Gesellschaft „Ich habe MonsterMODE geschaffen“ John Casablancas, Chef der weltweit erfolgreichsten -Agentur „Elite“, im spiegel-Gespräch über , das Modegeschäft und Magersüchtige auf den Laufstegen

REVLON Supermodels Crawford, Schiffer: „Der Mann von der Straße findet so was umwerfend“

SPIEGEL: Herr Casablancas, bei den jüng- models immer noch mitspielt und Millio- Gesicht, das jeder kennt und mag, plötzlich sten Prêt-à-porter-Schauen in Paris wurde nen von ihren Fitneßvideos verkauft hat? langweilig werden muß? nur ein einziges Mal auf Casablancas: Das hat weniger mit Geld als Casablancas: Claudia Schiffer ist jenseits dem Laufsteg gesehen: Bei der Dior-Show mit ihrer Popularität zu tun.Wenn ich nach der Mode. Sie ist ein Allround-Star: das trug sie eine schwarze Perücke und ver- Indien reise und dort einen „Elite“-Mo- Mädchen von nebenan, nicht bedrohlich, schwand gleich wieder. Geht ihre Karriere delwettbewerb veranstalte, sagen mir alle nicht aggressiv, ohne jede Härte, aber dafür zu Ende? Mädchen, sie wollen so sein wie Claudia. so gesund, so höflich und auf eine sehr tra- Casablancas: Unsinn, auch wenn ein paar Wenn ich meine ehemaligen Arbeitskolle- ditionelle Weise sexy. Claudia hat einen Modedesigner Claudia Schiffer nicht bu- gen von der Unternehmensberatung Mer- tollen Busen und einen tollen Hintern – chen, bleibt sie doch eine der schönsten rill Lynch treffe, rufen sie: „Hey John, ver- der Mann von der Straße findet so was um- und eine der bekanntesten Frauen der schaff uns ein Date mit Claudia!“ Wenn werfend. Welt. Als Model hat sie sowieso mehr er- ich mit meiner Mutter rede, die 82 Jahre alt SPIEGEL: In Interviews ist Frau Schiffer, höf- reicht als alle Frauen vor ihr. ist, sagt sie: „Ah, diese schöne Claudia.“ lich ausgedrückt, sehr zurückhaltend, und SPIEGEL: Sie meinen, weil sie mit einem Und dann sehe ich mir meinen Sohn an: Er als sie vor anderthalb Jahren eine eigene Jahresverdienst von schätzungsweise zwölf ist 18 Jahre alt, und er kann Models nicht Talkshow im deutschen Fernsehen starte- Millionen Mark in der Liga der Super- leiden, aber ein Foto hat er doch in seinem te, war nach einer Folge und vernichtenden Zimmer – das von Claudia. Kritiken Schluß. Haben nicht doch jene Das Gespräch führten die Redakteure Thomas Hüetlin SPIEGEL: Gilt nicht trotzdem das Gesetz, Leute recht, die sie harmlos und ohne je- und Marianne Wellershoff. daß Mode nach Wechsel verlangt? Daß ein des Geheimnis nennen?

