiyô [{ 西洋} westliche See] und tôyô [{ 東洋} östliche See]. Ursprünglich wurden mit seiyô die Wasser- und Landmassen westlich des Taiwanesischen Meeres beschrieben, die denen des davon östlich gelegenen Meeres gegenüber lagen.151 Wirft man einen Blick auf frühe buddhistische Karten, so sind entsprechend der Drei-Länder-Lehre die Länder China, Indien und Japan zusammen mit der westlichen und der östlichen See abgebildet, doch die südliche See als Raum bleibt unerwähnt.152 Als die Magna Mappa Cosmographica von Matteo Ricci aus dem Jahre 1602, die alle bekannten Länder der damaligen Welt verzeichnete, im Jahre 1645 nach Japan gelangte, wurde zwar die Drei-Länder-Lehre erschüttert,

149 So wurde zum Beispiel das Werk des liberalen Unternehmers und Politikers Taguchi Ukichi Südöstliche Besichtigungsreise [{南東巡行} nantô junkô] aus dem Jahre 1893 nach 1914 von der japanischen Marine noch als die beste und brauchbarste Darstellung der Region bezeichnet, siehe Peattie: Nanyô; 21 Fn 34. Zu Taguchi s. II 2 C iii. 150 Die ersten japanischen Immigranten in der meiji-Zeit in Südostasien waren überwiegend Prostituierte (karayuki san), die nach Singapur, auf die Philippinen, nach Indonesien oder Vietnam gingen. Belastbares Zahlenmaterial ist kaum vorhanden, siehe Shiraishi Takashi: The Japanese in Colonial Southeast Asia (in: Hirano Ken’ichiro (Hrsg.): The State and Cultural Transformation: Perspectives from East Asia, Tokyo, United Nations University Press, 1993; 161-178). 151 Siehe Kyôdai tôyôshi jiten hensankai (Hrsg.): Shinhen tôyôshi jiten [Neues Wörterbuch der Geschichte des Orients], Sôgensha, Tokyo, 1980; ,nanyô’ sowie mit sehr schönen Ausführungen zu diesem Thema Noel Peri: Essai sur les relations du Japon et de l’Indochine aux XVIe et XVIIe siècles (in: Bulletin de l’École Francaise d’Extrême-Orient, 23, 1923; 1-136, hier S. 15- 6). 152 Siehe Hugh Cortazzi: Isles of Gold, Antiques Maps of Japan, New York, Weatherhill, 1983; 5-10.

95 doch änderten die neue geographischen Kenntnisse nicht viel an der Südwahrnehmung (Cortazzi: Isles; 36-7). Die auf der Grundlage von Matteo Riccis Karte angefertigten japanischen Weltkarten blieben anschließend für die japanische Kartographie bis ins 18. Jahrhundert einflussreich (Hirokawa: Matteo Ricci; 665). Erst im Jahre 1794 wurden die japanischen Weltkarten um den fünften Kontinent, Australien, ergänzt, wie auf der zu dieser Zeit maßgeblichen Katsuragawa-Karte, einer Abschrift russischer Karten, zu sehen ist (Frei: Australia; 55 u. 66).153 So war nanyô traditionell ein Gebiet, welches bis ins 19. Jahrhundert weder kartographisch noch anderweitig durch Besonderheiten ausgezeichnet war. Einige nicht auf den ersten Blick sichtbare Merkmale und Aspekte sollen im Folgenden aufgeführt werden. Als kartographischer ‚Nicht-Raum’ wird zunächst die geringe strategische Bedeutung der südlichen See deutlich. Bis zur Ankunft der Westmächte im 19. Jahrhundert war von dieser südlichen See keine Bedrohung für Japan ausgegangen. Als natürlicher Schutz gegen mögliche Invasoren fungierten die schroffen und felsenartigen Küsten Japans, die durch Sommer- und Winterstürme verstärkt, jede Invasion über das Meer unmöglich machten. Diese geologischen Bedingungen verhinderten auch die Herausbildung eines florierenden Überseehandels, dessen sehr zarte Anfänge im 16. Jahrhundert durch die Abschließungspolitik der Tokugawa- shôgune darüber hinaus weitgehend unterbunden worden war. Diese Wahrnehmung des nanyô-Gebietes änderte sich mit der Ausdehnung westlicher Kolonialgebiete in das heutige Südostasien und die südliche See. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Gebiet der südlichen See zu einem ‚strategischen Raum’ aus dem potentiell eine militärische Bedrohung für Japan erwachsen konnte. So bemerkten verschiedene Autoren, dass Spanien seit langem im Besitz der Marianen und Karolinen war, die Fidschi-Inseln im Jahre 1874 britische Kronkolonie wurden, dass Frankreich im Jahre 1880 Tahiti zu einem Teil der Kolonie Französisch-Polynesiens gemacht hatte und deutsche Händler sich seit dem Jahr 1885 auf den Marshall-Inseln niedergelassen hätten. Die südliche See wurde in den Augen der japanischen Publizisten zu einem Raum, den die europäischen Imperialmächte sich nach und nach durch bloße Besetzung zu Eigen

machten. Als ein solcher Kriegsschauplatz imperialen Strebens [{戦場の西洋の侵略}

153 James Cook hatte Australien im Jahre 1774 entdeckt.

96 senjô no seiyô shinryaku] wurde die südliche See im 19. Jahrhundert zu einer Gefahrenquelle für Japan selbst 154 und rückte damit mehr in die öffentliche Wahrnehmung als zuvor. Die Existenz nanyôs als Nicht-Raum und dessen geographische Vagheit ist möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass dieses Gebiet in den

Darstellungen der japanischen Autoren überwiegend als Meer [{ 洋 } yô] im

Gegensatz zur Wahrnehmung Chinas als einem Festland [{大陸} tairiku] beschrieben wurde. Die Inseln, die man im Gebiet nanyô zu verorten suchte, wie etwa die Marianen, die Philippinen, Niederländisch-Ostindien, erhielten ihre genauere geographische Lagebeschreibung innerhalb des Referenzrahmens ‚See’ oder ‚Meer’.

Es waren entweder die Inseln der südlichen See [{南洋群島} nanyô guntô], die innere

südliche See [{内南洋} uchi nanyô], die hintere südliche See [{裏南洋} ura nanyô], oder

einfach nur südlich [{南方} nanpô], südliche Inseln [{南島} nantô] oder südliches

Meer [{南海} nankai]. Dass die südlichen Gebiete in der Kategorie ‚Meer’ und nicht in der Kategorie ‚Land’ gedacht wurden, teilt uns auch der Publizist und Süd-

Experte Takegoshi Yosaburô 竹越與三郎 (1875-1950) in seiner Artikelreihe Südliche

See [{南洋} nanyô] in der Yomiuri shimbun [{読売新聞} Yomiuri Zeitung] im Jahre 1889 mit, in welchem er über seine Gedanken zu nanyô in erster Linie als Meer-

Gedanken [{海の思想} umi no shisô] sprach. Eine weitere von Takegoshi häufig verwendete Umschreibung für nanyô war etwa, dass „die Zukunft Japans auf dem von den malaiischen Ländern umschlossenen Ozean [liege]“. Takegoshi benennt hier nicht die Inseln als Anker seiner Gedanken, sondern macht seine Vermutungen an der hoffnungsvollen Zukunft Japans im Ozean fest: nanyô wird ein Zukunftsraum.155

In der Forschung ist bisher nicht die Frage thematisiert worden, warum der Beginn einer breiteren Berichterstattung über nanyô durch vereinzelte Autoren und Publizisten gerade Ende der 1880er Jahre einsetzte. Meines Erachtens steht der

154 Siehe hierzu die Artikel des Tôhô kyôkai [Östliche Gesellschaft]-Mitgliedes und bereits erwähnten Fukumoto Nichinan: Nihon oyobi nanyô [ Japan und die südliche See] in: Nihonjin, 18. Mai 1890, ders.: Kôrai roku [Zukunftsaufzeichnungen] in: Nihon, 7.11.1889 sowie des Publizisten mit dem Pseudonym Tônan Koji: Nanyô saku [Südsee-Politik]; 12 sowie die Schrift des Philippinenreisenden Suganuma Teifû: Manira tsûshin [Neuigkeiten aus Manila], in: Nippon, 31.07; 79. 155 Siehe Takegoshi Yosaburô: Nanyô [Südliche See], in: Yomiuri shimbun, 5. Mai, 1899.

97 Beginn der breiteren Berichterstattung im Zusammenhang mit der besseren Zugänglichkeit und Erreichbarkeit der südlichen See. Das bis Ende der 1860er Jahre bestehende restriktive Ausreiseverbot für Japaner lockerte sich nur langsam und eine zivile Schifffahrt existierte bis Ende der 1870er Jahre nicht. Auch bestanden keine regelmäßigen Handelsschiffsverbindungen und Routen zwischen Japan und den umliegenden Ländern. Erst mit dem Aufkommen einer stärkeren Seepräsenz japanischer Schiffe eröffneten sich Möglichkeiten für die nanyô-Interessierten bzw. stieg das Interesse an nanyô aufgrund der verbesserten Reisemöglichkeiten. Zudem kommt der japanischen Marine hohe Bedeutung bei der Erschließung des südlichen Seeraumes zu. Die japanische Marine stellte eine treibende Kraft in der Erschließung der südlichen Meer- und Landgebiete dar. Auf ihren Schiffen reisten von Beginn an Publizisten und Berichterstatter mit, die im Anschluss an derlei Erkundungsfahrten über ihre Reiseerfahrungen und die unbekannten Inseln berichteten (Yano: Nanyô shikan; 15ff). Die von den Mitreisenden im Anschluss verfassten Erlebnisberichte wie etwa die Schrift Die aktuelle Lage in der südlichen 156 See [{南洋時事} nanyô jiji] von Shiga Shigetaka oder der Bericht des bekannten

Kritikers und Schriftsteller Miyake Setsureis 三宅雪嶺 (1860-1945) über eine im September 1891 begonnene sechsmonatige Reise durch die südliche See (Pyle: New Generation; 156-59), hatten einen wesentlichen Anteil an dem über nanyô entstehenden Wissen in Japan.157 Doch da die ersten Erkundungsfahrten der Marine in das Gebiet nanyô erst in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre einsetzten, blieben die Gebiete bis dahin für die Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Aufgrund der Tatsache, dass der Beginn der Produktion von nanyô-Wissen durch mitreisende Reporter in direktem Zusammenhang mit dem Aufbau der Marine stand, bedarf es eines kurzen Blickes auf die Entwicklung der japanischen Marine, da viele der hier zitierten Autoren mit ihrem Aufbau in Verbindung standen. Im

Vergleich zu den chinaorientierten Aktivisten, den tairiku rônin [大陸浪人], die sich in erster Linie als ‚Festlandsaktivisten’ verstanden und dem japanischen Militär nahe standen, rekrutieren sich die Südexperten und -aktivisten aus den Rängen der

156 Das Werk Shigas wird später ausführlich behandelt werden. 157 Das bekannteste Werk Miyakes ist das nationalistische Werk Japaner: Wahrheit, Tugend und Schönheit [{真善美日本人} shinzen bi nihonjin] siehe Pyle: New Generation; passim und Horace Feldman: The Growth of the Meiji Novel, Ann Arbor, Michigan, Columbia University Press, 1952; passim.

98 japanischen Marine, die Japan als maritimes Land oder Meerland [{海国日本} kaikoku nippon] bezeichneten.158 Obwohl der ‚Öffnungsschock’ der 1850er und 1860er Jahre in Japan nicht zuletzt auf die maritime Übermacht der Westmächte zurückzuführen war, wurde dem Ausbau einer maritimen Streitkraft im Zuge der militärischen Reformierung und technischen Modernisierung Japans bis in die 1880er Jahre weit geringere Aufmerksamkeit zu Teil als dem Aufbau der Landstreitkräfte und der Armee. Zwar wurde bereits Ende der 1850er Jahre eine Marineschule in Nagasaki159 eröffnet und erste maschinenbetriebene Schiffe im Ausland erworben, doch die Doktrin der 1860/70er und Anfang der 1880er Jahre hieß ‚erst die Armee, dann die Marine’ (Evans: Kaigun; 5, 17-9). Die Gründe für die Zurückstellung des maritimen Stranges der militärischen Modernisierung waren innenpolitischer Natur. Zum einen galt es nach der meiji- Restauration den inländischen politischen (und militärischen) Widerstand zu bekämpfen (z. B. die Satsuma-Rebellion von 1877), wobei es vornehmlich des Aufbaus einer Armee und weniger einer Marine bedurfte. Zudem war aufgrund der Ungleichen Verträge nicht an eine expansive Außenpolitik zu denken, deren Durchsetzung eine schlagkräftige Marine zur Voraussetzung gehabt hätte. Darüber hinaus galt der Aufbau einer modernen Marine als teuer und aufwendig und die Ausbildung von Marine-Offizieren nahm eine längere Zeit in Anspruch und war kostspieliger als die der Offiziere der Landstreitkräfte.160 Wie in anderen Bereichen auch, musste die Ausbildung der Marine-Offiziere anfangs im Ausland stattfinden, wo auch Kriegsschiffe gekauft und deren Bau studiert wurde.161 Erst Anfang der 1890er Jahre erhielt die Marine eine öffentliche Aufmerksamkeit wie etwa aus den

158 Zur japanischen Marine siehe grundlegend David Evans und Mark R. Peattie: Kaigun: Strategy, Tactics, and Technology in the Imperial Japanese Navy; 1887-1941, Annapolis, Md., Naval Inst. Press, 1997. 159 Die samurai aus den han Satsuma und Hizen waren von Anfang die treibende Kraft beim Aufbau der Marine, was offensichtlich auf die exponierte geographische Lage der han in Nähe der internationalen Schifffahrtswege zurückführen ist. 160 Zur Ausbildung der Marine-Offiziere siehe Peter G. Cornwall: The Meiji Navy: Training in an Age of Change (Ann Arbour, Microfilms International, 1982). 161 Wichtige Meilensteine der Entwicklung der japanischen Marine waren die Eröffnung einer Werft für den Kriegsschiffbau im Jahre 1865 mit der Unterstützung Frankreichs. Im Jahre 1869 öffnete die mit britischer Unterstützung betriebene Offiziersschule Kaigun daigakkô in Tsukiji in Tokyo, die im Jahre 1888 in die Nähe Hiroshimas nach Iojima verlegt wurde, siehe Richard Sims: French Policy towards the Bakufu and Meiji Japan, 1854-95 (Richmond, Japan Library, 1998; 52, 12-15).

99 Berichten über große Menschenmengen, welche die in Japan und im Ausland gebauten Schiffe im Hafen von Tokyo empfingen, zu entnehmen ist (Evans: Kaigun; 20). Mitte der 1890er Jahre besaß Japan 28 moderne Kriegs- und Schulschiffe sowie zwei Torpedoboote.162 Die in den 1890er Jahren einsetzende Aufmerksamkeit für die japanische Marine kann auf mehrere Gründe zurückgeführt werden. Hauptursache für die Forderungen nach einer schlagkräftigen Seestreitkraft dürfte die zeitgleich einsetzende, sich aufheizende Rivalität europäischer Mächte im Pazifik und die daraus resultierenden Befürchtungen vor einer imperialen Expansion der Westmächte bis vor die Grenzen Japans gewesen sein. Zum anderen kristallisierte sich die Zuspitzung des Koreakonfliktes der 1880er Jahre heraus und dieser schien nur dann kontrollierbar, wenn Japan über eine starke Seestreitkraft verfügte, was sicher aus militärstrategischer Perspektive für eine Auseinandersetzung mit China ohnehin galt. Die Richtigkeit dieser Einschätzungen stellte sich im Chinesisch-Japanischen Krieg von 1894/5 heraus, als am 17. September 1894 in der Seeschlacht von Yalu acht von zwölf chinesischen Kriegsschiffen durch japanische Torpedos versenkt wurden (Evans: Kaigun; 19).

Die Erlebnisberichte über erste Fahrten der Marineschul- und Kriegsschiffe von mitreisenden Schriftstellern und Publizisten liegen hier als Quellenmaterial zu Grunde. Ebenso wichtig, wenn auch in geringerer Zahl vorhanden, waren die Berichte aus den Federn von ‚privaten’ Reisenden wie jener des aus dem Dienst des

Außenministeriums ausgetretenen Suzuki Tsunenori 鈴木経勲 (1853-1938), der mit seinem Schoner bis nach Hawaii fuhr und während dieser Fahrt Gedichte über die

Landschaften in der südlichen See [{ 南洋風物詩} nanyô fûbutsushi] sowie das

Tagebuch einer Kreuzfahrt durch die südliche See [{南洋巡航日誌} nanyô junkô nisshi] verfasste. Den Großteil der nanyô-Literatur machten somit Berichte aus erster Hand aus. Diese Reiseberichte wurden in der überwiegenden Zahl, trotz ihres durchaus nationalistisch gefärbten Gehaltes, als landeskundliche Beschreibungen in Form von journalistischen Artikeln in den Publikationsorganen der asianistischen Vereinigungen wie etwa dem Journal der Östlichen Gesellschaft [tôhô kyôkai hôkoku] (siehe II 1 D iv.), dem Journal der Gesellschaft für Wirtschaftsstudien

162 Siehe W. Beasley: The Rise of Modern Japan, London, Weidenfeld and Nicholson, 1995; 65f.

100 [keizai gaku kyôkai zasshi] (s.u.) oder der Zeitschrift Japan [nippon] (passim) und Japaner [nihonjin] (passim) veröffentlicht.163 Der Umstand, dass die mitreisenden Reporter stets den Destinationen folgen mussten, die ihnen die Pläne der Marineleitung vorgaben, beschränkte Wissenserwerb und Wissensproduktion über nanyô auf einige wenige Gebiete. Dies spiegelte sich auch in der regionalen Auswahl der Länder wider, über die in den Vereinszeitschriften zu lesen ist. Die Philippinen stellten dabei das meist behandelte Land in dieser Hinsicht dar, eine Tatsache, die sowohl auf die frühzeitig nach der meiji-Restauration aufgenommenen offiziellen Kontakte zwischen Japan und der spanischen Kolonialmacht zurückzuführen ist als auch auf die unmittelbare geographische Nähe der philippinischen Hauptinseln zu Japan. Bereits am 8. April 1870 wurde ein Handels- und Freundschaftsvertrag zwischen Japan und Spanien geschlossen, der die Eröffnung einer spanischen Handelsvertretung in Yokohama vorsah. Es folgten weitere Unterverträge und Japan erhielt für seine Baumwollexporte im Jahre 1878 den Status der Meistbegünstigung, d. h. die weitgehende Befreiung von Zöllen für die Lieferung von Baumwolle auf die Philippinen. Der spanisch-japanische Handel wurde in den folgenden Jahren ausgebaut und die erste japanische Vertretung im Jahre 1889 in Manila eingerichtet. Bis im Jahre 1890 von der Mitsubishi-Reederei ein regelmäßiger Schiffsverkehr zwischen Japan, Hongkong und Manila eingerichtet wurde, wurden die Handelswaren auf spanischen Schiffen nach Manila gebracht (Saniel: Japan; 42 sowie Kap. 5). Die Verstetigung der Reisemöglichkeiten nach Manila auf japanischen Schiffen trug Anfang der 1890er Jahre auch zu einer vermehrten Mitreiseaktivität japanischer Journalisten bei. Nicht nur die vergleichsweise stetigen wirtschaftlichen Kontakte zwischen den Philippinen und Japan, auch die geographische Nähe zu den japanischen Inseln

163 Eine weitere hier nicht berücksichtigte Quellengattung zu nanyô stellten die offiziellen Berichte von Botschaftern und Botschaftsangehörigen diplomatischer Vertretungen dar. Diese Quellen stellen überwiegend formale Beschreibungen der politischen Verhältnisse und Lebensumstände der Bevölkerung dar. Entsprechend enthielten die Berichte Informationen über Transportwege zur Erschließung des Landes, den Geldverkehr, Maße und Gewichte, Schifffahrt und Firmen. Sie gaben auch Auskunft über die wirtschaftliche Situation, Einschätzungen über agrarökonomische Entwicklungspotenziale und Emigrationsmöglichkeiten für japanische Bauern, siehe Suzuki Tsunenori: Nanyô fûbutsushi [Gedichte über die Landschaften in der südlichen See], o. O., 1891, Gaimushô gaikô shiryôkan [Quellenarchiv des Auswärtigen Amtes] (Hrsg.): Nihon gaikô meijiki bunsho [Dokumente über die auswärtigen Beziehungen Japans in der meiji-Zeit], 1890, III, 3.

101 machten die Philippinen zu dem am häufigsten angefahrenen Zielen der Erkundungs- und Handelsschiffe von Marine und Handelsexpeditionen. Für die Marine von entscheidender Bedeutung waren die kolonisierten Philippinen aufgrund ihrer Nähe zu den Ryûkyû-Inseln, die seit 1879 japanisch waren und kaum einen Steinwurf entfernt lagen. Die Klärung der territorialen Grenzen im Westpazifik zwischen Japan und der Kolonialmacht Spanien wurde jedoch erst nach dem Chinesisch-Japanischen Krieg von 1894/5 konkretisiert (siehe III 1.). Der siegreiche Ausgang des Krieges für Japan veränderte dann die politische und strategische Lage im Chinesischen Meer erheblich. Japan war nun Kolonialmacht der Insel Taiwan geworden, die ebenfalls nur einen Steinwurf von der philippinischen Hauptinsel Luzon entfernt war. Spanien war anschließend bemüht, die territorialen Fragen im Westpazifik mit Japan zu klären. Am 7. August 1897 wurde ein zweiter Vertrag zwischen Japan und Spanien geschlossen wurde. Der Vertrag enthielt die Übereinkunft über eine fiktive Linie entlang des Bashee-Kanals, dessen nordöstliche Sphäre Japan und dessen südwestliche Sphäre Spanien zugesprochen wurden (Yano: Nanyô shikan; 36f, Saniel: Japan; 104-5, 154, 160-4, 182).

Allein die bisherige Skizzierung der Grundparameter, Voraussetzungen und Akteure des nanyô-Diskurses weist bereits darauf hin, dass Vietnam/Union Indochinoise in der frühen meiji-Zeit nicht als ein Teil der südlichen See wahrgenommen wurde. Weder war Vietnam ein ‚Meer-Land’ noch liefen Erkundungsschiffe der Marine oder Handelsschiffe die Hafenstädte Vietnams wie etwa Hanoi, Haiphong oder Saigon an.164 Zudem bestanden bis zum Jahre 1907 keine direkten diplomatischen Beziehungen zwischen der Union Indochinoise und Japan. Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen ist davon auszugehen, dass die Wissensproduktion über Vietnam/Union Indochinoise anders geartet und von anderer Qualität war. Ein Großteil der Autoren, die in der mittleren meiji-Zeit ihr publizistisches Interesse auf Vietnam/Union Indochinoise richteten, schrieben über ein ‚traditionelles Vietnam’, welches als ein Teil des sino-zentrischen Kulturkreises verstanden wurde. Auf der Tradition vorheriger Darstellungen fußend, verfasste z. B. Hikita Toshiaki im Jahre 1881 drei historiographische Werke über Vietnam: das vierbändige Werk

164 Dies stand im Kontrast zu den japanisch-vietnamesischen Kontakten am Beginn der edo-Zeit (1603-1868) als es einen regelmäßigen Handelsverkehr zwischen der Region und Yokohama gab, siehe Iwao Seiichi: Early Japanese Activities in Indo-China (in: Contemporary Japan, 1941, 10, 5; 619-634, hier Sn. 619f).

102 Geschichte Vietnams [{安南史} annan-shi] sowie zwei weitere umfangreiche und mehrbändige Werke. Auch der Vietnam-Spezialist Kumazô Tsuboi verfasste mehrere Schriften über Vietnam, die sich mit den historischen Kontakten zwischen Indien, China und Vietnam während der ming-Zeit befassten und sich inhaltlich nicht auf die koloniale Herrschaftsstrukturen, Imperialismus etc. bezogen. Auch die Gelehrten Takasuku Junjirô und Ishizawa Hotsumi arbeiteten vornehmlich über die tang- und ming-zeitliche Wahrnehmung Vietnams, wie aus ihren zahlreichen Schriften zu entnehmen ist.165 Ein eher an den aktuellen Entwicklungen in Vietnam/Union Indochinoise ausgerichtetes Interesse entwickelte sich in Japan im Besonderen nach dem Chinesisch-Französischen Krieg von 1884/5, der um die Vorherrschaft im nördlichen Teil Vietnams, in Tongking geführt wurde. Auf diese eher als marginal zu bezeichnende Wahrnehmung Vietnams in der mittleren meiji-Zeit soll in diesem Kapitel eingegangen werden. Inoffizielle Kontakte entwickelten sich zwischen japanischen Pan-Asiaten und vietnamesischen Dissidenten im Zuge der vietnamesischen Studentenbewegung dong du [Gen Osten/Blick nach Osten], die im Jahre 1905 von Phan Bội Châu ins Leben gerufen worden war und auf die im Kapitel III. 2. eingegangen werden soll.

Die weitere Wissensproduktion über nanyô in der frühen und mittleren meiji-Zeit beschränkte sich auf einige Länder im kolonialen ‚Südostasien’ und im Pazifik, welche auf den Routen der Handels- und Marineschiffe lagen. Japanische Vertretungen wurden etwa in Sydney im Jahre 1878 sowie ein Jahr später im britischen Singapur eröffnet, doch da der Unterhalt dieser diplomatischen Vertretungen unstetig war, gerieten diese Länder nicht in den Mittelpunkt der japanischen Pan-Asiaten. Australien wurde z. B. erstmalig durch einen von Watanabe Kanjûro im Auftrag des japanischen Außenministeriums verfassten

Berichtes mit dem Titel Bericht über die Entdeckung Australiens [{豪州探検報告書}

165 Zu nennen wären hier etwa Takakusu: Ausländische Kontakte während der tang-Zeit, im Besonderen die Seefahrt betreffend [{ を中心とする外国交通、殊に其航海について} Tô wo chûshin to seru gaikoku kôtsû, koto ni sono kôkai ni tsuite], in: Shigaku zasshi aus dem Jahre 1903, 14, 4 sowie Ishizawa Hotsumi: Ortsnamen in der südlichen See, wie sie in den Reisebeschreibungen des 15. Jahrhunderts in China zu finden sind [{十五世紀に於ける旅行 記中南洋地名} Jûgo seiki ni okeru shina ryokôki-chû nanyô chimei-ko], in: Chiri to rekishi, 1, 6-8, 1900, beide zitiert in Wada: Studies; 11-12.

103 gôshû tanken hôkokusho] im Jahre 1894 näher behandelt. Watanabe sollte die Emigrationsmöglichkeiten für Japanern ausloten (Frei: Australia; 76). Im Jahre 1897 wurde für kurze Zeit im neutralen Siam ein Konsulat eröffnet (Conroy: Hawaii; 98, Frei: Australia; 68-70).

C. Nanyôbilder i. nanyô wird mit dem Begriff der ‚Zivilisation’ durchmessen

Als eine der frühesten und grundlegendsten Beschreibungen über nanyô kann das

nanyô jiji [{南洋時事} Die aktuelle Lage in der südlichen See] des Publizisten Shiga

Shigetaka 志賀重剛 (1863-1927) bezeichnet werden. Das nanyô jiji erschien im Jahre 1889 im Maruzen Verlag. In Kenntnis der Werke der nanyô-Literatur stellt das nanyô jiji eine Art Grundlagentext dar, der die Darstellungsformen der nachfolgenden Publikationen zu diesem Thema in den 1890er Jahre prägte. Als rhetorisches und ideelles Raster für die Wahrnehmung nanyôs gebührt dem nanyô jiji und seinem Autor genauere Würdigung. Shiga Shigetaka, Sohn eines samurai aus Aiichi, erhielt eine klassische Ausbildung in der konfuzianischen Lehre. Anschließend studierte Shiga an der von dem amerikanischen Christen William Smith Clark geleiteten Fachhochschule für Agrarwissenschaften im nördlichen Sapporô, erhielt also eine Ausbildung in den westlichen Wissenschaften. Shiga wurde in erdkundlichen Fächern, in Landwirtschaft und Englisch unterrichtet sowie in der protestantisch-calvinistischen Lehre. Ende der 1890er Jahre wurde er Leiter der agrarwissenschaftlichen Abteilung im Forst- und Agrarministerium in Tokyo, später Lehrer an der vom einflußreichen Politiker Ôkuma Shigenobu nach westlichem Vorbild gegründeten Waseda

104 Universität. Zwischenzeitlich, in den Jahren 1902 und 1904 trat er für kurze Zeit als Abgeordneter des Unterhauses in die aktive Politik ein.166 Trotz seines Studiums an einer nach westlichen Maßstäben geprägten Lehreinrichtung kann Shiga sicher nicht als Fürsprecher einer Verwestlichung gelten. In den 1880er Jahren folgte er den Japanisierungsbestrebungen nationalistischer Intellektueller und wurde Mitbegründer der ultranationalistischen

Gesellschaft für Politik und Erziehung [{ 政教社} seikyôsha]. Die Mitglieder der Gesellschaft betrieben eine Japanisierung der eigenen Kultur und eine Eindämmung des westlichen Einflusses auf die nun als japanisch deklarierte Gedankenwelt, was

sie durch Warnungen vor der Europäisierung der japanischen Gedankenwelt [{日本思

想の欧化} nihon shisô no ôka] und der Forderung nach der Bewahrung der

nationalen/Landes- Essenz [{国粋本質保存} kokusui honshitsu hozon] zum Ausdruck brachten. 167 Shiga engagierte sich ebenfalls als Herausgeber der

ultranationalistischen Zeitschriften Nihonjin [{日本人} Japaner] und Nippon [{日本} Japan].168 Zu größerer Bekanntheit gelangte Shiga Shigetaka jedoch in erster Linie

durch sein Werk Abhandlungen über die Landschaft Japans [{日本風景論} nihon fûkei ron] aus dem Jahre 1894. In dieser Schrift unterzog er die geologischen Formationen der japanischen Inseln einer ästhetisch-nationalen Deutung und schuf letztlich Landschaften, die er als Beleg für die Einzigartigkeit der japanischen Nation deutete.169 Das von Shiga fast zehn Jahre zuvor verfasste nanyô jiji aus dem Jahre 1886 war das literarische Ergebnis einer 10-monatigen Reise durch die pazifische Südsee170, die Shiga als Forscher auf der Tsukuba, einem Schulschiff der japanischen Marine, unternahm. Die Reise begann am 9. Februar 1886 in Yokohama, führte an den

166 Shiga Shigetaka war Lehrer und Mentor des später auf den Philippinen stark rezipierten ersten Lehrstuhlinhabers für Kolonialverwaltung an der Tokyo Universität Nitobe Inazô, s. IV B ii. 167 Siehe Nakanome Toru: Seikyôsha no kenkyû (Shibunkaku, Tokyo, 1993; 10ff). 168 Die Nippon erschien zum ersten Mal am Tag der Verkündung der ersten japanischen Verfassung am 11. Februar 1889. 169 Siehe Suzuki Norihasa: Uchimura Kanzô to sono jidai: Shiga Shigetaka to no hikaku [Uchimura Kanzô und seine Zeit – ein Vergleich mit Shiga Shigetaka] (Nihon kirisuto kyôdan shuppan, Tokyo, 1975; 13, 24ff u. 147). Masako Gavin hat unlängst eine Studie über Shiga Shigetaka vorgelegt, die jedoch möglicherweise zu stark von dem Versuch geprägt ist, Shiga Shigetaka als liberalen Patrioten zu rehabilitieren, siehe Masako Gavin: Shiga Shigetaka 1863- 1927, The Forgotten Enlightener (London, Curzon, 2001). 170 Womit die heute unter dieser Bezeichnung verstandene Region gemeint ist.

105 spanischen Karolinen-Inseln vorbei, setzte sich Richtung Ostküste Britisch- Australiens fort und verlief weiter entlang der Küsten Neuseelands und der Fidschi- Inseln, dann über Samoa nach Hawaii. Im Anschluss an die Reise drückte Shiga seine Begeisterung über die besuchten Gebiete, die er mit ‚nanyô’ bezeichnete, dadurch aus, dass er literarisch ausrief, er müsse den Japanern vorab in aller Eile mitteilen, dass er eine neue Sache entdeckt habe; zu einem späteren Zeitpunkt würde er dann ausführlicher berichten wollen (Yano: Nanshin; 58).171 Das nanyô jiji besteht aus verschiedenen Textformen. Es enthält tagebuchähnliche Einträge, Gedichte, Traumdeutungen, landeskundliche Beschreibungen, Kommentare und Reisebeschreibungen. Der in Prosatextteile eingebettete, geringe Anteil an lexikalischen Einträgen über Wirtschaft und Geographie der besuchten Inseln zeigt, dass es Shiga weniger um eine gewissermaßen objektiv-informative landeskundliche Beschreibung des nanyô-Gebietes ging. Nicht die Gegebenheiten vor Ort interessieren ihn, sondern mögliche Konsequenzen, die er aus Ursache- Wirkung-Analysen zieht. Er nennt z. B. häufig Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung auf den Inseln um damit deutlich zu machen, dass die Ureinwohneranzahl sich im 19. Jahrhundert dramatisch reduziert habe und die Anzahl an europäischer Bevölkerung überproportional angestiegen sei. Shiga bemerkt dazu:

„Die weisse Rasse ist der gelben, der schwarzen, der braunen und der malaysischen überlegen. Sieht man auf die bisherige Entwicklung, so verkleinert sich die unterlegene Rasse im Umfang erheblich in dem Moment, wo sie mit der überlegenen in Kontakt tritt. Im schlimmsten Falle kommt es zur Auslöschung des unterlegenen Stammes… Wenn nicht die unterlegene Rasse danach strebt, ihre eigene Situation zu verbessern, wird sie nach und nach zerstört werden und eines Tages wird die ganze Welt in den Händen der weissen Rasse liegen“ (Shiga: Nanyô jiji; 3)

Für Shiga steht ohne Zweifel fest, dass die immer wieder attestierte politische und kulturelle Unterlegenheit der in nanyô lebenden Völker, die sich in Krankheiten, Wehrlosigkeit und Opferdasein äußerte, als Beweis für die Stärke der westlichen Zivilisation auf der anderen Seite zu deuten war. Das nanyô jiji ist im eigentlichen Sinne eine Ermahnung an die japanische Führung zur Nachahmung des westlichen

171 Das Werk nanyô jiji von Shiga Shigetaka ist in Auszügen in Yano: Nanshin erschienen. Parallel dazu ist hier der Neudruck des Werkes aus dem Jahre 1995 verwandt worden, siehe Shiga Shigetaka zenshû, Nihon tôsho center, Tokyo, 1995.

106 Imperialismus, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden, wie die kolonisierten Völker in nanyô (ähnlich arumentierte Tokutomi Sôhô, s.o. unter II 1 D iv.) Neben den jeweiligen reisekundlichen Tagebucheinträgen, durchziehen das nanyô jiji vier größere Themenbereiche, die den nanyô-Diskurs der 1890er prägen sollten. Dies ist zunächst die nicht explizite Adaption eines sich in rassistischen Kategorien vollziehenden Denkens, zweitens ist es die Darstellung nanyôs als Emigrationsort für japanische Bauern. So nehmen Beschreibungen über die Anfänge der japanischen Emigration nach Hawaii und Australien, die der japanische Außenminister Inoue Anfang der 1880er Jahre forciert hatte, großen Raum ein.

Shiga betont, dass die Japaner Zivilisation [{文明} bunmei] und wirtschaftlichen Reichtum in diese Gebiete bringen würden und er wünsche sich, dass man überall „die freundlichen Gesichter der Japaner in Übersee sehen können solle“ (Yanô: Nanshin; 58). Drittens betont Shiga durchgängig die Notwendigkeit des Ausbaus von Handelsbeziehungen mit nanyô und viertens wird nanyô zu einem utopischen Traumort, der Raum für nationale und imperiale Zivilisationsphantasien bietet. Im Folgenden ist der erste Punkt im nanyô jiji im Besonderen untersucht worden, die weiteren drei Aspekte werden anschließend anhand von Texten anderer Autoren thematisiert.

Mit der Wunschvorstellung der Emigration japanischer Bauern in die Gebiete nanyôs verband Shiga den Auftrag, jenen in der südlichen See Lebenden die

Zivilisation zu bringen. Dazu müsse zu allererst eine staatsähnliche Verwaltung [{国

家に似ている} kokka ni nite iru] nach dem Muster der meiji-Reformen errichtet werden. Anlaß für Shigas Überlegungen über eine Zivilisierung nanyôs gab seine

Überzeugung, dass nanyô unzivilisiert [{未開の} mikai no] sei bzw. die Länder keine zivilisierten Länder [{ 文明国無い} bunmei no kuni nai] seien. Anders als in den Asiendiskursen, in denen Zivilisation und Reformbedürftigkeit in einem funktionalen Zusammenhang zur Gefahrenabwehr imperialistischen Strebens der Westmächte stand, bewegt sich Shigas Zivilisationsbegriff vornehmlich zwischen kulturellen, nationalistischen und proto-rassistischen Referenzpunkten. Die Differenz zwischen der ‚Unzivilisiertheit’ der Länder in nanyô und Japan macht Shiga nicht anhand einer als rückständig und minderwertig bezeichneten Kultur (wie etwa der des Konfuzianismus) aus, sondern anhand der Verwendung eines kulturhierarchischen Konzeptes von menschlichen Rassen [{人種} jinshu].

107 Zunächst ist festzuhalten, dass das von Shiga verwandte Rassenkonzept aus westlichen Schriften entlehnt ist, jedoch ähnlich wie die in Europa angewandte Systematik des Rassebegriffs vieldeutig und interpretationsoffen bleibt. Klarer scheint die Verwendungsabsicht der rassenbezogenen Schilderungen von Shiga, welche ebenfalls einer ‚europäischen’ Verwendungsabsicht nahe steht und die Funktion einer asymmetrische Differenzierung von Gruppen hat.

In Europa wurde der Begriff der Rasse zur Beschreibung und Klassifizierung soziokultureller Einheiten verwandt und diente in erster Linie der Inklusion oder Exklusion von Groß- und Kleingruppen. So wie im europäischen 19. Jahrhundert biologistische Deutungen für Entwicklungsunterschiede von Völkern verbreitet waren und Eingang in Legitimationsstrategien für kolonialpolitisches Handeln fanden, so verwandte auch Shiga rassenbeozegene Argumentationen zur Klassifizierung der Völker nanyôs als nicht zum (japanischen) Zivilisationskreis gehörig.172 Obwohl sich kein konkreter Hinweis findet, scheint Shiga seine Vorstellungen von ‚Rasse’ an den Ausführungen des Schweizer Staatsrechtlers Johann Caspar Bluntschli (1808-1881) zu orientieren. Bluntschlis Abhandlung Rasse und Individuum aus dem Jahre 1864 ist in Japan unter der Bildungselite weit rezipiert worden (Shingo: Erfindung Japans; 180ff). Der Staatsrechtler Katô Hiroyuki

172 Der Rassebegriff wurde im Laufe des 17. und 18. Jahrhundert sowohl in biologischer Klassifikationsabsicht als auch zur hierarchisierenden Klassifizierung soziokultureller Einheiten von Kulturen verwandt. Letzterer Verwendungszusammenhang war Teil eines europäischesn (Welt-) Fortschrittsdenken, in welches durch Reiseberichte bekannt gewordenen Beschreibungen anders aussehender Menschen und fremde Kulturen eingepaßt wurden. Bereits Aufklärer wie Giambattista Vico (1668-1744) oder Jacques Turgot (1727-1781) ordneten den Kulturen anderer Länder einen Platz in der ‚Entwicklung’ (dem Ausrollen eines göttlichen Plans) zu, indem sie die europäische Kultur als die am fortgeschrittenste darstellten, als Zivilisation. Alle anderen ‚Rassen’, je nach attestiertem Entwicklungsstadium, ordeneten sie hierarchisch unter. So wurde den ‚Rassen’ bestimmte Entwicklungsstufen zugeordnet; was in jenem Jahrhundert der Aufklärung noch mit dem festen Fortschrittsglauben an das volle Entwicklungspotenzial aller Kulturen verbunden war. Als vermeintlich naturwissenschaftliches Stufenmodell essentialisierte der Fortschrittsglaube später die ‚Zivilisation’ zu einer objektivierbaren Größe und machte sie somit zu einer naturwissenschaftlichen Kategorie. Im 19. Jahrhundert verdichtete Joseph Arthur Graf de Gobineau (1816-1882) das enge semantische Zusammenspiel zwischen zivilisatorisch-kultureller und naturwissenschaftlich beschreibender Semantik des Rassebegriffs. In seinem Essai sur l’inégalité des races humaines aus dem Jahre 1853 nahm er eine Zuordnung distinkter phänotypischer Merkmale vor, die gleichermaßen mit Zuordnungen geistiger und moralischer Eigenschaften verbunden waren; die ‚untersten Rassen’, die schwarzen und die roten, wurden als degeneriert und minderwertig bezeichnet, siehe Christian Geulen: Wahlverwandte, Rassendiskurs und Nationalismus im späten 19. Jahrhundert, Hamburg, Hamburger Edition, 2004; 47- 51.

108 übersetzte Teile von Bluntschlis Allgmeines Staatsrecht in dem Journal der meirokusha-Gruppe (s.o.) (meiroku zasshi, 6; 47-9). In dieser Schrift stellt Bluntschli einen Zusammenhang zwischen verschiedenen ‚Rassen’ und deren Fähigkeit zur Staatsbildung her, ähnlich wie es im Schema des schwedischen Naturwissenschaftlers Carl von Linné (1707-1778) im 18. Jahrhundert angelegt war. Linné hatte zur Kategorisierung einer biologischen Systematik im Jahre 1766 in seiner Schrift Systema naturae die Menschheit in vier Rassen eingeteilt, die sich sowohl charakterlich als auch physisch-farblich unterschieden. Es war jedoch in erster Linie die Fähigkeit zur Gemeinschaftswesen- und Staatsbildung, die als differenzierendes Kriterium diente. Nach Linné (und Bluntschli) war der europaeus vom Gesetz regiert, weiß und muskulös, der americanus war von Gebräuchen regiert, rot, cholerisch und aufrecht, der asiaticus war von Ansichten regiert, blassgelb, melancholisch und steif und der africanus war von der Willkür regiert, schwarz, phlegmatisch und schlaff.173 Diesem Schema folgend, verwandte auch Shiga die Fähigkeit zur Staats- und Gemeinschaftsbildung als Maßstab des Vergleiches zwischen Japanern und den nanyô-Völkern. Japan (sowie das durch Engländer besiedelte Australien und Neuseeland) stand deutlich ‚über’ den Völkern nanyôs, denn seit der meiji-

Restauration verfügte Japan mittlerweile über staatliche Institutionen [{国立施設}

kokuritsu shisetsu], über eine Gesetzgebung nach westlichen Standards [{西洋の規範立

法} seiyô no kihan rippô], war im Begriff, eine Verfassung zu erhalten [{明治憲法を与え

られる} meiji kenpô o ataerareru] und hatte somit erfolgreich einen Staatskörper [{国

体} kokutai] aufgebaut. Maß man nun die Völker nanyôs an diesen Kriterien, so war ihnen ein unterentwickeltes Stadium zu attestieren. Die meisten Völker befanden

sich entweder unter westlicher Aggression [{西洋の侵略} seiyô no shinryaku] oder

hatten bisher keine Anstrengungen zum Aufbau eines Staatswesens [{国体の建設} kokutai no kensetsu] unternommen (Shiga: Nanyô jiji; 65, 79). Auf der Grundlage eines rassenhierarchischen Denkens wies Shiga den

unterentwickelten Völkern den Status der schwarzen Rasse [{黒人種} kokujinshû] zu,

den er auch mit 土民 [domin] umschrieb. domin waren die Wilden, Erdbewohner oder

Barbaren, und wurden von Shiga auch als 蕃人 [banjin], 蕃族 [banzoku] oder 生蕃

173 Siehe Uwe Hoßfeld: Biologische Anthropologie zwischen Politik, Ideologie und Wissenschaft, 1861-1945 (Jena, Univ. Habil.-Schr., 2003; 59).

109 [seiban, wörtlich: rohe, ungekochte Menschen/Völker] bezeichnete. Sie hatten nicht einmal den Status einer ethnischen auf gemeinsamer Sprache, Religion, Geschichte

etc. basierenden Gemeinschaft [{民族} minzoku] erreicht. Gruppen, die bereits eine

ethnische Gemeinschaft, aber keinen Staat [{国家} kokka, {国体} kokutai] gebildet

hatten, wurden zumeist als kupferne, rote Rasse [{銅人種} dôjinshu] bezeichnet, mit

dem Begriff minzoku oder der traditionellen Bezeichnung 熟蕃 [jukuban, wörtlich: reife, gekochte Menschen/Völker] (Shiga: Nanyô jiji; 73, 80-84).174 Shiga verwandte in nanyô jiji rassebezogene Kategoriesierungen gleichberechtigt mit eigenen, bekannten Begriffen zur Beschreibung kultureller Hierarchien. Bemerkenswert erscheint hier, dass durch Verwendung einer westlichen Kategorie und Argumentationsstrategie, nämlich der Fähigkeit zur Staatsbildung, die Japaner als ‚hoch’ eingestuft werden konnten. Diese Ausdifferenzierung in der Beschreibung verschiedener Zivilisationsgrade der besuchten Völker behält Shiga allerdings nicht durchgängig bei. Auf seiner Reise

findet er vor allem verschiedene Erscheinungsformen unterlegener [{劣る} otoru]

Kulturen, die er mit der japanischen überlegenen [{ 優勢} yûsei] vergleicht: die

Apathie der Bevölkerung auf den Fidschi-Inseln [{無関心} mukanshin] (ibid; 72), das

fehlende Nationalbewusstsein der Menschen [{ かけている国民的自尊心} kakete iru

kokuminteki jisonshin] und einen selbstherrlichen König auf Samoa [{無惚れる王} mu boreru ô] (ibid; 82-3), eine käufliche Aristokratie auf Hawaii (ibid; 90) und

Anzeichen ganz allgemein unzivilisierte Kulturen [{未開文化の国民} mikai bunka no kokumin] (ibid; 30). So werden die Menschen mit niederem Entwicklungsniveau beschrieben, die eher wie Tiere und nicht wie zivilisierte Menschen lebten. Außerdem hätten viele von ihnen keine festen Häuser, nur wenig Gerät zum Leben und ihre landwirtschaftlichen Kenntnisse seien gering (ibid; 7). Wichtigstes

Merkmal ihres ‚Barbarentums’ stellte das Leben in Dorfgemeinschaften dar [{田舎の

共同生活} inaka no kyôdô seikatsu] dar, diese würden als kleinräumig und unübersichtlich dargestellt. Als Zeichen der Unterentwicklung wurde auch die

174 Das Wort minzoku wird im japanischen Expansionsdiskurs vor allem in den 1920er Jahren verwandt, doch ist der Terminus bereits Ende des 19. Jahrhunderts nachgewiesen, siehe Yasuda Hiroshi: Kindai nihon ni okeru minzoku kannen no keisei [Die Formung der Volksidee im modernen Japan], (Shisô to gendai, 31, Shiraishi shoten, Tokyo, 1992; 61-72) sowie Kevin M. Doak: Narrating China, Ordering East Asia: The Discourse on Nation and Ethnicity in Imperial Japan (in: Kai-wing Chow, Kevin M. Doak und Poshek Fu (Hrsg.): Construction Nationhood in Modern East Asia, University of Michigan Press, Ann Arbor, 2001; 85-113).

110 einfache [{簡単} kantan] Sprache, Gewohnheiten und Gebräuche bezeichnet sowie die ethnische Vielfalt der Einwohner. Speziell die Einwohner der Marianen wurden

von Shiga als faul [{怠惰} taida] und unzuverlässig [{信用できない人} shinyô dekinai

hito] beschrieben. Auch fehle es ihnen an moralischer Reife und Wahrheitsliebe [{誠

実 } sejitsu] (ibid; 45). Das Argumentationsmuster der Selbstbestätigung und Aufwertung der eigenen Zivilisiertheit durch Herabsetzung des Anderen/anderer Kulturen unter Zugrundlegung westlicher Parameter ist bereits aus den Asiendiskursen bekannt.

Ein erster zusammenfassender Eindruck über das nanyô jiji von Shiga Shigetaka macht deutlich, dass die nanyô-Beschreibung Teil des nationalen Identitätsdiskurses war. Diese hier bei Shiga entwickelte Rhetorik der nanyô-Literatur wird bei weiteren Autoren wiederzufinden sein. Der Bestsellerautor Suehiro Tetchô offenbart sogar in seiner Einleitung des Ende der 1880er Jahre erschienenen Romanes Die

hohen Wellen der südlichen See [{ 南洋の大波乱} nanyô no daiharan] seine „Schmerzen“ aus Angst um das weitere Schicksal Japan. Dort heißt es: „Ich

beabsichtige nicht, die Geographie [{地理学} chirigaku] oder Bräuche [{習慣} shûkan]

der südlichen See [{南洋} nanyô] darzustellen. Eher habe ich über etwas geschrieben, das die Schmerzen in meiner Brust lindern soll....“175. Was Suehiro hier durch die Unterscheidung zwischen einer geographisch-landeskundlichen Beschreibung und seinem persönlichen Schreibanliegen offenbart, nämlich dass nanyô ein Sinnbild für seine persönliche politisch-nationale Befindlichkeit ist, dies ist charakteristisch für den Großteil der nanyô-Literatur vieler Autoren. Im Folgenden sollen nun drei verschiedene Deutungszusammenhänge von nanyô vorgestellt werden: Emigration, Handel und Zivilisationsutopien in literatisch- belletristischen Verarbeitungen. ii. nanyô als Auswanderungsland japanischer Bauern

Shigas vehemmtes Werben für eine japanische Emigration kam nicht von ungefähr. Japan hatte seit der Mitte des 19. Jh. einen kontinuierlichen Geburtenanstieg zu

175 Siehe Suehiro Tetchô: Nanyô no daiharan [Die hohen Wellen der südlichen See], Sumyodo, Tokyo, 1891; 2. Nanyô no daiharan wird später im vorliegenden Text nochmals aufgegriffen werden, s. II 2 C iv.

111 verzeichnen. Die Bevölkerungszahl stieg von ca. 35 Millionen im Jahre 1873 auf ca. 46 Millionen im Jahre 1900. Ende des 19. Jahrhunderts musste Japan bereits Reis importieren, damit die Bevölkerung ausreichend versorgt werden konnte.176 Der Geburtenanstieg betraf vor allem die ländliche Bevölkerung, deren finanzielle Lage sich durch die Folgen der Deflationspolitik von Finanzminister Matsukata Masayoshi in den 1880er Jahren ohnehin verschlechtert hatte. Zurückgehende Kaufnachfrage und sinkende Preise bedrohten oder zerstörten gar die Existenzgrundlage vieler Kleinbauern im Süden Japans. Die Emigration von

japanischen Bauern erschien zumindest für Außenminister Inoue Kaoru 井上馨 (1836- 1915) im Jahre 1885 eine Lösung der sich zuspitzenden Ernährungs- und Existenzprobleme darzustellen. Dies zeigte sich an seinen intensiven Bestrebungen, die Emigration japanischer Bauern nach Hawaii auf eine vertragsrechtliche Basis zu stellen.177 Begonnen hatte die Auswanderung japanischer Arbeiter bereits direkt nach der meiji-Restauration. Ausgelöst durch den hohen Arbeitskräftebedarf auf Hawaii, verließen nach 1868 die ersten 150 Kontraktarbeiter Japan, um auf Zuckerrohrplantagen zu arbeiten (Conroy: Hawaii; 15-31). 178 Die japanische Regierung konnte im Jahre 1871 vertraglich sicherstellen, dass die emigrierenden Japaner auf Hawaii unter verträglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen wohnen und arbeiten konnten. In den 1880er Jahren verschärfte sich dann erneut der Arbeitskräftebedarf auf Hawaii durch den steigenden weltweiten Konsum von Zucker, aber auch weil die Unzufriedenheit mit den ebenfalls emigrierten chinesischen Kontraktarbeitern stieg. Der akute Arbeitskräftebedarf auf Hawaii in den 1880er Jahren stellte somit neben den Auswirkungen der Deflationspolitik Matsukatas einen wichtigen pull-Faktor der japanischen Emigrationsbewegung dar. Im Jahre 1885 kam es anschließend zu einer japanisch-hawaiianisch- amerikanischen 179 Übereinkunft in Folge derer eine Art Emigrationssystem entstand. Die japanischen Arbeiter sollten nicht wie chinesische ‚coolies’ ohne den

176 Siehe H. S. Borton: Japan’s Modern Century, New York (The Ronald Press, 1955; 152) sowie Beasley: Rise; 121. 177 Siehe Irie Toraji: Hôjin kaigai hattenshi [Geschichte der Entwicklung der japanischen Landsleute, die im Ausland leben] (Idashoten, Tokyo, 1942; 100-107). 178 Die hawaiianische Bevölkerung war in Folge von durch die Ankunft der Westmächte ins Land gebrachten Krankheiten stark dezimiert worden. 179 Die faktische politische Führung des seit 1810 vereinigten Königreiches Hawaii lag bei amerikanischen Zuckerrohrfarmern.

112 Schutz einer Regierung im Ausland arbeiten. Es war aus diesem Grunde vorgesehen, dass Aufseher, Ärzte und Übersetzer von der hawaiianischen Seite bezahlt wurden und die Arbeiter eine gute, mit japanischen Behörden vereinbarte Bezahlung erhielten. Insgesamt kamen unter diesem Emigrationssystem, in dem auch Transport und die Unterbringung geregelt wurden, ca. 30.000 Japaner zwischen 1885 und 1894 nach Hawaii (Conroy: Hawaii; 65, 74ff). Genau in die Anfangszeit dieser Emigrationswelle fällt die Veröffentlichung des nanyô jiji von Shiga Shigetaka im Jahre 1886.

Der Inoue Kaoru folgende Außenminister Enomoto Takeaki 榎本武揚 (1836-1908) war ebenfalls ein einflussreicher Vertreter einer Emigrationsförderung japanischer Bauern. Dabei spielte seine lebenslange Verbundenheit mit der Marine eine wichtige Rolle. Noch unter der bakufu-Regierung (zwischen 1853 und 1868) erwarb Enomoto in Edo (heutiges Tokyo) und Nagasaki Kenntnisse im Schiffsbau und der Schifffahrt. Anfang der 1860er Jahre begleitete er den Bau eines von den Japanern in Holland in Auftrag gegebenen Kriegsschiffes und studierte dort Schiffbau, Chemie und Internationales Seerecht. Nachdem der Bau des Schiffs in Holland beendet war, lenkte er das neue Kriegsschiff nach Japan zurück, wo er im Jahre 1867 ankam. Trotzdem er während der meiji-Restauration im Jahre 1868 jede Zusammenarbeit mit den meiji-Restaurationskräften ablehnte und dem alten Tokugawa-shogunat die Treue hielt, bekleidete er später nach 1868 verschiedene Kabinettsposten, auch den des Leiters der Marineabteilung im Kriegsministerium. In den 1870er Jahren war er an der Kolonisation Hokkaidôs beteiligt, bevor er Anfang der 1880er Jahre sich wieder der Marine zuwenden konnte.180 Enomotos Interesse an den südlich von Japan gelegenen Gebieten trat bereits im Jahre 1877 zu Tage, als er sich für den Kauf der Marianen aussprach, um dort eine Strafkolonie für japanische Gefangene einzurichten, später sollten dann japanische Bauern und Verwaltungsangestellte folgen. Danach sollte auf Papua eine ähnliche Besiedlung erfolgen (Kamo: Enomoto; 170-175).181 Während seiner Amtszeit als Außenminister vom 1891-1892 schlug Enomoto eine groß angelegte Emigration japanischer Bauern nach nanyô zur Besserung der

180 Siehe Kamo Giichi: Enomoto Takeaki, meiji nihon no kakuretraru soseki [Enomoto Takeaki, meiji-Japans verborgener Eckstein], Tokyo, 1974 sowie Wagner: Außenpolitik; 228. 181 Eine Analogie zur Idee der Besiedlung Australiens mit englischen Strafgefangenen fällt sofort auf.

113 Situation der ländlichen Bevölkerung in Japan vor. 182 Im Gegensatz zu seinem Vorgänger und dessen Emigrationspolitik sah er jedoch ein weitaus großräumigeres Gebiet für die Umsiedlung japanischer Bauern vor, welches er mit nanyô bezeichnete. Hawaii blieb zwar nach wie vor die Insel mit der größten japanischen Emigrantenanzahl, doch rückten z. B. die Philippinen in Enomotos Plänen als Emigrationsort nach (Kamo: Enomoto; 177ff). Im Jahre 1886 gründete Enomoto zusammen mit dem im Außenministerium

arbeitenden Yokô Tosaku 横内 die Gesellschaft der südlichen See [{南洋協会} nanyô kyôkai], deren Zweck in der Übersetzung und Verbreitung westlicher Texte über nanyô bestand. Durch die Gesellschaft sollten Gelder für eine sukzessive Besiedlung nanyôs mit Japanern bereitgestellt werden. Zuerst sollten Mindanao und Sulu, anschließend die Marianen und Marshall-Inseln und letztlich die südlich der Ogasawara-Inseln gelegenen Gebiete von Japanern besiedelt werden. Es war vorgesehen, in einem ersten Schritt Verhandlungen mit den Filipinos aufzunehmen und anschließend japanische Siedler (damit waren vor allem verarmte Bauern gemeint) nachkommen zu lassen. Nach englischem Vorbild sollten sich die

Kolonien [{植民} shokumin] selbst versorgen können und mehr oder weniger autark wirtschaften. Wenn der Aufbau einer japanischen Verwaltung erfolgt sei, dann konnten weitere, neue Gebiete besiedelt werden. Zunächst einmal galt es jedoch, Verhandlungen mit den Filipinos über den Kauf von Land aufzunehmen, um dort japanische Siedlungen errichten zu können (Irie: Nanshin; 73).183 Dass sich der geographische Fokus japanischer Außen- und Emigrationspolitiker über Hawaii auf andere Gebiete hinaus ausdehnte, war zum einen dem zunehmenden Wissen über die südlich von Japan gelegenen Gebiete geschuldet.

182 Siehe den Beitrag Enomotos in Journal der Gesellschaft für Geographie [{地学協会報告} chigaku kyôkai hôkoku], XVII, 1; 121. Das Chigaku kyôkai hôkoku war die Vereinszeitschrift der im Jahre 1879 gegründeten Gesellschaft für Geographie [{地学協会} chigaku kyôkai]. Die Vereinigung beschäftigte sich auch mit dem nanyô-Gebiet, doch war die Satzung der Gesellschaft dem Studium der Geographie und Erkundung von wirtschaftlichem und militärischem Potential für eine japanische Expansion in ganz Übersee gewidmet. Vorsitzender der Gesellschaft war Prinz Yoshihisa Shinnô, der später zu einem führenden Militär auf Taiwan wurde, sowie Außenminister Inoue Kaoru und Premierminister Ôkuma Shigenobu. Weitere Mitglieder waren u.a. Fukuzawa Yukichi, s.o., der spätere Premierminster Katsura Tarô sowie der Philippinen-Experte Suganuma Teifû, siehe II 2 C iv., und der Offizier Fukushima Yasumasa, s. III 2 F iii., siehe Enomoto Takeaki: Nanyô [Südliche See] (in: Nihon kagaku gijutsu shi, Asahishinbunsha, Tokyo, 1962; 121, 126-8). 183 Überliefertes Schriftwerk der Gesellschaft scheint nicht mehr vorhanden zu sein, Irie: Nanshin; 73.

114 Begleitet wurde diese Weitung des Blickes jedoch auch von spanischer Seite, die mit Vorschlägen der Migration von japanischen Arbeitern in ganz konkreter Weise an die japanische Führung herantrat. So schlug im November 1888 der spanische Außenminister dem damaligen japanischen Außenminister Ôkuma Shigenobu ein mögliches Emigrationsprojekt für japanische Arbeiter vor. 184 Auch der philippinische Rechtsanwalt und Kolonialkritiker Doroteo Cortes, der im Jahr 1895 mit seiner 24-köpfigen Familie aufgrund drohender Verhaftung in Manila nach Japan emigriert war, hatte einen Vorschlag ausgearbeitet, der die Immigration japanischer Arbeiter auf die Philippinien vorsah. Allerdings stand sein Vorschlag unter dem Vorzeichen politischer Ziele, denn eine solche Immigration japanischer Bauern sollte erst erfolgen, wenn die Filipinos die Unabhängigkeit von Spanien erreicht hätten.185 Enomoto blieb über seine Amtszeit als Außenminister hinaus ein aktiver Verfechter

einer südlichen Ausdehnung [{南洋論者} nanyôronsha]. Im Jahre 1893 gündete er den

Kolonialverein [{ 植民協会} shokumin kyôkai]. Geographisch definierte man im Kolonialverein die Region nanyô in den Grenzen Lateinamerikas, Taiwan, der Philippinen, Britisch-Malaya und Niederländisch-Ostindiens.186 Zu den Mitgliedern der Vereinigung zählten u. a. Konoe Atsumaro (siehe II 1 D iv. passim), Shiga Shigetaka (siehe II 2 C i.), Taguchi Ukichi (siehe II 2 C iii.) und Sugiura Jûgo (siehe II 2 C iv.). Das Hauptziel dieser Vereinigung lag in der Förderung der japanischen

184 Der Brief ist abgedruckt in Saniel: Japan; Appendix V; 331, siehe auch Un proyecto de immigración en 1888, Repertorio histórico, biográfico, bibliografico (Manila, Impr. Del Filipino, 1890, II, 13, zitiert in Saniel: Japan; 145, FN 1). 185 Doch überstieg die Zahl der auf den Philippinen lebenden Japaner zu dieser Zeit kaum die 30, allerdings stieg die Anzahl der Immigranten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf ca. 3000 an. Die meisten der Japaner lebten auf Mindanao in der Nähe von Davao und waren im Hanfanbau oder im Eisenbahnbau tätig, siehe Saniel: Japan sowie Yoshikawa Yôko: Bei-ryô ka Manira no shoki no Nihon shôgyô, 1898-1920: Tagawa Moritarô no nampô kan’ yô [Die Entwicklung des japanischen Wirtschaftssektors in Manila, 1898-1920: Der Fall Tagawa Moritarô] (in: Tônan ajia kenkyû, 18, 3, 1980; 411). Vergl. auch Grant K. Goodman: Davao: A Case Study in Japanese-Philippine Relations, The University of Kansas, 1967, und die Rezension von Josefa Saniel, darauf hinweisend, dass das Buch von Goodman die illegalen Landnahmepraxis der Japaner nicht genügend berücksichtige. Siehe auch Francis St. Clair: The Katipunan or the Rise and Fall of the Filipino Commune, Taken from Spanish State Documents (Manila, Filipiniana Reprint Series, 1902, hrsg. von Renato Constantino, Solar Books Manila, Bd. 23, 1986; 81). 186 Die Ziele der Shokumin kyôkai sind festgehalten unter Shokumin kyôkai setsuretsu shuisho [Die Ziele des Kolonialvereins], in: Shokumin kyôkai hôkoku, 1, 1983, 105-107.

115 187 Auswanderung [{移住の自由} ijyu no jiyû] , um die sozialen und wirtschaftlichen

Probleme der Bevölkerung zu lindern [{南洋関与について日本国内の社会的・経済的問題の解決} nanyô kanyo nitsuite nihon kokunai no shakai teki keizai teki mondai no keiketsu] 188 und die Marine zu stärken [{海軍強化} kaigun kyôka] (Irie: Nanshin; 113). iii. nanyô als Raum japanischer Wirtschaftsinteressen

Der landwirtschaftlichen Erschließung und dem Export von Agrarprodukten aus den südlich von Japan gelegenen Gebieten hatte sich die Gesellschaft für

Wirtschaftsstudien [{経済学協会} keizai gaku kyôkai] in ihrem Gründungsjahr 1889 verschrieben. Ihre Mitglieder stammten überwiegend aus den Kreisen der

wirtschaftsnahen Reform-Partei [{改進党} kaishintô] (Yano: Nanyô shikan; 15-21). Im Gründungsmanifest der Gesellschaft hieß es, dass die südliche See von

besonderer Wichtigkeit sei [{特別な重要性のある南洋地域の潜在の表現} tokubetsu na jûyûsei no aru nanyô chi iki no senzai hyôgen] (Yano: Nanshin; 53). Die Wichtigkeit der Gebiete wurde mit der üppigen Vegetation und dem Reichtum an Agrarprodukten [{

資源と農作物} shigen to nôsaku butsu] beschrieben. Den Philippinen wurde dabei die größte Aufmerksamkeit zu Teil. Im Besonderen Hanfanbau, Baumwolle, Tabak und Zucker wurden erwähnt. Die japanischen Kommentatoren erkannten große Potentiale in einem Ausbau des Zuckeranbaus und dem Anbau von Tabak, den sie japanischen Unternehmern empfohlen.189

187 Mit dem Schriftzeichen 移 [i] wurden die Menschen bezeichnet, die Japan verließen, um anderswo zu arbeiten. Eine wörtliche Übersetzung von ijyû no jiyû wäre etwa Auswanderungsfreiheit/Ungebundenheit. 188 nanyô war nicht der einzig denkbare Emigrationsort für Japaner. Honda Toshiaki (1743- 1820) z. B., ein in den westlichen Naturwissenschaften ausgebildeter samurai, sah in der Besiedlung der nordöstlichen Gebiete Russlands durch japanische Bauern einen Ausweg aus der sozialen und wirtschaftlichen Krise. Er vertrat in seinen Schriften somit einen ‚sozialimperialistischen’ Ansatz und erhoffte sich durch die Ausweitung des japanischen Territioriums neue Siedlungsräume für wirtschaftlich verarmte Bauern. Eine solche Auswanderbewegung solle von den samurai angeführt werden. Auf diese Weise würde die aufgrund der Landesbefriedung während des 17. und 18. Jahrhunderts gesellschaftlich immer funktionsloser gewordene Kriegerelite eine neue Aufgabe erhalten und der Verarmung der Landbevölkerung entgegen gewirkt. Honda war gleichzeitig überzeugt, ‚Japan zum ersten und besten aller Länder unter dem Himmel’ zu machen, siehe Wagner: Außenpolitik; 44-52 sowie zu den Aussagen Hara Fuki: Wasurerareta nanyôimin [Vergessene nanyô-Emigranten], Ajia kenkyûsho, Tokyo, 1988; 45-7, in Quellenverzeichnis Japan. 189 Siehe Sano Tsuneki: Firipin guntô hôkoku [Bericht über die Philippinen] (in: Shokumin kyôkai hôkoku, 1893, 2, 3-24) sowie ders.: Firipin guntô shisatsu hôkoku [Bericht über die

116 Taguchi Ukichi 田口卯吉 (1855-1905) dürfte das in publizistischer Hinsicht aktivste Mitglied der Gesellschaft für Wirtschaftsstudien gewesen sein. Taguchi war kaishintô-Politiker, ‚Beamter’ im Finanzministerium, Geschäftsmann sowie

Gründungsmitglied der Südöstliche Handelsgesellschaft [{南東商会} Nantô shôkai], einer kurzlebigen Handelsfirma, Mitglied der Östlichen Gesellschaft [tôhô kyôkai] (siehe II 1 D iv.) sowie des Kolonialverein [shokumin kyôkai] von Enomoto Takeaki (siehe II 2 C ii.). Er war bereits im Jahre 1887 zu einer Erkundungsreise auf die Ogasawara-Inseln aufgebrochen. Drei Jahre später bereiste er erneut den Pazifik (Yano: Nanyô shikan; 31-34, 67). Als Verfechter eines liberalen Freihandelssystems, versuchte er in der Zeitschrift der Gesellschaft, der Zeitung der

Gesellschaft für Wirtschaftsstudien [{経済学協会雑誌} Keizai gaku kyôkai zasshi] seine Leser davon zu überzeugen, dass, mit dem starken und mächtigen Großbritannien

als Vorbild des Freihandels [{ 強力な英国手本自由貿易} kyôryoku na eikoku tehon jiyûbôeki], Japan große Vorteile durch einen regen Austausch von Agrarprodukten aus nanyô gegen Fertigprodukte aus Japan habe. Die agrarwissenschaftlichen Kenntnisse der japanischen Bauern (die zu diesem Zweck allerdings auswandern müssten) würden nanyô bald zu fruchtbaren Anbaugebieten werden lassen. Die Produkte der Arbeit könnten dann nach Japan exportiert werden. Taguchi äußerte auch die Idee, dass viele der Inseln in nanyô von den Japanern in Besitz genommen werden könnten, um dort Baumwollplantagen zu betreiben und den Handel zu

fördern [{貿易振興} bôeki shinkô]. Seiner Einschätzung nach würde sich ohnehin kein Krieg mit den Westmächten um die Nutzung der vielen kleinen Inseln entzünden. Er

nannte dieses Vorhaben einen friedvollen Wirtschaftsexpansionismus [{日本の平和的海

外雄飛商業拡張} nihon no heiwateki kaigai yûhi shôgyôkakuchô]. Letzlich strebte Taguchi mit seiner Forderung nach einem agrarwirtschaftlichen Entwicklungsplan für die bisher landwirtschaftlich nicht genutzten Inseln und hoffte auf eine Stärkung der japanischen Firmen und der heimischen Wirtschaft und Industrie – diese Stärkung wiederum käme dem japanischen Militär zu Gute, ganz nach dem Motto

Erkundung der Philippinen], in: Shokumin kyôkai hôkoku, 1, 1893, 62-71, Takatsu Gorô: Firipin guntô kikô [Reisebericht von den Philippinen] (in: Chigaku kyôkai hôkoku, November 1889, 8, Nr.9, 3-21, sowie Fukumoto: Kôrai roku.

