Geschichte Des Kantons Schwyz • Band 1
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Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2012 Lebensformen im Spätmittelalter 1200-1350 Descoeudres, Georges Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-188467 Book Section Published Version Originally published at: Descoeudres, Georges (2012). Lebensformen im Spätmittelalter 1200-1350. In: Historischen Verein des Kantons Schwyz. Zeiten und Räume. Frühzeit bis 1350. Zürich: Chronos Verlag, 191-217. Geschichte des Kantons Schwyz • Band 1 Zeiten und Räume Frühzeit bis 1350 Geschichte des Kantons Schwyz • Band 1 Herausgegeben vom Historischen Verein des Kantons Schwyz 11 inhaltsübersicht 15 Entstehung der Naturlandschaft 272 Inhaltsverzeichnis Peter Zwahlen 279 Forschungsstand 37 Von der Ur- zur Kulturlandschaft Erika Gobet, Willy Tinner 289 Autorinnen und Autoren 59 Alt- und mittelsteinzeitliche Jäger und Sammlerinnen 291 Bibliografie Catherine und Urs Leuzinger-Piccand 311 Bildnachweis 75 Neolithikum und Bronzezeit Thomas Cavelti, Philipp Wiemann, Ursula Hügi 313 Impressum 99 Die Eisenzeit Martin Trachsel 111 Die Zeit der Römer Martin Trachsel 131 Frühes und hohes Mittelalter Karin Fuchs, Georges Descœudres 191 Lebensformen im Spätmittelalter Georges Descœudres 219 Politischer Wandel und gesellschaftliche Entwicklung 1200—1350 Roger Sablonier Lebensformen im Spätmittelalter 1200–1350 I Georges Descœudres 192 Geschichte des Kantons Schwyz • Band 1 < Das Haus Bethlehem in Schwyz wurde um 1287 erbaut. In der Neuzeit sind der Sockel auf- gehöht, die Fenster vergrössert und die Lauben zu Kammern um gestaltet worden. ❚ ZUSAMMENFASSUNG Im Spätmittelalter erfolgte eine verstärkte Erschliessung des Raumes einerseits durch verdichtetes Siedeln, andererseits durch Ausweitung des Siedlungsgebietes in Form eines Landesausbaus mittels Rodung und Trockenlegung von Böden. Archäologisch lassen sich diese Siedlungs- prozesse im Alten Land Schwyz indirekt durch die Entstehung von Turmburgen wie Perfiden und der Aha- burg fassen, die beide als Zentren der Kolonisationstätigkeit gelten. Turmburgen als herrschaftliche Gehöfte landwirtschaftlicher Ausrichtung stellten die im Land Schwyz typische Burgform dar. Gewissermassen als Gegenstück dazu konnten im Talkessel von Schwyz mehrgeschossige Blockbauten aus dem 12. bis 14. Jahr- hundert nachgewiesen werden, bei denen es sich um Herrenhäuser handelte. Ein Ordnungselement im ausgebauten Siedlungsraum stellten die Landwehren dar, wie sie im 14. Jahr- hundert rund um den Talkessel von Schwyz errichtet wurden. Als wehrtechnischer Schutz waren sie wohl von geringer Wirkkraft. Aus heutiger Sicht wird man diese Letzimauern als architektonische Zeichen zu deuten haben, welche die Entstehung eines politischen Kollektivbewusstseins sichtbar machten. Die Erweiterung beziehungsweise Verdichtung des Siedlungsraumes wird indirekt auch durch den Neu- bau von Kirchen sowie durch den Ausbau bestehender Gotteshäuser fassbar. Parallel dazu scheinen sich ei- gentliche Pfarrsprengel herausgebildet zu haben, die ihren architektonischen Ausdruck in der Errichtung von Glockentürmen fanden und solcherart den Unterschied zwischen Haupt- und Nebenkirchen markierten. Im Raum Schwyz sind im 13. Jahrhundert drei Frauenklöster gegründet worden, die im Sinne der damals neuen Formen der Frömmigkeit eine Missionswirkung nach innen ausgeübt haben dürften. Zur selben Zeit wird im Kloster Einsiedeln die Entstehung eines Wallfahrtsbetriebes sichtbar. Der wachsende Pilgerstrom machte bauliche Massnahmen wie die Vergrösserung der Klosterkirche, den Bau einer Umfassungsmauer, die Errichtung eines Vorhofes für den Devotionalienhandel, die Bereitstellung von Unterkünften und den Ausbau von Weg und Steg erforderlich. Georges Descœudres • Lebensformen im Spätmittelalter 1200–1350 193 II Sachquellen als Beitrag alitäten.3 Für eine gesamtheitliche historische Be- zur historischen Forschung urteilung ist deshalb eine Auseinandersetzung mit Sachquellen auch dort nötig, wo Schriften überlie- Nach traditioneller Auffassung stützt sich die Ge- fert sind. Denn Schriftquellen überliefern in der Re- schichtsschreibung auf Schriftquellen. Im Mittel- gel das Ungewöhnliche, Spektakuläre, die Sachgüter alter sind dies Urkunden, Urbare, Chroniken und hingegen das Gewöhnliche, Alltägliche. Beide zei- andere Aufzeichnungen. In jüngster Zeit hat sich ver- gen also nur einen Ausschnitt aus der historischen mehrt die Erkenntnis durchgesetzt, dass Sachquel- Ganzheit. len – seien dies eine Kirche, eine Burgstelle oder der Sachgüter ermöglichen eine objektive Beurtei- einfache Fund eines Kochtopfes oder Spinnwirtels – lung hinsichtlich Material, Grösse und Form. Ob eine wesentliche Ergänzung zu den Schriftquellen Bauwerk oder