138 der spiegel 17/1997 Casablancas: Sie ist eben ein wenig reser- doch den Marktgesetzen. Ein Mädchen wie viert. Zu Hause hat man ihr beigebracht, die adlige Engländerin Stella Tennant be- daß Selbstkontrolle wichtig ist. Die Schif- gann als Punkrebellin mit Ring in der Nase fers sind nicht die Art Leute, die ihre und repräsentiert heute Nobelmarken wie Schmutzwäsche in der Öffentlichkeit wa- Chanel. schen und die Fotos aus der Hochzeits- Casablancas: Als Stella zu Elite kam, be- nacht an die Presse verkaufen. Ich finde, hielten wir große Teile ihres Punk-Images, das ehrt sie und unterscheidet sie auch. aber wir haben auch das bedrohliche Ele- SPIEGEL: Und niemand stört es, daß das ment herausgenommen, ihre ganze Er- Publikum an den Laufstegen von Paris scheinung weicher und kommerzieller ge- und Mailand gähnt, wenn Claudia Schiffer macht. Wir haben ihr gesagt: Das hier ist auftritt? ein Geschäft. Du mußt dich als Star ver- Casablancas: Alle Supermodels laufen sel- tener in den Schauen, das ist der Zeitgeist. Noch vor zehn Jahren mußte nur die Un- terklasse im Modelgeschäft auf den Lauf- stegen Geld verdienen. Dann kamen ein paar Designer auf die Idee, einen riesi- gen Medienzirkus zu inszenieren, indem sie die Mädchen von den Titelseiten für ihre Shows buchten, und die Gagen explo- dierten. SPIEGEL: Die Kanadierin prahlte damals: „Unter 10000 Dollar stei- ge ich erst gar nicht aus dem Bett.“ Casablancas: Die Designer wurden wahn- sinnig. , und Linda Evangelista verlangten für eine Show 20000 Dollar, und die B-Klasse trat auch nicht mehr unter 10 000 Dollar an. Ökonomisch war das für die Designer eine Katastrophe. Dazu kam, daß die Models langsam durchdrehten: Sie verhielten sich wie Primadonnen, kamen zu spät, waren auf Drogen, schrien rum, waren schlecht zurechtgemacht. Kurz, sie verhielten sich wie Schlampen aus der Hölle.

SPIEGEL: Sie selbst warfen Naomi Campbell / STUDIO X G. MARINEAU / STILLS damals aus Ihrer Agentur – mit der Be- Grunge-Model gründung, sie sei ein „verwöhntes, selbst- „Wie aus der Mülltonne“ süchtiges Balg, eine gewinnsüchtige Per- son, die einmal ein paar hinter die Ohren sich anständig benehmen und schauspie- braucht“. lern können. Casablancas: Sie rief in der Früh an und be- SPIEGEL: Ist das Ihre Erklärung dafür, daß drohte uns, sie verpaßte ihre Flüge, sie war neuerdings im Modegeschäft und bei- böse zu jedermann. Wann immer sie ein spielsweise in der Calvin-Klein-Parfüm- Telefon in die Hand bekam, fing sie an, werbung Typen auftauchen, die der New uns aufs neue zu erpressen. Sie brachte Yorker Scout Ned Ambler von der Straße meine Mitarbeiter zum Weinen, meine weg engagiert hat und die noch nie einer Agentur verwandelte sich in ein Tollhaus. Agentur angehört haben? Ich sagte: Das alles ist mit Geld nicht zu be- Casablancas: Die meisten modernen Kam- zahlen – raus mit dir. pagnen pflegen derzeit den sogenannten SPIEGEL: Sie haben als Besitzer der größten Grunge-Stil, und die Models erinnern an Agentur der Welt diese Geschöpfe doch magersüchtige Drogenabhängige. Auf den mitgeschaffen. Laufstegen finden sie heute Frauen, die Casablancas: Das ist richtig. Auf der Liste nicht mal richtig gehen können und ausse- der Verantwortlichen war ich die Nummer hen wie aus der Mülltonne. Dann kommt

eins. Ich habe diese Monster geschaffen. irgendein Fotograf mit einer rosa gefärbten RETNA / INTER-TOPICS Und ich habe mir irgendwann gesagt: John, Strähne im Haar und sagt: „Ich stelle jetzt Topmodel Tennant das geht alles zu weit. Du willst wieder diese Zicke vor die Kamera und beweise, „Bedrohliches Element herausgenommen“ ruhig schlafen in der Nacht. Selbst wenn daß es funktioniert.“ Die wollen damit du nur noch halb soviel Geld verdienst. einzig und allein ihr Ego befriedigen. 80 markten. Ich bin besonders stolz darauf, Ich habe ein Memorandum geschrieben an Prozent der Mädchen machen in der näch- daß uns dieser Übergang so gut gelungen alle anderen Agenturen: „Die Zeit der sten Saison keine Show mehr. Ich weiß gar ist. Das liegt aber auch an Stellas Persön- Supermodels geht zu Ende. Wir müssen nicht, wie ich diesen neuen Trend nennen lichkeit: Sie ist smart, spontan, witzig, sie etwas auf mittlerem Niveau schaffen.“ Se- soll. ist ein Mensch, mit dem man gerne seine hen Sie, das ist im Hollywood der neunzi- SPIEGEL: Fotografen nennen ihn „new rea- Zeit verbringt. ger Jahre ja genauso: Nicht 5 Superstars lism“. Aber auch viele der neuen, norma- SPIEGEL: Was halten Sie von Cindy Craw- bestimmen das Geschäft, sondern 50, die len oder verwahrlosten Models gehorchen fords erfolglosem Versuch, mit ihrem ersten