117 der frühen und mittleren meiji-Zeit Starke Wirtschaft, starkes Land, starke Armee [{ 190 富国強兵} fukoku kyôhei]. Die Sichtweise von nanyô als einem Garten, den japanische Siedler nur bestellen müssten um später reichlich zu ernten, erinnert an wirtschaftsexpansionistisches Denken europäischer Kolonialisten, die in Übersee bessere Anbau- und Agrarnutzungsmöglichkeiten erhofften. Anscheinend hatten die japanischen Autoren der Zeitung der Gesellschaft für Wirtschaftsstudien gegen diesen grundsätzlichen Gedanken eines Wirtschafts- und Handelsexpansionismus nichts einzuwenden. Vielmehr adaptierten sie diese Vorstellung für ihre eigenen Interessen und beanspruchten nanyô als japanischen ‚Nutzgarten’. Sie entwickelten das Argument weiter und erachteten die Präsenz der Westmächte in nanyô als wenig störend. Die Menschen aus dem Westen würden ohnehin nicht wissen, wie man mit dem Klima zurechtkomme und die Vegetation nutzbar machen könne. Unter ihrer Herrschaft würden die Inselbewohner keine korrekte Anleitung zum Anbau von agrarwirtschaftlichen Produkten erhalten (Takatsu Gorô: Firipin guntô kikô, Sano Tsuneki: Firipin guntô hôkoku).

Auch Fukumoto Nichinan 福本日南 (1857-1921), Schriftsteller und Philippinen- Reisender, wies den westlichen Mächten die Schuld für die Unterentwicklung

nanyôs zu. Er bemängelte, dass die spanische Herrschaft [{支配権} shihaiken] eine

schlechte Herrschaft [{下手な耕作} heta na] sei und die Unzufriedenheit [{不満} fu man] der Filipinos hervorbringen würde (Fukumoto: Nanyô supein no bôei teiyô, ders.: Nihon to nanyô).191 Aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte könnten die Möglichkeiten der Kultivierung des Landes nicht genutzt werden. Die zahlenmäßig zu geringe Arbeitskraft der philippinischen Bevölkerung und die fehlenden Erfahrungen im landwirtschaftlichen Anbau veranlassten die japanischen Autoren zu der Schlussfolgerung, dass die Philippinien der japanische ‚Entwicklungshilfe’ bedürfen.192 Zwei weitere Autoren der Zeitung der Gesellschaft für Wirtschaftsstudien, Tengai Kishi und der bereits erwähnte Sano Tsuneki, betonten darüber hinaus die

190 Siehe Taguchi: Nanyô keiryaku ron [Abhandlung über die Verwaltung nanyôs] (1890, in: Yano Tôru: Nanyô shikan; 30-34). 191 Fukumoto Nichinan: Nihon to nanyô [Japan und die südliche See], in: Nihonjin, Nr. 45, 1893, 21-13. 192 Der Vorwurf einer schlechten agrarwirtschaftlichen Nutzung des Landes wurde der amerikanischen Kolonialmacht ebenfalls vom Agrarökonom Nitobe Inazô gemacht, s. IV B ii.

118 geographisch gute Lage Japans für den Ausbau von Handelsrouten zwischen Yokohama, Hongkong, Singapur, Formosa, Australien und Amerika. Sie forderten, dass japanische Schiffslinien in einem regelmäßigen Verkehr die genannten Häfen

ansteuern sollten. Bisher vollziehe sich der maritime Handel [{海洋貿易} kaiyô bôeki] ausschließlich auf westlichen Handelsschiffen und japanische Händler seien auf ausländische Schiffe angewiesen. 193 Die Schiffslinie der Mitsubishi-Reederei zwischen Shanghai und Hongkong wurde tatsächlich im März 1890 bis nach Manila verlängert (Saniel: Japan; 126). Doch auch die vielen Pläne zur wirtschaftlichen Erschließung nanyôs blieben unverwirklicht während der mittleren meiji-Zeit. Der eigentliche Beginn der wirtschaftlichen Expansion Japans in den Raum nanyô begann nicht vor 1910.194 iv. Zivilisierungsmission: nanyô als utopische Projektionsfläche in Romanen

Was Enomoto Takeaki als wichtige Folge der Emigration japanischer Bauern

bezeichnet hatte, die Verbreitung der japanischen Zivilisation [{ 日本文明} nihon bunmei] in nanyô, stellte den zentralen Fokus der japanischer Romanautoren dar.

Für sie stand die Aufgabe der Zivilisierung [{文明化した} bunmei shita] der Einwohner von nanyô an erster Stelle, ausgeführt von Japanern, die in einem durch den tennô verkörperten himmlischer Auftrag/himmlicher Missio [tenshoku] handelten.

Das Bestreben, Menschen aus anderen Kulturkreisen, die in der Regel als weniger entwickelt eingestuft wurden, ‚Zivilisation’ zu vermitteln, wird mit dem Begriff der Zivilisierungsmission bezeichnet. Jürgen Osterhammel, der über dieses Thema

193 Siehe Tengai Kishi: Nippon shojumin ron [Über die ansässigen Japaner] (in: Keizai gaku kyôkai zasshi, 08. November 1890, 652-655), Sano Tsuneki: Firipin guntô ni okeru shinajin oyobi nihonjin [Chinesen und Japaner auf den Philippinen] (in: Keizai gaku kyôkai zasshi, o. D., in: Kida: Nangokki; 204-5). 194 Erst in den Jahren 1909 bis 1919 verdreifachte sich das Handelsvolumen mit den Ländern des heutigen Südostasien. Die Anzahl der Händler, großer Handelsfirmen, Banken stieg während dieses Zeitraumes beträchtlich an. Die Reederei Nippon yusen fuhr ab dem Jahre 1910 regelmäßig nach Java, später kamen die Nanyô yusen und die Yamashita kisen mit Vertretungen in Singapur und weiteren Filialen hinzu. Mitsui und Mitsubishi eröffneten in Singapur und Surabaya die Yokohama Specie Bank, siehe H. Dick.: Japan’s Economic Expansion in the Netherlands Indies between the First and the Second World War (in: Journal of Southeast Asian Studies, 1989, 20, 2; 244-272), zur Entfaltung des Handels mit Südostasien siehe Shimizu Hiroshi: The Japanese Fisheries Based in Singapore, 1892-1945 (in: Journal of Southeast Asian Studies, 1997; 28, 2; 324-344).

119 schreibt, sieht in den Zivilisierungsmissionen ein Element kolonialer und imperialer Politik der Westmächte, die dem Rational der Überzeugung von der eigenen Überlegenheit und „der Selbstermächtigung zur Intervention in die Lebensumstände Anderer“ entspringt. 195 Als Beschreibungskategorie für die zivilisatorischen Absichten einiger Japaner lässt sich der Begriff trotz seines europäischen Kontextes gut verwenden. Gerade im japanischen Fall lässt er sich auch deshalb sinnvoll applizieren, da er, wie auch im europäischen Zusammenhang, als Element der Nachahmung kolonialer und imperialer Politik in Japan betrachtet werden kann. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, hatte sich unter einigen japanischen Publizisten der frühen und mittleren meiji-Zeit das Selbstverständnis der zivilisatorischen Überlegenheit der eigenen Kultur über jene der umliegenden Länder entwickelt. Dieses Bewußtsein wurde nicht zuletzt auf die eigene Fortschrittlichkeit seit der meiji-Restauration zurückgeführt, wie zum Beispiel aus

den Artikeln des Journalisten und Schriftsteller Suganuma Teifu 菅沼貞風 (1865-1889) hervorgeht. Suganuma war als Berichterstatter für die Zeitschrift Nippon tätig und stand dem Kreis der ultranationalistischen Gesellschaft für Politik und Erziehung (siehe II 2 C.) nahe. Er bereiste die Philippinen mehrere Male in den Jahren 1888 und 1889 (Kuzû: Tôa; 750-2). Im Anschluss an seine Reise vom April 1889 stellt Suganuma fest, dass die Emigration japanischer Bauern und die wirtschaftliche Nutzung der Philippinen dem höheren Zwecke der Zivilisierung der Filipinos dienen solle; dass die Entwicklung/Zivilisierung der südlichen See die Aufgabe der Japaner

sei [{日本の使命南洋啓発発展} nihon no shimei nanyô keihatsu hatten]. Suganuma berief sich in seinen Ausführungen auf die himmlische Herkunft aller Japaner und leitete daraus einen Führungsanspruch Japans über nanyô ab (Irie: Nanshin; 81).

195 Siehe Jürgen Osterhammel: „The Great Work of Uplifting Mankind“. Zivilisierungsmission und Moderne, in: Boris Barth und ders.: Zivilisierungsmissionen, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz, 2005; 363-425, hier S. 365. Der Plural von ‚Zivilisierungsmission’ deutet bereits auf die national gebundenen Ausprägungen eines Zivilisierungsverständnisses hin. Sog. ‚nicht- europäische Zivilisierungsmissionen’ behandelt Osterhammel schlaglichtartig, weist jedoch darauf hin, dass eine systematische Behandlung dieses Themas auch in nicht-europäischen Kontexten aussteht, Osterhammel: Zivilisierungsmissionen; 376ff. Obwohl Osterhammel Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene, u.a. staatliche Akteure von Zivilisierungsmissionen ausmacht, soll der Begriff hier personenspezifisch verwandt werden, da sich die handelnden Süd-Aktivisten aus privaten oder halbinoffiziellen Kreisen rekrutierten. Sebastian Conrads Beitrag in dem Sammelband behandelt das japanische Beispiel. Conrad hat, wie eingangs erwähnt, s. I A., die beidseitige Wirkung von Zivilisierungsmissionen, nämlich die auf die zu Zivilisierenden sowie die nach innen, auf die sendende Macht, die sog. Selbstzivilisierung behandelt, s. Conrad: Die Zivilisierung des „Selbst“.

120 Aber auch hier blieb das Argument nicht ohne Bezug zu den als Bedrohung wahrgenommenen und sich nach Osten ausdehnenden Westmächten [{ 西力東漸} seiryoku tôzen]. Es hieß bei Suganuma, dass entweder talentierte Japaner in die Länder in nanyô entsandt werden sollten und dort der unterdrückten Bevölkerung [{

抑圧国民} yokuatsu kokumin] beim Sturz der westlichen Imperialmächte behilflich sein oder die Japaner selbst die Herrschaft in den Nachbarländern übernehmen sollten. Die Gefahr einer möglichen Übernahme der Philippinen durch andere europäische Kolonialmächte beschrieb Suganuma weniger als Gefahr für die Philippinen als vielmehr gefährlich für Japan. Argumentativ raffiniert bemerkt er, dass die Spanier die Philippinen so früh kolonisiert hätten, damit weder die britische, die französische oder die deutsche Kolonialmacht sie hätten einnehmen können. Nun, da die Spanier ihre Platzhalterfunktion erfüllt hätten, könne Japan in das für sie von den Göttern bestimmte Land expandieren (ibid; 85). Ebenso kritisierte der Südexperte Takegoshi Yosaburô (siehe II 2 B.) die spanische

Kolonialpolitik, die ausschließlich auf die Ausbeutung [{ 搾取} sakushu] des philippinischen Archipels und auf den spanischen Vorteil ausgerichtet sei. Auch stellt er fest, dass die Westmächte den in nanyô lebenden Menschen fremd [{未知の

人} michi no hito] seien und einen schlechten Einfluß [{悪影響} aku eikyô] ausüben würden. Außerdem stellten sie mit ihren Schiffen und Waffen eine Bedrohung für die japanischen Inseln dar und behinderten die Ausübung japanischer Interessen in nanyô [{日本の関心を妨害する} nihon no kanshin o bougai suru]. Weiter heißt es dann, dass die Japaner die Fähigkeit zur Zivilisierung vom Himmel verliehen bekommen hätten und die natürliche Führungsmacht in nanyô [{南洋え自然の盟主} nanyô e shizen no meishu] seien. Diese spezifisch japanische Fähigkeit kontrastierte Takegoshi mit den fehlenden natürlichen Voraussetzungen [{ 自然の前提 } shizen no zentei] der Westmächte zur Herrschaft über die nanyô-Gebiete: die Länder nanyôs dürften nicht zum westlichen Machtkreis gehören [{南洋が西洋の勢力圏帰属あることに対して反対} nanyô ga seiyô no seiryokuken e kizoku suru koto ni taishite hantai] (Takegoshi: Nanyô: 26-8, 34-8, siehe auch Tôhô kyôkai hôkoku, 1894, 77-79). Zivilisierungsmission wurde hier zum Instrument einer anti-westlichen Selbstbehauptung.

Als für von großem Nutzen für die Zivilisierung der Filipinos bezeichnete der bereits erwähnte Suganuma kulturelle Gemeinsamkeiten zwischen den Filipinos und

121 den Japanern. Hier stellte er im Besonderen das Talent zum Handeln mit

Agrarexporten [{天分農作物の貿易} tenbun nôsaku butsu no bôeki] und die Tapferkeit

[{勇敢} yûkan] in den Vordergrund (Irie: Nanshin; 82-87, Yanô: Nanshin; 53). Der Verweis auf die kulturellen Gemeinsamkeiten deutet auf die Potenziale einer Assimilation zwischen Japanern und Filipinos hin, wobei die Japaner die führende Rolle spielen sollten, da sie direkt himmlischer Abstammung seien (Suganuma: Manira tsûshin, Irie: Nanshin; 82-88). Dass die Japaner ein Vorbild für die nanyô-Völker seien und diese im Kampf gegen die Westmächte anführen könnten, diese Auffassung vertrat auch der Jiji shimpo-

Journalist Sakamoto Shirô 坂元四郎 (1871-1931). Sakamoto Shirô war Reporter für

die Chûkai shôgyô [{ 注解商業} Handelskommentar], die Jiji shimpô [{ 時事進歩}

Fortschrittliche Angelegenheiten] und die Tôkyô shimpô [{東京新報} Tokyo Zeitung]. Im Jahre 1897 wurde er von dem Offizier der japanischen Kolonialverwaltung auf Taiwan, Kususe Kiyohiko, nach Manila gesandt, um die Revolutionsereignisse von 1896/7 auf den Philippinen zu beobachten.196 Sakamoto war einer der japanischen Verbindungsmänner, die mit philippinischen Freiheitskämpfern in Verbindung standen. Im Vorfelde der im Jahre 1896 ausbrechenden Revolution in Manila, die sich gegen die spanische Kolonialmacht richtete, hatten philippinische Revolutionäre um General Emilio Aguinaldo Kontakt mit japanischen Pan-Asiaten wie Suzuki Tsunenori (siehe II 2 B.) und Sakamoto (s.o.) aufgenommen. Ihre Verbindung richtete sich in erster Linie auf mögliche Waffenkäufe für die Revolution. Doch Sakamoto weiß auch über die philippinischen Revolutionäre zu berichten, dass diese die japanische Zivilisation bewunderten:

„Sie haben ihren Weg zu denken nach dem Vorbild [{日本の御手本} nihon no o te hon] der Japaner ausgerichtet. Sie streben danach, mit Japanern in Tokyo in Verbindung zu treten. Einige von ihnen, mit der Hilfe der Japaner, sind nach Japan gekommen um hier die japanischen Kultur zu erlernen [{日本の文化を習得する} nihon no bunka o shûtoku suru]. Sie studieren unsere Produkte und unsere Verwaltung. Und ihre Verehrung für uns Japaner steigt und steigt.” (Irie: Nanshin; 198).

196 Siehe Ozaki Takuya: Sakamoto Shirô chômin [Der Bürger: Sakamoto Shirô], Chôminkai, Tokyo, 1932; 208, 223, 274-5, 313-319.

122 Ähnliche Worte fand der in die Waffengeschäfte philippinischer Revolutionäre eingebundene Mariano Ponce (1863-1925). 197 Als philippinischer Kontaktmann Sakamoto Shirôs berichtete Ponce während der Verhandlungen über Waffenlieferungen an seine Verbindungsmänner in Manila von Gesprächen mit Sakamoto und weiteren Japanern, die er aber nicht namentlich nennt:

„(They say)...among the races of the Extreme Orient the Filipinos stand first in their desire and aspirations towards civilization and progress, thoroughly realizing their importance to lift a country to the level of the most advanced nations of the world.“ (Letter from M. Ponce and F. Rivero in Yokohama to G. Apacible in Hongkong, 28.11.1898, in: Saniel: Japan; 244).

Ponce schreibt diese Zeilen aus Yokohama an die philippinische Exilregierung in Hongkong, in deren Auftrag er japanische Waffenlieferungen für die Philippinen aushandeln sollte. Es liegt nahe, dass Ponce eine positive Sichtweise der Japaner über die Filipinos schildert, um die Unterstützung seiner Auftraggeber weiterhin zu sichern.

Die hier vorgestellten Sichtweisen der südlich von Japan gelegenen Gebiete, von nanyô, können als Mischformen landeskundlicher und ideologisch-nationalisitscher Texte bezeichnet werden. Eine davon zu trennende Textgattung stellte die

Verarbeitung der nanyô-Thematik in fiktionalen Romanen [{小説} shôsetsu] dar, eine stark von literarischen Textvorbildern aus dem Westen beeinflusste Textgattung in Japan. Noch bevor in Japan das ‚Südseefieber’ einsetzte, war in der westlichen Welt eine vergleichbare Begeisterung für diesen Teil der Erde entstanden. Bereits am Ende des 18. und im Verlauf des 19. Jahrhunderts erlangte die mit dem Begriff South Seas oder Südsee bezeichnete Region eine literatische Aufmerksamkeit (in kommerziellen Kontexten wurde die Region mit Pacific Ocean bezeichnet). 198 Bücher der Autoren Herman Melville (1819-1891) wie Typee (1846) und Omoo (1847) oder Pierre Lotis (1850-1923) Südsee-Bestseller Marriage de Loti (1880)

197 Zu Mariano Ponce s. III 1 F. 198 Siehe Tony Ballantyne: The Pacific World, Science, Empire and the European Exploration of the Pazific, 1500-1900 (Wiltshire, Cromwell Press, 2004; Einleitung, hier xix). Die postcolonial-Forschung stellt die Entdeckung des Pazifiks/Südsee in einen expansions- und wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang, meist unter den Schlagworten science, knowledge and empire.

123 sowie die Bilder Paul Gauguins (1848-1903) brachten dem Leser und Betrachter ein Südseebild von Natürlichkeit, Unberührtheit und Exotik nahe. Anders als in den westlichen Südsee-Romanen, erhält des Meer in den nanyô- Romanen eine besondere Bedeutung, analog zur Meermetaphorik des Begriffs nanyô, die zu Beginn der Ausführungen über nanyô thematisiert worden sind (s.o.). Nanyô wird zu einem Ort der Verbindung und der Differenz zwischen Japan und den anderen Ländern. Die Inselwelt wird ebenfalls anders gedeutet. Sie wird nicht nur als ein Ort der Natürlichkeit und Unberührtheit typisiert, sondern wird darüber hinaus als ein visionärer Ort beschrieben, der Raum für den Aufbau neuer und idealer Gesellschaften bot.199 Eine mit utopischen Anklängen versehene Aufbereitung des nanyô-Themas stammt

aus der Feder des Schriftstellers Sugiura Jûgô 杉浦重剛 (1855-1924, auch Sugiura Shigetake). Auch Sugiura war ein Kind der new generation (Pyle) mit einem Interesse an den westlichen Wissenschaften, die er während eines Englandaufenthaltes in den Jahren zwischen 1877 und 1880 vor Ort studieren konnte.200 In die Gruppe der nanyô-Interessierten gehörte Sugiura allein schon aufgrund seiner

Mitherausgeberschaft der Zeitschrift Nihonjin [{日本人} Japaner]. Im Jahre 1886

schrieb Sugiura die Geschichte von Hankais Traum [{ハンカイ夢物語} hankai yume monogatari] 201 und bereitete in dieser Form nanyô für ein weites Lesepublikum auf (Irie : Nanshin; 77-82). Die Geschichte von Hankais Traum ist im visionären Stil gehalten und beschreibt das Szenario der Auswanderung einer Gruppe von rechtlich

und sozial benachteiligten Japanern, der burakumin [{部落民} nicht-rechtliches Volk], die als ‚schmutzig’ galten. Sie brechen auf, um auf den Philippinen ihre neue Heimat zu finden. Dort sollen sie sich reinigen und die ebenfalls rechtlich und sozial benachteiligten Filipinos in einem als gerecht bezeichneten Aufstand gegen die spanische Kolonialmacht in die Freiheit führen. Nach der Befreiung der Philippinen

199 Siehe grundlegend zu nanyô-Romanen Kleeman: Imperial Sun; 11-19, hier S. 14. Allerdings stellt sich der utopistische Gehalt der Visionen über ideale Gesellschaften als ‚realistisch’ dar, wenn man die nanyô-Utopien vom Blickwinkel der späteren japanischen Kolonialgeschichte aus betrachtet. Wie Sebastian Conrad bemerkt, diente z. B. die japanische Kolonie auf Taiwan tatsächlich als eine Art ‚Laboratorium der Moderne’, in dem verschiedenste Techniken und Instrumente ‚moderner’ Gesellschaftslebens erprobt wurden, siehe Conrad: Zivilisierung; 263. 200 Zur Person Sugiuras siehe Iwao Seiichi: Biographical Dictionary of Japanese History, Tokyo, Kodansha International, 1978. 201 Hankai ist ein mythenumwobener Kämpfer aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert.

124 von den Spaniern und der anschließenden Besiedlung durch Japaner wird vorhergesehen, dass deren zivilisatorischer Einfluss auf den Philippinen nach kurzer Zeit eine neue Gesellschaft entstehen lässt.202 Ebenfalls um die Unabhängigkeit und Freiheit der Philippinen geht es in dem

Roman Die hohen Wellen des südlichen Meeres [{南洋の大波乱} nanyô no daiharan] 203 von Suehiro Tetchô 末広鉄腸 (1849-1896) (siehe II 2 C i.). Dieser Roman ist insofern besonders interessant, als er in Verbindung zu einer Hauptperson des philippinischen Nationalismus, Rosé Rizal, steht, den wir im Philippinenteil dieser Arbeit wiedertreffen werden. Suehiro Tetchô traf Rizal im April 1888 auf dessen Überfahrt nach San Franzisko. Die Konversation zwischen Suehiro und Rizal mag aufgrund der Sprachbarriere schwierig gewesen sein, doch schreibt Suehiro, dass er begeistert von Rizal war, den er zunächst für einen Chinesen hielt (Rizal war chinesischer Abstammung, siehe III 1 C.). 204 Im Roman entwickelt sich eine verschlungene und abenteuerliche Geschichte eines Japaners auf der Reise nach London, der durch seine Freundin erfährt, dass die Filipinos und Japaner gleicher Abstammung (japanischer) sein müssten. Mit diese Gewissheit setzt sich Takayama Takeshi, der Held der Geschichte, für den Unabhängigkeitskampf der Filipinos ein, der mit dem japanischen Sieg über die Spanier endet. In der Romangeschichte nimmt Suehiro ein wenig von jenen Geschehnissen vorweg, die später mit Hilfe japanischer Waffenhändler hätten eintreten können. Die Geschichte von Hankais Traum und Die hohen Wellen des südlichen Meeres sowie eine weitere Anzahl an literarischen Erzeugnisse über nanyô waren in ähnlicher Weise konzipiert und folgten einem ähnlichen Schema: Zumeist junge und mutige Offiziere der Marine (oder shishi [Visionäre]) fahren nach nanyô um den japanischen Ruhm zu mehren oder sich dort auf einem Stück unberührtem Land niederzulassen. In einigen Fällen unterstützen sie anti-koloniale Erhebungen und

202 Siehe Sugiura Shigetake: Hankai yume monogatari [Geschichte von Hankais Traum], Aoki, Tokyo, 1886. 203 Suehiro Tetchô war in Japan durch seinen Roman Setchûbai [{雪中梅} Pflaumenblüten im Schnee] (1886) bekannt geworden. Der Text wurde besonders von der liberalen Opposition geschätzt, da er auf die Verkündung der Verfassung und der Einberufung des ersten Parlamentes einging, siehe Pyle: New Generation, passim. 204 Siehe Suehiro Tetchô: Oshi no ryokô [Reisen eines Stummen], Aoki konzundo, Tokyo, 1894; 5, Kimura Ki: Firipin tôitsu no kokuso Hose Risaru [Vater der Philippinen: José Rizal und die japanische Literatur ] (in: ders.: Nihon ni kita gonin no kakumeika [Fünf Revolutionäre, die Japan besuchten], Iwanami shoten, Tokyo, 1971; 47-130; hier S. 83ff).

125 helfen anschließend, neue Gesellschaften aufzubauen.205 In den meisten der nanyô- Romanen stellt sich dem Leser eine Kumulation der vorhandenen nanyô-Bilder dar: Es ist die Rede von unterentwickelten bzw. unzivilisierten Völkern, die von den Westmächten ausgebeutet werden und in einen bedauernswerten Zustand verfallen sind. Japanische Auswanderer verhalfen den Inseleinwohnern bei der Beendigung der westlichen Herrschaft und errichteten anschließend eine ideale japanische Gesellschaft. Verbunden mit dieser Darstellung des nanyô-Raumes war eine direkte Kritik an den westlichen Imperialmächten.

D. Vietnamwahrnehmung

Wie eingangs erwähnt, ist die japanische Wahrnehmung Vietnams um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert nicht gutwillig unter jene der nanyô- Wahrnehmung zu subsumieren. Vielmehr stand die Wahrnehmung und Darstellung Vietnams im engeren Zusammenhang mit dem China- und Asiendiskurs, da Vietnam eines der Tributländer innerhalb des Kulturraum der gemeinsamen Schrift

[{ 漢字文化圏} kanjibunkaken] war. Aus diesem Grunde ist der Reform- und Zivilisationsdiskurs mit Bezug auf China und Korea, der im ersten Teil dieses Kapitels behandelt wurde, in Erinnerung zu rufen, da der sich während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verändernde Blick auf China und ‚Asien’ auch Auswirkungen auf die Sichtweise Vietnams hatte. Jedoch wurde Vietnam nicht zu einem Objekt japanischen Reformeifers wie es Korea geworden war, obwohl am Französisch-Chinesischen Krieg von 1884/5 in Nordvietnam viel deutlicher zu beobachten war, wie China zu einem ‚Einfallstor für den Westen’ wurde. Auch im Zusammenhang mit der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Frage des Koreafeldzuges

205 Im Großen und Ganzen diesem Schema folgend, waren auch andere bekannte nanyô-Romane in den 1880er und 1890er Jahren konzipiert: Zufällige Begegnung mit hübschen Damen [{佳人 の奇遇} kajin no kigû] von Tôkai Sanshi 東海散士 (Pseudonym von Shiba Shirô 柴四郎), Abenteuerliche Unternehmungen [{冒険企業} bôken kigyô] von Komiya Santenkô, Fahne der aufsteigenden Sonne [{日の御旗} hinomihata] von Sudô Nansui, Geschichte eines schwimmenden Schlosses [{浮き城物語} ukishiro monogatari] von Yano Ryûkei, über ein Schiff, dass drei Abenteurer in die Südsee führt, Große Schätze der Südsee [{南遺跡} nanmei iseki] von Hisamatsu Yoshinori etc., siehe Kleeman: Imperial Sun; 14, Feldman: Novel; passim, Kida: Nangokki; 200ff.

126 und der Reformierung des koreanischen Hofes, hofften japanische Reformer auf einen Sieg Frankreichs gegen China, um die in ihren Augen rückwärtsgewandte Regierung in Peking anschließend stürzen zu können (Bannô: Meiji shisô; 50) Offensichtlich spielte hier die Entfernung eine entscheidende Rolle und die Präsenz der Franzosen in Indochina stellte keine Verletzung der japanischen ‚line of interest’ dar. Es läßt sich daran ablesen, dass die japanische Wahrnehmung gegenüber den Ländern des chinesischen Tributsystems sehr selektiv war. Die Herausbildung spezifischer Ländersemantiken in den Diskursen (wie dem Koreadiskurs, dem Ryûkyûdiskurs, dem Chinadiskurs) kamen augenscheinlich unterschiedliche Funktionen im Prozess der Nationalisierung und Identitätskonstruktion zu.

E. Kontinuitäten der nanyô-Wahrnehmung

Das publizistische Interesse an nanyô nahm im Vorfelde des Chinesisch- Japanischen Krieges von 1894/5 ab. Die öffentliche Aufmerksamkeit verlagerte sich auf das dortige Kriegsgeschehen und später auf die Drei-Mächte-Intervention Russlands, Frankreichs und Deutschlands. Die sinkende Anzahl an Publikationen über nanyô kann hierfür als Beweis gelten. Erst nach dem Russisch-Japanischen Krieg von 1904/5 flammte das Interesse an nanyô wieder in nennenswerter Weise auf, wobei die Konstanten der japanischen nanyô-Wahrnehmung auffallen. Z. B. rekurrieren zwei seit dem Jahre 1909 auf den Philippinen lebende japanische Korrespondenten der Asahi shimbun [Morgenzeitung] in ihren Texten stets auf die wirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit der Philippinen und die im Verhältnis dazu geringe Bevölkerungsdichte und Arbeitskraft. Sie verbanden dies gleichermaßen mit verlockenden Aussichten für japanische Emigranten, für die auf den Philippinen große wirtschaftliche Gewinne in Aussicht stünden. Der Autor des Artikels vergleicht die japanischen Verhältnisse mit denen auf den Philippinen und erörtert die Möglichkeiten des Geldverdienens und –mehrens.206 Die wirtschaftlichen Explorationsmöglichkeiten standen denn auch im Mittelpunkt

der im Jahre 1914 gegründeten Gesellschaft der südlichen See [{南洋協会} nanyô

206 Lydia Yu-José hat die japanischen Wahrnehmung der Philippinen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts untersucht, siehe Yu-José: Japan: 48ff, 51ff.

127 kyôkai], die sich in erster Linie den wirtschaftlichen Aspekten der Beziehungen Japans mit der südlichen See widmete (Lynn: Nanyô kyôkai).207 Eine neue Komponente der nanyô-Wahrnehmung wurde durch die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommende japanische Ethnologie dem bestehenden Ensemble von Bildern hinzugefügt. Der Ethnologe Yanagita Kunio (1875-1962) teilte die Völker der Welt in Berg- und Seevölker ein und entwickelte die Theorie, dass das japanische Volk wie auch die Götter aus dem Süden stammten. Diese These war nicht unbedingt Grundlage, so doch aber eine Art ethnisches Konzept, welches das südliche und nördliche Asien trennte und sich gleichzeitig in den ‚Rassen’-Diskurs über eine Zugehörigkeit zu einer nördlichen oder südlichen ‚Rasse’ einreihte.208 Darüberhinaus ist im Einleitungskapitel bereits über die Veränderungen der japanischen Südostasienwahrnehmung nach dem Ersten Weltkrieg berichtet worden. Japan wurde in strategischer Hinsicht in der Zwischenkriegszeit durch die Mandatsherrschaft und die sich während des Krieges verstärkenden Handelsbeziehungen mit der südostasiatischen Region zu einem zentralen Akteur in Ostasien. Ein weiterer Aspekt der nanyô-Semantik entwickelte sich in den 1930er

Jahren als die Idee des südlichen Vorstoß [{南進} nanshin] zu einem Bestandteil der

Propagierung der Großostasiatischen Wohlstandssphäre [{大東亜虚栄謙} daitôa kyoei ken] wurde, Ergebnis einer Ideologie der 1930er Jahre, die der Vorstellung über eine neue Herrschaftsordnung des ostasiatischen Raumes unter der Führung Japans Ausdruck gab. Der japanische Pan-Asianismus der 30er und 40er Jahre, der in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, trug einige der Merkmale früherer meiji- Asianismen: Die europäische Kultur wurde als störend im asiatischen [daitôa] Kulturraum wahrgenommen, wie dies Tsurumi Yûsuke benennt, wenn er davon spricht, dass die Filipinos auf die Japaner arrogant wirkten weil sie ihr europäisches Erbe vor sich hertrügen. Allerdings wirft er ihnen gleichzeitig vor, dass das

207 Siehe Hyung Gu Lynn: A Comparative Study of the Tôyô kyôkai and the Nanyô kyôkai (in: Harald Fuess (Hrsg.): The Japanese Empire in East Asia and Its Postwar Legacy, München, Iudicum Verlag, 1998; 65-98). Die japanische Regierung hatte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts durch die Gründung von Banken wie der Taiwan ginko [Taiwan Bank], der Kanan ginko [Südchina Bank] oder der Yokohama ginko [Yokohama Bank] Kapital für Überseegeschäfte zur Verfügung gestellt, siehe Yano: Nanshin; 92-3. Zu den japanisch- südostasiatischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit siehe Fn 37. 208 Zu den Diskussionen über die ethnische Herkunft des japanisches Volkes siehe einschlägig Oguma: Tan’itsu minzoku.

128 spanische Erbe und die europäisierte Kultur nur geborgt seien und nicht philippinisch (Yu-José: Views).

F. Zusammenfassung

Auf den letzten Seiten ist versucht worden, verschiedene semantische Ebenen des Begriffs nanyô zu beleuchten. Dabei sind im Wesentlichen drei Bilder in den Blick gerückt worden. nanyô als Emigrationsort für verarmte japanische Bauern; nanyô als ‚Garten Japans’, reich an Anbaumöglichkeiten und landwirtschaftlicher Nutzfläche; nanyô als Zielort japanischer Zivilisierungsmission und literarischer Ort japanischen Heldentums. Diese Aufladungen des semantischen Gehaltes zeigen an, dass der geographisch-räumliche Informationsgehalt des Begriffs wenig ausgeprägt war. Im Gegenteil, es war gerade die geographische Vagheit und die semantische Offenheit, die nanyô zu mehr als einem technischen Begriff machte – es war ein Begriff, der über einen geographischen Gehalt hinaus als Metapher und Projektionsfläche Bestandteil eines nationalen und regionalen Identitätsdiskurses verschiedener Akteure war. Gerade die Inhalte der utopischen nanyô-Literatur können als Teil eines Selbstbehauptungsdiskurses gegen den sich in den 1890er Jahren verschärfenden westlichen Imperialismus gelesen werden. Darüber hinaus stellte der nanyô-Diskurs ein Überlegenheitsnarrativ gegenüber den als unterentwickelt eingestuften Völkern in nanyô dar. Die nanyô-Literatur mit ihren ideologischen, landeskundlichen und auch fiktionalen Gehalten kann als Ausdruck eines neu entstehenden nationalen Selbstverständnisses interpretiert werden. Das so gut wie alle hier untersuchten nanyô-Texte durchziehende Wunsch- und Utopiedenken von einem zivilisatorisch führendem Japan ist unter anderem auf den Umstand zurückzuführen, dass die meisten der Autoren keine langfristigen Erfahrungen und Kenntnisse in der südlichen See sammeln konnten. Ihre Verweildauer in den jeweiligen Ländern überschritt oftmals nicht mehr als einige Tage. Die Lebensumstände der in diesen Gebieten lebenden Menschen blieben ihnen zum Großteil fremd. Ein solch oberflächliches Wissen über die Verhältnisse und Gegebenheiten boten einen umso größeren Spielraum für Projektion von Wünschen und Utopien. Diesem Projektionspotential zuträglich war die besondere Situation Japans in der Mitte des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit stand dem ideellen, wirtschaftlichen und

129 militärischen Expansionsstreben japanischer Pan-Asiaten und Politiker ein stark eingeschränkter außenpolitischer Handlungsspielraum entgegen, der sich an der Maßgabe der angestrebten Revisionen der Ungleichen Verträge zu orientieren hatte. Das erklärte außenpolitische Ziel der Revision der Vertragsabschlüsse von Kanagawa aus den Jahren 1853-1858 und des ‚unequal-treaty-system’ bedeutete, dass jeder expansive Vorstoß Japans in das durch koloniale Interessen- und Herrschaftsbereiche aufgeteilte Ost- und Südostasien zwar denkbar aber nicht umsetzbar war. Diese offensichtliche Diskrepanz zwischen Expansionswünschen (nicht immer militärischer Natur) und außenpolitischem Handlungsspielraum ließ eine ganz besondere Form des nanyô-Diskurses in der mittleren meiji-Zeit entstehen: aufgrund der oft hypothetisch geführten Diskussionen über eine mögliche Ausdehnung des japanischen Einflußbereiches nach nanyô, über Emigration nach nanyô oder über die wirtschaftliche Inkorporation nanyôs in den japanischen Wirtschafts- und Handelskreislauf verdichteten sich die nanyô-Vorstellungen zu wirklichkeitsfremden Projektionen, die von den realen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen weit entfernt waren. Anders als der chinesische Kulturraum konnte der Raum nanyô mehr oder weniger neu beschrieben werden, er stellte nicht ein kulturelles Über-Ich dar oder beschränkte den aufkeimenden Nationaldiskurs durch tradierte kulturelle Hypotheken. nanyô eigenete sich deshalb besonders gut zur Durchmessung mit europäischen Zivilisations- und Fortschrittsnarrativen um die ‚Höherwertigkeit’ der japanischen Kultur gegenüber (auch in europäischen Augen) weniger entwickelten Kulturen zu bescheinigen. Insofern kann man im nanyô-Diskurs die Vorwegnahme von Argumentationslinien beobachten, die später in den China- und Asiendiskursen durchbrechen sollten.

3. Kapitelzusammenfassung Es ist in diesem Kapitel der Versuch unternommen worden, die semantischen Felder der Begriffe Asien und nanyô sowie deren Bedeutungswandel während der frühen und mittleren meiji-Zeit zu untersuchen. Das Vorgehen in den beiden Teilen war dabei unterschiedlich im Hinblick auf die Chronologie. Die Behandlung der China- und Asienbilder wurde über einen Zeitraum von ca. 25 Jahren verfolgt, die nanyô- Bilder hingegen sind in ihrer Parallelität untersucht worden. Doch trotz dieser

130 Unterschiede in der Behandlung des historischen Materials, kann man beide Diskurse unter ähnlichen Fragestellungen behandeln, wie hier versucht wurde. Tritt man etwas von den Quellen zurück und fragt auf einer übergeordneten Ebene nach den Verbindungslinien und Parallelen, oder aber auch nach den Unterschieden in den Diskursen, so ergeben sich folgende Schlussfolgerungen. Als gemeinsames Ergebnis ist zunächst festzuhalten, dass in der Verwendung der unterschiedlichen geographischen Asien- und nanyô-Bilder ein neues kulturelles und kulturhierarchisierendes Verhältnis zwischen Japan und seinen unmittelbaren Nachbarn in der Region festgeschrieben wurde. Die Festlegung dieses Verhältnisses bedurfte in beiden Fällen der Selbstbeschreibung, d. h. der Abgrenzung des Eigenen zum Anderen. Beide Zentren des Konstruktionsprozesses, das Selbst und das Andere bedingten dabei einander und sind eng miteinander verbunden gewesen. Als ebenso verbindendes Element wird der ‚Westen’ in beiden Diskursen im Sinne eines zentralen, wenn auch ambivalenten Referenzrahmens verwandt. Ambivalent war der Bezug auf den Westen insofern, als dass der Westen einerseits als eine Art zivilisatorisches Vorbild verwandt wurde und die Adaption westlicher Zivilisationsparadigmen bei der Durchmessung des Raumes Asien und nanyô zu Grunde gelegt wurde. Dies zeigte sich z. B. in der Adaption westlicher Imperialpolitik und Zivilisationstheorien oder eines kolonialen und imperialen Denkens, welches sich für nanyô besonders einfach entwickeln ließ. Der Konstruktion solcher kolonialen Phantasiereiche (Zantrop) stand auf der anderen Seite der ganz konkrete Bezug auf Westen als Feindbild gegenüber. Der Westen stand auch für kulturelle Erniedrigung des Eigenen und politischer und militärischer Überlegenheitsdemonstration wie im Falle der Drei-Mächte-Intervention. Obwohl auch die Interpretation und Deutung westlicher Fortschritts- und Zivilisationstheorien in beiden Fällen einen Ansatzpunkt zur Hierarchisierung des Raumes Asiens und nanyôs bot, indem sie Erklärungsmodelle für den Zivilisationsunterschied der Nationen lieferten und für eine Einordnung Japans in einen größeren historischen Weltzusammenhang verwandt wurden, so zeichnen sich auch unterschiedliche Aspekte im Asien- und im nanyô-Diskurs ab. Z. B. wurde der Zivilisationsbegriff in den Asiendiskursen stärker ausdifferenziert, diente anfangs der Kritik am Konfuzianismus, dann der Herabsetzung Chinas gegenüber dem japanischen Reformprozess, später wurden er zu einem als Teil des Japandiskurs in den 1890er, d. h. er wurde auch in einem anti-westlichen Sinne umgedeutet. In den

131 nanyô-Diskursen vergleichen die Autoren die japanische Zivilisation weniger mit der des Westens. Vielmehr übertrugen sie ihr Selbstbild einer zivilisierten Nation auf die als unterentwickelt bezeichneten Völker, bezeichneten diese in proto- rassistischen Kategorien und leiteten daraus einen Zivilisationsauftrag ab. So wie die Kategorie der Zivilisation in den nanyô-Diskursen eher der Heraufsetzung des Eigenen und weniger dem Vergleich mit dem Anderen diente, so wurde auch im Zusammenhang mit nanyô frühzeitiger die Kategorie der Rasse in einer kulturhierarchisierenden Form verwandt.

III. Philippinische und vietnamesische Japan- und Asienbilder

Obwohl im Gegensatz zur geographischen Vagheit des Begriffs nanyô, der Begriff ‚Japan‘ eine eindeutigere geographische Einheit beschrieb, bildeten sich in der Japanrezeption philippinischer und vietnamesischer Bildungseliten doch verschiedene semantische Ebenen des Begriffs heraus. Je nach Verwendungsabsicht und Interessenlage des Autors traten unterschiedliche Aspekte des Begriffs Japan hervor und erhielten unterschiedliche Bedeutungen in den anti-kolonialen Emanzipationsdiskursen. Japan zählte dabei zu den zentralen Referenzpunkten anti- kolonialen Denkens. Konkret stellte der Begriff Japan einen Bezugspunkt für die Bestimmung des (oftmals ambivalenten) Verhältnisses zur Kolonialmacht dar, er war entscheidend in der Diskussion über politische Verfassungsmodelle oder in der Frage über die Umsetzung gradualer oder radikaler Reformen.209

209 Die Gradualismus-Debatte war auch in Japan geführt worden. Für einen Gradualismus [zenshinron] sprachen sich die meiji-Regierungsmitglieder Kido Takayoshi 木戸孝允 (1833- 1877) und Ôkubo Toshimichi 大久保利通 (1838-1878) aus. Sie standen dem Vertreter einer Radikalismus- [kyûshinron] Position, dem Bürgerrechtler Itagaki Taisuke 板垣退助 (1838- 1919) gegenüber. Die im Januar 1874 von Itagaki gestellte Forderung zur sofortigen Einberufung einer von Teilen des Volkes gewählten Nationalversammlung beruhte auf dem Argument, dass (westlich-) basisdemokratische Verfahren in Japan direkt und unmittelbar

132 Um das semantische Feld des Begriffs Japan abzustecken, sind folgende Fragestellungen angegangen worden: Welche Japanbilder entwickelten sich im Zuge einer Auseinandersetzung mit der japanischen Reformierung und Verwestlichung; Entwickelte sich aus einzelnen Japanbildern eine einheitliche Japanwahrnehmung? Wie sahen die Rezeptionsbedingungen aus? Welche Faktoren bedingten die Rezeption, welche Informationsmöglichkeiten bestanden für die Bildungseliten, sich Wissen über Japan anzueignen, wie sahen die Umstände der Wissensproduktion über Japan aus? Und letztlich sollen diese Fragen auch auf die philippinischen und vietnamesischen Vorstellungen von ‚Asien’ übertragen werden.

eingesetzt werden könnten. Kido hingegen argumentierte, Japan sei für die Einführung von unbeschränkten Bürgerrechten und einer Nationalversammlung noch nicht reif, da das Volk nicht über aufgeklärtes Wissen verfüge und seine Rechte nicht richtig zu gebrauchen wisse. Als Folge sei zu befürchten, dass das japanische Volk Opfer von Gewalt und Selbstzerstörung werde. Die Aufgabe des Staates bestehe darin, die Menschen in die Mündigkeit zu führen und solange, wie diese noch nicht die moralische Reife dafür erlangt hätten, möglichst viel Macht auf den Souverän, in diesem Falle dem Monarchen, zu vereinen. Ôkubo hielt die Demokratie für die beste aller Herrschaftsformen, doch schränkte er ein, dass sie :„… nicht dort verfolgt werden [kann], wo die Menschen seit Langem an traditionelle Herrschaftsformen gewöhnt sind“, siehe Pittau: Political Thought; 37-48, 50-71. Ähnliche Überlegungen über Gradualismus und Radikalismus äußerte auch Herbert Spencer, der im Briefverkehr mit dem späteren Erziehungsminister Mori Arinori 森有礼 (1847-1889) stand, vergleiche hierzu seinen Briefwechsel mit Mori Arinori kurz nach Einführung der Verfassung im Jahre 1889 in Yamashita Shigekazu: Herbert Spencer and Meiji-Japan, in: Hilary Conroy, Sandra T. Davis und Wayne Patterson (Hrsg.): Japan in Transition, Cranbury, New York, Associated University Press, 1984; 77-95, hier Sn. 85-88. Parallelen zu europäischen Demokratiediskursen fallen ins Auge.

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1. Philippinische Japan- und Asienbilder

A. Auf dem Weg zur Nation

Als am 12. Juni 1898, drei Jahre nach dem Ende des Chinesisch-Japanischen Krieges (1894/5), der philippinische Revolutionsführer Emilio Aguinaldo (1869- 1964) vom Balkon seines Hauses im südlich der Hauptstadt Manila gelegenen Cavite die Philippinen für unabhängig erklärte, war der feierliche Akt der Verkündung mit den Symbolen einer werdenden Nation ausgestattet. Zusammen mit der zum ersten Mal öffentlich erklingenden Nationalhymne wurde die erste philippinische Nationalflagge gehisst; eine blau-rote Fahne mit weißem Dreieck auf der linken Seite und einer Sonne mit acht Strahlen. Jeder Strahl der Sonne stand für eine der acht Provinzen, die sich zuerst gegen die Spanier erhoben hatten. Die drei Sterne symbolisierten die drei Hauptgebiete der Philippinen, dies waren Luzon, Zentral-Visaya und Mindanano. Doch nicht nur äußerlich inszenierte sich die Gruppe um Aguinaldo in europäischer Nationalmanier. Ein geplantes republikanisches Verfassungsdokument sollte den rechtlichen Anspruch auf die Anerkennung einer souveränen Nation bekräftigen, womit die Philippinen bei Ausrufung am 21.01.1899 zur ersten Republik in Asien werden sollten.210 Die Filipinos verdankten die Möglichkeit der Verkündung ihrer Unabhängigkeit zum Teil den Vereinigten Staaten von Amerika, die aus strategischen Erwägungen die sich seit Ende des Jahres 1896 in einer gegen die spanische Herrschaft gerichteten Revolution befindenden Unabhängigkeitskämpfer auf den Philippinen unterstützt hatten. Die Amerikaner verfolgten dabei jedoch nicht das Ziel der Stärkung der philippinischen Unabhängigkeitsbewegung. Ihr Interesse galt der

210 Die Verfassung enthielt u. a. eine Bill of Rights, sprach sich gegen die willkürliche Haft aus, beinhaltete ein Verbot zur Steuererhebung außer durch authorisierte Körperschaften, schrieb die volle Inanspruchnahme ziviler und politischer Bürgerrechte der Filipinos fest, verwies auf Rechte aus der habeas corpus über Eigentum und forderte die Versammlungsfreiheit und ein ziviles Heiratsrechts (gegen das katholische Heiratsrecht), siehe Majul, Cesar: The Political and Constitutional Ideas of the Philippine Revolution, Quezon City, University of the Philippine Press, 1967; 178ff. In Japan berichtet die Tokyo keizai zasshi über die Entwicklungen, siehe Firipin no dokuritsu to nanyô guntô [Die Unabhängigkeitserklärung der Philippinen und der südlichen See], in: Tokyo keizai zasshi, 38, Nr. 933, 1898, S. 1385.

134 Schwächung der spanischen Kolonialmacht im Pazifik. 211 Als die Vereinigten Staaten von Amerika am 10. Dezember 1898 mit dem Vertrag von Paris die Kolonie von der bourbonischen Krone übernahmen, mussten die philippinischen Unabhängigkeitskämpfer feststellen, dass die Allianz mit den neuen Kolonialherren keinen langen Bestand hatte. Weder waren ihre Forderungen nach Unabhängigkeit mit einem Wort erwähnt worden, noch wurden sie als vertragsschließende Partei in die Verhandlungen einbezogen. In Artikel 3 des Vertrages hieß es: „The civil rights and the political status of the native inhabitants of the territories handed over shall be determined by the Congress of the United States“. Es schloss sich ein erbitterter Krieg zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und den Filipinos an, der in der blutigen Niederschlagung der Revolution im Dezember 1898 mündete. Die Antwort auf diese Missachtung der Unabhängigkeitserklärung und die Niederschlagung der Revolution war die Verkündung der philippinischen Republik, der Republik von Malolos212, am 23. Januar 1899, deren Rechtmäßigkeit von den Filipinos mit der Einsetzung der Verfassung von Malolos beansprucht wurde.213 In dieser Gemengelage von Interessen hatten japanische Pan-Asiaten wie der Marineoffizier Suzuki Tsunenori (s.o. II 2 B. und II 2 C iv.) den Filipions Waffenlieferungen für ihren Kampf gegen die alte und neue Kolonialmacht in Aussicht gestellt und so erstmalig beinahe aktiv in das Kriegsgeschehen auf den Philippinen eingegriffen. Doch obwohl es zu diesen Waffenlieferungen niemals gekommen ist, gewann der Blick nach Japan für einige Filipinos angesichts der Konflikte mit der neuen Kolonialmacht an Bedeutung. Im Folgenden soll das Feld der philippinischen Japanwahrnehmung maßgeblicher Repräsentanten der National- und Unabhängigkeitsbewegung aufgespürt werden.

211 Der Krieg zwischen Spanien und Amerika begann im April 1898 und endete im August desselben Jahres. Auslöser war die Explosion des nordamerikanischen Linienschiffes Maine am 15. Februar 1898 im Hafen von Habana auf Kuba. Dies gab den Vereinigten Staaten einen Vorwand, der spanischen Kolonialmacht auf Kuba den Krieg zu erklären. Das spanische Kolonialreich beschränkte sich zu diesem Zeitpunkt auf Kuba und Puerto Rico in der Karibik sowie die Philippinen, die Marianen und Karolinen im Pazifik. Kurz nachdem Kuba an die Vereinigten Staaten von Amerika gefallen war, setzten sich die Kriegshandlungen im Pazifik fort. Der amerikanische Kommandeur George Dewey (1837-1917) zerstörte anschließend die spanische Flotte vor Manila. 212 Malolos ist ein Ort nördlich von Manila. 213 Am 15. September 1898 war eine verfassungsgebende Versammlung in Malolos einberufen worden. Zum Verfassungstext, der am 21. Januar 1899 verkündet wurde, siehe Teodoro A. Agoncillo: Malolos - The Crisis of the Republic, Quezon City, University of the Philippines Press, 1960; Appendix D; 761 ff. Die Verfassung weist keine Bezüge zur japanischen meiji- Verfassung von 1889 auf.

135 Dabei soll der Frage nachgehen werden, welche Rolle das Bild Japans in den philippinischen Emanzipationsdiskursen einnahm. Auch hier ist die Frage, wie wurde Japan als Raum beschrieben, was wurde durch den Begriff Japan transportiert und wie wurde er konzipiert. Es soll auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich die Hispanisierung der Filipinos auf das Verständnis einer ‚asiatischen’ Identität förderlich oder hinderlich auswirkte. Wer stellten sich die Filipinos ein ‚Asien’ vor?

B. Historischer Hintergrund

Grundzüge der christlich-westlichen Prägung der philippinischen Bildungselite

Die Herrschafts- und Lebensverhältnisse der Filipinos waren am Ende des 19. Jahrhunderts durch die lange Präsenz der spanischen Kolonialherrschaft von über 300 Jahren geprägt. 214 Durch ein System der Inkorporation der philippinischen Oberschicht in koloniale Herrschaftsstrukturen hatten sich die Spanier eine gewisse Akzeptanz ihrer Herrschaft verschaffen können. Ausdruck dieser Inkorporation war das sog. caciquismo-System, welches eine politische Machtteilhabe der Filipinos durch die Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf unterer Ebene vorsah. Dieses System brachte ein relativ stabiles koloniales Herrschaftssystem hervor.215 Darüber

214 Der philippinische Hafen Manila war im Jahre 1564 von einer mexikanischen Expedition unter Miquel Lóes de Lagazpi in Besitz genommen worden. Fortan diente er als Zwischenstation für den Handel mit chinesischer Seide, die, bevor sie nach Madrid gelangte, zwischen Acapulco und Hongkong gehandelt wurde. Als Zahlungsmittel für die Seide wurde mexikanisches und peruanisches Silber verwandt (Manila-Acapulco-Hongkong-Handel). Formal gesehen waren die Philippinen eine Provinz der bourbonischen Kolonie Mexiko und sind nach dem Habsburger König Philipp II. (1556-1598) benannt. Als Mexiko im Jahre 1821 unabhängig wird, werden die Philippinen direkt der bourbonischen Krone unterstellt.‚Filippino’ war ursprünglich eine Bezeichnung für auf den Philippinen geborene Spanier, die später zur Selbstbezeichnung der Filipinos wurde. In der Übernahme drückt sich auch ein Verweis auf ein gemeinsames spanisches Erbe aus. Im Folgenden wird aus praktischen Gründen der Begriff ‚Spanien’ oder ‚spanisch’ auch für die Zeit vor Gründung der Ersten Spanischen Republik von 1873 verwandt. 215 Die Posten der regionalen Gebietsvorsteher [alcaldes mayores] wurden ebenfalls mit Filipinos besetzt. Diese unterstanden direkt dem in Madrid benannten Gouverneur für die Philippinen. Die alcaldes mayores besaßen nahezu unbegrenzte Vollmachten gegenüber den

136 hinaus waren auf lokaler Ebene die verschiedenen katholischen Orden präsent, die einen erheblichen Einfluß auf das kulturelle, geistige und gesellschaftlichen Leben der in weiten Teilen der Philippinen christianisierten Filipinos ausübten.216 Die spanische Kolonialpolitik auf den Philippinen unterlag den Entwicklungen der politischen Verhältnisse im Mutterland. Phasen der politischen Liberalisierung oder Reaktion führten zur Ausweitung oder Einschränkung der Rechte der Filipinos sowohl auf den Philippinen als auch im Bezug auf deren politische Vertretung in Madrid. So waren die Philippinen erstmals in den Jahren 1810-1814 in der cortes (spanische Parlament) durch einen philippinischen Repräsentanten vertreten, in jener Zeit, als die erste europäische Verfassung in Cadiz verabschiedet wurde und der Liberalismus in Spanien die dominierende Kraft darstellte. Während dieser Zeit waren die Philippinen zwar der mexikanischen Kolonialadministration unterstellt, verfügten aber über eine Vertretung im spanischen Parlament. Erneut in den Jahren 1820-23 und 1834-37 wurden philippinische Vertreter nach Madrid in die cortes entsandt (Fieldhouse: Kolonialreiche; 94). In den 1830er Jahren wurde das Land für den Welthandel geöffnet. Als im Jahre 1868 Königin Isabella II. (1830-1904) von General Francisco Serrano (1810-1885) gestürzt wurde, profitierten die Philippinen erneut von den Entwicklungen auf der iberischen Halbinsel. Serrano berief ein liberales Parlament ein, setzte eine neue Verfassung in Kraft und gewährte Presse- und Meinungsfreiheit. Im Jahre 1873 rief er die nur kurze Zeit währende Republik aus, deren Ende der zur Macht zurückkehrende Sohn Isabellas, Alfons XII., besiegelte. Die durch Serrano eingeleitete Liberalisierung zeigte ihre Wirkung auch auf den Philippinen, wo im Jahre 1869 durch Gouverneur Carlos Maria de la Torre die Zensur der Presse aufgehoben, die Einrichtung einer säkularen Universität gewährt und Körperstrafen abgeschafft wurden. Die gewährten Freiheiten veranlassten auf den Philippinenn die drei Priester José Burgos (1834-1872) und Jacinto Zamora (1835-1872), beides Kreolen, sowie Mariano Gomez (1799-1872), ein Filipino, eine Reform der Kirchen- und

lokalen Ortsvorstehern [gobernadorcillios], die in der Regel kein Spanisch sprachen und nur mit der Zustimmung der alcaldes mayores gewählt werden konnten. 216 Soweit nicht anders gekennzeichnet, basieren die Ausführungen zum historischen Hintergrund auf den Philippinen den Darstellungen von Nicholas Tarling: The Cambridge History of Southeast Asia, Cambridge, Cambridge University Press, 1992, Bd. 2, Wolfgang Reinhard: Geschichte der europäischen Expansion, Bd. 3, Stuttgart, Kohlhammer Verlag, 1988, David K. Fieldhouse: Die Kolonialreiche seit dem 18. Jahrhundert, Augsburg, Weltbild Verlag, 1998 sowie Constantino: Continuing Past.

137 Ordensverfassung zu fordern, die es ihnen erlauben würde, die Leitung einer eigenen Gemeinde zu übernehmen. Dies war zu diesem Zeitpunkt nur spanischen Mönchen möglich (Constantino: Past Revisited; 85-6). Ihre Forderungen beinhalteten noch nicht einmal Neues: Im 18. Jahrhundert waren Filipinos bereits zu Pfarrämtern zugelassen worden und hatte eine Liberalisierung der strikten Trennung zwischen spanischen und philippinischen sowie Welt- und Ordensgeistlichen erreichen können.217 Die katholische Kirche folgte dem liberalen Kurs der Politik jedoch nicht und ließ die drei Geistlichen in Cavite im Jahre 1872 hinrichten. Die Folge waren heftige anti-koloniale Erhebungen, die in der Literatur als Beginn der philippinischen Unabhängigkeitsbewegung gedeutet werden. Die meisten der liberalen Errungenschaften wurden später durch den reaktionären Gouverneur Rafael de Izquierdo auf den Philippinen wieder aufgehoben, Filipinos, die höhere Posten in der Verwaltung besetzt hatten, wurden von ihren Ämtern abberufen und die Zensur wieder eingeführt. Die unstetige, aber doch kontinuierlich andauernde Inkorporierung der philippinischen Bildungselite in die Führung von Kirchen- und politischen Ämtern wurde durch die Ausbildung der Filipinos an den höheren Bildungseinrichtungen des Landes ermöglicht. Diese lagen in den Händen der katholischen Orden. Mit jenen von den Dominikanern betriebenen Schulen San José und San Juan de Letran (gegr. 1630) und der Universität Santo Tomas (gegr. 1611), waren drei der vier höheren Bildungseinrichtungen auf den Philippinen diesem Orden unterstellt. Die vierte Bildungseinrichtung war das von den Jesuiten gegründete Ateneo Municipal de Manila (gegr. 1595). Der Studienalltag war durch religiöse Erziehung und christliche Rituale geprägt. Es wurden Spanisch, Latein und Griechisch unterrichtet. Erst in den 1860er Jahren erfuhren die Lehrpläne, zumindest am Ateneo, eine Erneuerung und säkulare Lehrinhalte und neue Studienfächer wie Arithmethik, Algebra, Geometrie, Trigonometrie, elementare Naturwissenschaft, Geographie, Literatur, Geschichte und Rhetorik sowie Philosophie wurden eingeführt (Tarling: Cambridge History; 234).

217 Um seiner Krone Geld zu verschaffen, brach Karl III. im 18. Jahrhundert die Vorherrschaft der mächtigen Orden und ihrer Monopole auf den Philippinen. Er verwies im Jahre 1768 die Jesuiten des Landes, was auch zur Folge hatte, dass Filipions zu weltgeistlichen Pfarrämtern zugelassen wurden. Diese Möglichkeit wurde mit der Rückkehr der Jesuiten im Jahre 1859 auf die Philippinen wieder rückgängig gemacht, siehe Bernhard Dahm: Emanzipationsversuche von kolonialer Herrschaft in Südostasien - die Philippinen und Indonesien, Ein Vergleich, Wiesbaden, Harrasowitz Verlag, 1974; 14.

138 Die informelle Macht der katholischen Orden, die sie aufgrund ihrer Schlüsselpositionen im höheren Bildungswesen ausübten, setzte sich in ihrer ökonomischen Macht fort. Augustiner, Dominikaner und Jesuiten besaßen den größten Teil des Bodens auf den Philippinen, was einen entscheidenden Einfluss auf die tatsächlichen Lebensverhältnisse der Filipinos hatte. Mit der Einführung des römischem Bodenrechtes durch die katholische Kirche trat auch die unumschränkte Verfügungsgewalt des Eigentümers über die auf dem Land wohnenden Menschen in Kraft: Jeder Filipino hatte einen Tribut in Form von Geld oder Naturalleistungen an die katholische Kirche zu entrichten sowie eine Anzahl von Tagen auf deren Ländereien zu arbeiten. 218 Die Kontinuität und Stabilität der Präsenz der katholischen Kirche zeigte sich auch in der Dauer der Amtszeiten des philippinischen Erzbischofamtes: von 1853 bis 1898 waren fünf Bischöfe verzeichnet im Gegensatz zu fünfzig politischen Gouverneuren.219 Trotzdem die faktische und kulturelle Macht der katholischen Orden auf den Philippinen allgegenwärtig war, konnten Filipinos sich eigene, mit traditionellen Bräuchen und Gewohnheiten durchwirkte Glaubenspraktiken und –inhalte der christlichen Lehre schaffen und Teile ihrer Kultur behaupten. Die Ausübung eines synkretistischen Glaubens stabilisierte anfänglich die koloniale Herrschaft, schuf jedoch gleichzeitig eine Öffentlichkeit, in der auch Kritik an den Orden und der spanischen Verwaltung geübt werden konnte (Wendt: Fiesta Filipina). Beides, die Vertrautheit der politischen und gesellschaftlichen Elite des Landes mit europäischer Literatur und politischem Gedankengut aufgrund von Erziehung und Ausbildung an einer der höheren Bildungseinrichtungen als auch die Vertrautheit der breiteren Masse der christianisierten Filipinos mit einem katholischen Werte-

218 Die Einbindung der Philippinen in den zunehmenden Welthandel im 19. Jahrhundert ließ die Urbarmachung und agrarwirtschaftliche Nutzung von Land zu einem immer attraktiveren Geschäft werden. Doch der Kauf von Gerät u. ä. erforderte Kreditaufnahmen, so dass Bauern quasi Pächter auf ihrem eigenen Land wurden, ein Mechanismus, der auch in Burma Ende des 19. Jahrghunderts zu einer Verschuldung der Landbevölkerung führte. Auch Filipinos aus der Oberschicht konnten Grundbesitz erwerben, doch erschwerte Missbrauch und Umgehung von Landtiteln durch den Klerus eine Steigerung des Landbesitzes in den Händen der Filipinos, siehe Reinhard Wendt: Private Landownership in the Philippines: The Indigenization of a Western Cultural Concept (in: Henriette Bugge und Joan Pau Rubiés (Hrsg.): Shifting Cultures, Interaction and Discourse in the Expansion of Europe, Münster, LitVerlag, 1995; 305-335) sowie ders.: Europäische Expansion, Kolonialherrschaft und kultureller Wandel: Die Einführung westlicher Rechtssysteme auf den Philippinen (in: Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas, Bd. 27, Böhlau Verlag Köln, 1990; 183-201). 219 Siehe Harry Sichrovsky: Ferdinand Blumentritt – An Austrian Life for the Philippines, Manila, 1987; 26, 80.

139 und Moralsystem, ließen emanzipatorische und nationalistische Ideen aus dem Westen vergleichsweise schnell in die Emanzipationsdiskurse auf den Philippinen eintreten.

