Eiger, Mönch Und Jungfrau Kennen Alle Hochtouristen. Doch Die Berner
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DAV Panorama 2/2010 DAV Panorama 2/2010 Berner Alpen | Unterwegs Eiger, Mönch und Jungfrau kennen alle Hochtouristen. Doch die Berner Alpen haben ihnen noch weit mehr zu bieten, auch unterhalb der Viertausendergrenze: großzügige Grate in Fels und Eis, die den ganzen Bergsteiger fordern und befriedigen. Text von Christoph Willumeit, Fotos von Ralf Gantzhorn Am Rand der Welt: Das Wolkenkino macht aus dem Gang über den Mittellegigrat einen Traumtanz. 36 37 DAV Panorama 2/2010 DAV Panorama 2/2010 Berner Alpen | Unterwegs dere Seilschaften ein. Über uns schlägt tan beschließen, ihn zu einem unserer ein Telekommunikations-Tsunami zu- nächsten Ziele zu machen. Nur: Wie sammen: SMS, E-Mail und Telefonge- heißt das Trumm? Die Frage an einen spräche. Einkehr, Innehalten, das war der Schweizer Führer kann erst durch einmal. Die Führer rauchen, schauen eine kleine Konferenz mit einem Kol- ihren Klienten zu, wie sie ihren Gipfel- legen gelöst werden: Es handele sich zirkus veranstalten. Ein Königreich für um das Nesthorn, meinen die Exper- deren Gedanken. ten. Nicht häufig begangen, weil kein Viertausender und relativ schwer zu erreichen, wenn überhaupt vom Balt- Traumberg im Visier schiedertal aus. Ralf und ich sind uns Drüben, östlich des Bietschhorns, einig, dass es uns recht bald ins Balt- sehen wir einen Berg mit einer per- schiedertal ziehen wird. fekt dreieckigen Silhouette. Die Ge- Am nächsten Morgen steigen wir stalt begeistert uns so, dass wir spon- von der Blüemlisalphütte ab und fah- Die Steigeisen anlegen – und Im Wellenschlag des Himmels: Drei Gipfel zählt die Blüemlisalpgruppe, verbunden durch einen legendären die erste Spur über die Firngrat, der in anregendem Auf und Ab zwischen Wallis und Mittelland unberührte Firnkurve ziehen dahinzieht. Die geräumige Blüemlis- alphütte bietet gastliches Quartier. it den letzten Schrit- hinzuzufügen, sind Ralf und ich ins Nach einer letzten Firnflanke ste- ren durch den Lötschbergtunnel hin- ten zeigt sich ein Pano- Berner Oberland aufgebrochen. Als hen wir nun auf dem Gipfel – und zie- über ins Wallis. Ein schmales Sträß- rama, das in den Alpen „Eingehtour“ wählten wir die Blüem- hen gleich weiter, denn es weht ein chen führt von Visp hinauf nach Au- seinesgleichen sucht. Als lisalpüberschreitung. In vier Stunden kühler Wind. Der Grat ist perfekt in ßerberg und ins Baltschiedertal, ob man über einen Rand schnauften wir vom sauerstoffblauen seiner Ausgesetztheit: Die Südsei- wo Nesthorn, Breithorn, Jägihorn, schaute, öffnet sich die Weite. Vollkom- Öschinensee mit den picknickenden te bricht senkrecht ab, 1000 Meter hi- Bietschhorn und Stockhorn bereit ste- Mmen frei stehen im Südwesten die Rie- Wanderern hinauf zur Blüemlisalp- nunter aufs Becken des Kanderfirns, hen, um von uns bestürmt zu werden. senberge des Wallis: Dom, Matterhorn, hütte. Um vier Uhr am folgenden die Nordseite, von wo wir gekommen Oder bekrochen. Je nachdem. Denn Weißhorn, Grand Combin; sogar der Morgen ging es fröstelnd los Rich- sind, bildet beständig eine 60 Grad mein frisch operiertes Knie schmerzt Montblanc leuchtet herüber – und vor tung