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Kinofilm in Hollywood groß herauszu- Casablancas: Damit hatten wir nichts zu Aber seit O. J. Simpson versuchen ja viele, kommen? tun. Ich habe nur Cindy zu ihrer guten das Justizsystem mit geschickten Anwälten Casablancas: Wir haben Cindy immer ge- Wahl gratuliert und gesagt: „Das ist toll auszutricksen. sagt, wenn du es in Hollywood versuchst, für deine Karriere.“ Jeder Mensch, der SPIEGEL: Vor 20 Jahren interessierte sich dann geh auf Nummer Sicher. Such dir ei- auch nur über ein wenig Gehirn verfügt, noch kein Mensch für die Models, sie ver- nen tollen Regisseur, tolle Hauptdarsteller muß so was doch zugeben. Aber nicht sie. dienten maximal 1000 Dollar am Tag … – und eine sehr kleine Rolle, die du kon- Sie verlor komplett jeden Humor und Casablancas: … und waren nicht mehr als trollieren kannst. Sieh dir an, wie das schrie: „Unverschämtheit. Diese Heirat hat ein paar hübsche Gesichter. Das haben ich Ganze funktioniert. Wenn es schiefgeht, keinem von uns geholfen. Ich verdanke und ein paar Agenturchefs geändert, und es hast du dich nicht vor der ganzen Welt bla- meine Karriere nur mir selbst. Ich schulde war harte Arbeit. Aber im Grunde war die miert. Und was macht Cindy? Sie nimmt niemandem irgendwas.“ Sache klar: Junge Mädchen sind das beste sich einen B-Klasse-Regisseur und spielt SPIEGEL: Haben Sie das Mädchen, als sie die Produkt der Welt. Jeder kann sich mit ih- selbst die Hauptrolle. Agentur verließ, verklagt? nen schmücken. Frauen wollen so aussehen SPIEGEL: Haben Sie tatenlos zugesehen? Casablancas: Dank einer neuen Gerichts- wie sie, Männer träumen davon, mit sol- Casablancas: Das hätte ich nie getan. Ich entscheidung sind wir den zwei Millionen chen Mädchen auszugehen. Also holten habe vorher Millionen mit Cindy verdient, Dollar näher, die Cindy Elite schuldet. wir sie raus aus den Modezeitschriften, aber dann wurde ein Typ von der Schau- spieleragentur William Morris ihr neuer Guru – und alles war vorbei. Schauen Sie sich doch an, wo sie heute steht. Die Arme macht jetzt Werbung für Omega-Uhren und MCM-Handtaschen. Ich finde, das sieht entsetzlich aus. Oder ihren Werbe- film für Cadillac. Okay, Cadillacs sind Autos für Mittvierziger, die einen Bauch haben, in der Vorstadt wohnen und es in der Mittelklasse zu ein bißchen was gebracht haben. Also denken die Werbe- leute sich, wir nehmen Cindy Crawford, und dann sieht unser Auto ein bißchen jünger, ein bißchen mehr sexy aus. Nur,