C. Blickrichtungen: Nach Westen und nach Osten i. Japan als Raum christlich-moralischen Handelns in Asien

Die harsche Kritik an der Herrschaft der katholischen Orden war gleichermaßen Inhalt des für die philippinische National- und Unabhängigkeitsbewegung maßgeblichen Buches Noli me tangere [Rühr’ mich nicht an] von José Rizal (José Mercado y Alonso 1861-1896). 220 Chinesisch-philippinischer Abstammung, gehörte Rizal der principalia, der landbesitzenden Elite von Luzon an, wo sein Vater einen lukrativen Reis- und Zuckerrohranbau betrieb. Wie die Mehrzahl der im Tiefland von Luzon lebenden Filipinos, war Rizals Familie christianisiert und er hatte als Absolvent des Ateneo eine katholische Ausbildung erhalten. Nach dem Besuch des Ateneo immatrikulierte Rizal sich im Jahre 1877 an der dominikanischen Santo Tomas-Universität und belegte dort die Fächer Medizin und Philosophie. Im September 1882 setzte er sein Studium in Madrid fort, wo er in den Kreisen republikanischer Filipinos und Spanier verkehrte. Im Jahre 1885 siedelte Rizal nach Paris über, um sich in Augenheilkunde zu spezialisieren, ein Jahr später ging er nach Heidelberg und erwarb dort seinen Doktor in Medizin. Aus diesen Jahren stammen seine Deutschkenntnisse. Im Jahre 1888 konnte er in das kolonial- und ordenskritische Buch Noli me tangere veröffentlichen. Als er kurze Zeit später auf die Philippinen zurückreiste, wurde er des Landes verwiesen. Trotz Ausweisung, Flucht und erneuter Verhaftungsgefahr nach der Veröffentlichung seines zweiten Buches El Filibusterismo [Aufruhr], welches er in Gent veröffentlichte, kehrte er im Jahre 1892 auf die Philippinen zurück. Rizal gründete in dieser Zeit die Vereinigung Liga Filippina mit der Zielsetzung, die moralische Bildung der Filipinos zu fördern.

220 Rizals Buch Noli me tangere wurde von Annemarie Cueto-Mörth ins Deutsche übersetzt. Der für die englische Übersetzung gewählte Titel Social Cancer weißt sogleich auf das kritische Potenzial des Buches hin.

140 Dies brachte ihm Verurteilung und Exil ein. Am 30. Dezember 1896 wurde er wegen des Verdachts der Anstiftung zur Revolution hingerichtet.221

221 Siehe Bernhard Dahm: José Rizal: der Nationalheld der Filipinos, Göttingen, Muster- Schmidt, 1989 sowie Tomas Jindrich: José Rizal, Ferdinand Blumentritt and the Philippines in the New Age, Prag, Oswald, 1998.

141 Rizals internationale Bildungsbiographie und seine Kenntnis europäischer Sprachen weisen auf die Europäisierung bzw. Hispanisierung seines Denkens und Handelns hin. Neben seiner katholischen Erziehung und Ausbildung an europäischen Universitäten, war Rizal durch den Einfluss seiner Mutter, Teodora Alonso (1827- 1911), die eine Ausbildung in einer dominikanischen Mädchenschule erhalten hatte, mit der spanischen Literatur vertraut. Darüber hinaus vermittelte ihm sein Großvater, der als Repräsentant in der cortes diente, die Ideen des Liberalismus (Sichrovsky: Blumentritt; 15). Die Bildungssozialisation und der familiäre Hintergrund Rizals zeigen, wie eng seine Person mit der europäischen Kultur verbunden war – und somit auch seine Wahrnehmung Japans in diesem Zusammenhang einzuordnen ist. Rizals Kenntnisse über Japan waren anfangs durch seinen Freund und Mentor aus Heidelberg, Ferdinand Blumentritt (1853-1913), vermittelt. Blumentritt, Leiter einer Mittelschule im böhmischen Leitmeritz, hegte ein vitales Interesse an den Philippinen und hatte mehrere landesbezogene Publikationen veröffentlicht. 222 Warum Ferdinand Blumentritt sich für spanische223, südamerikanische und später die Geschichte der Philippinen, interessierte, bleibt eine offene Frage, denn in die Länder selbst ist er nie gereist. Doch sein Interesse an Asien veranlasste ihn, sich auch mit Japan zu beschäftigen. Aus den Briefen der lebenslangen Freundschaft zwischen Rizal und Blumentritt kann man entnehmen, dass Blumentritt immer wieder die japanische Entwicklung thematisiert.224

222 Im Jahre 1879 veröffentlichte er die ersten Schriften über die Philippinen und begann eine entsprechende Bibliothek aufzubauen. Er wurde Mitglied verschiedener geographischer und ethnologischer Gesellschaften, bei deren Veranstaltungen er über die Philippinen referierte. Seine eigenen, meist historiographischen Publikationen über die Philippinen behandelten Themen wie deren Beziehungen mit China und Japan, Stadtentwicklung, Ethnographie sowie agrawirtschaftliche und philologische Entwicklungen. Artikel von Blumentritt erschienen in Zeitschriften wie dem Globus, der Oest. Monatsschrift für den Orient, Petermann’s Mittheilungen, Mittheilungen der k.k. Geograph. Gesellschaft in Wien, Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, Bolletino de la Sociedad geográfica de Madrid, Die Philippinen: eine übersichtliche Darstellung der ethnographischen und historisch-politischen Verhältnisse des Archipels, Hamburg, Verl.-Anst. und Druckerei A.-G., 1900 sowie Versuch eine Ethnographie der Philippinen, Gotha Perthes, 1882, siehe Jindrich: José Rizal; 13-17. 223 Blumentritt schrieb seine Abschlussarbeit an der Prager Universität über den Aufstand der Comuneros gegen Kaiser Karl V., siehe Jindrich: José Rizal; 14. 224 Siehe José Rizal: The Rizal-Blumentritt Correspondence, Writings of José Rizal, Manila, José Rizal National Centennial Commission, 1961, passim.

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Das mit Blumentritt geteilte Interesse an Japan mag Rizal veranlasst haben, auf seiner Reise nach San Franzisko im Februar 1888 (er trifft hier den japanischen Romanautoren Suehiro Tetchô, s.o.) in Yokohama vor Anker zu gehen. Während seines Aufenthaltes in Japan schrieb Rizal Briefe an seine Familie nach Luzon und an Ferdinand Blumentritt nach Heidelberg. Er beschreibt die japanische Baukunst und die Rikschas, die japanischen Städte Nikkô und Hakone und vergleicht Tokyo mit Paris, bemerkt, dass es nur wenige Diebe in Japan gäbe und dass man die Häuser offen und Geld unbeaufsichtigt lassen könne. Rizal kontrastiert den Fleiß, die Sauberkeit und Achtsamkeit der Japaner mit der Nachlässigkeit der Filipinos und folgert daraus, dass die Filipinos viel von Japan zu lernen hätten.225 Rizals Vergleiche zeugen von seinem europäischem Bildungshintergrund und einer mit christlich-moralischen Kategorien durchwirkten Wahrnehmung, denn er bemerkt, dass die Japaner zwar gottlos seien, aber im Unterschied zu den abergläubischen Chinesen dennoch religiös (Rizal: Reminiscences; 290). Am 7. April 1888 schreibt er abschließend seiner Familie:

„I have stayed here longer than I intended, for the country seems to me very interesting and because in the future we shall have much to do and to deal with Japan.“ (Rizal: Reminiscences; 291).

Man kann Vermutungen darüber anstellen, warum Rizal gerade jene oben angeführten Beobachtungen macht. Folgt man den theoretischen Grundannahmen der interkulturellen Wahrnehmungsforschung, dass ein Beobachter fremder Kulturen zu allererst das Eigene, ungeachtet, ob es sich um Bekanntes oder Wünschenswertes handelt, erkennt, dann könnte man vermuten, dass Rizal in der japanischen Gesellschaft sein Idealbild einer philippinischen Gesellschaft erkannte. Um diese Vermutung zu untermauern, ist es notwendig, sich einigen Grundüberzeugungen Rizals zuzuwenden. Rizals Grundüberzeugungen lassen sich in solche aus dem politischen und dem christlich-moralischen Bereich einordnen. Grundlegendes über seine Gedanken zur politischen Situation auf den Philippinen erhält man aus seinem Werk Noli me

225 Siehe José Rizal: Letters between Rizal and Family Members, National Heroes Commission Edition, Manila, 1964, Bd. 2; 272, ders.: Reminiscences and Travels of José Rizal (1878-1896), José Rizal National Centennial Commission, Manila, 1961; 290-1 sowie ders.: Rizal-Blumentritt Correspondence; 163-4.

144 tangere. In Noli me tangere, wie auch in seinem späteren Buch Il Filibusterismo, kritisiert Rizal scharf die Macht der katholischen Orden und der spanischen Kolonialbeamten auf den Philippinen. Er bezeichnete deren Herrschaft als Krebsgeschwür der philippinischen Gesellschaft. Die Analogie aus der Medizin ist sicher Rizals Ausbildung als Arzt geschuldet, doch kann er mit dieser Metapher deutlich die gesellschaftlichen Probleme in seinem Land abbilden. Auch die Bekämpfung der Krebskrankheit des Protagonisten in seinem Buch stellt eine Analogie zum als krank empfundenen Zustand der philippinischen Gesellschaft dar: nicht die Operation des Geschwürs (also die ‚Entfernung’ der Kolonialmacht) empfiehlt Rizal als Behandlungsmethode sondern die sukzessive Medikation. Damit diskutiert er in dem Buch auch die Vor- und Nachteile von Revolution (Operation des Krebsgeschwürs) versus Reform (Medikation des Krebsgeschwürs). Offensichtlich ist dabei seine Nähe zu einem reformerischen und aufklärerischen Standpunkt, zu einer gradualen, nicht aber radikalen Position (vergleiche Bemerkungen in der Einleitung zu diesem Kapitel über Gradualismus vs Radikalismus). Rizal lehnte also eine radikale und gewaltsame Vorgehensweise gegen die spanische Kolonialmacht ab.226 José Rizal war mehr als die meisten seiner politischen Mitstreiter um die moralische und sittliche Verfaßtheit der Filipinos bemüht. So sieht Rizal das größte Übel der philippinischen Gesellschaft in ihrem moralisch unreifen Zustand. Dem scholastisch-moralischen Gedanken seiner christilichen Erziehung entsprechend, ging Rizal davon aus, dass die Menschen von Grund auf moralisch gut seien und dass sie danach strebten, ihre guten Eigenschaften weiter zu entwickeln. Unglücklich und faul würden die Menschen, wenn sie dieser Möglichkeiten beraubt und in Unfreiheit belassen würden und sich persönlich-moralisch nicht enfalten könnten. Er schrieb:

226 Rizal schilderte in seinen Briefen aus Japan, dass er mit den spanischen Diplomaten in engem Kontakt stehe und mit ihnen zusammen das Land bereise. Für einige Zeit wohnte er während seines Aufenthaltes in Japan in der spanischen Gesandtschaft in Yokohama, siehe Rizal: Letters; 195. Diese auf den ersten Blick befremdliche Nähe zur Kolonialmacht erklärt sich aus Rizals gemäßigter politischer Position und seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Unabhängigkeitsforderungen des radikalen Flügels der Nationalbewegung.

145 „Deprive a man...of his dignity, and you not only deprive him of his moral strength but you also make him useless even for those who wish to make use of him. Every creation has its stimulus, its mainspring: man’s is his self-respect.“227

Die moralisch-ethischen Kategorien, in denen José Rizal denkt und schrieb, prägten auch seine Wahrnehmung Japans. Die dem japanischen Volk attestierte moralische Reife, so könnte man Rizal interpretieren, zeugt von einer Regierung, die dem Individuum eine persönliche und moralische Entwicklungsfreiheit sichere. Somit wird das japanische Gesellschaft- und Herrschaftsgefüge in zweifacher Hinsicht für Rizal maßgeblich. Zum einen besteht ein Wohlwollen zwischen Regierenden und Regierten und zum zweiten stellte Japan ein Beispiel für die Realisierbarkeit der Idealvorstellungen Rizals von einer moralisch und sittlich integrem Gemeinschaft dar. ‚Japan’ ist für Rizal ein Ideal moralisch-politischen Handelns.

227 Siehe Majul: Constitutional Ideas; 23 sowie Austin Craig: Rizal’s Life and Minor Writings, Manila, Philippine Education Company, 1927; 198. Wenn die Revolutions- und Unabhängigkeitskämpfer Marcelo del Pilar, Mabini oder Andres Bonifacio (s. u.) über Freiheit als politische Rechte sprachen, dann dachte Rizal in erster Linie an Freiheiten, die persönliche Freiheiten waren und die er als Grundlage einer guten und moralischen Gesellschaft verstand. Er schrieb: “Now, many have taken the phrase "to have liberties" to be the same as "to have independence" but these are two entirely different things… a people can be free without being independent, and a people can be independent without being free. I have always desired liberties for the Philippines, and to this effect I always expressed myself. Those others who testify that I have said independence have either mistaken the tail for the ears of the animal or they are lying”, siehe Craig: Writings; 349 (Rizal schrieb diese Worte kurz vor seiner Hinrichtung in Fort Santiago im Dezember 1896. Es ist nicht auszuschließen, dass er hier im Besonderen seine anti-revolutionäre Haltung demonstrieren wollte, da ihm der Vorwurf der Anstachelung zur Revolution gemacht worden war). Freiheit stellte in dieser Hinsicht die persönliche und moralische Freiheit zur Entwicklung dar. Bevor den Filipinos mehr politische Freiheit und politisches Mitspracherecht eingeräumt werden sollten, müsste erst ihre geistige und moralische Integrität gestärkt werden. Ein systematischer Vergleich zwischen José Rizals Vorstellungen von Freiheit und denen von Fukuzawa Yukickhi wäre sicher erkenntnisreich. Beide Autoren sehen gleichermaßen die persönliche Freiheit als Voraussetzung für eine gesellschaftliche Freiheit, doch setzen sie andere Schwerpunkte. Fukuzawa erachtet das Ziel, die gesellschaftliche Freiheit als Endzweck der persönlichen Entwicklung, wobei Rizal das Streben nach persönliche Freiheit an sich bereits als Endzweck betrachtet. Auch bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung äußern sich beide ähnlich. Hier kann nur in Kürze Rizal zitiert werden: „...that the most flourishing countries today date their development and well-being from the day they got their liberty and civil rights... The most commercial and most industrious countries have been the freest countries. France, England and the United States prove this, Hongkong, which is not worth the most insignificant island of the Philippines, has more commercial activity than all our islands put together, because it is free and well-governed“, siehe Sobre la Indolencia de los Filipinos (iv); 566. Die Verhinderung der Entwicklungsmöglichkeiten zur moralischen Reife des philippinischen Volkes hatten nach Rizals Auffassung die Vertreter der spanischen Bürokratie und Kirche zu verantworten. Sie hätten den moralisch schlechten bzw. ‚kranken’ Zustand, wie er in Noli me tangere schreibt, verursacht, siehe Majul: Constitutional Ideas; 23.

146 ii. Rizals Japan ist nicht asiatisch

Obwohl Rizals Wertschätzung für die japanische Moral hoch war, so übersteigerte er die Bewunderung nicht zu einer ‚asiatischen’ Gemeinsamkeit, zu einem Entwurf eines ‚christlich-europäischen Asiens’ zwischen Japan und den Philippinen. Zu differenziert sind seine Beobachtungen und Reflektionen. So bemängelte Rizal, dass die japanische Oberschicht sich in übertriebener Weise zu europäisieren versuche. Er schrieb am 4. März 1888 an seinen böhmischen Freund Blumentritt:

„Hier haben Sie Ihren Freund Rizal, den Wunder aller Japaner, weil er wie ein Japaner aussieht und doch versteht nicht Japanisch. Wenn ich auf die Strassen spaziere gehe und etwas kaufen will, dann machen sie grosse Augen und einige unartige Buben lachen über mich, weil ich eine ganz besondere Sprache spreche. In Tokyo nämlich giebt es sehr wenige Leute die Englisch können, nicht wie in Yokohama. Manche bilden sich vielleicht ein, dass ich ein ganz europäisierter Japaner bin, der seine Muttersprache geringschätzt und schämt sich für einen Japaner gehalten zu werden. Dieser Fall kommt häufig auf den Philippinen unter den Spanisch-Mestizen vor; warum wird es hier nicht vorkommen hier wo alle Nationalcharakter vertilgt wird? Die frühere japanische Frauen-Kleidung war und ist sehr schön: warum will man die steife und unbequeme europäische Tracht hier einsetzten,...? Die Frauen doch des Volkes sind, Gott sei Dank, noch nach der alten Mode bekleidet; es sind die reichen Damen die sich europäisieren wollen: sie sehen ganz erbärmlich aus. Gewiss, die Japanerinnen müssen die europäischen Stiefel und Schuhe anziehen anstatt der abscheulichen und unbequemen japanischen Socken; europäische Stiefel können ja sehr gut japanische Kleider ertragen [sic].“ (Rizal: Blumentritt-Correspondence; 164 ff.).

In diesem Zitat lässt sich erneut die Konfliktlinie zwischen einem ‚oben’ und einem ‚unten’ in der Gesellschaft erkennen. Rizal betont hier den Aspekt seiner Sorge um die Moral und Rechte der kleinen Leute. Die japanische Akkulturationsproblematik kann der in einem Umfeld hybrider Identitäten sozialisierte Rizal zwar nachvollziehen, doch bringt er ihr wenig Verständnis gegenüber auf. Vielmehr scheint das Nebeneinander der eigenen und der westlichen Kultur etwas Normales für ihn zu sein. Rizals Wahrnehmung ist nicht in einem asiatisch-europäisch binären Gegensatz verhaftet. 228

228 Über die zeitgenössische japanische Sicht auf die Person José Rizals gibt ein anonymer Autor in der Zeitschrift Taiyô [Die Sonne] im Jahre 1899 (6) Auskunft. Er bezeichnet dort Rizal als den ‚Tolstoi’ der Philippinen, womit auf die pädagogischen Ziele Rizals angespielt wird, Moral und Werte den Filipinos zu vermitteln. Im Jahre 1902 kommentierte der japanischen Christ Kawakami Kiyoshi 河上清 (1873-1949) Rizals Noli me tangere, welches er auf Englisch gelesen hatten unter dem Titel Eine Lesart von Noli me tangere [ノリ・メ・タンヘレを読む], erschienen bei Yorozu tyôhô [万朝報]. Ein Jahr später übersetzte Yamada Bimyo 山田美みょ das Werk und gab ihm dem Titel Tränen aus Blut [{血の涙} Chi no namida]. 1922 erscheint

147

D. Ost gegen West i. Japan als imperialer Raum

José Rizal stand mit einer Gruppe von Filipinos in Kontakt, die, wie er selbst, politische Reformen von der spanischen Kolonialmacht forderten und zum gemäßigten Flügel der philippinischen Nationalbewegung gerechnet werden können. Auch sie waren an den höheren Bildungseinrichtungen auf den Philippinen ein weiterer Beitrag, welcher den Nationalhelden würdigt, siehe Mikami Norinaga: Hiripin jijô [Philippinische Angelegenheiten], erschienen bei Takushoku shinpôsha [拓殖新報社]. Erst im Zusammenhang mit dem Wiederaufleben der japanisch-philippinischen Kontakte in den 1930er Jahren und der Propagierung eines japanischen Pan-Asianismus erfährt die Person Rizals in Japan stärkere Aufmerksamkeit. Im Jahre 1943 inspirierte seine Figur den Japaner Hanano (Kano) Tomizô 花野富蔵, der ein Buch mit dem Titel Überlieferungen von José Rizal [{ホセ・ リサル 伝} Hose risaru den] über den philippinischen Freiheitskämpfer schrieb. Dieser während des Krieges und der japanischen Besatzung der Philippinen entstandene Text muss im Kontext der Kriegssituation gelesen werden. Es heißt dort, dass Rizal die Japaner im Gegensatz zu den anderen Asiaten bei seinem Besuch 1888 als besonders freundlich und aufmerksam wahrgenommen habe. In einem fiktiven Dialog, den Rizal mit einem Mitreisenden führt, äusserte Rizal sich überrascht, dass die Japaner schon 1888 eine Eisenbahn gebaut hätten. Er kenne dies zwar aus Europa, aber er sei sehr erstaunt, solches in Japan zu sehen. Japan habe die Technik aus Europa viel schneller aufgenommen als die Philippinen, obwohl diese schon seit Jahrhunderten unter europäischem Einfluss gestanden hätten. Außerdem seien die Japaner ein stolzes Volk geblieben, weil sie niemals kolonisiert worden seien. Besonders habe Rizal das kabuki-Theater und der seppuku (rituelle Selbstmord) interessiert. Auch habe sich Rizal weder in Spanien noch auf den Philippinen so wohlgefühlt wie in Japan, wo er sich allein aufgrund seiner asiatischen Rasse nicht als Ausländer, sondern als Asiate gefühlt habe. Rizal habe schon 1888 den eigentlichen Charakter der Japaner erkannt: dass sie europäische fortschrittliche Technik benutzen könnten und trotzdem japanisch blieben. Sie strebten nach einer ungebrochenen Harmonie zwischen japanischer und westlicher Kultur, siehe Hanano Tomizô: Hose risaru den [Überlieferungen von José Rizal] (Nishimura shoten, Tokyo, 1942). Zweifellos passen die Rizal in den Mund gelegten Äusserungen in die Rhetorik der Großostasiatischen Wohlstandssphäre, in der aus dem ‚südostasiatischen’ Raum ein asiatischer Raum zu konstruieren versucht und die gewünschte Bewunderung der Südostasiaten durch historische Bezüge zu belegen versucht wurde. Dass heute am Rande des Hibya-Park in Tokyo stehende Rizal-Denkmal stammt von 1943.

148 ausgebildet worden und verbrachten Teile ihres Studiums im europäischen Ausland.229 Wie auch für Rizal, der seine beiden literatischen Hauptwerke in Europa (Noli me tangere in Berlin und El filibusterismo in Gent) veröffentlichte, bot der Aufenthalt in Europa den Mitstreitern Rizals eine bessere Möglichkeit, ihre politischen Forderungen zu artikulieren. Etwa zeitgleich mit der Veröffentlichung von Rizals Roman Noli me tangere im Jahre 1888 formierten sich einige dieser Filipinos, die Filipino ilustrados, in Madrid zur sog. Propaganda-Bewegung. 230 Welchen Raum ‚Japan’ in ihrem Emanzipationsdiskurs einnahm, soll im Folgenden gezeigt werden. Die ilustrados forderten mehr politische Mitsprache- und Partizipationsrechte für die Filipinos auf den Philippinen sowie das Vertretungsrecht in der cortes. Die spanische Hauptstadt bot ihnen für die Artikulation dieser Anliegen mehr Möglichkeiten als es sie auf den Philippinen gab. Im Gegensatz zu strenger Zensur auf den Philippinen, wo spanische Mönche und Beamte in dieser Hinsicht Willkür walten lassen konnten, herrschte in Madrid unter der Restaurationsregierung von Maria-Christina von Österreich, der Mutter des noch minderjährigen Königs Alfonso des XIII., ein vergleichsweise liberales geistiges Klima und eine vergleichsweise freie politische Diskussion. Das Spektrum der politischen Wortführer in Madrid reichte von den Carlisten, die für eine Wiedererrichtung der absolute Monarchie kämpften, über Verfechter einer konstistitutionellen Monarchie nach britischen Vorbild bis hin zu den Republikanern. Das publizistische Sprachrohr der Propaganda-Bewegung war die vierzehntägig erscheinende Zeitschrift La Solidaridad. Die erste Ausgabe erschien am 15. Februar 1889 in Barcelona. Der dortige Herausgeber, Graciano Lopez Jaena, übergab Anfang 1891 die Leitung der Zeitschrift an Marcelo del Pilar (1850-1896) in Madrid, vier Jahre später, im November 1895, wurde ihr Druck aufgrund fehlender

229 Neben Madrid, das den größten Zulauf von philippinischen Studenten erhielt, wurden Hongkong, London und Paris als Studienorte gewählt. Craig berichtet z. B. von drei Familien, die das Studium ihrer Kinder in Europa unterstützten und später dorthin auswanderten: Die Familie Basa ging nach Hongkong, die Familie Taveras nach Paris und die Familie Regidors nach London, siehe Austin Craig: The Filipino´s Fight for Freedom (New York, AMS Press Inc., Manila, 1933, rev. Aufl. 1973; 267). 230 Siehe John Schumacher: The Propaganda Movement: 1880-1895. The Creators of a Filipino Consciousness, the Makers of the Revolution, Manila, Publication House, 1973.

149 Gelder wieder eingestellt. 231 Die Solidaridad stellte das zentrale Organ der ilustrados dar, um die politischen Ansichten und Forderungen der Filipinos in Madrid einer breiteren spanischen Öffentlichkeit und den politischen Machthabern zu vermitteln. Die spanisch-sprachige Zeitschrift wurde auch nach Manila verschickt, doch war ihre Verbreitung dort von den Behörden verboten worden. Die politischen Ziele der ilustrados wurden in der ersten Ausgabe der Solidaridad dargelegt. Das Hauptanliegen ihrer Forderungen war die Vertretung der Filipinos in der cortes sowie die rechtliche Gleichbehandlung von Filipinos und Spaniern. Es heißt dort:

„We want a dignified, free and prosperous country in whose horizons can be seen with clarity the splendor of the sun of justice and of civilization. We want a regime of democracy, a genuine and effective autonomy of the human individuality as against the enslaving pretensions of an ambitions that nourishes its life in the absorption of the rights of the people...We want a good government and a good administration. We want for our country the right to be represented in the cortes: not a single Representative, not a single Senator is defending its interests in the Spanish Parliament. Its government is dependent, in Madrid, upon the Minister of the Ultramar who, by and for itself, legislates and governs the Philippines through Royal Orders, while in Manila, the Governor-General executes and annuls the orders of the Ministers. We want our country declared a Spanish province, with all the rights and obligations.“ weiter heißt es:„…to fight against the reaction, to stop all reactionary measures, to adopt and promote all liberal ideas, to uphold progress.“ (Solidaridad, 15.02.1889)

Die ilustrados distanzierten sich von den Forderungen nach einer politischen und rechtlichen Unabhängigkeit der Philippinen von Spanien. Ziel ihrer Forderungen war die Herstellung des Status einer spanischen Provinz, womit die rechtliche Angleichung der Philippinien an spanisch-römisches Recht gemeint war. Inwieweit die ilustrados jedoch ihre Forderungen ausweiteten oder zurücknahmen, kann in jenen Ausgaben nachvollzogen werden, die fünf Jahre später erschienen, im Jahre 1894. Während dieser Zeit wurde ‚Japan’ eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit eingeräumt. Zu diesem Zeitpunkt war Marcelo Hilario del Pilar Herausgeber und Redakteur der Zeitung. Pilar hatte, wie die meisten der ilustrados, am San José- Kolleg in Manila studiert, später graduierte er im Jahre 1880 an der Santo Tomas- Universität. Anfang 1894 hätte Pilar mit finanzieller Unterstützung der Propaganda-Bewegung nach Japan reisen und dort Kontakte zu japanischen

231 Siehe Solidaridad, aus dem Spanischen übersetzt und mit einem Vorwort von John S. Schumacher, University of the Philippines Press, 1966, hier Neuauflage von 1996; xi. Die Ausgabe ist Grundlage für das folgende Kapitel.

150 Politikern aufnehmen sollen, eine Unternehmung, die jedoch niemals über das Planungsstadium hinaus gekommen war (Solidaridad; iii, ix). Mitte August 1894 schrieb Marcelo Pilar einen Leitartikel über den Chinesisch- Japanischen Krieg, der am 1. August 1894 ausgebrochen war. Die Kriegserklärung war von China an Japan erfolgt und wurde mit der am 8. Juni erfolgten Besatzung des koreanischen Hofes durch japanische Truppen begründet. Hintergrund des Chinesisch-Japanischen Krieges war die Niederschlagung der pro-japanischen Tonghak-Revolte am koreanischen Hof durch chinesische Truppen, deren Einmarsch nach Korea die Abmachung des Vertrages von Tientsien aus dem Jahr 1885 verletzte. Der japanische Kriegsminister Yamagata Aritomo beantwortete das Vorgehen Chinas mit der Entsendung japanischer Truppen an den koreanischen Hof (siehe II 1 B.). Pilar nimmt in seinem Leitartikel vom 15. August 1894 den Kriegsausbruch zum Anlaß, eine Analogie zwischen der Situation auf den Philippinen und jener in Korea zu ziehen. Dabei übernehmen die philippinischen ilustados die Rolle der progressiven (und pro-japanischen) koreanischen Kräfte, Spanien als Kolonialmacht wird mit China verglichen. Pilar warnt seine spanischen Leser, dass eine ähnliche Konfliktsitutation wie in Korea auch auf den Philippinen entstehen könnte. Pilar skizziert das Szenario, dass Japan gleichermaßen seine Truppen auf die Philippinen entsenden könnte und dort die progressiven, philippinischen (und anti-spanischen) Kräfte unterstützen könnte. Er mahnt:

„...if Spain does not anticipate the needs of the Philippines, if she allows herself to be taken by surprise, than it would be impossible to extrivate that country form the influence of the new currents being established in the Far East. We have said it more than once: the Spanish flag will be perpetuated in the Philippines by Filipinos, but against the Filipinos, this is impossible.“

Die vage Sprache Pilars läßt viele Fragen offen, vielleicht ist es aber auch die mögliche Vieldeutigkeit einer Interpretation, die Pilar anstrebt. Es wird nicht klar, ob Pilar die Analogie zwischen den Philippinen und Korea als Warnung vor einem japanischen Expansionsdrang äussert oder ob seine Worte auch eine Warnung vor dem radikalen Flügel der philippinischen Widerstandsbewegung darstellen, deren Anhänger mit japanischen Waffenhändlern in Kontakt standen (siehe III 1 F.). Offenbar jedoch diente die japanische Aggression als Vorwand, um der spanischen Kolonialmacht die Bedeutung der philippinischen Unterstützung im Kampf gegen

151 den neuen, imperial agierenden Akteur im Osten, Japan, zu verdeutlichen: Eine Ausweitung der japanischen Expansion auf die Philippinen könne nur verhindert werden, wenn die spanische Kolonialmacht mit den Filipinos gemeinsam die Philippinen verteidigten: Japan wurde zu einem imperialen Konkurrenten Spaniens in Ostasien, zu einer nach imperialem Muster expandierenden Nation. Pilars rhetorische Strategie zielte darauf ab, ‚Japan’ einerseits als Feind Spaniens und andererseits als potentielle neue koloniale (Schutz-) Macht der Filippions zu postulieren. Er trifft mit seiner Analyse dabei auf einen empfindlichen Nerv der spanischen Kolonialmacht, die mit Sorge bereits schon im Jahre 1875 die Annexion der südöstlich der japanischen Hauptinseln liegenden Ogasawara-Inseln, die nicht weit von den spanischen Marianen entfernt waren, zur Kenntnis hatte nehmen müssen (siehe II 2 B.). Die Pläne der Errichtung einer japanischen Kolonie auf Taiwan im Falle eines Sieges gegen China verstärkten die Befürchtungen über eine japanische Expansion in die unmittelbare Nähe der spanischen Philippinen. Anlass zu dieser Annahme gaben öffentliche Äußerungen in der japanischen Presse, die erkennen ließen, dass Japan tatsächlich die Inbesitznahme Taiwans anstrebe.232

Drei Monate später, am 15. Oktober 1894, sind die Worte Pilars bereits deutlicher. Er stellte ‚Japan’ nun als Expansionsmacht im Osten dar und führt die territorialen Erwerbungen Japans in Ostasien auf: die Einnahme der Ryûkyû-Inseln (1874-9), die Ausehnung der japanischen Grenze ins nördliche Hokkaidô sowie die Ausdehnung des japanischen Einfluss auf die Kurilen. Deutlicher als zuvor benennt Pilar die Gefahren, die sich für Spanien ergäben, wenn es zu keiner Entschärfung der politischen Situation auf den Philippinen komme. Die rigorose Haltung Spaniens stärke den radikalen Flügel innerhalb der Emanzipationsbewegung und mache ihn anfällig für Verführungen und Verlockungen durch japanische Pan-Asiaten. Diese Zeilen legen die Vermutung nahe, dass Pilar aus der Schilderung des Kriegsgrundes und der Kriegssituation in Korea einen rhetorischen Nutzen für den gemäßigten

232 Siehe Nisshin-jiken to shogaikoku-Supein koku [Der Chinesisch-Japanische Krieg und das andere Land: Spanien], in: Nippon, 3. Oktober 1894 sowie Nippon no taibo [Die Hoffnungen Japans], in: Nippon; 12. Dezember 1894 (s. Quellenverzeichnis Japan). Dass Spanien nach Ende des Chinesisch-Japanischen Krieges auf eine Klärung der Besitzverhältnisse im westlichen Pazifischen Ozean drängte, wurde durch den auf Spaniens Initiative zurückgehenden Vertrag mit Japan vom 7. August 1897 deutlich, in dem die gegenseitigen Gebietsansprüche im Westpazifik geregelt wurden.

152 Flügel der Emanzipationsbewegung gewinnen will. Er schreibt am 31. Oktober 1894 in der Solidaridad:

„We recommend these considerations to appreciate in its just value the danger that Japan could offer, not in its policy of invasion, but in inspiring and formenting in the Philippines the ideas of emancipation from Spain and constituting herself an independent nation, with or without the protection of Japan or any other colonizing power. ... If it were possible to live a free life in the Philippines as it is lived in Hongkong and Singapore, Japan and other countries surrounding it, would emancipationist propaganda from any foreign nation be worth it for the Philippinos? ... We can well understand that if Japanese redemptionist propaganda were effective in Korea, it could not be so in the Philippines, if the Spanish governors conducted themselves in a way they do not.”

Pilar beschreibt die für die spanische Kolonialmacht vom radikalen Flügel der Emanzipationsbewegung ausgehenden Gefahren und stellt sie in den Zusammenhang einer möglichen japanischen Expansion. Die logische Folge für Spanien müsse lauten: nur durch Zugeständnisse an die gemäßigten Filipinos sind die Philippinen für Spanien (und gegen die japanische ‚Imperialmacht’) zu halten. ii. Japan als Zivilisation im Osten

In einem ganz anderen Licht wird Japan vier Monate später dargestellt. Am 15. Januar 1895 erscheint in der Solidaridad eine ausführliche und umfangreiche Schilderung der japanischen Kultur und Geschichte. Besondere Erwähnung erhalten die seit dem 16. Jahrhundert in Japan versteckt lebenden Christen. Der Palast des shôgun und einzelne Schreine werden beschrieben, der Palast des tennô wird im Detail nachgezeichnet. Immer wieder werden die europäischen Einflüsse hervorgehoben. Es folgen Ausführungen über die Marine sowie westlich orientierte Politiker wie Itô Hirobumi, Ôkuma Shigenobu und den tennô Mutsuhito. Die Charaktereigenschaften und die integre Haltung der Japaner werden herausgestellt, ihre Moralität und ihr Lerngeist:

„The Japanese officials unconsciously inspire sympathy. They are very modest in dealing with others, always willing to learn from the foreigner, and very courteois; yet at the same time display masculine energy and firm resolve. The moral valour of these Japanese officials is at an extraordinarily high level. Being almost exclusively shizoku or descendants of samurai families, these officials still retain the lofty concepts of point of honor and personal valour which distinguishes that class in the Japanese nation.“

153 Die den Japanern gegenüber ausgedrückte Bewunderung wurde jedoch erneut in eine rhetorische Drohung gegenüber Spanien weiterentwickelt. Der dahinter stehende Mechanismus ist ähnlich dem des vorangegangenen Beispiels, nur spricht Pilar jetzt von einer möglichen Allianz der liberalen ilustrados mit den Japanern. Pilar appelliert am 31. Januar 1895 in der Solidaridad an Spanien:

„The state of events forming in Asia is of immediate importance for the relations that unite Spain and the Philippines ... The civilizing procedure, recognized by the whole world between the metropolis and the colonies, consists in the exchange of products for the material, and the exchange of ideas for the moral. What happens between Spain and the Philippines is precisley everything that creates obstacles to Spanish Filipino exchange...What exchange of ideas could there be between Spain and the Philippines with this regime of mutual alienation? What educative acts can Spain attain with the Filipinos when she not only prevents them from speaking but also does not allow them to listen? When Spanish educative goal is placed in this perspective, it is not a given that the Filipino desire for the prestige of any civilization program that Japan could present be dissipated?“

Es ist ein weiterer Aspekt dieser Darstellung zu entnehmen. Nicht nur wird Japan als ein Raum der Zivilisation beschrieben. Pilars Wortwahl läßt auch den Eindruck entstehen, als sei es eine freie Entscheidung der Filipinos, ob sie Spanien oder Japan als ‚Zivilisations-Führer’ auswählten. Vor dem Hintergrund der langjährigen spanischen Kolonialherrschaft dürfte sich diese Entscheidungsfreiheit für die Filipinos so nicht gestellt haben – Pilars Sichtweise mag mehr auf dem Wunsch der Selbstbestimmung beruht haben.

Als am 2. Februar 1895 der Großteil der verbliebenen chinesischen Marine von japanischen Kampfschiffen in Wei-Hai-Wei vernichtet wurde, zeichnete sich die militärische Niederlage Chinas im Krieg gegen Japan ab. In den Ausgaben der Solidaridad vom März und April des Jahres 1895 analysiert Pilar mit großer Kenntnis der politischen Interessenlage der Westmächte in Ostasien die Nachkriegssitution. Er bemerkt, dass Russland, Deutschland und Frankreich über den Sieg Japans überrascht seien und aufgrund der Vertragsvereinbarungen von Shimonoseki vom 17. April eine Verschiebung der Machtverhältnisse in Ostasien zu ihren Ungunsten befürchteten. Es werden die Bedingungen des Vertrages von Shimonoseki genannt: China müsse alle Rechtsansprüche auf Korea, die Pescadores-Inseln, Taiwan und die Liaodung-Halbinsel an Japan abtreten sowie 230 Mio. Dollar Kriegsentschädigung zahlen. Japan erhielt die gleichen Exterritorialitätsrechte in China wie sie für Europäer und Amerikaner galten. Über

154 die Drei-Mächte-Intervention der drei Großmächte Russland, Frankreich und Deutschland während der sich anschließenden Vertragsverhandlungen entrüstete sich Pilar. Russland und sein europäischer Verbündeter Frankreich würden auf Kosten des japanischen Sieges nun ihre Interesse durchsetzen können. Dies betraf die Besetzung des eisfreien Hafens Port Arthur (Liaodung-Halbinsel). Deutschland könne nun seinen imperialen Bestrebungen nachgehen, die chinesische Provinz Qingdao zu einem Einflußgebiet zu machen. Pilar empörte sich, dass es einer asiatischen Macht verweigert würde, eigenständig einen Friedensvertrag zu schließen. Die hier bekundete Solidarität mit Japan diente erneut dem Zweck, die asiatischen Kolonien und Länder nicht als bloße Räume westlicher Imperialpolitik anzusehen, sondern sie als gleichwertige Partner zu betrachten. Die zivilisatorische Gleichwertigkeit Japans mit westlichen Nationen beschrieb Pilar in der Ausgabe der Solidaridad vom 31. Juli 1895. Er schreibt dort über Japans Entwicklung zu einer ‚civilised nation’ und macht deutlich, dass die militärische Stärke die Folge einer sozialen und politischen Veränderung sei:

„Japan did not only attend to its military power as we believed at first glance. Its transformation affected all the organisms of its national live; principally those of deep and permanent action, instruction, education, and social culture in all its aspects, public work, adminstration of the country’s life force, and as a complement to all this and as a means of giving satisfaction to innate needs, the creation and organization of navel and land military forces that gurarantee the supremacy to which they already have a right.“

Die Berichterstattung über Japan wurde bis zur Einstellung der Zeitung im November 1895 fortgesetzt.

E. Quellen des Wissens: Dritte sehen Japan

Am Ende dieser Ausführungen über die Japanrezeption im philippinischen Emanzipationsdiskurs, sollen einige Anmerkungen zu den Quellen des Wissens über Japan gemacht werden. Nach Japan selbst ist keiner von den in Madrid lebenden ilustrados gereist, soweit dies nachvollziehbar ist. Einen Großteil der Information über Japan dürften Pilar und seine Mitstreiter aus westlichen Zeitungen erhalten haben. Dies belegen Verweise auf die Hongkong Daily Press und die Times (Solidaridad, 31.07.1895, Solidaridad, 31.12.1894). Besonders die spanische Sicht der geopolitischen Lage in Fernost wird immer wieder aufgegriffen und

155 kommentiert. An verschiedenen Stellen befinden sich in der Solidaridad Zitate des spanischen Staatsministers für die Überseebesitzungen, Segismundo Moret y Prendergast233 oder Artikel aus anderen spanisch-sprachigen Zeitschriften wie der Pais, El Liberal, La Justicia und El Resumen. Zudem erschienen Berichte europäischer Asien-Reisender, wobei teilweise nicht eindeutig identifizierbar ist, ob Teile dieser Reiseberichte aus anderen Zeitungen übernommen wurden oder direkt für die Solidaridad angefertigt worden sind. Ein Leutnant ‚Colonel Leopoldo de Medina der österreichischen Marine’234 schreibt einen Fortsetzungsartikel mit dem Titel An Asiens Küsten und Fürstenhöfe, Momentoes of the Japanese Empire. Viele Aspekte seiner ausführlichen Beschreibungen werden von Pilar in dessen eigenen Artikel nahezu wortgleich wiedergegeben (Solidaridad vom 15. November 1894, 139; 15. Januar 1895, 143; 31. Januar 1895, 144).235 Ruft man sich in Erinnerung, dass José Rizal ebenfalls auf die Schilderungen Ferdinand Blumentritts rekurrierte in seinen Einschätzungen über Japan, so kann man festhalten, dass Japanwissen auch über die Wahrnehmung durch Dritte und deren selektiver Sichtweise vermittelt scheint.

F. Militärische Hilfe aus Japan für den Unabhängigkeitskampf auf den Philippinen

Was für die ilustrados in Spanien ein Kampf mit Worten und Argumenten um die Ausweitung der politischen Mitsprache und Partizipation war, war für eine Gruppe radikaler und teils militanter Gegner der Kolonialherrschaft, den Anhängern der katipunan [Gesellschaft der Landeskinder], auf den Philippinen ein Kampf mit

233 Z. B. schrieb Moret y Prendergast am 15. August 1895: „All these things today stand stronger, wealthier, more powerful, more susceptible to new developments, and more productive in assets when we contemplate with thoughtful attention what Japan’s rebirth means for the Philippines and what the revelation of this new power means for the civilized world.“ 234 Es ist aufgrund des Namens fraglich, ob es sich hier tatsächlich um einen Leutnant der österreichischen Marine gehandelt hat. 235 Es kommen weitere Marine-Offiziere zu Wort. Ein Herr Rubino wird aus einem spanischsprachigen Journal namens Revista de la marina [Marine Journal] zitiert, ebenso wie Leutnant Man~eru und Leutnant Gonzalo Reparaz, siehe Solidaridad vom 31. Januar 1895, 144.

156 Waffen.236 Im Gegensatz zu den in Madrid lebenden Filipinos waren sie mit den Auswirkungen der spanischen Kolonialherrschaft direkter konfrontiert. Ihr Artikulationsmittel war nicht die Schrift sondern der Aufruf zum bewaffneten Kampf für die Unabhängigkeit der Philippinen von Spanien. Eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen ihnen und der spanischen Kolonialmacht zog sich über das Jahr 1897 hin, nach dem die katipunan um die Jahreswende 1896/7 die Revolution ausgerufen hatten. Im November 1897 schlossen beide Parteien im nördlich von Manila gelegenen Biak na Bato einen Waffenstillstand. Auch die katipunan-Anhänger blickten nach Japan. Sie erhofften sich von dort Waffenhilfe in ihrem Kampf gegen die spanische Kolonialmacht. Die Anspielungen Pilars auf Japans Rolle als strategischem Partner im Kampf gegen die spanische Kolonialmacht waren also nicht unbegründet (siehe III 1 D i.). Die Verbindungen der katipunan mit japanischen Aktivisten aus dem Umkreis des Militärs sind in der Forschung bereits gut dokumentiert237 und sollen hier vor allem der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Zudem konnte die Verfasserin während der Quellenarbeit zu den japanischen nanyô-Bildern interessante Querverbindungen zu Personen und Sachverhalten ausfindig machen. Eine Auflistung jener Filipinos, die im untersuchten Zeitraum nach Japan gereist sind, befindet sich am Ende dieser Arbeit (siehe V B.).

Die ersten Kontakte zwischen den katipunan-Filipinos und Japanern ergaben sich kurz vor Ausbruch der philippinischen Revolution Ende des Jahres 1896, als sich eine im Hongkonger Exil befindliche Splittergruppe der Unabhängigkeitsbewegung um den katipunan-Führer Emilio Aguinaldo (1869-1963) an die japanischen Pan- Asiaten Suzuki Tsunenori und Sakamoto Shirô (siehe II 2 B. sowie II 2 C iv.) wandte, um Waffenhilfe von Japan zu erbitten. Der Kontakt zwischen Sakamoto Shirô und der Hongkonger Exilgruppe scheint durch José A. Ramos hergestellt worden zu sein, einem seit 1895 in Yokohama lebenden Filippino.238 Obwohl die

236 Unter ihnen waren Emilio Jacinto (1875-1899), Absolvent des San Juan College und der Santo Tomas Universität, und Andres Bonifacio (1863-1897), ebenfalls Absolvent der Santo Tomas Universität, siehe Dahm: Emanzipationsversuche; 46-7. 237 Vergl. Zaide: The Philippine Revolution, Constantino: Past Revisited, Kapitel 10-16, Saniel: Japan, Kapitel 6 sowie Epistola; The Hongkong Junta. 238 Etwa zur selben Zeit, als Pilar seine Artikel in der Solidaridad über den Chinesisch- Japanischen Krieg verfaßte, entschloss sich José A. Ramos aufgrund seiner Verwicklungen in die Aktivitäten der philippinischen Widerstandsbewegung in Manila die Philippinen zu

157 ersten Kontaktanbahnungen aus verschiedensten Gründen erfolglos blieben (Epistola: Hongkong Junta), wurden die Kontakte nach drei Jahren wieder aufgenommen (Saniel: Japan; 225, 237). Vertreter der Hongkonger Gruppe, dieses Mal Teodore Sandiko, Mariano Ponce und Faustino Lichauco, wandten sich erneut an Japan um nun im Kampf gegen die neue Kolonialmacht, gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, Unterstützung zu erhalten. Ponce und Lichauco reisten in den Jahren 1898-99 nach Japan (Agoncillo: Malolos; 130-132, 154-5).239 In der Zeit von 1895 bis 1899 ist es trotz der philippinisch-japanischen Verhandlungen niemals zum Abschluss eines Waffengeschäfts, wobei es im Wesentlichen um Gewehre ging, gekommen. Die Duldung der philippinischen Exilanten schien in der Zeit nach dem spanisch-amerikanischen Vertrag von Paris im Dezember 1898 immer unsicherer zu werden. Schon seit dem Amtsantritt des konservativen Yamagata Aritomo am 08. 11. 1898 als Premierminister in Japan hieß es, dass Japan sich des Verdachtes der Unterstützung von Unabhängigkeitskämpfern schuldig mache, wenn es Dissidenten aus den europäischen Kolonien in Südostasien aufnähme. Yamagata sah darin auch eine Gefährdung der anstehenden Revisionen der Ungleichen Verträge mit den Westmächten, die im Jahre 1899 erfolgen sollte (Saniel: Japan; 254, 266). Die Befürchtungen japanischer Politiker, sich durch Unterstützung anti-kolonialer Emanzipationsbewegungen den Unmut der westlichen Kolonialmächte zuzuziehen, stellt ganz generell eine der Erklärungen für die Schwäche der Beziehungen zwischen Japan und den Trägern von Emanzipationsbewegungen in Südostasien dar. Auch die Studenten der vietnamesischen dong du-Bewegung in Tokyo sahen sich mit ähnlichen Argumenten japanischer Lehrinstitutsleiter konfrontiert (siehe III 2 E.).

G. Zusammenfassung

Die philippinische Japanwahrnehmung am Ende des 19. Jahrhunderts ist auf den vorangehenden Seiten aus der Perspektive drei verschiedener Gruppierungen der

verlassen. Er emigrierte nach Japan, wo er im August 1895 in Yokohama ankam, siehe Epistola: Hongkong Junta, Clair: Katipunan. Es waren keine Selbstzeugnisse oder andere schriftliche Erzeugnisse von Ramos ausfindig zu machen. 239 Ihre Bemühungen wurden begleitet von in Japan lebenden Filipinos, die zum Teil im politischen Exil dort waren und Waffenkäufe einfädelten, wie z. B. der Rechtsanwalt Doroteo Cortes, s. V B.

158 Nationalbewegung betrachtet worden. ‚Japan’ war ein moralisches Vorbild für Rizal, Marcelo del Pilar instrumentalisierte ein ‚imperialistisches Japan’ geschickt als Argumentationshilfe für seine moderaten Forderungen gegenüber der spanischen Kolonialmacht und der radikale Flügel der Emanzipationsbewegung sah in ‚Japan’ eine moderne Militärmacht in Asien, die ihnen in einem Unabhängigkeitskampf tatkräftige Unterstützung zu bieten versprach. Es lässt sich daraus kein einheitliches Japanbild erkennen. Vielmehr bewegten sich die semantischen Ebenen zwischen einer Aufwertung der japanischen Kultur und Abwertung imperialer Interessen, es läßt sich ein Ineinander von Japanophobie und Japanophilie erkennen.240 Auffällig an der philippinischen Japanwahrnehmung erscheint, dass der Begriff ‚Japan’ vornehmlich in einen europäischen Referenzrahmen wie etwa den der christlichen Werte oder der politischen Repräsentation eingebunden wird. Nicht ein ‚asiatisches’ oder ‚anti-westliches’ Japan wird wahrgenommen, sondern ein Japan, welches westliche Attribute trägt und europäische Merkmale aufweist. Der Historiker und Kulturwissenschaftler Reinhard Wendt hat für diese spezielle Wahrnehmung den Terminus des Lateinasiatischen geprägt (Wendt: Grundstrukturen; 270). Diese Wahrnehmung Japans deckte sich nicht mit der Eigenwahrnehmung großer Teile der japanischen Publizisten, die Ende des 19. Jahrhunderts in den Japandiskursen [nihonron] vor allem die nicht-westlichen Züge der japanischen Kultur postulierten.

240 Auch die Verfasser der philippinischen Verfassung haben sich trotz ihrer anzunehmenden Japan-Kenntnisse in ihren politischen Konzepten nach Europa und Amerika gewandt. Dies zeigt sich an den philippinischen Verfassungsentwürfen von Felipe C. Calderon (1863-1908) und Apolinario Mabini (1864-1903) in den Jahren 1898 und 1899, in denen es keine Entlehnungen oder Bezüge zur japanischen Verfassung von 1889 gab. Am deutlichsten wird dies in den Anlehnungen Mabinis an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, auf die er sich in seinem Constitutional Program of the Philippine Republic beruft. In einer Art Bill of Rights fordert Mabini eine allgemeine Volksbildung, faire ökonomische Voraussetzungen und Bedingungen für die Bevölkerung, die durch Senkung der hohen Steuern erreicht werden sollen, den Schutz vor willkürlicher Verhaftung, Arrest und Umzugszwang. Er protestiert in seinem Program auch gegen den Verlust von Eigentusmrechten sowie die Exilverordnungen und Enteignungen der Familie. Es wird das Recht auf Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit gefordert. Auch im Hinblick auf die Revolution sind der Autorin keine im Sinne der meiji ishin, also einer Erneuerung unter Bewahrung des Alten, ausgerichteten Ansäzte ersichtlich gewesen. Vielmehr schienen die Grundsätze der Französischen Revolution und lateinamerikanische Verfassungen, wie die kubanische oder die von Costa Rica von 1871 die rechtlichen Paten der philippinischen Revolution von 1896 gewesen zu sein. Zur Entwicklung der philippinischen Verfassung, vergleiche Majul: Constitutional Ideas; passim, sowie im Besonderen 40-42, 46, 48, 59-69, 76 sowie ders.: The Revolutionary Government (in: Philippine Review: I, April 1916; 27ff). Die Constitution ist nachzulesen in: Philippine Social Science Review, Bd. 4, 1934; 23-30 sowie Agoncillo: Malolos; Appendix D.

159 Wie gezeigt werde konnte, setzte die philippinische Japanrezeption weit vor dem Russisch-Japanischen Krieg von 1904/5 ein. Zum Zeitpunkt des Krieges waren die Philippinen bereits amerikanische Kolonie. Die in Südostasien einzigartig frühe Japanrezeption der Filipinos hängt damit zusammen, dass die philippinische National- und Unabhängigkeitsbewegung aufgrund der seit Jahrhunderten gewachsen engen Verbindung mit Spanien und der geistigen Vertrautheit mit dem westichen Liberalismus vergleichsweise früh einsetzte.241

241 Liest man zum Beispiel die Schriften Apolinario Mabinis und Felipe Calderons über die Teilung der Gewalten, die Vor- und Nachteile einer eher oligarchischen Führung, über Demokratie usw. wird der kenntnisreiche und verinnerlichte Umgang mit dem Wissen über europäische politische Theorien sichtbar, siehe Majul: Constituional Ideas; 178-181 sowie der Eintrag in der Solidaridad vom 15. Mai 1895, VII; 151 über die kubanische Entwicklung und die Rechtsentwicklungen dort.

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2. Vietnamesische Japan- und Asienbilder

A. Der lange Weg zur Nation

Zehn Jahre nach dem die philippinische National- und Unabhängigkeitsbewegung und mit ihr die erste asiatische Republik (1898-1899) gewaltsam durch die amerikanische Kolonialmacht beendet worden war, erhielt die vietnamesische Nationalbewegung Anfang des Jahres 1909 ebenfalls einen schweren Rückschlag. Französische Beschwerden bei der japanischen Polizeibehörde hatten zur Folge, dass die in Japan lebenden und geduldeten vietnamesischen Dissidenten-literati, die sich in Tokyo zu einer anti-kolonialen, anti-französischen und proto- vietnamesischen Exilgemeinde zusammengefunden hatten, des Landes verwiesen wurden. Dem Ende dieser ersten Vorläufer einer vietnamesischen Nationalbewegung war nicht die Hissung einer Flagge unter den Klängen einer Nationalhymne vorausgegangen.242 Obwohl sich einige der literati seit der Mitte des Jahres 1905 in Japan aufhielten, um von den erfolgreichen Reformern in Japan zu lernen und dieses Wissen in ihrem eigenen Kampf gegen die französische Fremdherrschaft nutzbar machen zu hofften, waren sie im Jahre 1909 noch immer auf der Suche nach einer Nation ‚Vietnam’. Die Fragen nach Modellen für ‚Reform’, ‚Revolution’, ‚Nation’ und einer ‚vietnamesischen Identität’ standen noch immer ungelöst im Zentrum ihrer Auseinandersetzung mit westlichem und japanischen Gedankengut. Dieser kleine Vergleich der Adaptionsprozesse nationalstaatlicher Symbole macht bereits deutlich, dass es um die Jahrhundertwende wesentliche Unterschiede im Entwicklungsgrad der Emanzipationsbewegungen auf den Philippinen und in Vietnam gab. Für den Untersuchungsgegenstand dieses Kapitels, die vietnamesischen Japan- und Asienbilder, ergibt sich aufgrund der unterschiedlichen historischen Voraussetzungen (dazu zählt auch, dass sich ca. 200 vietnamesischen

242 Marr vermutet, dass eine erste vietnamesische Flagge um das Jahr 1912 in Gebrauch kam. Sie hatte einen gelben Grund, vermutlich als Symbol für die ‚gelbe Rasse’ und fünf rote Sterne. Der Farbe Rot ordnet Marr die Bedeutung des Feuers zu, die Anzahl der Sterne verweise auf die fünf Gebietsteile der l’Union Indochinoise, siehe Marr: Anticolonialism; 218. Dass die koloniale Grenzziehung zu dieser Zeit von der Nationalbewegung akzeptiert wurde behandelt Goscha: Annam and Vietnam.

162 Dissidenten-Studenten in Japan selbst aufhielten) ein erweiterter Katalog an Fragen nach Japan- und Asiensemantiken: Etwa, welche Bedeutung die vielfältigen Erfahrung der Vietnamesen mit Japanern vor Ort für die Herausformung einer ‚vietnamesischen Identität’ hatten. Dennoch sollen auf den folgenden Seiten dieselben Fragen, die an die philippinischen Emanzipationsdiskurse gestellt wurden, auch auf den vietnamesischen Fall Anwendung finden: Welche Rolle spielte die vietnamesische Japanrezeption für die Entwicklung der vietnamesischen Emanzipationsdiskurse und des Nationalismus? In welche Rezeptionskontexten wurde ‚Japan’ eingebettet. Auch hier ist die Frage, wie wurde Japan als Raum beschrieben, was wurde durch den Begriff Japan transportiert und wie wurde er konzeptionalisiert. Es soll auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich die konfuzianische Tradition der Vietnamesen auf das Verständnis einer ‚asiatischen’ Identität förderlich oder hinderlich auswirkte. An was für ein ‚Asien’ dachten die Vietnamesen?

Das Kapitel über die vietnamesische Japanrezeption ist umfangreicher als das philippinische. Dies liegt im Wesentlichen an der Fülle sowie der heterogenen Qualität des historischen Materials, welches einerseits aus ideen- als auch aus sozialgeschichtlicher Perspektive betrachtet wurde. Es hat sich daher eine Zweiteilung des Vietnam-Kapitels ergeben. Nach einer allgemeinen Darstellung des landesspezifisch historischen Hintergrundes, schließt sich in einem ersten Teilabschnitt eine diskurs- und ideengeschichtliche Analyse der autobiographischen Schriften Phan Bội Châus, eine der herausragenden Persönlichkeiten der frühen Nationalbewegung, an, ähnlich der Vorgehensweise, wie sie im Philippinenteil bezüglich Rizal und Pilar verfolgt wurde. Im zweiten Teilabschnitt wird die durch Phan Bội Châu ins Leben gerufenen Studentenbewegung dong du [Gen Osten/ Blick nach Osten] auf der Grundlage verschiedener Quellenarten aus sozialgeschichtlicher Perspektive behandelt.

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B. Historischer Hintergrund i. Grundzüge der kulturellen und kolonialen Prägung Nord- und Südvietnams

Noch im 18. Jahrhundert dominierten ethnisch-kulturelle Konflikte zwischen den seit Jahrhunderten durch die konfuzianische Kultur geprägten und zum chinesischen Tributsystem gehörenden Việt-Völkern im Norden und den im Süden ansässigen, buddhistisch oder islamisch geprägten malaiischen Champa-Kulturen, die durch Seefahrt und Handel mit arabischen und südostasiatischen Händlern geprägt waren, die Situation im Land. Erst Mitte bis Ende des 18. Jahrhundert war der Süden Vietnams nach der Eroberung durch die Annamiten aus dem Norden konfuzianisiert worden. In der Folgezeit konnte der Konfuzianismus jedoch nicht jene identitätsstiftende Wirkung entfalten wie dies in Tongking und Annam der Fall gewesen war.243 Die häufigen kriegerischen Konflikte im 18. Jahrhundert, in die zum Teil auch die aus Kambodscha stammenden Khmer involviert waren, hatten zu einer Zersplitterung und machtpolitischen Kleinteilung vor allem in der Mitte und im Süden des Landes beigetragen. Diese ethnisch-kulturelle Zweiteilung des Landes (die bis zum heutigen Tage feststellbar ist) spiegelte sich in den Gebietsbezeichnungen für die einzelnen Teile des Landes wider. Die damals bereits gebräuchliche Bezeichnung Nam Việt für den Großteil des Nordens geht auf die alte, aus der Zeit des chinesischen Han-Reiches (202 v. Chr. – 220 n. Chr.) stammende Bezeichnung für das im südlichen Norden Vietnams lebende Volk der Việt zurück, welches zeitweise immer wieder dem Han- Reich einverleibt worden ist. Nam Việt bedeutete ‚südliches Việt’ und besagte, dass es sich um die im Süden der Việt-Völker lebende Stämme handelte, die befriedet im oder mit dem Han-Reich lebten. Eine weitere chinesische Bezeichnung des Gebietes

Nam Việt war Annam [chin.: 安南]. Diese Bezeichnung bedeutete ebenfalls ‚im südlichen Teil des befriedeten chinesischen Han-Reiches’. Diese Bezeichnung kam während der chinesischen tang-Dynastie (618-907) in Gebrauch. Sie wurde zu dieser Zeit hauptsächlich für die Region um die spätere vietnamesiche (Haupt- und

243 Siehe Ralph Smith: Antecedents of the Viet-Cong (in: Michael Leifer: Nationalism, Revolution and Evolution in South-East Asia, Hull Monographs On Southeast Asia, 2, Zug, Inter Documentation Company AG, 1970; 1-15, hier S. 4).

164 Kaiser-) Stadt Huê verwandt. Der Süden des heutigen Vietnams, der das für Handel und Seefahrt wichtige Mekong-Delta umfasst, erhielt erst mit der Ankunft der Portugiesen im 16. Jahrhundert die überregionale Bezeichnung Cochinchina und wurde so als koloniale Region bezeichnet.244 Cochinchina diente zwischenzeitlich als Bezeichnung für Mittel- und Südvietnam. Nordvietnam erhielt in der Zeit der ersten westlichen Kulturkontakte Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts die Bezeichnung Tongking.245 Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist die vietnamesische Geschichte auch durch die Etablierung der französischen Kolonialadministration beeinflußt worden, die missionarische und französische Handelsinteressen unterstützten sollten. 246 Der Missionar Pigneau de Béhaine hatte für die katholische Mission Ende des 18. Jahrhunderts erreichen können, dass sie unter den Schutz des ersten Nguyến-Kaisers (1762-1820, Regierungsdevise Gia Long [Glück und Wohlstand], Regierungszeit 1802-1820) gestellt wurde. Im Jahre 1820 wurden diese Rechte durch dessen Sohn und Nachfolger, Minh Mạng, jedoch wieder eingeschränkt oder gänzlich aufgehoben. Minh Mạng (Regierungszeit 1820-1841) reinstitutionalisierte den Konfuzianismus als Herrschafts- und Gesellschaftsideal, setzte die bereits unter seinem Vater begonnene Wiedereinführung des konfuzianischen Staatssystems fort und führte zu diesem Zwecke auch das konfuzianische Prüfungssystem247 wieder

244 Siehe Christophoro Borri: Theatrum Orbis Terrarum (London, 1633, Faksimile Druck New York, Da Capo Press, 1970). Borris Theatrum war die erste Beschreibung Vietnams (und Cochinchinas) im Westen. 245 Siehe Jean Chesneaux: Stages in the Development of the Vietnamese National Movement 1862-1940, in: Past and Present, 7, 1955; 63-75. 246 Soweit nicht anders verzeichnet beruht die folgende Darstellung auf Lê Thành Khôi: Südostasien wird unabhängig (in: Lucien Bianco (Hrsg.): Das moderne Asien, Fischer Weltgeschichte, Bd. 33, Augsburg, Weltbild Verlag, 1998; 146-168), William Duiker: Vietnam, Revolution in Transition, Westview Press, 1995) sowie Trùỏng Bùu Làm: Patterns of Vietnamese Response to Foreign Intervention: 1858-1900, Yale, New Heaven, Yale University Press, 1967; 1-46 (siehe bibliogr. Quellenteil Vietnam). 247 Als zentrale Institution des konfuzianischen Staatssystems erfüllte das konfuzianische Prüfungssystem mehrere Funktionen. Es war ein Qualifikations- und Auswahlsystem für die heranwachsende Bildungselite des Landes. Der Schwierigkeitsgrad der Prüfungen erhöhte sich ständig, begonnen bei den Lokalexamen über Regionalexamen bis hin zu den Examen am kaiserlichen Hof in Hué. Jenen, die die Examen am kaiserlichen Hof erfolgreich ablegten, stand eine Karriere als Hofbeamter [Mandarin] offen. Doch nicht alle, die das Hofexamen erfolgreich absolvierten, traten in den kaiserlichen Dienst ein. Wer nicht Hofbeamter wurde, zählte aufgrund seines erworbenen akademischen Grades zur sozial sehr hochgeschätzten Schicht der literati, die durch ihre Ausbildung und Kenntnis des konfuzianischen Schrifttums als Kultur- und Bildungsträger des Landes galten. Aufgrund ihrer politischen Unabhängigkeit und ihres hohen Bildungsniveaus kümmerten sich viele von ihnen weiterhin um die politischen Belange des Landes und verstanden sich als unabhängige Berater des Hofes. Da sie nicht im Dienste des

165 ein. Auch unter dem folgenden Nguyến-Kaiser, Tụ̉ Đưc (Regierungszeit 1847- 1883), besserte sich die Situation für die französischen Missionare nicht, denen weder Freizügigkeit gewährt noch Missionsrechte eingeräumt wurden. Trotzdem es zu einer Machtdemonstration der französischen Flotte auf Initiative der katholischen Partei in Frankreich im Jahre 1847 vor dem annamitischen Tourane kam, lenkte der Hof nicht ein. Als es im Jahre 1858 zu Morden an katholischen Geistlichen kam, entsandte Napoleon III. seine Flotte, gemeinsam mit dem katholischen Spanien zum Schutz der katholischen Kirche nach Vietnam. In Folge konnte Frankreich im Jahre 1862 vertraglich Herrschaftsansprüche über Teile Cochinchinas und Saigons sichern und weitere Gebiete in Annam unter seinen Einfluss bringen. Der Vertrag sah auch die Sicherung der Freizügigkeit für die katholische Mission vor. Im Jahre 1867 kontrollierten die Franzosen das gesamte Mekong-Delta im Süden des Landes. Die nördlichen Küstenbereiche in Tongking wurden im Jahre 1874 durch die unter Androhung militärischer Gewalt erfolgte Öffnung einiger Häfen unter französische Kontrolle gebracht. Doch erst der zweite Angriff auf das nördlich gelegene Hanoi in den Jahren 1882/3 sicherte den Franzosen die Stadt und damit den Zugang zum Norden Vietnams. 248 Am 6. Juni 1884 kam es zum Vertragsabschluss von Patenôtre, der Vietnam als territoriale Einheit zur französischen Kolonie bzw. Protektorat werden ließ. Die Einnahme der nördlich gelegenen Stadt Hanoi wiederum gab China Anlass, im Jahre 1883 Truppen aus dem Süden des chinesischen Reiches in den Tributstaat Vietnam zu entsenden, um so der weiteren Ausdehnung des französischen Machtbereiches an den eigenen Grenzen Einhalt zu gebieten. Der sich

Hofes standen und somit keinen täglichen Verpflichtungen unterworfen waren, konnten sie (bei entsprechenden finanziellen Verhältnissen) sich den Künsten und der Literatur widmen. Das konfuzianische Prüfungssystem erfüllte somit zum einen die Funktion, die talentiertesten Gelehrten für den Hofdienst auszuwählen, es diente jedoch gleichzeit der Wahrung konfuzianischen Gedankenguts und der Herstellung einer kulturellen Konformität der Bildungseltite, siehe Alexander B. Woodside: Vietnam and the Chinese Model: A Comparative Study of Vietnamese and Chinese Government in the First Half of the 19. Century (Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1988; 7-60), Duiker: Nationalism; 22ff und Marr: Vietnam (Oxford, Clio Press; xxviii ff). 248 Ziebura zweifelt die Wirksamkeit des Vertrages von 1874, der Tongking und Annam unter französische Kontrolle brachte, an. Er führt die Errichtung des Protektorates Tongking eher auf wirtschaftspolitische Interessen zurück und beschreibt die französische Regierung als anfänglich außerordentlich indifferent in der Frage der Errichtung eines Protektorats in Tongking. Anscheinend ging die Initiative auf das persönliche Interesse des vor Ort stationierten Fregattenkapitäns Henri Rivière zurück, siehe Gilbert Ziebura: Interne Faktoren des französischen Hochimperialismus 1871-1914 (in: Wolfgang J. Mommsen (Hrsg.): Der moderne Imperialismus, Stuttgart, Steiner Verlag, 1971; 85-140; hier Sn. 101-2).