Kochtopf, Sachgüter sind zumeist nur darstellen. Eine Kirche mag zum Beispiel anlässlich in Fragmenten überliefert; und wie der Historiker einer Kirchweihe in schriftlichen Aufzeichnungen versucht, aus der lückenhaften schriftlichen Über- erwähnt sein, doch geben die Texte kaum Auskunft lieferung ein möglichst umfassendes Bild zu gewin- über Grösse, Form und Aussehen des Gebäudes. Im nen, so bemüht sich der Archäologe, aus der bruch- Land Schwyz wird manche Burgstelle in zeitgenös- stückhaften Überlieferung der Sachgüter ein Ganzes sischen Schriften überhaupt nicht erwähnt oder in zu rekonstruieren. In beiden Fällen wird man mit jüngeren Chroniken hinsichtlich ihrer Grösse und einer kritischen Hinterfragung der Überreste be- Bedeutung völlig überschätzt.1 Da hilft nur eine Be- ginnen müssen, denn sowohl bei den Schrift- wie gutachtung des Objektes selbst respektive seiner bei den Sachquellen stellt die Extrapolation von ei- Überreste über dem Boden durch baugeschichtliche nem Fragment auf das Ganze immer auch eine In- Untersuchungen oder im Boden durch archäologi- terpretation dar. Geschichte, ob vom Historiker oder sche Ausgrabungen. Solche Untersuchungen führen vom Archäologen geschrieben, stellt eine Deutung nicht selten in schriftenlose Zeiten zurück, denn es dar vor dem Hintergrund des aktuellen Erkennt- zeigt sich immer wieder, dass mittelalterliche Sach- nisstandes. Mit jeder Ausgrabung und mit jeder quellen weiter zurückreichen als die entsprechen- Bauuntersuchung wird das Wissen der Archäologen den schriftlichen Aufzeichnungen. Ein Beispiel erweitert. Dies ist der Grund, weshalb Schrift- und dafür ist die Pfarrkirche von Morschach.2 Sie wird Sachquellen immer wieder neu zu lesen, das heisst: 1283 in einem Weihebrief erstmals erwähnt. Ar- neu zu deuten sind. chäologische Ausgrabungen haben jedoch ergeben, Die vorliegende Darstellung stellt die wichtigs- dass bereits im 9. Jahrhundert ein Gotteshaus an ten Funde und Befunde auf dem Gebiet des heuti- dieser Stelle stand, dessen Langhaus anlässlich der gen Kantons Schwyz aus der Zeit zwischen 1200 und (Neu-)Weihe von 1283 wahrscheinlich immer noch 1350 zusammen, soweit diese durch sachgemässe Bestand hatte. Konkret bedeutet dies, dass mit der archäologische Ausgrabungen oder baugeschicht- Kirchweihe wohl nur ein Neubau des Chores sowie liche Untersuchungen bekannt geworden sind. des zugehörigen Altares verbunden war, was aus der Dabei muss man sich vor Augen halten, dass die Urkunde nicht herauszulesen ist. erhaltenen und bekannten Überreste ein durch die Das Beispiel zeigt, dass Schrift- und Sachquellen Überlieferungsgeschichte zufälliges Bild abgeben oft nicht dieselben Gegebenheiten überliefern, und und dementsprechend eine Forschungssituation wo sie es tun, sind ihre Aussagen in der Regel nicht spiegeln, welche sowohl inhaltlich wie auch in der deckungsgleich. Pointiert ausgedrückt: Schriftquel- räumlichen Verteilung unterschiedlich dicht und len und Sachquellen spiegeln unterschiedliche Re- aussagekräftig ist. 194 Geschichte des Kantons Schwyz • Band 1 Grundriss von Burg (nachgewie- sener Teil dunkel gerastert) und N Kapelle St. Johann in Altendorf (nach Kessler). 0 5 m II Erschliessung und Nutzung Sichtung sowohl der Schrift- wie der Sachquellen des Raumes und insbesondere eine sorgfältige Trennung der einzelnen Traditionsschichten haben gezeigt, dass Dank der seit den 1980er-Jahren laufenden bauge- es die habsburgischen Vögte, jedenfalls so, wie man schichtlichen Erforschung einer mittelalterlichen sie traditionell auffasste, nicht gegeben und dass Hausbaugruppe verfügt man über hervorragende ein systematischer Burgenbruch nicht stattgefun- Kenntnisse von hölzernen Wohnbauten im Alten den hat.5 Die Überlieferung der habsburgischen Land Schwyz. Es fehlen jedoch weitgehend Aus- Vögte und des Innerschweizer Burgenbruchs ist im grabungen, die über das räumliche Umfeld solcher 15. Jahrhundert in Zeiten einer «absichtsvollen Ver- Einzelbauten und die historische Entwicklung der gangenheitskonstruktion»6 entstanden und fand Siedlungsräume Aufschluss geben könnten. Um die im 16. Jahrhundert vor allem durch die Geschichts- Erschliessung des Raumes im Spätmittelalter erfas- schreibung des Aegidius Tschudi grössere Verbrei- sen zu können, sind wir weitgehend auf archäologi- tung.7 Jüngere archäologische Nachgrabungen auf sche Untersuchungen von Kirchenbauten sowie auf verschiedenen Burgen der Zentralschweiz haben gelegentliche und meist nur partiell durchgeführte bestätigt, dass die Auflassung der Burgen aus unter- Ausgrabungen von Burgstellen angewiesen. Das schiedlichen Gründen zu unterschiedlichen Zeiten historische Bild, das daraus zu gewinnen ist, bleibt erfolgte. Wo es gewaltsame Übergriffe auf Burganla- deshalb zwangsläufig einseitig