„Models schlafen, mit wem sie wollen und wann sie wollen“ was machen Cindys neue Berater? Sie ziehen ihr einen schwarzen Minirock an, und amerikanische Feministinnen sehen dies als Herabsetzung der Frau. Dieser Werbefilm wird nicht lange laufen, denn nach ein paar Tagen rufen die ersten Familienväter aus der Vorstadt bei Cadillac an und beschweren sich: „Hey, ich habe viel Geld für dieses schöne Auto bezahlt, und ihr tut so, als sei das ein Gefährt für Prostituierte.“ SPIEGEL: Was hat Cindy Crawford denn auf einmal gegen Ihre Agentur? Casablancas: Wir erinnern sie an ihre Ver- gangenheit, von der sie jetzt nichts mehr wissen will. Mit 16 Jahren war sie ein klei- nes Mädchen aus einem kleinen Kaff in Il- linois, und niemand wollte etwas von ihr und ihrem Leberfleck wissen. Wir haben sie erfunden, ohne unsere Pläne wäre sie bestenfalls ein Katalogmädchen für Bade- moden in Miami geworden. Wir haben ge- sagt: Du bist der amerikanische Traum. Und wir haben ein Image für sie entwor- fen, das zugleich sexy, aber eben auch sehr, sehr sauber war. Gleichzeitig vermittelten wir sie in Hochglanz-Modezeitungen wie die vogue. Dadurch wirkte ihre Schönheit weniger vulgär. SPIEGEL: Haben Sie in Ihrer Rolle als Über- vater auch die kurze Ehe mit dem Schau- spieler Richard Gere in die Wege geleitet?

140 der spiegel 17/1997 steckten sie in die Werbung, in Kalender, in tegie: Such neue Gesichter, und mach Stars SPIEGEL: Man sagt Ihnen nach, auch der Popvideos und in Talkshows. Und heute aus ihnen. Liebhaber dieser Mädchen gewesen zu setzt sich ein Mädchen wie Naomi Camp- SPIEGEL: Störte Sie nicht das Image, ein sein. Mit der damals 16jährigen Stephanie bell mit vier verschiedenen Kleidern Mädchenhändler zu sein? Seymour beispielsweise waren Sie mona- abends in eine Limousine, besucht vier Par- Casablancas: Ach was, wenn ich morgen telang zusammen. tys, und am nächsten Tag öffnet man die meine Agentur verkaufen würde, dann Casablancas: Darüber haben sich nur die Zeitungen und sieht Naomi Campbell würde ich sofort wieder als Modelscout Amerikaner empört. In diesem Land kann überall. losziehen. Es gibt für mich kein größeres man Heroin nehmen, man kann Kokain in SPIEGEL: Mit 20 Jahren waren Sie der Mar- Vergnügen, als ein junges Mädchen zu fin- der Öffentlichkeit schnupfen und mit ei- ketingchef von Coca-Cola Brasilien. War- den, das 15 oder 16 Jahre alt ist, ohne jeden nem Gewehr Menschen erschießen. Nichts um versuchten Sie vor 27 Jahren Ihr Glück Stil, schüchtern, mit schrecklicher Frisur, passiert. Aber wenn man dort mit einem im Modelgeschäft? schlechten Zähnen und ohne große Welt- 16jährigen Mädchen ausgeht, wollen sie ei- Casablancas: Ich lernte die damalige Miss gewandheit – und dann verwandele ich sie nen ins Gefängnis werfen. Denmark kennen, und das Milieu gefiel binnen eines Jahres in einen wunderschö- SPIEGEL: Was ist so falsch an dem Gedan- mir. Ich war jung, ich war unverheiratet, nen Engel, der auf dem Cover der vogue ken, daß da einer die mangelnde Erfah- und ich hatte eine ziemlich einfache Stra- erscheint. rung von 16jährigen ausnutzt? Casablancas: Niemand prostituiert sich we- niger als Models. Sie schlafen, mit wem sie wollen, wann sie wollen. Männer, die Geld gemacht haben und große Autos fah- ren, träumen nur noch von einem: ein Mo- del als Freundin. Die Mädchen werden mit Blumen, Geschenken und Essenseinla- dungen zugeschüttet – und am Ende gehen sie mit Typen nach Hause, die keinen Pfen- nig haben. Ein Freund von mir, der Verle- ger von harper’s bazaar in Italien, gab immer riesige Partys in seiner Zwei-Mil- lionen-Suite im vornehmsten Hotel von Rom, und um vier Uhr morgens setzte er der Crème der Modewelt ein exzellentes