166 anschließende Chinesisch-Französische Krieg dauerte ca. zwei Jahre und endete mit einer schweren Niederlage für China, das so seinen formalen Herrschaftsanspruch über Vietnam verlor. China musste im Friedensvertrag mit Frankreich anerkennen, dass Vietnam fortan Kontakte mit anderen Ländern nur mit Genehmigung der französischen Kolonialverwaltung aufnehmen durfte. Dieses Kontrollrecht hatte zuvor China zugestanden (Marr: Anticolonialism; 69). Formal gesehen entstand nach der ‚Befriedung’ des Nordens in Vietnam im Jahre 1897 die koloniale Rechtsstruktur der Union Indochinoise, die aus Cochinchina, Annam, Tongking sowie dem heutigen Kambodscha (seit 1863 französisches Protektorat) und Laos (seit 1893 französisches Protektorat) bestand. Zwar verfolgten die Franzosen entsprechend ihrem nachrevolutionären Verständnis von einer (staatsrechtlichen) Nation eine Politik der ‚territorialen Gleichheit’ und beabsichtigten alle unter französischer Kontrolle stehenden Gebiete als zur französischen Republik gehörende departements zu betrachten und entsprechend den Rechtsvorschriften des römischen Rechts und des codes napoleon einheitlich zu verwalten249, doch erwies sich dieses Vorhaben im Bezug auf die vietnamesichen Gebiete letztlich als nicht praktikabel. Obwohl jedes der fünf Gebiete formal gesehen gleich verwaltet wurde und der oberste französische Beamte eines jeden Verwaltungsgebiete ein résident supérieur war, glich in der Realität keine der fünf Verwaltungszonen der anderen. Zum einen hatte jede der Verwaltungszonen einen anderen Rechtsstatus (Cochinchina war Kolonie, Tongking ein Protektorat etc.), zum anderen unterstanden die Verwaltungszonen verschiedenen administrativen Autoritäten in Paris und die Anwendung kolonialer Verwaltungsvorschriften und – praktiken variierte. Teils oblag dem französischen résident supérieur die Kontrolle über Zölle, Verkehr und öffentliche Infrastrukturarbeiten, teils verblieb die Aufsicht über den Steuereinzug bei den annamitischen Hofbeamten, wie etwa im Norden

249 Dieses Verständnis basierte auf dem kolonialpolitischen Ansatz der staatsrechtlichen ‚Assimilierung’, dem zu Folge die französischen Verwaltungskolonien als ein Bestandteil der französischen Republik betrachtet wurden und unteilbar zu Frankreich gehörten. Erwartungsgemäß sah die Praxis der kolonialen Vertretungsrechte in der Nationalversammlung jedoch anders aus. Aufgrund einer unterproportionalen Anzahl von Repräsentanten aus den Kolonien, war deren Interessenvertretung faktisch unmöglich, siehe Vertreteranzahlen bei Fieldhouse: Kolonialreiche; 259. Zum Konzept der staatbürgerlichen und kulturellen Assimilierung s. u.

167 Vietnams, wo die französischen Kolonialbeamten die Institution des Mandarinats erhielten und sich dieses zu Nutze machten.250 Zwei Faktoren waren entscheidend für die Ausprägung und Form der Etablierung der fanzösischen Kolonialherrschaft in Vietnam. In formal vertragsrechtlicher sowie militärischer Hinsicht war das Verhalten des annamitischen Hofes um den Kaiser Tụ̉ Đưc von grundlegender Bedeutung. Gleichzeitig war auch das Verhalten der außerhalb des Hofes agierenden Kräfte, hier insbesondere der Schicht der literati und ihrer Anhängerschaft, für den französischen Handlungsspielraum von Bedeutung. Ihre Reaktion auf die Etablierung der Kolonialherrschaft reichte dabei von militärischen Partisanenwiderstand bis zu Formen der direkten Kollaboration. Zunächst soll ein Blick auf das Handeln des Kaisers Tụ̉ Đưc geworfen werden. Maßgeblich für den Verlauf der Errichtung der fanzösischen Kolonialherrschaft in Vietnam war die uneindeutige Haltung des Kaisers Tụ̉ Đưc gegenüber den Franzosen. Tụ̉ Đưc selbst schien sich mehr als Opfer der Umstände zu fühlen und verfolgte keine aktive Politik gegen die Expansion französischer Händler und Missionare. Vermutlich aufgrund seiner anfälligen Gesundheit und konfuzianischen Bildung zu einer gewissen Schicksalsergebenheit neigend, empfand er den Lauf der Geschichte als ‚Erniedrigung’, der er selbst ausgeliefert war (Trùỏng: Patterns; 19- 20). Es wäre sicher eine verkürzte Beurteilung seiner Person, wenn man sagen würde, er wäre frankreich-freundlich gewesen, doch schien seine strikte anti- christliche Haltung das einzige sichtbare Zeichen seiner Gegenwehr gegen die Franzosen zu sein. Tụ̉ Đưc ordnete während seiner Regentschaft keine zentrale militärische Gegenwehr gegen die Franzosen an, sondern verfolgte eher eine uneinheitliche militärische Taktik. Auch überzeugt von der schieren militärischen Überlegenheit der französischen Armee nach ihrem Sieg von 1862, versuchte er deren Ansprüche durch Verträge zu beschwichtigen, in der Hoffnung, dass dadurch der Frieden im Lande erhalten bliebe. Regte sich militärischer Widerstand gegen die Franzosen, so war dieser in der Regel durch lokale Partisanenführer organisiert, die mal mehr und mal weniger auf die (ausbleibende) Unterstützung aus Hué hoffend,

250 Zur kolonialrechtlichen Verfasstheit der fünf Verwaltungsgebiete siehe grundlegend Roger Pinto: Aspects de l’évolution gouvernementale de l’Indochine francaise : accès aux fonctions publiques, institutions représentatives, libertés individuelles, constitution, lois, règlements (Paris, Receuil Sirey, 1946), Nguyến Thê Ańh: Vietnamese Monarchy; 148-9 sowie Norman Owen (Hrsg.): The Emergence of Modern Southeast Asia, Honolulu, University of Hawaii Press, 2005; 336.

168 dem französischen Militär meist ausgeliefert waren. Tụ̉ Đưc versagte den lokalen Militärführern jedoch nicht nur die Unterstützung im Kampf gegen die Franzosen, er verurteilte darüber hinaus öffentlich den kriegerischen Widerstand. Das zögerliche und unentschlossene Verhalten Tụ̉ Đưcs verursachte eine Schädigung des Ansehens der Monarchie als Institution der Repräsentanz des Landes. Die rechtliche Zergliederung des Landes wirkte sich auch darauf aus, dass der Kaiser seit dem Vertrag von 1884 keine Kontrolle mehr über die Außenkontakte und sein ‚Militär’ hatte. Dies trug erheblich zum Bedeutungsverlust monarchischer Institutionen bei. Da Tụ̉ Đưc anscheinend nicht in der Lage war, Land, Leute und sich selbst vor der neuen Fremdherrschaft zu schützen, offenbarte sich an seiner Handlungsunfähigkeit die Schwäche Vietnams gegenüber den Franzosen.251 Jene literati, für die die nach außen scheinende frankreich-freundliche Haltung des Kaisers verurteilenswert war (und damit auch der Kaiser selbst), blieben aber nach konfuzianischem Verständnis der dynastischen Loyalität [trung quân] der Institution der Monarchie gegenüber loyal – und damit auch gegenüber dem Kaiser – so wie es die klassische ‚politische Theorie’ festlegte, nämlich, das die Aufrechterhaltung des monarchischen Systems synonym war mit dem Schutz des Landes. Verschiedene Aufrufe und Appelle, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts datieren und deren Autoren aus der literati-Schicht stammten, zeugen von dem Streben, eine Rechtfertigung für den gewaltsamen Widerstand gegen die Franzosen trotz der friedsuchenden Erlasse des Kaisers zu finden (Trùỏng: Patterns; Dokumente 7, 9, 12, 13). Auf die Spitze wurde der Konflikt zwischen dem Kaiserhaus und rebellierenden Widerstandskämpfern in den Jahren 1873/4 getrieben, als Kaiser Tụ̉ Đưc sein Militär zur Niederschlagung der eigenen Partisanen entsandte, um so einen Krieg gegen die Franzosen zu unterbinden. U. a. dieses Ereignis begünstigte eine

251 Die Bewertung Tụ̉ Đưcs und seines Handlungsspielraumes fällt in der Forschungsliteratur sehr unterschiedlich aus. Yoshiharu Tsuboi findet mehr Hinweise auf einen empfindsamen und seinem Land verpflichteten, aber durch äußere Zwänge zur Handlungsunfähigkeit verurteilten Tụ̉ Đưc, siehe ders.: L’empire vietnamien sowie auch Marc Mcleod: The Vietnamese Response to French Intervention (1862-1874, New York, Praeger, 1991). Ähnlich sieht es der japanische Vietnamist Shiraishi, der in seinem Buch Betonamu minzoku undô Phan Bội Châus Verhältnis zur Monarchie untersucht und eine Argumentation zugunsten einer hohen symbolischen Integrationskraft der Nguyến -Dynastie um die Jahrhundertwende führt. Shiraishi stimmt nicht mit seinem vietnamesischen Kollegen Nguyến Thê Anh überein, der anzweifelt, dass die Institutionen der Monarchie sowie die einzelnen Kaiser noch eine einigende und identitätsstiftende Funktion gegen die französische Kolonialherrschaft auszuüben vermochten. Nguyến attestiert eine schwindende Bedeutung der Monarchie, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eingesetzt habe, siehe Nguyến Thê An: Vietnamese Monarchy; 152-156.

169 sehr kritische Haltung unter den litetrati in Tongking und Annam gegenüber Tụ̉ Đưc. ii. Reaktionen auf die Errichtung der Kolonialadministration

Die Reaktionen auf die Errichtung der Kolonialadministration sowie das uneindeutige Verhalten des Hofes löste unterschiedliche Reaktionen in Nord- und Südvietnam aus. So war der Norden durch den Chinesisch-Französischen Krieg in einem zerrütteten Zustand und dessen Bevölkerung durch die Kriegserfahrungen im Besonderen anti-französisch eingestellt (Marr: Anticolonialism; 56-59 u. 68). Zudem war das nördliche Annam der Aufenthaltsort des Kinderkaisers Hàm Nghi (Regierungszeit 1884-5). In dessen Namen war das cần vương-Edikt [Helft-dem- Kaiser-Erlass] erlassen worden, welches Anlass für eine Anzahl an konfuzianischen literati gab, sich in gewaltsamen Widerstandsgruppen zu organisieren.252 Das cần vương-Edikt war ein kaiserlicher Aufruf zur Loyalität gegenüber dem annamitschen Kaiserhaus und der gewaltsamen Vertreibung der Franzosen. Es baute auf ein konfuzianisches Verständnis von Herrschaft und war ein Appell zur Aufrechterhaltung der traditionellen konfuzianischen Ordnung. Verfasst im klassischen chinesischen Stil [kanbun], rekurrierte es auf die konfuzianischen Werte der Selbstlosigkeit und der Glorifikation des Todes im Kampf gegen die Fremdherrschaft (der Franzosen). Neben dem Aufruf zur Gewalt, richtete es sich speziell gegen die Vertreter der katholischen Kirche und Orden in ganz Vietnam.253 In der Zeit zwischen 1884 und 1897, dem Jahr des Todes des charismatischen Partisanenführers Phan Dinh Phung, formierten sich mehrere kleinere paramilitärische Widerstandseinheiten, doch letztlich vermochten diese Kräfte gegen das französische Militär nichts auszurichten. Als das Widerstandsbewegung im Norden im Jahre 1897 endgültig durch die Franzosen niedergeschlagen wurde, konnten die Franzosen auch dort koloniale Verwaltungsstrukturen aufbauen.

252 Hàm Nghi war nach der Einnahme Hanois vor den Franzosen in die Berge nördlich von Huê in Sicherheit gebracht worden. Seine Schutztruppen stellten gleichzeitig die Kerngruppe des militanten anti-französischen Widerstandes dar, der durch Gewalt und Morde an Katholiken gekennzeichnet war, siehe Marr: Anticolonialism; 61. 253 Der vollständige Text des Ediktes ist bei Marr: Anticolonialism; 49-51, nachzulesen.

170 Im weniger durch den Konfuzianismus geprägten Süden des Landes entfalteten die Aufrufe zum Widerstand gegen die Fremdherrschaft keine vergleichbare nachhaltige Wirkung. Dort erreichte der anti-französische Widerstand nicht das Ausmaß kriegerischer Auseinandersetzungen. Seit dem 16. Jahrhundert hatte die im Süden mächtige Herrscherfamilie der Nguyến die ökonomische Entwicklung des Mekong- Deltas durch Unterstützung von Handel und Schifffahrt gefördert. Der daraus resultierende Wohlstand wirkte sich auch auf die kulturelle Entwicklung der südlichen Region aus und schuf ein wesentlich liberales und weniger orthodoxes Klima, eine „commercial society“ war entstanden (Owen: Modern Southeast Asia; 108). Die Franzosen erzielten in dieser Region mit ihrer Kolonialpolitik der ‚assimilation’ eine höhere Akzeptanz. Ansätze des zivilisatorischen citoyén- Leitbildes ließen sich hier schneller verankern. Auch wenn es schwierig bleibt, den jeweiligen Grad der assimilation einzuschätzen, so waren doch die französische Sprache und der Gebrauch des quốc ngữ weiter verbreitet, westliche Kleidung und Lebensgewohnheiten wurden übernommen, die Anzahl der konvertierten cochinesischen Katholiken höher als die im Norden.254 Andere literati hatten seit Beginn der Errichtung der französischen Herrschaft die Kolonialadministratoren unterstützt. Konvertierte Katholiken wie Tran Ba Loc (1839-1891) oder Do Huu Phuong (1840-1915) bekleideten Posten als Präfekten im französischen Kolonialapparat (Trùỏng: Patterns; Dokument 8.). Andere gingen nicht ganz soweit, schlugen aber vor, Ausbildungsstätten für Marine-Offiziere einzurichten, Sprachschulen zu errichten, Konsulate zu eröffnen, Handelskontakte mit den Westmächten zu etablieren, die Landesinfrastruktur zu befördern etc. Der bekannteste unter den Reformern war der konservative Nguyến Trướng Tô, der schon in den 1860er Jahren den Hof mit Petitionen und Ratschlägen zur Reformierung des Landes überhäufte (Trùỏng: Patterns; Dokument 10.).255

254 Osborne macht darauf aufmerksam, das die Erfolge der ‚assimilations’- Politik sich auf die städtischen Bereiche wie Saigon beschränkte. Im südvietnamesischen Hinterland blieb die Skepsis gegenüber der französischen Kolonialmacht weiterhin groß, siehe Osborne: Presence; 156-171, hier Sn159ff, Dennis Duncanson: Government and Revolution in Vietnam, Oxford, Oxford University Press, 1968; 86, sowie Stephen Roberts: The History of French Colonial Policy, 1870-1925, Hamden, Connecticut, Archon Books, 1963; 68 und 110. 255 Marc Mcleod hat in seinem Artikel Nguyến Trướng Tộ: A Catholic Reformer at Emperor Tu- duc’s Court die Perspektive eines frankreich-orientierten Vietnamesen, des Gelehrten Nguyến Trướng untersucht. Nguyến Trướng (1828-1871) war ein katholischer literati, der durch das Studium der französischen Sprache, das ihm durch Kontakte zu Bischof Gauthier von der Société des Missions Etrangères in Saigon ermöglicht wurde sowie eines zweijährigen

171 Nach dieser kurze Darstellung der unterschiedlichen kulturellen Prägung Nord- und Südvietnams im 18. und 19. Jahrhundert und den daraus resultierenden Folgen für die französische Kolonialherrschaft, die von heftigen Widerstand bis zu kultureller Assimilation reichte, soll der Blick auf die Situation der Jahrhundertwende gelenkt werden, die eine erste Japanrezetion hervorbrachte. iii. Neue Kolonialpolitik und neue Widerstandsformen

Die Auswirkungen der kolonialen Verwaltung in der Union Indochinoise verschärften sich mit dem Amtsantritt des gouverneur géneral Paul Doumer (1857- 1932).256 Doumer, der in Paris in den Jahren 1895/6 im Kabinett des konservativen Premierministers Léon Bourgeois den Posten des Finanzministers bekleidet hatte, verfolgte von 1897 bis 1902 in der Union Indochinoise die Umsetzung der kolonialpolitischen Maxime der mis en valeur, d. h. er verfolgte das unter den französischen Kolonialisten Ende des 19. Jahrhunderts herrschende Denken, dass die kolonialen Besitzungen in einer ‚merkantilistischen’ Weise zum Nutzen des Mutterlandes beitragen sollten (Roberts: French Colonial Policy; 451ff, Reinhard: Geschichte; 117). 257 Diese Vorgabe bedeutete, dass alle verwaltungspolitischen Maßnahmen in der Union Indochinoise der Steigerung des wirtschaftlichen Nutzens der Kolonie zu dienen hatten. Es bedeutete auch, dass die Verwaltung der Kolonie

Aufenthaltes in Frankreich in den Jahren 1868-70, zu einem gefragten Übersetzer während der Vertragsverhandlungen zwischen Vietnam und Frankreich geworden. Trướng vertrat die Meinung, dass die Herrschaft der Franzosen auch die Chance einer Stärkung Vietnams mit sich brächte. Seine an den König verfassten Petitionen für Reformen beinhalten Vorschläge, sich den Naturwissenschaften und praktischen Studien zuzuwenden, Wirtschaft, Verwaltung und Finanzen nach französischen Vorbild einzurichten und vietnamesische Studenten nach Frankreich zu senden, um dort westliches Wissen zu erwerben. Trướng wurde später vom Kaiser in den Beamtenstand erhoben. Er setzte sich anschließend besonders für die Abschaffung des konfuzianischen Examinationssystems ein. Seine politischen Konzepte blieben jedoch der monarchischen Tradition verbunden. In diesem Zusammenhang erwähnt er auch Japan als Vorbild, siehe Marc Mcleod: Nguyến Truong To - A Catholic Reformer at Emperor Tu-duc’s Court (in: Journal of Southeast Asian Studies, 25, 2, 1994; 313-330, hier Sn. 314-5, 326-323). 256 Paul Doumer war Begründer der noch heute existierendenden École Francaise d´Extréme Orient und wurde 1931 Präsident der Dritten Französischen Republik. 257 Nach einer liberalen Zeit in der französischen Zoll- und Handelspolitik in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die es französischen Händlern ermöglicht hatte, ihre Waren auf englischen Schiffen zu transportieren und Handel mit anderen Nationen zu betreiben, setzte Anfang der 1890er Jahre eine verstärkte Schutzzoll- und Abschließungspolitik ein. Der Freihandel wurde in weiten Teilen eingeschränkt. Steuern und Zölle wurden erhoben, je nachdem, ob es sich um inländische Ware (dort wollte paradoxerweise die französische Regierung die einheimische Produktion in Frankreich vor billiger Ware aus den Kolonien schützen) handelte oder um ausländische Ware, siehe Fieldhouse: Kolonialreiche; 256.

172 künftig weitere Lebens- und Arbeitsbereiche der Bevölkerung bestimmen sollte. Doumer dehnte seine Handlungsvollmacht auf das gesamte Zollwesen, den Handel, die Landwirtschaft, Justiz und Innere Angelegenheiten aus. Er erhöhte beständig die Zölle, verschärfte die Kontrolle des Steuereinzugs, erließ neue Monopole und trieb die politische und verwaltungstechnische Zentralisierung des Landes voran. Die annamitische Oberschicht wurde in die Verwaltung und Regierung der Kolonie nur insoweit integriert, als dass sie dem ausschließlich beratenden Gremium conséil supérieur de l’Indochine angehörte. Bürokratie und Verwaltung wuchsen in einem enormen Maße und die Zahl der europäischen Zivilangestellten verdoppelte sich in der Zeit nach Antritt Paul Doumers bis 1907.258 Doumers koloniale Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik zielte besonders auf den Norden des Landes und auf Teile Annams. Durch dieses Gebiet sollte eine Eisenbahnstrecke gelegt werden, die den Zugang für französische Händler zum chinesischen Hinterland ermöglichte (Marr: Anticolonialism; 81). Vor allem Seidenhändler und Industrielle aus Lyon waren an der billigen Rohseide aus China interessiert und verfolgten das Ziel, eine Verbindung über den Roten Fluss von Tongking nach Yunnan, dem Produktionsgebiet der Rohseide in China, herzustellen. Zu dieser Zeit kamen ca. 38% der verarbeiteten Rohseide in Lyon aus China. Die Seidenexporte hatten einen Anteil von 7% des gesamtfranzösischen Exportvolumens (Reinhard: Geschichte; 116). Zudem vermuteten Mitglieder der Societé des Mines de l’Indochine große Kohlevorkommen in Tongking. Auch galt Tongking in militärisch-strategischer Hinsicht als Sprungbrett für den Zugang zum chinesischen Hinterland. Parallel zum neuen finanz- und handelspolitischen Denken in Frankreich, setzten sich in der französischen Metropole Zweifel am Konzept der assimilation durch, jenem System, „das dazu führt, alle Unterschiede zwischen den Kolonien und dem Mutteland zu beseitigen, und das die Kolonien einfach als eine Verlängerung des Mutterlandes in Übersee betrachtet“ (Fieldhouse: Kolonialreiche; 258). Die französischen Kolonialisten bewegten sich mit ihren neuen Ideen im Einklang mit einem grundsätzlich neuen kolonialpolitischen Ansatz, der sich auch in anderen europäischen Staaten durchzusetzen schien. Der sich ändernde Tenor des

258 Siehe Robert Elson: International Commerce, the State and Society: Economic and Social Change (in: Nicholas Tarling (Hrsg.): Cambridge History of Southeast Asia, Bd. 2, Cambridge, Cambridge University Press, 1992; 131-151).

173 europäischen Kolonialdiskurses um die Jahrhundertwende zeigte an, dass sowohl in wirtschaftlicher als auch in kultureller Hinsicht das Bestreben der Angleichung der Verhältnisse in den Überseegebieten unerreichbar schien, denn langfristig wäre das Unterfangen der assimilation einer ganzen Kolonie vermutlich zu kostspielig gewesen (Duncanson: Government; 87). Das universale Prinzip der assimilation und des zivilisatorischen Auftrages [mission civilisatrice] speziell im französischen Fall ließ sich nicht durchhalten.259 Das kolonialpolitische Umdenken unter dem Schlagwort „association“ ging zum einen auf das Buch Principes de pacification et d’organisation des Gouverneurs von Madagasgar, Gallieni, aus dem Jahre 1896 zurück. Es hieß dort, dass die Entwicklung einer Kolonie mit der Natur und der Bevölkerung des Landes im Einklang stehen müsse. Zum anderen machten sich die Einflüsse des im Jahre 1894 gegründeten Brüsseler Institut Colonial International bemerkbar. Hervorgegangen aus der Anti-Sklavereibewegung, stellten humanitäre Aspekte kolonialer Politiken ein besonderes Interesse dieses ‚thinktanks‘ dar. Ziel des Instituts war es, die wirtschaftliche Integration der Kolonien, in den Weltmarkt zu erreichen. Jedoch standen die Arbeiten des Instituts auch unter dem Einfluß rassistischen Denkens der Jahrhundertwende. Die kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und Kolonisierten wurden auf biologische und unveränderliche Dispositionen zurückgeführt, auch ein Grund, weshalb das Konzept der assimilation nicht mehr aufging. 260 Die Grundidee der neuen Kolonialpolitik war einfach: Festschreiben eines (ungleichen) Nebeneinanders von Europäern und Asiaten (Rassen), Beachtung und Bewahrung der (intakten) Traditionen einer Volks- oder Stammeskultur und reale Betrachtungsweise über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit. In gewisser Weise wurde der humanen, zivilisatorischen Entwicklung der Kolonie ein ebenso hoher Stellenwert eingeräumt wie der Umsetzung ökonomischer Ziele (ibid,

259 Die mission civilisatrice manifestierte sich im Besonderen im Bereich des Staatsbürgerschaftsrechtes. Dies war in den Kolonien nicht einheitlich geregelt und bedeutete auch nicht gleichzeitig den Besitz von Bürgerrechten. Die Kriterien zum Erwerb der französischen Staatsangehörigkeit und der Bürgerrechte variierte von Ort zu Ort. Normalerweise gehörte der Verzicht auf nicht-christliche Religionen, die angestammten Sitten, Gebräuche und Rechte sowie Kenntnisse der französischen Sprache dazu, siehe Fieldhouse: Kolonialreiche; 266. 260 Grosse benennt Mitglieder und Aufgaben des Instituts und weist darauf hin, dass die hochrangige Besetzung dieses mit wissenschaftlichen Methoden arbeitenden Instituts nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass es sich auch um Lobbyisten handelte, die an das Institut entsandt wurden, siehe Pascal Grosse: Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918 (Frankfurt am Main, Campus Verlag, 2000; 18-19, 26-28).

174 Roberts: French Colonial Policy; 85-115). Vereinzelt gab es Anzeichen für die Ernsthaftigkeit der Umsetzung einer reformierten Kolonialpolitik in Vietnam wie etwa durch die Eröffnung der Medizinischen Universität Hanoi im Jahre 1902.261

Kurz nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in den Jahren 1902 und 1903 formierte sich erstmalig eine Widerstandsgruppe aus vietnamesischen literati, deren Vorstellungen sich von den gewaltsamen Widerstandsformen des cần vương-Edikt [Helft-dem-Kaiser-Erlass] abhoben. Anstelle der gewaltsamen Vorgehensweise trat die Einsicht, dass die Herrschaft im eigenen Land besser mit Mitteln der politischen und erzieherischen Reformierung der Gesellschaft zurückzugewinnen sei. Impulse für ein solch neues Verständnis von Widerstand bzw. Reform erhielten die vietnamesischen literati von chinesischen Gelehrten aus der süd-chinesischen Provinz Hunan, nahe der Grenze zu Tongking. Dort hatten die Gelehrten K’ang Yu- wei (1858-1927) und sein Schüler Liang Ch’i-ch’ao (1873-1929) Ende der 1890er Jahre in Kanton eine große Anzahl von chinesischen literati versammelt, die in Opposition zur chinesischen Regierung standen. Ihre Überzeugung, dass der Konfuzianismus ursächlich für die schwache Stellung Chinas in der Welt sei und noch geschockt über die Niederlage im Chinesisch-Japanischen Krieg im Jahre 1895, gaben die Reform-literati ihren Vorstellungen im Reformprogramm der 100 Tage eine schriftliche Form. Im Gegensatz zu vorhergehenden Reformansätzen seitens der chinesischen Regierung im militärischen Selbststärkungsprogramm262 aus den 1870 und 1880er, forderten die literati um Kang und Liang nun eine institutionelle und politische Reformierung Chinas. In der gesellschaftlichen Erneuerung und Neuinterpretation des Konfuzianismus glaubten sie die entscheidenen Mittel der Selbstbehauptung gegen die immer stärker nach China drängenden Westmächte gefunden zu haben. Als großes Vorbild für das Reformprogramm der 100 Tage galten die japanischen meiji-Reformen. Die Initiatoren des Reformprogramms der 100 Tage leiteten die

261 Im Jahre 1907 wurde die Universität Hanoi um eine Rechtsfakultät erweitert. Unterrichtssprache war Französisch. Kurz nach 1907 wurde sie geschlossen und erst im Jahre 1917 wiedereröffnet, siehe Duncanson: Government; 106. 262 Selbst das auf militärische Erneuerung ausgerichtete Selbststärkungsprogramm - eine Reaktion auf die militärischen Niederlagen gegen England in den Opiumkriegen (1839-42 und 1856-60) - war gescheitert, wie die weiteren militärischen Niederlagen gegen Frankreich im Chinesisch-Französischer Krieg (1883/4) und gegen Japan im Chinesisch-Japanischen Krieg (1894/5) bewiesen. Diese Niederlagen hatten ein tiefes Krisenbewusstsein im Selbstverständnis der literati und am Kaiserhof erzeugt.

175 Stärke Japans aus dessen innerer konstitutioneller Verfasstheit ab, wie etwa der Errichtung eines Verfassungsstaates, der Einführung eines modernen Schulwesens usw. 263 Eine politische und kulturelle Erneuerung Chinas sollte sehr ähnlich gestaltet werden.264 Grundlage des Japanstudiums war eine von K’ang im Jahre 1896 verfasste und kommentierte Bibliographie Japanischer Bücher (chin.: Jih-pen shu-mu chih), die ca. 7500 Titel aus allen westlichen Wissensgebieten sowie die aus den europäischen Sprachen ins Japanische übersetzen Werke des Rechts- und Politikwissenschaftlers John Stuart Mills, des Volkwirtschaftlers Adam Smiths, des Soziologen Herbert Spencers oder des Staatsrechtlers Johannes Casper Bluntschlis enthielt (Howard: Japan’s Role; 290ff). Jedoch scheiterten die Reformvorschläge im Jahre 1898 am chinesischen Hof, der von der Witwe des Kaisers, Cixi, regiert wurde. Die Bedeutung Japans in den chinesischen Reformdiskursen zeigte sich einmal mehr nach dem Scheitern des Reformprogramms der 100 Tage - die meisten chinesischen Reformintellektuellen flohen nach Japan ins Exil.265 Ihre niedergeschriebenen Reformideen bildeten den Kern einer neuen Literaturgattung, der sog. Neuen Bücher (chin.: Hsin-shu, viet.: Tân-thư), die auch Übersetzungen japanischer Übersetzungen von westlichen Autoren beinhalteten. Nach Vietnam kamen die ersten der Neuen Bücher vermutlich um die Jahrhundertwende (Marr: Anticolonialism; 95). Liangs und K’angs Japanbeschreibungen stellten dabei einen Großteil der rezipierten Literatur in Vietnam dar. Es werden Liangs Geschichte der 30jährige(n) Reformen in Japan [chin.: Jih-pen san-shih nien wie-hsin shih] und das von ihm seit 1902 in Tokyo herausgegebene Magazin Die Erneuerung des Volkes [chin.: Hsin-mim ts’ung-pao] erwähnt (Chang: Liang; 89), ebenso wie Liangs New People’s Miscellany [chin.: Hsin-min ts’ung-pao] oder die in Shanghai erscheinende Tageszeitung Su pao, die eine feststehende Kolumne über chinesische Japanstudenten enthielt (Harrell: Change; 74). Hinweise auf andere Bücher wie die Geschichte des Krieges im Mittleren Osten [chin.: Chung-tung chan-chi pen], Geschichte des Französisch-

263 Siehe Howard: Japan’s Role; 294 sowie Chang Hao: Liang Ch’i-ch’ao and Intellectual Transition in China, (Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1971; 195). 264 Eine ausführliche Darstellung der chinesisch-japanischen Kontakte in der Zeit nach dem Krieg von 1894/5 gibt Richard Howard: Japan’s Role in the Reform Program of K’ang Yu-wei, in: Lo Jung-Pang: K’ang Yu-wei, A Biography and a Symposium, Tucson, University of Arizona Press, 1967; 280-312. 265 Die Erfolge der japanischen Reformierung veranlassten bereits schon zu dieser Zeit chinesische Provinzialbeamte, ihre Kinder zum Studium nach Japan zu schicken. Siehe hierzu noch genauere Ausführungen unter III 2 F.

176 Preußischen Krieges [chin.: Fa-P’u chan-chi], Die Reformbewegung von 1898 [chin.: Wu-hsu cheng-pien] und Kurzbeschreibung der Welt [chin.: Ying-huan chih- lüeh] sowie die Reiseberichte von Wu Chih-fu und Ch’en T’ing-t’ai, die seit 1902 an der japanischen Keiô Universität studiert hatten, finden sich ebenfalls unter den Schriften.266 Obwohl von einem Vertreter der chinesischen Regierung in Tokyo, Huang Zunxian [jap.: Kô Junken] verfaßt, schienen auch dessen Schriften einflußreich gewesen zu sein. Er schrieb zwei Bücher über Japan mit den Titeln Verschiedene Gedichte über Japan [chin.: Jih-pen tsa-shih] und Japans Geschichte [chin.: Jih-pen kuo-chih]. Beide Bücher gehen im Besonderen auf die selektive Aufnahme westlicher Institutionen durch die meiji-Reformer ein und rühmen deren Bereitschaft zu grundlegender Veränderung und Erneuerung/Reform (Howard: Japan’s Role; 285). Im Zentrum der Darstellungen Huangs stand die japanische Bürgerrechtsbewegung [jiyû minken undô] der 1880er und die Diskussionen um die Gestalt der Verfassung.267 Einer der prominentesten Rezipienten der chinesischen Reformliteratur war Phan Bội Châu. Seine Schriften sollen uns auf den nächsten Seiten beschäftigen.

266 Siehe Onogawa Hidemi: Shinmatsu seiji shisô kenkyû [Studien zur Spätzeit der Ch’ing Dynastie], Kyoto, Kyoto daigaku, 1960; 54ff, dort die aus dem Chinesischen ins Japanische übersetzte Schrift Liangs Fa-P’u chan-chi [Geschichte des Französich-Preußischen Krieges], und Takada Jun: Chûgoku no kindai to jukyô [Moderne und Konfuzianismus in China], Kinokuniya, Tokyo, 1998; 236-245. 267 Siehe Shiraishi Masaya: Phan Bội Châu in Japan, in: Vinh Sinh (Hrsg.): Phan Bội Châu and the dong du-Movement, Yale, New Heaven, Yale Center for International and Area Studies, 1988; 51-100, hier S. 58, Vinh Sinh: Phan Bội Châu; 108, Marr: Anticolonialism: 99, Fn 1 und 2.

177

C. Phan Bội Châus Japanbilder vor und während seines Japanaufenthaltes

Geboren wurde Phan Bội Châu268 am 26. Dezember 1867 in der Provinz Nghê An im nördlichen Annam als Sohn einer verarmten Gelehrtenfamilie. Neben einer kurzen Schulausbildung wurde Phan von seinem Vater in den klassischen chinesischen Schriften unterrichtet. Die Ausbildung ermöglichte ihm die Teilnahme an den Regionalexamen, die er im Alter von 33 Jahren ablegte. Phan wuchs in einem geistigen Klima anti-französischer Stimmung auf, wie aus seinen Schilderungen über seine Schulzeit hervorgeht. Auf dem Hof spielten die Schulkinder bereits Kinderspiele, die Ausdruck anti-französischer Propaganda waren, wie etwa das Spiel Put down the French [Binh-tây] (Phan Bội Châu: Chariot; 49-52). Auch verfasste Phan in jungen Jahren bereits Kampfaufrufe gegen die Franzosen. Im Alter von 16, zwei Jahre bevor Vietnam vollständig zur französischen Kolonie wurde, schrieb er den Appell Crushing the French and Retrieving the North [Binh-tây thubac] an seine Landsleute, in dem er zur Vertreibung und Tötung der Franzosen aufrief (Phan Bội Châu: Chariot; 50). Dieser wie auch andere Texte standen noch ganz im Zeichen des traditionellen cần vương-Ediktes und fußten in der Überzeugung einer monarchisch verfassten Gesellschaft, die auf der konfuzianischen Idee der reziproken Herrscher-Untertanen- Verantwortung basierte. Phan berief sich auch auf das Gebot der gewaltsamen Verteidigung der Monarchie im Falle einer Bedrohung und glorifizierte den Tod jener, die mit beispielhafter Selbstverleugnung für den Kaiser kämpften und starben

268 Weitere Namen von Phan Bội Châu waren Phan Van San (Geburtsname), Giai San (angenommener Name nach Beendigung der Regionalexamen) sowie die Pseudonyme Phan Sao Nam, Phan Thi Han, siehe Phan Bội Châu, Reflections; 83.

178 (Marr: Anitcolonialism; 49-52, Duiker: Nationalism; 26ff.). Es scheint jedoch, dass seine Fokussierung auf gewaltsame Formen des Widerstand gegen die Fremdherrschaft durch die Lektüre der Schriften der chinesischen Reformliteraten des Programms der 100 Tage gemindert wurde. Phan lenkte seine Aufmerksamkeit nach Japan und den dortigen Reformprozess. Seine anfängliche Japanrezeption war somit entscheidend durch die Schilderungen und Deutungen der chinesischen Reformliteraten geprägt. i. Japan als Raum einer ‚sozialdarwinistischen’ Weltordnung

Auf was für ein ‚Japan’ trifft Phan in diesen Schriften? Zunächst begegnete Phan in den Schriften der chinesischen Reformliteraten einem ‚Japan’, das Teil einer ‚sozialdarwinistischen’ Weltordnung war. Als eine im westlichen Zivilisationsdiskurs akzeptierte Weltanschauung, hatte das ‚sozialdarwinistische‘ Gedankenmodell in Japan und China am Ende des 19. Jahrhunderts unter den reformorientierten Kräften eine gewisse Verbreitung erfahren hatte.269 Was in den europäischen Debatten mit ‚sozialdarwinistisch’ gemeint war, bezog sich im Wesentlichen auf Theorien, die den Zusammenhang zwischen Zivilisation und Staatsbildung zu erklären versuchten und dabei auf dem Paradigma der sozialen Evolution aufbauten. Dieses zuvorderst vom britischen Soziologen Herbert Spencer vertretene Paradigma hatte dieser in seinen Principles of Sociology erstmalig im Jahre 1872 vorgelegt.270 Spencer hatte darin, angeregt durch Charles Darwins (1809-

269 Siehe James Reeve Pusey: China and Charles Darwin, Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1983; 4-5. 270 Erstmals erschienen die Principles of Sociology im Jahre 1857 in England, später, im Jahre 1871 und 1872 wurde das Werk erneut gedruckt. Diese Versionen beinhalteten einen direkten Bezug auf Charles Darwins Theorie der Evolution. Die Ausgabe von 1872 wurde in Japan rezipiert. Siehe John M. Robertson: Introduction to the History of Civilization in England, London, 1904; 40, 47. Der Begriff Sozialdarwinismus soll im Folgenden nicht ohne kurze Erläuterung als analytische Kategorie verwandt werden. Wie jeder ‚-ismus’, so bezeichnet auch der Begriff Sozialdarwinismus einen ganzen Komplex von Bildern, Vorstellungen, Handlungsweisen und –mustern. Der Begriff selbst wurde erstmals von D. C. Wells im Jahre 1907 als kritische Bezeichnung für eine imperialistische Weltordnung verwandt, siehe Geulen: Wahlverwandte; 73, Fn 4. Als anti-imperialistischer Kampfbegriff in der Zeit des Hochimperialismus um die Jahrhundertwende geprägt, stand der Begriff Sozialdarwinismus für eine vehemente Kritik an der imperialen und kolonialstaatlichen Praxis der westlichen Länder, die, so beschrieben es die Gegner des Establishments, im weltweiten Kampf um koloniale Herrschaftsgebiete und auf der Suche nach bestmöglicher Nutzung von natürlichen Ressourcen durch ihre militärische Überlegenheit und Menschenverachtung die Existenz der in den Kolonialgebieten lebenden Gesellschaften zu bedrohen schienen. Die ‚Anti-Sozialdarwinisten’

179 1882) The Origins of Species (1859) und The descent of men, and selection in relation to sex (1871), die Theorie der biologischen Selektion und Evolution von Arten durch Verdrängung auf den Vorgang einer sozialen Evolution der Menschen (-rassen) übertragen. Darwin selbst hatte mit seinem Werk über die Origins of Species in erster Linie die zeitgenössische Auffassung widerlegen wollen, die besagte, dass die Entwicklung der Arten einem göttlichen Schöpfungsplan folge. Er hatte belegen können, dass die Entwicklung der Arten auf zufälliger Selektion beruhte, die jene überleben ließ, die besonders gut an ihre Umwelt angepasst waren. Die Lebewesen, deren physische Eigenschaften optimal an ihre Umwelt angepasst waren, hätten einen Überlebensvorteil gegenüber anderen Spezies. Für ihn war die Umwelt ein chaotischer Existenzkampf, der einem permanenten Zerstörungsprozess gleichkam und zufällige Variationen negativ oder positiv selektierte. So beschrieb er in den Worten des Bevölkerungswissenschaftlers Thomas Malthus den Zustand der Lebewesen als ‚struggle for existence’. Der eigentliche Kern der Darwin’schen Theorie betraf die im 19. Jahrhundert virulente Frage, ob die selektive Evolution als ein Fortschrittsmodell im Sinne einer teleologischen Naturgeschichte neben der biblischen Schöpfungsgeschichte ihre Berechtigung habe. Spencers Übertrag der Darwin’schen Evolutionstheorie auf soziale Gefüge (Nationen/Gesellschaften) ging über Darwins eigentliches Anliegen hinaus. Spencer formulierte den Gedanken des ‚Überlebens durch Anpassung’ im Kontext von Nationen, die miteinander um Lebensräume konkurrierten: er schuf Kulturräume bzw. Zivilisationsräume, die miteinander in Konkurrenz standen. Seinem Verständnis nach waren jene Nationen im Vorteil, die am stärksten ausdifferenziert waren, die einen hohen Grad an Arbeitsteilung erreicht hatten. Dieses hohe Maß an Ausdifferenzierung bezeichnete er in seiner Theorie als hohe Stufe der Zivilisation, deren Entwicklungsgrad sich an der Zunahme an Komplexität der sozialen und kulturellen Beziehungen messen ließ. Das Moment der Ansammlung von ‚Traditionen’ spielte dabei eine wesentliche Rolle. Europa wurde hier zu einem Raum der Zivilisation, Außer-Europa zu einem zu verdrängenden Raum.

prangerten also das imperiale Rational an, das die Expansion als existenzielle Notwendigkeit verstand. Leider mangelt es jedoch an einem anderen etablierten Begriff unter dem in etwa vergleichbares Gedankengut subsumiert werden könnte. Um nicht einen Begriff der Ideologiekritik der Jahrhundertwende zur analytischen Kategorie zu erheben, scheint es geboten, zur Kennzeichnung der historischen und ideologischen Kontextgebundenheit des Begriffs ‚Sozialdarwinismus’ in Anführungszeichen aufzuführen.

180 Mit dieser Kontextualisierung der Darwin’schen Evolutionstheorie ordnete Spencer den intellektuellen Fähigkeiten der Menschen eine entscheidende Bedeutung bei. Sie wurden in einer durch Konkurrenzkampf bestimmen Welt zum entscheidenden Faktor von Überlebenschancen. Im Gegensatz zu den ebenfalls in Japan weit rezipierten Zivilisationstheorien von Buckle und Guizot rechnete Spencer mit seiner Theorie den kleinen und schwachen Völker im weltweiten Konkurrenzkampf kaum noch Überlebenschancen zu. Kumuliert in seinem Schlagwort ‚survival of the fittest’ hatte er die Darwin’sche Theorie der Evolution zu einer eigenen Variante des linearen Fortschrittsdenkens entwickelt und in gewisser Weise zu einer Existentialisierung der Zivilisationsfrage beigetragen. Darwins Evolutionstheorie war in Japan durch die Vorlesungen des amerikanischen Zoologen Edward Sylvester Morse (1838-1925) und seines Kollegen, dem Kunsthistoriker Ernest Fenellosa (1853-1908) einer japanischen Studentenschaft an der Universität von Tokyo vermittelt worden. Die Hauptschrift Spencers aus den Principles of Sociology, dies war der fünfte Teil mit dem Titel Social Statics, wurde im Jahre 1883 von Matsushima Kô übersetzt und trug den Titel Gesellschaftsdiskurs

[{ 社会へ意見論} shakai heiken ron]. Knapp zehn Jahre später lag eine übersetzte Gesamtausgabe der Principles of Sociology von Noritake Kôtarô im Japanischen vor (Yamashita: Spencer; 79, 85).271 In China wurden die Texte Charles Darwins von Yen Fu übersetzt. Ca. ab 1895 dürften sie weiten Teilen der Reformliteraten bekannt gewesen sein (Pusey: Charles Darwin;5). In der japanischen und dann folglich auch der chinesischen Rezeption wurden bestimmte Aspekte des ‚sozialdarwinistischen’ Weltordnungsentwurfes von Spencer besonders betont. Hier lag der Schwerpunkt auf der Betrachtung des weltweiten Wettkampfes zwischen den schwachen und den starken Staaten. Es ist auffällig, dass das Land Japan in der (japanischen und) chinesischen Rezeption der Seite der starken Staaten zugerechnet wurde. Mit dem Argument, dass Japan dem Expansionsstreben der westlichen Mächte entgangen sei, durchbrachen die

271 Die Rezeption Spencers in Japan war uneinheitlich. Der Soziologe wurde sowohl von Vertretern der Bürgerrechtsbewegung vereinnahmt als auch von konservativen Angehörigen der Regierung als Ratgeber konsultiert, siehe Yamashita: Herbert Spencer; 83ff. Zur japanischen Rezeption ‚sozialdarwinistischen‘ Denkens siehe grundlegend Takada: Chûgoku; 236-245 und, zwar kritisch zu lesen aber mit einigen Details Oka Yoshitake: Meiji shoki no jiyûminken ronsha no me ni eijitaru tôji no kokukai jôsei [Die internationale Situation wie sie von der Bürgerrechtsbewegung in der frühen meiji-Zeit gesehen wurde], Seiji oyobi seijishi kenkyû, Tokyo, 1985; 471-514, 483-89.

181 chinesischen Reformliteraten das in der westlichen Wahrnehmung bestehende binäre Raumschema vom starken Westen und schwachen Osten, sie ordneten die Lokalisierungen von Ost und West neu. Doch nicht nur die weitgehende Freiheit von kolonialer Herrschaft machte Japan in den Augen der Chinesen zu einem Teil des europäischen Zivilisationsraumes der Starken. Es werden die Reformerfolge des Landes, hier vor allem die Erneuerung der politischen Institutionen, die Wirkkräfte der oppositionellen Bürgerrechtsbewegung, die Etablierung eines Schul- und Universitätssystems, die Einsetzung einer konstitutionellen Monarchie auf der Grundlage der 1889er Verfassung etc. als Elemente der Zivilisation bezeichnet. Diese Interpretation ‚sozialdarwinistischen’ Denkens bedeutete, dass nur, wer sich reformierte und wie Japan selektiv verwestlichte in einer Welt des ständigen Kampfes überleben würde. Reformierung und selektive Verwestlichung wurden zur nationalen Überlebensfrage. Liang Ch’i-ch’ao sah in Japans Adaption westlichen Wissens und westlicher Institutionen sogar den Ansatz einer einheitlichen Weltzivilisation, in welcher die Gegensätze zwischen Ost und West entschärft würden. Wichtigste Elemente dieser Weltzivilisation seien die Nationalstaaten und deren Verfassung. China, wenn es überleben wolle, hätte keine Alternative, als seine Institutionen entlang eines solchen Nationalstaates zu reformieren (Chang; Liang; passim). Formen ‚sozialdarwinistischen’ Denkens sind auch in Phan Bội Châus Schriften wiederzuerkennen. Die ersten Hinweise auf die Übernahme ‚sozialdarwinistischer’ Interpretationsansätze bei Phan Bội Châu findet man in seinem Kommentar zum Buch The Great Trends in the World (viet.: Thiên-ha dai-thê-luân) von Ky Am Nguyên Lô Trach, welches er von seinem Freund Mai-Sơn Nguyến-Thùơng-Hiền erhalten hatte.272 Dieses Buch eröffnete Phan einen neuen Blick auf die Situation des französisch beherrschten Vietnams:

“After I had read Thiên-ha đai-thế-luận (The Great Trends in the World), new ideas began to spring up in me. He (Mai-Sơn Nguyến-Thùơng-Hiền, Anmerk. der Verfasserin) also lent me books such as Chung-tung Chan-chi (History of the War in the Middle East) and Fa-P’u chan-chi (History of the Franco-Prussian War) (by

272 Siehe Phan Bội Châu: Chariot; 58; Mai-Sơn Nguyến-Thùơng-Hiền (?-1925) schloß sich im Jahre 1907 Phans Studentenbewegung an und ging nach Japan. Zuvor hatte er die Aufnahmeprüfung für die Beamtenlaufbahn am Kaiserhof bestanden, jedoch einen dortigen Posten abgelehnt. Kỳ Âm Nguyến Lộ Trạch war ein bekannter Gelehrter, der ebenfalls den Eintritt in das kaiserliche Beamtentum abgelehnt hatte, ibid.

182 Liang Ch’i-ch’ao), and Ying-huan chih-lüeh (A Brief Description of the Maritime World) (by Hsü Chih-yu). Through reading these books, I began to have a rough idea of the rivalries in the world, and I was profoundly struck by the tragic prospect of the ruin of nations and the extinction of races.“ 273

Die ersten ‚Welt’- Blicke, die Phan durch die Lektüre der Bücher erlangen konnte, sind bereits von einer ‚sozialdarwinistischen’ Sichtweise geprägt: „Rivalitäten von Mächten“ und „Auslöschung von Rassen und Nationen“ (vietn.: vong quoc). Was Phan Bội Châu mit den „neuen Ideen“ bezeichnete, führte er nicht weiter aus, doch vermutlich war für ihn die westliche Idee einer ‚Welt’, die mehr umfasste als den bekannten sinozentrischen Kulturraum, und die durch Rivalitäten und Auslöschung von Rassen beherrscht war, zumindest eine neue Idee. Eine Welt, die von anderen mächtigen Akteuren beherrscht wurde, zu denen auch das von Frankreich beherrschte Tongking gehörte. Die Kräfte dieser Welt wurden gesteuert von den „Welttrends“, so wie es der erwähnte Titel des Buches beschreibt. Die französische Herrschaft erschien als Teil einer unaufhaltsamen Entwicklung, der „Welttrends“. Letztlich führten diese Welttrends zu einer „Auslöschung“ Vietnams und stellten folglich eine existenzielle Bedrohung der eigenen „Rasse“ dar. Die Befürchtung über den „Ruin der Nation“, wird am Begriff der „Welttrends“ festgemacht, einer Begriffsentlehnung aus den Schriften Liangs.274 Liang wiederum hatte den Begriff der „Welttrends“ von dem japanischen Journalisten Tokutomi Sohô (siehe II 1 D iv.) übernommen (Phan Bội Châu: Chariot; viii-ivx). In dessen

viel gelesener Schrift Das zukünftige Japan [{将来の日本} shôrai no nihon] aus dem

Jahre 1886 verwendet Tokutomi den Begriff Welttrends [{世界の大勢} sekai no taisei] um zu erklären, dass der Freihandel das auslösende Moment für die wirtschaftliche und zivilisatorische Überlegenheit einzelner Nationen sei und dass dieser Trend des Freihandels die ganze Welt erfaßt habe. Alle Nationen stünden in einem ökonomischen Wettbewerb miteinander. Die Konsequenz sei, dass sich starke Staaten in diesem System behaupten könnten, wohingegen die schwache Staaten

273 Siehe Phan Bội Châu: Chariot: 85. Anmerkung: die englischen Übersetzungen der Buchtitel sind der Autobiographie Phans entnommen. Lediglich die durch die Verfasserin gekennzeichnete Erläuterung ist dem Zitat hinzugefügt. 274 Liang war der von Phan am häufigsten zitierte chinesische Reformer. Zumindest lässt sich dieser Eindruck gewinnen, wenn man die Häufigkeit der Erwähnung Liangs in den Memoiren Phans mit denen anderer chinesischer Reformer vergleicht. Phan zitiert Liangs The Reform of 1898 (chin.: Mu-tzu ch’eng-p’ien), The Chinese Spirit (chin.: Ch’ ung-kuo hun) und vereinzelte Ausgaben des Journal of the New Citizen (chin.: Hsin-min Sung-pao) sowie die im obigen Zitat genannten Schriften, siehe Phan Bội Châu: Chariot; 83.

183 verschwinden würden (Tokutomi: shôrai no nihon; Kap. 8 bis 10)275. Auch wenn Liang Ch’i-ch’ao in seinen Schriften den Nationalismus und Imperialismus als die gewichtigsten ‚Welttrends’ benennt und weniger auf die freihändlerischen Ansichten Tokutomis eingeht, so übernimmt er doch dessen Beobachtung, dass sich westliche Handlungsweisen als bestimmend für die ‚Welt’ erweisen würden.276 Liang unterscheidet zwischen zwei Formen des Imperialismus. Die eine Form, die er als ‚despotischen Imperialismus’ bezeichnet, sei von despotischen Staaten ausgeführt. Als Beispiele werden imperiale Ausgreifungen in der chinesischen Geschichte zitiert. Die andere Form des Imperialismus sei eine Form des bürgerlichen Imperialismus und würde von Japan betrieben. Diese Form des Imperialismus sei von dem Kampf eines jeden um seinen Besitz und sein Leben getragen und daher sehr beständig (Huang: Confucian Liberal; 70, dort aus dem Original zitiert). Liang bezeichnete diese zweite Form des Imperialismus auch als ‚nationalen Imperialismus’, der gewissermaßen die Errungenschaften von Nationalstaaten wie öffentliche Wohlfahrt, Selbstregierung, Privatrechte etc. verteidigen würde. Durch Handel und Industrialisierung würden die Nationalstaaten sich immer ausweiten müssen (ibid: 71). Liang interpretiert ‚Imperialismus’ als zwangsläufiges Ergebnis einer historischen Evolution in deren Verlauf die Expansion der Westmächte und Japans den Höhepunkt von wirtschaftlichen Wachstum und westlicher Zivilisation darstelle. Mit anderen Worten: Nationaler Imperialismus war der Vermittler von Aufklärung und Zivilisation. Ohne leider auf konkrete Angaben von Phan Bội Châu zu seiner Rezeption des ‚Welttrend’-Begriffs von Liang verweisen zu können, so kann doch angenommen werden, dass Phan die geradezu positive Interpretation des japanischen Imperialismus von Liang übernahm. 277 Diese positive Sichtweise imperialen Strebens und Handels ist in Phan Bội Châus Schrift New Letter Written in Blood and Tears on the Ryûkyûs [Lưu câu huyết 1ệ tân thu] (Phan Bội Châu: Chariot; 65ff) zu finden, deren Entstehung spätestens auf das Jahr 1904 festgelegt wird (Marr: Anticolonialism; 102, Fn 16). Auf den ersten Blick verwundert der Titel der

275 Siehe Ausführungen über Tokutomis Lektüre von Herbert Spencer unter II 1 D iv. 276 Siehe Chang: Liang; 98 sowie Huang Philipp Chung-chih: A Confucian Liberal, Liang Ch’i- ch’ao in Action and Thought, Washington, Uni. Diss., 1966; 70. 277 Wahrscheinlich ist, dass Phan den Kommentar Liangs über Katô Hiroyukis Wettstreit und das Recht des Stärkeren [Kyôsha no kenri no kyôsô] gelesen hatte, der in der viel rezipierten Schrift Liangs aus dem Jahre 1901 Der moderne Bürger (s.o.) enthalten ist.

184 Schrift: die Trauer und das Mitleid für die von Japan im Jahre 1874 beanspruchte und im Jahre 1879 formal annektierte, südlich von Japan gelegene Ryûkyû- Inselgruppe (s.o. II 2 A.). Vor dem Hintergrund Phans chinesisch geprägter ‚sozialdarwinistischer’ Weltanschauung erklärt sich jedoch die Trauer um die Annektion der Ryûkyû-Inseln. Phan interpretiert die nach seinem Verständnis für die Bevölkerung der Ryûkyû-Inseln zwangsläufig eingetretene Situation der Annektion als eine gesetzesmäßige Zwangsläufigkeit. Japan sei keine andere Handlungsalternative geblieben, als die Inselkette zu annektieren, da Japan wachsen und stärker werden müsse. Und Japan konnte nur stärker werden, wenn es seinen Machtbereich auf die kleinere Nation der Ryûkyû-Inseln ausdehnte. Aufgrund der Notwendigkeit der Expansion starker Nationen mussten kleine Nationen den Ruin befürchten, sie mussten befürchten, von den Großen „gefressen“ zu werden. Phan zieht eine Analogie zwischen den Ryûkyû-Inseln und Vietnam – aus diesem Grunde drückt er seine Trauer über das Schicksal der japanischen Inselgruppe aus (Phan Bội Châu: Chariot; 65ff).278

Die große Attraktivität ‚sozialdarwinistischen’ Denkens in China (und auch in Japan) ging nicht nur auf die Prominenz dieses Erklärungsansatzes in der westlichen Welt zurück. Als neues globales Ordnungssystem von Zivilisationsräumen stellte der ‚Sozialdarwinismus’ auch eine Alternative zum Konfuzianismus dar, der in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in China einer immer stärkerer Kritik unterzogen wurde (siehe II.). Als umfassender alternativer Erklärungsansatz für die neue Machtkonstellation in der Welt, in der sich die chinesischen und

278 Die Ursache für die Schwäche Vietnams sieht Phan in der französischen Herrschaft. In der Schrift History of the Loss of Vietnam [Viêt nam vong quoc su] aus dem Jahre 1904 wirft er den Franzosen eine unmäßige Steuerpolitik vor und beschreibt die daraus resultierenden, die Wirtschaft des Landes schwächenden Effekte. Im dritten Teil beklagt er auch, dass durch die französische Herrschaft die Bevölkerung deklassiert würde und moralisch degeneriere. Die Kausalität zwischen den demoralisierenden und den Volkscharakter zerstörenden Auswirkungen der Fremdherrschaft und dem moralischen Verfall des Volkes hatte auch Liang in seinen Werken hergestellt. Er beschrieb in Geschichte des Französisch-Preußischen Krieges und Kurzbeschreibung der Welt den moralischen Verfall und die vorherrschende Korruption des chinesischen Volkes und benennt die Fremdherrschaft der Mandschus als Verursacher dieses Zustandes, siehe Onogawa: Shinmatsu seiji shisô; 67ff. u 84ff. Vergl. auch die ähnliche Argumentation bezogen auf die Moralität der Filipinos und die Auswirkungen der spanischen Kolonialherrschaft unter III 1 C i u. ii. Der Terminus „loss of the country“ wurde ursprünglich in China verwandt, um einen Dynastiewechsel zu bezeichnen, doch in seiner Bedeutung im 19. Jahrhundert, zumindest in dem Sinne, wie Liang den Begriff verwandte, beschrieb der Terminus, dass das Land nur durch die revolutionäre Erhebung gegen die Fremdherrschaft gerettet werden konnte, siehe Karl: Creating Asia; 1102-3.

185 vietnamesischen literati zu lokalisieren versuchten, stellte der ‚sozialdarwinistische’ Ansatz der Einteilung der Welt in Starke und Schwache ein neues globales Ordnungssystem dar, welches die tatsächlichen Machtverhältnisse in Ostasien realistischer abbildete als die Lehre von der Zentralität Chinas.279 ii. Japan als Raum einer modernen monarchischen Verfasstheit

Die Einflüsse der chinesischen Reformliteratur auf Phan Bội Châu zeigten sich auch in seinen Bemühungen, eine Gruppe reformorientierter literati und Hofadliger um sich zu versammeln. Diese Gruppe sollte, ähnlich wie K’angs Reformschule in Hunan, zu einem Zentrum der Reformbewegung in Vietnam werden. Die Zusammensetzung der Mitglieder und die Entwicklung dieser Gruppe war von Anfang an durch das ambivalente Verhältnis der vietnamesischen literati zur Monarchie geprägt. Obwohl die Institution der Monarchie während und nach der Regierungszeit Tụ̉ Đưcs unter den Reform-literati um Phan Bội Châu kein hohes Ansehen mehr hatte, war Phan bestrebt, gerade auch monarchische Vertreter für seine Sache zu gewinnen (Phan Bội Châu: Chariot; passim). Ergebnis dieser Anstrengungen war die Gründung der Gesellschaft zur Restauration Vietnams [Việt nam duy tân hội] im Mai 1904. Die Mitglieder der Gesellschaft zur Restauration Vietnams rekrutierte Phan auf Reisen durch Tongking und Annam. Letztlich versammelte er ca. 20 literati sowie den Prinzen Cường Để (1882-1951), ein Nachkomme des Gia-Long Kaisers in der vierten Generation. Unter den literati

befanden sich Phan Châu Trinh (jap.: フアン・チヤウ・チン), Nguyến Quyến (jap.: グエン

・クイン), Nguyến Ham und Tăng Bạt Hổ (jap.: タン・バト・ホ) (Phan Bội Châu: Chariot; 55), die alle später in der Zeit von 1905-1908 nach Japan reisen sollten (siehe V C.). Tăng Bạt Hổ begleitete Phan auf seiner ersten Japanreise als Dolmetscher.280 Drei Zielsetzungen wurden mit der Gründung der Gesellschaft verfolgt: (i) die Gesellschaft schnellstmöglich bekannt zu machen, neue Mitglieder zu werben und

279 Wie Douglas Howland für den chinesischen Fall nachgewiesen hat, ersetzte das ‚sozialdarwinistische’ Verständnis von Zivilisation das traditionelle chinesische Verständnis von Zivilisation [wenming] spätestens in der Zwischenkriegszeit, siehe Howland: Borders of Chinese Civilization; 262. 280 Siehe Kawamoto Kuni: Phan Bội Châu no nihonkan [Phan Bội Châu: Eindrücke und Impressionen von Japan], Rekishigaku kenkyû, 1972; 175.

186 finanzielle Unterstützung zu akquirieren; (ii) um auch nach einer Restauration [duy tân] weiterhin handlungsfähig zu sein, sollten Waffen beschafft werden und (iii) zu deren Beschaffung sollte über die Gesellschaft zur Restauration Vietnams Kontakt mit dem Ausland aufgenommen werden (Phan Bội Châu: Chariot; 59). Obwohl der zentrale Begriff sowohl des Gesellschaftsnamens als auch der erklärten Zielstellung der Vereinigung, duy tân, nicht näher definiert wird, scheinen die meisten geplanten Aktivitäten mit diesen Begriff im Zusammenhang zu stehen. Zunächst einmal kann man den Begriff duy tân mit Restauration/Renovation übersetzen. Er stellt das vietnamesische Äquivalent zum japanischen Begriff ishin [{

維新} Erneuerung] dar, einem Wortteil des Begriffs meiji ishin [{ 明治維進} Aufklärung, Politik, Erneuerung], der Bezeichnung für die Wiederinthronisierung des japanischen Kaisers als Zentrum und Souverän staatlicher Macht. Das Ereignis der meiji ishin im Jahre 1868 war ein Hauptthema der Neuen Bücher im Reformkreis um K’ang und Liang und dürfte auch Phan bekannt gewesen sein. Als zentrales Ereignis des japanischen Reformprozesses wurde meiji ishin in der chinesischen Reformliteratur zum Inbegriff der japanischen Erstarkung. Den semantischen Gehalt des Begriffs ishin für die Zeit der ersten Jahre nach 1868 hat interpretiert Tsunoda anhand des immer wieder im Zusammenhang mit der meiji

ishin zitierten konfuzianischen Terminus fukko [{ 復古} Rückkehr zum Alten/Wiedereinsetzung] als eine konfuzianische Revolution, die eine alte Ordnung wiederherstelle (Tsunoda: Sources, II; 133). 281 Es liegt nahe, dass der vietnamesische Begriff duy tân eine ähnliche Semantik aufweist wie der Begriff ishin im Sinne von Reform/Erneuerung/Stärkung. 282 Eine genaue semantische Festlegung des Wortgehaltes in der Begriffsverwendung Phans kann jedoch nur von

281 Der Begriff meiji ishin hat verschiedene konzeptuelle Übersetzungen in thematischer wie in zeitlicher Hinsicht erfahren. Als kurzfristige Revolution interpretieren marxistische Forscher den Wechsel der Herrschaftsform vom feudalen Lehnssystem der Tokugawa zum nationalstaatlichen Zentralismus im tennô-System, als langfristige Reformation/Restauration bezeichnen ihn Forscher, die auf die Kontinuitäten der japanischen Macht- und Herrschaftsstrukturen hinweisen, siehe Duus: Abacus. 282 Ein Großteil der Vietnamforschung behandelt das Revolutionsparadigma. Die meisten der Untersuchungen stimmen darin überein, dass Varianten des Revolutionsbegriffs im Sinne eines modernen, westlich-europäischen Begriffs im Zusammenhang mit der chinesischen Revolution von 1912 entstanden, jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Aufkommen des Kommunismus Eingang in die vietnamesische Begriffswelt fanden, siehe die Beiträge von Alexander B. Woodside: Community and Revolution in Modern Vietnam (Boston, Houghton Mifflin, Boston, 1976), Pierre Brocheaux: Histoire de l’Asie du Sud-Est – Révoltes ,Rréformes, Révolution, Lille, Presse Universitaire de Lille, 1981 sowie Duiker: Vietnam.

187 Fall zu Fall vorgenommen werden, da Phan und andere den Begriff duy tân zur Beschreibung unterschiedlicher Sachverhalte und Absichten verwenden. Im Folgenden wird es um die Frage gehen, welchen Bezug die duy tân-Bewegung zu Japan aufweist, auch wenn widersprüchliche Verwendungsabsichten mit dem Begriff duy tân auszumachen sind. Die ‚monarchische’ Bedeutungsebene des Begriffs duy tân war durch die Einbindung des Prinzen Cường Để in die Reformbewegung verkörpert. Cường Để erhielt eine zentrale Funktion innerhalb der Vereinigung, indem er zum Repräsentanten der Gesellschaft zur Restauration Vietnams ernannt wurde (Phan Bội Châu: Chariot; 64-5). Phan Bội Châu sah in Prinz Cường Để (1882-1951) eine dem japanischen meiji tennô ähnliche Monarchenpersönlichkeit. Cường Để sollte so wie der meiji tennô eine starke Monarchie repräsentieren und einen aufgeklärten Monarchen verkörpern. In einem Gedicht über Cường Để, welches anlässlich der Gründung der Gesellschaft zur Restauration Vietnams von Phan verfasst wurde, wird dem Prinzen mit Blick auf Japan eine dem meiji tennô vergleichbare Rolle zugewiesen. In dem Gedicht heißt es:

„The first to wave the flag of independence, Japan is naturally a country of the same culture, As East Asia is entering the era of modernization, Who could vie with the Japanese Emperor, an enlightened monarch, The example that Japan has set for us in East Asia, We should follow, lest to fall into error.“283

Phan erhoffte sich durch Cường Để eine Erneuerung und Stärkung der Monarchie nach japanischem Vorbild, die für ihn sowohl Reform und Erneuerung als auch eine an der indigenen Tradition orientierte Haltung zu verbinden hatte. Die Verkörperung von Land und Leuten durch einen monarchischen Vertreter sollte auch die Unterstützung durch die reichen Familien des Südens sicher stellen. Es heißt:

“Thieu-La (ein Mitglied der Gesellschaft zur Restauration Vietnams, Anmerk. der Verfasserin) said to me: “Now that we are to embark upon our enterprise, the first thing is to

283 Siehe Vinh Sinh: Phan Bội Châu and Fukuzawa Yukichi: Perceptions of National Independence, in: ders. (Hrsg.): Phan Bội Châu and the dong du-Movement, Yale, New Heaven, Yale Center for International and Area Studies, 1988; 101-149, hier S. 131. Ob hier der Begriff ‚Modernisierung’ eine adäquate Übersetzung ist und nicht in erster Linie das gängige Wissenschaftsparadigma der 1970 und 80er spiegelt, müsste in der Originalquelle nachgeprüft werden. ‚Modernisierung’ als vietnamesischer Begriff wird erst in den 1920er Jahren verwandt, siehe Brocheaux: Histoire.