Gletscher. Doch wenn man mit steile Firnflanke. Die Wechten hän- fortgesetzt und läßt sich auch durch uns liegt eine weiß gewellte Schneide, Ralf unterwegs ist, wird einem schnell gen nicht allzusehr über, so dass man mannhaftes Zähnezusammenbeißen der Ritt vom Morgenhorn zum Blüem- warm; alle anderen Seilschaften blie- direkt auf der Krone des Grats gehen nicht beeindrucken. Mit unserer „Ein- lisalphorn, der erste Grat dieses außer- ben bald zurück. Dann stahlen sich kann, keinerlei alte Spuren stören die gehtour“ auf die Blüemlisalp bin ich gewöhnlichen Bergsommers. die ersten rötlichen Schimmer über weiße Linie im Himmel. ziemlich eingegangen. Nicht die opti- Ein Bergsommer, ganz den Graten die Ostflanke des passend benann- Etwa einen Kilometer lang dauert male Voraussetzung für den Hütten- gewidmet. Nicht den höchsten oder ten Morgenhorns; wie einsame Kund- der Genuss, dann stehen wir auf dem zustieg, der mit fünf bis sechs Stun- bekanntesten, sondern denen, die wir schafter schossen die ersten Strahlen- Gipfel des Blüemlisalphorns. Hände- den im Führer steht. als die schönsten betrachten. Um die- bündel über den Horizont, vorsichtig schütteln, Wasser, Landjäger, Schoko- Aber das Schicksal meint es gut ser Sammlung einige neue Exemplare das dunkle Land erkundend. lade. Nach und nach trudeln vier an- mit uns: Während wir etwas unent- 38 39 DAV Panorama 2/2010 DAV Panorama 2/2010 Berner Alpen | Unterwegs schlossen zum Parkplatz beim alten schroffen Talschluss. Hier herauf kom- Wasserstollen zuckeln, kommt uns men nur Bergsteiger – und auch nur ein abwrackprämienreifer Gelände- solche, die darunter nicht gemessenes wagen entgegen. Ein älterer Mann im Schreiten im Schnee verstehen, son- Arbeitskittel steigt aus und fragt, wo- dern die klettern wollen. Der promi- hin wir wollten. Nachdem er sich un- nenteste Berg der Gegend, das Bietsch- sere Geschichte angehört hat, sagt er, horn, ist zwar kein Viertausender, hat dass er uns mitnehmen könne, hoch aber einen Ruf als schwerer Gipfel, der zur Baltschiederhütte. Er müsse näm- ihn für Kletterer attraktiv macht. Sein lich da hoch, weil er den Generator der Normalweg kommt vom Lötschental Hütte zu reparieren hätte. Wir verste- über den Westgrat und verschafft der hen zunächst nur Bahnhof. Dann wird Baltschiederklause keinen Verkehr; nur aber schnell klar, dass es sich dabei um den Heli-Bahnhof (vulgo: Flugplatz) unten im Tal handelt. Immerhin lässt sich die Wartezeit in der Privatbraue- Kilometerhoch über dem Tal rei unseres Gönners mit einigen Fla- schen seines exzellenten Öko-Biers dahinschreiten - und dann zurück "Suonen-Gold" aufs angenehmste in die Geborgenheit der Hütte verkürzen (Suonen heißen die histo- rischen Wasserleitungen, die das Glet- scherwasser aus den hintersten Tälern hinaus zu den trockenen Sonnenhän- gen des Rhonetals befördern). Alois Schmid, unser Gastgeber, ent- puppt sich als eine Art Tycoon von Au- ßerberg, der in jedem Bauprojekt des Wallis seine Finger drin hat. Ein An- ruf bei Air Zermatt hat genügt, um uns Über den Dingen: Zweitausend Meter mitzunehmen, und so werden wir et- unter dem Blüemlisalp-Abstieg liegt der Öschinensee, unter dem Stockhorn- was später in einem Helikopter neu- Südgrat zieht das Baltschiedertal