„Arnold Schwarzenegger ißt auch nicht in seinem ,Planet Hollywood‘ zu Mittag“

Büffet vor. Dann passierte immer dassel- be. Er fragte: „Wo sind all die Mädchen hin?“ Und die Antwort gab er sich gleich selbst: „Sie schlafen mit den Assistenten der Fotografen.“ SPIEGEL: Models sind offenbar nie dort, wo sie sein sollten. Das „Fashion Cafe“ in New York, so sagte Christy Turlington, sei eine „schäbige Szenekneipe für Touristen“. Das klingt nicht so, als würden Supermodels wie sie dort verkehren. Casablancas: Ist Christy nicht eine der Re- präsentantinnen des Cafés? SPIEGEL: Gemeinsam mit Claudia Schiffer, Naomi Campbell und Elle MacPherson. Casablancas: Das „Fashion Cafe“ ist für Leute, die zum Modegeschäft keinen Zu- gang haben. Aus dem Business geht da natürlich niemand hin. Arnold Schwar- zenegger ißt doch auch nicht in seinem „Planet Hollywood“ zu Mittag. SPIEGEL: Wie wichtig ist Ihr „Elite-Model- Look“-Wettbewerb für das Geschäft? Fin- den Sie da wirklich Ihren Nachwuchs? Casablancas: Wir haben so zum Beispiel Diane Heidkrüger entdeckt oder Simone Mütterthies aus Deutschland, ein exzel- lentes Model. Jedes Jahr bewerben sich weltweit 350000 Mädchen, das ist ein gi- gantischer Pool. Die Hälfte meiner Models habe ich bei diesen Wettbewerben gefun- den. Das ist einfach für uns, und es ist ein-

der spiegel 17/1997 141 Gesellschaft fach für die: Sie müssen nur zwei Fotos Casablancas: Für ganz wenige. 1000 von Ich lasse mir doch von niemandem sagen, schicken, anstatt ihre Sachen zu packen denen kommen in die Endausscheidungen daß zum Skelett abgemagerte Frauen gut und nach Paris oder New York zu den der Länder, 80 schaffen es in Finale. 50 aussehen oder daß verschmiertes Make- Agenturen zu fliegen. beginnen dann eine Profikarriere, 20 da- up schön ist. Jeder findet das häßlich, jeder. SPIEGEL: Die meisten schaffen es nicht – von behalten wir bei Elite. Und von die- Auch die Kids mögen das nicht, nur kau- obwohl sie mit ihrem Portfolio von Wett- sen werden fünf eine wirklich gute Kar- fen sie leider alles, was man ihnen anbie- bewerb zu Wettbewerb und von Agentur riere machen. tet. Die denken, daß es cool ist, weil es an- zu Agentur ziehen. Was passiert denn mit SPIEGEL: Fünf Stella Tennants? ders ist. denen? Casablancas: Nein, noch nicht mal. Im SPIEGEL: Was machen Sie, wenn in Zukunft Casablancas: Ich nehme seit 30 Jahren Ten- Durchschnitt ist alle zwei Jahre ein Star da- Firmen wie Calvin Klein oder auch der nisunterricht und habe es nie bis nach Wim- bei. Manchmal dauert es drei Jahre, bis wir Jeanshersteller Gap die Leute nur noch bledon geschafft. Ich lebe immer noch. einen neuen Superstar finden. von der Straße weg engagieren und Agen- SPIEGEL: Diese Kinder kommen aus Wyo- SPIEGEL: Wie lange dauert eine erfolgrei- turen wie Ihre überflüssig machen? ming oder Lübeck, sind unglaublich ehr- che Modelkarriere? Casablancas: Ich muß nur mein eigenes Casablancas: Wer es mal Geschäft schützen. Ich muß Karrieren auf- geschafft hat, kann 12, 15 bauen und dann von den 20 Prozent Kom- Jahre als Model arbeiten. mission leben. Wenn ich 20 Prozent von Manche sind mit Mitte 30 200 Dollar am Tag akzeptieren muß, dann noch im Geschäft. Es ist für züchte ich lieber Kühe in Brasilien. die Mädchen auch schwer, SPIEGEL: Haben Sie schon ein paar Kühe wieder aufzuhören. Wenn gekauft? die zwei Millionen Dollar Casablancas: Ja. Aber erst sehr wenige. im Jahr verdient haben, SPIEGEL: Herr Casablancas, wir danken Ih- wollen die keinen norma- nen für dieses Gespräch. len Job, der ihnen 35 000 Dollar im Jahr einbringt. SPIEGEL: Und was ist mit männlichen Models? Wann gibt es unter denen ein Su- permodel? Casablancas: Ich hoffe, Sie wollen mit mir nicht dar- über sprechen. SPIEGEL: Haben Sie keine