188 win the hearts of the people. At present, those who long for the past wish only to honor the sovereign and expel the enemy…Moreover, now that we are planning a great enterprise, a good deal of money will certainly be needed. Nam-Ky (d.i. Cochinchina, Anmerk. der Verfasserin) is the storehouse of money and provisions in our country. Nam-Ky is the land that the Nguyên dynasty opened up; it feels under great obligation to the Nguyên dynasty. The financial resources with which the Gia-Long restored the country all came from there. Now, were we to bring forward a descendant of Gia-Long, then the endeavour to appeal to the people in Nam-Ky should be easy.” (Phan Bội Châu: Chariot; 64)

An anderer Stelle heißt es:

„If we do not speak in terms of supporting the monarchy, then the large and wealthy families will not follow us. And although we may have the sincerest intention of saving the country, if we do not support the monarchy we will die only to prove our patriotism to ourselves, while in fact our death will have been in vain towards the achievement of any larger task.“ (Phan Bội Châu: Chariot; 109).

iii. Japan als Raum der Zivilisation und Bildung in Asien

Zur Umsetzung der duy tân [Reform, Restauration, Revolution], so das dritte erklärte Ziel der Gesellschaft, war die Kontaktaufnahme mit dem „Ausland“ vorgesehen. Dort sollten Waffen für die Vertreibung der Franzosen beschafft werden. Auch in dieser Absicht zeigt sich die Mehrdeutigkeit des duy tân-Begriffs, denn der Wille, die französische Fremdherrschaft im bewaffneten Widerstand zu bekämpfen, stand noch ganz in der konfzuianischen cần vương-Tradition. Dass es sich bei dem „Ausland“ um Japan gehandelt haben dürfte, erscheint deshalb plausibel, da Phan Bội Châu jenes Land, aus dem die militärische Unterstützung kommen sollte, als das „Land mit derselben Rasse und Kultur“ [đống chùng, đống văn] bezeichnet (Phan Bội Châu Chariot; 71). Neben China und dem Königreich Korea war Japan das einzige Land, das mit dieser Umschreibung des „Auslandes“ benannt wurde. Dass es sich nicht um China gehandelt haben dürfte, zeigt eine weitere Umschreibung. Das gemeinte Land sei ein „aufsteigendes Reich der gelben Rasse“. Phan bemerkt dazu:

„I suppose, given the present circumstances of the world powers, no country except one of the same race and same culture would agree to help us. China has already abandoned our Vietnam to France; moreover, at present she is in a deteriorating condition and lacks the

189 wherewithal even to save herself. Japan is the only country of the yellow race that has modernized…” (Phan Bội Châu: Chariot; 73) 284

Zwar reiste Phan Bội Châu im März des Jahres 1905 nach Japan, um dort Waffen für den Kampf gegen die Franzosen zu beschaffen, doch änderte er sein Vorhaben nach seiner Ankunft in Tokyo. Anlass mag der Austausch mit dem in Yamashita- chô in Yokohama im Exil lebende und schon mehrfach erwähnte chinesische

Reformer Liang Ch’i-ch’ao [jap.: Ryô Keichô 梁啓超] gewesen sein. Er überzeugte Phan, dass die Aufklärung und Bildung des Volkes eine notwendige Voraussetzung für die Reformierung und Stärkung seines Landes sei (Phan Bội Châu: Reflections; 30-31, 36).285 Phan schien sich von dem geschätzten Liang überzeugen zu lassen. Er

284 Die Formulierung ‘China has already abandoned our Vietnam to France’ bezieht sich auf die Niederlage der chinesischen Armee im Krieg gegen Frankreich von 1883/4. Zum Rasse- und Asienbegriff Phans s III 2 D. 285 Diese Erkenntnis hatten zuvor die beiden von Liang intensiv rezipierten Japaner Fukuzawa Yukichi, s. II 1 D i., in der Schrift Appel zum Lernen [Gakumon no susume] und Tokutomi Sohô, II 1 D iv., geäußert. Zu dem Zeitpunkt des Treffens zwischen Liang Ch’i-ch’ao und Phan hatte Liang seine ehemals vertreten Forderung nach einem gewaltsamen Umsturz der Mandschu-Fremdherrschaft und seine teils basisdemokratischen Forderungen nach mehr Machtteilhabe des Volkes bereits geändert. Dieser Positionswandel ist möglicherweise auf eine im Jahre 1903 von Liang durchgeführte achtmonatige Reise nach Kanada und in die Vereinigten Staaten von Amerika zurückzuführen. Im Anschluss an diese Reise äußerte Liang starke Zweifel über seinen bisherigen Standpunkt eines gewaltsamen Sturzes der mandschurische Herrschaft. Zu groß sei seine Angst, dass ein durch einen politischen Machtwechsel geschwächtes China zum wehrlosen Opfer der Großmächte werden könne. In einer Art vergleichenden Revolutionsforschung erläutert Liang die Unterschiede der amerikanischen und französischen Revolution und nennt die Gründe für den Erfolg der amerikanischen. Dabei führt er den Erfolg der amerikanischen Revolution auf die langjährigen Erfahrungen der eingewanderten europa-stämmigen Amerikaner mit dem parlamentarischen System und der lokalen Selbstverwaltung zurück. China, so argumentierte Liang, sei jedoch eher mit Frankreich als mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu vergleichen. Eine ‚Französische Revolution’ würde nur zu Chaos und schließlich zur Diktatur führen. Ein erster Schritt der Reform, nicht mehr der Revolution, könne nur die Einführung einer konstitutionellen Monarchie sein, wobei die Regierung im Sinne einer personenungebundenen, familien- und dynastieunabhängigen Herrschaft ausgeübt werden müsse. Es müsse ein Parlament einberufen und die traditionelle Beamtenprüfung abgeschafft werden. Unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren eines konstitutionellen Systems sei dabei die Bildung des Volkes. Dies bedeute, dass zu allererst der Bildungsgrad der Bevölkerung gehoben werden müsse, siehe Chang: Liang; 239-246. Der frühe Radikalismus Liang Ch’i-ch’aos war zum Gradualismus geworden. Liangs politische Ansichten nähern sich in den folgenden Jahren immer stärker einer staatszentrierten-organistischen Theorie an, etwa wie sie Johann Caspar Bluntschlie entwickelt hatte, siehe ibid; 247-252. Nach dieser Theorie lag die Souveränität beim monarchischen Oberhaupt. Bluntschli ist, wie bereits erwähnt, in Japan stark rezipiert worden, s. I 2 B i. Möglicherweise war diese Auslandsreise Liangs von dem japanischen Politiker Ôkuma Shigenobu finanziert worden. Ôkuma hatte als Außen- und Premierminister die chinesischen Reformintellektuellen empfangen und ihnen finanzielle Unterstützung zugesagt, siehe Howard: Japan’s Role; 300.

190 erinnerte sich, dass er zuvor bereits die Ignoranz und Unwissenheit seiner Generation kritisiert und bedauert hatte:

„In the middle of the nineteenth century, even though the universe was shaken by American winds and European rains, our country was still in a period of dreaming in a deep sleep. Our people were still blind and resigned to their lot. We cannot blame them, for even well- known people from the higher classes like myself were like frogs at the bottom of their hole. It is only because in former times we shut our doors and stayed at home, going round and round in circles of literary knowledge, examinations and Chinese studies. To say frankly that our people was deaf and blind is no exaggeration” (Phan Bội Châu: Reflections; 23, auch 85, Duiker: Nationalism; 48). 286

286 Eine solche Schilderung wird auch in dem als ‚Manifest der ersten Widerstandsbewegung’ geltenden Traktat The Civilization of the New Learning [vietn.: Van minh tan hoc sach] geäußert. In dem Manifest wird die vietnamesische Kultur/Zivilisation als statisch beschrieben und einer westlichen dynamischen Zivilisation gegenübergestellt. Mit dieser Beschreibung war auch eine scharfe Kritik an den konfuzianischen Lerninhalten verbunden, die, so der Vorwurf, neue Ideen und Reform verhinderten. Trotz dieser harschen Kritik verbreitete der anoyme Autor des Manifests auch die Zuversicht, dass bei Fleiß und Lernwillen eine bessere Zukunft für Vietnam bevorstehe, siehe Bradley: Becoming Van Mihh; 3, zitiert nach der Übersetzung des vietnamesischen Originaltextes der in: Dang Thai Mai: Van Tho Cach Mang Viet-Nam Dau The Ky [Revolutionsprosa und -lyrik im Vietnam des beginnenden 20. Jahrhunderts], Hanoi, Nha Xuat Ban Van Hoc, 1974; 208–228 zu finden ist.

191

Die von Phan attestierte Rückständigkeit der Vietnamesen, die er im Konfuzianismus begründet sah, plante er nun durch Nachahmung des japanischen Vorbildes aufzuholen. Vor dem Hintergrund seines ‚sozialdarwinistischen’ Denkens brachte ein Studium in Japan einen Überlebensvorteil:

„...in this age when strong powers against each other are competing we would be a loser unless we absorb civilisation... and to absorb civilisation is to study in Japan“ (Shiraishi: Phan Bội Châu in Japan; 62).

An diesem Zitat wird deutlich, dass die mit dem Japanbegriff verbundene Semantik des Waffenexporteurs sich veränderte und ‚Japan‘ nun für einen Raum der Zivilisation und des Lernens stand. Diese Umdeutung des Japanbegriffs schlug sich kurze Zeit später in Phan Bội Châus Schrift An Appeal to the Nation to Support Financially Students Studying Abroad nieder (Phan Bội Châu: Chariot; 90-1). In der Schrift ruft Phan die Studenten in Vietnam auf, nach Tokyo zu kommen, um dort das New Learning zu studieren. In An Appeal to the Nation to Support Financially Students Studying Abroad lobte Phan Bội Châu in besonderem Maße das Auslandsstudium und die Wissensneugier der Japaner. Auch fordert er seine Landsleute auf, Studenten aus Vietnam bei ihrem Studium in Japan zu unterstützen. Es heißt dort:

„If you study the history of renovation in meiji-Japan, you can clearly understand that the Japanese have been aware of the fact that they could not have achieved a great success without sending students abroad to develop the people’s knowledge and cultivate men of talents.“ (Phan Bội Châu: Chariot; 95, ders.: Reflections; 141). 287

An dieser Stelle muss der Textverlauf kurz unterbrochen werden. Zunächst soll auf den zweiten Teil dieses Kapitels verwiesen werden (siehe III 2 F.), in welchem die in Folge des Aufrufs entstandene dong du-Bewegung ‚Japan’ aus Sicht von ca. 200 literati zu einem Raum des Lernens werden ließ. Desweiteren soll an dieser Stelle ein kurzer Exkurs zeigen, dass Phan Bội Châu nicht die einzige Person war, die mit ‚Japan’ das Lernen und Studieren in Verbindung brachte.

287 Die Schrift wurde vermutlich in einer von Liang Ch’i-ch’aos Druckerpressen vervielfältigt und erreichte eine Auflage von ca. 3000 Stück, siehe Phan Bội Châu: Reflections; 122.

192 Der Reform-literati Phan Châu Trinh (1872–1926) sah in Japan ebenfalls ein Vorbild für Reform und Erneuerung. Auch er stammte aus einer Gelehrtenfamilie und erhielt eine konfuzianische Ausbildung. Im Jahre 1903 übernahm er eine Position im Ritenministerium, obwohl er, ein Leser der Schriften K’ang Yu-weis, in der Ignoranz und Selbstbezogenheit der annamitischen Hofbeamten die kulturelle Rückständigkeit der Vietnamesen begründet sah (Marr: Anticolonialism; 163). Trinh kritisierte Phan Bội Châus Fürsprache für die Monarchie. Er forderte vehement deren Abschaffung. Der Erhalt der Monarchie war für ihn ein Zeichen der Rückständigkeit (Phan Bội Châu: Chariot; 105). Phan berichtet von einer Äußerung Trinhs:

„…he wished to overthrow the monarchy in order to create a basis fort he promotion of popular rights; I, on the contrary, maintained that first the foreign enemy should be driven out, and after our nation’s independence was restored we could talk about other things. My plan was to make use of the monarchy, which he opposed absolutely. His plan was to raise up the people to abolish the monarchy, with which I absolutely disagreed. In other words, he and I were pursuing one and the same goal, but our means were conciderably different. He wished to start by relying on the French to abolish the monarchy, but I wished to start by driving out the French to restore Vietnam…” (Phan Bội Châu: Chariot; 109).

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Ebenfalls gegensätzlich zu Phan, sprach sich Trinh für eine konziliante Haltung gegenüber den Franzosen aus und erachtete die französische Kolonialherrschaft in einigen Aspekten als vorteilhaft für Vietnam. Er schätzte die Franzosen für die Errichtung von Strassen, Bahn- und Schiffslinien und die Errichtung von Telegraphenmasten (Phan Bội Châu; Reflections; 86–88, 157–161). Im Jahre 1906 schrieb Trinh eine Petition an den französischen Generalgouverneur Paul Beau und forderte ihn auf, mehr für die Entwicklung der französischen Kolonie zu unternehmen. Er beklagt in diesem Schreiben, dass trotz des technischen Fortschritts, den die Franzosen für Vietnam gebracht hätten, sie bedauerlicherweise keine Schulen und Krankenhäuser eingerichtet hätten und zu hohe Steuern forderten.288

Trinh teilte jedoch Phan Bội Châus Plan der Studentenbewegung und war davon überzeugt, dass die traditionelle konfuzianische Ausbildung durch das New Learning ersetzt werden müsse. Aus diesem Grunde reiste er im Frühsommer 1906 nach Japan (Duiker: Nationalism; 66, 75, 104–105). Er schrieb: „The level of their people is so high, and the level of our people is so low! How could we not become slaves? That some students now can enter Japanese schools has been a great achievement.”(Phan Bội Châu, Chariot; 108). Am deutlichsten treten die bildungsbezogenen Reformvorstellungen Phan Châu

Trinhs im Lehrplan der Đông kinh nghiâ thục [jap.: Hanoi Tokyo Gijuku {ハノイ東京義 289 290 塾}] , einer Reformschule in Hanoi hervor, die im Jahre 1907 ihre Tore öffnete. Wie Marr annimmt, hatte Phan Châu Trinh den Lehrplan am Vorbild der von Fukuzawa Yukichi in Tokyo geführten Reformschule Keiô ausgerichtet. Diese Annahme erscheint insofern plausibel als Phan Châu Trinh die Schule in Tokyo möglicherweise selbst besucht hat (Marr: Anitcolonialism; 159, 164 Fn 18). Die

288 Siehe Khuê Duong Đình: Les Chefs d’Ouvre de la Littérature vietnamienne (Saigon, 1966; 351–353). 289 Der Begriff Dông kinh bedeutete sowohl Tongking als auch tôkyô (östliche Hauptstadt). Eine vollständige Übersetzung könnte (Ohne Gebühren) Schule der Östlichen Hauptstadt lauten. Zu den möglichen Bedeutungen der chinesischen Schriftzeichen, siehe Marr: Anticolonialism; 163- 4. 290 Siehe Vu Duc Bang: The Dông Kinh Free School Movement (in: Walter F. Vella: Aspects of Vietnamese History, Honolulu, University of Hawai’i Press, 1973, S. 30-96).

195 Lehrinhalte der Keiô orientierten sich an den englischen public schools und sahen eine soziale und politische Erziehung der Schüler im liberal-aufgeklärten Sinne vor. Es standen die Fächer Wirtschaft, Mathematik und Naturwissenschaften im Mittelpunkt, die auf der Grundlage der Lektüre von englischen und amerikanischen Lehrbüchern vermittelt wurden. Zweifelsohne lassen sich Parallelen bei den Lehrinhalten ausmachen. In der Đông kinh nghiâ thục standen zwar weitaus mehr französische Literaten und Texte auf dem Programm als dies in der anglo-amerikanisch orientierten Keiô der Fall war. Zum Beispiel war die Lektüre des contract social von Jean-Jacques Rousseau, der esprit de lois von Montesquieu u. a. französische Schlüsseltexte in Originalsprach für die oberen Klassen vorgesehen, doch wurden auch die Texte von Herbert Spencer gelesen. Daneben wurden auch die grundlegenden vier Bücher und fünf Klassiker des Konfuzius unterrichtet, ein Zeichen, dass die konfuzianische Ausbildung zwar allein keine Grundausbildung mehr darstellte, aber nicht gänzlich abgelehnt wurde. Die Unterrichtssprache war sowohl Französisch als auch Chinesisch, geschrieben wurde in der lateinisierten Umschrift des Vietnamesischen quốc ngữ. Ähnlich wie in der Keiô waren die Lehrinhalte der ersten Studienjahre auf wirtschaftliche Themen, Mathematik und die Naturwissenschaften ausgerichtet (Marr: Anticolonialism; 152, 167, 172). An dieser Lehrplanausrichtung dürfte auch die Handschrift zweier Finanziers der Schule, Gilbert Tran Chanh Chieu sowie des Direktors der Schule, Lương Văn Cans (1854-1927) zu erkennen sein. Tran Chanh Chieu, ein naturalisierter Franzose chinesischer Abstammung, war Kaufmann und Seidenhändler und trat für die Ausweitung der Handelsrechte für Vietnamesen in der Kolonie ein. Lương Van Can, Vater der beiden späteren Japan-Studenten Lương Lap Nham (1890-1917, anderer Name Lương Ngoc Quyen) und Lương Nghi Khanh, war ein ebenso einflussreicher Kaufmann und verfolgte ähnliche Interessen.291 Tran Chanh Chieu verfolgte mit der Errichtung der Schule auch eine ‚nationalisierenden’ Absicht. So wie er gleichzeitig einen Großteil der aus allen Landesteilen kommenden vietnamesischen Studenten, die nach Tokyo gingen,

291 An der Finanzierung der Schule beteiligten sich verschiedene Vietnamesen, die mit den reformatorischen Zielen der Schule übereinstimmten. Ein weiterer Financier der Dông kinh war Nguyến van Vinh. Er hatte 1898 an der französischen Kolonialschule für Übersetzter graduiert und war nach einem Frankreichaufenthalt 1906 nach Vietnam zurückgekehrt, siehe Tài: Radicalism; 24, 48.

196 unterstützte (siehe III 2 F iii.), war er auch bemüht, Studenten aus Nord-, Mittel- und Südvietnam für die Schule zu gewinnen. Wie eine im Unterricht verwandte Landkarte zeigt, wurde an der Schule ein territoriales Bild von Vietnam vermittelt, das den Grenzen Union Indochinoise entsprach (Goscha: Annam and Vietnam; 98ff).292 Die Đông kinh nghiâ thục wurde im Januar des Jahres 1908 durch die französische Verwaltung geschlossen. Trotz Phan Châu Trinhs moderatem Ton und seiner wiederholten Ablehnung gewaltsamer Aufstände gegen die französische Kolonialmacht, schienen seine Aktivitäten und Schriften den französischen Behörden radikal genug, um ihn im Spätsommer 1908 aufgrund seiner Teilnahme an einer Anti-Steuer-Erhebungen zu einer mehrjährigen Haft zu verurteilen. 14 Jahre davon verbrachte Trinh im Exil in Paris, wo er sowohl die Versailler Friedenskonferenz von 1919 verfolgte als auch später auf Hốh Chí Minh traf.

Wie sich an diesen letzten Beispielen zeigt, war ‚Japan‘ nicht nur für Phan Bội Châu eine Orientierung in der Reformdebatte. Auch seine Mitstreiter sahen in Japan in der einen oder anderen Weise ein Vorbild. Es ist sicher kaum abzuschätzen, welche quantiative Verbreitung das japanische Modell in den Gedanken der vietnamesichen Reform-literati erlangte, aber es ist davon auszugehen, dass Phan Bội Châu keine Einzelmeinung vertrat. iv. Japan als imperialer Raum

Während seines Japanaufenthaltes traf Phan Bội Châu auf weitere chinesische Reformer, die sein Denken erneut in eine andere Richtung lenkten und das Ziel einer Erneuerung, Stärkung und Reformierung Vietnams in den Hintergrund treten ließen.

292 Fast zeitgleich mit der Eröffnung der Dông kinh wurde im Jahre 1907 während der Gouverneurszeit des Liberalen Paul Beau die medizinische Fakultät der Universität in Hanoi um eine rechts- und wirtschaftswissenschaftliche ergänzt. Es hieß, man wolle den ambitionierten Studenten eine Alternative bieten. Da die Kenntnis der französischen Sprache Voraussetzung für ein Studium war, schränkte sich der Kreis potentieller vietnamesicher Studenten schnell ein. Die Universität wurde im Jahre 1908 wieder geschlossen, siehe John S. Furnivall: Educational Progress in Southeast Asia, New York, AMS Press, 1978; 84-7. Das alte chinesische Examinationssystem, welches für die meisten Vietnamesen nach wie vor der traditionelle Ausbildungsweg war, wurde im Jahr 1918 abgeschafft. Dass die Universitätswiederöffnung von Hanoi im Jahre 1917 ein Mittel war, um einen studentischen Exodus nach Europa zu vermeiden, kann nicht ausgeschlossen werden.

197 Eine jener Personen, die Phan in Tokyo traf und über die er ausführlicher berichtet, ist Sun Yat Sen (1866-1925), Führer der republikanisch gesinnten chinesischen Exilgemeinde und später erster Präsident der Republik China. Mitte des Jahres 1906 treffen beide zusammen (Phan Bội Châu: Chariot; 101). Sun hielt sich zu diesem Zeitpunkt bereits fast zehn Jahre in Tokyo auf. Er war im Jahre 1897 nach einem gescheiterten Umsturzversuch der chinesischen Regierung in Hongkong (Sun gehörte nicht zum Reformkreis um K’ang und Liang) nach Japan ins Exil geflohen.293 In seiner anti-mandschurischen Haltung unterschied Sun sich wenig von Liang, doch strebte er nach einem Sturz der mandschurischen qing-Dynastie (1644-1912) die Errichtung einer Republik an. 294 Die von ihm im Jahre 1905 gegründete Liga für eine Volksversammlung [chin.: T’ung-meng-hui] fungierte für diese Pläne als eine Art republikanischer Revolutionsrat oder Exilregierung. Auch Phan trat der Liga im Jahre 1906 bei. Unterstützung erhielt Sun nicht nur bei großen Teilen der chinesischen Exilstudenten in Tokyo, sondern auch im linksliberalen Spektrum der Anhänger der japanischen Bürgerrechtsbewegung bei Inukai Tsuyoshi (siehe II 1 C iv.) und den T’ung-meng-hui-Gründungsmitgliedern Miyazaki Tôrazô 295 宮崎寅蔵 (1871-1922) und Tôyama Mitsuru (1856-1925). In seinen Memoiren berichtet Phan von einem Gespräch zwischen ihm und Sun. Er erwähnt, dass sie Meinungsunterschiede im Bezug auf die Rolle der Monarchie im zukünftigen Vietnam hätten (Phan Bội Châu: Chariot; 101). Doch scheint Phan sich Suns anti-monarchischem, republikanischen Standpunkt im Anschluss an das Gespräch anzunähren. Er schreibt:

293 Sun Yat Sen war in Kanton geboren und auf Hawaii aufgewachsen. Er studierte an verschiedenen westlichen Universitäten Medizin und verbrachte die wenigste Zeit seines Lebens in China, siehe A. Scalapino und George. T. Yu: Modern China and its Revolutionary Process: Recurrent challenges to the traditional order, 1850-1920 (Berkeley, University of California Press, 1986; 260ff). 294 Siehe Shiraishi Masaya: Tainichiki no Fan Boi Châu; Tainichiki no Phan Bội Châu to unnan katsudôka to no kôryû [Kontakte zwischen Phan Bội Châu und den Nationalisten aus Yunnan], Tôyô bunka kenkyûjo kiyô, Tokyo, 1981; 37-105, hier S. 58 ff. 295 Siehe Marius B. Jansen: The Japanese and Sun Yat Sen, Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1954; 54-59. Tôyama Mitsuru unterhielt Kontakte zu Dissidenten aus ganz Asien. Leider finden sich in seinen Aufzeichnungen keine Hinweise auf Kontakte zu vietnamesischen Widerstandskämpfern und Reformern. Seizo Kimase hat in einer stark an Geschichtsklitterung grenzenden und unter dem Vorzeichen des Zweiten Weltkrieges stehenden Biographie das Leben Tôyamas dargestellt, siehe Kimase Seizo: Mitsuru Toyama kämpft für Großasien (München, Zinnen-Verlag, 1941). Eine seriöse Quelle erwähnt, dass auch Cường Để ein Gast Tôyamas war, siehe Richard Storry: The Double Patriots, A Study of Japanese Nationalism (London, Chatto and Windus, 1957; 18-9, 179).

198 „As I had more dealings with members of the Chinese revolutionary party, democratic ideas impinged on me mre deeply day by day. Although I was restricted by our original plan and not able to speak out loud, from that time there was implanted in my heart the seed that would eventually give rise to change.” (Phan Bội Châu: Chariot; 132)

Die „democratic ideas“, von denen Phan hier spricht, waren möglicherweise die im Manifest der Liga für eine Volksversammlung formulierten drei Leitsätze: 1.) Grundsatz der Nation: Befreiung vom japanischen und westlichen Imperialismus, Beendigung der Mandschu-Fremdherrschaft, 2.) Grundsatz der Republik und Volksautorität/-souveränität. In den ersten sechs Jahren nach der Revolution müsse China durch eine Militärregierung geführt werden. Nach dieser Zeit solle China eine Verfassung erhalten und ein repräsentatives System eingeführt werden und 3.) Grundsatz der Sicherung des Gemeinwohl des Volkes durch die gleiche Verteilung von (Land-) Besitz: Die Entstehung von sozialer Ungleichheit durch Anhäufung von Kapital solle vermieden werden.296 Ohne an dieser Stelle auf das Konzept der Nation bei Sun näher einzugehen, so ist doch festzuhalten, dass die ‚Nation’ als Gegenentwurf zur Monarchie und zur mandschurischen Fremdherrschaft als erster der drei Grundsätze genannt wird. Ihr ordnete Sun auch die individuelle Freiheit des Menschen unter. Das Streben nach persönlichen Freiheitsrechten, welches in der europäischen Geschichte zentral für die Entwicklung der Demokratie war, ist nach Suns Ansicht nicht auf China übertragbar. In China habe es nie einen dem europäischen Fall entsprechenden despotischen Druck einer autokratischen Herrschaft gegeben, so dass es in China schon immer eher ein Zuviel als ein Zuwenig an Freiheit des Individuums gegeben habe. Sun Yat Sen schrieb:

„In China geht es nicht wie im Westen um die Freiheit des Individuums, sondern ausschließlich um diejenige der Nation. Wie soll der Ausdruck Freiheit angewandt werden? Wenn wir ihn auf eine Person anwenden, werden wir zu einem Haufen losen Sands; auf keinen Fall dürfen wir dem Individuum mehr Freiheit geben; sichern wir stattdessen die Freiheit der Nation. Der Einzelne sollte nicht zu viel Freiheit haben, aber die Nation sollte vollkommene Freiheit besitzen.“ (Fairbank: Response: 228-9)

296 Die Leitsätze finden sich in Sun Yat Sen: Memoirs of a Chinese Revolutionary, A Programme of National Reconstruction for China (AMS Press, New York, 1970, Bd. I; 76). Zum Mainfest der Liga für eine Volksversammlung siehe John King Fairbank und Tsu-Yü Teng: China’s Response to the West, Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1965; 228.

199 Der strikte Anti-Monarchismus Suns hatte möglicherweise einen, wenn auch geringen, Einfluss auf Phans Denken. Dies läßt sich an der Schrift Phans Letter Inscribed in Blood from Abroad, Teil I, vom Juli 1906 ausfindig machen (Marr: Anticolonialism; 129). Der Text setzt sich mit der monarchischen Frage auseinander und führt die Unfähigkeit der letzten Nguyến-Monarchen und das Desinteresse der Hofbeamten als Gründe für den ‚Verlust Vietnams’ an:

„The sequel in ist first paragraph bitterly exposed the three main reasons for the loss of our country: (i) the sovereign ignores the people; (ii) the mandarins ignore the people… - First, the king does not know the affairs of the people. – Second, the mandarins know nothing about the people…” (Phan Bội Châu: Reflections; 130)

In der Schrift übt Phan erstmals öffentlich eine systematische Kritik am Nguyến- Kaiser Đồng Khánh (1885-1889) und wirft ihm Versäumnisse und Fehler in der Regentschaft sowie Machtmissbrauch vor. Die Distanz, die zwischen der Monarchie und dem Volk entstanden sei, habe zu einer Entfremdung geführt.

Deutlicher werden die Entlehnungen aus Suns Denken in der Schrift Phan Bội Châus aus dem Jahre 1908 mit dem Titel An Inquiry into the History of Vietnam.297 In der History lassen sich rhetorische und stilistische Strategien entdecken, die sich von vorhergehenden Schriften Phans unterscheiden. In einem schlichten und knappen Prosastil gehalten, weist die History eine klare Gliederung auf und setzt sich damit vom sonst gebräuchlichen lyrisch-metaphorischen Literatenstil ab. Doch kommt auch sie nicht gänzlich ohne Widersprüche aus. Die History beginnt mit einer (recht entmutigenden) Zustandsbeschreibung Vietnams, welcher eine Zuweisung von Verantwortlichkeiten folgt. Erneut kritisiert Phan die Unentschlossenheit und Zurückhaltung der Nguyến-Dynastie gegenüber den westlichen Mächten. Nur aufgrund des desinteressierten Verhaltens des vietnamesichen Hofes und der qing-Dynastie in China sei es den Franzosen möglich gewesen, in Vietnam ihre Herrschaft zu errichten. Im ersten Teil des Buches wird

297 Das Originalmanuskript der Schrift ist verloren gegangen, doch es existieren Abschriften. Die Schrift ist in einer japanischen Übersetzung bei Nagaoka Shinjirô und Kawamoto Kuni aufgeführt, siehe Nagaoka: Betonamu bokokushi; 1-83, siehe auch Phan Bội Châu: Reflections; 171-174, ders.: Chariot; 66. Shiraishi hat eine chinesische Abschrift gefunden, siehe Shiraishi: Betonamu minzoku; 428. Für die in Chinesisch geschriebene History verfasste Liang ein längeres Vorwort und sorgte für eine weite Verbreitung in China und Vietnam, siehe Karl: Staging; 164.

200 auch der gefallene Zustand Vietnams als lost country beklagt und das weitere Schicksal des Landes als Opfer des völkerverschlingenden Mechanismus [people- eating system] beschrieben. Der Begriff des lost country beschreibt vermutlich mehrere Ebenen des Verlustes. Es könnte sich einerseits um den Verlust der Regierung des Landes, zweitens um den Verlust einer ethnischen Identität und letztens den physischen Verlust des vietnamesischen Volkes handeln. Trotz ihrer unbedingten Loyalität zum im ersten Teil des Buches kritisierten Monarchie, ist der zweite Teil des Buches den monarchistischen Heroen der cần vương-Bewegung gewidmet. Im dritten Teil greift Phan die unmäßige Steuerpolitik der Franzosen an und beschreibt die daraus resultierenden, die Wirtschaft des Landes schwächenden Effekte. Er beklagt auch, dass durch die französische Herrschaft die Bevölkerung deklassiert würde und moralisch degeneriere. Im vierten Teil der History beantwortet Phan die Frage, ob Vietnam schon verloren sei. Er verneint diese Frage und ruft gleichzeitig seine Landsleute dazu auf, alle Franzosen zu eliminieren. Außer dem Aufruf zur gewaltsamen Vertreibung und Beendigung der französischen Herrschaft entfaltet er keine weiteren Visionen über ‚Die Zukunft Vietnams’, wie die gleichnamige vierte Kapitelüberschrift lautet (Marr: Anticolonialism; 96). In An Inquiry into the History of Vietnam entwirft Phan auch ein Konzept über das Verhältnis des Individuums zum Staat und nimmt damit Bezug auf die Frage Sun Yat Sens nach der individuellen Freiheit. Darin heißt es, dass individuelle Freiheit die Führungslosigkeit des Individuums bedeute:

„Perhaps there are those who misunderstand the independence of the Europeans and consider that to look after oneself is independent. Alas! What a confusion! The meaning of independence in Europe is, one country does not depend on another country. Such is called independence. This independence is the result of hop-quan (d.h. group unity (,einheitliche Gruppe’), event. ,Nation’, Anmerk. d. Verfasserin). People of the same country, with their heart and mind united as one body, stand against another country so that the latter cannot meddle in their country: that is independence, as independence resulted from hop-quan. When every one has his individual mind and forms his own party to sway and kill each other, this is a sign of disunity and destruction. How is it possible then to have independence? Alas! This is an ignorance of knowing to gain profit for oneself without being able to unite (hop-quan).“ (Hervorhebungen durch den Autor) 298

298 Siehe Vinh: Fukuzawa Yukichi; 125. Zitiert aus der chinesischen Übersetzung des Originals der Schrift An Inquiry into the History of Vietnam.

201 Phan stellt sich mit dieser Bewertung der individuellen Freiheit diametral der Auffassung Liangs und Fukuzawas gegenüber. Beide erachten die individuelle Freiheit als die notwendige Voraussetzung für die nationale Freiheit. Fukuzawa hatte geschrieben: „…the independence of a nation springs form the independent spirit of the people. Our nation cannot hold its own if the old slavish spirit is so manifest among the people.“299

Insgesamt bleibt jedoch festzuhalten, dass der Einfluß Sun Yat Sens auf das Widerstands- und Reformdenken Phans als gering bezeichnet werden muss. Seine sich verstärkende kritische Haltung gegenüber der konfuzianisch legitimierten Monarchie bleibt vorerst ohne Konsequenzen, nicht zuletzt vermutlich deswegen, weil der kaiserliche Repräsentant der Gesellschaft zur Restauration Vietnams, Prinz Cường Để, einer der wichtigsten Geldgeber der dong du-Bewegung blieb.300 Über Phans Japanbild erfährt man in dieser Zeit kaum etwas.

Außer mit Liang Ch’i-ch’ao und Sun Yat Sen stand Phan mit den Mitgliedern der

Asiatischen Vereinigung (jap.:東亜同文書院 tôa dômeikai oder 亜洲和新会 ashû washinkai, vietn.: dông a dông minh hôi, engl.: East Asia United League) 301 in Verbindung, deren Mitglied er im Herbst 1907 wurde.302

299 Siehe Fukuzawa Yukichi: The Autobiography of Fukuzawa Yukichi (herausgegeben von Kiyôka Eiichi, Lanham, Md., Madision Books, 1992; 334). 300 Sun und Phans Bekanntschaft mag auch den strategischen Interessen Suns geschuldet gewesen sein. Suns größte Anhängerschaft auf dem Festland in China befand sich in der an Tongking grenzenden südchinesischen Provinz Yunnan. Gute Beziehungen zu den Tongkinesen sicherten Sun die Möglichkeit, auf den Eisenbahnlinien aus dem Norden Vietnams Waffen für die geplante Revolution nach China zu schmuggeln. Phan Bội Châu im Gegenzug erhoffte sich für seine eigenen Vorhaben Unterstützung der yunnanesischen Revolutionstruppen. In seiner in Yunnan publizierten Schrift Grief over Vietnam and Condolence for Yunnan von 1907 nimmt Phan auf das gemeinsame Schicksal der Yunnanesen und Tongkinesen Bezug, siehe Shiraishi: Tainichiki no Fan Boi Châu; 65-6, 88-89, Terahiro: Etsunan shoki minzoku; 140-1. 301 Shiraishi weist darauf hin, dass es sich bei der Tôa dômeikai möglicherweise um dieselbe Gesellschaft wie die T’ung-meng hui handelte. Seine Vermutung belegt er mit den Mitgliederverzeichnissen beider Gesellschaften, in denen weitgehend die gleichen Namen aufgeführt sind, siehe Shiraishi Masaya: Meiji makki no zainichi betonamujin to ajia shominzoku renkei no kokoromi – ‚tôa dômeikai’ naishi wa ‚ashû washinkai’ o megutte [Kooperation zwischen Vietnamesen und Asiaten in Japan während der späten meiji-Zeit – Portrait einer Organisation namens Tôa dômeikai oder Ashû Washinkai], in: Tônan Ajia Kenkyû, 1982, 20, 3; 335-368; 359ff. 302 Über das Eintrittsdatum Phans zu dieser Vereinigung besteht in der Forschungsliteratur Uneinigkeit. Aus Phan Bội Châus Memoiren (Chariot) ist zu entnehmen, dass er im Oktober 1908 Mitglied wurde, also ein Jahr später als hier angenommen. Wie von Shiraishi jedoch auf der Grundlage von Primärquellenmaterial nachgewiesen wurde, kann es sich in den

202 Die Asiatische Vereinigung verfolgte sowohl pan-asiatische als auch anti- imperialistische Ziele. Im Gründungsmanifest heißt es, dass die Mitgliedschaft jedem Asiaten, ob Koreaner, Inder, Filipino303, Chinese aus Kwangtung, Kwangsi oder Yunnan frei stehe. Unabhängig davon, ob er Nationalist, Republikaner, Sozialist oder Anarchist sei (Monarchisten dürften nicht willkommen gewesen sein). Das einzige Ausschlusskriterium für eine Mitgliedschaft bestand in der Befürwortung des (nicht näher definierten) Imperialismus. ‚Japan’ wurde in diesem Zusammenhang explizit als der gemeinsame Feind aller Asiaten bezeichnet. Es heißt weiter, dass das Ziel der Vereinigung in der Bekämpfung des Imperialismus und der Wiederherrstellung der Unabhängigkeit der asiatischen Nationen bestehe, von denen die meisten ihre Souveränität verloren hätten. 304 Liu Shih-pei, Verfasser des Manifests der Asiaischen Vereinigung und einer der Hauptautoren von Werken zum chinesischen Sozialismus, schrieb im Jahre 1907:

„Today in the world of power the strong prevails, and Asia has been the place where the white powers display their force. India suffers from the British rule, Annam from the French, Korea from the Japanese and the Philippines from the Americans. With regard to the situation in Asia whereas the weak nations fall into a wretched state, the Japanese government has alone become the common enemy of Asia...we should not only throw off the power of the whites, but also the Japanese oppression of Asia by brute force...“(Zitat aus dem Original, Shiraishi: Phan Bội Châu in Japan; 73).

Japan als imperialistische Nation in Asien zu bezeichnen, lag nahe. Der Sieg im Krieg gegen China im August 1895 trug Japan die erste Kolonie, Taiwan, zu. Im Jahre 1900 folgte die gemeinsam mit den Westmächten durchgeführte Niederschlagung des Boxer-Aufstandes in Peking, die Japan zwar keinen neuen

Erinnerungen Phans nur um einen Fehler handeln, da beteiligte Personen im Jahre 1908 bereits im Gefängnis waren oder sich nicht mehr in Japan aufhielten. 303 Mariano Ponce, philippinischer Journalist und Waffenhändler, s. II 2 C iv. und III 1 F., erwähnt diese Gesellschaft ebenfalls in seinem im Jahre 1912 erschienenen Buch: „Nicht wenige von Ihnen (den späteren Ministern der ersten chinesischen Republik) habe ich in Tokyo kennengelernt, wo sie zu den Versammlungen einer Gesellschaft junger Orientalen zusammenkamen, in deren Umfeld sie ihrer refomistischen Haltung und ihrem Enthusiasmus für den Fortschritt freien Lauf lassen konnten.“, siehe Mariano Ponce: Sun Yat Sen, El fundador de la Republica de China, Manila, 1912; 45. Phans Memoiren enthalten ebenfalls einen Hinweis auf zwei Filipinos in der Gesellschaft, deren Namen er jedoch vergessen hat, siehe Phan Bội Châu: Chariot; 164, Fn 103. Mariano Ponce publizierte das Buch im Jahre 1912 in Manila gedruckt wurde. Im gleichen Jahr wurde dieses Buch in Yokohama auf Englisch gedruckt. Das der Autorin vorliegende Exemplar trägt eine Widmung für den Brieffreund José Rizals, Ferdinand Blumentritt. 304 Siehe Takeuchi Zensaku: Meiji makki ni okeru chûnichi kakumei undô no kôryû [Kontakte zwischen chinesischen und japanischen Revolutionären in der späten meiji-Zeit] (Chûgoku kenkyû, 5, Tokyo, 1948; 77).

203 territorialen Zuwachs verschaffte, doch agierte das japanische Militär erstmals zusammen mit westlichen Imperialmächte. Der Abschluss der Anglo-Japanese Alliance mit England im Jahre 1902, der Japan zu einem Verbündeten Englands in Asien machte, bedeutete in diesem Zusammenhang einen weiteren Schritt der Anerkennung Japans als Imperialmacht durch die Westmächte. Letzlich führte der Erfolg im Russisch-Japanischen Krieg von 1905 zu einer Ausweitung der japanischen Einflussspähre auf der Liaodung-Halbinsel und in Nordchina. Der anti-imperialistische Impetus der Vereinigung ging auf die in engem Kontakt zu den Mitgliedern der Vereinigung stehenden japanischen Sozialisten Ôsugi Sakae (1855-1923), Kôtoku Shûsui (1871-1911) 305 und Sakai Toshihiko (1890-1933) zurück.306 Einen wichtigen Faktor für die Sammlung der sozialistischen Bewegung stellte die Opposition gegen den Russisch-Japanischen Krieg dar, der in den Augen der Sozialisten ein Ausdruck imperialen Strebens der japanischen Führung war.

Eigens zu diesem Zweck war im Jahr 1903 die Gesellschaft des Volkes [{平民社} heiminsha] gegründet worden. In deren Hauszeitschrift wurden Artikel mit anti- imperialistischer Ausrichtung gedruckt, die sich im Besonderen auch gegen das japanische Establishment richteten. Neben ihrer anti-imperialistischen und anti-japanischen Rhetorik hatte sich unter den Sozialisten eine eigene Lesart des ‚sozialdarwinistischen’ Modells entwickelt, welches für die Träger der Emanzipationsbewegungen einen attraktiven, wenn auch widersprüchlichen Erklärungsansatz bot. Im Wesentlichen argumentierten die Sozialisten gegen das Zivilisationskonzept der westlich-japanischen Welt und lehnten das evolutionäre Stufenkonzept ab. Ein solches Zivilisationsverständnis

305 Kôtoko Shûsui hatte 1901 das anti-imperialistische Werk Imperialismus – Ein Monster im 20. Jahrhundert [Teikokushugi - nijû seiki no kaibutsu] verfasst. 306 Eine breitere Massenbasis erlangte die sozialistische Bewegung in Japan kurz nach dem Chinesisch-Japanischen Krieg von 1894-5. Die von China zu entrichtenden hohen Kriegsschulden bedeuteten einen enormen Impuls für die japanische Wirtschaft in dessen Folge sich langsam eine Arbeiterschaft herauszubilden begann. Die sozialistische Bewegung in Japan, die ihre Impulse aus den Vereinigten Staaten von Amerika erhielt, war zu Beginn in ideologischer Hinsicht wenig homogen und durch immer wiederkehrende Verbote ihrer Partei- und Vereinsgründungen in ihrer Entfaltung sehr gehemmt. Die erste sozialistische Partei [{社会 民主党} shakai minshutô] war 1901 gegründet worden und sofort wieder durch das bereits im Jahre 1900 erlassene Gesetz zur Wahrung der öffentlichen Ruhe und der Polizeimacht [{治安警 察法} chian keisatsu hô], das die Versammlungs- und Streikfreiheit regulierte, unterdrückt worden, siehe Ôsugi Sakae: The Autobiography of Ôsugi Sakae, übers. und mit einer Einleitung von Byron K. Marshall, Berkeley, University of California Press, 1992; 116.

204 würde die Nationen geradezu in einen erneuten Wettlauf stürzen und damit zu gegenseitigen Feindschaften führen, Expansionismus und Imperialismus unweigerlich nach sich ziehen. Vielmehr sollten sich alle unterdrückten asiatischen Nationen zusammenschließen und nicht durch nationale Unterschiede auseinanderdividieren lassen. Die kolonisierten asiatischen Völker sollten nach der neuen Doktrin keine Staaten oder Nationen mehr bilden, da sie sich somit erneut an dem internationalen Kampf ums Dasein beteiligen müssten. Diese sozialistische Lesart des ‚Sozialdarwinismus’ war von Ôka Asajirô beeinflusst. Ôka war Lehrer

der Biologie an der Higher Normal School [{高等学校} kôtô gakkô] in Tokyo und Autor populärwissenschaftliche Studien über die Evolutionstheorie, die bekannteste

dieser Studien trug den Titel Abhandlungen über die Evolutionstheorie [{進化論講話} shinkaron kôwa] und weist starke Bezüge zu Kropotkins Gegenseitige Hilfe auf (Ôsugi: Autobiography; 122). Die Gegenseitige Hilfe stellte einen anarchistischen Weltordnungsentwurf dar und stellte somit eine Gegenschrift zum Spencer’schen ‚Sozialdarwinismus’ dar. Anhand zahlreicher Beispiele aus Natur und Geschichte versucht Kropotkin nachzuweisen, dass die erfolgreichste Strategie in der Evolution auf gegenseitiger Hilfe und Unterstützung und nicht auf dem Überleben des Stärkeren beruhe. Er schrieb, dass der „..positive und unzweifelhafte Ursprung unserer Moralvorstellungen... (der) ethische(n) Fortschritt des Menschen (und) der gegenseitige Beistand – nicht gegenseitiger Kampf – (sei)...“. Diese Lesart des ‚Sozialdarwinismus’ war in die Satzung der Asiatischen Vereinigung eingeflossen. Es hieß dort, dass ein Land, welches erfolgreich im Kampf gegen den Westen war, anderen Ländern, die unter westlicher Herrschaft standen, helfen solle. 307 Auf Phan Bội Châu hatte diese Interpretation des ‚sozialdarwinistischen’ Modells sowie die Zuordnung Japans zum Kreis der Imperialmächte kaum einen

307 Peter Alexejewitisch Kropotkin (1842-1921) gilt als der Mitbegründer des Anarchistischen Kommunismus, einem Gesellschaftsentwurf, der sich im Wesentlichen durch die Abwesenheit von Regierungen auszeichnete. Im Jahre 1862 trat er in die russische Armee ein und ließ sich nach Ostasien in die Armur-Region in Sibirien versetzen. Nach 1872 wandte er sich der Politik zu und schließt sich der radikal-anarchistischen Bewegung Jura Föderation in der Schweiz an. Hitoshi übersetzte im Jahre 1907, also dem Jahr, in dem Phan der Asiatischen Vereinigung beitrat, das erste Kapitel von Kropotkins Gegenseitige Hilfe als eigenständiges Buch. Das Gesamtwerk wurde von Ôsugi Sakae im Jahr 1924 unter dem Titel Zusammenfassende Abhandlung über die Gegenseitige Hilfe [{総合扶助論} Sôgô fujo ron] übersetzt, siehe Ôsugi: Autobiography; 116-7, Shiraishi: Betonamu minzoku; 496.

205 nennenswerten Einfluß. In seiner Schrift An Inquiry into the History of Vietnam aus dem Jahre 1908 rekurrierte er weiterhin unter Bezug auf Herbert Spencer auf eine lineare Vorstellung von Geschichtsentwicklung, in der alle Gesellschaften die Entwicklung von der Stufe eines tierähnlichen Daseins zu zivilisierten Gesellschaften durchlaufen müßten. Diesen evolutionären Weg würde Vietnam gerade durchlaufen und in einigen Jahren die höchste Stufe erreichen (Shiraishi: Phan Bội Châu in Japan; 63, zitiert aus der chinesischen Abschrift des Originals).

Phan Bội Châu blieb von den Einflüssen Suns und denen der japanischen Sozialisten weitesgehend unbeeinflußt. ‚Japan’ blieb für ihn ein Raum der Zivilisation und Vorbild für die Erneuerung und Reformierung Vietnams, Vorbild für die duy tân [Reform, Erneuerung, Restauration]. Er berichtet weiterhin über die Hilfsbereitschaft der Rikshawfahrer und die Freundlichkeit des kleinen Mannes in Japan.308 Noch während eines Aufenthaltes in Hong Kong verfasste Phan Ende des Jahres 1908 die Schrift The New Vietnam, ein visionärer Entwurf über ein ‚Vietnam’ nach der duy tân: das heutige ‚Japan’ sollte das ‚Vietnam’ von morgen sein: „...the Japan of the present day is the Vietnam of tomorrow“ (Shiraishi: Phan Bội Châu in Japan; 63 sowie Vinh: Fukuzawa Yukichi; 128). Die Schrift behandelt die ‚10 großen Freuden’ nach der Beendigung der französischen Fremdherrschaft: 1.) Vietnam wird internationale Wertschätzung erfahren durch andere Staaten und eine Führungsrolle gegenüber Frankreich einnehmen, 2.) es wird keine Ausbeutung und Unterdrückung durch die Hofbeamten mehr geben, 3.) die Unzufriedenheit der Bürger mit ihren Lebensverhältnissen wird enden, 4.) die Gruppen werden vereint werden, weil die Trennung zwischen militärischen und zivilen Angelegenheiten aufgehoben wird (hier zitiert Phan zum Beispiel die halbjährlichen Pilgerfahrten des tennô zum yasukuni-Schrein309, an dem die gefallenen Soldaten geehrt werden), 5.) es wird Steuergerechtigkeit für alle geben, 6.) sowie Rechtssicherheit und Gleichbehandlung, 7.) Schulausbildung für alle wird verfügbar sein, 8.) alle

308 Selbst in seinen Memoiren widmet Phan ein ganzes Kapitel der Großzügigkeit des japanischen Arztes Asaba Sakitarô, der die vietnamesischen Studenten finanziell unterstützte, siehe Phan Bội Châu: Chariot; 162-164, 166-170. 309 Obwohl der yasukuni-Schrein schon im 19.Jh. dem Andenken und der Verehrung gefallener Soldaten der kaiserlichen Armee diente, erregten die (kaiserlichen) Besuche kein mit heutigen Besuchen durch japanische Premierminister vergleichbares Aufsehen.

206 landwirtschaftlichen Ressourcen des Landes werden genutzt, 9.) das Land wird wirtschafltich entwickelt werden und 10.) ein blühender Handel entstehen (Marr: Anticolonialism; 137ff).

Letzlich bleibt es schwer einzuschätzen, ob und warum sich Phans Japanbild nach seiner Ankunft im Jahre 1905 nicht deutlicher ausdifferenzierte. Einer der Gründe, warum er sich nicht den um ihn herum herrschenden kritischeren und stärker anti- japanischen Positionen anschloß, mag auch darin bestanden haben, dass er und seine Studenten in Japan geduldete Exilanten waren, die vermutlich auf das Wohlwollen und teils auf die finanzielle Unterstützung einiger Japaner angewiesen waren. Anders als Sun Yat Sen, der sowohl finanzielle Unterstützung aus China erhielt als auch über bessere Kontakte zu japanischen Politikern verfügte (Jansen: Sun Yat Sen), war Phan Bội Châu wohl auch immer darauf bedacht, Auseinandersetzungen mit den Behörden vermeiden. Phan Bội Châu wurde 1909, ein Jahr nach Beendigung der dong du-Bewegung, des Landes verwiesen und ging nach Siam ins Exil. Die dong du-Bewegung wurde aufgrund der Intervention französischer Behörden beim japanischen Innenministerium durch einen Polizeieinsatz beendet. Die Begründung (und Befürchtung) lautete, Japan würde die vietnamesischen Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützen (Nagaoka: Betonamu; 263). Nach seiner Ausweisung aus Japan nahm Phan trotz seiner zögerlichen Annäherung in Japan Kontakt zu chinesischen Revolutionären um Sun Yat Sen auf, die im Jahre 1911 erfolgreich die erste chinesische Republik errichten (Phan Bội Châu: Chariot; 181ff). Nach der studentischen May-Forth-Bewegung in China im Jahre 1919 begann Phan Bội Châu, Kontakt mit Russland aufzunehmen und plante, vietnamesische Studenten nach Moskau zu schicken. Später, im Jahre 1925 wurde er von den Franzosen verurteilt und unter lebenslangen Arrest in Hué gestellt.310

310 Siehe Vinh Sinh und Nicholas Wickenden: Phan Bội Châu and his Autobiography, in: Vietnam Review 1, 1996; 194-217; 202-4.

207

D. Vietnam und Asien: Nationale und regionale Räume und Identitäten

Betrachtet man die History of Vietnam sowie The New Vietnam als Phans résumée seines Japanaufenthaltes, so fällt auf, dass es Phan Bội Châu nicht gelungen war, eine dem japanischen kokutai [nationale Essenz] vergleichbare Ideologie für Vietnam zu entwickeln. In beiden Werken beschäftigte sich Phan in erster Linie mit der Vergangenheit Vietnams, den Nachteilen des Konfuzianismus und der Monarchie und klagt über die französische Kolonialmacht. Hingegen sucht man vergebens nach Ausführungen über die Idee einer vereinigenden und identitätsstiftenden ‚nationale Essenz’. Obwohl die Vergangenheit in Phans Denken großen Raum einnimmt, kommt es nicht zu einer ‚Erfindung Vietnams’, zu einem Rekurs auf die ‚vietnamesische’ Geschichte. Im Gegensatz zum japanischen Fall scheint es problematisch gewesen zu sein, das Konstrukt einer potentiellen vietnamesischen Nation auf eine ethnische oder historisch-kulturelle Kategorie zu fußen. Historisch gesehen waren Annam, Tongking und Cochinchina, so, wie sie unter französischer Herrschaft zusammengefasst worden waren, zudem keine gewachsene kulturelle Einheit, die relativ einfach mit einem gemeinsamen Ursprungsmythos versehen werden konnte, wie in Japan mit dem Göttermythos, der auf den tennô übergegangen ist. Zudem standen verschiedene, als ethnische Identitäten zu bezeichnende Zugehörigkeiten einer überregionalen Identitätsbildung im Wege.311 Ein weiterer Faktor für den nur schwach ausgeprägten vietnamesischen Nationalismus der duy tân-Bewegung mag auch auf das Fehlen einer klaren Idee der Nation in den Schriften der chinesischen Reformliteraten zurückzuführen sein. Liangs Kategorie der Nation (oder Gruppe/Gesellschaft/Gemeinschaft) [chin.: ch’ün] blieb noch widersprüchlich in den 1890er Jahren. In einem Artikel zu diesem Thema aus dem Jahre 1897 äußerte er sich über das Konzept ch’ün, doch warf dabei mehr Fragen über die Formen politischer Partizipation und Integration auf, als dass

311 Hierzu muss man sich kurz in Erinnerung rufen, dass Annam erst im 15. Jahrhundert von den aus dem Norden stammenden Vietnamesen erobert wurde, die Eroberung Cochinchinas dauerte bis ins 18. Jahrhundert, eine tiefer gehende Sinisierung und Konfuzianisierung Cochinchinas blieb über lange Zeit. Die malaysische und islamische Kultur blieb im Süden prägend. Auch die im 19. Jahrhundert herrschenden Nguyến waren eine annamitische Dynastie, die sich ethnisch von den Vietnamesen aus dem Norden des Landes unterschied, siehe III 2 B i.

208 er auf die einheitsstiftenden Elemente einging (Chang: Liang; 97-9), dort zitiert aus dem chinesischen Original von Liang). Der Historiker Chang diskutiert an dieser Stelle die möglichen Übersetzungen des Wortes ch’ün. Er nimmt Abstand von ‚Nation’ und dem deutschen Begriff Gemeinschaft. Stattdessen schlägt er den angelsächsischen Begriff grouping vor. Liang sei es in erster Linie um öffentliche Partizipationsmöglichkeiten in der ‚nationalen’ Frage gegangen und damit um das Thema, wie Regierende und Regierung „into cohesion“ gebracht werden könnten (ibid; 96). Der Begriff des grouping ist auch auf das von Phan Bội Châu entwickelte Konzept der Nation übertragbar. Phan bezeichnete eine potentielle ‚vietnamesische Nation’ als eine „Gruppe mit einer gemeinsamen Gedankenwelt [hop-quan]“ (Vinh: Phan Bội Châu; 125-6). In seiner Schrift Letter Inscribed in Blood from Abroad, Part I aus dem Jahre 1906 definiert Phan sein Verständnis von einer „Gruppe mit einer gemeinsamen Gedankenwelt“ mit der Zielstellung ‚bringing the whole country into one accord’. Er beschreibt zehn gesellschaftliche Gruppen, die zu einer gemeinsamen Gedankenwelt finden sollten:

„(i)…the wealthy…(ii)…the mandarins in office…(iii)…the children of the great families…(iv)…the Christian population…(v)…those serving in the army and the navy…(vi)…all the parties…(vii)…interpreters, clerks, and servants of the French…(viii)…women…(ix)…the children of families massacred by the enemy…(x)…the overseas students… .”, (Phan Bội Châu: Chariot; 112-3).

Die genannten Gruppen umfassen bei Weitem nicht alle gesellschaftlichen Gruppierungen des kolonialen Vietnams, z. B. fehlen die Bauern, die Händler etc. Phan benennt im Wesentlichen jene Personenkreise, die sich durch die Etablierung der französischen Herrschaft herausgebildet hatten oder direkt von der Präsenz der Franzosen betroffen waren. Sie zu vereinen und für die duy tân -Bewegung zu gewinnen bleibt sein Ziel. Doch mit diesem, auf einen kleinen Ausschnitt der vietnamesischen Gesellschaft beschränkten Vereinigungsstreben ist Phan noch weit von einem alle Vietnamesen betreffenden ‚nationalen’ Denken entfernt. Das noch frühe Stadium der Idee einer vietnamesischen Nation spiegelte sich auch im weniger konkret entwickelten, räumlich-territorialem Denken wieder. Welchen Raum sollte ein ‚Vietnam’ einnehmen? Zunächst verwendet Phan in seinen Schriften sowohl ‚Vietnam’ als auch ‚Annam’ zur Bezeichnung des von ihm gedachten Raumes. Die existierenden Alternativen ‚An Nam’, ‚Nam Việt’, ‚Đai

209 Nam’ oder ‚Đai Việt’ finden bei Phan weniger Verwendung. ‚An Nam’ [chin.: Befriedeter Süden] sowie das französische ‚Annamite’ trugen Semantiken von pejorativen Fremdzuschreibungen und deuteten auf einen abhängigen und unfreien Status Vietnams gegenüber China, aber auch Frankreichs hin.312 Wenn man über die relative Schwäche des nationalen Gedankens am Anfang des 20. Jahrhunderts in Vietnam spricht, so darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine große Anzahl an weiteren, Gruppenidentität stiftenden Konzepten existierte, die auf langen, zumeist in zyklischen Denkmustern tradierten Lehren von Naturglaube, Animismus, Unverwundbarkeit etc. basierten.313

Das Weniger an nationaler Identität zeigte sich im Gegenzug in einem Mehr an einer asiatischen Identitätsbildung. Immer wieder betont Phan die kulturellen und rassischen Gemeinsamkeiten mit Japan und China. An mehreren Stellen wird dies deutlich. ‚Japan’ wurde von Phan als „Asian nation of same culture and same race” bezeichnet (Phan Bội Châu: Chariot; 22, 73). Andere Formulierungen, die in den Quellen verwandt wurden, lauten „Japan, a nation of common culture with us” oder etwa „At that time, Japan, a yellow-skinned Asian people like ourselves, had just defeated Russia and was becoming a strong power“ (Phan Bội Châu: Reflections; 24, Kawamoto: Phan Bội Châu; 129). Auch in der Đông kinh nghiâ thục Schule kursierten Gedichte, die gleichermaßen die Gemeinsamkeit mit China und Japan betonten, die ein ‚Asien’ beschrieben:

312 Dass es eine solche Vielfalt an Bezeichnungen für das Gebiet der Nguyến-Dynastie gab, weist auf die territorialen Konzepte und Ansprüche hin, die jeweils mit der Verwendung einzelner Begriffe verbunden wurden, wie z. B. die Verwendung des Begriffs An Nam, das der Monarch Nguyến Anh gegenüber dem chinesischen Hof zur Beschreibung seines Herrschaftsbereiches nutzte und seinen tributpflichtigen Status damit zementierte, gleichzeitig die Unterordnung unter chinesiche Herrschaft zementierte. Als sich später im Sprachgebrauch Dai Nam einzuspielen schien, protestierte man am Hof in Peking mit dem Argument, das mit dieser Bezeichnung ein imperiales (und damit expandierendes) Reich gemeint sein konnte, siehe Goscha: Annam and Vietnam; 94-5. Goscha weist gleichzeitig darauf hin, dass die Selbstbeschreibung mit Annamite auch von anti-französischen Aktivisten verwandt wurde, siehe auch Keith W. Taylor: Surface Orientations in Vietnam: Beyond Histories of the Nation and Region (in: Journal of Asian Studies, 1998, 54, 7; 949-978) sowie Richard Fell: Early maps of South-East Asia (Singapore, Oxford University Press, 1988). Die semantischen Felder der Gruppen-/Nationsbezeichnungen scheinen zu dieser Zeit noch von Autor zu Autor unterschiedlich zu sein. Dies trifft allerdings nicht mehr auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu, siehe Goscha: Annam and Vietnam; 95-8. 313 Siehe Alexander B. Woodside: Coneptions of Change and the Human Responsibility for Change in Late Tradtitional Vietnam (in: David K. Wyatt und Alexander B. Woodside (Hrsg.): Moral Order and the Question of Change: Essays on Southeast Asian Thought, Yale, Yale University Press, 1982; 104-150, hier Sn. 105-114, besonders 108).

210

„Our soul has long derived from Lac Long, We are children of the Nam-Viet house, People of the yellow race, China belongs to this extended family, So do Siam and Japan, Within the same village of Asia.”

Ähnlich liest sich der Text eines Schulliedes, das den Titel A te A (Asien) trug:

„See the example of Japan, an Asian land, Our own race. Why can’t we all follow it then? A path to knowledge will soon open to us, To take away our respect for France one day. When comes the West versus East struggle, We’ll change our fate from slaves to civilised beings.”314

Auch Cường Để glaubte an die gemeinsamen kulturellen Wurzeln:

„We believed if we asked Japan for help it would be readily given for the reason that the Japanese and Vietnamese share the same culture and are of an Asian race” (Trần Mỹ-Van: Vietnamese Eyes;129).

Nicht selten wurde Japan in diesem Zusammenhang als Führer der asiatischen Welt bezeichnet, wie etwa von Phan Bội Châu, der Japan als “…the eldest brother among the yellow race…“ bezeichnete (Vinh: Phan Bội Châu; 130). Eine andere Bezeichnung lautete „the master of all Asia“ (Shiraishi: Phan Bội Châu in Japan; 24, 55). Dies wird auch in dem bereits zitierten Lobvers auf den japanischen tennô deutlich:

„The first to wave the flag of independence, Japan is naturally a country of the same culture, As East Asia is entering the era of modernization, Who could vie with the Japanese Emperor, an enlightened monarch, The example that Japan has set for us in East Asia, We should follow, lest to fall into error.“ (Shiraishi: Phan Bôi Chau; 131)

314 Beide Zitate entnommen aus Trần Mỹ-Van: Japan through Vietnamese Eyes (1905-1945), in: Journal of Southeast Asian Studies, 1999, 30, 1; 126-146, hier S. 132.

211 Der vietnamesische Begriff für gemeinsame Kultur [đống văn] ist ein sino- vietnamesischer Terminus, mit welchem die dem chinesischen Kulturraum der gemeinsamen Schrift (s.o., jap.: kanjibunkaken) angehörenden Länder bezeichnet wurden (im Japanischen entspricht dem Begriff đống văn der Begriff dôbun). Dass Phan gleichzeitig mit đống chùng [gemeinsame Rasse, chin.: tongzhong; im Japanischen umschrieben mit doshû] eine rassistische Kategorisierung der kulturellen Gemeinsamkeiten innerhalb des kanjibunkaken wählt, zeigt, dass traditionelle und moderne Konzepte von Kultur und Identität nebeneinander existierten. Mehr noch, die Kontextualisierung einer ursprünglich differenzerzeugenden Kategorie wie der Rasse wird zu einem eine Gemeinsamkeit stiftendem Merkmal umgedeutet. Auch hier sind Übernahmen aus dem Chinesischen erkennbar. In den chinesischen Emanzipationsdiskursen wurde der Begriff der Rasse [tongzhong] ca. ab dem Jahr 1898 zur Bezeichnung der Gemeinsamkeit von Chinesen und Japaner verwandt. In kürzester Zeit weitete sich das dahinter stehende geographische Konzept aus und in das Gemeinte wurden Völker aus ganz Asien einbezogen, wie die Philippinen, Indien etc. Letztlich beschrieb der Begriff tongzhong die Gemeinsamkeit aller unter dem Imperialismus/westlicher Aggression leidenden Völker (Karl: Creating Asia; 1104). Die Verbindung von Rasse- und Raumkonzepten hat Rebecca Karl an Liangs Asienbegriff untersucht, der auch von Phan Bội Châu rezipiert und verarbeitet worden ist. Karl weist in ihren Ausführungen im Besonderen auf den Bedeutungswandel des Liang’schen Asienbegriffs anhand der Verwendung des älteren Begriffes yaxiya und des erst im 19. Jahrhundert verwandten Begriffes yazhou (beides für Asien) hin. Der Begriff yaxiya wurde, ähnlich wie ajia im Japanischen, im 17. Jahrhundert durch die Jesuiten in China eingeführt (Karl: Creating Asia; 1100). Yazhou [wörtlich: Asien ist ein Kontinent unter vielen] hingegen beschrieb vorerst die Einheit der ostasiatischen Kulturen, die eine gemeinsame nicht-westliche und nicht-europäische Zivilisation vereinte, wobei auch z. B. ab ca. 1901 die Philippinen als Teil von Asien bezeichnet wurden (ibid; 1101, 1105ff, Karl: Staging; 83-115, hier Seite 95). 315 Auch in der Asiatischen

315 Auch die Bücher des philippinischen Journalisten Mariano Ponce wurden zu dieser Zeit ins Chinesische übersetzt, siehe Karl: Staging; 102, FN 58. Karl zieht auch eine Analogie zum japanischen Gebrauch des Begriffes tôyô mit der Konnotation ‚nicht-westlich’ oder ‚nicht- europäisch’, ibid; 153-157. Über die Verwendung weiterer Termini für Asien siehe Karl: Creating Asia; 1101, FN 20.