ester Bauart – nebst Alois und seinem Richtung Rhone (links). An der schnu- Generatorenersatzteil – in Minuten zur ckeligen Ostegghütte ist man unter sich; die Kletterei über das Ostegg zum Eiger Baltschiederklause hinauf expediert. stellt gehobene Ansprüche im Fels. Dreamteam im Heli Natürlich müssen die Piloten ein wer das Bietschhorn über den Nordgrat wortlos an ihm vorbeistakse, um ir- bisschen angeben und rasen mit oder die Ostflanke angehen will, muss gendwelche Zähne zu putzen und apa- Höchstfahrt das Baltschiedertal hi- sie benutzen. Aber im Talschluss um thisch Müsli zu kauen. nauf, so dass wir von dem unter uns die Hütte herum stehen genug andere dahingleitenden Naturwunder recht anspruchsvolle Ziele: Direkt hinter der wenig sehen, aber beim Abstieg wird Hütte ragt der steile, einladende Fels Stolpern im Funzellicht uns noch reichlich Zeit zum Bestau- des Jägihorns auf, und mit zwei Stun- Bald darauf, geleitet von den fun- nen der Landschaft bleiben. Zwei fran- den Anmarsch über den Baltschieder- zeligen Lichtkegeln unserer Stirnlam- zösische Bergsteiger, die einzigen Gäs- gletscher erreicht man den (unter Insi- pen, überqueren wir den Inneren Balt- te auf der Hütte, die Wirtin und ein dern) berühmten West- oder Blanchet- schiedergletscher. Es geht eine stei- paar neugeborene Katzen schauen uns grat des Breithorns (des Lötschentaler le Eisrampe hoch, dann stehen wir an mit großen Augen an: Was sind das Breithorns, um genau zu sein; denn der Flanke des Breithorns und bald denn für Typen, die da eingeflogen Breithörner gibt es in den Schweizer darauf am Fuß des Westgrats. Es fol- werden? Wir versuchen dem etwas Alpen ja unzählige …). gen rund 800 Klettermeter über ei- ungünstigen Celebrity-Status mit ver- Es sei unser Ziel für den nächsten nen wild gezackten Grat in wunder- legenem Grinsen entgegenzuwirken. Tag! Ralf springt um vier Uhr morgens bar festem Granit. Die Schwierigkeiten Die Baltschiederklause verdient ih- schon herum, als wenn er 17 Espres- bewegen sich zwischen III und V mit ren Namen, denn sie liegt in mön- so getrunken hätte, und schaut mich einzelnen schwereren Stellen, wo- chischer Abgeschiedenheit in einem mitleidig an, als ich wie ein Zombie bei die schwierigen Abschnitte weni- 40 41 DAV Panorama 2/2010 DAV Panorama 2/2010 Berner Alpen | Unterwegs uns allein haben. Prima; französische gen Verbindungsgrat zum Bietschorn, Schnarchgeräusche klingen nämlich eine Route, die wegen ihrer Komple- auch nicht eleganter als deutsche. xität und Schwierigkeit einen Ruf wie Trotz guten Schlafs kommen am Donnerhall hat und deren ersten Teil, nächsten Tag weder das Bietschhorn den Stockhorn-Südgrat, ich von einem noch das Nesthorn, bei dem allein der früheren Besuch her kenne. Allein für Zustieg vier Stunden dauert, in Frage. die Kletterei aufs Stockhorn haben Das vor drei Monaten operierte Knie wir damals sechs Stunden gebraucht. meldet sich mit aller Zickigkeit. Oh- Traumhaft schön, aber weiter zum ne ein paar Tage Ruhe wird das nicht Bietschhorn? Respekt! Das Baltschie- Noch vor dem ersten Licht besser. Also schultern wir die Rucksä- dertal ist ein steiler, enger Trog, der cke und wandern das wunderschöne sich erst 1500 Höhenmeter tiefer wei- starten – und zupacken an