J. MAGREAN J. Männer unter Vertrag? Casablancas, Model: „Niemand prostituiert sich weniger“ Casablancas: Sicher. Ein paar von denen haben es geizig, investieren ihr gespartes Taschen- auch weit gebracht. Wir hatten mal einen geld in Flugtickets und Fotos für die Map- Jungen in der Agentur, aus Schweden, der pe, hören auf zu essen, werden mager- war so lieb und süß, wie hieß der denn süchtig und haben Mißerfolg nach Mißer- bloß? folg. Gibt es niemanden in den Agenturen, SPIEGEL: Markus Schenkenberg? der sich verantwortlich fühlt und denen Casablancas: Genau. Daß mir sein Name sagt, Kind, du wirst es nie schaffen, fahr nicht eingefallen ist, beantwortet wohl die nach Hause? Frage nach der Bedeutung männlicher Mo- Casablancas: Wir nehmen keine unter Ver- dels. Schenkenberg hat sich als femininer trag, an deren Talent wir Zweifel haben. Typ aber sehr geschickt selbst vermarktet. Das wäre viel zu teuer. Das Mädchen aus SPIEGEL: Das ganze Geheimnis liegt also Wyoming ist doch bestimmt nicht die Toch- im schönen Produkt und in dessen Ver- ter des Bürgermeisters, sondern die Toch- marktung? ter des Kerls, der im Gemüseladen aus- Casablancas: Ja. Und das ist so gut gelun- hilft. Sie hat keinen Penny, also müssen gen, daß inzwischen jeder Fernsehsender wir alles bezahlen: den Zahnarzt, den Fri- seine eigene Modesendung hat. Und diese seur, das Apartment und so weiter. Wir Sendeminuten müssen gefüllt werden. Da müssen ein Vermögen auslegen, und wenn suchen dann alle nach Storys. sie dann keine Karriere macht, ist das Geld SPIEGEL: Die vermitteln oft das Bild, daß es verloren. Ich werfe auf diese Art jedes Jahr ganz einfach ist, Model zu werden und viel eineinhalb Millionen Dollar zum Fenster Geld zu verdienen. hinaus.Wenn wir ein Mädel ablehnen, ver- Casablancas: Genau, das macht das Ge- sucht es sein Glück bei anderen Agenturen. schäft so attraktiv. Jeder denkt, er kann Die Mädchen sind 17, 18 Jahre alt, und das schaffen. Das ist natürlich ein Irrtum. wenn sie scheitern, ist das eigentlich kein Aber es gibt immer wieder neue Chancen großes Problem. Natürlich ist ihr Ego für neue Typen. Was vor vier Jahren als schwer angeschlagen, aber so ist das Leben schön galt, ist heute nicht mehr unbedingt nun mal. Viele Träume erfüllen sich nicht. gefragt. Ich bin gegen Regeln, mir ist es SPIEGEL: Und für wie viele der 350 000 egal, ob ein Model groß ist oder klein, ob

Bewerberinnen bei Ihrem Nachwuchs- es kurze oder lange Haare, üppige oder L. VERES / GAMMA STUDIO X wettbewerb erfüllt sich der Traum von der kleine Brüste hat. Aber ich bin auch dage- Schiffer bei Dior-Show Modelkarriere? gen, weibliche Schönheit zu sabotieren. „Verschaff uns ein Date mit Claudia“

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