212 Vereinigung (s.o. III 2 C iv.) wurde auch der yazhou-Begriff verwandt. Es ist denkbar, dass die Betonung der asiatischen Identität die Herausbildung einer konkurrierenden, national-vietnamesischen Identität geschwächt haben mag.

E. Zusammenfassung

Den Memoiren Phan Bội Châus sind im Wesentlichen vier verschiedene Japanbilder zu entnehmen, die sich durch Widersprüchlichkeit auszeichnen. Zunächst stehen im Denken Phans ‚sozialdarwinistische’ Versatzstücke im Mittelpunkt, die als neuer, geeigneter Referenzrahmen zur Bewertung der eigenen Situation unter französischer Fremdherrschaft geeignet scheinen. Einher geht eine scharfe Kritik am überbrachten Konfuzianismus, der Sinnbild für die Wehrlosigkeit und Rückständigkeit der vietnamesischen Institutionen wird. ‚Japan’ wird in diesem Spannungsfeld als ein Beispiel konstruiert, welches den neuen ‚sozialdarwinistischen’ Bedingungen gerecht wird und im selben Atemzug als ein „zivilisiertes“ Land betrachtet wird. Die Kritik am Konfuzianismus begrenzte sich bei Phan Bội Châu auf Ausschnitte der vietnamesischen Kultur. Denn neben der Zuordnung als Teil einer ‚sozialdarwinistischen‘ Weltordnung, wurde ‚Japan’ auch zum Referenzrahmen der Wiederherstellung einer konfzianisch-monarchistischen Herrschaftsordnung, jedoch einer aufgeklärten Monarchie, mit einem aufgeklärten Monarchen an der Spitze, ähnlich dem meiji tennô. Die Uneindeutigkeit, die in Phans Schriften zu diesem Thema hervorsticht, spiegelt sich in vielen seiner Handlungen und bereitet ihm Schwierigkeiten in der Positionierung gegenüber den republikanischen Kräften aus China. Dem gegenüber stand der erwartete Rückhalt unter den vietnamesischen Reformkräften, die, bis auf wenige Ausnahmen, eher monarchisch gesonnen waren. Ein weiteres Japanbild des frühen vietnamesischen Widerstandsdiskurses steht im Zusammenhang mit der militärischen Stärke Japans. ‚Japan’ wird zum potentiellen Waffenlieferant und Wunsch-Verbündetem gegen die französische Fremdherrschaft.

213 Im vierten Bild steht Japan als Vorbild einer Studiernation. An Appeal to the Nation to Support Financially Students Studying Abroad scheint eine der wenigen Schriften gewesen zu sein, in der Phan intensiv auf Japan rekurrierte. Doch trotz seines über eine Zeitspanne von vier Jahren andauernden Aufenthaltes in Japan, differenzierte sich sein Bild von Japan als einer ‚Studiernation’ nicht wesentlich weiter aus. An erster Stelle steht für Phan nach wie vor die Militärausbildung seiner Studenten (siehe III 2 F.). Die Erfahrungen, die Phan in Japan sammelte und der Einfluß jener Personen, auf die er traf, addiert Phan zu seinem in Vietnam erlangten Wissen, doch es scheint nicht recht zu einer Synthese der neuen Eindrücke mit den bekannten Wissensbeständen zu kommen. Es entsteht der Eindruck, dass das Werk Phans mehr durch Brüche gekennzeichnet ist denn durch Kontinuitäten oder lineare gedankliche Entwicklungen. Es überlagern sich bei Phan widersprüchliche Konzepte traditioneller Herrschaftsformen mit Vorstellungen über eine demokratisch verfaßte Nation, durchwoben mit ‚sozialdarwinistischen‘ Gedankengut, Konfzuianismuskritik und Aufrufen zur Wiederherstellung der konfuzianischen Monarchie. Ein kurzfristiges Liebäugeln mit den republikanischen und anti- japanischen Ideen Sun Yat Sens konnte auch keine grundlegende Neuausrichtung der Positionen Phans hervorbringen. Bemerkenswert bleibt, dass Phans Japanrezeption zu großen Teilen, selbst während seines Japanaufenthaltes, auf der Vermittlungsleistung chinesischer Reformliteraten und Republikaner wie Liang Ch’i-ch’ao und Sun Yat Sen beruhte. Führt man sich die Bandbreite der Japanbilder Phans vor Augen, so zeigt sich, dass dabei die anfänglich von Liang Ch’i-ch’ao vermittelten Bilder die klarsten bleiben. Phans Aufenthalt in Japan sowie seine Kontakte zu Exilchinesen in Tokyo scheinen seine Japanbilder eher unschärfer und widersprüchlicher werden zu lassen. Der offensichtlichste Grund eines Verharren in der chinesischen Diskurswelt mag dabei an den japanischen Sprachunkenntnissen Phans gelegen haben. Er hat während seiner Zeit in Japan kaum Japanisch gelernt, was eine Verständigung mit japanischen Reformpolitikern nur durch Übersetzung möglich machte bzw. Gespräche in Form der brush conversations geführt werden konnten, einer Art

214 geschriebener Konversation, die durch Zeichnen chinesischer Schriftzeichen dem Gegenüber das Gemeinte vermittelten. 316

F. Japan als Vorbild und Raum des Lernens

Phans Appell an seine Landsleute, zum Studium nach Japan aufzubrechen, ist uns aus dem vorhergehenden Teilabschnitt dieses Kapitels bekannt.317 Phan folgte mit der Abfassung des Appells einem Rat Liangs, der einige Jahre zuvor eine ähnliche Schrift verfasst hatte und die chinesische Jugend zum Studium in Japan aufgefordert hatte. Im folgenden Teilabschnitt dieser Arbeit sollen Umfang und Verlauf der vietnamesischen Studentenbewegung dong du, die Studienmöglichkeiten und – situation der vietnamesischen Studenten sowie einzelne Lehrinstitute in Japan vorgestellt werden. Den Anfang bildet dabei eine generelle Übersicht über die Anzahl und Herkunft aller aus dem asiatischen Raum stammenden Auslandsstudenten in Tokyo zur Zeit der Jahrhundertwende. Es schließt sich eine Darstellung der generellen, formalen (und informellen) Bestimmungen für Auslandsstdenten sowie eine kurze Charakterisierung des damaligen japanischen Bildungssystems an. Anschließend wird die vietnamesische Studentenbewegung auf der Grundlage von Primärquellenmaterial behandelt.

i. Asiatische Studenten in Tokyo

In den Jahren zwischen 1897 und 1909 hielten sich ca. 20.000 Studenten aus dem asiatischen Raum in Tokyo auf. Die chinesischen Studenten stellten dabei mit einem Anteil von ca. 99 Prozent den deutlich höchsten Anteil an der Gesamtanzahl von Auslandsstudenten dar. Die Anzahl der Studenten aus den südostasiatischen Kolonien blieb dazu im Vergleich verschwindend gering. So findet sich z. B. in den

316 Zieht man in Betracht, dass in Phan Bội Châus Memoiren nicht mehr als fünf Treffen mit japanischen Politikern erwähnt werden, liegt die Vermutung nahe, dass Phan Bội Châu nur in sehr unregelmäßigen Kontakt mit Japanern stand, siehe Phan Bội Châu: Chariot; 87-9; Treffen mit Ôkuma, Inukai und Kashiwara im Frühjahr 1905, 161, Treffen mit Miyazaki Tôten, ohne Zeitangabe, 162ff, Kontakt mit dem Arzt Asaba Sakitarô im November 1908, eigenes Kapitel. 317 Siehe An Appeal to the Nation to Support Financially Students Studying Abroad, Phan Bội Châu: Chariot; 95, ders.: Reflections; 141.

215 Jahren zwischen 1902 und 1906 nur ein philippinischer Student in den

Immatrikulationslisten der Universität von Tokyo [{東京大学} tôkyô daigaku, im 318 Folgenden Tôdai] wieder. Sein Name lautete in chinesischer Umschrift Héng 小旦. Möglicherweise war sein philippinischer Name L. Zafra. Ein Student dieses Namens wird in Mariano Ponces Schrift Sun Yat Sen genannt und abgebildet (Ponce: Sun Yat Sen; 19).

318 Siehe Tôkyô daigaku hyakunenshi henshûjinkai (Hrsg.): Tôkyô daigaku hyakunenshi [100- jährige Geschichte der Universität Tokyo], 9 Bde., Bd. 3, Tôkyô daigaku shuppankai, Tokyo, 1976; 147-50 sowie Tôkyô daigaku: Tôkyô daigaku no ryûgakusei kenkyû: Nihon ryûgagkusei seido shi to ryûgakusei no haken to ukeire no rekishi [Forschungen zum Auslandsstudentenwesen: Die Geschichte der organisierten Versendungen und Rückkehr japanischer Auslandsstudenten], Kai mutsuo, Tokyo, 1972; 38.

216

217

Bezüglich Siam ist ebenfalls ein Name überliefert. Es handelte sich dabei um eine

Studentin, die an der Mädchenschule für Medizin [{東京女子師範学校} tôkyô joshi shihan gakkô] (heute Ochanomizu joshi daigaku) in Tokyo studierte. Für das Jahr 1906 sind fünfzig Studenten aus Indien verzeichnet, wovon an der Tôdai dreizehn studierten (Tôkyô daigaku hyakunenshi, Bd. 3; 150). Es stellt sich die Frage, warum gerade China, Indien, die Philippinen und Siam als asiatische Herkunftsländer von Auslandsstudenten hervortreten. Zwei Gründe dürften dafür ausschlaggebend gewesen sein. Abgesehen davon, dass die meisten jener Studenten, die in Kolonien lebten und zum Studium außer Landes gingen, nach Europa oder Amerika reisten, war Japan aufgrund der chinesischen Schrifttradition i.e.S. nur für Chinesen, Taiwansen, Koreaner und Vietnamesen ein geeigneter Studienort oder wurde von der chinesischen Diaspora in Südostasien, die nicht selten in den einzelnen Ländern zur Wirtschafts- und Bildungselite zählte, gewählt. Grundsätzlich war das in Japan geltende Aufenthaltsrecht für nicht-westliche Ausländer, die nicht offiziell von ihrer jeweiligen Regierung geschickt waren oder über Vermögen verfügten, sehr restriktiv, so dass eine Einreise für aus den Kolonien stammende Asiaten fast unmöglich war. Es bestand zu dem eine Meldepflicht bei den japanischen Behörden sowie eine sehr eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Außerdem sahen die Verordnungen ein restriktives Vorgehen gegen Japaner vor, die Ausländer bei sich aufgenommen und dies nicht den japanischen Polizeibehörden gemeldet hatten.319 Somit erscheint es notwendig, sich eingehender mit jenen Studenten zu beschäftigen, die aus dem Raum der chinesischen Schrifttradition stammten. Aus Korea waren 68 Studenten im Jahre 1900 verzeichnet, von denen 21 Studenten an Schulen für Militärstudien eingeschrieben waren, die übrigen an der Tôdai (Tôkyô daigaku hyakunenshi, Bd. 3; 150).320 Aus China kamen die ersten rund zweihundert

319 Siehe Horst Hamnitzsch: Japan-Handbuch (Wiesbaden, Franz Steiner Verlag, 1981; 424f) sowie Naimushô [Innenministerium] (Hrsg.): Hôki ruisho [Verordnungen des Innenministeriums und ähnliche Dokumente] (Tokyo, 1900; 453ff). 320 Fukuzawa Yukichi hatte bereits zu Beginn der 1880er zehn koreanische Studenten an sein privates Lehrinstitut, die Keiô gijiku {慶応義塾} eingeladen, siehe Keiô gijuku (Hrsg.): Keiô gijuku gojûnenshi [50-jährige Geschichte der Keiô gijuku] (Keiô gijuku, Tokyo, 1907; 467), Ishikawa Kanmei: Fukuzawa Yukichi den [Über Fukuzawa Yukichi] (Tokyo, Iwanami shoten, 3 Bde., Bd. 3, Tokyo, 1933; 289) sowie Iida Kanae: Fukuzawa Yukichi, kokumin kokka ron no sôshisha [Fukuzawa Yukichi, Gründer der Nations- und Staatsidee], Chûôkôronsha, Tokyo, 1984; 190. Bis zum Jahre 1884 folgten weitere Koreaner, die an der Keiô zur Reformierung ihres Landes ausgebildet werden sollten. Nach dem gescheiterten Umsturzversuch von 1884

218 Studenten nach dem Chinesisch-Japanischen Krieg (1894/5) im Jahr 1897. Einen stetigen Zuwachs in den folgenden Jahren verzeichnend, schnellte die Anzahl der Studenten nach dem Russisch-Japanischen Krieg (1904/5) im Jahre 1905 auf ca. 8.000 Studenten hoch. Im Jahre 1906 erreichte sie ihren Höhepunkt mit ca. 9.600

Studenten, was auch auf die Abschaffung des konfuzianischen Prüfungssystems [{連

成} rensei] im selben Jahre zurückzuführen ist. Im folgenden Jahr waren noch 6.272 chinesische Auslandsstudenten offiziell verzeichnet.321 In China selbst wurde ein Auslandsstudium in Tokyo organisatorisch durch die Gründung von Verschickungsgesellschaften unterstützt und von offizieller Seite durch die Vergabe von kaiserlichen Stipendien gefördert (Harrell: Change; passim). Das japanische Erziehungsministerium richtete sich vorerst auf den Zustrom der chinesischen Studenten durch die Etablierung eines Auslandsstudenten-

Austauschsystems [{留学制度} ryûgakusei seido] ein. Im Jahre 1902 wurde in Tokyo eigens für die Zwecke der Unterbringung der Studenten ein Auslandsstudentenwohnhaus in Suzuki-chô, Suruga-dai, erbaut (Tôkyô daigaku no ryûgakusei kenkyû; 12). Später verteilten sich die Studierenden auf die neu eingerichteten Studentenwohnheime an den jeweiligen Universitäten und Schulen (Nagaoka: Betonamu; 262). ii. Formale Studienvoraussetzungen und informelle Einschreibepraxis

sind keine Studenten aus Korea mehr an der Keiô verzeichnet, siehe Iida: Fukuzawa Yukichi; 198-203. Zu diesem Zeitpunkt war Fukuzawa, wie er in seinem Artikel Datsu a ron aus dem Jahre 1885, s. II 1 D ii., darlegte, nicht mehr von der Modernisierungsfähigkeit Koreas überzeugt. Aus den Immatrikulationslisten der Keiô aus den Jahren 1900 – 1909 sind keine vietnamesischen oder philippinischen Studentennamen zu entnehmen gewesen. 321 Die Angaben über die Anzahl der chinesischen Auslandsstudenten in Japan variieren beträchtlich. Da die chinesische Studienbewegung nach Tokyo nicht Gegenstand dieser Arbeit ist, wurde Sekundärmaterial zu Rate gezogen. Es wurde versucht, aus den verschiedenen Quellen die plausibelsten Zahlen auszuwählen, siehe Futami Takeshi und Saitô Hisako: Chûkokujin nihon ryûgakuseishi kankei tôkei [Statistiken zur Geschichte der chinesischen Auslandsstudenten in Japan] (94, Kokuritsu kyôiku kenkyûjo kiyô, Tokyo, 1978; 99-105), Tôkyô daigaku hyakunenshi henshûjinkai (Hrsg.): Tôkyô daigakushi kiyo [Bulletin of the History of Tokyo University] (1979, Bd. 3, 2; 110-124; hier Sn. 118-119); Waseda daigaku hyakunenshi henshûjinkai (Hrsg.): Waseda daigaku hyakunenshi [100-jährige Geschichte der Waseda Universität] (Waseda waigaku shuppankai, Tokyo, 1992; 655-656). Auch Jansen, der die Japan Weekly Mail auswertete, nennt ähnliche der hier verwandten Zahlen, siehe Jansen: Sun Yat Sen; 112. Siehe auch Harell: Change; 43.

219 Seit der Jahrhundertwende kamen immer mehr privat finanzierte Studenten aus verschiedenen Provinzen Chinas nach Tokyo. Sie erhofften sich aufgrund der schwindenden Bedeutung des konfuzianischen Prüfungssystems in China bessere Karrierechancen durch ein Studium in Japan. Die fehlende offizielle Begleitung dieser Studenten ließ in Japan schnell den Verdacht aufkommen, dass es sich um Dissidenten mit revolutionären Absichten handeln könne, die China verlassen wollten oder mußten. Aus japanischer Sicht trugen diese selbstfinanzierten Studenten zu einer Radikalisierung der gesamten Studienbewegung bei (Harrell:

Change; 124-7). Ausgelöst durch den seijô-Vorfall [{成城事故} seijô jikô ] im Jahre 1902 (ibid; 107, 127), der einige selbstfinanzierte chinesische Studenten aufgrund einer verweigerten Zulassung zur seijô-Schule zu einem öffentlichkeitswirksamer Protest veranlaßt hatte, wurden am 2. November 1905 in Folge verschärfte Zugangsregularien erlassen, die Studien- und Immatrikulationssvorschriften für ausländische Studenten an Universitäten, die dem Kulturministerium unterstehen [{

文部省直轄学校外国委託製二関スル規程} monbushô chokkatsu gakkô gaikoku itakuseini kan suru kitei]. Darin heißt es:

„ Artikel 1 Im Falle, dass ein Ausländer ein oder mehrere gewisse Fächer an der staatlichen Universität 322 beabsichtigt zu studieren, und dies unabhängig vom regulären Universitätsunterricht ist, werden nur diejenigen zugelassen, die von einem sich in unserem Land aufhaltenden Gesandten oder Konsularsbeauftragen dazu die Genehmigung erhalten haben.

Artikel 2 Laut Artikel 1 muss ein Ausländer, der den Unterricht an der staatlichen Universität wahrnehmen will, eine Bescheinigung von dem in unserem Land sich aufhaltenden Gesandten oder Konsularsbeautragten vorweisen können und ein Gesuch beim Rektor der staatlichen Universität einreichen.

Artikel 3 Wenn ein Rektor der staatlichen Universität das in Artikel 2 bennante Gesuch eines Antragstellers annimmt, darf der Auländer nur dann zum Studium zugelassen werden, wenn er seine Begabung und Lernfähigkeit in dem gewünschten Fach nachweisen kann. Wenn es Bedenken von seiten des Lehrkörpers der Universität gibt, ist der Zulassung nicht zuzustimmen.

Artikel 4

322 Die genaue Übersetzung lautet: „eine Schule oder Universität, die dem Kultusministerium direkt untersteht“[{文部省直轄大学} monbushô chokkatsu daigaku].

220 Der Auslandsstudent, der ein Studium an der staatlichen Universität absolviert hat, erhält nach Abschluss seines Studiums eine Bescheinigung.

Artikel 5 Es kann entschieden werden, dass dem Auslandsstudenten Studiengebühren oder Immatrikulationsgenehmigungsgebühren erlassen werden.

Artikel 6 Dem Rektor der staalichen Universität ist es vorbehalten im Einverständnis mit dem Erziehungsministerium weitere nähere Bestimmungen zu erlassen.

Artikel 7 Diese Vorschrift findet Anwendung auf alle Studenten, die zukünftig ein Studium an der staatlichen Universität aufnehmen. Bereits immatrikulierte Studenten sind von diesen Vorschriften nicht betroffen.“ (Tôkyô daigaku hyakunenshi, Bd. 2; 145).

Die Forderung nach einer Art nachweisbaren Registrierungspflicht der chinesischen Studenten beim Gesandten ihres Herkunftslandes in Tokyo diente den japanischen Behörden als ein Instrument zur direkteren Kontrolle über die chinesischen, aber auch andere ausländische Studenten. Zusätzlich wurde es für den Aufenthalt der ausländischen Studenten zur Voraussetzung, dass die jeweilige Gesandtschaft in Tokyo die Übernahme der Lebenshaltungskosten des Studenten garantierte. Im Gegensatz zu den vorherigen Einschreiberichtlinien der Universität von Tokyo z. B. addressierten diese Richtlinien ausschließlich solche Studenten, die eine behördliche Genehmigung erhalten hatten oder würden und sahen den Aufenthalt privater Auslandsstudenten ohne Registrierung durch staatlichen Stellen gar nicht mehr vor.323 Diese Regularien standen im Einklang mit der Politik der Vermeidung des Kontaktes mit Vertretern anti-kolonialer Bewegungen aus Südostasien, auf die bereits mehrfach verwiesen wurde.

Die Einschreiberegularien für Universiäten und Lehreinrichtungen, die Phan Bội Châu und seine Studenten in den Jahre 1905 bis 1909 vorfanden, schienen ein Studium in Japan für Vietnamesen schier unmöglich zu machen. ‚Vietnam’, offiziell die Union Indochinoise, war nur über die französische Gesandtschaft diplomatisch in Tokyo vertreten. Da die Kolonien nicht als ‚völkerrechtliche Subjekte’ galten, waren sie, wenn überhaupt, durch die Gesandtschaften der europäischen Mutterländer vertreten, wie etwa im Falle José Rizals beschrieben, der während

323 Die vorherige Richtlinie wurde am 4. Juli 1900 vom Erziehungsministerium erlassen.

221 seines Aufenthaltes in Japan bei der spanischen Gesandtschaft wohnte. Es ist darüber hinaus nicht davon auszugehen, dass die französische Gesandtschaft in Tokyo Bürgschaften für die vietnamesischen Studenten der dong du-Bewegung übernommen hätte. Zudem waren die vietnamesischen Studenten, die einer Widerstandsbewegung in Vietnam nahe standen, tatsächlich als Dissidenten zu bezeichnen und reisten somit ohnehin ohne Genehmigung der französischen Behörden nach Tokyo. Tatsächlich schienen die in den Vorschriften zu Tage tretenden Befürchtungen vor einer Radikalisierung der Auslandsstudentenbewegung sich im alltäglichen Leben zu bewahrheiten. Phan Bội Châu schreibt in seinen Memoiren von entsprechenden Bedenken japanischer Lehrer im Hinblick auf die Aufnahme vietnamesischer Studenten an entsprechenden Lehrinstitutionen. Er berichtet von den Befürchtungen des Leiters der Schule für Militärerziehung [shinbun gakkô] (siehe III 2 F iii.), Fukushima Yasumasa, der beklagte, dass die Japaner durch die Ausbildung der Vietnamesen in Miltärkunde in einen Konflikt mit Frankreich und weiteren Westmächten geraten könnten. Fukushima, der später noch vorgestellt werden wird, äußerte sich:

„In my acquaintance with you gentlemen (Phan Bội Châu und andere, Anmerk. der Verfasserin), strictly on an individual basis, it is possible for me to show my good friendship. But in my capacity as head of this school it is impossible to do so, because according to diplomatic practice the government of an imperial power certainly cannot overty cooperate with a revolutionary party of another country. The admission of four of your students at the Shinbun Gakkô some time ago was already a great breach of that rule. To increase that number now is impossible because this is an institution established by the state; to accept your students would certainly give the French government an excuse to make a protest, which would cause trouble for the diplomacy of our government, and also would be of no benefit for you. A better course of action for you would be to seek support from the Tôa Dôbun Kai (Ostasiatische Vereinigung, siehe II 1 D iv., Anmerk. der Verfasserin), because this is a society that has been organized by a political party. One political party may help another political party; there is no need for the government to ask questions.“ (Phan Bội Châu: Chariot; 134).

Phan Bội Châu berichtet von einem ähnlichen Fall an anderer Stelle, als ihn Fukushima sowie der Direktor des Instituts zum Studium der gemeinsamen Kultur/kultureller Gemeinsamkeiten [dôbun shoin] (siehe III 2 F iii.), Kashiwara Buntarô, befragen, ob er Monarchist oder Demokrat sei, wobei letzteres bedeute, dass seine Studenten nicht „geduldig auf den richtigen Zeitpunkt“ ihrer Rückkehr

222 warten würden und möglicherweise revolutionäre Bewegungen in Vietnam initiieren könnten. Phan antwortete darauf:

„The goal of our Association now is above all to force the French to return the right of independence to us. As for monarchy or democracy, that is another problem that we have not to deal with. But if we trace the history of our country from early days up until the present time, and if we consider the level of political understanding of the people at this time, then a monarchy should seem to suit us better.“(Phan Bội Châu: Reflections; 31-2.).

Spätestens im Jahre 1907 verschärfte sich die Problematik der Radikalisierung ausländischer Studenten und die damit offentsichticher werdende Angst vor Unterstützung von Dissidenten. Fukushima wandte sich nun gegen eine Aufnahme weiterer vietnamesischer Studenten, vemutlich vor dem Hintergrund der Unterzeichnung des Japanisch-Französischen Freundschaftsvertrages vom 10. Juni 1907324:

“It is possible to assist you in the name of the party, but this is not the time to give you military assistance. These days, the setting for conflict is not just a problem between Japan and France but actually the problem of rivalry between Europe and Asia. If Japan wished to assist your country, then she would have to open hostilities with France. Once hostilities were opened between Japan and France, then it is likely that conflict would be ignited worldwide. At present, Japan does not have enough power to stand against the whole of Europe.” (Phan Bội Châu: Chariot; 88).

Wie die tatsächliche Einschreibepraxis an den japanischen Universitäten aussah, läßt folgendes Zitat erahnen, welches gleichzeitig ein Hinweis auf die Schwierigkeiten im Umgang mit den Quellen gibt. Phan Bội Châu vermerkt in seinen Memoiren über ein Gespräch mit eben jenem oben erwähnten Kashiwara über die Aufnahme des Prinzen Cường Để am dôbun shoin:

„According to diplomatic practice, when a member of your country’s royal family does not possess a permit from the French government, our country cannot receive him openly; but he could mingle with the foreign youth and pretend to be a Chinese student.“(Phan Bội Châu: Chariot; 109).

Es ist davon auszugehen, dass sich weitere vietnamesische Studenten unter einem chinesischen alias an den Lehreinrichtungen eingeschrieben haben – diese Vietnamesen sind jedoch heute nicht mehr eindeutig zu identifizieren.

324 In dem Vertrag wurden die gegenseitigen territorialen Ansprüche in der Südmandschurai anerkannt, wobei Frankreich hier hauptsächlich als strategischer Partner Russlands agierte.

223

Neben den wenig zuträglichen und ungünstigen Regularien für Auslandsstudenten, stellte auch die Struktur des japanischen Bildungssystems ein Hindernis für die vietnamesischen (und ausländischen) Studenten dar. 325 Die Ausslandsstudenten wurden nicht in den regulären Lehrbetrieb integriert. Sie studierten an eigens für sie eingerichteten Universitätsabteilungen oder Schulen und durchliefen somit eine Art Parallelausbildung (diese Teilung ist teilweise heutzutage noch erhalten). Das japanische Bildungssystem Anfang des 20. Jahrhunderts diente dem Zweck, Schüler und Studenten zu loyalen Staatsdienern und Patrioten zu erziehen und ihnen konfuzianische Werte sowie shintô-Gedankengut zu vermitteln. Nachdem die klassisch-konfuzianischen Bildungsinhalte während der Phase der Verwestlichung in den 1870er und 1880er zum großen Teil durch westliche Wissensinhalte verdrängt worden waren, wurden erstere im Jahr 1890 mit dem kaiserlichen Erlass über die Grundlinien der Erziehungs- und Bildungspolitik (s.o. II 1 D ii., Begleitdokument der japansichen Verfassung) erneut zur Doktrin in einem nun nationalen Rahmen erhoben.326 Der Erziehungserlass, der von dem konfuzianischen Gelehrten und Lehrer des Kaisers Motoda Eifu und dem Minister für Erziehung Mori Arinori327 verfaßt wurde, spiegelte die zu Beginn der 1890er Jahre einsetzende Rückbesinnung auf konfuzianische Werte und die Verankerung des ‚japanischen Geist’ wieder (s.o. II 1 D ii.). Im Erlass war festgeschrieben, dass Bildung der

325 Die folgenden Ausführungen basieren auf Shimizu Yoshihiro (Hrsg.): Nihon no kôto kyôiku no rekishi [Geschichte der Hochschulbildung in Japan] (Daiichi hôki shuppan kaisha, Tokyo, 1968), Naimusho (Hrsg.): Meiji gakusei enkaku shi [Die Geschichte des Erziehungssystems in der meiji-Zeit] (Kinkôdô shuppansha, Tokyo, 1906), Byron K. Marshall: Academic Freedom and the Japanese Imperial University, 1868-1939 (Berkeley, University of California Press, 1992) sowie Yamanouchi Tarô: Daigaku to senmon gakkô [Universitäten und Fachschulen] (in: Rinji kyôiku kaigi no kenkyû, Tokyo daigaku shuppankai, Tokyo, 1968; 465-550). 326 Obwohl Phasen der Liberalisierung, der Verwestlichung und der (Re-) Japanisierung auszumachen sind, kennzeichnete eine jede Phase auch die Ambivalenz ihrer rechtlichen Verordnungen. So wurde mehr oder weniger gleichzeitig Ende der 1870er Jahre das kyôiku rei sowie das kyôgaku taishi erlassen. Ersteres, das kyôiku rei, nahm auf die spezifisch als japanisch gekennzeichneten Traditionen Bezug, betonte aber auch westliche Wissensbereiche, die in das japanische Bildungsgut aufgenommen werden sollten. Es war Ausdruck einer liberalen Geisteshaltung und sollte die Vermittlung westlichen Wissens fördern. Letzteres, das kyôgaku taishi hingegen wies bereits auf die negativen Aspekte der Verwestlichung des Erziehungs- und Bildungssystems hin und stellte die konfuzianischen Werte erneut in den Mittelpunkt, siehe Piper: Japans Weg; 94-5. 327 Alistair Swale hat in seiner Studie The Political Thought of Mori Arinori den konservativ- konfuzianischen Hintergrund Moris herausgearbeitet und hinterfragt die Tiefe der japanischen Verwestlichungsdiskurse der frühen meiji-Zeit kritisch, vergl. Alistair Swale: The Political Thought of Mori Arinori: A Study in Meiji (Richmond, Japan Library, Curzon Press, 2000).

224 Wahrung der japanischen Tradition, der Vermittlung grundlegender Kenntnisse der modernen abendländischen Zivilisation, Wissenschaft und Technik, der Erziehung zum Patriotismus, der Liebe zum Vaterland [chûkun aikoku] sowie zur Loyalität dem Kaiser gegenüber dienen sollte (Tsunoda: Sources, II; 139-40). Die hauptsächliche Funktion der Ausbildung an den staatlichen Universitäten bestand somit in der Qualifikation von Studenten für Tätigkeiten im höheren Verwaltungs- oder Militärdienst. Zudem war eine der Aufnahmevoraussetzungen für ein Studium

an der Tôdai ein Abschluss an der Ersten Mittelschule [{ 第一中学校} daiichi chûgakkô],.einer der sieben Höheren Mittelschulen. Doch an dieser Schule sind keine Auslandsstudenten verzeichnet gewesen im hier untersuchten Zeitraum von 1905 bis 1909.328 Ein weiterer Grund für die Separierung der japansichen von den Auslandsstudenten lag in den mangelnden Sprachkenntnissen der letztgenannten. In der Regel mußten sie ein halb- bis einjähriges Sprachstudium ihren eigentlichen Studien voranstellen. Obwohl an den Mittleren Mittelschulen, von denen es ca. 85 um die Jahrhundertwende gab, Japanisch-Kurse angeboten wurden, so war deren Sprachunterricht nicht für Ausländer geeignet, sondern für japanische Studenten, um deren Schriftkenntnisse der geschriebenen japanischen Sprache zu erhöhen. Eine tatsächliche Studienmöglichkeit für Auslandsstudenten boten letztlich nur private Einrichtungen, die keinen staatlichen Zulassungsregularien unterlagen. Die

Lehrpläne dieser Schulen und Institutionen, der Fachschulen [{専門学校} semmon gakkô], sahen in der Regel im ersten Jahr den Unterricht in einem Fach vor und erst mit dem Fortschreiten der Studienjahre diversifizierte sich das Fächerangebot aus. Die Fächerauswahl bezog sich stark auf die angewandten Natur- und Technikwissenschaften, Basiswissen der Medizin und Landwirtschaft. An diesen Schulen wurde in erster Linie praxisrelevantes und anwendungsbezogenes Wissen vermittelt. Durchschnittlich betrug die Studiendauer an diesen Einrichtungen ca. drei Jahre, doch machte entweder die schlechte Vorbildung der japanischen Studenten oder die fehlenden Japanisch-Kenntnisse der Auslandsstudenten das Absolvieren von Vorbereitungskursen notwendig, was oftmals die eigentliche

328 Siehe die Aufführung der Immatrikulationslisten der daiichi chûgakkô in: Terasaki Masao: Teikoku daigaku keiseiki no daigakukan [Ausführungen über die Formationszeit der kaiserlichen Universität] (in: Gakkôkan no shiteki kenkyû, Noma kyôiku kenkyûjo, Tokyo, 1972; 183-265; 205-212.)

225 Studienzeit verkürzte. Die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebes der semmon gakkô hing von der Entrichtung von Studiengebühren ab, da sie keine staatliche Unterstützung erhielten. Das Angebot an aufwendigen Fächer war aufgrund der oft angespannten finanziellen Lage begrenzt und die Ausstattung einfach. Bibliotheken waren schlecht bestückt oder gar nicht vorhanden. Vielfach rekrutierte sich das Lehrpersonal aus den Absolventen der Schulen und eine ihrer Aufgaben bestand gleichfalls darin, neue Schüler und Studenten für ihre Einrichtungen zu werben. iii. Die vietnamesischen Studenten in Tokyo

Die nach Tokyo aufbrechenden vietnamesischen Studenten waren Personen ganz unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher regionaler und familiärer Herkunft und verfügten über heterogene Bildungshintergründe. Teils waren es noch Kinder, die keine oder erst Anfänge einer Schulausbildung erhalten hatten, teils waren es examinierte literati. So weit in den Quellen erwähnt, standen viele der Studenten der anti-französischen Widerstandsbewegung Phan Bội Châus nahe. Sie können von daher auch als politische Aktivisten bezeichnet werden, die nicht selten in Konflikt mit den französischen Behörden standen (Phan Bội Châu: Chariot; passim sowie Reflections; passim). So mag in manchen Fällen die Flucht vor Verhaftung durch die französischen Kolonialbehörden der Grund für ihre Reise nach Japan gewesen sein. Doch bleiben die Motive der meisten Studenten für ihren ‚Studienaufenthalt’ in Japan im Unklaren. Quellenmaterial über die dong du-Studenten ist nur indirekt in Form von Berichten über sie vorhanden. Einreise- oder Ausreiseunterlagen in japanischen Behörden liegen nicht vor, da sich die Vietnamesen ohne behördliche Genehmigung in Japan aufhielten. Falls Angaben zu finden waren, sind diese berücksichtigt worden (siehe V C.).329 Die vermutlich ersten fünf Studenten aus Vietnam kamen im Herbst des Jahres 1905 nach Japan (siehe V C. sowie Phan Bội Châu: Reflections; 38). Erst ab Mitte des Jahres 1907 nahm ihre Anzahl merklich zu. Der verzeichnete Anstieg dürfte vermutlich auf die großzügige finanzielle Unterstützung des Seidenhändlers und mit französischen Paß reisenden Vietnamesen chinesischer Abstammung Gilbert Tran

329 Siehe Phan Bội Châu Chariot und Reflections (diverse Orte), namentliche Erwähnungen finden sich unter V C. Sie sind den Immatrikulationslisten der u. g. Institute sowie der Sekundärliteratur entnommen.

226 Chanh Chieu zurückzuführen sein (s.o. III 2 C iii.). 330 Selbst aus Cochinchina stammend, zielte die Unterstützung Tran Chanh Chieus im Besonderen auf die Studenten aus dem Süden, doch verfolgte er auch das Ziel, Studenten aus Nord- und Mittelvietnam zusammenzubringen, wie aus der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Nachrichten aus den sechs Provinzen [viet.: Luc tinh tan van] hervorgeht. Die finanzielle Unterstützung schien dabei mehr als eine bloße Geldangelegenheit und Finanzierung der Überseestudenten zu sein. Wenn jene, die Geld hätten, aber nicht studieren könnten, jene unterstützten, die zum Studium außer Landes seien, dann sei dies eine gemeinschaftliche/nationale Angelegenheit und die Gemeinschaft/Nation würde zusammenwachsen. Beide Gruppen würden dem Land einen Dienst erweisen. Studium und Stipendienvergabe wurde zur gesamt- ‚nationalen’ Aufgabe. Phan Bội Châu berichtet, dass ca. 100 Studenten aus Cochinchina, ca. 40 aus Tongking und ca. 50 aus Annam nach Japan kamen (Marr: Anticolonialism; 128).331 Nicht nur die finanzielle Situation der Studenten verbesserte sich durch die Gelder Chieus, auch die Organisation der Bewegung wurde verstetigt. Seit Mitte des Jahres 1907 wurde die Verschickung der Studenten von einer Vereinigung organisiert, die sich Society for Encouragement of Learning [vietn.: khuyen du hoc hoi] nannte. Ihre offizielle Funktion bestand in der Finanzierung, Vorbereitung und Regelung der Überfahrten nach Japan. Inoffiziell wurde mit dem Argument geworben, dass durch ein Studium in Japan eine Generation von Vietnamesen ausgebildet würde, welche den Nukleus einer neuen Gesellschaft bilde. Diese hauptsächlich von Hanoi aus wirkende Verschickungsgesellschaft erhielt schnell ihr Pendant im Oktober 1907 in Tokyo. Die dortige Vereinigung trug den Namen New Vietnam Constitutionalist Association [vietn.: Tan viet-nam cong hien). Aufgrund des zunehmenden Spendenaufkommens konnte die Vereinigung ein kleines Lehrinstitut mit Namen The Eaves of 1906 [Die Traufe von 1906] in Yokohama einrichten, an welchem die ankommenden Studenten aus Vietnam ihren ersten Unterricht erhielten (Marr:

330 Phan hatte den Sohn Tran Chanh Chieus in Hong Kong von der Notwendigkeit der Studentenbewegung überzeugen und ihn bewegen können, seinen Vater um Unterstützung zu bitten, siehe Phan Bội Châu: Chariot; 128. Tran Chanh Chieu finanzierte gleichzeitig die Errichtung der nach dem Vorbild von Fukuzawa Yukichi in Hanoi errichteten Schule Đông kinh nghiâ thục, zur Schule siehe III 2 C iii. 331 Inwieweit diese Zahlen belastbar sind, lässt sich schwer nachprüfen. Vermutlich wird Phan Bội Châu aber nicht untertrieben haben in seinen Memoiren, aus denen diese Zahlen zu entnehmen sind, siehe Phan Bội Châu: Chariot: passim.

227 Anticolonialism; 127, 142 Duiker: Nationalism; 48). Sie wurden dort in Sprach- und Vorbereitungskursen für das Studium an einer der u.g. japanischen Schulen unterrichtet. Einige der vietnamesischen Studenten wohnten auch für kurze Zeit im tokyoter Stadteil Kanda, wo eigens für Chinesen errichtete Studentenwohnheime ihnen als Unterkunft dienten.332 Die republikanischen Studentenzirkel der Chinesen, zumeist um Sun Yat Sen, schienen die erste soziale Anlaufstelle für die vietnamesischen Studenten gewesen zu sein (Phan Bội Châu: Reflections: 30-36, ders.: Chariot 96-98).333 Vermutlich unterstützten die Chinesen vor Ort teils auch die vietnamesischen Studenten, die unter ständiger Geldnot litten und auch ansonsten ein äußerst entbehrungsreiches Leben führen mussten (Duiker: Nationalism; 66-7, Shiraishi: Meiji makki; 354). Die Aufenthaltsdauer der vietnamesischen Studenten betrug in der Regel nicht mehr als sechs Monate (siehe V C). In dieser Zeit musste für sie ein Studienplatz gefunden und ihnen entsprechende Sprachkenntnisse vermittelt werden. Obwohl die meisten der vietnamesischen Studenten bereits in Vietnam examiniert waren, wurden längst nicht alle Studenten in den japanischen Lehrbetrieb aufgenommen, da ihnen zuweilen grundlegendes Wissen z. B. in den naturwissenschaftlichen Fächern fehle, berichtet Phan Bội Châu (Phan Bội Châu: Chariot; 108, 136; Vinh: Fukuzawa; 114).

Die vietnamesischen Studenten studierten überwiegend an drei Lehrinstituten, deren Curricula und Leiter hier im Näheren vorgestellt werden sollen.334 Dies sind die im

Jahre 1903 gegründete Schule für Militärstudien [{辰武学校} shimbun (oder shinbun) gakkô; vietn.: chan vo hoc hieu], die aus der im Jahre 1898 gegründeten Abteilung

für die Auslandsstudenten der Seijô Schule [{成城学校留学部} seijô gakkô ryûgakubu]

hervorgegangen war und deren Leiter der Oberstleutnant Fukushima Yasumasa 福島

安正 (1852-1919) war; das Tokyoter Institut zum Studium der gemeinsamen

Kultur/kulturellen Gemeinsamkeiten [{東京同文書院}, tôkyô dôbun shôin, vietn.: dong

332 Siehe Waseda daigaku shakaikagaku kenkyûshô (Hrsg.): Nihon ryûgagkusei seido shi to ryûgakusei no haken to ukeire no rekishi [Geschichte des Auslandsstudenten-Systems, der ausländischen Studenten, deren Ankunft und Verbleib] (Kai mutsuo, Tokyo, 1994; 8). 333 In Yokohama lebten die meisten der sich in Japan befindenden Chinesen, siehe Yokohama kaikô shiryôkan (Hrsg.): Zusetsu: Yokohama gaikokujin kyoryûchi [Die Aufenthaltsgebiete für Ausländer in Yokohama] (Yokohama, 1998; 30-31). 334 Eine Auflistung aller Institute, an denen chinesische und vietnamesische Studenten eingeschrieben waren, findet sich unter V D.

228 kinh dong van], geleitet von Kashiwabara bzw. Kashiwara Buntarô 柏原文太郎 (1869-

1936) und das Kôbun Institut [{弘文学校 院} kôbun gakuin], dem Kanô Jigorô 嘉納治五郎 (1860-1938) vorstand.

Die shimbun gakkô war eine staatliche Schule für angehende Armeeoffiziere, deren Funktion darin bestand, japanische Soldaten für den höheren Militärdienst vorzubereiten, d.h. für den Besuch des Institut für militärische Studien und Soldaten [rikugun shikan gakkô] der führenden Militärschule in Japan zu dieser Zeit. Die shimbun hatte, genau wie vormals die seijô, eigens für chinesische Studenten Ausbildungsabteilungen eingerichtet. Seit dem Jahr der Gründung der seijô im Jahre 1898 wurden dort Sprachvorbereitungskurse angeboten (Harrell: Change; 34). Der Leiter der shimbun gakkô, Fukushima Yasumasa, war Angehöriger des Generalstabs der japanischen Armee und Militärattaché der japanischen Botschaft in Korea während des Chinesisch-Japansichen Krieges von 1894/5 gewesen. Er hatte anschließend den Oberbefehl über die japanischen Truppen während des Boxeraufstandes 1900 in Peking erhalten. Wie bereits im Japankapitel dieser Arbeit erwähnt, war Fukushima Mitglied der Östlichen Gesellschaft [tôhô kyôkai] (siehe II 1 D iv). Von Fukushimas pan-asiatischer Geisteshaltung hatten Ende des 19. Jahrhunderts bereits die Filipinos profitiert, mit deren Unterhändlern Mariano Ponce und Faustino Lichauco Fukushima im Juli 1898 in Yokohama zwecks Waffengeschäften zusammengetroffen war (Saniel: Japan; 247, 263). Nicht nur von diesen Aktivitäten kann man auf eine pan-asiatische Haltung Fukushimas schließen. Diese zeigt sich auch in seiner Bereitschaft, Vietnamesen an seiner Schule zu unterrichten. Neben den im Jahre 1906 verzeichneten 270 Chinesen, studierten Lương Lap Nham (weiterer Name Lương Ngoc Quyen), Tran Huu Cong (weiterer Name Tran Thuc Canh) Nguyến Dien, Prinz Cường Để und Trướng Trong Khac335, der als einziger nachweisbarer Vietnamese einen Abschluss an der shimbun im Jahre 1908 erlangte (Phan Bội Châu: Chariot; 108, Marr: Anticolonialism; 154). Der prominenteste Student unter den vier genannten Vietnamesen war Prinz Cường Để, der jedoch sein Studium dort abbrach und später an der Waseda Universität

335 Trần Mỹ-Van zitiert aus dem Tagebuch Trướng Trong Khacs, dass die Vietnamesen gute Leistungen erbrachten und dafür „…praise from Japanese teachers“ erhielten. Weitere Beschreibungen über die Studienzeit scheint Trướng Trong Khac nicht vorzunehmen, siehe Trần Mỹ-Van: Vietnamese Eyes; 131 FN 20.

229 weiter studierte. 336 Möglicherweise hat ihn die militärische Ausbildung an der shimbun nicht zufriedengestellt, zumindest berichtet er, dass er weit mehr von den meiji-Reformen durch die Lektüre japanischer Zeitungen und Büchern lerne als durch den Unterricht an der shimbun (Marr: Anitcolonialism; 125-7, 141, FN 67). Jenen Studenten, die an der shimbun nicht angenommen wurden, stand die

Möglichkeit offen, an der Schule für östliche Kultur [{東文武学堂} tôbunbu gakudô] zu

studieren. Der Leiter dieser Einrichtung war Terao Toruku 寺尾享土留紅. Die tôbunbu gakudô bot die Möglichkeit, die begonnene Militärausbildung fortzusetzen.337

Das Institut zum Studium der gemeinsamen Kultur/kulturellen Gemeinsamkeiten [tôkyô dôbun shoin] war eine Einrichtung der Gesellschaft der ostasiatischen Länder mit gemeinsamer Kultur [tôa dôbunkai] (siehe II 1 D iv.) und ist im Jahr 1902 von Prinz Konoe Atsumaro als Vorbereitungsschule für den Eintritt chinesischer und koreanische Studenten in höhere Bildungseinrichtungen des japanischen Bildungssystems eröffnet worden. Damit entsprach die Zielstellung des dôbun shoin jener der Gesellschaft der ostasiatischen Länder mit gemeinsamer Kultur, die sich dem Ziel verpflichtet hatte, die gemeinsame (Schrift-) Kultur von Chinesen, Japanern und Koreaner zu pflegen und zu erneuern (Yamamoto: Konoe Atsumaro; 102-118). Der Vorsteher des dôbun war Kashiwara Buntarô (Kuzû: Tôa senkaku; Bd. 2; 816- 824). Kashiwara wurde 1869 in Kyûshû geboren und besuchte die Tôkyô semmon gakkô [Fachschule Tokyo]. Er war mehrfach eine Art Vize-Minister im Erziehungsministerium und vier Mal Abgeordneter im Unterhaus. Vermutlich eröffnete Kashiwara auf Anraten des linksliberalen Bürgerrechtspolitikers Inukai Tsuyoshi und Sun Yat Sens das dôbun shoin (Jansen: Sun Yat Sen; 79). Kashiwara engagierte sich besonders für die Errichtung weiterer Schulen wie der Ostasiatische

Handelsschule [{東亜商業学校} tôa shôgyô gakkô], an welcher der Vietnamese Dang Tu Man studierte, nachdem im Jahre 1908 die dong du-Bewegung aufgelöst und die meisten Studenten Japan verlassen mussten (Phan Bội Châu: Chariot; 146,

336 Die Memoiren von Cường Để sind unter dem Titel Cuộc đời cách mạng Cường Để [Der revolutionäre Weg von Cường Để] im Jahr 1957 in Saigon veröffentlicht worden, wurden in dieser Arbeit jedoch nicht ausgewertet, da das Buch nicht eingesehen werden konnte. 337 Siehe Terao Tôru: Gakusetsu to seiron [Wissenschaftstheorie und politischer Diskurs], in: Kokka gakkai zasshi, 1905, 19, 10; 7-12.

230 Nagaoka: Betonamu; 260).338 Am dôbun studierten insgesamt ca. 60 Vietnamesen. Seit dem Sommer 1907 zum Studium eingeschrieben, war namentlich verzeichnet Lương Nghi Khanh (Kuzû: Kokuryûkai; Bd. 2; 820). Das dôbun shoin diente dem Zweck der Vermittlung von japanischen Sprach- und Kulturkenntnissen für Chinesen (und Koreaner). Im Gegensatz zu den anderen beiden Schulen, standen auf dem Lehrplan des dôbun neben einer militärischen Ausbildung auch geisteswissenschaftliche Fächer wie Literatur und Geschichte, Naturwissenschaften wurden nicht unterrichtet. Vormittags wurde entweder Japanisch oder Literatur unterrichtet; am Nachmittag wurden militärische Übungen durchgeführt oder Militärkunde gelehrt (Phan Bội Châu: Chariot; 136-7). Die Kombination aus geistiger Schulung, Erziehung und Unterricht in den Kampfsportarten entsprach der traditionellen samurai-Ausbildung und mag im Besonderen den Bedarfen der Vietnamesen entsprochen haben. Der Lehrer Naniwada Noriyoshi, einer samurai-Familie entstammend, erteilte militärische Erziehung und exerzierte mit den Studenten auf dem Feld. In den letzten Monaten des dong du-Bewegung wurden die Lehrinhalte des dôbun mehr auf den Erwerb der japanischen Sprache und Literatur hin ausgerichtet. Vermutlich war dies eine Reaktion Kashiwaras auf den Vorwurf des französischen Gesandten an die japanischen Behörden, dass an dem dôbun möglicherweise vietnamesiche Revolutionäre ausgebildet würden (Kuzû: Tôa senkaku; 820).

Das Kôbun Institut [{弘文学院} kôbun gakuin] war im Jahre 1896 von Kanô Jigorô auf Anraten des japanischen Prinzen Saionji eröffnet worden und war die Einrichtung, an welcher die meisten vietnamesischen Auslandsstudenten aufgenommen wurden (den Namen Kôbun erhielt die Schule offiziell erst im Jahre 1902). Das kôbun war eigens für die Ausbildung von chinesischen Studenten konzipiert worden und so sind denn auch zwischen 1902 und 1906 ca. 2000 Einschreibungen von chinesischen Studenten vorgenommen worden. 339 Die Klassen waren so zusammengestellt, dass, wenn möglich, Studenten aus derselben Provinz zusammenkamen. Grundsätzlich wurden Gebühren für Unterricht und

338 Im Jahre 1901 wurde diese Schule von Kashiwara und Inukai Ki, an der zu jener Zeit vermutlich 130 Studenten eingeschrieben waren, in die seika gakkô sowie die meijiro chûgakkô integriert, s. V D. 339 Einige wichtige Vertreter der chinesischen Exilszene besuchten dieses Institut, siehe Harrell: Change; passim

231 Unterbringung genommen, doch variierte der Betrag je nach finaziellen Möglichkeiten der Studenten (Harrell: Change; 70).

Kanô Jigorô war eigens nach China gereist, um sich dort über die vermittelten Wissensinhalte und Studienbedingungen einen Eindruck zu verschaffen und diese dann in die Kursgestaltung einfließen zu lassen. Der vorliegende Lehrplan besagt, das 43 Wochen im Jahr mit je 33 Stunden unterrichtet wurde. Im ersten Jahr wurde japanischer Sprachunterricht erteilt, im zweiten Jahr eine Grundausbildung in verschiedenen Fächern aus dem mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich, in Geschichte, Englisch und Politik. Im dritten Jahr spezialisierte man sich entweder in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern oder den geisteswissenschaftlichen Fächern. Der Unterricht gab jedoch eher einen Überblick über die naturwissenschaftlichen Themen wie Trigonometrie, Chemie, Zoologie, Botanik etc. (Kyôdai tôyôshi jiten: Shinhen tôyôshi jiten; 170-72).340 Auch wurden die Studenten in Sport unterrichtet, da Kanô Jigorô der ‚Leibesertüchtigung’ eine wesentliche pädagogische Bedeutung beimaß.341 Ziel der Ausbildung chinesischer Studenten war die Erziehung zu Lehrkräften nach japanischem Vorbild. Diese Lehrkräfte sollten dann in China entsprechende Schulen aufbauen und dort ein modernes Erziehungssystem errichten.342 Im Juli des Jahres 1909 wurde das kôbun geschlossen, da die Anzahl der chinesischen Studenten rückläufig war. Für diesen Rückgang sind in erster Linie die Entwicklung eines eigenen modernen Bildungssystems in China sowie eine

340 Die Autorin hat ebenfalls die Immatrikulationslisten der Waseda daigaku von 1904 bis 1909 eingesehen. Ôkuma Shigenobu, Gründer der Waseda Universität, Wortführer der Bürgerrechtsbewegung sowie Oppositions- und Parteipolitiker, später Kabinettsmitglied und Finanz-, Außen- und Premierminister, verfolgte ausdrücklich das Ziel der Vermittlung westlichen Wissens und liberal-aufgeklärter Ideen. Ebenso wie Fukuzawa Yukichis private Universität Keiô, waren die Wissensinhalte der Waseda am Vorbild englischer public schools ausgerichtet und die soziale und politische Erziehung der Schüler sowie die Vermittlung wirtschaftlichen Grundwissens standen im Mittelpunkt. An den eigens für Auslandsstudenten eingerichteten Abteilungen der Waseda, die im Jahre 1904 für Chinesen und Koreaner eingerichtet worden waren, studierten im ersten Jahr bereits ca. 40 chinesische Studenten, jedoch waren keine Vietnamesen verzeichnet. Prinz Cường Để nahm ein Studium an der Waseda im Jahre 1915 auf, siehe Waseda daigaku hyakunenshi; 49, Phan Bội Châu: Reflections; 154. 341 Kanô Jigorô gilt als der ‚Vater’ des Judo und der Olympischen Bewegung in Japan, siehe Andreas Niehaus: Leben und Werk Kanô Jigorôs (1860-1938), Würzburg, Ergon Verlag, 2003. 342 Siehe Kanô Jigorô: Watakushi no shôgai to jûdô [Mein Leben und Judo] (herausgegeben von Otaki Tadao, Shinjinbutsu ôraisha, Tokyo, 1972; 170-2).

232 Orientierung chinesischer Studenten nach Amerika ursächlich. 343 Auch mag die Schließung möglicherweise im Zusammenhang mit der Beendigung der dong du- Bewegung durch das japanische Innenministerium haben. Der chinesische Schriftsteller und kôbun-Student Lu Xun jedenfalls bermerkte, dass es sich bei der studentischen Klientel des kôbun u.a. um Vertreter republikanischer Umsturz- und Reformbewegungen handelte (Abe: Borrowing; 75).

F. Zusammenfassung

Auf den letzten Seiten wurde der Blick auf die Strukturen der Lebens- und Studienbedingungen der vietnamesischen dong du-Studenten gerichtet. Es konnte gezeigt werden, dass etwa rechtliche Hindernisse, hürdenreiche Einschreiberegularien an Lehreinrichtungen, Aufenthaltsgenehmigungen, Finanznöte, Sprachbarrieren und politische Bedenken der Betreiber von Auslandsstudentenschulen die Kommunikations- und Studienmöglichkeiten der vietnamesischen Studenten in Tokyo stark eingeschränkt haben. Zudem scheint die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der knapp 200 Studenten in der Regel bei sechs Monaten gelegen zu haben. Ähnlich abträglich für eine intensivere Annäherung der vietnamesischen Studenten an die japanische Lernkultur und Zivilisation dürften die Befürchtungen der japanischen Lehrer gewesen sein, in den Augen der Westmächte in die Nähe der südostasiatischen Unabhängigkeitskämpfer gestellt zu werden, sobald sie die vietnamesischen Studenten unterrichteten. Somit kommt man nicht umhin, die ideellen, politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der studentischen Japanerfahrungen als eher gering einzuschätzen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Themen der Emanzipationsbewegung dürften während des Japanaufenhaltes eher zu kurz gekommen sein. So kann man vermuten, dass die Reformansätze, die aus der dong du-Bewegung erwachsen sind, nicht wesentlich zu einem neuen Verständnis von Monarchie, Nation, Reform, Revolution oder Erneuerung unter den vietnamesischen Reformern beigetragen haben. Weder ist die Idee des japanischen Models, ob im Bezug auf die Verfassung, den Staatsaufbau, die Verwaltung etc. in den hier untersuchten Diskursen nachhaltig verankert. Auch

343 Siehe Abe Hiroshi: Borrowing from China: China’s first Modern Educational System (in: Ruth Hayhoe und Marianne Bastid (Hrsg.): China’s Education and the Industrialized World, New York, Sharpe, 1987; 57-80; hier Sn. 75-9) sowie Tôkyô daigaku hyakunenshi, Bd. 2; 44.

233 sind in Vietnam keine Bildungsstrukturen und –inhalte verändert worden, nachdem die Studenten aus Tokyo in ihre Heimatprovinzen zurückgekehrt sind. Lediglich die Reformschule Phan Châu Trinhs in Hanoi bestätigt hier die Ausnahme der Regel (siehe III 2 C iii.). Folglich kann nicht von einem Bildungstransfer im modernisierungstheoretischen Sinne mit Auswirkungen auf die Generierung einer bildungsbürgerlichen Schicht gesprochen werden, die eine Transformation traditioneller Gesellschaften in moderne Gesellschaften etwa beschleunigt hätte.344

3. Kapitelzusammenführung

Die Untersuchung der philippinischen und vietnamesischen Japanbilder hat gezeigt, dass die innerasiatische Rezeption der japanischen Reformleistungen vielschichtig war und dass es nicht ein Japanbild gab. Nicht nur war die japanische Modernisierung selbst eine kontroverse kulturelle Emanzipation, auch die sozialen, religiösen und kulturellen Wahrnehmungsmuster seiner Nachbarn waren uneinheitlich und selektiv. Der Raum Japan wurde zu einer Projetkionsfläche, die je nach Diskussionszusammenhang und Intention des Autors beschrieben werden konnte. Vielmehr bleibt es bemerkenswert, dass trotz des Befundes der semantischen Beliebigkeit des Begriffs Japan sich drei grundsätzliche Wahrnehmungskategorien ausmachen lassen, die in beiden untersuchten Fällen hervortreten: (1) ‚Japan’ galt

344 Konrad Jarauch verweist darauf, dass die Transformation von Gesellschaften im Hinblick auf den Bildungstransfer dann erfolgreich sein kann, wenn es sich beim Bildungstransfer um Inhalte der „liberalen“ höheren Bildung handelt, die Staats- und Wirtschaftswachstum hervorbringen, siehe Konrad Jarauch (Hrsg.): The Transformation of Higher Learning 1860-1930, (Stuttgart, Klett-Cotta; 32, 34-36).

234 als ein kultureller Raum der Moral, Zivilisation und Bildung, gleichzeitig wurde Japan auch (2) in beiden Fälle als anti-westlicher Verbündeter und potentieller Waffenlieferant eingeschätzt und letztlich (3) agierte Japan auch als imperiale Macht in den Augen der Vietnamesen und Filippinos. Parallel zu diesen Gemeinsamkeiten in der Japanwahrnehmung standen spezifische Rezeptionen der philippinischen und vietnamesischen Bildungsträger, die sich aus den jeweiligen Kontexten und unterschiedlichen kolonialen Herrschaftsverhältnissen erklären lassen. Sie spiegeln sich in verschiedenen Formen und Inhalten der Emanzipationsdiskurse, in deren Kontext ‚Japan’ stets eine andere Funktion zugewiesen wurde. Der Katholizismus und Elemente spanisch-westlicher Kultur auf den Philippinen waren durch die lange Dauer der Kolonialzeit von fast 300 Jahren tief in der indigenen Bevölkerung verwurzelt, sie generierten stärker durch westliche Kategorien geprägte Rezeptionsmuster als in Vietnam, wo die französische Kolonialmacht kaum mehr als 50 Jahre Einfluß ausüben konnte und die chinesisch- konfuzianischen Wissenstraditionen der Bildungseliten teilweise prägend für die Japanrezeption blieben. Unterschiedlich ist auch die Ausprägung einer ‚asiatischen‘ Identität, die von der philippinischen Bildungselite kaum in Erwägung gezogen wird, hingegen in die vietnamesischen literati sich mit einem Asien sehr wohl identifizieren können, bemerkenswerter Weise zuweilen stärker als mit einer vietnamesischen Nationalidentität, die sich aufgrund ethnischer und kultureller Unterschiede nicht recht herauszubilden scheint. Gemeinsam war beiden Rezeptionsgruppen, der philippinischen und der vietnamesischen, dass sie ihr Wissen über Japan an verschiedenen Orten und in verschiedenen Zusammenhängen erwarben, doch waren die Inhalte in beiden Fällen anfangs nicht aus erster Hand, sondern beruhten auf Berichten und Beschreibungen aus Büchern und Zeitungen, in einem Falle aus Europa, im anderen Falle aus China. D. h. die philippinische und vietnamesische Japanrezeption war in der Anfangszeit zu einem Großteil durch Dritte vermittelt. Eine weitere Gemeinsamkeit der philippinischen und vietnamesischen Emanzipationsnarrative besteht in der Behauptung, dass die Kolonialmächte den schwachen und beklagenswerten Zustand des eigenen Landes zu verschulden hätten.

Die Ergebnisse der philippinischen und vietnamesischen Japanrezeption abschließend vergleichend zu betrachten, liegt nach den Ausführungen nahe. Doch

235 sei angemerkt, dass die länderspezifische Untersuchungsweise aufgrund der Quellenlage unterschiedlichen Wegen folgen mußte. Im philippinischen Fall sind Japanbilder verschiedener Gruppierungen der Emanzipationsbewegung analysiert worden; im Falle Vietnams sind die Japanbilder hauptsächlich einer Person untersucht worden; die philippinischen Japanbilder sind überwiegend außerhalb Japans generiert worden; die vietnamesichen Japanbilder sind später durch konkrete Japanerfahrungen aus erster Hand gekennzeichnet gewesen, obwohl die Auswirkungen der Vorort-Erfahrungen als relativ gering einzuschätzen sind. Wurde die Region nanyô von japanischen Autoren vornehmlich als ein erweitertes Japan konstruiert, in dem wirtschaftliche Aktivität entfaltet, japanische Bauern siedeln und engagierte shishi ideale Gesellschaften nach japanischen Vorbild aufbauen konnten, so konzipierten die Vietnamesen und Filipinos ‚Japan’ in kulturellen oder imperialen Kategorien. Die südostasiatischen Japanbilder dienten eher der Sortierung politischer Emanzipationsdiskurse im Innern und richteten sich gegen die Kolonialmacht, wohingegen die japanischen Südostasienbilder und deren Länder- und Regionenbegriffe mehr im Zusammenhang mit einer nationalen und regionalen Differenzkonstruktionen standen.

236

IV. Schluss: Einordnungen und Erkenntnisse

Asiaten sehen Asiaten – nach den vorgelegten Ausführungen sollte ein weites Spektrum an diskutierten Aspekten und Angeboten der Bewertung einer gegenseitiger Sichtweisen eröffnet worden sein. Länder- und Regionsbezeichnungen sind um die Wende zum 20. Jahrhundert instrumentell und absichtsvoll, vor allem aber semantisch nicht fest fixiert verwandt worden. Abhängig von Rezeptionsmustern und persönlichen oder politischen Absichten haben wir es bei den Länder- und Regionsbegriffen mit Projektionsflächen für kulturelle Eigenschaften zu tun, die Raum für widersprüchliche, ambivalente und simplifizierende Bilder bieten. Im Besonderen wurde dies deutlich bei der Betrachtung der philippinischen, vietnamesichen und japanischen Asienbilder verschiedener Protagonisten dieser Arbeit, die unterschiedliche Vorstellungen der Begriffe entwickelten. So war z. B. eine asiatische Identität auf den Philippinen eher schwach ausgeprägt, im Falle Vietnams wiederum finden wir eine starke regionale asiatische, hingegen eine schwache nationale Identität, in Japan letztlich bedeutete ‚Asien‘ Unterschiedliches und wurde zu einem ‚Orient Japans‘ (Tanaka). Bemerkenswert bleibt dabei, dass die persönlichen Kontakte zwischen Japanern, Filippinos und Vietnamesen in der Regel schwierig zu erreichen, teilweise nicht einmal intendiert oder gar verboten waren. Es ist folglich nicht verwunderlich, dass sich Wahrnehmungsmuster, die durch Dritte anfänglich vermittelt waren, über längere Zeit hin behaupten konnten, weil sie nur schwer durch persönliche Erfahrungen überprüft, ergänzt oder revidiert werden konnten.

Die Analyse der Länder- und Regionenbilder sollte auch deutlich gemacht haben, dass die jeweilige historische Situation, das Interesse und die Absichten des Rezipierenden ausschlaggebend für die Sichtweise des Anderen waren, das die inneren Rezeptionsfaktoren und Gegebenheiten stärkeren Einfluß als die externen Ereignisse hatten. Zeitpunkt, Formation, Dauer und Kontinuität der Japan-, Südostasien- und Asiendiskurse sollen hier abschießend nochmals aus einer übergeordneren Perspektive bewertet werden.

237

A. Neubewertungen von Zäsuren und Begriffen

Im Rahmen dieser Arbeit ging es implizit um die Hinterfragung von Ergebnisse der historischen Asienforschung im Hinblick auf die japanische Perspektive auf den Süden, auf nanyô, sowie auf ‚Asien‘ selbst und, umgekehrt, im Hinblick auf die südostasiatische Perspektive auf Japan und ‚Asien‘. Es konnte gezeigt werden, dass nanyô und die semantischen Variationen der japansichen Asienbegriffe in kulturellen Kategorien gedacht wurden und zu Bestandteilen einer Definition eines zivilisatorischen Hierachieverhältnisses wurden, dessen Pole hießen ‚Ost‘ und ‚West‘ und wurden im Laufe der Zeit adaptiert, so dass aus ‚Ost‘ zugleich ein japanisches ‚West‘ und ein asiatische ‚Ost‘ wurde. Die Zuschreibungen galten nicht zuletzt auch der zivilisatorischen Selbstdefinition und Unterscheidung vom Anderen. Dass der ‚Westen‘, der ‚Osten‘, der ‚Süden‘ und ‚Asien‘ dabei zu ambivalenten Beschreibungsbegriffen wurden, dieses Ergebnis der Arbeit aus dem ersten Teil (Japan) läßt sich erstaulicherweise auch auf den zweiten Teil (Südostasien) übertragen und führt somit zu einer weiteren Aussage über die Emanzipationsdiskurse in den untersuchten Ländern. ‚Asien‘ ist für Vietnam ein ‚japanisches Asien‘, für die Philippinen spielt die asiatische Identität keine übergeordnete Rolle. Ein weiteres zentrales Ergebnis der vorgelegten Überlegungen betrifft die japanischen Süddiskurse. Sie sollten als Vorläufer der späteren japanischen Asiendiskurse begriffen und damit der Beginn derselben nach vorn ausgedehnt werden. Der Prozess der Japanisierung der südlichen See [nanyô] verlief dabei bereits in rassischen Kategorien und nahm einige der hier ausgeführten Elemente des spätern Zivilisationsdiskurses über ‚(Nordost-) Asien‘ vorweg.

Die nächste Zäsur, die in Frage gestellt wurde, war der Beginn der südostasistischen Japanwahrnehmung und die Bedeutung des Russisch-Japanischen Krieges. Bisher wurde der Russisch-Japanische Krieg von 1904/5 in der Forschungsliteratur als eines der zentralen und globalen, die südostasiatischen, anti-kolonialen

238 Emanzipationsbewegungen auslösendes Ereignis in Fernost gedeutet.345 ‚1905’ ist somit zu einem fest etablierten historischem Ereignis in der Kolonialgeschichtsschreibung geworden: ‚Japan‘ als erstarkte östliche Macht, die einen westlichen Hegemon in die Knie zwingt und somit zum Vorbild für die zu weiten Teilen unter kolonialer Herrschaft stehenden Südostasiaten wird. Hier seien nur einige Beispiele genannt. In der Monographie des Amerikaners John S. Furnivall über historische Bildungssysteme in Südostasien heißt es zum Beispiel:

„...But before this policy (Errichtung von Universitäten, Anmerk. der Verfasserin) was well under way, all the combustible material, long ready to take fire, burst suddenly into flame with the victory of Japan over Russia. This did much to give a new stimulus and a new aspect to the growing impatience of foreign rule; hitherto it had been for the most part critical, seditious, destructive but now it was inspired by a new constructive patriotism.“ (Furnivall: Educational Progress; 51).

In dem Sammelband Nationalism and Progress in Free Asia von Philip Thayer schreibt der Birmane Maung Htin Aung:

„In all the regions of Southeast Asia, native cultures were overwhelmed by the new culture of the colonial powers. But the well-trumpeted victory of Japan over Russia and the emergence of Japan as a great world power aroused the dormant nationalism of the Burmese and inspired nationalistic ideas in the other Southeast Asian countries, and like a giant awakened, nationalism turned militant against colonialism“346.

,Japan’ bleibt auch Vorbild der ‚Asiaten’ im Sammelband von Li Narangoa und Robert Cribb Imperial Japan and National Identities in Asia 1895-1945, welcher im Jahre 2003 erschien:

„…Japan’s achievements inspired admiration: Japan’s early success in industrializing and its spectacular victory in the Russo-Japanese War of 1904-1905 inspired many Asians.” Weiter heißt es: „…The electrifying effect on other Asians of Japan’s victory in the Russo- Japanese War of 1904-1905 is well known.” (Li: Imperial Japan; 2-3).

In dem in dieser Arbeit zitierten Werk von Yu-José über die Philippinen wird ‚Japan’ ebenfalls aufgrund des Sieges im Russisch-Japanischen Krieg eine Vorbildfunktion zugewiesen:

345 Siehe Aydin: A Global Anti-Western Movement? sowie Rotem Kowner (Hrsg.): Rethinking the Russo-Japanese War, 1904-05, Centennial Perspectives (Folkstone, Global Oriental, 2007). 346 Siehe Maung Htin Aung: Commentary on Rupert Emerson’s Progress of Nationalism (in: Philip Thayer (Hrsg.): and Progress in Free Asia, Baltimore, John Hopkins Press, 1956; 87).

239

„Filipinos respected Japan as an advanced Asian country because of Japan’s victory in the Russo-Japanese War” (Yu-José: Japan; 42).

Mit Bezug auf Vietnam heißt es bei Trần, einer ebenfalls in dieser Arbeit zitierten Autorin:

„It was Japan’s dramatic victory over Russia which was crucial in changing Vietnamese views of Japan and of the world in general“ (Trần: Vietnamese Eyes; 128).

Hinsichtlich des Beginns der südostasiatischen Japanrezeption zeigen die Ergebnisse dieser Arbeit jedoch ein abweichendes Bild. Die moderne, innerasiatische Japanrezeption scheint bereits vor dem Jahre 1905 eingesetzt zu haben. Sowohl die chinesische Studentenbewegung nach Tokyo setzte bereits um die Mitte der 1890er Jahre ein und auch die philippinische Japanrezeption läßt sich schon in den 1880er Jahren mit Rizal feststellen. In Vietnam treten erste japanorientierte Reformdiskurse um die Jahrhundertwende hervor. Wie aber ist die pre-1905-Orientierung der philippinischen und vietnamesischen Eliten nach Japan zu erklären? Welche Ereignisse lassen sich ausmachen, die dafür ursächlich sein könnten? Bezüglich der Philippinen bescheinigte Ferdinand Blumentritt, der Mentor und Freund José Rials, bereits im September 1896 dem Sieg Japans im Chinesisch- Japanischen Krieg von 1894/5 eine Signalwirkung auf das Japanbild der Filippinos. In der in Braunschweig erscheinenden Zeitschrift Globus schrieb er dazu:

„The revolt in the Philippines is, for this reason, so interesting; it proves, so to speak, to be the indirect consequence of the Chineses-Japanese war, a cerain self-confidence motivated the colored Filipinos... the splendid victories of the Japanese army and fleet must have awakened the belief in the Filipinos that the Asian race was called to terminate the European supremacy in East Asia and to give at least the latter back to the Asians.“ (Sichrovsky: Blumentritt; 119).

Ebenso in Vietnam beginnt die moderne Japanrezeption vor 1905. Phan Bội Châu beschäftigte sich bereits um 1902 mit Japan und dem japanischen tennô als Vorbild einer Reformierung Vietnams wie anhand seiner Auseinandersetzung mit den chinesischen Reformdiskurse gezeigt werden konnte. Auch in anderen Ländern Süd-

240 und Südostasien, z.B. in Malaysia347 oder in Indien, ist die Wahrnehmung eines sich rasant reformierenden Japans bereits in den 1880er Jahren nachweisbar. Aus zeigenössischer Sicht schien der südostasiatische Japandiskurs somit nicht ausschließlich bedingt durch eine spektakuläre Niederlage des Westens gegen das „kleine Japan“. Wirkungsmächtig war hier vielmehr zum einen die sichtbar beeindruckende Adaption westlicher Technik und die politisch-soziale Reformierung des Landes sowie der Sieg über die östliche Großmacht China im Jahre 1894/5.

Warum wird in der westlichen Historiographie aber dennoch der Mythos 1905 zu einer Initialzündung südostasiatischer Emanzipationsbewegungen stilisiert? Es muß demnach ein weiterer Aspekt gesucht werden, der den Sieg Japans von 1905 so tragfähig für die Historiographie im Hinblick auf die Japanrezption in Südostasien gemacht hat.

Ein möglicher Grund ist, dass die Deutung des Sieges von 1905 in eine sich im 20. Jahrhundert entwickelnde Darstellungstradition der Kolonial- und Außereuropa- Historiographie eingepaßt wurde. Mit Darstellungstradition ist gemeint, dass der Russisch-Japanische Krieg mit seinem überraschenden Ende ein Wahrnehmungsmuster schuf, in dem die Welt in ein binäres Ost-West-Schema

347 Eine entsprechende Japan-Beschreibung stammt aus der Feder des malaiischen Sultans von Johor, Mohamed Salleh bin Perang (1841-1915), aus dem Jahre 1883. Johor, das südlichste Staatengebilde der Melakka Straits, wurde durch die Entscheidung der Engländer, Singapur zu einem Handelshafen auszubauen, begünstigt. Der Sultan von Johor begann darauf hin, sein Herrschaftsgebiet nach dem Vorbild Singapurs zu reformieren. Er revidierte das Rechtssystem nach britischen Model und unterstütze Landwirtschaft und Handel sowie Infrastrukturprojekte. Neben Singapur erachtete er Japan als nachahmenswert. Vom Mai 1883 bis zum August desselben Jahres reiste er nach Japan und besuchte dort Nagasaki, Shimonoseki, Osaka, Kyoto, Nara und Tokyo. Vorrangig beschreibt der Sultan Tempel und Sehenswürdigkeiten, die ahnenbezogene Rituale der Japaner und ihren hohen moralischen Standard. Die Bildungsbeflissenheit japanischer Schulkinder finden seine Aufmerksamkeit: „On no occasion did we see people punching each other or fighting in the streets or in the marketplaces, nor did we see children quarreling or crying. However, we encountered hundreds of children, both boys and girls, on their way to school.“ siehe Amin Sweeny: Reputations Live on: An Early Malay Autobiography, Berkeley, University of California Press, 1980; 130. ‚Japan’ wird als eine gute Gesellschaft mit hohen moralischen Ansprüchen und strebsamen Menschen dargestellt. Die englischsprachige Übersetzung der Tarikh datuk bentara luar Johor von Mohamed Salleh bin Perang ist eine der ersten, wenn nicht sogar die erste in malaysischer Sprache verfasste Autobiographie und nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden. Aus diesem Grunde wurde sie von von Amin Sweeny unter dem Titel Reputations Live on: An Early Malay Autobiography übersetzt worden.

241 eingebettet wurde, welches im Verlauf der Kolonialgeschichte leichterdings fortgeschrieben werden konnte. Über die binären Wahrnehmungsmuster ist in der Einleitung sowie an verschiedenen Orten dieser Arbeit gesprochen worden. Auch die Modernisierungstheorie der 1970er und 80er Jahre erwies sich als anschlußfähig im Hinblick auf die Einteilung der Welt in Ost und West, in entwickelt und unterentwickelt, in modern und nachholbedürftig. Auch der Sonderrolle Japans wurde die Modernisierungstheorie in sofern gerecht, als Japan nach dem Zweiten Weltkrieg erneut zu einem Musterbeispiel einer ‚nachholenden Entwicklung’ erklärt wurde. ‚Japan‘ war wieder der Katalysator von Modernisierung und Entwicklung im Osten, erneut konnte an das Japanbild und an die Deutungen von 1905 der Jahrhundertwende angeschlossen werden. Als der deutsche Diplomat Konrad Seitz im Jahre 1990 die Situation erneut überzeichnete und von der ‚gelben Gefahr‘ durch japanische Hochtechnologie-Exporte sprach, bediente er damit erneut das Bild Japans als schlagkräftiger, östlicher Macht, die für Europa eine Bedrohung darstelle.348

Selbst heutzutage herrscht noch immer die Wahrnehmung vor, dass in Tsushima eine ‚westliche Großmacht’ von einem kleinen ‚asiatischen Land’ geschlagen wurde, dass es ein Krieg ‚Asiens’ gegen ‚Europas’, ein Krieg des ‚Ostens’ gegen den ‚Westen’ war, dass eine Teilung der Welt in einen europäischen und einen (nun als gleichwertig zu bezeichnenden) asiatischen Raum vollzogen war. Noch heute ist die Gedankenfigur der Ost-West-Binarität von 1905 in den Werken der Geschichtswissenschaft fest verankert. In nahezu allen allgemeinen und fachspezifischen Darstellungen ist der Russisch-Japanische Krieg „a historical watershed…(when) an established Western great power was successfully challened by an Asian nation“, oder es ist etwa zu lesen:

„...In diesem ersten Waffengang des in der westlichen Welt bisher kaum beachteten ostasiatischen Staates mit einer der europäischen Großmächte erwies sich die junge, aufstrebende Militärmacht Japan den schwerfällig operierenden russischen Streitkräften in jeder Weise überlegen.“ 349

348 Zur dichotomen ‚Ost-West und Asien-Europa’-Wahrnehmung einschlägig Said: Orientalism sowie Osterhammel: Die Entzauberung Asiens, Lee: ‚Anti-Europa‘ und Coulmas: Vom Orient nach Asien. Siehe auch Konrad Seitz: Die japanisch-amerikanische Herausforderung. Die deutsche Hochtechnologie-Industrie kämpft ums Überleben (München: Bonn aktuell, 1990). 349 Siehe Bundeszentrale für Politische Bildung: Schlaglichter der Weltgeschichte (Mannheim, 1992; 344-5).

242

In einer englischsprachigen Darstellung heißt es:

“...The Japanese victory in the Russo-Japanese war of 1904-1905 showed that a European power could be defeated in war by an Asian power, thus giving a boost to anti-colonial and anti-Western movements throughout the world.” 350

In einer anderen etwa:

“Just as in other countries of Asia, the emergence of Japan as a great world power was hailed in Burma as the dawn of a new era in which Asians would at last become social and political equals of the domineering Europeans.”351

Diese Wahrnehmung unterscheidet sich kaum von jener zeitgenössischen Wahrnehmung um die Jahrhundertwende, die ebenfalls die Beschreibungsbegriffe ‚Ost und West’ kannte, wie sie uns in den in der Einleitung bereits ausgeführten Worten des Baron von Falkenegg begegnen. Ähnliche Einschätzungen finden wir in den Einlassungen des Professors für erdkundliche Studien, U. Sauter, der im Jahre 1909 zum japanischen Sieg in seiner Schrift Das Problem Japans bemerkt:

„Dadurch, dass Japan gezeigt hat, was ein orientalisches Volk im Kampf mit westlicher Zivilisation zu leisten vermag, sind in allen Ostvölkern neue Interessen und neues Streben erwacht: Sie sind bereit, sich Japans Schutz und Führerschaft zu unterstellen, wenn es ihnen dadurch möglich ist, das Joch ihrer westlichen Herren abzuschütteln.“352

In einem vorherigen Kapitel, das mit dem Titel Das Erwachen des Ostens überschrieben ist, heißt es:

„...- denn der Osten ist aufgewacht. Die Nationen und Völker des Ostens sind bei den Weißen in die Schule gegangen: und erkennend, dass der Widerstand gegen Überfall und Eingriffe nur durch Anwendung genau derselben Methoden möglich ist, macht der Osten sich mit aller Kraft daran.“ (Sauter: Problem Japans; 23).353

350 Siehe J. Stockwin: Beyond the ‘Asian Model’ of Democracy? (in: Japanstudien, 1998, 10; 55- 69, hier S. 56). 351 Siehe Maung Htin Aung: A History of Burma, Columbia University Press, New York, 1967; 277. 352 Siehe U. Sauter: Das Problem Japans, Leipzig, 1909; 137-8. 353 Es erscheint ein besonders interessanter Aspekt zeitgenössischer Wahrnehmung zu sein, dass gerade sozialistische Autoren in dieser Zeit einem starken Fortschrittsglauben anhingen und in der japanischen Entwicklung den Beweis für die Zivilisierbarkeit der kolonisierten Völker und damit in Japan ein Entwicklungsmodell sahen, siehe Lehmann: Image;14-16;151-156.

243 In der Globalgeschichtsschreibung ist der Russisch-Japanische Krieg darüberhinaus in den letzten Jahren als ein globales Ereignis interpretiert worden (Aydin: Global, Kowner: Rethinking). Nicht nur in Südostasien, vor allem in der vorderasiatischen und islamischen Welt wurde der Krieg zum Gegenstand anti-kolonialer Emanzipationsdiskurse, im Nahen und Mittleren Osten354, in Ägypten oder den malaiischen Tageszeitungen erschienen Nachrichten über die Neuigkeiten von Tsushima. Auch in Indien sprach man über die Geschehnisse im Osten.355 Nicht nur

354 Zur Japanrezeption im Nahen und Mittleren Osten vergl. Renee Worringer: Comparing Perceptions: Japan as Archetype for Ottoman Modernity, 1876-1918, Chicago, Univ. Diss., 2001, Anja Pistor-Hatam: Progress and Civilization in Nineteenth-Century Japan: The Far Eastern State as a Model for Modernization, (in: Iranian Studies, 1996, 29; 111-126), Roxane Haag-Higuchi: A Topos and Its Dissolution: Japan in Some 20th-Century Iranian Texts (in: Iranian Studies, 1999, 29; 71-83), Klaus Kreiser: Der japanische Sieg über Rußland (1905) und sein Echo unter den Muslimen (in: Die Welt des Islam, 1981, 21; 209-239), ders.: Vom Untergang der Ertoghul bis zur Mission Abdurrashid Efendis – Die türkisch-japanischen Beziehungen zwischen 1890 und 1915 (in: Josef Kreiner (Hrsg): Japan und die Mittelmächte im Ersten Weltkrieg und in den zwanziger Jahren, Bonn, 1986; 235-249), Mona Abaza: Japan as Imagined by Arabs (in: IIAS Newsletter, 2002, 27; 19), Hashem Rajabzadeh: Russo-Japanese War As Told By Iranians (in: Annals of Japan Association for Middle East Studies, 1988, 3; 144-166), Michael Laffan: Mustafa and the Mikado: A Francophile Egyptian´s Turn to Meiji Japan (in: Japanese Studies, 1999, 19; 269-286) sowie Selcuk Esenbel: A Fin de Siècle Japanese Romantic in Istanbul: The life of Yamada Torajiro and his Toruko Gakan (in: Bulletion of the School of Oriental and African Studies, 1996, 59; 237-252). 355 Jawaharlal Nehru, Führer der Partei der indischen Unabhängigkeitsbewegung des Indian National Congress (INC), beschreibt in seiner Autobiographie, dass er die Ereignisse des japanischen Sieges mit großem Interesse verfolgte: „The next important event that I remember affecting me was the Russo-Japanese war. Japanese victories stirred up my enthusiasm and I waited eagerly for the papers for fresh new daily. I invested in a large number of books on Japan and tried to read some of them“, siehe Jawaharlal Nehru: An Autobiography, Oxford, Oxford University Press, 1982; 16. Auch der Vertreter des radikalen Flügels des INC, Aurobindo Ghosh (1872-1950), sah in Japan ein Vorbild. Nach 1905 fordert Aurobindo die vollständige Unabhängigkeit Indiens von England. Inspiriet vom Sieg der japanischen Flotte über Russland beschreibt er Japan als eine Nation, die ihre Kraft aus der Neubelebung der alten ursprünglichen Religion schöpft: „There is no instance in history of a more marvellous and sudden upsurging of strength in a nation than modern Japan. ...the intellectual Japanese are telling us what were the fountains of that mighty awakening... They were drawn from religion. It was the Vedantic teaching of ôyomei and the recovery of Shintoism with its worship of the national shakti of Japan (Bezeichnung für die Einheit Nation; Anmerk. d. Verfasserin) that enabled Japan to weil the stupendous weapons of western knowledge and science... Indias´s need of drawing from...religion is far greater than was ever Japan´s; for the Japanese had only to revitalise and perfect a strength that already existed. We have to create strength where it did not exist before“, siehe Victoria A. van Bijlert: The Icon of Japan in Nationalist Revolutionary Discourse in India 1890-1910 (in: Li Narangoa und Robert Cribb: Imperial Japan and National Identities in Asia 1895-1945, Routledge, 2003; 23-42, hier S. 33, zitiert aus Sri Aurobindo: Bande Mataram). Bijlert äußert an dieser Stelle die Vermutung, dass Aurobindo Ghosh auch das Buch Nitobe Inazôs Bushidô, dass 1899 in englischer Sprache erschienen ist, gekannt haben mag. Sie findet Hinweise in Aurobindos Schriften auf den aus Aurobindos Sicht vorbildhaften ‚Geist des bushidô’ (ibid; 33-4).

244 die weltweite Berichterstattung über das 1905-Ereignis war jedoch global oder globalisierend. Paradoxerweise ist auch die Festschreibung einer binären Wahrnehmung von ‚Ost’ und ‚West’ globalisiert worden. Dass die Begriffe ‚Ost’ und ‚West’ heutzutage in wissenschaftlichen Publikationen noch immer mit ihrer doppelt kulturell-geographischen Semantik bemüht werden, bleibt im Einzelfall zu kritisieren und überdenken, deutet aber letztlich darauf hin, dass die Historisierung von Begriffen aus dem Wortschatz des 19. und beginnenden 20. Jahrhundert noch nicht vollends abgeschlossen ist, dass uns die damalige Sprache nicht fremd erscheint und in unsere heutigen Deutungsmuster passt. 356 Japan mag eine ‚westliche’ Großmacht geschlagen haben (obwohl die Frage erlaubt sein sollte, ob nicht Japan die ‚westliche’ Macht und Russland die ‚asiatische’ war),

Doch bereits vor 1905 erschien Japan als Vorbild in Indien, denn in Indien wurde Japan nicht als imperialistische Macht in Asien wahrgenommen, da es geographisch zu weit entfernt war, um eine wirkliche Bedrohung darzustellen. U. a . aus diesem Grunde wurde Japan überwiegend positiv dargestellt. Die indische Japanrezeption betont im wesentlichen zwei Aspekte der japanischen Modernisierung. Sie betreffen zum einen den japanischen shintô und Japan als wirtschafltiches Vorbild. Man hatte in Indien japanische Berater eingeladen, die in indischen Baumwollunternehmern von ihren Erfahrungen berichten sollten. Die Baumwollindustrie hatte auch in Japan am Anfang der erfolgreichen Industriealisierung gestanden. Junge Inder wurden nach Japan geschickt, um dort zu studieren und eine technische Ausbildung zu erhalten, siehe R. P. Dua: The Impact of the Russo-Japanese (1905) War on Indian Politics, Delhi, S. Chand&Co., 1966; 55-57, 61-64, 88. Bezüglich der Rezeption in religiösen Referenzrahmen ist der aus Bengalen stammende radikal-religiöse Führer Swami Vivekananda am Ende des 19. Jahrhunderts zu nennen, eine zentrale Figur des indischen Widerstandes, s. auch das Treffen und die Einflüsse auf Okakura Kakuzô unter II 1 D v. Auf Auslandsreisen und in Indien selbst predigte er über die religiöse Erneuerung Indiens, die hinduistischen Wurzeln, der vedanta, auf deren Grundlage Indien in der Lage wäre, sich zu modernisieren. Er interpretierte dabei die vedanta von einer scholastischen Lehre in eine moderne Nationalphilosophie. Swami starb drei Jahre vor dem Ende des Russisch-Japanischen Krieges im Jahre 1902. Vivekananda sah in dem politisch und kulturell vom Westen unabhängigen Japan ein Model für das zukünftige Indien. Um 1900 wurde über Swami Vivekanandas Sicht auf Japan berichtet: „ ... in Japan you find a fine assimilation of knowledge, and not its indigestion, as we have here. They have taken everything from the Europeans, but they remain Japanese all the same, and have not turned European; while in our country, the terrible mania of becoming Westernized has seized upon us like a plague.“, siehe Bijlert: Icon; 33, zitiert aus Vivekananda: Selections; 377-8, Li Narango: Imperial Japan; 26-27 sowie Dua: Impact; 31 und 35. Einen guten Überblick über die indische Rezeption des Russisch-Japanischen Krieges gibt auch Harald Fischer-Tinné: Indian Nationalism and the ‚world forces‘: transnational and diasporic dimensions of the Indian freedom movement on the eve of the First World War (in: Journal of Global History, 2007, 2; 325-344). Auf die amerikanische, südamerikanische, australische und afrikanische Rezeption kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. 356 Allein ein kurzer Blick in die heutige mediale Darstellung des ‚Westens’ und des ‚Ostens’ in Reportagen, Berichten oder Fernsehproduktionen weist ein erstaunliches Maß an resistenten Vorurteilen und Bildern ‚Asiens’ auf. Zu verzeichnen bleibt, dass die Zunahme an Wissen über andere Erdteile nicht in eine Auflösung stereotyper Wahrnehmung mündet.

245 doch von einer Initialzündung für die anti-westlichen Kolonialbewegungen in der asiatischen Welt kann nur eingeschränkt die Rede sein. Dass sich das Wahrnehmungsmuster Japans als Vorbild auch in der Dekolonisationsforschung fortsetzte, ist an den Zitaten oben deutlich geworden. Künftig müßte jedoch mehr zwischen der südostasiatischen Japanrezeption der Jahrhundertwende und der anschließenden Verarbeitung Japans im Rahmen eines sich verfestigenden Ost-West-Schemas differenziert werden.

B. Zeitpunkte und Muster der Japanrezeption

Kommt man auf zwei Ergebnisse dieser Arbeit zurück, zum einen, dass das sich modernisierende ‚Japan’ bereits früher als zum Zeitpunkt ‚1905’ in der südostasiatischen Welt rezipiert wurde und desweiteren den Aspekt der Vermittlung des Japanwissens über Dritte betrachtet, verbleibt die Frage, warum wurden Worte wie ‚Japan’ oder ‚Asien’ zu bestimmten Zeitpunkten mit bestimmen Semantiken belegt, warum verschwanden bestimmte Bedeutungsinhalte der Begriffe und warum verminderte sich das Interesse zu anderen Zeiten oder brach gänzlich ab?357 Antworten auf diese Fragen müssen die verschiedenen, länderspezifischen Rezeptionsvoraussetzungen genauer hinterfragen. Es wären z. B. die Dauer von Kolonialherrschaft, die Japanrezeption in den europäischen Metropolen und ihr Zugang dazu, oder aber, wie im Falle Chinas, die kulturelle Nähe der Träger der Emanzpationsbewegungen am Ende des 19. und frühen 20. Jahrhundert in Betracht zu ziehen. Denn dort, wo wir es mit jenen Kolonien zu tun haben, die auf eine lange Kolonialherrschaft zurückblickten, wie die Philippinen oder etwa Indien, formierten sich die Emanzipationsbewegungen früher und schneller als in jenen Kolonien, die erst in der Zeit des Spätkolonialismus und Imperialismus in Kontakt mit dem Westen und kolonialen Verwaltungsformen kamen. Lange koloniale Bindungen und einhergehende Inkorporation indigener Oberschichten scheinen sich befördernd auf die Vermittlung von Wissen aus den Metropolen und damit auch auf den Transfer

357 Eine ähnliche Frage diskutiert Benedict Anderson in seinem Buch Imagined Communities anhand der Länder Indonesien und Vietnam für das Jahr 1945. Selbst zu diesem Zeitpunkt beobachtet Anderson unterschiedlich weit entwickelte Nationalismen, siehe Anderson: Imagined Communities; 120-133.

246 des Wissens über Japan ausgewirkt zu haben (und letztlich auch für einen, wenn auch aus Sicht der Kolonialmacht, ungewollten ‚transfers of ideas’). Nationalstaatliche Ideen und Verfassungsdiskurse, die im 19. Jahrhundert in Europa geführt wurden, konnten zumindest von einem kleinen Teil indigener Eliten rezipiert werden und führten zu einer schnelleren Rezeption nationalstaatlicher Ideen in die Kolonien. Im Rahmen der Partizipation indigener Eliten an Debatten in den Hauptstädten der ‚Mutterländer’, kam es auch zur Rezeption der Berichterstattung über Japan sowie der Uminterpretation der semantischen Gehalte des Japanbegriffs im Hinblick auf die eigenen Ziele der Emanzipationsbewegungen, wie auf den vorhergehenden Seiten gezeigt werden konnte.358

Exemplifiziert man dieses Ergebnis, dass die Intensität der Japanrezeption auf den Philippinen und in Vietnam eher durch indogene (z. B. Vertrautheit der indigenen Bildungselite mit westlichem Gedankengut) als durch exogene (z. B. der Sieg Japans 1905) bestimmt waren, an einem weiteren Fall, nämlich Birma, so bestätigt sich die These. Ein mehrseitiger, aber kurzer Blick auf die birmanische Situation soll dies belegen. Besonders deutlich fällt hier die Ferne von europäischem Gedankengut ins Gewicht, denn die Nationalbewegung nahm ihren Anfang nicht vor der Gründung der Universität in Rangoon Anfang der 1920er Jahre, somit noch später als das China und den dortigen Reformdiskursen nahe stehende Vietnam. Im Jahre 1905 war Birma zwar bereits über ein halbes Jahrhundert durch britische Kolonialherrschaft geprägt, doch war die birmanische Bildungselite für anti- koloniales Gedankengut aufgrund einer verhältnismäßig guten wirtschaftlichen Situation der Kautschukbauern 359 nicht besonders empfänglich zu dieser Zeit. Zudem schien die überwiegend durch den Buddhismus geprägte Kultur Birmas nicht vergleichbar viele Gewalt einsetzende Gruppierungen hervorzubringen und stand der kolonialen Macht nicht durchweg feindlich gegenüber.

358 Ein systematischer Vergleich der japanrezipierenden Länder Südostasiens kann hier auch abschließend nicht geleistet werden. Berücksichtigung müsste auch die Hinwendung von Großteilen der indonesischen und malaiischen Bevölkerung zu den islamischen Reformbewegungen in Kairo und deren Japanrezeption finden. 359 Kautschuk war eines der kolonialen Hauptexportgüter.

247 i. Birma als weiteres Fallbeispiel 360

Das heutige Gebiet Birmas wurde innerhalb von ca. 50 Jahren zu einem Teil des britischen Empire im 19. Jahrhundert, ähnlich zügig wie Vietnam zu einem Gebiet des französischen Kolonialreiches im 19. Jahrhundert wurde. Im 1. Britisch- Birmanischen Krieg von 1824/6 annektierten die Briten das Gebiet der Arakan, welches an das indische Bengalen/Assam grenzte sowie die von den Birmanen bewohnten Küstengebiete von Tenasserim, die bis nach Malaysia hinunterreichen. Fortan musste der birmanische Hof britischen Residenten den Aufenthalt im Lande gewähren. 361 Im 2. und 3. Britisch-Birmanischen Krieg von 1851/52 und 1885/6 dehnte die Kolonialmacht ihren Einflussbereich in die südlich von Pegu gelegene Region (Unteres Birma) aus, besetzte die Stadt Rangoon im Mekong Delta und nahm die königliche Residenzstadt Mandalay ein. Nach dem Machtverzicht König Thibaws (1859-1916) im November 1885 wurde Birma zum britischen Protektorat. Es waren bis dahin eine Reihe von Ungleichen Verträgen ausgehandelt worden, bei denen sich die Briten, ähnlich wie die Franzosen in Annam, die Streitigkeiten am birmanischen Hofe zu Nutze gemacht hatten. Besonders die Kontrolle über den Norden Birmas bot den strategischen Vorteil des Zugangs zur südchinesischen Provinz Yunnan und somit zum chinesischen Festland. Dieses imperiale, gegen den europäischen Rivalen Frankreich (v.a. seine Seidenhändler) gerichtete Ziel verschärfte den Kampf um Einflusssphären in Ostasien. Die fruchtbaren Reisanbaugebiete im Irrawady Delta, in Sitang und dem Flussgebiet von Salween annektierte Großbritannien vornehmlich mit Hilfe indischer Armee-Kräfte. Dies

360 Die Quellen- und Literaturauswahl zu Birma gestaltete sich am schwierigsten. Quellen von Zeitzeugen aus Birma aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sind kaum ediert. Bis auf die kolonialadministrativen Dokumente, die für die Fragestellung dieser Arbeit nicht genutzt werden konnten, sind Schriften von Widerstandskämpfern und frühen Nationalisten nur über Sekundärquellen zu erschließen. Die vorhandene Sekundärliteratur ist auf Texte und Inhalte hin befragt worden, die für die Bearbeitung der generellen Fragestellung nach dem Japan- und Asienbild birmanischer Nationalisten als sinnvoll erschienen. Besonders aufschlussreich stellten sich die Zeugnisse des ersten Premierministers nach der Unabhängigkeit von 1948, U Nu, dar. Er verfasste zwischen August und November 1945 seine Erinnerungen an die japanische Besatzungszeit, somit kurz nachdem die britische Kolonialmacht die Führung des Landes wieder übernommen hatte. Erinnerungen, die in solch bewegten Zeiten geschrieben werden, sind stets vor dem Hintergrund politischer Bekenntnisabsichten zu lesen, so wie auch dieses Zeitzeugnis gelesen und hier verwandt wurde. 361 Das britische Interesse an Birma galt der (agrar-) wirtschaftlichen Nutzung und Ausbeutung der Bodenschätze. Birma verhieß große Potentiale für den Reisexport, das Minen- und Kautschukgeschäft.

248 erscheint nicht weiter verwunderlich, da Birma aus kolonialverwaltungstechnischer Sicht bis zum Jahre 1935 eine Provinz Indiens blieb.362 Im Jahre 1885, kurz vor Ausbruch des 3. Britisch-Birmanischen Krieges war, ähnlich dem in Vietnam erlassenen cần vương – Edikt, ein Aufruf an die Bevölkerung des Landes ergangen, in dem zum Schutz der Krone und zur Vertreibung der Fremden aufgerufen wurde (Ni: Struggle; Appendix D). Die sich anschließenden anti-britischen Aufstände und Widerstandskämpfe dauerten bis ca. 1895 an und ebbten anschließend ab. Bis auf wenige sporadische Erhebungen, die von buddhistischen Mönchen angeführt wurden, entwickelten sich kaum nennenswerte Ansätze einer anti-kolonialen Widerstandsbewegung. Ausnahme bildete der Bauernaufstand von 1900, doch auch dieser blieb für die britische Kolonialherrschaft folgenlos. 363 Erste Bildungseinrichtungen, die sog. Y.M.B.A. Schools, die sich an westlichen Inhalten orientierten, wurden im Jahre 1906 vom buddhistischen Mönch U Ottamar gegründet. 364 Weniger als religiöse Schulen gedacht und stark an den Vorgaben des Colonial Government Directorate of Education ausgerichtet, boten die Y.M.B.A. Schools zusätzlich zum kolonialen Curriculum das Studium der buddhistischen Schriften an. Die Anlehnung an die klassischen Lerninhalte sollte die unter der kolonialen Regierung abgeschafften traditionellen Klosterschulen auffangen.365 Erst Anfang der 1920er Jahre im Umfeld der Errichtung der Universität von Rangoon und weiterer sog. national schools formte sich der Nukleus einer nationalen Bewegung heraus, die zu Zentren anti- kolonialen Protestes wurden (Furnivall: Educational Progress; 29-30). Die Japanrezeption spielte in dieser Bewegung noch keine maßgebliche Rolle.366

362 Siehe Ni Ni Myint: Burma’s Struggle against British Imperialism 1885-1895, Rangoon, The University Press, 1983; 2-11. 363 Zum Widerstand gegen die britische Steuerpolitik siehe Dorothy H. Guyot: The Political Impact of the Japanese Occupation of Burma, Yale, Yale University Press, 1976; 19ff. 364 Die Young Men´s Buddhist Association (Y.M.B.A) war am Modell der Young Men´s Christian Association (Y.M.C.A.) ausgerichtet. Die Young Men´s Christian Association war auch Vorbild der von den Hindus und Muslims geführten Emanzipationsbewegungen in Indien, siehe Klaus Koschorke: Emanzipationsbestrebungen indigen-christlicher Eliten in Indien und Westafrika um die Jahrhundertwende (in: Dietmar Rothermund (Hrsg.): Aneignung und Selbstbehauptung, München, Oldenburg Verlag, 1999; 203- 216, hier S. 205). 365 Der Mönch U Ottamar bereiste Japan vor dem Ersten Weltkrieg zweimal. Sein Interesse galt jedoch dem japanischen Buddhismus und nicht der politischen und militärischen Entwicklung des Landes, siehe William Johnstone: Burma´s Foreign Policy (Cambridge, Harvard University Press, 1963; 45-6). 366 Die birmanischen Nationalisten waren noch im Kindesalter, als Japan 1905 den Sieg davontrug: „I can even now recall the Russo-Japanese War and the emotion with which we

249 Für die Schwäche und späte Entstehung der birmanischen Nationalbewegung können verschiedene Faktoren herangezogen werden. Zum einen stellte die ethnische Vielfalt der in Birma lebenden Bevölkerung eine Hürde nationaler Identitätsbildung dar. 367 Die stark von der im Irrawady Delta sowie an der Tenasserim-Küste lebende birmanische Mehrheit dominierte die Nationalbewegung und konnte schwerlich Unterstützung bei einer anderen ethnischen Gruppen erlangen. Vielmehr führte die Befürchtung vor einer birmanischen Dominanz zu einer erhöhten Bereitschaft der Zusammenarbeit mit der britischen Kolonialmacht unter den anderen Ethnien. Ein weiterer Grund für die anti-koloniale Indifferenz und das Desinteresse der Bevölkerung an emanzipatorischen Aktivitäten war die Abgehobenheit der städtischen Bildungselite. Die ideologische Heterogenität innerhalb der Bewegung verhinderte dabei eine schnelle Sammlung zu einer sprachfähigen Gruppe. Darüberhinaus waren die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bevölkerung vergleichsweise gut während der Kolonialzeit. Teilweise schienen die Birmanen sogar ihre ökonomische Situation durch Verkauf des in Subsistenzwirtschaft erzeugten Kautschuks verbessert zu haben. Zudem profitierte die indische Provinz Birma von den rechtlich-politischen Reformen der britischen Kolonialverwaltung in Indien, die durch den Indian National Congress, der indischen Nationalbewegung, erkämpft worden waren. Zum Beispiel erhielt Birma im Jahre 1919 eine Art Provinzialparlament auf der heard about the Japanese vicotries. I was then just a little boy at school, but the feeling was so widespread that even the little ones caught it. For instance in the war games that became popular that we fought each other to be on the Japanese side. That would have been inconceivable before the Japanese victories... Historically that victory could be called the beginning of an awakening in Asia“ erinnert sich der Jurist , einer der prominentesten Vertreter der Nationalbewegung. Diese euphorische Schilderung sollte vor dem Hintergrund des Pazifikkrieges und der Japankollaboration Ba Maws gelesen werden, siehe Ba Maw: Breakthrough in Burma. Memoirs of a Revolution 1939-1946 (New Heaven, Yale University Press, 1968; 47-8). 367 In den nördlichen Gegenden und Bergen Birmas lebten die ethnischen Minderheiten der Shans (ca. 7 Prozent der Bevölkerung), der Chins (ca. 2 Prozent), der Kachins (ca. 2 Prozent), der Karens (ca. 9 Prozent) und der Arakanesen (k. A.), siehe Guyot: Impact; 8, John F. Cady: A History of Modern Burma (Ithaca, Cornell University Press, 1958; 185) sowie Parimal Ghosh: Brave Men of the Hills: Resistance and Rebellion in Burma, 1825-1932, (London, Hurst, 2000). Die Beziehung zu Chinesen (ca. 1 Prozent der Bevölkerung) und den Indern (ca. 7 Prozent) waren durch Feindseligkeiten geprägt, da Inder und Chinesen die obersten Plätze in der Sozialhierarchie einnahmen. Inder waren Regierungsangestellte in der britischen Administration, gleichzeitig auch als Geldverleiher, Arbeiter oder Landarbeiter tätig, die Chinesen waren in der Regel Händler, siehe Michael Adas: Immigrant Asians and the Economic Impact of European Imperialism: The Role of the South Indian Chettiars in British Burma (in: Journal of Asian Studies, 1974, 33, 3; 385-401) sowie Robert Taylor: Perceptions of Ethnicity in the Politics of Burma (in: Southeast Asian Journal of Social Science, 1982, 10, 1; 7-22).

250 Grundlage der für Indien erlassenen Montague-Chelmsford-Reformen. Bereits vier Jahre später, im Jahre 1923, wurde das Dyarchie-System eingeführt, welches die Einrichtung eines Legislativats mit Vertretern von Minderheiten vorsah. Im Jahre 1935 wurde Birma dann als eine eigene rechtliche und von Indien weitgehend unabhängige Einheit etabliert (Birma Act). Im 1923 eingerichteten Legislativrat waren die später zu politischer Bedeutung gelangenden Birmanen U Saw (1900- 1948), U Ba Pe, Ba Maw (1893-1977) und Chit Baung Go vertreten.368 Jene, die nach Einführung des Dyarchie-Systems im Jahre 1923 keine konkrete politische Teilhabe erreichen konnten, schlossen sich zu einer japan-freundlichen Gruppe zusammen. Dies waren U Nu (1907-1995), Hla Maung, Ba Hein und Ba Sein (U Nu: Japanese; 126-7). Sie kritisierten, dass den Forderungen des General Council of Burmese Associations, einer anti-kolonialen Plattform, nicht nachgekommen worden sei. Dort hatten sie gefordert, dass die Stellen, die mit indischen Angestellte besetzt, nun durch Birmanen zu besetzen seien, dass es bessere Ausbildungsmöglichkeiten in den technischen und naturwissenschaftlichen geben und dass Birmanen stärker in politischen Greminen vertreten sein sollten (Furnivall: Educational Progress; 54). 369 U Saw, obwohl Mitglied des Legislativrates, schloss sich zeitweise der Kritik dieser Gruppe an.

Die erste anti-koloniale Emanzipationsbewegung, die eine politische Kraft entwickeln sollte, formierte sich erst Anfang der 1930er Jahre. Ihre Träger waren die sog. thankins, Studenten der Universität von Rangoon, die zum größten Teil aus der oberen Unterschicht sowie der unteren Oberschicht der birmanischen Mehrheit stammten. Die Universität in Rangoon als zentraler Kommunikationsort stellte einen Umschlageplatz für das aus Europa einströmende Gedankengut dar. Thein Pe, Aktivist der Studentenbewegung, beschreibt, dass ein ‚intellektueller Anarchismus’

368 Siehe U Nu: Burma under the Japanese, Pictures and Portraits, London, Macmillan, 1954; xviii, 127. Über die politische Relevanz des Dyarchie-Systems bestehen Zweifel. Furnivall geht davon aus, dass die eigentliche Macht in den Händen der britischen Händler-Vereinigungen und bei den chinesischen und indischen Minderheiten lagen. 369 Hans-Bernd Zöllner hat in seinem Buch Birma. Zwischen „Unabhängigkeit Zuerst – Unabhängigkeit Zuletzt“ die Konfliktlinien zwischen den Fraktionen, die in die Kolonialadministration inkorporiert wurden und anschließend ‚konservative’ Positionen vertraten und jenen, die außerhalb blieben und ‚progressive’ Forderungen nach mehr Machtteilhabe stellten herausgearbeitet. Die aus einem solchen politischen Verhalten resultierenden Spaltungen dürften ein retardierendes Element für die Entwicklung einer Nationalbewegung gewesen sein, siehe Hans-Bernd Zöllner: Burma. Zwischen „Unabhängigkeit Zuerst - Unabhängigkeit Zuletzt“ (Hamburg, LitVerlag, 2000; 224-240).

251 die Köpfe der Nationalisten beherrscht habe: „Ideological anarchy permeates party ranks, as men of different shades and creeds swell them“ .370 Auch U Nu berichtet, dass fast täglich neue Bücher aus England über Kommunismus, Nationalismus, demokratischem Liberalismus und Republikanismus zu kaufen wären. 371 Die in eklektizistischer Weise aus dem Westen übernommenen Ideen wurden mit der ‚Wieder’-belebung traditioneller birmanischer Regierungs- und Herrschaftsvorstellungen verbunden. 372 Besondere Attraktivität erlangten dabei Herrschaftsentwürfe, die eine starke Führerpersönlichkeit idealisierten. So deklarierte sich Thein Maung Ende der 30er Jahre selbst als Hitler.373 Ähnlich den in Vietnam rezipierten Neuen Bücher, wurden in Birma die naga ni– Bücher [roter Drachen374] gelesen. Sie wurden in großer Stückzahl in den 1930ern gedruckt und verbreitet. Die Bücher spiegelten das gesamte Spekturm der europäischen Ideengeschichte vom Liberalismus über Nationalismus, Sozialismus und Revolutionismus etc. In hoher Auflage erschienen Biographien über Hitler und Sun Yat Sen oder verklärende Darstellungen über die Sowjetunion und Sinn Fein. Kaum indische Texte fanden sich unter den naga ni – Büchern (Guyot: Impact; 14-6).375 Ein nennenswerter Kontakt mit japanischen Pan-Asiaten ist erst im Vorfelde des Pazifikkrieges und der Propagierung der japanischen Großostasiatischen Wohlstandssphäre zu verzeichnen, die auch für Birma die Unabhängigkeit unter japanischer Führung vorsah (Thein Pe: What happened in Burma; 24-25). Sowohl von japanischer als auch von birmanischer Seite handelte es sich dabei um Kontakte

370 Siehe Thein Pe Myint: What happened in Burma: The Frank Revelations of a Young Burmese Revolutionary Leader who has Recently Escaped from Burma to India, New York, Institute of Pacific Relations, 1944; 11 (Quellenbibliographie Allgemein). 371 Siehe Richard Butwell: U Nu of Burma, Standford, Standford University Press, 1963; 31. 372 Bei der Durchsicht der geistigen Vorbilder, die in der Literatur der Aktivisten zitiert werden, entsteht tatsächlich der Eindruck einer enormen ideologischen Vielfalt, die sich hier einer sinnvollen Kategorisierung entzieht. 373 Siehe Khin Yi: The dobama Movement in Burma (1930-1938), New York, Cornell University, 1988. 374 Benannt nach dem Verlagshaus, siehe Guyot: Impact; 13. 375 Inwieweit indische Vorbilder den birmanischen Japandiskurs geprägt haben, ist schwer zu sagen. ‚Japan‘ scheint in Indien zudem vom radikal anti-britischen Flügel der indischen Nationalbewegung rezipiert worden zu sein. Sowohl im Bezug auf seine militärische Stärke als auch im Bezug auf einen anti-westlichen Patriotismus/Nationalismus stellte Japan ein Modell dar. Die Militärausbildung der Japanern wurde als beispielhaft zitiert und die indische Jugend dazu aufgerufen, nach Japan zu gehen und dort die Militärausbildung zu erlangen, die sie im eigenen Land nicht erhalten konnten, siehe Dua: Impact;18-9, Hay: Asian Ideas und Leonard A. Gordon: Brothers against the Raj: A Biography of Indian Nationalists Sarat and Subhas Chandre Bose (New York, Columbia University Press, 1990).

252 zur Aufnahme von Waffengeschäften. U Saw 376 stand zum Beispiel mit Armeegeneral Suzuki Keiji377 in Verbindung, um sich eine private Armeetruppe ausstatten zu lassen.378 Suzuki Keiji war auch der Kontaktmann von (1916-1947), jener zentralen Figur der kommunistischen dobama asiayone379 und Verfasser der ersten birmanischen Unabhängigkeitserklärung380 die er während des minami kikan [jap.: südliches Projekt/Vorhaben] schrieb. Das minami kikan war ein Vorhaben bei dem 30 birmanische Unabhängigkeitskämpfer, die sog. thirty comrads381 von Suzuki Keiji in den Jahren 1940-41 militärisch geschult und auf eine führende Postion in der Armee vorbereitet werden sollten. Später, nach der japanischen Invasion, sollten sie auf Seiten des japanischen Militärs die birmanische Armee gegen die britische Kolonialmacht anführen (Silverstein: minami Organ). Ein weiteres Mitglied der dobama asiayone, U Nu, der seine Kritik an der britischen Kolonialmacht literarisch in einem George Orwells Animal Farm ähnelndem Text

376 U Saw (1900-?) war eine schillernde Persönlichkeit der birmanischen Nationalbewegung und nur schwerlich einer eindeutigen politischen Richtung zuzuordnen. Er kam aus einer reichen landbesitzenden Familie des Irrawaddy-Deltas und hatte an der Universität in Kalkutta studiert, siehe Robert H. Taylor: Politics in Late Colonial Burma: The Case of U Saw, in: Modern Asian Studies, 1979, 10, 2; 161-193; hier S. 164. Er gründete die Myochit Partei [Patriotische Partei], die die Interessen der Landbesitzenden und Exportwirtschaft vertrat. Gleichzeitig hielt er den Posten eines Geschäftsführers der Burmese National Tobacco Company inne. Im Jahre 1935 reiste U Saw nach Japan und zeigte sich beeindruckt von der Modernität und militärischen Stärke Japans. Seine Eindrücke veröffentlichte er in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Thuriah, wo es 1939 hieß, „… Japan comes as a friend and not as a conqueror“, siehe ibid; 165. 377 Mit Suzuki Keiji (weiterer Name: Matsuo Minami) traf U Saw auf einen japanischen Pan- Asiaten, der von 1932-6 Militärattaché am japanischen Konsulat in Manila gewesen war. Suzuki begann seine Karriere mit dem Abschluss an der Shimbun gakkô, s. III 2 F iii. Seine Kontakte mit den birmanischen Unabhängigkeitskämpfern unterhielt er nach 1939 auf eigene Faust, da er aufgrund persönlicher Streitigkeiten den Dienst in der Armee hatte quittieren müssen, s. Guyot: Impact; 31, dort aus unveröffentlichten Quelle zitiert. 378 Siehe Maung Maung: Aung San of Burma, Yale University Press, 1962; 55-6. 379 Im Jahre 1935 trat neben die bestehenden Gruppierungen eine weitere, die dobama asiayone [Wir Birmanen], siehe Khin: dobama Movement, Butwell: U Nu; 18ff. Sie stellte ebenfalls ein Sammelbecken unzufriedener Politaktivisten dar und war sowohl anti-britisch als auch kommunistisch ausgerichtet. Die dobama asiayone änderte in den Jahren bis 1944 häufig ihren Namen zum Beispiel in Burmese Revolutionary Party, Burmese Independence Army etc. Im Jahre 1944 lautete die Bezeichnung Anti-facist People Freedom League (APFL). Die APFL verstand sich nun als anti-japanische Vereinigung zur Befreiung Birmas von der japanischen Besatzung. Der Großteil ihre Mitglieder wie Aung San, San Mya und die Marxisten U Nu und Than Tun kamen aus Landarbeiterfamilien, siehe U Nu: Japanese; 19, Maung: Aung San; 7. 380 Die Urschrift existiert nicht mehr. Bei dem heute noch vorhandenen Exemplar soll es sich um die Kopie einer Kopie handeln, die ursprünglich auf Japanisch niedergelegt worden ist. Die birmanische Abschrift ist von Josef Silverstein übersetzt worden, vergl. Joseph Silverstein: Blue Print for Burma (in: ders.: The Political Legacy of Aung San, Southeast Asia Program, 86, Ithaca, Cornell University, 1972; 13-14). 381 Eine Aufstellung samt Lebensdaten und sehr kurzen biographischen Notizen in: Guyot: Impact; 419-21.

253 verfaßte, schrieb über ein Schwein, das andere Schweine anführte und sich mit Tigern zusammentat. Dies war eine Anspielung auf die britische Kolonialmacht und birmanische Politiker in der Kolonialverwaltung- und regierung. Das Verhalten der kollaborierenden Eliten kontrastierte er mit der anti-westlichen Haltung Japans, die ihn zu beeindrucken schien. „The Japanese seemed to be the only eastern people that could hold its own against the West and we came to look confidently to Japan for leadership” schrieb U Nu nachträglich über seine Hoffnungen, die er vor der Invasion der Japaner im Februar 1942 in Rangoon hatte (U Nu: Japanese; 1-2).

Die sehr verkürzte Schilderung der kolonialen Entwicklung in Birma im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts diente dem Zweck, den Zeitpunkt der Japanrezeption in den Verlauf der Entwicklung der National- und Unabhängigkeitsbewegung einzuordnen. ‚Japan’ fand zu einem Zeitpunkt Interesse, als sich die britische Kolonialherrschaft zunehmend schwächer zeigte und der Zweite Weltkrieg seine Schatten vorauswarf, während der Pazifikkrieg bereits im Gange war und Japan die Errichtung der Großostasiatischen Wohlstandssphäre betrieb. Auf den Russisch- Japanischen Krieg rekurrierte man zwar, doch bereits als historisiertes Ereignis wie Maung Htin Aung schreibt, wenn er von Kriegsverfilmungen und Japanverherrlichungen des Russisch-Japanischen Krieges in Rangoon in den 30er Jahren berichtet (Maung: History; 277). Die birmanischen Aktivisten, die dies sahen, waren selbst zum Zeitpunkt des japanischen Sieges kaum geboren gewesen waren. Für die birmanische National- und Unabhängigkeitsbewegung kann somit keine Rede von der ‚Initialzündung 1905’ sein.

Dass Japan zudem im Wesentlichen im Rahmen der Propaganda der Großostasiatischen Wohlstandssphäre an Birma ein gewisses Interesse entwickelte und sich an Waffengeschäften interessierte Birmanen fanden, zeigt auch, dass die Entwicklungen in Ostasien und Südostasien zwischen 1930-40 bereits anderen Logiken zu folgen schienen als noch um die Jahrhundertwende. Mitte des 20. Jahrhunderts waren die kolonialen Herrschaften in Asien bereits durch Kolonialismuskritik aus Europa sowie aus den Kolonien selbst erschüttert worden. Woodrow Wilson hatte das Selbstbestimmungsrecht der Völker deklariert, auch wenn dies vorerst nicht für die kolonialen Gebiete galt, so wurde doch der Anspruch

254 darauf auch in den Kolonien artikuliert.382 Japan war zudem zu einem aggressiven, chauvinistischen und imperialen Akteur in Ostasien geworden und die kommunistische Ideologie hatte massiv an Einfluß gewinnen können. Auch galt Japan nicht als der Studienort der Moderne in Ostasien, die Universität von Rangoon selbst bot westliche Wissenschaften an. Interessant bleibt die Tatsache, dass die Wahrnehmungsmuster, in denen ‚Japan’ rezipiert wurde, anscheinend im birmanischen Kontext sehr ähnlich denen in Vietnam und auf den Philippinen waren. Wieder treffen wir auf das Bild Japans als Waffenlieferant und ‚Japan’ als erfolgreiches Modell der Adaption westlicher Standards unter Beibehaltung der eigenen kulturellen Tradition und Identität.383

ii. Nachwirkungen des ‚japanischen Vorbildes’ als ‚asiatisches Korrektiv’

Kehren wir abschießend zu der eingangs gestellten Frage zurück, ob der japanische Weg (Adaption bei gleichzeitiger Behauptung der eigenen japanischen Kultur) als ein ‚asiatisches Korrektiv‘ zum europäischen Entwicklungsmodell bezeichnet werden kann. Auch wenn die Japanrezeption zur Zeit des japanischen Sieges über die russische Flotte 1905 nicht als Initialzündung sondern eher als verstärkendes Moment südostasiatischer Reform- und Nationalbewegungen verstanden werden muss, so ist dennoch Bleibendes der Japanrezeption in personeller und semantischer

382 In den Vierzehn Punkten von Woodrow Wilson vom Januar 1918, auf die das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ zurückgeführt wurde, war im Original lediglich von „autonomous developments“ im Bezug auf die Völker Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg die Rede. Die fernöstlichen Kolonien waren darin nicht bedacht, siehe Theodor Schieder; Staatensystem als Vormacht der Welt (Propyläen, Geschichte Europas, Bd. 6; 361). 383 Hirama Yôichi: Nichi-Ro sensô ga kaeta sekaishi. „Samurai“ nihon no isseiki [Der die Weltgeschichte verändernde Russisch-Japanische Krieg. Ein samurai-Jahrhundert Japans] (Fuyô shobô, Tokyo, 2004) überzeichnet stark die Auswirkungen des Russisch-Japanischen Krieges auf die chinesische und die südostasiatische Welt, wie auch Krebs bestätigt, siehe Gerhard Krebs: World War Zero oder Der Nullte Weltkrieg? Neuere Literatur zum Russisch- Japanischen Krieg 1904/5 (in: NOAG, 183-4, 2008; 187-248; hier 236).

255 Hinsicht auszumachen. ‚Japan’ bleibt über längere Zeit Projektionsfläche für Waffenhändler, National- und Unabhängigkeitspolitiker, Wirtschaftskolonialisten sowie Berufene mit zivilisatorischem Sendungsbewußtsein. Auf diese Aspekte soll im Folgenden eingegangen werden.

Auf den Philippinen ebbte das Interesse an Japan vorerst in den Jahren nach der Übernahme der spanischen Kolonie durch die Amerikaner ab, da die amerikanische Verwaltung eine liberalere und stärker an allgemeinen Rechtsgrundsätzen orientierte Politik versprach. Am 1. Juli 1902 erhielt diese neue Kolonialpolitik eine gesetzliche Grundlage in der vom amerikanischen congress verabschiedeten Philippine Bill of Rights, die zu diesem Datum in Kraft trat.384 Das Gesetz richtete sich u.a. gegen Rassismus, sah die Achtung der Menschenrechte für die Filipinos sowie die Einrichtung einer diplomatischen Vertretung in Washington vor.385 Mit der neuen Kolonialpolitik kam es auch zu einer Trennung von Kirche, Staat und Bildung. Protestantische Kirchen und Vereinigungen durften nun Bildungseinrichtungen, vor allem Schulen eröffnen. Auch wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt, so wie es bereits in der philippinischen Verfassung von Malolos gefordert worden war.386 Vor allem aber verfolgten die Vereinigten Staaten von Amerika eine Politik der kleinen Schritte, um die Philippinen in die Unabhängigkeit zu führen. Im Jahre 1907 war das nach amerikanischem Versprechen vorgesehene Parlament eingerichtet worden, in dem philippinische Delegierte vertreten waren. Ab 1913 wurden fünf von neun Sitzen im gesetzgebenden Legislativrat für die Philippinen mit Filipinos besetzt und im Jahre 1916 sah der Jones Act die Einrichtung eines Senats auf den Philippinen vor.387

384 Treibende Kraft hinter den Bestrebungen für eine baldige Unabhängigkeit der Philippinen von amerikanischer Seite war die die kubanische Zuckerindustrie vertretende Interessengruppe, die wegen der niedrigen Produktionspreise für Zucker auf den Philippinen um ihre Marktanteile fürchteten, siehe John A. Larkin: Sugar and the Origins of Modern Philippine Society (Berkeley, University of California Press, 1993) und Elisabeth Glaser-Schmidt: Die Philippinen den Filipinos, Die amerikanische Debatte über die Wirtschafts- und Verwaltungspolitik auf den Philippinen, 1898-1906 (Frankfurt am Main, Peter Lang, 1986; 66ff). 385 Siehe Ester Maring: Historical and Cultural Dictionary of the Philippines (in: Historical and Cultural Dictionary of Asia, 3, New York, Scarercrow Press, 1973; 169). 386 Siehe Peter S. Stanley: A Nation in the Making, The Philippines and the United States (Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1974; 82) sowie III 1. 387 Außerdem wurde in diesem Gesetz die vorläufige Unabhängigkeit der Philippinen für das Jahr 1935 vorgesehen, die dann am 4. Juli 1946, dem Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, in eine vollständige Unabhängigkeit überführt werden sollte. 1935 wurden die Philippinen durch den Tydings Mcduffie Act staatsrechtlich in eine Commonwealth-

256 Dennoch ergaben sich Situationen, in denen alte Wahrnehmungsmuster Japans wieder aufschienen. In den Jahren zwischen 1913 und 1916 forderte der im Revolutionskrieg um die Jahrhundertwende dem pro-japanischen Flügel der philippinischen Widerstandsbewegung angehörende Mañuel Quezon (1878-1944), später erster Präsident der Philippinen im Commenwealth (1935), die Ausweitung der Selbstverwaltung für die Philippinen. Ähnlich wie Pilar weist Quezon die Amerikaner immer wieder auf die von Japan ausgehende Gefahr hin und mahnt, je langsamer der Prozess in die Unabhängigkeit vonstatten gehe, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich Japan entweder die Philippinen militärisch einverleibe oder aber die Unzufriedenheit der Filipinos nutzen könne und einen Aufstand gegen die Vereinigten Staaten von Amerika unterstütze.388 Kurz nachdem im Jahre 1916 der Jones Act erlassen und den Filipinos die Unabhängigkeit auf Raten in Aussicht gestellt worden war, erschien die Drohkulisse ‚Japan’ in Form eines imperialen Aggressors in Ostasien als Instrument gegen die unerfüllten politischen Forderungen wohl nicht mehr notwendig. So äußerte sich Quezon in der Manila Press 1916 plötzlich dahingehend, dass von Japan keine militärische Gefahr mehr ausgehe (Goodman: Hobgoblin; 81-3).389

Aus japanischer Sicht blieb das Bild der Philippinen als Emigrationsziel, als „Garten Japans“ und als Ort der Zivilisierung zum Beispiel bei Nitobe Inanzô (1862-1933)390

Beziehung zu den USA gesetzt. Dies bedeutet für die Philippinen, dass sie ihre Innenpolitik bis zu einem gewissen Grade selbst bestimmen konnten. Außenpolitisch behielten vorerst die Vereinigten Staaten von Staaten das Zepter in der Hand, siehe Jan Pluvier: South-East Asia from Colonialism to Independence (Oxford, Oxford University Press, 1974). 388 Neu war jedoch, dass auch die Möglichkeit einer kommunistischen Gefahr ins Spiel gebracht wurde, siehe James Putzel: Social Capital and the Imagined Community: Democracy and Nationalism in the Philippines (in: Michael Leifer (Hrsg.): Asian Nationalism, London, Routledge, 2000; 170-186, hier S. 175). 389 Es dürfte jedoch fraglich bleiben, ob die rhetorischen Drohungen Quezons einen Effekt in Amerika erzielten. Die wohl eher entscheidende Frage zwischen Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika im Bezug auf die Philippinen bezog sich auf die Besitzansprüche japanischer Einwanderer auf Boden in Davao (auf der Insel Mindanao). Davao stellte die größte japanische Kolonie auf den Philippinen vor und nach dem Ersten Weltkrieg dar. Der Erste Weltkrieg hatte die Anzahl der japanischen Emmigranten ansteigen lassen, was i.d.R. auf die steigende Nachfrage nach Manilahanf für die Ausrüstung der Schiffe mit Tauen zurückgeführt wird, siehe Yoshikawa: Manira; 411ff, Goodman: Davao, Josefa M. Saniel: Four Japanese: Their plans for the Expansion of Japan to the Philippines (in: Journal of Southeast Asian History, 1963, 4, 2; 1-12) und Yu-José: Japan; 16-7. 390 Nitobe Inazô war der Sohn einer samurai Familie und frühzeitig an der Kyôkangijiku in Tokyo in englischer Sprache unterrichtet worden. Später studierte er an der von Sugiura Jûgo, siehe II 2 C iv., errichteten Tôkyô eigogakkô [{東京英語学校} Englische Schule Tokyo]. Nach

257 erhalten. Als Inhaber eines Lehrstuhls für Kolonialwissenschaften an der Universität von Tokyo vertrat er die Auffassung, dass die Kolonisierung Südostasiens nach amerikanischem Vorbild auf den Philippinen vorzunehmen sei. Als er im Jahre 1913 die Philippinen bereist hatte, verfaßte er anschließend einen Artikel aus agrarökonomischer Sicht über die erfolgreiche Zuckerindustrie der Philippinen unter dem Titel Über die philippinische Zuckerindustrie [Hiripin no tôgyô ippan]. Das wachsende wirtschaftliche Interesse an den Philippinen geht auf die seit dem Ersten Weltkrieg gestiegene Bedeutung der Philippinien für die japanische Exportwirtschaft zurück, die Zuwachsraten von über 113% verzeichnete. Nitobe versicherte darüber hinaus, dass mit der erfolgreichen wirtschaftlichen Kolonisation nach amerikanischem Vorbild die Zivilisation käme, die einen höheren Lebensstandard bedeute, niedrigere Kindersterblichkeit und bessere Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung (Yu-José: Japan; 27-31). In einer seiner Vorlesungen über die Philippinen kritisierte Nitobe folglich die spanische Kolonialpolitik auf den Philippinen, die dem Prinzip des divide et impera gefolgt sei und die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache unterband. Dem stellte Nitobe die moderne Kolonial- und Sprachpolitik der Amerikaner gegenüber und lobte deren einigende Effekte. Die amerikanische Kolonialpolitik nütze sowohl der Wirtschaft Amerikas als vor allem auch den kolonisierten Filipinos.391 Nitobes Philippinenbild verblieb auch in zivilisatorischer Hinsicht den japanischen Wahrnehmungsmustern verhaftet. Möglicherweise war die Prägung durch seinen Mentor Shiga Shigetaka, dessen Werk nanyô jiji [Die aktuelle Lage in der südlichen See] u.a. über die Philippinen ausführlich unter II 2 C i. interpretiert wurde, entsprechend stark. Die Philippinen waren auch für Nitobe ein Ort, den es weiterhin zivilisatorisch zu unterrichten galt. Grundlegend für seine Zivilisierungsmission war das von ihm in den Jahren 1888 und 1889 verfaßte bushidô - The Soul of Japan: weiteren Studien in Hokkaidô an der landwirtschaftlichen Schule Sapporo Agricultural College in Sapporô ging er nach Baltimore an die John Hopkins University und studierte dort Landwirtschaft und Ökonomie. Im Jahre 1890 erhielt er nach Studium an der Universität Halle die Doktorwürde für eine Arbeit über den japanischen Grundbesitz. 1901 übernahm Nitobe unter Gotô Shimpeis Führung die Leitung für die industrielle und wirtschaftliche Entwicklung der japanischen Kolonie Taiwan. Taiwan war seit 1895 japanische Kolonie, doch war die wirtschaftliche und siedlerische Erschließung der Insel bis dahin erfolglos geblieben. Nitobe initiierte ein Zuckerrohranbauprogramm, was bald einen wirtschaftlichen Aufschwung für die Insel bedeuten sollte, siehe John F. Howes: Japans’s New Internationalism and the Legacy of Nitobe Inazo (Obirin University Tokyo, Tokyo, 1993; 2-16). 391 Siehe Hasegawa Yûichi: Taishô chûki tairiku kokka e no imeiji [Die Sicht Japans auf das Festland in der mittleren taishô-Zeit] (in: Kokusai seiji, 71, 1982; 94-100).

258 Exposition of Japanese Thought.392 In eigenen Reden auf den Philippinen schlug Nitobe die Philippinisierung des bushidô zur Schaffung einer nationalen Identität und Ethik vor. Grundlegend war die nach seiner Meinung bestehende rassische und charakterliche Ähnlichkeit zwischen Japanern und Filipinos. Aus diesem Grunde glaubte er an die Übertragbarkeit der Tugenden, die er im bushidô beschrieb. Einen faszinierten Abnehmer seiner Gedanken fand Nitobe in dem Filipino Jorge Bocobo (1885-1965), der im Jahre 1934 Präsident der Universität der Philippinen und 1939 Staatssekretär für das öffentliche Erziehungswesen wurde. Grundlegend waren auch seiner Meinung nach die rassische und charakterliche Ähnlichkeit zwischen Filipinos und Japaner. ‚Japan‘ erschien wieder als moralisches Vorbild: Selbstdisziplin, Ehre, Loyalität, Sparsamkeit und Fleiß, Gelassenheit angesichts von Tod und Trauer, Familiensolidarität sowie bedingungslose Gehorsam, der in der Zeit der nationalen Öffnung ganz in den Dienst des meiji-Kaisers gestellt worden war, sollten auch die Filipinos zu mehr Nationalismus anhalten. Das japanische System produziere Patrioten, die ihrem Land in Krieg und Frieden zu Diensten seien. Besondere Beachtung schenkte Bocobo dabei dem harakiri (ritueller Selbstmord) aus patriotischen Motiven. Die japanischen Eigenschaften verknüfte er auf eigentümliche Weise mit den Ureigenschaften der Malayen. 393 Quezon

392 Das bushidô wurde im Jahre 1899 von Nitobe Inazô auf Englisch verfasst. In Tokyo wurde es 1901, in New York 1905 gedruckt. Ella Kaufmann fertigte eine Übersetzung ins Deutsche an. Allerdings fand sich kein deutscher Verlag für den Druck, so dass Nitobe das Buch in Tokyo bei Showabô im Jahre 1901 drucken ließ, siehe Nitobe Inazô: Bushido. The Soul of Japan. An Exposition of Japanese Thought (Showabô, Tokyo, 1901). Eine weitere deutsche Übersetzung erschien im Jahre 1937 von Helene Klanke im Nordland-Verlag Magdeburg. Diese Übersetzung steht ganz im Zeichen des nationalsozialistischen Denkens. Die Übersetzerin versucht in den japanischen samurai ein Vorbild kriegerischen Mutes und Ehre für deutsche Soldaten zu konstruieren. Zu Helene Klanke siehe Horst Wittig: Pädagogik und Bildungspolitik Japans, Quellentexte und Dokumente (München, Reinhardt Verlag, 1976; 105). Andere Ausführungen sprechen dafür, dass das Buch erstmals im Jahre 1905 von G. P. Putnam‘s Son, New York, verlegt wurde. Eine überarbeitete Version erschien bei Charles E. Tuttle Company im Jahre 1969, siehe Lydia Yu-José: Japan; 178, Fn 17. 393 Siehe Grant K. Goodman: Nitobe’s Bushidô: The Samurai Ethic in a Philippine Setting, in: S. Quito (Hrsg.): Festschrift in Honor of Dr. Marcelino Foronda, Manila, De la Salle University Press, 1987; 56-68. Die philippinische Japanrezeption im Rahmen des universitären Austausches wurde durch weitere Austauschprofessoren betrieben. Im Jahre 1934 sprach Oshima Masanori, Professor an der Universität von Tokyo, über die gemeinsamen kulturellen Wurzeln der Philippinen und Japans und empfahl den nach Unabhängigkeit strebenden Inseln dem Beispiel Japans zu folgen und eine neue Nation mit fortschrittlichem Geist in einem traditionellen kulturellen Kontext zu entwickeln. Ähnlich äußerten sich die Professoren Sugimori Kojiro von der Waseda Universität im Jahre 1936 sowie Negishi Yoshitarô von der Rikkyû Universität, siehe Grant K. Goodman: Philippine-Japanese Professorial Exchanges in the 1930‘s, in: Journal of Southeast Asian History, 1968, 9, 2; 229-240, hier Sn. 230-35.

259 wiederum griff den Vorschlag Bocobos auf, die japanische bushidô-Ethik für die Philippinen zu adaptieren. In seiner Rede vor der Universität der Philippinen im August 1938 stellte er den bushidô als den Inbegriff alles Japanischen dar und legte ihn zugleich den Filipinos nahe. Ein Jahr später veröffentlichten japanophile Filipinos sechzehn konkrete Anweisungen und Verhaltensregeln in direkter Anlehnung an die meiji-Verfassung: „Citizenship implies not only rights, but also obligations“. Weitere Aufforderungen beziehen sich auf nationale und soziale Tugenden, wie sie auch im bushidô zu finden sind. Unter Punkt 2 wird die Bereitschaft zum harakiri verlangt (Goodman: Bushidô; 66).

‚Japan‘ blieb auch für den japan-afinen (1893-1946) und die anti- amerikanische ganap-Bewegung der Inbegriff eines Waffenlieferanten im Osten, womit sich ein weiteres der Wahrnehmungsmuster fortsetzte. Diese philippinisch- japanischen Kontakte standen bereits im Zusammenhang mit der Errichtung der Großostasiatischen Wohlstandssphäre in Japan seit Ende der 1930er Jahre. In dieser Zeit knüpften japanische Militärs und Aktivisten an Kontakte mit Filipinos an, die bereits um die Jahrhundertwende während der Revolutionskriege nach Japan gekommen waren. Die personellen Kontinuitäten auf Seiten der Filipinos lassen sich bei drei einflußreichen Männern belegen. Der erwähnte Benigno Ramos war Führer der oppositionellen, anti-quesonistischen sakdal-Bewegung in den 1930er. Nach einer Aufstandsbewegung in Jahre 1935 und deren Ende versuchte Ramos von seinem Exil in Japan aus, die Bewegung in eine mehr japan-orientierte Richtung zu bringen. Er kehrte 1938 auf die Philippinen zurück, gründete die die ganap-Partei, die das Herzstück der makapili-Bewegung wurde, einer pro-japanischen Guerillaformation, welche die Invasion der Japaner auf den Philippinen vorbereiteten helfen sollte (Constantino: Continuing Past; 10- 11, Friend: Enemy; 101). Emilio Aguinaldo (1869-1963), Revolutionsführer von 1896, Sohn eines gobernadorcillo und Absolvent des Dominikanerkollegs San Juan de Letran, war bereits um die Jahrhundertwende durch Waffengeschäfte mit Japanern in Kontakt getreten. Im Jahre 1895 wurde er zum Führer der radikalen Unabhängigkeisgruppierung katipunan (siehe III 1 F.) und orientierte sich, den wenigen von ihm überlieferten Aussprüchen nach, an den USA (Agoncillo: Masses; 388). Dennoch waren seine Interessen im Bezug auf Waffenhilfe stärker auf Japan ausgerichtet. Nishio spricht von engen Kontakten, die Aguinaldo zu Tôyama

260 Mitsuru gehalten haben soll. 394 Am 27.12.1897 ging Aguinaldo ins Exil nach Hongkong, um von dort aus nach Japan überzusiedeln. Bis zu seinem Tode verblieb Aguinaldo in Japan und wurde Mitglied in Benigno Ramos ganap-Gruppe. Der dritte Protagonist, Artemio Ricarte (1866-1945), Absolvent des San Juan de Lateran und der Santo-Tomas, wurde während der Revolutionszeit ein hochrangiger General der philippinischen Armee. Sein selbsterklärter Anti-Amerikanismus verbot es ihm, solange philippinischen Boden zu betreten, „wie die amerikanische Flagge über philippinischen Boden wehte“ (Yu-José: Japan; 18). Nach der gescheiterten Revolution wurde er für zwei Jahre ins Exil-Gefängnis nach Guam geschickt, später, in den Jahren 1903-1905, organisierte er eine Art philippinischer Übergangsregierung in Hongkong. Nach Inhaftierung durch die Amerikaner und vorzeitiger Freilassung ging Ricarte im Jahre 1910 nach Yokohama und eröffnete ein Restaurant, das den Namen ‘Karihan Café’ trug. Er betätigte sich auch als

Lehrer an der Schule für Überseekolonien [{海外植民学校} kaigai shokumin gakkô]. Ende der 20er veröffentlichte er seine Memoiren in Tokyo. Elf Tage nach Pearl Harbour wurde der 75-jährige Ricarte von den Japanern wieder auf die Philippinen gebracht, wo er den Aufbau der makapili-Truppen unterstützen sollte (siehe oben). Zwei Jahre vor seinem Tod war er am 14. Oktober 1943 bei der Verkündung der von den Japanern eingesetzten philippinischen Republik unter Hissung der japanischen Flagge anwesend.395

Mit dem Ende der vietnamesischen dong du-Bewegung war nicht nur das Auseinanderfallen der ersten modernen Emanzipationsbewegung in Vietnam zu verzeichnen (siehe III 2 C iv.). Dieser Rückschlag bedeutete auch ein vorläufiges Abflauen der Ostorientierung des ‚japanischen’ Flügels der vietnamesischen Emanzipationsbewegung. Doch sollten Intellektuelle der 20er und 30er Jahre an die Japanbilder der Jahrhundertwende erneut anknüpften. Zwischenzeitlich, im Jahr der chinesischen Revolution, 1911, entwickelte sich ‚China’ für den Großteil der vormals japan-orientierten Reformer zum Vorbild im asiatischen Raum. Ähnlich wie im Jahre 1907 die Wiedereröffnung der Universität von Hanoi eine Alternative zu der erstarkenden dong du-Reformbewegung um die Dông kinh nghia thuc (siehe

394 Siehe Nishio Yôtarô: Tôyama O den [Überliefertes von Toyama O] (Fukuoka, 1981; 117- 122). 395 Siehe Artemio Ricarte: Memoirs of General Artemio Ricarte, ausgewählt und hrsg. von der Watson Collection, Manila, National Historical Institute, 1992; xxii.

261 III 2 C iii.) bieten sollte, so reagierte der neue Generalgouverneur von Vietnam, Albert Sarraut, ebenfalls mit der Wiedereröffnung der Universität, nun als ‚Indochinesische Universität’. Auch hier sollte die Wiedereröffnung der Universität die Aufmerksamkeit der Vietnamesen von den revolutionären Ereignissen in China ablenken (Furnivall: Educational Progress; 87). Albert Sarraut war Sozialist und beabsichtigte umfangreiche Reformen zur Stärkung einer größeren politischen und wirtschaftlichen Autonomie der Union Indochinoise einzuleiten.396 Er erhöhte die Anzahl der indigenen Repräsentanten in politischen Gremien, erleichterte das Naturalisierungsverfahren und setzte sich für eine progressive Bildungsreform ein, was den Erwartungen der reformorientierten Elite entgegenkam. Sarraut griff auf die von Generalgouverneur Paul Beau im Jahre 1910 gelegten Grundsteine für ein neues Erziehungswesen zurück, das im Wesentlichen dem kolonialpolitischem Rational der association (siehe III 2 B iii.) folgte. Demnach sollte die französische Sprache nur noch in den größeren Städten unterrichtet werden und Maschinen- und Industriearbeiter sollten mehr in Ausbildungsstätten als an Schulen ausgebildet werden. Es war vorgesehen, dass die Grundausbildung der Vietnamesen in der Landessprache unterrichtet wurde und nur jene, die in französische Institutionen der höheren Bildung aufgenommen wurden, Französisch lernten. In der Zeit bis nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Kolonie weitgehend durch eine voranschreitende Bürokratisierung und den Ausbau von Infrastruktur erschlossen (Chesneaux: Stages, Goscha: Annam and Vietnam). Während des Ersten Weltkrieges, als ca. 50.000 Vietnamesen von der französischen Armee rekrutiert wurden, machte die französische Kolonialadministration Zugeständnisse an die Forderungen einer städtischen Mittelklasse, die eine erste Interessenvertretung in Form der parti constitutionalist gründen konnte (Marr: Anticolonialism; 229). Die Partei wurde von dem Herausgeber der französisch- sprachigen Zeitschrift tribune indigène 397 , Bui Quang Chieu (1873-1945)

396 Während einer Rede an der Universität von Hanoi stellte er die Frage: „What do we want to do and how must we work together, French and Annamese, for the good of this wonderful Indochina and for the welfare of her populations?“, siehe Goscha: Annan and Vietnam; 99. 397 Sarraut hatte im Zuge der Liberalisierung auch das öffentliche Zeitungswesen gefördert und der Herausgabe der tribune indigène zugestimmt. Die Zeitschrift war an die im Süden lebenden französisch-assimilierten Vietnamesen gerichtet. Im frankreichfeindlichen Nordvietnam unterstützte er die Herausgabe der Zeitschrift ‚Southern Wind’, die über die Erfolge der französischen Kolonialverwaltung im Süden informierte. Die tribune indigène wurde im Jahre 1926 in tribune Indochinoise umbenannt, siehe Goscha: Annam and Vietnam; 107 sowie Hoang

262 gegründet. Bui Quang Chieu kam aus einer konfuzianischen Gelehrtenfamilie, ging im Jahre 1893 nach Frankreich, um dort die école coloniale zu besuchen und anschließend im Jahre 1896 nach Algerien. Im Jahre 1897 trat er als Agraringenieur in die französische Administration in Vietnam ein.398 Die Träger dieser Bewegung stellten bereits eine neue Generation von Reformern dar, die großteils in Frankreich studiert hatte und mit dem Instrument der Parteigründung eine politische, und keine gewaltsame Form des Widerstandes/Reform zur Interessenartikulation wählte. Sie forderten die Einsetzung einer Verfassung, die Umwandlung der lokalen Kommunen in Gemeinden mit gewählter Gemeindevertretung, die endgültige Beseitigung der Institutionen des alten Hofbeamtentums und eine „moderne“ 399 Verwaltung, Gehälter für vietnamesische Angestellte, einen unabhängigen Richter in den Gemeindeverwaltungen, eine Vereinfachung der gesetzlichen Regelungen zur Naturalisierung und eine Erhöhung der Anzahl vietnamesischen Vertreter im conseil supérieur in Paris (Smith: Bui Quang Chieu; 133). Sowie sich der moderate Flügel der Reformbewegung mit dem neuen politischen Instrumentarium der repräsentativen Interessenvertretung Gehör verschaffte, so blieb doch ein Teil der Reformbewegung deutlich aktivistischer, wie Tài nachweist (Tài: Radicalism; 1-4). Dieser Flügel, den Tài als den anarcho-radikalen Flügel bezeichnet und der eine eher diffuse politische Ausrichtung zu haben schien, äußerte seinen Protest in studentischen Streiks an den höheren Bildungseinrichtungen. Es wurden Forderungen nach der sofortigen Beendigung der französischen Herrschaft mit der persönlichen Situation verbunden, die man als unterdrückt empfand. Erst mit dem Aufkommen des Marxismus-Leninismus löste sich der Radikalismus von seiner Verbindung zwischen Individuum und Gesellschaft hin zu einer nationalen Befreiungsbewegung mit Ziel der Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft. Eine Folge dieses Anarcho-Radikalismus war die Gründung der kommunistische association mutuelle des Indochinoises im Jahre 1920, die von französischen

Ngoc Thanh: The Social and Political Development of Vietnam as Seen Through the Modern Novel (Hawaii University Press, Hawaii, 1968; 105-129). 398 Siehe Ralph Smith: Bui Quang Chieu and the Constitutionalist Party, in: Modern Asian Studies, 2, 3, 1969; 131-150, hier S. 133. 399 Ein Begriff, der erst nach dem Ersten Weltkrieg in den vietnamesischen Reformdiskurs Eingang fand, siehe Chesneaux: Stages.

263 Intellektuellen wie dem Schriftsteller André Malraux unterstützt wurde. 400 Von Japan als ‚asiatischem Korrektiv‘ der Reformbewegungen kann für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in Vietnam nicht die Rede sein. Das Aufkommen kommunistischer Bewegungen bewegte die französische Kolonialverwaltung im Jahr 1925 wieder einen restriktiveren Weg zu verfolgen. Einflußreiche Vietnamesen aus der Verwaltung in Hanoi wie Pham Công Tac und Lê Van Trung wandten sich erneut nach Japan.401 Sie sammelten sich in der im September 1926 gegründeten religiösen cao dai-Vereinigung (Tài: Radicalism; 146).402 Die Vereinigung war massgeblich auf Betreiben von Prinz Cường Để ins Leben gerufen worden, der zu diesem Zeitpunkt seit über 35 Jahren in Japan lebte.403 Ihre Mitglieder rekrutierte die cao dai aus der Handels-, Landbesitzer- und Bürokratenschicht, die in der einen oder anderen Form durch die Verwestlichung ihr soziales Ansehen oder wirtschtschafltiches Fortkommen hatte verbessern können. Ihre geistige Herkunft war nicht mehr eine klassisch-konfuzianische, sie gehörten i.w.S. nicht mehr der Schicht der literati an. Die Organisation war stark hierachisch gegliedert, was sich in einer funktionsfähigen geistigen Lenkung widerspiegelte, wonach eine apokalyptische Vision als Ausgangs- und Zielpunkt aller weiteren Grundsätze fungierte (Tài: Radicalism; 189-192). Im Jahre 1941 nutze man die straffe Orgnisationsstruktur der cao dai als Brückenkopf zwischen den japanischen Invasionstruppe und der in Vietnam im Jahre 1939 gegründeten buddhistischen Laiensekte Sekte hoa hao, die in Prinz Cường Để den künftigen Kaiser Vietnams sah.404

400 Siehe André Malraux: The Vietnam Adventure (London, 1966; 94-5). 401 Ibid; 146ff. 402 Auf die religiösen Inhalte soll hier nicht näher eingegangen werden. Die Darstellung der eklektizistischen Entlehnungen aus buddhistischen, hinduistischen und Naturreligionen würde einen zu großen Raum einnehmen. Der vollständige Namen der Vereinigung heißt übersetzt Große Religion der Dritten Offenbarung und Erlösung. 403 Cường Để stand in Kontakt mit den radikal-republikanischen Japanern Tôyama Mitsuru und Inukai Tsuyoshi, die ihn finanziell unterstützten, siehe III 2 C iv. Die Memoiren von Cường Để sind unter dem Titel Cuôc dòi cách mang Cường Để [The Revolutionary Career of Cường Để)] 1957 in Saigon veröffentlicht worden. 404 Siehe Dieter Brötel: Dekolonisierung des französischen Empire in Vietnam. Metropolitane, periphere und internationale Faktoren (in: Wolfgang J. Mommsen (Hrsg.): Das Ende der Kolonialreiche. Dekolonisation und die Politik der Großmächte, Frankfurt am Main, Fischer Verlag, 1990; 89-118, hier S. 92).

264 Wie die letzten Auführungen gezeigt haben, lassen sich zwei parallele Entwicklungen der gegenseitigen Wahrnehmung identifizieren. Zum einen sind Kontinuitäten sowohl der Wahrnehmungsmuster als auch Persönlichkeiten mit Japankontakten ausfindig zu machen. Das Bild Japans als ‚asiatisches Korrektiv‘ bzw. als asiatische Führungsnation bleibt in gewissen Grundzügen über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erhalten. Anschließend erhielt Japans ‚Modernisierung‘ bzw. Reformprozess um die Jahrhundertwende durch verschiedene globale Entwicklungen Konkurrenz in Form von aufkommenden Orientierungsalternativen (deren tatsächliche Strahlkraft im Einzelnen ebenso detailiert untersucht werden müßte). So war es im Jahre 1911 die chinesische Revolution und ihr Führer Sun Yat Sen mit seinen san min chu-i [Drei Prinzipien des Volkes/ der Nation], auf welche die südostasiatischen National- und Unabhängigkeitskämpfer blickten. Sun Yat Sen hatte mit seiner Revolution 1911 die mandschurische Fremdherrschaft beendet und eine ‚chinesische’ Republik errichtet. Die Errichtung der ersten chinesischen Republik stellte erneut eine tragfähige Synthese aus westlichem Gedankengut und indigener Tradition dar. 405 Darüberhinaus entfaltete den wohl stärksten und nachhaltigsten Einfluss auf die südostasiatischen Emanzipationsbewegungen die Erste Kommunistischen Internationale, die 1919 in Folge sozialistischer und kommunistischer Bewegungen in Europa nach der russischen Revoultion vom 7. November 1918 gegründet worden war.406 In China war die May-fourth-Bewegung im Jahre 1919 ein erster Niederschlag kommunistischer Geistesströhmungen, der die Gründung der Kommunisten Partei Chinas nach sich zog. Als im Jahre 1920 auf dem Komintern Kongress festgelegt wurde, sich gegen die ‚Unterdrückung’ und für die ‚Unterdrückten’ einzusetzen, entstand gleichzeitig ein konsensfähiges Vokabular zur Beschreibung kolonialer Machtverhältnisse. Anti-Kolonialismus und Anti- Kapitalismus spielten einander die Argumente zu. Erklärungs- und Argumentationsschwierigkeiten ergaben sich jedoch auch hier bei der Definition des ‚Nationalen’, das im Zentrum der kolonialen Emanzipationsdiskurse stand. Im Sinne Marx und vor allem Lenins war der nationale Zuschnitt des Proletariats immer ein

405 Der vietnamesische Unabhängigkeitskämpfer Phan Bội Châu unterstützte 1911 die chinesische Revolution vor Ort. Auch hier, ähnlich wie er im Jahre 1905 in Japan um die Unterstützung einer monarchischen Reform/Revolution gebeten hatte, siehe III 2 C ii ff., erbat er Waffenhilfe von Sun für eine angestrebte republikanische Revolution in Vietnam, siehe Phan Bội Châu: Chariot; 213ff. 406 Lenin hatte noch im November 1917 das Selbstbestimmungsrecht der Nationen proklamiert, kurz bevor es sein Gegenspieler, der amerikanische Präsident Wilson tun sollte.

265 Hindernis bei der Formierung einer weltumspannenden Proletarierklasse. In Südostasien hingegen waren die indigenen Eliten, die ‚unterdrückt’ wurden und grundsätzlich zur begünstigten Gruppe der Weltrevolution zählen mussten, gerade die Träger der nationalen Bewegungen. Die Nation wurde somit zu einem anti- imperialistischen Instrument; das Problem der Arbeit stand dabei weit weniger im Zentrum der Auseinandersetzungen. 407 Neben den kommunistischen Orientierungsalternativen wurde, besonders in Birma sowie in den 1920er Jahren auch in Vietnam, die Indian National Congress-Bewegung zu einem ‚asiatischen’ Korrektiv’ (Smith: Bui Quang Chieu; 148f).

Auch das japanische Interesse an Südostasien veränderte im Verlauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dem Aufziehen des Pazifikkrieges.408 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Japan vom Völkerbund mandatiert, die deutschen Besitzungen zu verwalten. Dies umfaßte die Karolinen, die Marianen, die Marshall- Inseln sowie Palau. Wenig später propagierte eine Gruppe von politisch engagierten Professoren der Taihoku Imperial University in Taiwan Pläne zur Investitions- und Siedlungsförderung in den pazifischen und südöstlichen Gebieten. Ihre zivilen Forderungen wurden unterstützt von der konzilianten Asienpolitik von Außenminister Shidehara Kijuro, der von 1924-31 mit einer kurzen Unterbrechung zwischen 1927-1929 im Amt war. In seine Amtszeit fällt auch die Südliche See

Handelskonferenz [{ 南洋貿易会議} nanyô bôeki kaigi], die nanyô vollends als Handelsraum etablierte. Verdichtet wurde die neue Sichtweise nanyôs im Jahre

1928 unter dem Begriff der Politik der südlichen See [{南洋国策} nanyô kokusaku]. In den Folgejahren, vorbereitet durch eine Gruppe aus der Marine, die sich als Gegener des Washingtoner und Londoner Vertrages über die Beschränkung der Anzahl japanischer Kriegsschiffe verstanden, verschob sich die auf zivile Ziele ausgerichtet Politik hin zu einer militäristischen Expansionspolitik. Hatte Shidehara noch diverse staatliche und private Südunternehmungen unterstützt, so nutzten seine Nachfolge diese Aktivitäten teilweise um verdeckt den Aufbau von militärischen Stützpunkten

407 Siehe Clive Christie: Ideology and Revolution in Southeast Asia 1900-1980, Political Ideas of the Anti-Colonial Era (London, Curzon Press, 2001; 33-44). 408 Torsten Weber weist die Kontinuität verschiedener Ausformungen des ‚Asianismus‘ japanischer Provenienz für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts nach, siehe ders.: „Unter dem Banner des Asianismus“: Transnationale Dimensionen des japanischen Asianismus-Diskurses der Taishô-Zeit (1912-1926) (in: Marc Frey und Nicola Spakowski (Hrsg.): Asianismen seit dem 19. Jahrhundert, in: Comparativ, 2008, 18; 34-52).

266 in Südostasien durchzuführen, z.B. in Palau und Saipan. Nach 1936, im Rahmen der

Neuen Ordnung Ostasiens [{ 東亜新実} tôa shin shitsujo] sowie der durch Premierminster Konoe Fumimaro im Jahre 1940 propagierten Großostasiatischen

Wohlstandssphäre [{大東亜虚栄謙} daitôa kyoei ken] stand vor allem die militärische Nutzung sowie der große Vorrat an Öl im Mittelpunkt der Südostasienbetrachtungen. Der Rohstoffreichtum Südostasiens und deren Besitz würde Japan im Falle der Verhängung eines Ölhandelsembargo autark machen. Anfang 1940 folgte dieser wirtschaftlich-strategischen Überlegung der politische Wille. Besonders auf Bestreben von Außenminister Matsuoka wurde ein Vorgehen festgelegt, dass Japan auf einen Kollisionskurs mit den Vereinigten Staaten von Amerika führte. Der Pazifikkrieg/Zweite Weltkrieg dürfte eine grundlegende Zäsur in der japanisch- südostasiatischen Wahrnehmung darstellen, auch weil sich das politische und wirtschaftliche Kräfteverhältnis seitdem erheblich verändert. Japan ist aufgrund der eigenen Erfahrungen bis vor kurzem als eher zurückhaltender, regionaler Akteur in Ostasien aufgetreten und hat selbst das malaysische und singapurische Angebot einer Regionalführerschaft in den 90er Jahren mit Blick auf den die verbündeten Vereinigten Staaten von Amerika zurückgewiesen.409 Südostasiaten blicken heute,

409 Seit Mitte der 1990er Jahre ist es im Zuge neuer Bestrebungen zur Bildung einer ‚asiatischen Region‘ bis heute immer wieder zu verschiedenen Initiativen und Äußerungen von Politikern aus Ost- und Südostasien gekommen. Z. B. proklamierte der damalige japanische Premierminister Hashimoto Ryûtaro auf dem APEC-Treffen im November 1995, dass nun die die Renaissance des ‚asiatischen Weges‘ eingeleitet sei. Zuvor war die Debatte um die ‚Asiatischen Werte‘ durch den singapurischen Premier Lee Kwan Yew eingeleitet worden, der den dominierenden zivilisatorischen Paradigmenanspruch des Westens, präsent durch den Anspruch der Universalität der Menschenrechte, vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufstiegs der vier Tigerstaaten Hongkong, Südkorea, Thailand, Singapur in Frage gestellt hatte. Der Verweis auf den Erfolg der Tigerstaaten sollte die Berechtigung kommunitaristischer Werteorientierungen im Gegensatz zur individualisierten interessengeleiteten Gesellschaft Amerikas demonstrieren und den Zusammenhang von westlichen Gesellschaftsmodellen und wirtschaftlicher Entwicklung entkoppeln. Auch Japan, Korea, Thailand und Singapur hatten es trotz ‚Asiatischer Werte‘ - oder gerade aufgrund dieser - zu Wohlstand bringen können, siehe etwa Brendan O‘Leary: The Asiatic Mode of Production (Oxford, Blackwell, 1989) sowie Verena Blechinger und Jochen Leggewie: Facing Asia – Japan‘s Role in the Political and Economic Dynamism of Regional Cooperation (Iudicium Verlag, 2000). Im Jahre 2000 wiederholte der malaysische Premierminister Mohammad Mahathir in seiner keynote speech in Japan „The Challenges for Japan in a Globalized World“ anlässlich eines Seminars zum 20. Geburtstag der malaysischen Look-east-policy sein Bekenntnis zu den ‚Asiatischen Werten‘ und stellte dabei Japan erneut in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Interessanterweise bemühte sich Mahathir an gleicher Stelle um die Modernisierung des Islam und zog eine Parallele zwischen ‚Japan‘ und der ‚Islamischen Moderne‘. Für ihn bedeutet die Übernahme der ‚Islamischen Moderne‘ in Malaysia „to act Islamic“ really means to „act Japanese“, siehe Sigrid

267 mit einer zunehmend selbstbewußten Haltung, mehr denn je auf die Volksrepublik China und deren Entwicklung. Die moderne Asienforschung attestiert einen wachsenden Regionalismus in Ost- und Südostasien, der, nicht unbelastet durch die Historie, so doch auf eine steigende innerasiatische Kooperation deutet – und damit auf neu entstehende Japan- und Südostasienbilder.

Nökel: Malaysia and Islamic Modernity, in: Journal of Asian Studies, Nr. 45; 26 und Nakajima Mieno und Fukuda Yusuke: Die Asianisierung Asiens, Das asiatische Jahrhundert, Fakten und Fiktionen, in: Far Eastern Economic Review, Neujahrsausgabe, 1996.

268 V. Anhang

A.) Übersetzungen aus dem Journal der Gesellschaft des erwachenden Asiens

Einzelne Ausgaben des Journals der Gesellschaft des erwachenden Asiens [{興亜会報告} kôakai hôkoku] finden sich in: Kuroki Morifumi (Hrsg.): Kôakai hôkoku, ajia kyôkai hôkoku, Fuji shuppansha, Tokyo, 1993 (siehe Quellenverzeichnis Japan).

i. 1. April 1880 (2)

Auf Seite 10 dieser Ausgabe vermerkt der Herausgeber in einem kurzen Vortext, dass Kaneko Yahei, ein Gesellschaftsmitglied und Autor des nachfolgenden Textes, einen umfangreichen Text verfaßt hätte, der unter dem Titel Berichte über Asien steht. Hier würde nun ein Teil dieser Berichte unter der Überschrift Allgemeine Überlegungen über Asien abgedruckt werden.

Kaneko Yahei: Asien ist der größte Kontinent. In den alten Zeiten war Asien der Quell von Moral und Kultur, heute ist sein Schicksal im Untergang begriffen und die Europäer erniedrigen es. Europa ist der kleinste Kontinent und war das Land der Barbaren in den alten Zeiten, heute wächst seine Größe von Tag zu Tag. In den Urzeiten war Asien der herausragendste unter den fünf Kontinenten im Bezug auf die Entwicklung menschlicher Erkenntnis und Wissens. Vor ca. viertausend Jahren wurde dort menschliches Wissen geboren and die Staaten errichtet: China im Osten, Indien in der Mitte und die asiatische Türkei im Westen. Zu dieser Zeit wurde die Geschichte durch das Knoten von Fäden geschrieben, da es noch keine Buchstaben gab. Und das hat sich über Generationen hinweg nicht verändert. Obwohl wir über die alten Erzählungen und Weisheiten der alten Chinesen oder des Alten Testamentes Kenntnis hatten, verschwanden diese Dinge über die Zeit und wurden möglicherweise von unseren Vorfahren fälschlicherweise in absurde Geschichten verwandelt. Aus diesem Grunde können diese alte Überlieferungen nur dann verwandt werden, wenn sie durch historische Relikte bekräftigt werden.

269 In all den oben genannten Ländern begann die Menschheit vor rund dreitausend Jahren zu wachsen, als beides, Wissen und materielle Errungenschaften erblühten, Burgen und Paläste gebaut wurden und alle Gebräuche mit Bezug auf Kleidung eingerichtet wurden. Die Produkte der Landwirtschaft wurden profitbringend auf dem Markt verkauft und die Unterrichtung in Etiquette, Moral und Rechtschaffenheit blühte. Vor zweitausend Jahren wuchs die menschliche Kenntnis und es war die Zeit der höchsten Anzahl an Erfindungen, sie reichten von Erfindungen im Bereich des staatlichen Handlens bis hin zu Wissenschaft und Handwerk. Es war eine wahrhaft blühende Zeit! Zu dieser Zeit, auf dem europäischen Kontinent, mit der Ausnahme des Südostens (Italien, Griechenland und die europäische Türei), lebten die Menschen noch in Käfigen, wußten nicht, wie man Fleisch mit Feuer kochte und waren sehr unwissend. Wilde Tiere waren brüllend in den Wäldern und die Marschen waren voll mit giftigen Insekten. Diese Verwilderung hatte nichts mit Zivilisation zu tun. 2600 Jahre zurück, der römische Staat war von Italien errichtet worden und sein Fortkommen entwickelte sich nach und nach über die Zeit. Im Osten zerstörte das römische Reich Griechenland (Griechenland war vor mehr als 2700 Jahren entstanden und war der erste europäische Staat in Europa). Als Griechenland zerstört war, hatte Europa (römische Reich) keine alten Staaten mehr und annektierte viele Länder der alten Türkei, im Westen sowie solche barbarischen Länder wie England und Deutschland – das ganze europäische Hinterland. Es entstand ein geistiges und materielles Leben, aber die Grundlagen der römischen Kultur lag in Griechenland, wobei die griechische Kultur sich selbst durch ein Borgen der asiatisch-türkischen Kultur bereicherte. Alles dies steht in den alten Überlieferungen und kann bestätigt werden, ein Grund, warum ich hier nicht mehr zu erläutern brauche. Dann jedoch, als das römische Reich begann, das jüdische Königreich zu zerstören, begann sich der christliche Glaube über Europa auszubreiten. Die Ausbreitung des Christentums brachte es mit sich, dass sich Millionen von Europäern für die Kreuzzüge begeisterten. Als sie persönlich Zeuge der geistigen und materiellen Kultur in Asien wurden, begannen sie eine Bewunderung für Asien zu entwickeln. Nachdem sie vom Krieg zurückkehrten, studierten und berichteten sie darüber und machten es nach in wissenschaftlicher und handwerklicher Hinsicht. Je mehr sie sich mit Asien beschäftigten, um so mehr wuchs ihr Wissen. Nach und nach legten sie ihren

Aberglauben und ihre schlechten Gewohnheiten [{迷信的観念} meishinteki kannen] ab und gelangten auf den Weg der Zivilisation. So muss man denn bestätigen, dass die

270 europäische Kultur in Wirklichkeit ein Geschenk aus Asien ist. Die asiatische Kultur ist um 2000 tausend Jahre älter als die europäische und die europäische Kultur ist nur ca. 500 bis 600 Jahre von uns getrennt. Es ist bedauerlich, dass diese Tatsache in Japan nicht weiter bekannt ist. Doch heute will ich mit diesem Artikel deutlich machen, dass die derzeitige Stärke Asiens nicht an das Niveau Europas heranreicht. Wenn wir versuchen, den

Fortschritt in den Wissenschaften [{学問を通しての進歩} gakumon wo tôshite no shinpo] der europäischen Staaten im Bezug auf Militär und Reichtum zu beschreiben, so müssen wir sagen, dass das Wissen täglich und die Kultur monatlich wächst. Die Europäer entdecken die Gesetzte des Himmels und der Erde. Das substanzlose Wissen [{科学なしの

古典や文学などの文系だけの教育} kagaku nashino koten ya bungaku nado no bunkei dake no kyôiku] werden abgelegt, während die Diskussion über authentische und wahrhaftige Tatsachen immer umfangreicher wird. Die Wissenschaft blüht auf und Stärke und

Wohlstand würden durch Handel erreicht [{貿易によっての富国} bôeki ni yotte no fukoku]. Die Länder sind durch politisches Recht und Erziehung in einer rechten poltischen

Ordnung [{国家の政治組織} kokka no seijisoshiki]. Beide, Regierende und Regierte haben ihren Platz gefunden und ein menschlicher Umgang ist vorhanden. Asien ist das Gegenteil davon. Das Land ist in einem desolaten Zustand und die Völker sind völlig verstreut. Sie verehren und empfehlen blind das Alte, von dem sie besessen sind. Sie streben schmählich nach sofortigem Frieden, ihr Mut ist gewichen und ihr Geist ist unwissend. Verwirrung und falscher Glaube sind weit verbreitet, der

Regierung werden nicht vertraut und sie sei unfähig [{無能な政府} munô na seifu] und die Erziehung ist ohne Inhalt. Die Regierten trauen nicht den Regierenden, die Beamten und das Volk verachten einander. Menschlichkeit verschwindet und verräterische Gedanken nehmen ihre Stelle ein. (…) Warum sind Gegenwart und Vergangenheit der geistigen und materiellen Kultur Asiens so weit voneinander entfernt? Und warum sind die Unterschiede zwischen den Zeiten des Blühens und des Verfalls so deutlich? Die Gelehrten, so habe ich gehört, sagen, dass die Asiaten das Equilibrium lieben, während die Europäer, aus Gewohnheit, den Wandel schätzen. Das Equilibrium bedeutet Stillstand, wohingegen Wandel eine ständige Bewegung bedeutet. Dies sei der Grund, so sagen sie, warum die Entwicklung der geistigen und materiellen Kultur in Asien im Mittelalter endete und nicht weiter voranschritt. Die Gelehrten fügen hinzu, dass die Asiaten leichtgläubig seien, die Europäer hingegen skeptisch. Leichtgläubig bedeutet oberflächlich, während dessen

271 Skepsis eine Eigenschaft ist, die es den Menschen nahe legt, nach dem Grund der Dinge zu fragen und über Naturwissenschaften zu diskutieren [{科学論議} kagaku rongi]. Dieses sei der Grund für den Unterschied im Fortkommen der asiatischen und europäischen Kultur heutzutage. (…) Heute, wenn wir uns wünschen Asien neu zu erwecken von seinem jahrtausende andauernden Verfall und wir uns mit den Europäern messen wollen in Reichtum und Stärke, wer soll uns führen auf diesem Weg? Selbst wenn wir solche Führer hätten, wäre es überhaupt möglich für menschliches Streben, die Erweckung Asiens zu erreichen trotz unseres so schlechten Zustandes? Viele verneinen dies – aber sie irren sich. Wir müssen uns keine Sorgen machen, dass es diese Führer nicht gäbe, es gibt sie und die Zeit ist reif. In den letzten Jahren ist unsere Kultur genauso verfallen wie jene auf dem ganzen asiatischen Kontinent, weil alle Länder Asiens miteinander in Kontakt stehen. In den letzten Jahren traten in Japan Männer mit edler Gesinnung hervor und die Weisheit und Offenheit ihres Denken wuchs gleichzeitig. Ein neuer politischer Weg ist etabliert und ein unzerstörbares Fundament ist gelegt. Wissenheit und Kenntnis mehren sich Tag für Tag und die weltlichen Reichtümer werden mehr und mehr. Diese edel Gesinnten aus Japan sind die Führer, die Asien wieder erwecken können und ihrer Aufgabe sind sie gewachsen. Was ist nun noch schwer und unmöglich? Da die Wesen und das Talent der Völker in Asien sich nicht voneinander unterscheiden, so werden alle Asiaten dazubeitragen können, Asien wieder zu erwecken. Alles, was die edel gesinnten Männer in Japan erreichen, wird nicht auf Japan beschränkt bleiben, sondern es soll übergehen auf anderen Länder in Asien. Aus diesem Grund werden wir Asien aus dem jahrtausendlangem Verfall zurückführen. Und mit den Europäern um Reichtum und Stärke konkurrieren. Der Moment ist nicht verloren, es geht nur darum diesen Moment zu nutzen, egal in welcher Form. Vormals, der Reichtum, die Macht und die Zivilisation Englands waren überlegen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Trotzdem es auf einer entlegenen Insel liegt, stieg es zu einem Hegemon über den ganzen europäischen Kontinent auf. Seine Stärke und Autorität sind bis heute nicht verschwunden. Wie könnte es sein, dass wir nicht ebenfalls versuchen, dasselbe zu erreichen? (…)

272 ii. 6. Januar 1881 (14)

Der in Wonsan (südostliches Nordkorea) wohnende Japaner Oku Gisei, ein Mitglied der kôakai, schreibt an den koreanischen Magistraten der Stadt Togwon (nahe Wonsan)410:

Der Herbstwind bläst durch das Fenster und erfrischt den Körper. Welche Gedanken verfolgen Sie derzeit? Vor ca. sechs bis sieben Tagen kam ein ausländisches Militärschiff nahe an den Hafen. Es blieb dort für einige Tage liegen, doch da es weit draußen verweilte, war es für ungeschulte Augen nur schwer zu erkennen. Ich darf annehmen, dass ihr hochgeschätztes Amt bereits einen Beobachter zur Untersuchung des Schiffes ausgesandt hat. Gestern kam das Schiff erstmals in den Hafen und es wurde eine italienische Flagge erkenntlich. In den letzten Jahren kommen immer mehr Militärschiffe an Ihre Landesgrenzen. Früher, als unser Land noch keine Verträge mit den westlichen Staaten geschlossen hatte, waren auch wir Objekte solcher Erkundungsfahrten. Wir betrachteten die Ankömmlinge rücksichtslos als Barbaren und sowohl Beamte als auch das Volk krämpelten die Ärmel hoch und bereiteten sich auf einen Kampf vor. Als die Barbaren uns zwangen mit ihnen in Handelskontakt zu treten, versetzte ihr ungehaltenes und zorniges Benehmen uns in große Wut und Verzweifelung. Einge von uns riefen zum friedvollen Umgang mit den Barbaren auf, doch wenn wir diesem Rat gefolgt wären, stünden wir nun vor abgebrannter Erde. Wir konnten doch nicht dem Vermächtnis unserer kaiserlichen Vorfahren den Rücken zukehren. Auch wenn einige von uns dennoch dazu rieten, sich mit den Barbaren zu verständigen, so war ein solches Vorgehen nicht mit dem Vermächtnis unserer kaiserlichen Vorfahren in Einklang zu bringen und vor allem nicht zu dieser Zeit. Auf ein friedvolles Vorgehen dickköpfig zu beharren, wäre nicht loyal gewesen. (…). Doch am Schluss betrachteten wir die europäischen und amerikanischen Staaten ganz unterschiedlicher Stärke. Während sie sich im Aufschwung befanden, verloren wir an Stärke und verschlechterten uns. Es war so, dass es absolut unmöglich erschien, einen Krieg gegen sie zu gewinnen. Zog man alle Verluste und Siege, Ruhm und Schmach in Betracht, so war es doch geboten, dass wir vor einem Krieg zunächst versuchen sollten, uns friedvoll mit ihnen zu einigen. Abgesehen von der Entscheidung, brachten die damaligen Diskussionen eine große Anzahl von verschiedenen Meinungen

410 Wonsan war einer der durch den koreanisch-japanischen Vetrag von Kanghwa (1876) für den japanischen Handel geöffneten Hafen an der Ostküste der Halbinsel.

273 zu Tage und die Beamten verbrachten eine schwierige Zeit um diese Angelegenheiten zu regeln. (…). Im Bezug auf Ihr Land sind keine Vergleiche möglich. Ihr, mein Herr, seid beschäftigt mit dem Hofamt und müßt Euch von morgens bis abends über vornehme Angelegenheiten den Kopf zerbrechen. Aber seid nicht Ihr es, der sich auch Gedanken darüber machen muss, welche Pläne die besten für Euer Land sind? Es ist heutzutage nicht mehr richtig, die von fernen Orten kommenden Amerikaner und Europäer als streittreibende Barbaren zu bezeichnen. Sie wollen schließlich nichts anderes als Handel treiben und es ist nur natürlich, dass die Welt sich ihnen öffnen muss und kontinuierlich weiterentwickelt. Barbaren und Chinesen – sind dies nicht zwei Wörter für eine Idee?

[{ 蕃人支那人二語一意か} banjin, shinajin nigo ichi i ka] Früher sagten wir, dass die Menschen aus dem Westen ihre Kleidung falsch herum trügen und wollten sie nicht als

Gleiche anerkennen. Aber nachdem wir von ihren Errungenschaften [{ 成果} seika] gehört, ihre Bücher gelesen und ihre Aktivitäten studiert haben, haben wir gesehen, dass ihre Moral und Gebräuche gut sind. Sie haben aber noch mehr, sie haben stets genug Essen und Kleidung, ihre technischen und künstlerischen Fähigkeiten sind hoch, die

Staaten reich und ihre Armeen stark. Wir in Asien sind weit von ihnen entfernt [{日本のよ

うになるにはまだ 遠い} nihon no yôni naru ni ha mada tôi]. Wie können wir sie also Barbaren nennen? Wir erkannten sehr plötzlich, dass wir einen Fehler in der Bewertung der Amerikaner und Europäer gemacht hatte und verfolgten weiterhin unseren friedvollen Kurs. Heutzutage können wir nicht gerade behaupten, dass Asien vor geistreichen Ideen übersprudelt. Die Lage in allen Länder, etwa in Indien oder Persien, sind sehr verschieden. Die einzigen souveränen Länder – dazu noch mit der gleichen Schrift, gleichen Gewohnheiten und dem Verständnis füreinander – sind Korea, Ching und wir. Tatsächlich, unsere drei Länder sollten sich aufeinander verlassen und gegenseitig von Hilfe sein. Wenn sie sich gegenseitig in ihren Bemühungen unterstützen, die unterentwickelte Industrie voranzubringen, den langsam zunehmenden Reichtum zu mehren, das Volk und den Adel zu zivilisieren, dann werden die fruchtbaren Ländereien der östlichen Länder, diese Schatzkammern der Welt, die besten der Erde werden. Es kann doch nicht sein, dass wir nicht über Reichtum und Stärke nachdenken? Wenn wir zusammenhalten, wie können wir dann scheitern bei Wiedererstarkung des momentan sich in einem schwachen Zustand befindenden Asien? Man kann sogar annehmen, dass wir Europa und Amerika überholen könnten. (…).

274 Eine Gruppe von vornehmen Herrschaften in unserem Land hat eine Gesellschaft gegründet, die den Namen Gesellschaft des erwachenden Asiens trägt. Es ist das Ziel, wie es im Namen der Gesellschaft deutlich wird, Asien zum Erwachen zu bringen. Bereits sind Herrschaften wie der Botschafter aus China, der sich in unserer östlichen Hauptstadt aufhält, Hu Ju-chang, sowie sein Assistent bereits Mitglieder unserer Gesellschaft. Ich, Gisei, bin ebenfalls ein Mitglied. Nun möchte ich es wagen, Sie höflich zu fragen, ob wir die Ehre haben dürfen, Sie als weiteres Mitglied zu begrüßen. Ich trage mein Anliegen derzeit weiteren ehrenwerten Herrschaften an und wenn auch sie unsere Reihen füllen, dann wäre es ein großes Glück. (…). Oku Gisei.

iii. 30. Dezember 1881 (23)

Hirobe Kuwashi: Zwei Gentlemen, Mari Jun und Ma Jintao, die sich auf eine Reise nach China vorbereiten.

Ah, zwei Gentlemen, kennen Sie die heutige Situation auf dem asiatischen Kontinent? Indien, Annam und Burma sind seit langem unter westlicher Kontrolle, sie sehen aus wie Sklaven und ihnen ist das Recht verwehrt, frei zu sprechen. Seit einigen Dekaden werden unsere beiden Länder, Japan und China, von den Europäern erniedrigt. Chinesen kamen vormals in unser Land und lebten bei uns, genauso wie Japaner in China lebten. Wir respektierten gegenseitig die Regeln des anderen und hielten uns an die Gebräuche der anderen. Ein altes Sprichwort besagt: Wenn Du in ein anderes Land gehst, frage erst nach dem, was verboten ist, dann, frage nach den Gewohnheiten und Bräuchen. Dies ist die Regel für die Beziehungen zwischen den Ländern unter dem Himmel. Nur Menschen aus dem Westen folgen dieser Regel nicht. Sie machen ihre eigenen Regeln, ihre eigenen Strafen, ihre eigenen Verordnungen, Verbote und Gebote. Wenn man sie fragt, warum sie dies machen, antworten sie: Dies ist das Recht und die Gewohnheit in unserem Land. Außerdem sagen sie, dass sie unzufrieden mit der Regierung in unserem Land seien und deswegen ihre eigenen Regeln höher stellten. Oh, was für eine Ungeheuerlichkeit. Wie kommen sie dazu, so äußerst verachtend zu sein? Gibt es dafür ein Recht unter dem Himmel?

275 Offensichtlich, die Starken sind anders als die Schwachen und es ist schwer für die Schwachen gegen die Starken zu kämpfen. Sie halten ihren Atem an und senken ihre Stimmen, jedoch beißen sie sich die Zähne an der Ungehaltenheit der Europäer aus. So kam es, dass die derzeitige Situation so geworden ist, wie es ist: die derzeitige Situation ist mehr oder weniger nicht zu beseitigen für die Schwachen in Asien. In den alten klassischen Sagen heißt es: Wenn es langsam beginnt zu schneien, kommt zuerst der Graupel. Ah, der Graupel ist bereits gefallen und wir wissen nicht, wie es wird, wenn Schnee fällt. Ah, ihr zwei Gentlemen, kennt Ihr die heutige Situation auf dem asiatischen Kontinent. Beide, Ihr Gentlemen, kennt Ihr die chinesische Sprache und wißt, welche Verantwortung ihr Eurer Zeit gegenüber habt. Wenn der Frühling kommt, werdet ihr durch China reisen, die Aussicht auf Berge und Flüsse genießen, die Gewohnheiten beobachten und Bekanntschaft mit den tapferen Chinesen machen. Ich bin sehr davon überzeugt, dass die bewegt sein werden und so wie Japan mit der Selbststärkung beginnen werden. (…)

276 B. Filipinos in Japan

Aufgrund ihrer Teilnahme an der Widerstands- und Unabhängigkeitsbewegung auf den Philippinen, mussten einige Filipinos Manila und die Philippinen verlassen. Manche von ihnen gingen nach Japan ins Exil:

Der Rechtsanwalt José Layog kam am 1.12.1894 in Tokyo an (Solidaridad 15. 02. 1895, Rubrik: Filipinos in Spain and abroad).

Im Sommer des Jahres 1895 kam der Priester Juan Castañeda, ein reformorientierter philippinischer Geistlicher in Yokohama an. Er wohnte wie die meisten Filipinos in Ramos Haus in Yokohama (Clair: Katipunan; 126).

Artacho und Ambrosio Flores kamen zusammen mit Juan Castañeda (Schumacher: Propaganda Movement; 265).

Der Rechtsanwalt Carlos Malgarejo erreichte Japan im August 1895 Tokyo (ibid).

Am 30. Mai 1896 ging der Rechtsanwalt Doroteo Cortes in Kobe an Land. Er kam mit seiner vierundzwanzigköpfigen Familie. Cortes war im Jahre 1893 vom spanischen General Despujol aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer der anti-kolonial ausgerichteten Geheimlogen sowie in der katipunan des Landes verwiesen worden. Zusammen mit José Ramos und Ambrosio Rianzares Bautista leitete er ein Komitee für die Abwicklung der japanischen Waffenhilfe (Clair: Katipunan; 120). Er setzte sich auch für eine Emigration von japanischen Arbeitskräften auf die Philippinien ein, wenn die Unabhängigkeit erst einmal erreicht war (ibid; 81). Der Bruder von Bautista, Pablo Rianzares Bautista finanzierte die Herausgabe der Solidaridad (Solidaridad: Einleitung; xi).

L. Zafra studierte im Jahre 1902 an der Universität in Tokyo (Tôkyô daigaku hyakunenshi, Bd. 2; 145 sowie Ponce: Sun Yat Sen; 19). Im Vorwort zur Übersetzung der Solidaridad ist ein Professor Nicolas Zafra, ehemaliger Leiter der Geschichtsfakultät an der University of the Philippines, erwähnt. Ob es sich um einen

277 Familienangehörigen (oder eine nicht korrekte Wiedergabe des Vornamens) handelt, konnte nicht ermittelt werden (Solidaridad: Vorwort; xvi).

Juan Abad, der in der philippinischen Revolution von 1896 in Laguna kämpfte, ging nach dem Scheitern der Revolution nach Amoy, wo er bis 1930 lebte.411

Pio Duran war Verfasser der anti-amerikanischen und pro-japanischen Schrift The Philippine Independence and the Far Eastern Question. Diese Schrift wurde in Tokyo gedruckt. Später wurde er Mitglied in der Kommission, die eine Verfassung unter der japanischen Besatzungszeit ausarbeiten sollte (Constantino: Continuing Past: 96).

411 Siehe Zhou Nanjing: Philippine War of Independence and the Chinsese People, in: Quito, S. (Hrsg.): Festschrift: In honour of Dr. Marcelino Foronda Jr., De la Salle University Press, 1987; 119.

278 C. Vietnamesische Studenten in Tokyo

Die hier aufgeführten vietnamesischen Studenten sind in den Immatrikulationslisten der shimbun gakkô/seijô gakkô und der dôbun nachgewiesen. Da über einige der Personen nur sehr begrenzt weitere Nachweise ausfindig zu machen waren, sind sie hier teilweise nur namentlich aufgeführt. i. Studenten der shimbun gakkô und der seijô gakkô

Phan Thi Hán (Shiraishi: Meiji makki; 343) Đăng Tù Kińh (ibid) Nguyến Quyǹh Lâm (ibid) Dăng Tù Mẫn verblieb nach 1908 noch für ein halbes Jahr in Tokyo zwecks Studium, ging dann nach China und beteiligte sich an der Chinesischen Revolution von 1911 (ibid, Phan Bội Châu: Chariot; 146). Trần Huũ Công graduierte 1908 (Phan Bội Châu: Chariot; 144 und ders.: Reflections; 122). Nguyến Điền graduierte 1908 (Phan Bội Châu: Chariot; 144). Hoang Dinh Tuan blieb nach 1908 noch für ein weiteres Jahr in Japan zwecks Studium. Er wurde vom chinesischen Botschafter naturalisiert und absolvierte „als ein Student aus Kwangsi“ seine Japanischkurse. Hoang erhielt ein Stipendium und studierte an einer japanischen Hochschule, wo er nach fünf Jahren graduierte. Später ging Hoang nach China und wurde Mitherausgeber einer Zeitschrift der tôa dôbun kai (ibid 129, 147).

Lùơng Lập Nhâm ルオン ラプ ニアム (Lùơng Ngọc Quyến ルオン ニュコ) wohnte ab dem Jahre 1905 im Wohnviertel Kanda in Tokyo und arbeitete dort für eine chinesische Zeitschrift (Shiraishi: Meiji makki; 354, Phan Bội Châu: Chariot; 144). Er stand in Kontakt mit Sun Yat Sen und Mitgliedern der T’ung- meng-hui und erhielt später ein Stipendium von der chinesischen Botschaft. Er graduierte 1908 an der shimbun gakkô. Im Jahre 1915 wurde er in Hanoi von

279 französischen Polizeibeamten verhaftet. 1917 nahm er sich das Leben (Shiraishi: Meiji makki; 354). Lùơng Lập Nhâm war der Bruder von Lùơng Nghi ̣Khánh.

Lùơng Nghi Khánh studierte nach seinem Abschluß an der shimbun 1908 an einer japanischen Fachschule für Technik. Der Vater von Luong Lùơng Nghi ̣Khánh und Lùơng Lập Nhâm, Lùơng Ván Can, wird Direktor der in Hanoi gegründeten Schule Dông kinh (Phan Bội Châu: Chariot; 149 und ders.: Reflections; 123).

i. Studenten der dôbu shoin

Nguyến Hải Than und Đang Nguyến Can (Phan Bội Châu: Reflections;121) Nguyến Siêu (Shiraishi: Betonamu; 748) Nguyến Thái Bat und Trâñ Văn Thụ (Phan Bội Châu: Chariot; 145) Hoang Hung reiste als einer der ersten Studenten im Oktober 1905 nach Japan und blieb nach 1908 noch ein halbes Jahr in Tokyo zwecks Studium, ging dann nach Hongkong und wurde später dort von den britischen Behörden verhaftet und an Frankreich ausgeliefert (ibid). Nguyến Thúc Cảnh (Phan Bội Châu: Reflections; 122) Dang Xung Hong und Đặng Quôc-Kiẻù kamen im Januar 1907 nach Tokyo (Phan Bội Châu: Chariot; 116). Tran Van Dinh, Bui Mong Vu und Tran Van Tuyet, der Sohn von Gilbert Tran Chanh Chieu, reisten ebenfalls 1907 nach Tokyo (ibid; 129).

Cao Truc Hai 高竹海 kam im Jahre 1907 nach Tokyo und verstirbt im selbem Jahr in Yokohama (ibid).

Đàm Kỳ Sinh 譚其生 (Dam Quoc Khi 譚国器)

280 arbeitete nach 1908 kurzfristig in einer japanischen Firma als Zimmermann und kehrte anschließend nach Vietnam zurück und wurde dort verhaftet. Später starb er im Gefängnis (ibid; 149).

Nguyến Quynh Lam ging nach China und starb dort in einem Kriegsgefecht in Jahre 1916 während der zweiten Chinesischen Revolution (ibid). Phan Bai Ngọc kam im Sommer 1907 nach Japan (ibid). Nguyến Thái Bât erreichte ebenso im Sommer 1907 Japan (ibid; 127). Hoang Trong Mau (Nguyến Duc Cong) studierte nach seiner Ankunft im Sommer 1907 am dôbun für ein halbes Jahr, ging nach Beendigung des dong du nach China und legte dort seine Examen ab, um in den Militärdienst aufgenommen werden zu können (ibid; 153).

iii. Weitere Studenten

Tran Van An 陳文安 ging nach Siam und starb dort an Tuberkulose (ibid 133, 145).

Tran Van Thu 陳文書 studierte später an der Waseda (ibid; 145). Hoang Vi Hung ging an die Militärakadamie von Peking (ibid). Nguyến Xuong Chi ging nach 1908 nach Hongkong. Später begleitete er Prinz Cường Để nach Europa (ibid; 144-146). Nguyến Quynh Lam war Gründungsmitglied der dûy tan, blieb nach 1908 noch zum weiteren Studium in Japan, ging später nach China, um in den Militärdienst aufgenommen zu werden (ibid; 155). Le Cau Tinh verstarb später in Siam (ibid). Dinh Doan Te, ging später nach Siam (ibid). Phan Lai Luong

281 verstarb 1907 in Tokyo (ibid). Huyñh Thúc Kháng (1876-1947) war Mitglied der duy tân. Nach seiner Rückkehr nach Vietnam bestand er die höchste Stufe der Beamtenprüfungen und wurde Hofbeamter. In Yokohama gab er die Stimme des Volkes (vietn.: tieng dan) heraus. Huynh stand in engerem Kontakt zu Phan Bội Châu, besonders nach ihrer Rückkehr aus Tokyo. Huynh begleitete Phan während seiner Hausarrestzeit in Hanoi. Er wurde später Innenminister unter Hỗ Chí Minh. Phan Châu Trinh und Luu Am Sinh waren weitere Besucher in Tokyo (ibid; 114). Nguyến Tan Hien der die Gesellschaft zur Verschickung vietnamesischer Studenten nach Japan leitete (Duiker: Nationalism; 48).

Von den hier vorgestellten Studenten sind nur sehr wenige nach Vietnam zurückgekehrt. Eine große Anzahl ging nach China in den chinesischen Militärdienst oder ist in die Dienst chinesischer Warlords getreten. Einige gingen mit Phan Bội Châu nach Siam.

282 D. Lehrinstitute für Auslandsstudenten in Japan

Institut, Schule, Gründungs- Gründer Lehreinrichtung, jahr Universität seijô gakkô ryûgakuseibu 1898 Kawakami Sôroku Seminarschule für Armeeoffiziere 成城学校留学生部 (meiji 31) 川上操六 Leiter: Fukushima Yasumasa 福島安正 nikka gakudô 1898 Takakusu Junjirô 日華学堂 (meiji 31) 高楠順次郎 ji raku shoin 1899 Kanô Jigorô 嘉納治五郎 亦楽書院 (meiji 32) tôkyô daidô gakkô 1899 ? Schule, die hauptsächlich 東京大同学校 (meiji 32) Immigranten aufgenommen hat; wurde später unter dem Namen der shinka gakkô erneut eröffnet tôa shôgyô gakkô 1901 Inukai Tsuyoshi 犬養毅 und 1906 Integration in die meijirô chû- 東亜商業学校 (meiji 34) Kashiwara Buntarô 柏原文太郎 gakkô hôsei sokusei-ka futû-ka 1904 Ume Kenjiro 梅謙次郎 法政速成科普通科 (meiji 37) tôkyô dôbun shoin 1902 Konoe Atsumaro 近衛 篤麿 Schule wurde später mit der 東京同文書院 (meiji 35) Leiter: Kashiwara Buntarô 柏原文 meijirô chû-gakkô 太郎 zusammengeführt kôbun gakuin 1902 Kanô Jigorô 嘉納治五郎 1909 wurde die Schule geschlossen 弘文学院 (meiji 35) 宏文学院 (ab 1906, der Name wurde aufgrund der hohen Anzahl chinesischer Studenten geändert) shimbun gakkô 1903 Fukushima Yasumasa Seminarschule für Armeeoffiziere 辰武学校 (meiji 36) 福島安正 shimbun rikugun shikan gakkô 辰武陸軍士官学校 tôbunbu gakudô 1903 Terao Toruku Diese Schule nahm selbstfinanzierte 東亜文武学堂 (meiji 36) 寺尾享土留紅 Studenten auf, die aus der shimbun gakkô ausgeschlossen wurden. keii gakudô 1904 meiji daigaku 経緯学堂 (meiji 37) 明治大学 waseda daigaku shinkoku 1905 Ôkuma Shignobu ryûgakuseibu (meiji 38) 大隈重信

283 早稲田大学清国留学生部 rokô gakudô 1905 路鉱学堂 (meiji 38) keikan gakkô 1905 Terao Toruku 警監学校 (meiji 38) 寺尾享土留紅 shinsei gakkô 1905 清成学校 (meiji 38) kôtô nichi go gakkô 1905 Nagasawa Yoshitoru 高等ニ語学校 (meiji 38) 長澤吉享 keikan sokusei-ka 1905 警官速成科 (meiji 38) keisatsu gakkô 1905 警察学校 (meiji 38) jissen jo gakkô 1905 Shimoda Utako 実践女学校 (meiji 38) 下田歌子 seijo gakkô 1905 Shimoda Utako 成女学校 (meiji 38) 下田歌子 nikka gakuin 1913 Matsushita Daizaburô 日華学院 (taishô 2) 松下大三郎 tôa kôtô yobi gakkô 1913 Matsumoto Kamejirô 東亜高等予備学校 (taishô 2) 松本亀次郎 seihô gakkô 1914 Terao Toruku 政法学校 (taishô 3) 寺尾享土留紅

Aus: verschiedene Publikationen, im Besonderen Sanetô Keishû: Chûgokujin nihon ryûgakusei shi [Geschichte der chinesischen Studenten in Japan], Kuroshio shuppan, Tokyo, 1960. 実藤慶州, 中国人日本留学生史, 黒潮出版. 東京.

284 E. Daten i. Annamitische Kaiser Kaiser Du Tuc 1847 – 1884 Kaiser Ham Kghi (Kinderkaiser) 1885 – Flucht in die Berge Kaiser Dong Kanh 1885-1887 (von der französischen Kolonialmacht anstelle Ham Kghis eingesetzt) Kaiser Thanh Thai 1887 – 1907 Kaiser Duy Tan 1907 – 1916

ii. gouverneurs génerals de L’Indochine Paul Doumer, Bügerliche Mitte 1897 – 1902 Paul Beau, Bürgerliche Mitte 1902 – 1911 Albert Sarraut, Sozialist 1911 – 1919 Martial Merlin 1923 – 1925 Alexander Varenne, Sozialist 1925 – 1927 Pierre Pasquier 1928 – 1934

iii. Kriege, militärische Auseinandersetzungen und Verträge 1. Britisch-Birmanischer Krieg 1824/6 1. Opiumkrieg (Großbritannien – China) 1839/42 2. Britisch-Birmanischer Krieg 1851/2 2. Opiumkrieg (GB/Frankreich – China) oder Arrow War 1856/60 Japanisch-Spanischer Freundschafts- und Handelsvertrag 1870 Chinesisch-Japanischer Freundschaftsvertrag 1871 Japanisch-Koreanischer Freundschaftsvertrag von Kanghwa 1876 (sog. Ungleicher Vertrag) Französisch-Chinesischer Krieg 1883/4 Französisch-Annamitischer Vertrag von Patenôtre 1884 coup d’état am koreanischen Hof 1884 Chinesisch-Japanischer Vertrag von Tientsin 1885 3. Britisch-Birmanischer Krieg 1885/6

285 Chinesisch-Japanischer Krieg 1894/5 Chinesisch-Japanischer Vertrag von Shimonoseki 1895 Philippinische Revolution 1896 Spanisch-Japanischer Handelsvertrag 1897 Errichtung der philippinischen Republik 1898 Spanisch-Amerikanischer Krieg auf den Philippinen 1898/9 Spanisch-Amerikanischer Vertrag von Paris 1899 Amerikanisch-Philippinischer Krieg 1899 Philippinische Unabhängigkeitserklärung 1899 Boxer-Aufstand 1900 Anglo-Japanese Alliance 1902 Russisch-Japanischer Krieg 1904/5 Russisch-Japanischer Vertrag von Portsmouth 1905 Japanisch-Französischer Freundschaftsvertrag 1907 Chinesische Revolution 1911 Erster Weltkrieg 1914-1918 Washington Naval Treaty 1922 (Festlegung der marinen Streitkraftstärke für die fünf unterzeichnenden Staaten Vereinigte Staaten von Amerika, Japan, Großbritannien, Frankreich und Italien) Erster London Naval Treaty 1930 Zweiter London Naval Treaty 1936 (Beide Londoner Verträge sind Folgeverträge des Washington Naval Treaty)

286 VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

A. Allgemeines Quellen- und Literaturverzeichnis

i. Quellen und Quelleneditionen

Falkenegg, Anton Baron v.: Japan, die neue Weltmacht, o.O., 1905.

Malraux, André: The Vietnam Adventure, London, 1966.

Nehru, Jawaharlal: An Autobiography, Oxford, Oxford University Press, 1982.

Nishio Yôtarô: Tôyama O den [Überliefertes von Toyama O], Fukuoka, 1981. 爾塩陽太郎,頭山満男,伝,福岡.

Nitobe Inazô: Bushido. The Soul of Japan. An Exposition of Japanese Thought, Showabô, Tokyo, 1901.

Ricarte, Artemio: Memoirs of General Artemio Ricarte, herausgegeben von der Watson Collection, Manila, National Historical Institute, 1992.

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Ders.: Grundstrukturen des europäischen Interesses an Asien, siehe Literaturverzeichnis Allgemein.

Yamashita Shigekazu: siehe Literaturverzeichnis Vietnam

Yu-José, Lydia: siehe Literaturverzeichnis Japan

Zaide, Gregorio F.: The Philippine Revolution, Manila, The Modern Book, 1954.

312

D. Vietnamesische/Japanische Quellen und Literatur

i. Quellen und Quelleneditionen

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Phan Bội Châu: Reflections from Captivity: Prison Notes, verfasst im Jahre 1913, übersetzt ins Englische und herausgegeben von David Marr, Athens, Ohio University Press, 1978.

Phan Bội Châu: Overturned Chariot, The Autobiography of Phan Boi Châu, verfasst in den Jahren 1928-37, übersetzt ins Englische und mit einer Einleitung von Vinh Sinh und Nicholas Wickenden, Honolulu, University of Hawaii Press, 1999.

313 Auflistung der Schriften Phan Bội Châus, auf die in der Arbeit Bezug genommen wurde und die in Auszügen in den beiden Autobiographien enthalten sind (jedoch nicht mehr im Original (englische Titel)):

New Letter in Blood and with Tears over the Loss of the Ryûkyûs [Lưu câu huyết 1ệ tân thu], 1903 oder 1904;

An Appeal to the Nation to Support Financially Students Studying Abroad [Khuyên quốc dân tư trơ du hoc vân], 1905;

History of the Loss of Vietnam [Viêt nam vong quoc su], 1905;

Letter Inscribed in Blood from Abroad, Part I [Hai ngoai huyêt thu so biên], Juli 1906;

Letter Inscribed in Blood from Abroad, Part II [Hai ngoai huyêt thu so biên] 1907;

Grief over Vietnam and Condolence for Yunnan [Ai viêt diêu diên], 1907;

The New Vietnam [Tan việt nam], 1907 oder 1908;

An Inquiry into the History of Vietnam [Việt nam Quốc Sừ Kháo], 1908.

Ponce, Mariano: Sun Yat Sen, El fundador de la Republica de China, Manila, 1912.

Sun Yat Sen: Memoirs of a Chinese Revolutionary, A Programme of National Reconstruction for China AMS Press, New York, 1970. Erstausgabe von 1927.

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